Zweiter Teil Alhambra

9

Vierzehn Tage später schritten drei Bettler staubbedeckt und in Lumpen gehüllt durch den Hufeisenbogen Bab el-Adrar, die Pforte des Gebirges, inmitten einer dem Markt zuströmenden Menge. Niemand beachtete sie, denn es gab viele Bettler in Granada. Der größte von ihnen, ein wahrer Riese, ging voraus, gab aber keinen Ton von sich. Zweifellos ein Stummer. Dann kam die Frau, doch mit Ausnahme ihrer schmutzigen Füße in den ausgetretenen Pantoffeln sah man unter ihrem schwarzen, abgetragenen Kattun nichts von ihr als dunkle, herrliche Augen. Der dritte, der blind sein mußte, nach seinem zögernden Schritt und der Art zu schließen, wie er sich an die anderen beiden klammerte, war ein schwarzbrauner Trottel, der im Vorübergehen das Mitleid der Passanten zu erregen suchte, indem er mit jammernder Stimme einige Verse des Korans vor sich hin leierte. Auf jeden Fall hätte niemand in dieser jämmerlichen Gruppe die drei munteren, vor vierzehn Tagen aus Coca aufgebrochenen Reiter erkannt … Josse war auf diesen Gedanken gekommen.

»Wenn man uns als Christen erkennt, sind wir verloren!« hatte er zu den beiden anderen gesagt. »Unsere Köpfe werden bald die Mauern von Granada zieren, und unsere Leichen werden den Hunden in den Straßengräben zum Fraß vorgeworfen. Die einzige Möglichkeit, unerkannt durchzukommen, ist als Bettler verkleidet.«

Bei dieser Verwandlung hatte sich der ehemalige Landstreicher als wahrer Künstler erwiesen. Der Hof der Wunder, dem er so lange zur Zierde gereicht hatte, war dafür die beste Schule gewesen. Er konnte ausgezeichnet die Augen verdrehen, bis nur noch das Weiße zu sehen war, und spielte den Blinden bis zur Vollkommenheit.

»Blinde genießen eine gewisse Rücksicht in den Ländern des Islams«, hatte er erklärt. »Man wird uns in Ruhe lassen.«

Was Cathérine betraf, so hatte sie, nachdem sie die Grenze des Königreichs Granada überschritten hatte, nicht genug Augen, um alles zu sehen. Sie hatte inzwischen vergessen, wie schwierig der letzte Teil ihrer Reise gewesen war. Gauthier, Josse und sie hatten aus Toledo fliehen müssen, wo die Pest ausgebrochen war und die Juden wieder einmal die Kosten des Volkszorns zu tragen hatten. Man machte auf sie Jagd, verbrannte öffentlich ihre heiligen Bücher; man nahm ihnen ihr Hab und Gut, und wenn sich Gelegenheit zur Privatrache bot, ermordete man sie unter dem geringsten Vorwand. Die uralte westgotische Stadt, so alt, daß man Adam zu ihrem ersten König ernannte, watete in Blut, so daß Cathérine und die Ihren sich schaudernd davongemacht hatten.

Aber sie kamen vom Regen in die Traufe. Nach nutzlosen Geplänkeln an den Grenzen Granadas zog das Heer des Konnetabels von Kastilien, Alvaro de Luna, wieder gen Valladolid, und das durchquerte Land hatte für die schlechte Laune infolge eines ruhmlosen und verlustreichen Feldzugs hart zu büßen. Auf ihrem Durchzug brandschatzten und plünderten die Soldaten Lunas wie in einem eroberten Land. Das Volk der Sierra, das so arm war, daß es mitunter von dem seltenen, den ausgedörrten Ebenen abgerungenen Gras lebte, stob beim Herannahen der Soldateska in alle Winde auseinander wie Spatzen vor dem Sperber. Die drei Franzosen hatten es ihnen nachgetan. In der Nähe von Jaén hatten einige Späher der Vorhut sie festgenommen, doch dank der Riesenkräfte Gauthiers und der Schlauheit und Geschicklichkeit Josses waren sie entwischt, glücklich, sich nur unter Zurücklassen ihrer Pferde aus dem Staube machen zu können. Übrigens war, wie Josse bemerkte, die maurische Grenze nicht mehr weit, und auf jeden Fall hätte man auf die Pferde verzichten müssen, denn Bettler waren selten beritten. »Aber man hätte sie verkaufen können!« hatte Gauthier als guter Normanne eingewandt.

»An wen? Es gibt in diesem schönen Land keine Menschenseele, die genug Geld hätte, auch nur ein Eselchen zu kaufen! Die Erde ist zwar reich, aber Jahr um Jahr streitet man sich in dieser Ecke, so daß nicht einmal mehr Gras wächst. Entweder machen die Sarazenen Überfälle nach Norden, oder die Kastilier kommen herunter, in der Hoffnung, die Reconquista zu vollenden … aber für das Volk nach Jaén und Umgebung bleibt immer dasselbe Ergebnis: verbrannte Erde.«

Mutig hatten die drei Gefährten sich zu Fuß auf den Weg gemacht, auf den kaum begangenen Pfaden der Gebirgskette bei Nacht marschierend, sich tagsüber verbergend und sich nach den Sternen richtend, die für den Pariser Landstreicher wie für den Waldriesen der Normandie anscheinend keine Geheimnisse bargen. Die letzte Strecke ihrer Wanderung war hart und erschöpfend gewesen, aber Cathérine hielt tapfer durch. Dieses unbekannte, beim Einbruch der Nacht so blaue Firmament, diese Sterne, größer und funkelnder, als sie sie bislang gesehen hatte, all dies sagte ihr, daß sie sich endlich dem fremden, faszinierenden und gefährlichen Ort näherte, wo Arnaud lebte.

Der Weg, den sie entlangzogen, sprach von Krieg, Leid und Tod. Manchmal stolperten sie in der Dunkelheit über eine unter einem Dornstrauch verwesende Leiche, oder während einer Rastpause bei Tag klang der unheilkündende Schrei der Aasgeier am blauen Himmel. Die großen schwarzen Vögel kreisten gewichtig umher, um sich dann plötzlich wie ein Stein auf irgendeinen Punkt in der Landschaft herunterfallen zu lassen. Als Cathérine jedoch von der Höhe der ausgetrockneten Sierra in der von der Sonne eines wundervollen südlichen Tages bereits übergossenen Morgendämmerung die Pracht Granadas erblickte, war sie vor Bewunderung stehengeblieben. In seinen Gebirgsschrein gebettet wie in das Herz einer riesigen Muschel, deren Perlmuttglanz das Meer widerspiegelte, lag es als Juwel am Rande eines grüngoldenen Tales, das die schneebedeckten Gipfel einer Sierra umschlossen.

Zahllose Quellen entsprangen den Bergen, vereinigten sich zu klaren Sturzbächen und erfrischten dieses wunderbare Land, das in den Himmel zu wachsen schien, und als Opfergeschenk errichtet, erhob sich auf einem kantigen Vorgebirge aus roten Felsen der rötlichste, schillerndste aller maurischen Paläste. Eine hohe Mauer, bestückt mit viereckigen Türmen, umschloß liebevoll ein verlockendes Durcheinander von Blumen, Bäumen und Lusthäusern. Stellenweise erriet man das Glitzern von Springbrunnen, den Wasserspiegel der Becken. Und selbst die rauhen Ziegelsteine der Festungswälle, die nicht gerade besondere Schönheit ausstrahlten, schienen die Harmonie und dieses glückliche Tal, in dem sich Reichtum und Überfülle wie ein erstaunlicher Seidenteppich ausbreiteten, nicht stören zu können.

Um den bezaubernden Palast herum stieg die Stadt stufenweise die Hügel hinan. Schlanke weiße oder rote Minarette ragten neben den grünen oder goldenen Kuppeln der Moscheen in die blaue Luft. Paläste erhoben sich über den Häusern, aber höher als sie alle ragte das imposante Gebäude der islamischen Universität, im Wettstreit mit dem gewichtigen Bau des großen Hospitals, dem Maristan, ohne Zweifel dem zu dieser Stunde am besten ausgestatteten Krankenhaus Europas.

Es war die Stunde des Sonnenaufgangs, die Stunde, in der von jedem dieser Minarette die durchdringenden Stimmen der Muezzins erklangen und die Gläubigen zum Gebet riefen.

Der Gebirgspfad bildete an dieser Stelle eine Art Plattform, von der aus man einen Rundblick über das gesamte herrliche Land hatte. Cathérine setzte sich auf einen Felsbrocken ganz am Rand des Vorsprungs, und die beiden anderen, die ihre innere Bewegung errieten, traten beiseite, um sie mit ihren Gedanken allein zu lassen, und machten in einiger Entfernung an einer Wegbiegung Rast.

Cathérine konnte die Augen nicht von dem zu ihren Füßen ausgebreiteten fabelhaften Land wenden. Da unten lag das lang ersehnte Ziel ihrer irrsinnigen Reise, die sie gegen jede Vernunft angetreten hatte, und sie war zu Tränen gerührt, daß es so schön war. War dies nicht das Land der Träume und der Liebe? Und konnte man hier anders leben als in Freude und Glück?

Sie hatte sich abgemüht, hatte gelitten, gezagt, Tränen und Blut vergossen, aber sie war angekommen! Angekommen! Schluß mit den endlosen Wegen, mit Horizonten, die sich immer weiter ausgedehnt, sich immer abgelöst hatten. Ein Ende mit den nagenden Zweifeln der Nächte, in denen sie schlaflos gelegen und sich gefragt hatte, ob sie diesen Ort jemals erreichen würde, den sie manchmal in Minuten des Kleinmuts gar nicht für wirklich, sondern für eine fixe Idee gehalten hatte. Vor ihr war Granada, zu ihren Füßen liegend wie ein zärtliches Tier, und ihre Freude war so groß, daß sie einen Augenblick die Gefahren vergaß, die ihr vielleicht noch drohten. Arnaud war jetzt nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt, und sein Wohnsitz mußte dieser fabelhafte, so wohl bewachte Palast sein.

Wohl bewacht? … Zu gut bewacht! Der Gedanke ernüchterte sie, nahm ihr die Freude. Diese traumhaften Gärten stießen an eine Festung. Unter ihren grünen Palmen, unter ihrem dichten Laubwerk und ihren Rosen waren Soldaten, waren Waffen. Und die Frau, die sie haßte, ohne sie zu kennen, mußte alle Möglichkeiten besitzen, sich zu verteidigen und ihre Beute zu hüten. Wie konnte man die Pforten des Palastes erreichen, wie konnte man eindringen? Wie konnte man Arnaud in diesem Gewirr von Gäßchen, in dieser verschwiegenen Welt finden? Es hätte einer Armee bedurft, um mit dieser Stadt fertig zu werden, und Cathérine wußte wohl, daß die Heere des grausamen Konnetabels von Kastilien sich schon seit Jahren die Zähne an ihr ausbissen. Niemand hatte je die Grenzen Granadas verletzt, der lange genug danach am Leben geblieben war, um sich dessen zu rühmen.

Weil es sie verlangte, gegen die der Freude des Triumphes so schnell folgende Entmutigung anzukämpfen, kniete Cathérine in den Staub nieder, faltete die Hände und schloß die Augen. Minutenlang betete sie so inbrünstig wie zu Füßen der fremden kleinen schwarzen Jungfrau von Puy, flehte den Himmel an, er möge sich endlich ihrer erbarmen und ihr den Gatten wiedergeben, der mit ihrem Kind ihr einziges Gut auf dieser Erde darstellte. »Du wirst nicht zulassen, Herr, daß ich endlich dieses ferne Gestade erreicht habe, nur, um mich in die Gefahren des Meeres zurückzustoßen. Du kannst nicht wollen, daß meine Schmerzen vergebens waren, daß ich nur hierhergekommen bin, um mein Herz und meine Liebe auf immer zu verlieren, denn du bist die Gerechtigkeit! Und selbst wenn ich oft deinen Zorn verdient habe, wirst du es nicht geschehen lassen, weil du auch die Barmherzigkeit bist und ich dich anflehe!«

Eine Hand rührte sanft an ihre Schulter, und die junge Frau hob die Augen. Sie sah Josse, der sich über sie beugte und sie behutsam aufzuheben versuchte.

»In aller Offenheit zu beten, Dame Cathérine, wie unvorsichtig von Euch! Vergeßt Ihr denn, daß wir uns im Land der Ungläubigen befinden? Es gibt hier, wie Ihr seht, kein einziges Gotteshaus, nichts als die Moscheen, wo diese Ungläubigen zu ihrem Gott beten. Steht schnell auf! Wenn Euch jemand sähe …«

Mit mehr Nachdruck als Sanftmut stellte er sie wieder auf die Füße. Sie lächelte ihn aus ihrer schwarzen Vermummung an. »Verzeiht! Ich hatte es tatsächlich vergessen. Alles ist hier so schön! Ist dieses Land nicht das Paradies selbst? Und das, Freund Josse, erschreckt mich. Wenn man inmitten solcher Pracht lebt, ist alles andere ausgelöscht. Man will nicht mehr weit von diesen Bergen atmen, von diesen frischen Wassern, diesen Gärten. Und wie könnte ich meinem Gatten, der nur die Schrecken einer Krankenstation kannte, bevor er unser Land verließ, ernstlich böse sein, wenn er sich weigerte, von hier fortzugehen?«

»Messire Arnaud ist nicht der Mann, der ein verweichlichtes Leben und Blumengärten liebt«, unterbrach sie Gauthier kurz angebunden. »Ich kann ihn mir schlecht als Lautenspieler oder in Samt und Seide gekleidet, den Duft der Rosen einatmend, vorstellen. Den Degen, das Panzerhemd, solche Dinge liebt er und noch mehr das rauhe Leben im Lager und auf den Landstraßen. Und was dieses sogenannte Paradies betrifft …«

»Ein drolliges Paradies!« meinte Josse spöttisch. »Dieser Palast, diese Palaststadt vielmehr, die man Alhambra … ›die Rote‹ … nennt, ähnelt tatsächlich einer Rose. Doch es sind grausame Dornen unter ihren duftenden Blütenblättern. Seht nur!«

Die magere Hand des Parisers hatte zuerst auf die Linie der Bergkämme gedeutet, die von kleinen Forts durchsetzt war, deren Mauern nichts Liebliches an sich hatten. Hier Blumen, da Bäume, deren grüne Wedel von dem nach Orangen duftenden Wind sanft bewegt wurden, dort rauschende Palmen, aber auf den Zinnen der dunkle Blitz des Stahls, die schimmernde Spitze weißbeturbanter maurischer Helme. Dann zeigte die Hand Josses wieder auf den doppelten Festungswall von Granada hinunter, deutete auf die Raben, die auf merkwürdigen runden Gebilden saßen. »Abgeschnittene Köpfe!« sagte er nur. »Wie reizend!« Und Cathérine schauderte, doch ihr Mut verließ sie nicht. Die Falle war verlockend mit Blumen geschmückt und zweifellos gefährlich, aber sie würde ihr ihr Geheimnis mit bloßen Händen und nur mit ihrer Liebe bewaffnet entreißen. »Gehen wir!« sagte sie nur.

Die Lumpen, die sie und ihre beiden Gefährten bedeckten, hatte Josse von den Leichen gestohlen, auf die sie auf ihrem Weg durchs Gebirge gestoßen waren. Ihr Schmutz hatte der jungen Frau Übelkeit verursacht, aber unter dem schwarzen Kattun fühlte sie sich sicher. Dieses Land, das der Frau nur die Augen zu zeigen gestattete, hatte praktische Bräuche für den, der sie verbergen wollte.

Die Augen fest auf das viele Grün gerichtet, von dem sich die warmgetönten Mauern der Alhambra so gut abhoben, ließ Cathérine sich mit aus Furcht und Hoffnung gleichermaßen klopfendem Herzen mitziehen. Die Kreuzfahrer von einst mußten ähnlich empfunden haben, als sie Jerusalem zu Gesicht bekamen … Inmitten einer gestikulierenden, schreienden Menge, in Blumendüften und Gerüchen nach ranzigem Öl durchschritt sie die erste, ziemlich verlotterte Umwallung. Die zweite schien sehr weit zu sein, jenseits eines Geländes ohne Bäume oder Gebäude, das aber fast ebenso dicht bevölkert war wie ein Marktplatz am Markttag. Dort waren die Getreidehändler, die Kürschner und Kräuterhändler. Maulesel, Hammel, gemächliche Kamele gingen zwischen den im Staub liegenden Ballen umher, auf denen die Muselmänner in ihren erdfarbenen Dschellabas saßen und die Kunden mit lauten Rufen anlockten. Weiter hinten verkaufte man Brennholz, Kohlen, Stroh, Grünfutter. Die zweite, viel höhere Umwallung, die sich durch das hufeisenförmige Tor der Alkazaba zur Stadt hin öffnete, gab dieser Menge, die in sich alle Farben der Erde vereinigte, von Schwarz bis zum brennenden Rot über alle Schattierungen von Braun, Grau, Gelb und Ocker, einen roten Hintergrund. Und dann, wenn man das zweite Tor durchschritten hatte, wurde alles grün. Riesige Mengen Myrrhe, Basilienkraut, Estragon, Lorbeer erfüllten mit ihrem Duft die blaue Luft im Verein mit Körben voller Oliven, Zitronen, Pistazien, Kapern und Ziegenhautschläuchen voller ausgelassener Butter und Honig … Diese rote Stadt, im Kern aus Häusern mit flachen Dächern und nackten, mit Kalk geweißten Mauern bestehend, war wie ein ungeheures Füllhorn, aus dem der Wohlstand floß. Sie erhob sich an der Spitze Europas, Klaue des riesigen, geheimnisvollen und fruchtbaren Afrikas, das sich hinter ihr bis zum Ende des Himmels öffnete. Von den spanischen Eroberungen der schrecklichen Sultane, der Almoraviden oder Almohaden, schwarzverhüllte Männer aus dem Großen Atlas und dem fabulösen Marrakesch, blieb nur noch wenig übrig: dieses Königreich Granada von geringer Ausdehnung, verzuckert und rot wie die Frucht, deren Name es trug, das in sich allein den ganzen Orient und ganz Afrika zusammenfaßte.

»Was für ein märchenhaftes Land!« murmelte Cathérine voll Erstaunen. »Welcher Reichtum!«

»Ihr solltet lieber nicht französisch sprechen«, flüsterte Josse. »Es ist eine wenig bekannte Sprache bei den Mauren! Wir sind jetzt an Ort und Stelle. Habt Ihr eine Ahnung, wo Euer Freund, der Arzt, wohnt?«

»Er hat mir gesagt, sein Haus stehe an einem Fluß …«

Sie stockte, öffnete die Augen weit. In dem schmalen Gäßchen, das sich zwischen den weißen Häusern mit den kahlen Mauern hindurchwand, näherte sich ein Zug. Mit Stöcken bewaffnete Läufer trieben die Hausierer zurück, die die Luft mit ihren Rufen und dem Gebimmel ihrer Glöckchen erfüllten, dann kamen Reiter in weißen Burnussen. Schließlich erschien auf den Schultern von sechs ebenholzschwarzen Sklaven, die bis zum Gürtel nackt waren, eine vergoldete, über den beturbanten Köpfen wie eine Karavelle auf den Wogen segelnde Sänfte. Cathérine und ihre Gefährten hatten gerade noch Zeit, sich an ein Haus zu drücken, um den Stöcken der Läufer zu entgehen, die aus Leibeskräften brüllten. Als die Sänfte an Cathérine vorüberkam, wurden die blauen Musselinvorhänge durch einen Windstoß auseinandergetrieben, und die junge Frau konnte eine auf goldbestickten Kissen liegende und ganz in blaue Schleier gekleidete schlanke, biegsame Gestalt sehen, deren langes schwarzes Haar mit goldenen Zechinen durchflochten war und die hastig einen ihrer Schleier vor das Gesicht zog. Aber die junge Frau hatte Zeit gehabt, die Schönheit dieser Frau, ihr gebieterisches Profil und ihre riesigen schwarzen Augen, ebenso die Juwelen, die ihren Hals zierten, zu bemerken.

»Wer ist diese Frau?« fragte sie in plötzlicher Bangigkeit mit erstickter Stimme. »Sie ist mindestens eine Prinzessin …«

Ohne zu antworten, fragte Josse mit der weinerlichen Stimme, die er sich angewöhnt hatte, einen Wasserträger neben ihnen, wer die Dame in der Sänfte sei. Die Antwort war niederschmetternd. Josse brauchte sie ihr nicht zu übersetzen, denn seit sie über die Pyrenäen gekommen waren, hatte er die Ruhestunden auf ihrem Weg dazu benutzt, der jungen Frau so viel Arabisch beizubringen, wie er verstand. Sie kannte genug davon, um einer leichten Unterhaltung folgen zu können, und hatte genau verstanden, was der Wasserträger gesagt hatte.

»Das ist die kostbare Perle der Alhambra, die Prinzessin Zobeida, Schwester des Kalifen!«

Die Schwester des Kalifen! Die Frau, die ihr Arnaud weggenommen hatte! Weshalb mußte sie gleich bei ihren ersten Schritten in der maurischen Stadt ihrer Rivalin begegnen? Und was für einer Rivalin! … Mit einem Schlag schwand das tiefe Vertrauen, das Cathérine sich auf der langen, endlosen Reise von Puy bis in diese fremde Stadt bewahrt hatte. Die flüchtig erblickte Schönheit ihrer Feindin verlieh ihrer Eifersucht noch eine zusätzliche schreckliche Bitterkeit, einen beißenden Geschmack, der sogar die warme Luft dieses Morgens vergiftete. Cathérine ließ sich gegen die von der Sonne heißgebrannte Wand sinken. Unendliche Müdigkeit, geboren aus der Erschöpfung der vergangenen Tage und dem Schock, den sie soeben empfangen hatte, drückte sie nieder. Große Tränen stiegen ihr in die Augen … Arnaud war für sie verloren. Wie konnte sie nach der blendenden Erscheinung in Gold und Blau, die soeben ihren Blicken entschwunden war, noch daran zweifeln? Der Kampf war von vornherein verloren …

»Sterben!« hauchte sie. »Sofort sterben!«

Obgleich es nur ein kaum merkliches Murmeln gewesen war, hatte Gauthier es gehört. Während Josse, ratlos vor diesem plötzlichen Schmerz, sich daranmachte, einen Hausierer auszufragen, der ›volle, dicke Mandeln und saftige Granatäpfel‹ feilbot, stellte er sich vor die gebrochene junge Frau und riß sie mit harter Faust empor.

»Na und? Was hat sich denn geändert? Warum wollt Ihr sterben? … Weil Ihr diese Frau gesehen habt? Denn die ist es doch, nicht wahr, die Ihr besiegen wollt?«

»Besiegen!« rief sie mit schmerzhaftem Lachen. »Womit besiegen? Dieser Kampf ist unmöglich geworden! Ich war verrückt, als ich glaubte, ich könne ihn wiedergewinnen! Hast du die Prinzessin Ungläubig gesehen? Fortunat hatte recht. Sie ist schöner als der Tag, ich habe keine Chance gegen sie.«

»Keine Chance? Und warum nicht?«

»Erinnere dich doch dieser blendenden Erscheinung! Und schau mich an …«

Er hielt sie im letzten Augenblick zurück, als sie den schwarzen, schmutzigen Kattun herunterreißen wollte, unter dem sie fast erstickte, um ihr Gesicht, ihr blondes Haar zu enthüllen.

»Ihr seid am Ende, aber Ihr müßt Euch zusammennehmen! Man wird schon auf uns aufmerksam! … Dieser Schwächeanfall bringt uns alle in Gefahr! Unsere ungewöhnliche Sprache …«

Er brauchte nicht weiterzusprechen. Durch eine ungeheure Willensanstrengung überwand Cathérine ihre Mutlosigkeit. Gauthier hatte genau das Richtige gesagt, was ihr helfen konnte – hatte ihr klargemacht, daß ihre Haltung sie alle in Gefahr brachte. Übrigens kam Josse jetzt wieder zurück. Der falsche Blinde griff tastend nach der Wand und murmelte:

»Ich weiß, wo der Arzt wohnt. Es ist nicht weit. Zwischen dem Hügel der Alkazaba und den Mauern der Alhambra, am Flußufer. Der Mandelhändler hat mir gesagt: ›zwischen der Brücke des Kadi und dem Hamman, einem großen Haus, wo Palmen stehen …‹«

Ohne ein weiteres Wort brachen sie, sich wieder an den Händen haltend, auf. Die Berührung der rauhen Handflächen dieser Männer belebte Cathérine ein wenig, desgleichen der Gedanke, Abu al-Khayr wiederzusehen. Der kleine maurische Arzt kannte das Geheimnis, wie man mit Zuspruch Trost und neuen Mut einflößt. Viele Male hatten seine fremden philosophischen Lebensregeln sie aus tiefem Kummer, ja sogar aus Verzweiflung, an der sie beinahe gestorben wäre, gerissen!

Plötzlich hatte sie Eile, bei ihm zu sein, sah nichts mehr von der Stadt, die sie noch vor wenigen Augenblicken entzückt hatte. Indessen zogen ihre Gefährten sie in eine recht seltsame, mit Schilfrohrgeflecht überdachte Straße, durch das sich blitzende Sonnenstrahlen stahlen; auf beiden Seiten war sie von kleinen, türlosen Buden eingesäumt, in denen Kupferschmiede arbeiteten. Hammerschläge erfüllten die Gasse mit lustigem Lärm, und im Schatten der Verkaufsstände glänzten sanft die Becken, die Wasserkannen, die Messing- oder Kupferkessel und machten aus jeder kleinen Werkstatt eine Art Schatzhöhle. »Der Markt der Kupferschmiede!« erklärte Josse, aber Cathérine sah und hörte nichts. Unaufhörlich mußte sie an das herrische elfenbeinerne Profil, an die langen dunklen, zwischen dichten Wimpern leuchtenden Augen, an den auf den goldverbrämten Kissen ausgestreckten graziösen Körper denken.

»Sie ist zu schön!« sagte sie sich immer wieder. »Sie ist zu schön!« Diesen kleinen grausamen Satz, der sie folterte, wiederholte sie wie ein lästiges Leitmotiv. Sie murmelte ihn immer noch, als am Rande eines kleinen Sturzbachs, dessen rauschende Wasser hinter seinen Mauern hervorsprudelten, das Haus des Arztes Abu unter den grünen Kronen der Palmen, die aus seiner Mitte herauszuwachsen schienen, vor ihr auftauchte. »Wir sind da!« sagte Gauthier. »Hier ist unser Reiseziel.«

Doch Cathérine schüttelte den Kopf, als sie auf der anderen Seite des Bachs das Felsengebirge sah, auf dem stolz, hoch über ihnen, der rote Palast thronte. Das Ziel stand dort oben … und sie hatte weder Kraft noch Mut mehr, es zu erstürmen.

Als sich jedoch die hübsche Pforte mit ihren verzierten, nägelbeschlagenen Flügeln vor ihr öffnete, war die Zeit plötzlich aufgehoben. Cathérine war auf einmal zehn Jahre jünger, denn sie erkannte den großen, weißgekleideten und beturbanten Schwarzen wieder, der auf der Schwelle stand. Es war einer der beiden Stummen Abu al-Khayrs!

Der Sklave runzelte die Stirn, betrachtete die drei Bettler mit mißbilligendem Blick und wollte die Tür wieder schließen, aber Gauthiers Fuß, schnell dazwischengeschoben, hinderte ihn daran, während Josse ihn anherrschte:

»Geh und sage deinem Herrn, daß einer seiner ältesten Freunde ihn zu sprechen wünsche. Ein Freund aus dem Land der Christen …«

»Er kann nicht sprechen«, unterbrach Cathérine. »Der Mann ist stumm!«

Sie hatte französisch gesprochen, und der Schwarze sah sie mit Erstaunen und Neugier an. In den großen kugelrunden Augen sah sie etwas aufblitzen, und flink ließ sie ihren schwarzen Schleier sinken.

»Sieh!« sagte sie, auf arabisch diesmal. »Erinnerst du dich an mich?« Als Antwort ließ der Sklave sich mit einem rauhen Laut auf die Knie fallen, ergriff den Saum des zerlumpten Kleides und drückte ihn an die Lippen. Dann sprang er auf und eilte in den Innengarten, den man hinter einer Art viereckiger, mit großen Ziegelsteinfliesen ausgelegten Halle sehen konnte, die sich zwischen schlanken Säulen auf einen mit Blumenbeeten und drei fabelhaften Palmen bepflanzten Hof öffnete. In einem großen Springbrunnenbecken aus durchsichtigem Alabaster floß sachte klares Wasser und erfrischte den ganzen Wohnsitz.

Pflanzen, besonders Rosen, die in Hülle und Fülle blühten, und blütenübersäte, berauschend duftende Orangenbäume bildeten den größten Teil der Ausstattung dieses Hauses. Ein wahrhaft schönes Haus, in dem sich aber aller Luxus in die reine Linie der Säulen, in die Transparenz des sich wie feine Klöppelspitzen um die Galerie des ersten Stocks rankenden Alabasters und in die Frische des im Garten murmelnden Wassers flüchtete. Abu al-Khayr liebte die Einfachheit des täglichen Lebens, ohne jedoch auf den Komfort zu verzichten …

Auf den Fliesen des Gartens hörte man das Schlürfen von Lederpantoffeln, und plötzlich stand Abu al-Khayr da, derart dem Bild ähnelnd, das Cathérine in Erinnerung hatte, daß die junge Frau einen verblüfften Seufzer ausstieß. Das Gesicht des kleinen Arztes, von seinem absurden weißseidenen Bart umrahmt, war ebenso glatt und makellos wie eh und je, und er war genauso gekleidet wie an dem Tag, an dem sie sich zum erstenmal begegnet waren: Es war dasselbe Gewand aus dicker blauer Seide, derselbe unförmige feuerrote Turban, nach persischer Sitte gewickelt, es waren dieselben Pantoffeln aus purpurrotem Maroquin, zu blauseidenen Kniestrümpfen getragen. Er war kein Jahr, keinen Tag älter geworden! Seine schwarzen Augen blitzten immer noch ironisch, und sein Lächeln war der jungen Frau so vertraut, daß ihr beinahe die Tränen kamen, weil sie, als sie ihn nun wiedersah, das verrückte Gefühl überkam, heimzukehren.

Abu al-Khayr, der den höflichen Gruß Josses und Gauthiers übersah, stellte sich vor Cathérine auf, musterte sie von Kopf bis Fuß und erklärte einfach:

»Ich habe dich erwartet! Aber du kommst sehr spät!«

»Ich?«

»Ja, du! Du kannst dich nicht ändern, Frau einer einzigen Liebe! Und du ziehst es immer noch vor, wie der Nachtfalter im Feuer der Kerze zu sterben, statt in der Dunkelheit zu leben, nicht wahr? Die Hälfte deines Herzens ist hier. Wer kann mit nur einer Herzhälfte leben?«

Jähe Röte stieg Cathérine in die Wangen. Abu hatte seine außerordentliche Fähigkeit nicht verloren, in der geheimsten Kammer ihres Herzens zu lesen. Was hatte es übrigens für einen Sinn, die Höflichkeitsformen zu wahren?

Sie ging sofort in medias res.

»Habt Ihr ihn gesehen? Wißt Ihr, wo er ist? Was tut er? Wie lebt er? Ist er …«

»Langsam, langsam … beruhige dich!« Die kleinen, zarten Hände des Arztes umschlossen die vor Erregung zitternden der jungen Frau und hielten sie fest. »Frau ohne Geduld«, sagte er sanft, »warum diese Hast?«

»Weil ich einfach keine Geduld mehr habe … Ich kann nicht mehr, Freund Abu! Ich bin müde, verzweifelt!« Fast hätte sie in einem Anfall von Nervenschwäche geweint.

»Nein, du bist nicht verzweifelt. Sonst wärst du gar nicht hier! Ich weiß es. Der Dichter hat geschrieben: ›Wann, allmächtiger Gott, wird sich mein inniger Wunsch erfüllen: neben seinem zerzausten Haar Ruhe zu finden?‹ Und du, du redest wie der Dichter, das ist ganz natürlich!«

»Nein, nicht mehr. Jetzt fühle ich mich plötzlich alt …«

Das kindliche Lachen Abu al-Khayrs schallte so klar, so jung, daß Cathérine sich plötzlich ihrer Niedergeschlagenheit schämte.

»Wer soll dir das glauben? Offensichtlich bist du müde, du schleppst den Staub der großen Landstraßen mit dir … und so vieles hat deine Seele belastet, nicht wahr? Du kommst dir schmutzig vor, schmierig bis zum Herzen. Aber das vergeht … Selbst unter deinen Bettlerlumpen bist du immer noch schön. Komm, du brauchst Ruhe, Pflege und Nahrung. Später unterhalten wir uns ausführlich. Nicht vorher …«

»Die Frau, die ich gesehen habe … sie ist so schön!«

»Wir wollen nicht darüber sprechen, solange du dich nicht gestärkt hast. Dieses Haus gehört von nun an dir, und Allah allein weiß, wie glücklich ich bin, dich hier aufzunehmen, meine Schwester! Komm … folge mir! Aber da fällt mir ein – wer sind diese Männer? Deine Diener?«

»Mehr als das, Freunde.«

»Dann sind sie auch die meinen! Kommt alle!«

Folgsam ließ Cathérine sich zu einer schmalen Steintreppe ziehen, die geradewegs an einer Mauer entlang zur Galerie des ersten Stockes führte. Gauthier und Josse, noch unter dem Eindruck der Überraschung stehend, den der kleine Arzt mit seinem fremden Aussehen und seiner blumigen Sprache auf sie gemacht hatte, folgten ihr auf dem Fuß. Diesmal verzichtete Josse darauf, den Blinden zu spielen, und trottete munter hinterher.

»Bruder«, flüsterte er Gauthier zu, »ich glaube, Dame Cathérine hat schon halb gewonnen. Dieser kleine, brave Mann scheint zu wissen, was Freundschaft ist.«

»Du wirst recht haben. Aber was das Gewinnen betrifft, ist sie nicht so sicher … du kennst Messire Arnaud nicht. Er besitzt die Kühnheit des Löwen und die Dickköpfigkeit des Maultiers, den Mut des Adlers … aber auch seine Mordlust. Er gehört zu den Männern, die sich lieber das Herz herausreißen, als nachzugeben, wenn sie sich beleidigt fühlen.«

»Liebt er seine Gattin nicht?«

»Er betete sie an. Nie habe ich ein leidenschaftlicher verliebtes Paar gesehen. Aber er hat geglaubt, sie habe sich einem anderen hingegeben, und er ist geflohen. Wie soll ich wissen, was er zu dieser Stunde denkt?«

Josse antwortete nicht. Seit er Cathérine kannte, wollte er den Mann kennenlernen, der es verstanden hatte, das Herz einer solchen Frau so fest zu gewinnen. Und jetzt, nachdem das Ziel nahe war, war seine Neugier aufs höchste gereizt.

»Es wird sich zeigen!« brummte er in sich hinein.

Mehr sagte er nicht, denn Abu al-Khayr öffnete vor den beiden Männern eine kleine Pforte aus rotem und grünem Zedernholz, die in ein geräumiges Gemach führte, und teilte ihnen mit, daß Diener sich um sie kümmern würden. Dann schlug er dreimal in die Hände und öffnete Cathérine eine andere Tür. Dies war ohne Zweifel der schönste Raum des Hauses: die Decke aus rotgoldenem Zedernholz, wie ein Teppich gewoben, die Wände aus vergoldeten Mosaiken, dicke, weiche Teppiche auf den Marmorfliesen, spitzbogige Nischen mit Spiegeln und Leuchtern oder Toilettenutensilien, Becken und Wasserkanne aus Kupfer. Vier vergoldete Kupfertruhen zur Unterbringung der Kleider standen in den Ecken, aber kein Bett war zu sehen. Es mußte hereingeschoben und an eine der Wände gestellt werden, in einen Winkel außer Sicht nach muselmanischem Brauch, während in einer großen, mit Spiegeln ausgestatteten Nische im Hintergrund des Raums ein runder Diwan mit einer Menge bunter Kissen stand. Die Fenster gingen natürlich auf den Innenhof hinaus.

Abu al-Khayr ließ Cathérine mit einem Blick von diesem angenehmen Appartement Besitz ergreifen, in dem nichts, was das Auge einer Frau verführen konnte, vergessen war. Dann schritt er langsam zu einer der Truhen, öffnete sie, zog einen Armvoll vielfarbiger Seiden- und Musselinstoffe heraus und breitete sie mit fraulicher Sorgfalt auf dem Diwan aus.

»Wie du siehst«, sagte er einfach, »habe ich dich wirklich erwartet! All dies ist am nächsten Tag auf dem Seidenmarkt gekauft worden, nachdem ich erfahren hatte, daß dein Gatte hier ist.«

Einen Augenblick standen sich Cathérine und ihr Freund Auge in Auge gegenüber, dann ergriff Cathérine Abus Hand und drückte, bevor er sie hindern konnte, ihre Lippen auf sie, ohne die Tränen zurückzuhalten, die ihr in die Augen sprangen. Er zog sanft seine Hand zurück. »Der von Gott geschickte Gast ist bei uns stets willkommen«, sagte er liebenswürdig. »Wenn dieser Gast aber unserem Herzen nahe ist, dann gibt es für einen wahren Gläubigen keine größere und reinere Freude. Ich müßte dir Dank sagen!«

Eine Stunde später, nachdem sie sich vom Staub der Reise gereinigt und es sich in den Kleidern bequem gemacht hatten, die ihr Gastgeber ihnen hatte überreichen lassen – weite, schwarz-weiß gestreifte Gewänder aus feiner Wolle, in der Taille durch einen breiten Seidengürtel zusammengehalten, für die Männer, und eine grünseidene, ärmellose arabische Gandoura, bis zu den Brüsten ausgeschnitten, für Cathérine, silberbestickte Pantoffeln aus feinem kurdischem Leder für alle drei –, ließen sich die Reisenden mit Abu al-Khayr auf Kissen nieder, die auf dem Boden rings um ein riesiges, als Tisch dienendes, auf Füße gestelltes silbernes Tablett verteilt waren. Das Tablett war reich bestellt. Außer gebratenen Hammelscheiben gab es sehr feine, außerordentlich schmackhafte Pasteten mit Tauben- und Ochsenfleisch und Mandelfüllung, vor allem jedoch alle Arten Früchte und Gemüse, von denen einige den Menschen aus dem Norden unbekannt waren.

»Ich esse die Früchte der Erde besonders gern«, hatte Abu lächelnd gesagt, während er eine riesige Melone mit herrlich duftendem Fleisch anschnitt und Scheiben davon der Runde anbot. »Sie haben die Sonne in sich.« Es gab Orangen, Zitronen, Äpfel, Kürbisse und frische, gewürzte Bohnen, Auberginen, Kichererbsen, Bananen, Trauben, Mandeln und natürlich Granatäpfel, all dies zusammen ein vielfarbig leuchtender Haufen von herrlicher Wirkung. Übrigens schmausten Josse und Gauthier, angeregt vom Inhalt einer hohen, schmalen Flasche Wein, die ihr aufmerksamer Gastgeber hatte neben sie stellen lassen, gleichzeitig voller Neugier und mit Appetit. Sie langten tüchtig zu, mit einer Begeisterung, die Abu, dessen eigene Speisenfolge ziemlich bescheiden war, ein Lächeln abrang. »Ist es in Eurem Hause immer so, Seigneur?« fragte Josse mit naiver Gefräßigkeit.

»Nennt mich nicht Seigneur, sondern Abu. Ich bin nur ein einfacher Gläubiger. Ja, es ist immer so. Seht, wir kennen hier keine Hungersnot. Sonne, Wasser und Erde geben uns alles im Überfluß. Wir brauchen nur Allah zu danken. Ich weiß, daß man sich in euren nördlichen Breiten ein Land wie das unsrige nicht einmal vorstellen kann. Das ist zweifellos der Grund«, fügte er mit plötzlicher Trauer hinzu, »weshalb die Kastilier sehnlichst wünschen, uns zu vertreiben, wie sie uns bereits aus Valencia, aus dem heiligen Córdoba und anderen Landen dieser Halbinsel, die wir reich und blühend gemacht hatten, vertrieben haben. Sie verstehen nicht, daß unsere Reichtümer auch aus dem Orient und aus Afrika kommen, deren Schiffe ungehindert an unseren Küsten landen können … was nicht mehr der Fall wäre, wenn das Königreich Granada eines Tages fiele!«

Während er sprach, beobachtete er Cathérine aus den Augenwinkeln. Trotz der langen Reise, die sie hinter sich hatte, rührte die junge Frau kaum etwas von den Speisen an. Sie hatte an einer Wassermelonenscheibe geknabbert, einige Mandeln, einige Pistazien gegessen, und jetzt kostete sie zerstreut mit einem Goldlöffelchen einen Rosensorbett, den einer der Stummen ihr vorgesetzt hatte. Den Blick im üppigen Grün des Gartens verloren, hörte sie der Unterhaltung ihrer Gefährten kaum zu. Sie schien weit von diesem schönen, angenehmen Raum mit seiner kunstvoll gearbeiteten Stuckdecke zu sein, war im Geist in dem so nahen und so gut verteidigten Festungspalast, hinter dessen rosafarbenen Mauern das Herz Arnauds für eine andere schlug. Abu al-Khayr sah, daß sie den Tränen nahe war. Er winkte einen seiner Sklaven heran und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Der Schwarze machte ein Zeichen, daß er verstanden hatte, und ging schweigend hinaus. Einige Augenblicke später kreischte eine gellende Stimme von der Schwelle:

»Rrrrrruhm … dem Herzog! Rrrrrruhm dem Herzog!«

Aus ihrer schmerzlichen Träumerei gerissen, fuhr Cathérine wie von der Tarantel gestochen auf. Sie hob bestürzt die Augen zu dem Schwarzen, der breit grinsend eine silberne Vogelstange vor sie hinstellte, auf der ein riesiger, herrlicher Papagei hockte, dessen lange blaue Federn mit Purpur durchzogen waren.

»Gédéon!« rief sie verblüfft. »Aber das ist doch nicht möglich?!«

»Warum nicht? Hast du ihn mir nicht zum Geschenk gemacht, als ich Dijon verließ? Er war eine Erinnerung an dich und ein wertvoller Freund. Wie du siehst, habe ich ihn gut behandelt.« Mit kindlicher Freude liebkoste Cathérine das Gefieder des Vogels, der sich wie eine Turteltaube gurrend auf seiner Stange drehte und sie mit seinem großen, runden Auge ansah. Von neuem öffnete er seinen großen roten Schnabel und krächzte diesmal:

»Allah il Allah, Mohammed rrrrrassul Allah!«

»Er hat Fortschritte gemacht!« sagte Cathérine lachend. »Er ist schöner als je!« Sie neigte wie einst im Laden ihres Onkels Mathieu das Gesicht dem Vogel entgegen, der ganz sanft mit dem Schnabel auf ihre Lippen einpickte.

»Welche Erinnerungen er in mir wachruft!« murmelte sie, schon wieder von ihrer Melancholie befallen. Gédéon war tatsächlich das erste Geschenk Philippes von Burgund gewesen, als er sich in sie verliebt hatte. Er war ihr treuer Gefährte während eines ganzen Lebensabschnitts gewesen, beinahe seit dem Augenblick, als sie, den Großherzog des Abendlandes umgarnend, Arnaud de Montsalvy sich für immer ihres Herzens hatte bemächtigen lassen. Eine Welt von Gesichtern und Gestalten stieg hinter dem prächtigen Gefieder des Papageis auf. Aber Abu al-Khayr erlaubte nicht, daß sie in ihre Traurigkeit zurückfiel.

»Ich habe ihn dir nicht bringen lassen, um deine Melancholie wiederzuerwecken«, sagte er gütig, »sondern um dir zu verstehen zu geben, daß die Zeit und die Menschen sich nicht so ändern, wie du glaubst. Es kann geschehen, daß die Zeit wiederkehrt.«

»Die des Herzogs von Burgund ist völlig tot!«

»Auf den habe ich jetzt nicht angespielt, sondern auf die wunderbaren Stunden, die die Liebe dir geschenkt hat.«

»Sie hat mir so wenige geschenkt!«

»Immerhin genug, daß die Erinnerung daran dein Leben erfüllt … und die an deinen Gatten nicht so leicht erlischt.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Wer hätte mir besser sagen können, was euer Leben gewesen ist … wenn nicht er selbst?«

Sofort blitzten Catherines Augen, und Röte stieg ihr in die Wangen.

»Habt … habt Ihr ihn gesehen?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Abu lächelnd. »Vergißt du denn, daß wir einst sehr befreundet waren? Er hat sich an mich erinnert, auch daran, daß ich in dieser Stadt wohnte. Kaum in der Alhambra angekommen, hat er nach mir geschickt.«

»Und Ihr habt zu ihm gelangen können?«

»Ich bin der Arzt … und untertänige Freund unseres Kalifen, der mich gut behandelt. Indes muß ich dir gestehen, daß die Prinzessin Zobeida, deren Gefangener dein Gatte ist, mich nicht mehr liebt, seitdem ich die Sultanin Amina, die sie haßt, vom Tode errettet habe. Ich würde sogar sagen, daß sie mich verabscheut und daß es nur ihrem ungeheuren Wunsch, dem ›Seigneur Franken‹ zu Gefallen zu sein, zuzuschreiben ist, daß sie mich ihn besuchen ließ. Soviel ist jedenfalls sicher: Ich habe mich eine gute Stunde lang mit Messire Arnaud unterhalten können.«

»Ihr sagtet, er sei der Gefangene dieser Frau«, warf Cathérine ein, deren Gesicht ihre Eifersucht nicht mehr verbarg. »Warum diese Notlüge? Warum habt Ihr nicht den richtigen Ausdruck benutzt, Ihr, der Ihr doch den Wert des Wortes so gut kennt? Warum habt Ihr nicht ›ihr Geliebter‹ gesagt?«

»Weil … weil ich nichts weiß!« antwortete Abu ganz einfach. »Das ist das Geheimnis der Nächte der Alhambra … wo viele Diener stumm sind.«

Cathérine zögerte einen Augenblick, dann fragte sie entschlossen:

»Ist er wirklich … von Lepra geheilt?«

»Er hat sie nie gehabt! Es gibt Krankheiten, die diesem verfluchten Leiden ähneln, die eure abendländischen Ärzte aber nicht kennen. Der Arzt der Prinzessin, Hadji Rahim, ist ein frommer Mann, der die große Pilgerfahrt unternommen hat, was ihn meiner Meinung nach jedoch nicht hindert, ein aufgeblasener Esel zu sein. Trotzdem hat er auf den ersten Blick gesehen, daß dein Gatte keine Lepra hatte. Um ganz sicherzugehen, brauchte er nur eine Flamme an Messire Arnauds Arm zu halten. Dein Gatte hat aufgeschrieen, bester Beweis, daß sein Empfindungsvermögen intakt war.«

»Was war denn dann diese seltsame Krankheit? Ich habe mit eigenen Augen die weißlichen Flecken auf seinen Armen gesehen …«

»In der Schule von Salerno nannte der berühmte Trotula diese Krankheit Vitiligo oder Weißfleck. Und ich fürchte sehr, daß es auf euren Krankenstationen zahllose mit diesem im allgemeinen gutartigen Leiden behaftete Unglückliche gibt, das eure unwissenden Ärzte zu oft mit der Lepra verwechseln.«

Es folgte wieder Stille. Unbeweglich wie Statuen, gaben Gauthier und Josse kein Wort von sich. Sie hörten nur zu, hatten beide Ohren gespitzt, warteten darauf, um ihre Meinung befragt zu werden. Diese Stille benutzte Cathérine, um Kräfte zu sammeln. Die Fragen, die sie noch zu stellen hatte, waren die härtesten. Zunächst die erste:

»Warum ist Arnaud dieser Frau gefolgt?« wollte sie mit heiserer Stimme wissen. »Hat er etwas darüber gesagt?«

»Warum folgt der Gefangene dem Sieger?«

»Aber wessen Gefangener ist er? Der Gewalt … oder der Liebe?«

»Der Gewalt, dessen bin ich sicher, denn er hat mir erzählt, daß die Nubier Zobeidas ihn bei Toledo gefangennahmen. Und was die Liebe betrifft, so kann es sein, daß ihre Bande noch zu den Fesseln der Gefangenschaft hinzukamen … aber das hat er mir nicht gesagt. Ich habe da einige Zweifel.«

»Warum?«

»Das hättest du mich nicht fragen sollen. Die Antwort wird dir keine Freude bereiten: weil Arnaud de Montsalvy nicht mehr an die wahre Liebe glaubt. Er sagte, da du die Leidenschaft, die euch beide vereinte, wegen eines anderen vergessen konntest, wird ihm keine andere Frau reine, ehrliche Liebe mehr geben können.«

Cathérine nahm den Schlag tapfer hin. Sie konnte ehrlich mit sich selbst sein, und ihre Tändelei mit Pierre de Brézé war ihrem Gedächtnis noch nicht entschwunden. Oft genug hatte sie sich Vorwürfe gemacht … besonders wegen dieser unglückseligen Nacht im Obstgarten von Chinon, in der Bernard d'Armagnac sie in den Armen des schönen Ritters in flagranti überrascht hatte.

»Das habe ich verdient!« sagte sie einfach. »Aber die Anziehungskraft der Liebe ist groß, und diese Frau … liebt ihn?«

»Leidenschaftlich! Mit einer Raserei, die ihre Umgebung verblüfft und entsetzt. Die Macht des ›Seigneurs Franken‹ über Zobeida ist absolut. Er hat alle Rechte … außer dem, eine andere Frau anzusehen. In diesem Falle wehe der, die ein Lächeln oder ein freundliches Wort von ihm empfängt. Sie wird sofort dem Henker ausgeliefert. An die zehn von ihnen sind schon so gestorben. Auch die Dienerinnen Zobeidas wagen es nicht mehr, die Augen zu dem Mann zu erheben, den sie so heiß liebt. Sie bedienen ihn kniend, aber ebenso dicht verschleiert wie auf der Straße. Denn im Gegensatz zu unserem Brauch, wonach die Männer von den Frauen getrennt leben, steht der Pavillon, in dem Messire Arnaud wohnt, im Garten Zobeidas …«

»Und der Kalif läßt das zu?«

Abu al-Khayr zuckte mit den Schultern.

»Warum nicht? Da dein Gatte nicht zum Islam übertreten wird, ist er für ihn ein christlicher Gefangener wie jeder andere. Er sieht ihn als ein Spielzeug seiner leidenschaftlichen Schwester an, nichts weiter. Übrigens kennt Sultan Mohammed die Zornesausbrüche Zobeidas zu gut, um ihr zu widersprechen. Die Naßriden sind eine merkwürdige Familie … in der man leicht stirbt, wie du später erfahren wirst. Sich auf dem Thron zu halten ist ein erschöpfender Kampf, und wenn du hörst, daß Mohammed VIII. den seinen zweimal zurückerobern mußte, wirst du mehr verstehen. Dieser rote Palast verbirgt eine Schlangengrube. Sie aufzustöbern ist gefährlich …«

»Genau das will ich tun. Ich möchte hinein.«

Verblüffung benahm Abu einen Augenblick den Atem, während Josse und Gauthier zum erstenmal nach langen Minuten Einspruch erhoben.

»Du willst in die Alhambra?« stieß Abu endlich hervor. »Hast du den Verstand verloren? Das geht nicht. Obgleich Zobeida mich nicht ausstehen kann, werde ich mich unter irgendeinem Vorwand zu ihr begeben, um deinen Gatten wissen zu lassen, daß du bei mir bist. Im übrigen habe ich ihm bereits vorausgesagt, daß du kommen würdest.«

»Was hat er darauf erwidert?«

»Er hat gelächelt und den Kopf geschüttelt. ›Warum sollte sie kommen?‹ hat er gesagt. ›Sie hat alles, was sie immer gesucht hat: Liebe, Ehren, Reichtum … Und der Mann, den sie sich erwählt hat, gehört zu denen, die eine Frau zu halten verstehen. Nein, sie wird nicht kommen.‹«

»Wie schlecht er mich kannte!« seufzte Cathérine bitter. »Ihr hattet recht.«

»Und ich fühle mich nicht glücklich dabei! Ich werde mich jetzt zu ihm begegnen und …«

Er kam nicht weiter. Catherines Hand hatte sich auf seinen Arm gelegt, um ihn zurückzuhalten.

»Nein. Das kann mir nichts nützen, und zwar aus zwei Gründen: Der erste ist, wenn Arnaud erfährt, daß ich hier bin, wird er Euch entweder sagen, daß ich nicht mehr für ihn existiere … und daran würde ich sterben, oder er wird trachten, zu mir zu kommen, und dadurch sein Leben in Gefahr bringen.«

»Das ist tatsächlich ein gewichtiger Grund. Und der zweite?«

»Der zweite ist, daß ich mit eigenen Augen sehen will, wie seine Beziehungen zu dieser Frau sind. Ich will wissen, ob er sie liebt, versteht Ihr? Wenn sie mich wirklich aus seinem Herzen vertrieben hat, will ich ihre Küsse zählen, ihre Liebkosungen belauern. Ich habe keine Illusionen, müßt Ihr wissen. Ich sehe mich, wie ich bin. Das heißt, ich bin kein junges Mädchen mehr. Und diese Zobeida – ihre Schönheit hat mich vor kurzem in Verzweiflung gestürzt … Warum sollte es ihr also nicht gelungen sein, sein Herz zu erobern?«

»Und wenn es so wäre?« warf Gauthier ein. »Wenn diese Frau Messire Arnaud erobert hätte, wenn er ihr Sklave geworden wäre? Was tätet Ihr dann?«

Langsam wich das Blut aus Catherines Wangen. Sie schloß die Augen, versuchte, das Bild Arnauds in den Armen der Prinzessin zu verdrängen, ein gefährlich scharfes Bild jetzt, nachdem sie Zobeida gesehen hatte.

»Ich weiß es nicht!« sagte sie nur. »Ich weiß es wirklich nicht … aber ich muß es wissen! Und erst dort werde ich es wissen …«

»Laßt mich hingehen, Dame Cathérine. Es wird mir gelingen zu erfahren, ob Euer Gatte sich von Euch abgewandt hat. Und zumindest werdet Ihr dann nicht in Gefahr sein …«

Jetzt ergriff Abu al-Khayr das Wort:

»Wie willst du zu ihm durchdringen, Mann des Nordens? Die Gemächer Zobeidas bilden einen Teil des Harems, und obwohl sie ein wenig abseits gelegen sind, stehen die Wächter des Kalifen vor den Türen. Kein Mann betritt den Harem, es sei denn, er ist Eunuch.«

»Ist Messire Arnaud einer?«

»Sein Fall liegt anders! Er ist ein Gefangener, und Zobeida behütet ihren Schatz wohl. Du würdest deinen Kopf in einem Abenteuer ohne den geringsten Nutzen verlieren …«

Gauthier wollte Einwände erheben, aber der Arzt hieß ihn schweigen.

Er wandte sich an Cathérine:

»In welcher Eigenschaft hoffst du, bei Zobeida einzudringen?«

»Ich weiß es nicht. Als Dienerin vielleicht … Ist das möglich? Ich spreche dank Josses Unterweisung Eure Sprache, und ich bin eine gute Schauspielerin.«

Zur Unterstützung ihrer Worte erzählte Cathérine ihrem Freund von ihrem Aufenthalt bei den Zigeunern und wie sie, ohne einen Fehler zu begehen, ihre schwierige und gefährliche Rolle tagelang gespielt hatte.

»Es kam mir nur darauf an, uns zu rächen, Arnaud und mich«, sagte sie abschließend. »Was könnte ich nicht alles tun, wenn es sich darum handelte, ihn zurückzuholen und meinen einzigen Lebensinhalt wiederzufinden? Ich flehe Euch an, Abu, helft mir … helft mir, in die Alhambra zu gelangen. Ich muß ihn sehen, ich muß Gewißheit haben …«

Sie streckte ihm flehentlich die Hände entgegen, und Abu al-Khayr wandte den Kopf ab, sich schämend, daß auch er durch die Tränen einer Frau schwach wurde.

Lange verharrte er in Schweigen.

»Es ist reiner Wahnsinn!« seufzte er schließlich. »Aber ich weiß schon lange, daß du deinen Kopf durchsetzt! Ich verspreche dir, ernstlich darüber nachzudenken. Aber es braucht Zeit … Ein Abenteuer dieser Art muß in Ruhe und mit Überlegung vorbereitet werden. Überlasse mir diese Sorge. Genieße, während du wartest, ein wenig mein Haus, meinen Garten. Du wirst sehen, daß sie viel Schönes bieten. Ruhe dich aus. Pflege dich, schlafe und warte in Ruhe ab …«

»Abwarten?« begehrte Cathérine auf. »Abwarten? Was redet Ihr da? Glaubt Ihr, mir stünde der Sinn nach Ruhe, nach Wohlleben, während … die Eifersucht mich verzehrt«, fügte sie offen hinzu, »und das Verlangen, ihn wiederzusehen, an mir nagt?«

Abu al-Khayr erhob sich, schob die Hände in seine weiten Ärmel und sah Cathérine streng an.

»Gut, laß dich von der Eifersucht verzehren, laß das Verlangen nach deinem Gatten noch einige Tage an dir nagen! Soeben warst du noch über die Schönheit Zobeidas bestürzt – hast du die Absicht, dem Mann, den du liebst, mit glanzlosem Haar, sommersprossiger Haut, mit von den Zügeln schwieligen Händen und dem mageren Körper einer verhungerten Katze gegenüberzutreten?«

Verwirrt senkte Cathérine den Kopf unter dieser Standpauke und wurde so rot wie die auf dem Tablett zurückgebliebenen Granatäpfel.

»Bin ich so häßlich geworden?« stammelte sie.

»Du weißt genau, daß du's nicht bist«, erwiderte Abu trocken. »Aber bei uns lebt die Frau nur, um dem Mann zu gefallen. Ihr Körper ist lediglich das Gefäß für die kostbaren Parfüms, die er gern einatmet, die Harfe, die er gern zum Klingen bringt, der Rosen- und Orangengarten, in dem er sein Verlangen schweifen läßt. Diese Waffen, die Zobeida besitzt, mußt du dir aneignen, oder vielmehr sie wiederfinden. Nur so wirst du deine Rivalin mit gleichen Waffen bekämpfen können. Erinnere dich an die Dame mit dem schwarzen Diamanten, die über einen Fürsten herrschte! Morgen werde ich dich persönlich in die benachbarte Badeanstalt führen und dich der Obhut Fatimas übergeben, die die Frauenabteilung unter sich hat. Es ist die gräßlichste Alte, die ich kenne, und die Königin der Kupplerinnen, aber sie versteht sich besser als irgend jemand darauf, aus einem vom Pflug ausgemergelten Maultier ein strotzendes Stutenfüllen mit herrlichem Fell zu zaubern. Und sie ist mir sehr verpflichtet: Sie wird Wunder an dir wirken! Und jetzt verlasse ich dich, ich muß noch einige Krankenbesuche machen. Wir sehen uns heute abend wieder.«

Er ging mit der ihm eigenen Würde hinaus und ließ Cathérine mit der bangen Frage zurück, ob das ›vom Pflug ausgemergelte Maultier‹ etwa auf sie bezogen war? Die Frage stand ihr so deutlich im Gesicht, daß Gauthier und Josse sich in schöner Einmütigkeit vor Lachen bogen. Josse kamen schließlich sogar die Tränen.

»So etwas Lustiges wie dieser kleine, brave Mann ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen!« sagte er, sich verhaspelnd und auf die Schenkel schlagend. »Oh, oh, oh, oh! … Nein! Das ist zu komisch!«

Einen Augenblick betrachtete Cathérine die beiden Männer, die sich unter der Gewalt ihres Gelächters auf den Kissen wälzten, und fragte sich, ob sie nicht doch böse werden sollte. Aber das Gelächter war ansteckend, und Cathérine konnte ihm nicht lange widerstehen. Es blieb ihr letzten Endes nichts anderes übrig, als es ihnen nachzutun.

Als Gédéon sah, daß alle so herzhaft lachten, glaubte er, die Höflichkeit erfordere es, daß auch er in das Konzert einstimme: »Ha, ha, ha, ha!« krächzte er. »Ca…thérine! Unaussssstehliche Cathérrrrine! Rrrruhm … dem Herrrzog!« Ein Kissen, das Gauthier ihm mit sicherer Hand an den Kopf warf, schnitt ihm das Wort ab.

10

Auf einer mit einem roten Badelaken bedeckten Marmorbank ausgestreckt und sich zwingend, an nichts zu denken, wie man es ihr geraten hatte, überließ Cathérine sich der Pflege Fatimas und ihrer Gehilfinnen. Sie schloß sogar die Lider, um nicht in die großen weißen Augen Fatimas blicken zu müssen, die noch häßlicher war, als Abu al-Khayr ihr angekündigt hatte.

Sie war eine riesige Äthiopierin, schwarz wie die Nacht und offenbar mit Bärenkräften versehen. Ihr schwarzes, dichtes, krauses Haar war kurz wie das eines Mannes, jedoch schon von einigem Grau durchzogen, und ihre großen Augen rollten in den Höhlen, versanken in einer weißgelblichen Hornhaut, die von feinen roten Äderchen durchzogen war. Wie ihre beiden Gehilfinnen war sie bis zur Taille nackt, und ihre schwarze Haut glänzte vor Schweiß, ihre riesigen, melonengleichen Brüste hüpften schwerfällig im Rhythmus ihrer Bewegungen. Von Zeit zu Zeit zog sie ihre dicken roten Lippen zurück, entblößte ihre blitzendweißen Zähne und machte sich dann wieder daran, den Körper der jungen Frau mit ihren Händen, die die Größe von Wäscheklopfern hatte, durchzukneten. Als Cathérine, fest in einen weiten grünen Umhang gehüllt, auf einem Esel in feierlicher Begleitung Abu al-Khayrs und der beiden stummen Schwarzen drei Schritte dahinter in der Badeanstalt angekommen war, hatte Fatima untertänigst gegrüßt, um sich dann mit dem Arzt in eine Unterhaltung von solchem Tempo zu stürzen, daß Cathérine bestimmt kein Wort verstanden hätte, wenn Abu sie nicht vorher unterrichtet hätte, was er sagen würde, um die Anwesenheit einer blonden Fremden in seinem Haus zu erklären.

Die Idee war einfach und außerdem noch einigermaßen erstaunlich, wenn man das Mißtrauen kannte, das der kleine Arzt Frauen gegenüber hegte: Er habe diese schöne blonde Sklavin von einem Barbarenschiff gekauft, das in Almeria zwischengelandet sei, und schätze, er werde an ihr in seinen alten Tagen seine Freude haben, wenn Fatima einmal ihre unübertreffliche Kunst an ihr praktiziert und sie würdig gemacht habe, das Lager eines anspruchsvollen Gläubigen zu teilen. Aber er hatte von der dicken Äthiopierin verlangt, daß sie sie anderen Kundinnen stets fernhalte, weil er fürchte, wie er sagte, daß über die Nachricht von seiner großartigen Erwerbung geklatscht würde. Die prüde Miene, die niedergeschlagenen Augen und das Getue ihres Freundes hatten Cathérine fast zum Lachen gebracht, aber Fatima sah nur Feuer. Oder vielmehr schloß sie aus den schönen Golddinaren, die aus der Hand ihres Klienten rollten, daß der weise Abu al-Khayr sehr verliebt sein mußte und man sich nicht auf den äußeren Schein verlassen durfte. Der da, mit all seiner Würde und Geringschätzung, war alles in allem auch wie die anderen! Ein schönes Mädchen kam bei ihm immer ans Ziel …

Sie machte sich alsbald ans Werk. Im Handumdrehen von zwei Maurinnen entkleidet, die ebenso mager waren wie ihre Herrin fett, fand sie sich auf einem Holzschemel in einem ganz mit Mosaiken verkleideten, von Dampf erfüllten Raum wieder. Dort ließ man sie eine gute halbe Stunde schwitzen, worauf die beiden Bademeisterinnen sie halb erstickt auf die Massagebank transportierten, wo Fatima, die Fäuste in den Hüften, sie wie der Henker sein Opfer erwartete.

Cathérine wurde wie Brotteig auf dem Tisch ausgebreitet, dann zog Fatima, ohne einen Augenblick zu verlieren, einen Handschuh aus rauher Wolle über die rechte Hand, packte mit der anderen einen großen Topf mit einer ockerfarbenen, teigartigen Lehmmasse und begann, ihre Klientin in irrsinnigem Tempo einzuschmieren. Im Nu war die junge Frau in eine Art Schlammstatue mit ein paar Löchern für die Augen und die Atmung verwandelt. Die kräftigen Hände Fatimas massierten sie mit diesem Lehm, dann wusch man sie unter einer Dusche ab, hüllte sie in ein großes, feines Wolltuch und brachte sie auf einen anderen Tisch mit einer bogenförmigen Stütze für den Hals, so daß das Haar frei herunterhängen konnte.

Catherines Haar wurde mehrmals eingeseift, gespült, nochmals gespült, mit parfümiertem Öl getränkt, dann wieder gewaschen und schließlich mit einer Essenz aus Jasmin eingerieben. Während der ganzen Zeit, die diese Arbeitsgänge dauerten, hatte sie die Stimme der dicken Fatima nicht ein einziges Mal gehört. Sie machte erst den Mund auf, als ihre Klientin, ein trockenes Handtuch um den Kopf und in einen feinen, weißwollenen Bademantel gehüllt, auf einer Art Ruhebett inmitten unzähliger Kissen ruhte.

Zuerst klatschte Fatima in die Hände, worauf ein Eunuch mit einem großen Kupfertablett erschien, auf dem eine Menge kleiner Schüsseln stand.

Dieses Tablett stellte er auf einen niedrigen Tisch neben dem Ruhebett. Fatima, die es nicht für nötig befunden hatte, ihre Blöße zu bedecken, als der Eunuch eingetreten war, zeigte auf das Tablett.

»Du wirst alles essen, was da draufsteht«, sagte sie zu Cathérine.

»Alles?« rief die junge Frau bestürzt. In der Tat konnte sie auf dem Tablett mehrere Arten Fleischkugeln dampfen sehen, zwei Suppen, von denen die eine ebenfalls Fleischklöße zu enthalten schien, in Essig eingelegte Gurken, geröstete Auberginen, eine Art Ragout in einer würzigen Sauce und schließlich mehrere Kuchensorten, die von Honig glänzten und mit Mandeln bespickt waren. Selbst Gauthier hätte davon satt werden können! »Das könnte ich nie alles essen!« sagte sie mit einer Schüchternheit, die durch die imposante Erscheinung Fatimas zu erklären war, aber die Bademeisterin ließ sich nicht im geringsten rühren.

»Du wirst dir die nötige Zeit dazu nehmen, aber du mußt alles essen! Versteh mich wohl, Licht des Morgens: Dein Herr Abu al-Khayr hat dich mir anvertraut, auf daß ich das schönste Geschöpf des ganzen Islams aus dir mache. Und ich habe meinen Ruf zu erhalten. Du kommst mir hier nicht heraus, bis dein Körper so lieblich wie Rosensorbett geworden ist!«

»Ich komme hier nicht heraus?« wiederholte Cathérine. »Was willst du damit sagen?«

»Daß du dieses Haus nur verlassen wirst, um ins Bett deines Herrn zu gehen und ihm Freude zu bereiten«, versicherte die Negerin gelassen. »Bis zu diesem Tag ist dies deine Wohnung. Hier wirst du bedient, gepflegt und beaufsichtigt werden wie …«

»Wie eine Mastgans!« brauste Cathérine auf. »Aber ich will nicht! Ich werde hier vor Langeweile umkommen!«

»Dazu wirst du gar keine Zeit haben! Du bist zwar schön, aber gräßlich mager, deine Haut ist trocken. Es gibt viel zu tun. Und dann wirst du dich im Garten ergehen und die frische Abendluft auf der Terrasse genießen können. Schließlich wirst du, gebührend verschleiert und unter gutem Geleit, von Zeit zu Zeit einen Spaziergang in die Stadt machen. Glaube mir, du wirst keine Zeit haben, dich zu langweilen! Im übrigen wird die Dauer deines Aufenthalts hier von deinem guten Willen abhängen. Je eher du bereit bist, desto schneller kommst du hier heraus … obwohl ich die Eile nicht begreife, mit der du nach den Liebkosungen des kleinen Arztes verlangst, der zwar viel Hirn hat, aber wenig Muskeln und ein armseliger Liebhaber sein muß. Iß!«

Und mit diesem nachdrücklichen Befehl ging Fatima hinaus und ließ Cathérine unschlüssig zwischen Wut und Lachlust zurück. Wie hatte Abu es wagen können, sie bei dieser Frau einzusperren! Er hatte sich wohl gehütet, ihr zu sagen, daß sie erst dann zu ihm zurückkehren werde, wenn sie ihren ganzen Charme wiedererlangt habe, denn er wußte sehr wohl, wie sie darauf reagiert hätte. Übrigens ließ sich nicht schwer erraten, daß er sie, als er sie diesem schwarzen Dickwanst anvertraut hatte, vor ihren eigenen Impulsen sichern und sich selbst Zeit zum Überlegen geben wollte. Im Grunde war es hinterlistig! Das beste war, zu gehorchen.

Folgsam schlang sie den Inhalt ihres Tabletts hinunter, trank mit Mißtrauen zuerst, dann mit zunehmendem Genuß Pfefferminztee, heiß, stark und gut gezuckert … und schlief darauf ganz natürlich ein. Als sie erwachte, stand Fatima neben ihrem Diwan, breit grinsend und ihre kräftigen weißen Zähne entblößend.

»Du hast zwei Stunden geschlafen!« verkündete sie ihr triumphierend. »Und du hast alles aufgegessen: gut so! Wir werden uns verstehen. Jetzt können wir fortfahren.«

Zwei Dienerinnen hoben sie vorsichtig, als wäre sie eine Kristallvase, von ihrem Diwan und brachten sie in den Raum der Enthaarung, wo sie eine Spezialistin mit Hilfe einer dicken Paste aus Kalk und Rauschgelb von jedem überflüssigen Flaum befreite, während eine Friseuse ihr Haar mit zartem Henna bestrich, das, einmal entfernt, ihrem Haar einen wundervollen rotgoldenen Glanz verlieh. Danach übergab man sie wieder den Händen Fatimas. Die Bademeisterin rieb den ganzen Körper ihrer Klientin mit einem ätherischen Öl ein und begann dann, sie zu massieren.

Diesmal überließ sich Cathérine der Prozedur mit echtem Vergnügen.

Die schwarzen Hände Fatimas konnten eine unerbittliche Festigkeit, doch ebenso auch erstaunliche Sanftheit beweisen. Zweifellos um sie zu ermutigen, erklärte die Äthiopierin, während sie den Bauch der jungen Frau energisch bearbeitete:

»Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du selbst mit der Prinzessin Zobeida, der Perle des Harems, wetteifern können.«

Der Name ließ Cathérine zusammenzucken. Sie wurde sofort aufmerksam und fragte, ohne sich den Anschein eines besonderen Interesses zu geben:

»ich habe von ihr gehört. Kennst du sie? Man sagt, sie sei sehr schön …«

»Gewiß, ich kenne sie. Sie hat sich sogar einmal nach einer Krankheit meiner Behandlung anvertraut. Sie ist das schönste Pantherweibchen des ganzen Orients. Sie ist grausam, wild, feurig, aber schön! O ja, bewunderungswürdig schön! Und sie weiß es ganz genau. Zobeida ist stolz auf ihren Körper, dessen Vollkommenheit sie kennt, auf ihre Brüste, nach denen man makellose Schalen formen könnte … und sie verbirgt sie nicht im geringsten. In ihren Gemächern und in ihrem Privatgarten trägt sie nichts als ganz durchsichtige Musselinstoffe und wunderbare Juwelen, um die Augen ihres Geliebten zu ergötzen.« Plötzlich schluckte Cathérine.

»Ihres Geliebten?«

Fatima drehte Cathérine wie einen Eierkuchen herum, um ihr den Rücken zu massieren. Dann lachte sie höhnisch.

»Ich müßte eigentlich ›ihrer Geliebten‹ sagen, denn in den Basaren flüstert man, daß nächtens mehr als ein schöner Krieger durch eine geheime Pforte in die Gemächer der Prinzessin eingelassen wird, um ihren Liebeshunger zu stillen. Manchmal sogar, heißt es, habe Zobeida sich an besonders muskulösen Sklaven gütlich getan … deren Leichen man dann in den Abzugsgräben der Alhambra finde …«

Cathérine schwankte zwischen Unruhe und Erleichterung. Einerseits, wenn Zobeida eine Art Messalina war, konnte man ihr die Beute vielleicht leichter entreißen … Andererseits jedoch, wer konnte wissen, ob nicht Arnaud ein ähnliches Schicksal erwartete? Warum mußte Fatima hinzufügen:

»Aber seit einigen Monaten regen sich die spitzen Zungen der Klatschweiber an den Brunnen und in den Karawansereien nicht mehr so auf. Zobeida hat nur noch einen Geliebten, einen gefangenen Franken, nach dem sie verrückt ist, und niemand tritt mehr durch die geheime Pforte, die zu ihren Gärten führt.«

»Hast du diesen Mann gesehen?« fragte Cathérine.

»Einmal. Er ist schön, kraftvoll, hochmütig und schweigsam. In gewisser Hinsicht ähnelt er Zobeida; er ist wie sie ein Raubtier, ein wildes Tier … Ah! Ihrer Liebe mangelt es sicherlich nicht an Heftigkeit und Leidenschaft, und ihre Liebkosungen …«

Das war mehr, als Cathérine ertragen konnte.

»Schweig!« rief sie. »Ich befehle dir zu schweigen!«

Über die plötzliche Heftigkeit dieser folgsamen Klientin verblüfft, hielt Fatima inne und betrachtete sie einen Augenblick, während sie mechanisch die öligen Hände an dem Schurz abwischte, den sie um die Hüften trug. Die junge Frau hatte den Kopf in die Arme gebettet, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen. Plötzlich verklärte ein langsames Lächeln das Mondgesicht der Negerin. Es schien ihr, daß sie den Grund der jähen Verzweiflung ihrer Klientin verstand …

Sie beugte sich zu dem ausgestreckten Körper hinunter, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß niemand sie hören konnte. »Ich kann mir denken, was dich betrübt, Licht des Morgens. Es ist dir peinlich, den schönen Geliebten Zobeidas erwähnt zu hören, nachdem es dir nur bestimmt ist, die Zärtlichkeiten eines entkräfteten und schon gealterten Mannes zu empfangen. Und meiner Meinung nach hast du recht, denn deine Schönheit verdient Besseres als das Bett eines Arztes … Aber tröste dich, meine Schöne, es kann sein, daß sich etwas Besseres findet …« Cathérine hob ihr gerötetes, verweintes Gesicht.

»Was willst du damit sagen?«

»Nichts. Ich halte die Ohren offen. Es ist noch zu früh, darüber zu sprechen! Schau, was du mit deinem Gesicht angestellt hast, kleine Dumme! Laß mich machen …«

Bei Anbruch der Nacht verwandelten sich die Terrassen der Häuser von Granada in seltsame Gärten. Alle Frauen in ihren weichen, dunklen Schleiern, von Goldflitter funkelnd oder mit Gemmen geschmückt, es sei denn, daß sie nichts anderes als ihre jugendliche Frische vorzuzeigen hatten, kamen auf ihren jeweiligen Dächern zusammen, um die sanfte Abendluft zu genießen, Süßigkeiten zu knabbern oder Klatsch von einer Terrasse zur anderen auszutauschen. Selbst die bescheidenste Dienerin, die keine Ausgeherlaubnis hatte, ging aufs Dach, um frische Luft zu schnappen. Die Männer zogen es vor, auf die Plätze zu gehen, um sich zu unterhalten, den Märchenerzählern zu lauschen oder die Kunststücke der Komödianten zu bewundern, sofern die muselmanische Sekte, der sie angehörten, ihnen nicht gestattete, eins der Freiluftkabaretts zu besuchen, die oft in den Gärten eingerichtet waren, wo sie sich vergnügen, Wein trinken und die Darbietungen der Tänzerinnen betrachten konnten.

Cathérine hatte an diesem Abend, während Fatima es ihr in einem Berg von Seidenkissen bequem machte, unter dem nächtlichen Himmel das eigenartige Gefühl, sich gehäutet zu haben. Einmal, weil sie ein außergewöhnliches Wohlgefühl empfand und sich zugleich unbeschwert und entspannt fühlte, und dann, weil das neue Gesicht, das Fatima ihr gegeben hatte, ihr fremd und anziehend zugleich vorkam. Sie hatte mindestens eine Stunde in einem großen, mit lauwarmem Wasser gefüllten Bassin gelegen, während eine am Rand kauernde Sklavin ihr Früchte reichte, die sie für sie geschält hatte. Darauf hatte man sie, bevor man sie in diese sonderbaren Gewänder gekleidet hatte, geschminkt. Ihre Zähne waren mit einer besonderen Paste eingerieben, ihre Lippen mit einem schönen Rot gefärbt worden, und ihre mit Kohle schattierten Augen schienen so riesig, als ob sie ihr bis zum Haaransatz reichten. Ihre lackierten Nägel glänzten wie rötliche Gemmen, und sie fühlte sich wunderbar bequem in ihren neuen Kleidern: weite rosafarbene Musselinhosen, die mit einem breiten Gürtel aus Silberschmiedearbeit an der Hüfte abschlossen und Taille und Bauch nackt ließen, worüber sie ein rosaseidenes Jäckchen mit kurzen Ärmeln trug. Auf dem Kopf hielt ein rundes Käppchen den riesigen rosa Schleier zusammen, in den sie sich hatte hüllen lassen müssen, um auf dem Dach zu erscheinen.

Eine ganze Weile verharrten Fatima und ihre einzige Klientin in Schweigen (Cathérine hatte erfahren, daß, solange sie in Behandlung war, die Badeanstalt für alle anderen geschlossen blieb, eine verrückte Freigebigkeit Abus, der die dicke Bademeisterin damit tief beeindruckt hatte). Die Nacht war außergewöhnlich mild, von Jasmin- und Orangenduft durchdrungen. Von der Terrasse aus war der Anblick der Stadt, deren Gassen und noch offene Basare durch eine Vielzahl von Öllampen erleuchtet waren, zauberhaft und für eine Frau unerwartet, die an die dunklen Städte des Abendlandes und an ihre durch den Zapfenstreich in Räuberhöhlen verwandelten Straßen gewöhnt war. Das Bild fesselte Cathérine ungemein. Eine seltsam durchdringende zarte Musik, die aus einem der Kabarette kommen mußte, drang zu der jungen Frau empor und kämpfte gegen das sanfte Tosen des benachbarten Sturzbaches an.

Doch bald schweifte Catherines Blick von der Stadt ab und richtete sich auf den riesigen Komplex des Palastes, der Fatimas Haus überragte. Dieses stand am Ufer des Darro, am Ausgang der Talschlucht, die er zwischen dem Vorgebirge der Alhambra und den Hügeln des Albaicin und der Alkazaba Kadima aushöhlte. Hundertfünfzig Meter über ihm hoben sich die tiefen Zinnen des Palastes vom samtenen Nachthimmel ab. Kein Licht, kein Lebenszeichen, außer den klirrenden Schritten der unsichtbaren Wachtposten, war zu bemerken.

Cathérine glaubte eine Drohung aus diesen stummen Mauern herauszulesen. Sie schienen ihrem Vorhaben, ihnen ihren Gefangenen zu entreißen, Trotz zu bieten.

Die Augen der jungen Frau verharrten so lange auf dem unheimlichen, schroffen Abhang, daß Fatima nach einem Augenblick bemerkte:

»Man könnte meinen, der Palast ziehe dich an, Licht des Morgens. Wovon träumst du, wenn du ihn betrachtest?«

Dreist antwortete Cathérine:

»Von dem Geliebten der Prinzessin! Von dem schönen fränkischen Gefangenen … Ich stamme aus demselben Land wie er, mußt du wissen. Es ist daher natürlich, daß ich mich für ihn interessiere.«

Fatima schlug sich mit ihrer großen Pranke heftig auf den Mund, und im Halbdunkel konnte Cathérine die weißen Augen der Äthiopierin vor Entsetzen rollen sehen.

»Bist du lebensmüde?« zischte sie. »Wenn ja, dann schicke ich dich lieber gleich deinem Herrn zurück, denn die Nachbarterrassen liegen sehr nahe, und ich sehe da drüben den safranfarbenen Schleier Aichas, der Frau des reichen Gewürzhändlers, das größte Klatschmaul der Stadt. Ich bin zwar schon alt und häßlich, trotzdem möchte ich noch ein Weilchen den Duft der Rosen atmen und schwarzen Nougat essen.«

»Warum ist es gefährlich, so zu reden?«

»Weil der Mann, auf den du angespielt hast, der einzige ist, an den keine Frau in ganz Granada auch nur denken darf, nicht einmal im Traum, wenn sie laut träumt. Die Henker Zobeidas sind mongolische Gefangene, die der ottomanische Sultan Murad ihr aus Ehrerbietung geschickt hat. Sie verstehen sich darauf, den Todeskampf tagelang auszudehnen, ohne den Tod herbeizuführen, und es ist besser, sich den Zorn des Kalifen persönlich zuzuziehen als die Eifersucht Zobeidas. Selbst die Lieblingssultanin, die blendende Amina, würde das nicht riskieren. Zobeida haßt sie schon genug. Das ist übrigens der Grund, weshalb sie selten in der Alhambra residiert.«

»Wo wohnt sie dann?«

Der dicke Finger Fatimas wies auf die eleganten Pavillons und grünen Dächer eines größeren Gebäudekomplexes im Süden der Stadt außerhalb der Mauern, der sich aus einem riesigen Garten zu erheben schien, dessen Grün sich in einem glitzernden Bach spiegelte.

»Das ist der Alkazar Genil, das Privatpalais der Sultaninnen. Es ist leicht zu bewachen, und Amina fühlt sich dort sicherer. Die Sultaninnen haben es selten bewohnt, aber Amina kennt den Haß ihrer Schwägerin. Gewiß, Mohammed liebt sie, aber er ist ein Dichter und Krieger und hat für Zobeida schon immer eine Schwäche gehabt, der die Sultanin mißtraut.«

»Wenn die Prinzessin ihren Kopf durchsetzte«, bemerkte Cathérine, »habe ich nicht das Gefühl, daß sie in diesem Palast lange sicher wäre.«

»Mehr, als du glaubst. Denn da ist noch …«

Ihr Finger zeigte nicht weit von der Medersa auf eine Art mit Zinnen gespickter und von einer großen Zahl von Feuertöpfen erleuchteter Festung, die das Südtor der Stadt zu bewachen schien und einen überwältigenden Eindruck machte.

»… der Sitz von Mansour ben Zegris. Er ist Aminas Vetter, war schon immer in sie verliebt und ist ohne Zweifel der reichste Mann der Stadt. Die Zegris und die Banu Saradj sind die mächtigsten Familien Granadas und, wohlverstanden, Nebenbuhler. Amina ist eine Zegris, ein Grund mehr für Zobeida, sie zu hassen, denn sie protegiert die Banu Saradj. Du kannst dir den Unfrieden nicht vorstellen, den die Streitereien dieser beiden Familien uns einbringen, und wenn der Kalif Mohammed schon zweimal seinen Thron verloren hat, dann kann man ohne Scheu sagen, daß er es den Zegris verdankte!«

»Hat er sich nicht an ihnen gerächt, als er zum drittenmal an die Macht kam?«

Fatima zuckte mit den Schultern.

»Wie könnte er? Der Sultan, der in Fes über die weiten Ländereien des mächtigen Maghreb herrscht, ist ihr Freund. Wenn er Zegris hinrichtete, würde das seinen fürchterlichen Zorn entfesseln, und die wilden Wüstenreiter stünden bald unter unseren Mauern. Nein, Mohammed hat es vorgezogen, sich mit seinem Feind abzufinden. Die Sanftmut und Güte Aminas, die ihrer Familie zwar sehr verbunden, aber leidenschaftlich in ihren Gatten verliebt ist, haben viel zu dem Vertrag beigetragen, der abgeschlossen worden ist. Das ist der Grund, weshalb Mohammed es erträgt, daß Mansour ben Zegris dort wohnt, vor seiner Tür wie eine große Dogge kauernd, die jederzeit bereit ist zuzubeißen.«

Fatimas Stimme erstarb. Schweigen herrschte einen Augenblick zwischen den beiden Frauen. Cathérine dachte über alles nach, was sie soeben gehört hatte. Diese an sich unbedeutenden Auskünfte könnten sich für jemand, der darauf brannte, sich in ein gefährliches Abenteuer zu stürzen, als höchst interessant erweisen. Sorgfältig merkte sie sich die fremden Namen, die sie soeben gehört hatte: Amina, die Sultanin, der Abu al-Khayr das Leben gerettet hatte; Mansour ben Zegris, der verliebte Vetter Aminas; und die Nebenbuhlerfamilie, die Zobeida protegierte, die Banu Saradj. Sie wiederholte die Namen im Geiste mehrmals hintereinander, um sicherzugehen, daß sie sie nicht vergaß.

Sie öffnete den Mund, um Fatima eine neue Frage zu stellen, aber ein mächtiges Schnarchen schnitt ihr das Wort ab. Ermüdet durch ihre schwere Tagesarbeit, hatte die dicke Äthiopierin sich sacht auf die auf dem Boden ausgebreiteten Kissen zurückgelegt und überließ sich, den großen Mund weit geöffnet, die Hände auf dem stattlichen Bauch gefaltet, dem Schlaf. Cathérine lächelte still, machte es sich auf ihren Kissen bequem und hing weiter ihren Träumen nach.

Acht Tage später war Cathérine verwandelt. Das ruhige, träge und bequeme Leben, das sie bei Fatima geführt hatte, die reichliche Nahrung, die langen, faulen Stunden in den Bassins mit lauwarmem, heißem oder kaltem Wasser und besonders die vielfältigen komplizierten Prozeduren, welche die Äthiopierin mit ihr vorgenommen hatte, hatten Wunder gewirkt. Ihr Körper hatte seine Magerkeit verloren, ihr Fleisch blühte wieder herrlich, ihre Haut war so fein und zart geworden wie ein Blütenblatt, und schließlich hatte sie sich an die fremde Landeskleidung gewöhnt und empfand Vergnügen daran, sie zu tragen.

Während ihres Aufenthalts bei Fatima hatte Abu al-Khayr sie mehrere Male besucht, um sich von dem erzielten Fortschritt zu überzeugen, doch hatten weder Gauthier noch Josse ihn begleiten dürfen. Seine Besuche waren schnell erfolgt und immer steif verlaufen, denn er achtete streng darauf, seine Haltung als Kunstliebhaber zu bewahren, der kommt, um zu sehen, wieweit die Instandsetzung des seltenen Gegenstandes gediehen sei, den er aufgestöbert hatte.

Er hatte ihr dabei zuflüstern können, er habe das richtige Mittel noch nicht entdeckt, sie im Palast einzuführen, habe aber verschiedene Pläne in Aussicht, doch dies hatte Catherines Ungeduld natürlich nicht besänftigt. Sie fühlte sich jedenfalls völlig bereit. Die großen polierten Silberspiegel des Massageraums vermittelten ihr jetzt ein vorzügliches Bild, dessen neue Macht sie schleunigst ausprobieren wollte. Doch Fatima war offenbar noch nicht zufrieden.

»Geduld!« sagte sie, ihr Gesicht mit peinlichster Sorgfalt schminkend. »Du hast noch nicht die von mir gewünschte Vollkommenheit erreicht.«

Sie verbarg ihre schöne Klientin in der Tiefe des Hauses, und nur ihre Dienerinnen oder ihre Eunuchen durften sich ihr nähern, wenn sie Besuch empfing. Als Cathérine jedoch eines Morgens triefend aus dem Becken stieg, hatte sie Fatima in angeregter Unterhaltung mit einer alten, in prächtigen grünen Brokat gekleideten Frau gesehen, deren schlaue Augen ihren Körper unverhohlen gemustert hatten. Die beiden Frauen schienen heftig zu diskutieren, und Cathérine hätte schwören können, daß sie selbst der Gegenstand dieser Diskussion sei; aber nach einem zustimmenden Kopfnicken war die Alte pantoffelklappernd hinausgegangen, und als Cathérine Fatima nach ihrem Begehr gefragt hatte, hatte die Äthiopierin nur mit den Schultern gezuckt.

»Eine alte Freundin von mir! Aber wenn sie wiederkommt, mußt du dich von deiner besten und liebenswürdigsten Seite zeigen … denn sie kann viel für dich tun, wenn du einen … schneidigeren Herrn als den kleinen Arzt wünschst!«

Mehr hatte Fatima nicht sagen wollen, und das ›Licht des Morgens‹ hatte sich mit ihren geheimnisvollen Werten begnügen müssen, deren Sinn sie, um die Wahrheit zu sagen, zur Hälfte schon erriet. Hatte Abu ihr nicht gesagt, Fatima sei die Königin der Kupplerinnen? Sie hatte sich also damit begnügt, sanft zu bemerken: »Einen schneidigeren Herrn, gewiß … aber ich wäre sehr glücklich, wenn ich durch diesen Herrn die Wunder der Alhambra entdecken könnte.«

»Das ist nicht möglich«, hatte Fatima unwirsch erwidert, und Cathérine hatte für diesmal das Thema fallenlassen.

Am Tage nach dem Besuch der Alten im grünen Brokat hatte die junge Frau von Fatima die Erlaubnis erhalten, auf den Markt zu gehen. Sie liebte es, in der warmen, staubigen und herrlichen Atmosphäre dieser endlosen, schilfrohrüberdachten Straßen herumzuschlendern, wo die Wunder aus all den kleinen Läden quollen. Schon zuvor hatte Fatima ihr zwei- oder dreimal erlaubt auszugehen, selbstverständlich tief verschleiert, in Begleitung zweier Dienerinnen, die ihr nicht von der Seite wichen, und hinter sich einen großen Eunuchen, der unter dem Arm eine Karbatsche aus geflochtener Rhinozeroshaut trug. So war es an diesem Morgen auch gewesen. Mit ihrer üblichen Begleitung ging die junge Frau unter einem leichten, weiten honigfarbenen Seidenschleier, der nur ihre geschminkten Augen sehen ließ, ruhigen Schritts dem großen Seidenmarkt zu, der sich fast zu Füßen der Auffahrt zur Alhambra öffnete. Der Tag versprach brennend heiß zu werden. Ein dichter bläulicher Dunst hüllte die Stadt ein, und überall besprengten die Bürger die Gassen mit Wasser, um sich etwas Kühle zu verschaffen und den Staub zu binden. Es war noch sehr früh. Der Tag war erst seit zwei Stunden angebrochen, aber es war der einzige Augenblick, da es zu noch relativ dämmeriger Stunde angenehm war, die frische Kühle der Häuser zu verlassen. Was in keiner Weise das übliche Getriebe an den Markttagen Granadas verhinderte.

Cathérine trat aus dem Schatten einer Moschee, ging auf den Brückenbogen zu, der zum Markt führte, und von dort auf den freien, sonnendurchfluteten Platz vor dem Bab el-Ajuar, dem großen, von herkulischen Nubiern bewachten roten Tor, das die erste Porta der Alhambra bildete, als gellende kriegerische Musik an ihre Ohren schlug. Ein Reitertrupp mit Ghaitas – einer Art Dudelsack – und kleinen Trommeln kam durch das Tor geritten, als Vorausabteilung eines mächtigen Bewaffnetentrupps. Soldaten mit dunklen Gesichtern, wilden Augen, die Lanzen auf den Schenkeln, umgaben auf kleinen, flinken andalusischen Pferden eine Gruppe prächtig gekleideter Reiter, die alle auf dick mit Leder behandschuhten Fäusten Falken oder Geierfalken trugen. Die den Raubvögeln übergezogenen Hauben waren aus purpurroter, mit Edelsteinen besetzter Seide, die Gewänder der Reiter aus kostbarem Brokat, und ihre Waffen strotzten von Gemmen. Ohne Zweifel große Herren. Alle hatten feingeschnittene, edle Gesichter, kurze schwarze Bärte und kohlschwarze Augen. Nur einer hatte ein bartloses Gesicht und trug keinen Turban. Er ritt den anderen etwas voraus, schweigend, hochmütig, lässig seinen feurigen Renner zügelnd, ein schneeweißes Tier, das den Blick Catherines auf sich zog. Sofort glitten die Augen der jungen Frau vom Pferd zum Reiter empor.

Sie unterdrückte einen Schrei: Das Pferd war Morgane, der Reiter Arnaud …

Sehr aufrecht im bestickten Sattel sitzend, überragte er seine Begleiter um einen Kopf, war orientalisch gekleidet, doch in goldbestickter schwarzer Seide, die sich stark von den leuchtenden Farben der anderen abhob, und lässig über die Schultern zurückgeworfen trug er seinen weiten Burnus aus feiner weißer Wolle … Sein schönes Gesicht mit den kantigen Zügen, sein herrisches Profil war hohl, dünn und genauso sonnengebräunt wie das der Mauren. Seine schwarzen Augen brannten von einem dunklen Feuer, aber um die Schläfen zeigten sich zarte Silberfäden in seinem dichten schwarzen Haar.

Wie am Boden festgenagelt und bis ins Innerste erschüttert, verschlang Cathérine ihn mit den Augen, während er im nervösen Tänzelschritt seiner Stute näher kam, gleichgültig, fern, lediglich seinem großen Falken auf der Faust Aufmerksamkeit schenkend, den er sich manchmal ans Gesicht hielt, als wollte er mit ihm sprechen. Sprachlos vor innerer Bewegung stand Cathérine so regungslos da, als wäre sie vom Blitz getroffen. Sie hatte sehr wohl gewußt, daß er ganz in ihrer Nähe lebte; ihm jetzt aber so plötzlich gegenüberzustehen, ihn wiederzusehen, so nahe und gleichzeitig doch so unerreichbar! … Nein, darauf war sie nicht vorbereitet, das hatte sie nicht erwartet. Teilnahmslos gegenüber dem Drama, das sich einige Schritte von ihnen entfernt abspielte, ritten die Kavaliere ihres Weges. Sie würden sich entfernen, würden um die Ecke eines roten Backsteinpalastes verschwinden, dessen wenige schmale Fenster dicht verhängt waren … Ein jäher Impuls drängte Cathérine der hohen schwarzweißen Erscheinung nach, die in die enge Gasse einbog. Doch zwei feste Hände legten sich auf ihre Arme und hielten sie zurück, während der Eunuch, bestürzt die großen Augen rollend, sich vor sie stellte und ihr den Weg versperrte.

»Laßt mich los!« brauste die junge Frau auf. »Was soll das? Ich bin doch keine Gefangene!«

»Wir haben ausdrückliche Befehle von Fatima«, erwiderte eine der beiden Frauen entschuldigend. »Wir müssen dich unter allen Umständen hindern, etwas zu tun, was dich in Gefahr bringen könnte. Du wolltest dich doch auf die Spur der Prinzen setzen …«

»Ist es verboten, sie sich aus der Nähe anzusehen?«

»Aber ja! Die Krummschwerter ihrer Krieger schlagen schnell zu, um so mehr, als sie auch den fränkischen Gefangenen der Prinzessin eskortieren. Du könntest den Kopf verlieren, ehe du dich's versähest … und Fatimas Stock würde ganz schön auf unsere Schultern heruntersausen!«

Offenbar war es eher das, als sie sterben zu sehen, was die Dienerinnen der Äthiopierin besonders fürchteten … aber im Grunde hatten sie recht. Wenn sie sie hätten gewähren lassen, zu welcher Unvorsichtigkeit wäre sie fähig gewesen? Hätte sie sich zurückhalten können, den Mann, den sie liebte, anzurufen? Hätte sie ihre Hände hindern können, den Schleier von ihrem Gesicht zu reißen, damit er sie erkennen könnte? Wenn dieser öffentliche Skandal Zobeida gemeldet würde, wäre das ihr Tod … und vielleicht auch sein Tod … Nein! … So war's gut! Aber wie grausam war dieser Augenblick gewesen!

Noch vor heftiger Bewegung zitternd, drehte Cathérine sich langsam auf den Fersen um.

»Gehen wir zurück!« sagte sie seufzend. »Ich habe keine Lust mehr, auf dem Markt zu promenieren. Es ist schon zu heiß!« Indes blieb sie an der Mauer der kleinen Moschee mit der grünen Kuppel stehen … Zwei Bettler, der eine sehr groß und mager, die Arme unter seinen Lumpen verschränkt, der andere ein kleiner Bursche, der auf seinem einzigen Bein hockte, sahen dem glänzenden Jagdzug nach, wie er in der Ferne verschwand. Einige ihrer Worte drangen ans Ohr der jungen Frau.

»Der fränkische Gefangene der Prinzessin langweilt sich in den Wundern der Alhambra. Hast du bemerkt, wie düster er aussieht?«

»Welcher Mann, der das kostbare Gut der Freiheit verloren hat, würde nicht so aussehen? Dieser Christ ist ein Krieger. Das erkennt man schon an seiner Haltung … und an seinen Narben. Und der Krieg ist das berauschendste aller Getränke. Ihm bleibt nur noch die Liebe. Das ist wenig …«

Um besser hören zu können, gab Cathérine sich den Anschein, als sei ihr ein kleiner Stachel in den Fuß gedrungen, und während eine der beiden Frauen, im Staub kniend, aufmerksam ihren Fuß untersuchte, horchte sie gespannt. Das kleinste, Arnaud betreffende Wort war für sie eine Kostbarkeit. Das Folgende war noch wichtiger, denn der große, lässige Bettler fuhr fort:

»Außerdem heißt es, Zobeida trage sich mit dem Gedanken, ihn übers blaue Meer zu schicken. Die riesigen Ländereien des alten Maghreb werden den Hufen seines Streitrosses besser bekommen, und es gibt viele rebellische Stämme da unten. Ohne Zweifel wird der Sultan einen Kriegsmann und einen so meisterhaften Reiter akzeptieren, selbst wenn er ungläubig ist … Er wäre nicht der erste, der zum wahren Glauben überträte!«

»Würde unser Kalif seine Schwester mitziehen lassen?«

»Wer hat sich je dem Willen Zobeidas widersetzen können? Hast du gesehen, wer sich zum Wächter ihrer kostbaren Geisel gemacht hat? Der Wesir Haben-Ahmed Banu Saradj in Person … Sie wird aufbrechen, wann sie will, und der Sultan jenseits des Meeres wird ihr einen großartigen Empfang bereiten.« Eine Gruppe prächtig gekleideter Frauen näherte sich, und die beiden Bettler brachen ihr Gespräch ab, um eine bittende, winselnde Haltung einzunehmen, die ihnen Almosen einbringen sollte. Cathérine hatte genug gehört. Hurtig den ausgezogenen Pantoffel wieder überstreifend, befestigte sie mit beiden Händen ihren weiten Schleier, und bevor ihre noch knienden Wächterinnen diesmal Zeit gehabt hätten, sie zurückzuhalten, eilte sie flinken Fußes zum Haus Fatimas zurück.

Der Tratsch der beiden Bettler hatte sie in größten Schrecken versetzt. Daß diese Männer der Straße mit solchem Interesse von Arnaud sprachen, daß die Stadt an jeder Ecke von seinem Namen widerhallte, ließ sich nur durch die große Neugier und das Interesse erklären, die der fränkische Gefangene erregte. Zobeida mußte aus ihm eine außergewöhnliche Persönlichkeit gemacht haben, fast etwas Legendäres … und diese Persönlichkeit mußte scharf bewacht werden. Wenn die verfluchte Prinzessin Arnaud nach Afrika entführte, mußte man ihm folgen, sich wieder auf den Weg machen, neue, diesmal fast unüberwindliche Risiken eingehen, da es in den geheimnisvollen Städten des Landes, das sich Maghreb nannte, kein Haus Abu al-Khayrs, keine Hilfe des kleinen Arztes mehr gäbe. Unter allen Umständen mußte das verhindert werden, mußte sie Arnaud vorher wiedergewinnen und schließlich mit ihm fliehen …

Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, sofort zu Abu zu eilen, aber zu dieser Stunde war er, wie sie wußte, bei seinen Kranken. Und die Wärterinnen der Badeanstalt hätten alles getan, um sie vor dem Haus ihres Freundes einzuholen. Sie stürzte daher zu Fatimas Haus und eilte in den mit Zitronen-, Granatapfelbäumen und Wein bepflanzten Innenhof. Doch auf der Schwelle der schmalen Kolonnade, die den eingefriedeten Garten umschloß, blieb sie ärgerlich stehen: Fatima war zwar da, aber sie war nicht allein. In ein unwahrscheinliches, in sämtlichen Regenbogenfarben schillerndes Gewand gekleidet, einen Schal wie einen Männerturban um den Krauskopf geschlungen, promenierte die dicke Äthiopierin auf den Wegen rings um das rosenfarbene Springbrunnenbecken in der Mitte des Gartens.

Neben ihr erkannte Cathérine die Alte von neulich, obgleich der Brokat, in den sie diesmal verpackt war, gedämpft malvenfarben und mit großen grünen Blumen bestickt war.

Als Fatima Cathérine bemerkte, die, noch keuchend vom schnellen Lauf, am Gartenrand stehengeblieben war, begriff sie, daß etwas vorgefallen sein müsse, entschuldigte sich bei ihrer Besucherin und ging eiligst zu der jungen Frau hinüber.

»Was ist? Was ist passiert? Wo sind deine Wärterinnen?«

»Sie folgen mir. Ich bin gekommen, mich von dir zu verabschieden, Fatima, und dir Dank zu sagen. Ich muß zu meinem … Herrn zurückkehren!«

»Er ist noch nicht gekommen, um dich zu holen, soviel ich weiß. Hast du ihn denn getroffen?« fragte die Negerin in zweifelndem Ton.

»Nein. Aber ich muß schnellstens in sein Haus zurückkehren …«

»Du hast es aber eilig! Übrigens ist Abu, der Arzt, nicht zu Hause. Er ist in den Alkazar Genil gerufen worden. Die Sultanin hat sich beim Baden verletzt.«

»Gut … Dann wird er mich eben bei seiner Rückkehr vorfinden. Es wird eine angenehme Überraschung für ihn sein …«

»Und wird die Nacht, die dich erwartet, auch für dich eine angenehme Überraschung sein?« Die großen weißen Augen der Negerin forschten im unsicheren Blick Catherines, glitten prüfend über ihr Gesicht, in das Röte stieg.

»Etwas früher, etwas später …«, murmelte die junge Frau mit einer ausweichenden Handbewegung.

»Ich dachte«, sagte Fatima langsam, »du wünschtest mehr als alles andere, in die Alhambra zu gelangen?«

Bei diesem Namen setzte Catherines Herz einen Schlag aus, aber sie zwang sich, unbefangen zu erscheinen.

»Was nützt es, zu träumen? Wer kann sich schon rühmen, seine Träume zu verwirklichen?«

»Gehorche mir, und diesen Traum zumindest wirst du verwirklichen, und zwar sofort. Komm mit.«

Sie packte Cathérine am Handgelenk und wollte sie mitziehen, doch diese, von plötzlichem Mißtrauen ergriffen, widersetzte sich.

»Wohin führst du mich?«

»Zu der Frau, die du dort am Brunnen siehst … und in die Alhambra, wenn du es noch willst. Diese Alte ist Morayma. Jeder kennt sie hier und bemüht sich um sie, weil sie dem Harem des Herrn vorsteht. Neulich schon hatte sie dich bemerkt und ist deinetwegen wiedergekommen. Folge ihr, und statt dem kleinen Arzt wirst du dem Kalifen gehören …«

»Dem Kalifen?« fragte Cathérine tonlos. »Du schlägst mir vor, in den Harem einzutreten?«

Rein gefühlsmäßig wollte sie den Vorschlag mit Abscheu zurückweisen, aber eine Bemerkung Abu al-Khayrs fiel ihr wieder ein: »Die Gemächer Zobeidas bilden einen Teil des Harems«, und eine weitere: »Im Garten Zobeidas, in einem abgesonderten Pavillon, lebt Messire Arnaud …« In den Harem eintreten bedeutete, Arnaud nahe zu sein. Eine bessere Gelegenheit konnte sie sich gar nicht wünschen. Tapfer verschloß sie sich der Stimme der Furcht: Wenn sie sich dem Gefangenen Zobeidas nur näherte, wenn sie wagte, ihn anzusprechen, würde sie den mongolischen Henkern der Prinzessin ausgeliefert werden. Wie viele Male schon hatte sie Folterung und Tod herausgefordert! Die Henker von Granada konnten nicht schlimmer sein als die von Amboise. Und dann: Wenn sie von Arnaud wieder anerkannt wäre, könnten sie zusammen kämpfen … zusammen sterben, wenn es so sein mußte. Denn Cathérine wünschte sich von ganzem Herzen diesen gemeinsamen Tod, wenn er der Preis wäre, den sie zu bezahlen hätte, um ewig mit ihrem Gemahl vereint zu sein.

Auf jeden Fall war es hundertmal besser, mit ihm zu sterben, als ihn dieser Frau zu überlassen, und in jeder Hinsicht wäre es gut …

Der Entschluß der jungen Frau war gefaßt. Sie hob den Kopf, blickte Fatima unerschrocken in die besorgten Augen und lächelte. »Ich folge dir«, sagte sie. »Und ich danke dir. Versprich mir nur, dem Arzt einen Brief, den ich dir geben werde, zu übermitteln. Er ist gut zu mir gewesen.«

»Das kann ich verstehen. Abu, der Arzt, wird seinen Brief erhalten, aber komm jetzt. Morayma wird ungeduldig.«

Die alte Frau gab tatsächlich Anzeichen von Unruhe zu erkennen. Sie hatte das Brunnenbecken verlassen und kam mit großen Schritten näher, eine Frau, die keine Zeit mehr zu verlieren hat. Als Fatima sie kommen sah, nahm sie mit der schnellen Bewegung eines Taschenspielers den mit Safran gefärbten Schleier Catherines ab und ließ ihr mit Goldfäden durchflochtenes Haar im Sonnenlicht schimmern, enthüllte ihre rassige, von den weiten blaßgelben Musselinhosen und dem kurzen, golddurchwobenen Bolero, dessen tiefer Ausschnitt bei jeder Bewegung ihren Busen zu entblößen drohte, kaum verborgene Gestalt … Hinter ihrem malvenfarbenen und grünen Schleier sah Cathérine die Augen der Alten aufblitzen, die nun mit nervöser Bewegung den Stoff zurückschob und die gelbe, faltige, vertrocknete Haut und das Raubtierprofil einer alten, mit Schmuck überladenen Jüdin sehen ließ; einen schlaffen, zahnlosen Mund, dessen Lächeln nur noch eine häßliche Grimasse war. Nur die mit auffallenden Ringen bedeckten Hände waren noch schön. Morayma mußte außergewöhnliche Sorgfalt auf sie verwenden, sie täglich mit Öl und Salben einreiben, denn sie gaben bei jeder Bewegung einen penetranten Geruch von sich, und ihre Haut war zart.

Trotzdem schauderte Cathérine vor Widerwillen, als diese Hände sich auf ihre Hüfte legten, um die Glätte ihrer Haut zu prüfen.

»Du kannst beruhigt sein«, meinte Fatima spöttisch dazu. »Der Körper ist glatt und zart, ohne Fehl.«

»Ich will es sehen!« sagte die andere nur und schlug ruhig den Bolero auseinander, die Brüste der jungen Frau freimachend, die sie mit zwei Fingern drückte, um ihre Festigkeit zu prüfen. »Die schönsten Früchte der Liebe!« fügte Fatima hinzu, ihren Artikel mit nicht mehr Bescheidenheit anpreisend als ein Teppichhändler den seinen. »Welcher Mann von Verstand würde sie nicht vorziehen? Du kannst suchen, wo du willst, Morayma: in den eisigen Landen des Nordens, in den brennenden Sandwüsten, bei den Säulen des Herkules, auf den Terrassen der Levante, ja bis zum Großen Khan, und du wirst nirgendwo eine vollkommenere Blume finden, die du dem Allmächtigen Herrn der Gläubigen anbieten könntest!«

Statt jeder Antwort nickte Morayma nur beifällig mit dem Kopf und befahl sodann Cathérine:

»Öffne den Mund!«

»Weshalb?« begehrte die junge Frau auf, schon ihre guten Vorsätze vergessend, da sie sich wie ein Pferd behandelt sah.

»Ich will mich vergewissern, ob dein Atem rein ist!« erwiderte Morayma trocken. »Ich hoffe, Frau, daß du anpassungsfähig und gehorsam bist. Ich habe keine Lust, dem Kalifen ein aufsässiges oder zumindest ungehorsames Mädchen anzubieten …«

»Verzeih!« sagte Cathérine errötend. Und folgsam öffnete sie den Mund, entblößte einen rosigen Gaumen und blitzende weiße Zähne, zwischen die die Alte vorsichtig ihre Nase steckte. Die junge Frau mußte sich sehr beherrschen, um nicht laut herauszulachen, während die Alte der dicken Äthiopierin einen belustigten Blick zuwarf.

»Was gibst du ihr zum Kauen, alte Hexe? Ihr Atem riecht herrlich!«

»Jasminblüten und Gewürznelken!« brummte Fatima, die ihre Rezepte nicht gern verriet, aber wohl wußte, daß es bei der Hüterin des Harems nutzlos war, mit Tricks zu arbeiten. »Also, wozu entscheidest du dich?«

»Ich nehme sie mit. Mach dich fertig, Frau, und beeile dich! Ich muß wieder zurück …«

Ohne zu zögern, raffte Cathérine ihre Kleidung zusammen und eilte in ihr Zimmer. Hinter ihr stritten sich die beiden Frauen über das, was Fatima vor allem interessierte: den Preis, der zwangsläufig stattlich sein mußte.

»Ich muß den kleinen Arzt ein wenig entschädigen!« hörte sie die dicke Äthiopierin kreischen.

»Der Kalif hat immer das Recht, eine Sklavin auszuzeichnen. Es ist eine Ehre für jeden seiner Untertanen, ihm eine anzubieten …«

Der Knall der hinter ihr zuschlagenden Zimmertür ersparte Cathérine, noch mehr zu hören. Dieser Kuhhandel war ihr gleichgültig. Sie wußte sehr wohl, daß Fatima den größten Teil des Goldes, das sie bekäme, in die eigene Tasche stecken und sich mit Recht ihrem Klienten gegenüber auf einen Fall von höherer Gewalt und auf die unverjährbaren Rechte des Herrschers berufen würde.

Schnell nahm sie ein Stück Baumwollpapier und eine Feder und kritzelte hastig einige Worte an Abu, um ihn von ihrem Aufbruch in den Harem der Alhambra in Kenntnis zu setzen: »Ich bin glücklich«, schrieb sie ihm. »Ich werde endlich meinem Gatten nahe sein. Beunruhigt Euch nicht meinetwegen, doch sorgt dafür, daß Gauthier und Josse nichts Unüberlegtes tun. Ich werde versuchen, Euch Nachricht zukommen zu lassen, vielleicht über Fatima … sofern Ihr kein Mittel findet, selbst in den Harem zu kommen …«

Ein Ruf von unten ließ sie zusammenfahren. Die alte Morayma wurde ungeduldig. Schnell raffte sie aufs Geratewohl ein paar Kleidungsstücke zusammen, nahm sie unter den Arm, griff sich den Schleier, den sie soeben getragen hatte, und trat auf die Galerie des Patio hinaus, genau zur rechten Zeit, um Fatima mit glücklich-scheinheiliger Lüsternheit beim Zählen eines respektablen Haufens in der Sonne glitzernder Golddinare anzutreffen. Sobald sie erschien, legte sich die Hand der Haremshüterin auf ihren Arm und entriß ihr das Bündel, das sie verächtlich auf den Boden war.

»Was willst du mit diesem Plunder! Im Palast werde ich dich nach dem Geschmack des Herrn kleiden. Komm jetzt …«

»Nur noch einen Augenblick«, bat Cathérine. »Laß mich Fatima Lebewohl sagen.«

»Du wirst sie wiedersehen. Man wird sich bald ihrer Dienste im Harem bedienen. Sie kennt geheime Schönheits- und Liebesmittel, die Wunder wirken.«

Aber Fatima hatte es gehört. Schnell ließ sie ihr Gold in einen Ziegenhautbeutel gleiten und gesellte sich zu den beiden. Mit fast mütterlichen Bewegungen ordnete sie Catherines Schleier, die die Gelegenheit ergriff, ihr heimlich die Botschaft an Abu zuzustecken. Dann lächelte Fatima sie ermutigend an:

»Geh deinem Schicksal entgegen, Licht des Morgens. Aber wenn du die Lieblingsfrau, das kostbare Juwel des Kalifen sein wirst, vergiß Fatima nicht.«

»Sei beruhigt«, entgegnete Cathérine, die Komödie bis zu Ende spielend, »ich werde dich nie vergessen …«

Sie meinte es ehrlich damit. Es war unmöglich, die wunderlichen und alles in allem amüsanten Tage zu vergessen, die sie bei der Äthiopierin verbracht hatte. Und dann war Fatima gut zu ihr gewesen, wenn auch aus Eigennutz.

Man brachte zwei weiße, mit rotem Leder aufgeschirrte und mit allerlei Glöckchen und Schellen versehene Maultiere herbei, die von Cathérine und ihrer Begleiterin bestiegen wurden. Dann tauchten auf ein Händeklatschen Moraymas aus einer benachbarten Gasse, wo sie gewartet hatten, vier hagere, bis zu den Augen in Weiß gekleidete Nubier auf. Sie umgaben die beiden Frauen, nachdem sie ihre großen, scharfen Krummschwerter aus der Scheide gezogen hatten, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Die Hitze war jetzt erdrückend. Die heiße Luft flimmerte, und von dem fast weißen Himmel brannte die Sonne mit ihren gnadenlosen Strahlen auf die Dächer der Stadt. Doch Cathérine wurde die Temperatur nicht einmal gewahr. Im Übermaß der Aufregung dachte sie nur an den Palast, über dessen Schwelle sie nun endlich treten sollte. Die Entfernung, die sie von Arnaud trennte, würde sich weiter verringern.

Vor kurzem erst hatte sie ihn gesehen. Jetzt würde sie versuchen, ihn zu sprechen und heimzuführen.

Sie versuchte noch nicht, sich diese Heimkehr vorzustellen. Aber welche Schwierigkeiten würde sie mit sich bringen! Angenommen, es gelänge ihnen, aus dem Palast zu fliehen, müßten sie dann erst noch die Grenze des Königreichs erreichen. Und wenn sie diese Grenze überschritten hätten, wären sie dann vor der Rache Zobeidas sicher, in Sicherheit vor ihren Schlägen? Bestimmt nicht. Sie müßten viele Meilen zwischen sich und ihre Verfolger bringen; die schnellen Reiter Mohammeds ignorierten nur zu oft die Grenzen des Königreichs von Kastilien und würden sich diesmal gewiß nicht um sie kümmern. Und dann müßte man die ganze gefährliche Durchquerung Kastiliens wiederholen, würde vielleicht auf verhängnisvollere Hinterhalte stoßen als auf dem Herweg … Dann über die Pyrenäen und an den Räuberbanden vorbei, und dann … Nein! Das war jetzt alles gar nicht so wichtig: Es kam nur auf eines an, die Liebe Arnauds zurückzugewinnen! Was danach kommen mochte, interessierte Cathérine nicht.

Als sie hinter Morayma durch den roten Bogen des Bab el-Ajuar ritt, konnte Cathérine ein Freudengefühl nicht unterdrücken. Die Nubier der Wache hatten sie offenbar überhaupt nicht beachtet …

Sie folgten nun einem sich durch eine Talmulde windenden Pfad, der von einem munter fließenden Bach Kühlung und von Olivenbäumen mit silbrigem Blattwerk Schatten empfing. Der Pfad stieg ziemlich steil zu einer hohen Pforte an, deren Bogen sich vor einem dicken, viereckigen Türm ohne Zinnen voll abhob. Dieses imposante, in die zweite Umwallung eingelassene Portal bildete den eigentlichen Palasteingang.

Beim Näherkommen bemerkte Cathérine am hufeisenförmigen Backsteintor auf einer weißen Marmorplatte eine zum Himmel gereckte Hand.

»Das ist die Pforte der Gerechtigkeit! Die Hand versinnbildlicht die fünf Gebote des Korans«, bedeutete ihr Morayma. »Und die Türme dort, nicht weit von hier, sind die Kerker.«

Mehr sagte sie nicht. Cathérine indessen wußte die Auskunft ihrem Wert gemäß zu schätzen. Sie ähnelte sehr einer Warnung, fast einer Drohung. Eine Drohung war auch diese kolossale, mit eisernen Bändern und riesigen Nägeln versehene zweiflügelige Pforte, die die Dunkelheit des tiefen Vorbaus durchbrach und von Reitern in schimmernden Harnischen unter purpurroten Burnussen, die Pickelhauben tief auf die grausamen Augen heruntergezogen, bewacht war. Wenn ein Befehl des Herrn den Ausgang verschloß, dürfte es unmöglich sein, durch diese dicken Mauern zu gelangen. Das rote Palais und auch die kleine Stadt, die diese Festungswälle umschlossen (man konnte jetzt Häuser, Mühlen und die sieben vergoldeten, von einem hohen, schlanken Minarett überragten Kuppeln einer imposanten Moschee unterscheiden), mußten sich wie eine Falle schließen können, die ihre Beute nicht so leicht wieder losließ … es sei denn, daß man die geheimnisvolle Pforte entdeckte, die Zobeidas Liebhaber einer Nacht benutzten. Aber war das womöglich nur eine Legende? Die in den Abflußgräben gefundenen Leichen konnten sehr wohl von den Türmen heruntergestürzt worden sein.

Die scharfen Augen Catherines schweiften schon suchend umher – ein Beweis, daß sie weniger ruhig war, als sie sich eingestehen wollte –, suchten einen geheimeren Ausgang aus diesem herrlichen, drohenden, lockenden und gleich einer giftigen Blume gefährlichen Palast. Indessen senkte sie die Augen, um die blutigen Köpfe nicht zu sehen, die unheilkündend auf in die Mauer eingelassene Eisendorne gespießt waren. Und in diesem Augenblick, in dem sie die Schwelle dieser unbekannten Welt überschritt, fühlte die junge Frau, wie sich ihr Herz zusammenschnürte. Sie rang nach Atem, biß die Zähne aufeinander, zwang sich, starr auf den gebeugten Rücken Moraymas unter ihren absurden grünen Blumen zu blicken. Sie durfte nicht kneifen … jetzt nicht mehr und besonders nicht wegen etwas so Verächtlichem wie animalischer Angst! Sie hatte diesen Augenblick zu sehnlichst gewollt …

Und da, irgendwo in den duftenden Büschen der noch nicht sichtbaren Gärten, sang wunderbarerweise eine Nachtigall, schmetterte zum weißglühenden Himmel einige Töne empor, die so rein waren wie ein Bergquell. Eine Nachtigall zu dieser Tagesstunde, mitten in dieser drückenden Hitze? …

Catherines schweres Herz wurde leichter. Sie sah darin eine glückliche Vorbedeutung, spornte ihr Maultier an und schloß sich Morayma an, die etwas vorausgeritten war.

Die jähe Kühle eines Durchgangs, eine Biegung, ein ansteigender, von der Sonne überfluteter Weg, dann, jenseits einer zweiten Biegung, die orientalische Grazie zweier hoher, rechtwinklig angeordneter Pforten.

Morayma, die auf Cathérine gewartet hatte, deutete auf die, die sich vor ihnen öffnete.

»Die Königliche Pforte. Sie öffnet sich auf den Serail, den Palast des Kalifen. Wir gehen jedoch durch jene da, die Pforte des Weins, um direkt über die Oberstadt, die Verwaltungsstadt der Alhambra, zum Harem zu gelangen.«

Als Catherines Blick aber auf der Mauer verweilte, die drei rote, sich zur Linken erhebende Türme miteinander verband, verzogen sich die Lippen der Alten zu einem leisen Lächeln.

»In diesen Teil wirst du nie gelangen. Es ist die Alkazaba, die Festung, welche die Alhambra uneinnehmbar macht. Sieh diesen riesigen Turm über der Schlucht da unten! Bewundere in ihm die Macht deines künftigen Herrn. Das ist der Ghafar, der innerste Kern unserer Verteidigung. Oft wirst du in der Nacht die Turmglocke läuten hören. Aber ängstige dich nicht, Licht des Morgens. Es bedeutet keine Gefahr, es ist nur ein Zeichen, das die Bewässerung der Ebene während der Nacht regelt … Und nun beeilen wir uns, die Hitze wird unerträglich, und ich will, daß du für die Augen des Herrn frisch aussiehst.«

Cathérine bebte. Offenbar würde man ihr nicht viel Zeit lassen, Atem zu holen, bevor man sie dem Kalifen vorführte. Jedoch, wie immer, war sie entschlossen, die Ereignisse auf sich zukommen zu lassen und sie zu ihrem Besten zu nutzen.

11

Das langgestreckte, in blauem und goldenem Mosaik gehaltene Schwimmbassin des Harems strömte einen schwülen, parfümierten Duft aus, als Cathérine, noch schlaftrunken, von Morayma in den Saal geschoben wurde. Auf Befehl der alten Jüdin hatte sie nach ihrer Mahlzeit zwei Stunden geschlafen, und jetzt dröhnten ihre Ohren. Ein Krach wie in einem toll gewordenen Vogelhaus erfüllte den großen Raum, in dem an die fünfzig Frauen durcheinanderschwatzten. Sklavinnen, meist Schwarze, umstanden das mit lauwarmem, blauem Wasser gefüllte Becken, in dem sich eine Gruppe hübscher, lachender, kreischender, schreiender und sich bespritzender Mädchen tummelte. Das Bassin bot das Bild eines kleinen Sturms, aber sein Wasser war so durchsichtig, daß es nichts oder nur wenig von den Körpern der Badenden verbarg. Alle Hautfarben waren in diesem prunkvollen, charmanten Rahmen vertreten. Die dunkle Bronze der Afrikanerinnen mit ihren schmalen Hüften und spitzen Brüsten, das zarte Elfenbein der Asiatinnen, der rosige Alabaster einiger Abendländerinnen neben dem Bernstein der Maurinnen. Cathérine sah schwarzes, rötliches, mahagonifarbenes und sogar fast weißblondes Haar; sah Augen jeder Schattierung und hörte Stimmen aller Tonlagen. Doch ihr Eintritt unter dem Schutz der Gebieterin des Harems brachte diese ganze Welt zum Schweigen und beruhigte im Nu das aufgeregte Hin und Her der Badenden. Alle diese Frauen rührten sich plötzlich nicht mehr, aller Blicke richteten sich auf die Neue, die Morayma persönlich auf den schimmernden Fliesen entkleidete, und Cathérine sah mit einem unangenehmen Frösteln, daß der Gesichtsausdruck aller dieser Frauen der gleiche war: Feindseligkeit!

Cathérine wurde sich dessen sofort bewußt und fühlte sich unbehaglich. Alle diese feindseligen Augen, die sie von oben bis unten musterten, denn die Augen der Sklavinnen blitzten nicht weniger feindselig als die ihrer Herrinnen, verbrannten sie wie glühende Kohlen. Morayma spürte schnell die gespannte Atmosphäre. Ihre harte Stimme erklang:

»Die hier heißt Licht des Morgens. Sie ist eine in Almeria gekaufte Gefangene. Sorgt dafür, daß ihr nichts Unangenehmes zustößt, damit die Nilpferdpeitschen nicht knallen! Ich werde weder den zu schlüpfrigen Bassinrand gelten lassen noch plötzliches Unwohlsein im Bad, noch einen von zu vielen Süßigkeiten verdorbenen Magen, noch das Gesims, das sich plötzlich löst, noch die in die Gärten verirrte Viper oder irgendeinen anderen Unfall! Vergeßt das nicht! Und du nimmst jetzt dein Bad.« Ein Murmeln des Mißvergnügens folgte dieser kleinen Ansprache, die Cathérine sich mit leichter Unruhe angehört hatte, aber niemand wagte einen Einwand. Trotzdem schien es Cathérine, als sie ihren nackten Fuß in das parfümierte Wasser des Beckens tauchte, als ob sie in eine Schlangengrube steige. Alle diese schlanken, schimmernden Körper waren von gefährlicher Geschmeidigkeit, und alle diese Münder mit ihren frischen Lippen schienen bereit, Gift zu spucken.

Einige Augenblicke schwamm sie ohne Begeisterung herum. Man wich ihr mißtrauisch aus, und sie hatte keine Lust, dieses wenig angenehme Bad lange auszudehnen. Schon näherte sie sich wieder dem Rand, um sich den beiden Sklavinnen anzuvertrauen, die man ihr zur Bedienung zugeteilt hatte und die sie mit dicken baumwollenen Badetüchern erwarteten, um sie abzutrocknen, als sie plötzlich ein hübsches blondes Mädchen bemerkte, das auf Kissen am Rande des Beckens ausgestreckt lag – ein hübscher, rundlicher, frischer Körper mit Grübchen und rosigem Fleisch – und ihr offen zulächelte. Instinktiv näherte sie sich ihm. Das Lächeln des jungen Mädchens wurde herzlicher. Es gab sogar seine lässige Haltung auf und streckte Cathérine seine für eine Frau etwas zu große Hand hin.

»Streck dich neben mir aus, und schenke den anderen keine Aufmerksamkeit. Es ist immer so, wenn eine Neue kommt. Verstehst du, eine neue Gefährtin bedeutet immer das Risiko einer gefährlichen Favoritin.«

»Warum gefährlich? Sind denn alle diese Frauen in den Kalifen verliebt?«

»Um Himmels willen, nein! … Obgleich es ihm nicht an Charme mangelt.«

Mehr sagte das junge Mädchen nicht. Sie hatte instinktiv aufgehört, arabisch zu sprechen, und war auf Französisch übergewechselt, und Cathérine war zusammengefahren.

»Du bist aus Frankreich?« fragte sie in derselben Sprache.

»Ja, … o ja, aus dem Land der Saône, ich bin in Auxonne geboren. Da«, fügte sie traurig hinzu, »hieß ich Marie Vermeil. Hier nennt man mich Aicha. Kommst du auch aus unserem Land?«

»Aber ja!« erwiderte Cathérine lachend. »Ich bin in Paris geboren, aber in Dijon bei meinem Onkel Mathieu Gautherin aufgewachsen, der einen Stoffhandel in der Rue du Griffon betrieb …«

»Mathieu Gautherin?« wiederholte Marie nachdenklich. »Diesen Namen kenne ich doch … Übrigens, zu komisch, aber mir scheint, daß ich dich schon gesehen habe. Wo könnte es gewesen sein?« Sie unterbrach sich. Im blauen Wasser glitt der goldene Körper einer schönen, geschmeidig schwimmenden Maurin auf sie zu. Zwei goldgrüne Augen schossen den beiden Frauen einen gehässigen Blick zu. Schnell flüsterte Marie.

»Sieh dich vor der da vor! Das ist Zorah, die augenblickliche Favoritin. Die Geier auf dem Turm der Hinrichtungen haben mehr Herz als diese Schlange. Sie ist noch schlimmer als Prinzessin Zobeida, weil die Prinzessin die Heimtücke verschmäht, welche Zorah bis zur Perfektion beherrscht. Wenn du dem Herrn gefällst, hast du von dieser Ägypterin alles zu befürchten.«

Cathérine hatte keine Zeit mehr zu weiteren Fragen. Morayma war offenbar der Meinung, sie habe jetzt genug mit Marie-Aicha geplaudert, und kam mit den beiden schwarzen Sklavinnen heran.

»Wir sprechen uns später«, murmelte Marie noch, bevor sie sich graziös ins parfümierte Wasser fallen ließ, und das mit solcher Präzision, daß Zorah ausweichen mußte, sonst wäre das junge Mädchen auf ihrem Rücken gelandet.

Obgleich so gut wie trocken, ließ Cathérine sich von den beiden Frauen gewissenhaft abreiben und dann mit einem leichten Öl massieren, das ihrem Körper eine zarte Patina von hellem Gold verlieh. Als sie sich jedoch anschickte, das ärmellose Hemd aus gestreifter Seide wieder anzuziehen, das sie bei ihrer Ankunft getragen hatte, widersprach Morayma.

»Nein. Du ziehst dich nicht sofort an. Komm mit.«

Cathérine folgte der Jüdin durch mehrere Baderäume, heiß und kalt, um schließlich in einen von eleganten Arkaden umzogenen, ganz mit blauen, roten und goldenen Blumengeflechten dekorierten Raum zu gelangen. Eine mit vergoldeten Jalousien abgeschlossene Galerie lief in Höhe des ersten Stockwerks um ihn herum. In den Nischen zwischen den Säulen befanden sich Ruhebetten aus vielfarbigen Kissen, auf denen fünf oder sechs sehr schöne Mädchen nackt, lässig und graziös ausgestreckt lagen. Morayma zeigte Cathérine das einzige noch leere Ruhebett. »Leg dich da hin!«

»Wozu?«

»Das wirst du gleich sehen. Es dauert nicht lange …«

Frauenstimmen, die ein monotones, zartes Lied sangen, waren zu vernehmen, ohne daß man die Sängerinnen sehen konnte, doch im Saal selbst sprach niemand. Nachdem Morayma Cathérine angewiesen hatte, sich in einer verführerischen Pose auszustrecken, hatte sie sich in der Mitte des Saals aufgestellt, wo in einem Marmorbecken ein Springbrunnen murmelte. Sie hob den Kopf zu der geschlossenen Galerie, als erwarte sie etwas. Gespannt blickte Cathérine in diese Richtung.

Sie glaubte, eine Gestalt hinter dem schmalen, vergoldeten Lattenwerk ausmachen zu können, eine so vollkommen reglose Gestalt, daß sie sich fragte, ob sie nicht das Opfer eines Selbstbetruges sei. All dies, dieses Bad, dieses träge Leben, steigerte noch ihre Ungeduld, endlich zu ihrem Gatten zu gelangen. Was hatte sie auf diesem Diwan zu suchen, nackt inmitten anderer, ebenfalls nackter Frauen? … Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Eine Hand hob eine der Jalousien und warf etwas, das auf Catherines Lager zurollte.

Schnell sich aufrichtend, beugte sie sich neugierig vor und bemerkte, daß es sich um einen einfachen Apfel handelte.

Sie wollte ihn ergreifen, doch Morayma war schneller; sie bemächtigte sich der Frucht, und Cathérine sah, daß sie vor Erregung rot war und ihre Äuglein vor Freude blitzten.

»Der Herr hat dich erwählt!« bedeutete ihr die Herrin des Harems. »Und dabei bist du eben erst angekommen! Noch in dieser Nacht wirst du die Ehre haben, zum königlichen Bett zugelassen zu werden. Komm schnell. Wir haben gerade noch Zeit, dich vorzubereiten. Der Herr hat es eilig.«

Und ohne Cathérine zu erlauben, sich wieder anzuziehen, zog sie sie hastig durch Säle und Galerien zu dem Pavillon, einem der bescheidensten des großen Harems, in dem sie ihre neue Errungenschaft untergebracht hatte.

Dort blieb Cathérine keine Zeit mehr, Fragen zu stellen. Der Wunsch des Kalifen verursachte ein gründliches Klarmachen zum Gefecht, das irgendwelchen Überlegungen keinen Raum ließ. Einer wahren Armee von Masseusen, Duftspezialistinnen, Pediküren, Friseusen und Ankleiderinnen ausgeliefert, hielt es die junge Frau für das beste, alles über sich ergehen zu lassen. Auf jeden Fall konnte es ihr nur nützen, dem Kalifen nahezukommen … so nahe. Wer konnte sagen, ob es ihr nicht gelänge, einen gewissen Einfluß auf ihn zu gewinnen? Was die möglichen Weiterungen ihrer Intimität mit dem König von Granada betraf, ließ Cathérine sich dadurch nicht schrecken. Ohnedies hatte sie keine andere Wahl. Jeder Widerstand mußte ihre Pläne in Frage stellen und das Leben Arnauds, ihr eigenes und das ihrer Freunde gefährden. Und wenn man schon Krieg führte, dann richtig, ohne in der Wahl der Mittel allzu zimperlich zu sein.


Der eine mit gekreuzten Beinen auf einem mit Seidenteppichen bedeckten Diwan sitzend, die andere in der zarten Wolke ihrer rosafarbenen Schleier einige Schritte entfernt vor ihm stehend, sahen Mohammed VIII. und Cathérine einander an. Der eine mit unverhohlener Bewunderung, die andere mit Mißtrauen, in das sich Überraschung mischte. Gott weiß, warum die junge Frau (vielleicht des beunruhigenden Bildes wegen, das man ihr von Zobeida gezeichnet hatte) darauf gefaßt war, im älteren Bruder der Prinzessin einen arroganten, brutalen, zynischen Mann, eine Art Gilles de Rais plus La Trémoille, anzutreffen …

Doch der Fürst vor ihr ähnelte in nichts ihren Erwartungen. Er mochte zwischen fünfunddreißig und vierzig sein, und sein turbanloser Kopf war, außergewöhnlich bei einem Mauren, mit dichtem dunkelblondem Haar bedeckt, das sein Pendant in dem kurzen, das sonnengebräunte Gesicht umrahmenden Bart fand. Klare graue oder blaue Augen hoben sich von seiner dunklen Haut ab, und wenn er lächelte, zeigte er kräftige weiße Zähne. Flink schob er die Papierrolle zurück, die er beim Eintritt der jungen Frau und Moraymas mit einem Kalamin beschrieb.

Wortlos hatte er sie den langen Weg der Brunnen und Zypressen herankommen sehen, der zu der Säulenhalle führte, in der er sich aufhielt. Der Weg bis dahin war lang gewesen, an den Mauern vorbei, durch einen gedeckten Gang, bevor er sich emporschwang und durch die Gärten bis zu dem mit Rosen dicht umstandenen kleinen Palais verlief, das den Nachbarhügel der Alhambra krönte. Es war der Djenan-el-Arif, der Garten der Architekten, in den der Kalif sich im Sommer zurückzuziehen liebte. Mehr noch als der Serail war dies der Ort der Rosen und des Jasmins. Dunkelrot wie Purpursamt oder weiß mit rosigen Herzen wie Schnee unter aufgehender Sonne überwucherten sie den Hügel, neigten sich dem Wasserspiegel entgegen, kletterten an den weißen Schäften der Säulen empor und würzten mit ihrem Duft die blaue, sternenfunkelnde Nacht. Beim Anblick dieses Palastes, der für die Liebe geschaffen war und dessen Atmosphäre etwas Berauschendes hatte, wurden Catherines Augenlider schwer, und ihre Schläfen hämmerten.

Mohammed hatte nichts erwidert, als Morayma, demütig niedergeworfen, ihm die Freude ausgedrückt hatte, die die neue Odaliske empfinde, gleich in der ersten Nacht auserwählt worden zu sein; auch nicht, als sie die Schönheit, den Liebreiz Morgenlichts, der Perle Frankenlandes, die Pracht ihrer amethystenen Augen, die Geschmeidigkeit ihres Körpers gerühmt hatte … Als aber die alte Jüdin sich wieder erhoben hatte und die Musselinschleier abnehmen wollte, die aus der jungen Frau ein rosiges, wolkiges Gebilde machten, hatte er sie mit einer herrischen Bewegung gehindert und dann befohlen:

»Zieh dich zurück, Morayma. Ich lasse dich später rufen …« Und sie waren allein geblieben. Dann hatte der Kalif sich erhoben. Er war nicht so groß, wie Cathérine geglaubt hatte. Seine Beine schienen zu kurz für den kräftigen Körper, den die grünseidene, über der Brust bis zur Taille offene und von einem schweren, silbergeschmiedeten, mit großen, viereckigen Smaragden besetzten Gürtel zusammengehaltene Gandoura verriet. Als er auf die junge Frau zugetreten war, hatte er gelächelt. »Zittere nicht. Ich tue dir nichts Böses!«

Er hatte französisch gesprochen, und Cathérine verbarg nicht ihr Erstaunen.

»Ich zittere nicht. Warum auch? Aber wie kommt es, daß Ihr unsere Sprache kennt?«

Das Lächeln vertiefte sich. Mohammed stand der jungen Frau jetzt ganz nahe, die das leichte Parfüm von Juchten und Eisenkraut riechen konnte, das seinem Gewand entströmte.

»Ich habe mich immer gern unterrichtet, und die Reisenden aus deinem Land sind hier zu allen Zeiten gut aufgenommen worden. Ein Herrscher muß die Gesandten, die bei ihm akkreditiert sind, wann immer möglich, verstehen können. Die Dolmetscher sind zu oft unzuverlässig … oder bestochen! Ein Gefangener, ein frommer Mann aus deinem Land, hat mich diese Sprache gelehrt, als ich noch ein Kind war … und du bist nicht die erste Frau von jenseits der großen Berge, die dieses Palais betritt.«

Sich Maries erinnernd, dachte Cathérine, daß diese Erklärung mehr als wertvoll sei, und sagte nichts darauf, im übrigen waren die langen, schlanken Finger Mohammeds damit beschäftigt, den Schleier abzunehmen, der ihren Kopf und den unteren Teil ihres Gesichts bedeckte. Er tat es langsam, sacht, mit der Zartheit des Kunstliebhabers, der ein lang ersehntes, kostbares Werk enthüllt. Das süße, rotgold umrahmte Gesicht erschien unter dem mit feinen Perlen bestickten runden Käppchen, dann der lange, schlanke, graziöse Hals. Wieder fiel ein Schleier, dann ein weiterer und noch einer. Als kunstreiche und erfahrene Frau, für die das Verlangen des Mannes kaum Geheimnisse barg, hatte Morayma sie vervielfacht, das Vergnügen sehr wohl ahnend, das ihr Herr empfinden würde, wenn er sie Stück um Stück löste. Unter ihren zahlreichen leichten Hüllen trug Cathérine nichts als eine weite, gefältelte Hose aus demselben Schleiermaterial, an den Knöcheln zusammengenommen und über den Hüften mit Perlenflechten gehalten. Aber die junge Frau rührte sich nicht. Sie ließ die geschmeidigen Finger gewähren, die immer zärtlicher wurden, je mehr verhüllende Schleier fielen. Sie wollte diesem Mann gefallen, der übrigens verführerisch war und schon von ihrem Charme überwältigt schien. Er behandelte sie zart und verlangte schließlich nichts von ihr als eine Stunde der Wonne … der Wonne, die Gilles de Rais sich mit Gewalt und der Zigeuner Fero mittels eines Liebestrankes verschafft hatten, die sie Pierre de Brézé beinah geschenkt und Gauthier so spontan geboten hatte. So viele Männer waren schon durch ihr Leben gegangen! Und der hier war gewiß nicht der schlechteste.

Bald bedeckten die Musselinschleier die Fliesen aus Lapislazuli wie riesige, zu Boden gefallene Rosenblätter. Die Hände des Kalifen liebkosten jetzt die nackte Haut, verhielten lange auf ihr, streichelten sie, aber weiter ging er nicht. Er musterte sie … trat sogar einige Schritte zurück, um sie im sanften Schein der an den Arkaden aufgehängten goldenen Lampen besser betrachten zu können. So verharrten sie lange Minuten, sie stehend und ohne Scham die Schönheit ihres Körpers darbietend, er einige Schritte entfernt halb kniend. Im schwarzen Grund der hohen Zypressen des Gartens schmetterte eine Nachtigall eine Kaskade heller Töne, und Cathérine mußte an die denken, die gesungen hatte, als sie durch die hohe rote Pforte der Alhambra geritten war. Vielleicht war es dieselbe kleine Sängerin …

Doch schon, im Kontrapunkt, hob sich die Stimme Mohammeds leise in die Nacht:

»Ich pflückte im Garten die Rose der Morgenröte. Die Stimme der Nachtigall hat mich ergriffen. Sie leidet wie ich an der Liebe für eine Rose und erfüllt den Morgen mit ihrem Schluchzen. Ich eilte ohn' Ende durch die klagenden Alleen, Gefangener dieser Rose und dieser Nachtigall …«

Der Vers war schön, und die warme Stimme des Kalifen verlieh ihm einen noch größeren Zauber, aber das Gedicht ging nicht weiter. Während er es sprach, hatte Mohammed sich Cathérine genähert und hauchte das letzte Wort auf ihre Lippen. Dann hob er die junge Frau hoch und trug sie in den Garten. »Eine Rose gehört in die Mitte ihrer Schwestern«, murmelte er gegen die Lippen seiner Gefangenen. »Im Garten will ich dich pflücken.«

Auf dem Marmorrand des Wasserbeckens, in dem sich die Sterne spiegelten, waren Samtmatratzen und Kissen unter einem Laubenbogen von Jasmin ausgebreitet. Mohammed legte Cathérine dort nieder, riß ungeduldig die Gandoura herunter und warf sie achtlos beiseite. Der schwere, sternförmig mit Smaragden geschmückte Gürtel fiel ins Wasser, verschwand, ohne daß er auch nur die leisesten Anstalten machte, ihn zurückzuholen. Schon ließ er sich auf die Kissen sinken und nahm die junge fröstelnde Frau in seine Arme. Sie war unfähig, sich gegen den fremden Zauber dieses Mannes, gegen die magische, duftgeladene Nacht zu wehren, die das Murmeln des Springbrunnens und der Gesang der Nachtigall mit zärtlichster Musik erfüllten. Mohammed wußte zu lieben, und Cathérine gab sich gehorsam dem köstlichen Spiel hin, unter dem Ansturm der Lust ein Schuldgefühl verdrängend, mit vagen Rachevorstellungen vermischt, was nicht ganz ohne Reiz war.

Und das große Becken, über das sich der schlanke silberne Halbmond hob, spiegelte zärtlich das Bild der beiden vereinten Körper wider.

»Reiche dem Wind ein Bukett, gepflückt auf deinem blühenden Antlitz … Und ich werde den Duft der Pfade atmen, die du betrittst …«, deklamierte der Kalif in Catherines Ohr. »Du scheinst aus allen Blumen dieses Gartens geschaffen, Licht des Morgens, und dein Blick hat die Reinheit dieses klaren Wassers. Wer hat dich die Liebe gelehrt, duftendste der Rosen?«

Cathérine segnete den Schatten der Jasminbüsche, der sie einhüllte und ihre plötzlich aufsteigende Röte verbarg. Es stimmte, sie liebte die Liebe, und wenn sie ihr Herz auch nur einem einzigen Mann auf ewig hatte schenken können, so wußte ihr Körper die verfeinerten Liebkosungen eines Meisters der Wollust doch zu schätzen. Ihre Antwort war nicht ohne Heuchelei.

»Welche Schülerin würde sich bei einem solchen Lehrer nicht als gut erweisen? Ich bin Eure Sklavin, o Herr, und habe nur gehorcht.«

»Wirklich? Ich erhoffte Besseres … aber ich kann für eine Frau wie dich jede Geduld aufbringen. Ich werde dich lehren, mich zu lieben, mit deinem Herzen wie mit deinem Fleisch. Hier wirst du nichts anderes mehr zu tun haben, als mir jede Nacht ein größeres Glück als in der vorhergegangenen zu schenken.«

»Jede Nacht? Und deine anderen Frauen, Herr?«

»Wer könnte sich, wenn er das göttliche Haschisch gekostet hat, mit einem faden Ragout zufriedengeben?«

Cathérine konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, aber es schwand schnell. Sie erinnerte sich der wilden grünen, gefährlichen Augen der Ägypterin Zorah. Augen, die sie an die der schrecklichen, unheilvollen Marie de Comborn gemahnten, die sie hatte töten wollen und die Arnaud wie ein bösartiges Tier, das sie war, erdolcht hatte. Es war die Position der Maîtresse en titre, die Mohammed ihr anbot, und Cathérine nahm an, daß die Drohungen Moraymas die Ägypterin nicht von ihrer Mordlust abhalten würden, wenn der Kalif zugunsten Catherines alle anderen Frauen im allgemeinen und Zorah im besonderen vernachlässigte.

»Du erweist mir eine große Ehre, Herr …«, begann sie, doch unter dem Säulengang war ein Trupp Fackelträger erschienen, deren Licht die Nacht durchdrang. Mohammed hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und sah sie mit gerunzelter Stirn mißvergnügt näher kommen.

»Wer wagt es, mich zu dieser Nachtstunde zu stören?«

Die Fackelträger geleiteten einen jungen, großen und hageren Mann mit einem kurzen schwarzen Bart und einem Turban aus Purpurbrokat. Seinem arroganten Gesichtsausdruck und seiner prächtigen Kleidung war zu entnehmen, daß es sich um eine Persönlichkeit von hohem Rang handelte, und Cathérine erkannte plötzlich in ihm einen der Jäger, die am Morgen Arnaud begleitet hatten. »Wer ist es?« fragte sie instinktiv.

»Haben-Ahmed Banu Saradj … unser Großwesir«, erwiderte Mohammed. »Es muß etwas Ernstliches vorgefallen sein, daß er es wagt hierherzukommen.«

Mit einem Schlag verwandelte sich der Mann, der sich Cathérine gegenüber so menschlich gezeigt hatte, in den allmächtigen Kalifen, Herrn der Gläubigen, vor dem jeder, ohne Ansehen der Person, sich beugen mußte. Während die junge Frau sich unter die Kissen flüchtete und ihren weißen Körper, den die Augen dieser Männer nicht sehen durften, im tiefschwarzen Schatten verbarg, kleidete sich Mohammed wieder in seine Gandoura und trat aus der Laube. Bei seinem Anblick knieten die Fackelträger nieder, während die stolze Gestalt des Großwesirs in ihrem Brokat sich in den Sand des Baumganges warf. Das Fackellicht ließ ihn wie einen riesigen Rubin funkeln, doch der Widerschein in seinen Augen gefiel Cathérine gar nicht. Der Mann war falsch, grausam, gefährlich.

»Was willst du, Haben-Ahmed? Was suchst du hier zu dieser Nachtstunde?«

»Nur eine Gefahr konnte mich zu dir führen, Herr der Gläubigen, und mich veranlassen, deine so seltenen Ruhestunden zu stören. Dein Vater, der tapfere Yusuf, hat den Djebel-al-Tarik[4] an der Spitze seiner Berberreiter verlassen und ist auf dem Weg nach Granada. Es schien mir nötig, dir dies unverzüglich mitzuteilen …«

»Gut gemacht! Weiß man, warum mein Vater seinen Ruhesitz verlassen hat?«

»Nein, Allmächtiger Herr, man weiß es nicht. Doch wenn du geruhst, deinem Diener einen Rat zu gestatten, so gebietet es vielleicht die Klugheit, daß du Yusuf jemand entgegenschickst, um seine Absichten zu erforschen.«

»Niemand außer mir kann sich erlauben, die Absichten des großen Yusuf zu erforschen. Er ist mein Vater, und mein Thron war der seine. Wenn jemand ihm entgegenreitet, werde ich es sein, so wollen es die Blutsbande … auch, wenn Yusuf mit kriegerischen Absichten hierherkommen sollte.«

»Wäre es in diesem Fall nicht besser, dich zu schützen?«

»Hältst du mich für ein Weib? Geh und gib die Befehle. Man sattle die Pferde, die Mauren sollen sich bereit halten. Nur fünfzig Mann werden mich begleiten.«

»Nicht mehr? Herr, das grenzt an Wahnsinn!«

»Nicht einer mehr! Geh, sage ich. In wenigen Augenblicken bin ich in der Alhambra.«

In gebückter Haltung zog sich Haben-Ahmed, rückwärts gehend, zurück, offensichtlich von tiefstem Respekt erfüllt, aber Cathérine hatte die bösartige Freude in seinen dunklen Augen aufblitzen sehen, als Mohammed seinen sofortigen Aufbruch angekündigt hatte. Mohammed war zu seiner neuen Favoritin zurückgekehrt. Er kniete neben ihr nieder und liebkoste die zerzausten Haare der jungen Frau.

»Ich muß dich verlassen, meine wunderbare Rose, und ich gehe mit schmerzendem Herzen. Aber ich werde mich beeilen, damit nur wenige Nächte vergehen, bis ich dich wiedersehe.«

»Begibst du dich nicht in Gefahr, Herr?«

»Was heißt schon Gefahr? Regieren bedeutet jeden Tag eine neue Gefahr. Sie ist überall; in den Blumen des Gartens, in der Schale Honig, die dir ein Kind treuherzig darbietet, im Duft eines Parfüms … Vielleicht bist du selbst die berauschendste … und die tödlichste aller Gefahren?«

»Glaubst du wirklich, was du sagst?«

»Was dich betrifft, nein! Du hast zu sanfte, zu reine Augen! Es ist grausam, dich verlassen zu müssen.«

Er umarmte und küßte sie lange und leidenschaftlich, dann richtete er sich auf und klatschte in die Hände. Wie herbeigezaubert tauchte die unförmige Gestalt Moraymas aus dem schwarzen Vorhang der Zypressen auf. Der Kalif wies auf die noch in den Kissen kauernde junge Frau.

»Bring sie in den Harem zurück … und gib gut auf sie acht! Du wirst dafür sorgen, daß es ihr während meiner kurzen Abwesenheit an nichts fehlt. Wo hast du sie untergebracht?«

»Im kleinen Badehof. Ich wußte noch nicht …«

»Bring sie im alten Appartement Aminas unter. Und teile ihr alle Dienerinnen zu, die du für richtig hältst, aber wache ganz besonders über sie. Dein Kopf bürgt mir für ihre Gemütsruhe.« Cathérine sah die verstörte Miene Moraymas. Ganz offensichtlich übertraf das Ergebnis ihre Hoffnungen; die Jüdin war auf eine so jähe, offenkundige Gunst nicht gefaßt gewesen. Die Art, wie sie sich nun an die junge Frau wandte, während Mohammed sich zur Säulenhalle hin entfernte, ließ es deutlich erkennen. Cathérine entdeckte einen neuen Respekt, der sie belustigte.

»Du mußt mir meine Schleier holen«, sagte sie zu ihr. »Ich kann mir nicht diese Kissen um den Leib binden …«

»Ich hole sie dir, Licht des Morgens, bemühe dich nicht! Die kostbare Perle des Kalifen darf sich nicht mehr anstrengen. Ich werde mich um alles kümmern. Dann lasse ich Träger und eine Sänfte kommen, um dich in dein neues Appartement zu führen …«

Sie wollte sich schon davonmachen, doch Cathérine hielt sie zurück.

»Auf keinen Fall! Ich will zurückkehren, wie ich hergekommen bin, zu Fuß. Ich liebe diese Gärten, und die Nacht ist so schön! Aber … sag mir, liegt dieses Appartement, das man mir zuweist, sehr weit von dem der Prinzessin Zobeida entfernt?« Morayma machte eine erschrockene Bewegung und zitterte sichtlich.

»O nein! Sie liegen ganz nahe beieinander. Das ist es ja, was mich beunruhigt. Die Sultanin Amina hat es gemieden und sich in den Alkazar Genil geflüchtet, um von ihrer Feindin weiter entfernt zu sein. Aber unser Herr will nicht glauben, daß seine Lieblingsschwester ihm nicht gleicht. Du wirst dich sehr in acht nehmen müssen, sie nicht zu reizen, Licht des Morgens, sonst hängt dein Leben nur an einem seidenen Faden … und mein Kopf wird unverzüglich unter dem Krummschwert des Henkers rollen. Meide besonders die Privatgärten Zobeidas. Und wenn du zufällig den fränkischen Herrn treffen solltest, den sie liebt, wende dich ab, ziehe deinen Schleier dicht vor dein Gesicht und fliehe, fliehe, wenn dir dein Leben lieb ist …«

Und sie rannte Hals über Kopf davon, als wären ihr die Mongolen Zobeidas bereits auf den Fersen. Cathérine mußte lachen, als sie Morayma so aufgeregt mit fliegenden Schleiern auf ihren kurzen, in großen Pantoffeln steckenden Beinen wie eine aufgescheuchte Ente davonwatscheln sah. Die neue Lieblingsfrau hatte keine Angst. Mit einem einzigen Schlag hatte sie sich einen Platz nach ihrer Wahl erobert, und in wenigen Augenblicken würde sie sich in unmittelbarer Nachbarschaft ihrer Feindin einrichten … Arnaud ganz nahe! Sie würde ihn sehen können, dessen war sie sicher, und bei diesem Gedanken rann das Blut schneller durch die Adern. Sie vergaß darüber sogar die bezaubernden Stunden, die sie in diesem traumhaften Garten verbracht hatte. Die Liebesnacht mit Mohammed war der Preis, den sie hatte zahlen müssen, um endlich mit den Fingerspitzen das so lange Ziel berühren zu können. Und dafür war es, alles in allem, ein geringer Preis …

Einige Augenblicke später verließ Cathérine, wieder in ihre zarten Gewänder gehüllt, hinter Morayma, die munter vor ihr hertrottete, den Djenan-el-Arif.

Die Wächter hatten schon vor einiger Zeit Mitternacht ausgerufen, als Cathérine und Morayma die von bewaffneten Eunuchen bewachten Grenzen des Harems überschritten. Ein Labyrinth von blumenüberwachsenen Gewölben, von Galerien und Durchgängen führte sie auf einen weiten Innenhof, dessen Pflanzen- und Blumengewirr schmale Alleen durchschnitten. Ein Teil der Gebäude dieses Gartens wurde durch unzählige Öllämpchen erleuchtet, aber im fast dunklen Hintergrund brannte nur eine Lampe über einem graziösen Torbogen, auf den Morayma jetzt zusteuerte. Die beiden Frauen waren noch nicht weit gekommen, als im Innern des Harems ein ungeheurer Lärm von Schreien, Gezeter und Beschimpfungen losbrach! Eine wahre Revolution! Morayma hob den Kopf wie ein altes Schlachtroß, das die Trompete hört, runzelte die Stirn und brummte:

»Es fängt wieder an! Zorah muß Unfug getrieben haben!«

»Was fängt wieder an?«

»Die Verrücktheiten der Ägypterin! Wenn der Herr sich eine andere Frau für seine Nacht erwählt, wird sie rasend! Sie muß ihre Wut an etwas oder jemandem auslassen. Gewöhnlich an einer anderen Frau, und das aus keinem anderen Grund, als um kratzen, beißen und beleidigen zu können. Die Wutanfälle Zorahs klingen erst ab, wenn Blut fließt.«

»Und das läßt du zu?« rief Cathérine empört.

»Zulassen? Du kennst mich nicht! Nun geh hinein: Dort ist die Tür. Dienerinnen erwarten dich. Ich werde gleich wiederkommen, um zu sehen, wie du untergebracht bist! Ihr anderen folgt mir!«

Damit meinte sie die beiden ebenholzschwarzen Eunuchen in brandroten Gewändern, die am Eingang zum Innenhof schweigend Wache standen. Wortlos setzten sie sich in Bewegung, zogen gleichzeitig nach Art von Dienern, die an solches Einschreiten gewöhnt waren, die Nilpferdpeitschen aus ihren Gürteln. Cathérine sah dem Trio nach, das sich durch die duftenden Alleen mit der Eile entfernte, die das Schicksal bestimmt, wenn es zuschlagen will. Bald war die junge Frau unter dem dichten, von Orangen schimmernden Blattwerk allein. Einen Augenblick war sie froh, allein zu sein, und beeilte sich nicht hineinzugehen. Die Nacht war zu schön mit ihren Düften und dem gedämpften Echo einer melancholischen Musik, das aus den erleuchteten Gebäuden zu ihr drang.

Dieser Teil zog Cathérine an wie ein Geliebter. Unbeweglich im Schatten der Sträucher verharrend, konnte sie ihre Augen nicht abwenden. Dort lagen, da gab es gar keinen Zweifel, die Gemachter Zobeidas! Um sich davon zu überzeugen, genügte es, die zehn schwarzen Eunuchen zu sehen, die unter dem Säulengang lässig, aber aufmerksam Wache hielten. Sie trugen im Gürtel keine geflochtenen Lederpeitschen, sondern große, blitzende Krummschwerter, die jedem, der sich zu nähern wagte, nichts Gutes versprachen.

Indessen brannte Cathérine darauf zu sehen, was in diesen Gemächern vorging, deren sanfter Lichtschein durch das von Jasminblüten gesternte Blattwerk drang und den roten Sand des Gartens liebkoste. Ein fast tierischer Instinkt sagte ihr, daß Arnaud sich hinter diesem Bollwerk aus Marmor und Blumen befinden mußte, so nahe, daß sie, wenn er gesprochen hätte, zweifellos seine Stimme hätte hören müssen. Sie spürte es vielleicht am Zusammenkrampfen ihres Herzens, am bitteren Geschmack der Eifersucht in ihrem Mund. Die Liebkosungen des Sultans waren ihrem Gedächtnis schon so ziemlich entschwunden, durch eine plötzliche, jähe und zerstörerische Wut auf die gewöhnliche Stufe einfacher Förmlichkeit zurückgeführt. Es war schließlich nur armselige Rache, schmutzige Berechnung, die sich mit dem Verrat ihrer unbefriedigten Sinne verbündet hatte. Und Cathérine empfand entsetzt, unvermindert und quälend den wilden Stich der Eifersucht wieder, die so alt und so primitiv wie die Liebe selbst war.

Über das zarte Spiel der Instrumente hob sich eine Frauenstimme in die Nacht, warm, ernst, voll Leidenschaft, derart erregend, daß Cathérine sich vor Ergriffenheit nicht rührte, nur gespannt horchte. Sie verstand die von dem herrlichen, samtdunklen Organ schmachtend gesungenen Worte nicht, aber ihr Instinkt, ihre Fraulichkeit sagten ihr, daß dies die glühendste Liebeserklärung war …

Sie horchte einen Augenblick, durch die geheimnisvolle Stimme derart bezaubert, daß sie gar nicht merkte, daß die Lichter in Zobeidas Pavillon fast alle erloschen. Der Garten wurde dunkler, rosiger, und heller schienen ihr die wenigen noch erleuchteten Fenster. Die Sängerin hatte den Ton gedämpft, trillerte beinahe nur noch … Und Cathérine, unfähig, der Neugier zu widerstehen, die sie verschlang, näherte sich unmerklich dem Pavillon der Prinzessin.

Sie überlegte nicht mehr. Die Vorstellung von der tödlichen Gefahr, der sie sich aussetzte, war ihr völlig entschwunden. Nur ihr Selbsterhaltungstrieb gab ihr ein, ihre Pantoffeln abzustreifen, mit nackten Füßen über den weichen Sand zu gehen, sich unter die Büsche zu ducken, um von den Wachen nicht bemerkt zu werden. Langsam schlich sie auf ein Fenster zu, das von einer exotischen Pflanze umrankt wurde, und duckte sich tief ins Gebüsch. Dornen stachen sie grausam, aber sie gab keinen Schmerzenslaut von sich, beachtete die Verletzungen nicht. Schließlich hatte sie das Fenster erreicht …

Vorsichtig, ganz vorsichtig richtete sie sich auf. Ihre Augen sahen jetzt über die Einfassung aus grüner Jade, und sie mußte sich in die Hand beißen, um nicht aufzuschreien. Direkt vor sich sah Cathérine Arnaud.

Er saß mit gekreuzten Beinen zwischen den Kissen eines riesigen Diwans aus rosenfarbenem Brokat, der mindestens die Hälfte eines kleinen, intimen und reizenden Zimmers einnahm, dessen mit grünem Kristall verkleidete Wände einen an das Innere eines riesigen Edelsteines denken ließen. Seine gebräunte Haut, sein schwarzes Haar und die weite schwarze, goldbestickte Hose, seine einzige Bekleidung, hoben sich seltsam von diesem Hintergrund weiblicher Verspieltheit ab. Mit seinen breiten Schultern und seinen kräftigen Muskeln paßte er nicht in dieses verweichlichte Milieu. Neben ihm stand eine tiefverschleierte Sklavin, die ihm den großen goldenen Becher sofort wieder füllte, den er ohne Unterlaß leerte. Er war schöner als je, doch stellte Cathérine verblüfft fest, daß sein Blick leicht flackerte. Sie begriff, daß er ziemlich betrunken war, und es versetzte ihr einen Schock. Noch nie hatte sie ihren Gatten in der Gewalt des Weins gesehen. Mit seinen geröteten Wangen und blitzenden Augen erinnerte er sie bestürzend an den barbarischen Gilles de Rais. Es war ein Unbekannter, den Cathérine hier sah.

Aber sie erkannte alsbald die Frau, die nicht weit von ihm halb ausgestreckt zwischen silberbestickten Kissen lag. Sie war die Sängerin, sie strich mit langen, schlanken Fingern zärtlich-lässig über die Saiten einer kleinen, runden Gitarre. Es war Zobeida in Person … und sie war atemberaubend schön.

Eine verschwenderische Fülle milchweißer Perlen bedeckte ihren Hals, ihre Schultern, ringelte sich um ihre schlanken Arme, um ihre zarten Gelenke, verlor sich in ihrem gelösten schwarzen Haar, sonst aber war sie nur in eine Wolke dünnen, jadefarbenen Flors gehüllt, der nichts von dem Zauber ihres vollkommenen Körpers verbarg. Und Cathérine mußte zornig feststellen, daß ihre Nebenbuhlerin noch verführerischer war, als sie sie, wenn auch flüchtig, noch in Erinnerung hatte. Auch sah sie, daß Zobeida ihren Gefangenen keinen Augenblick aus den Augen ließ, wohingegen er sie nicht beachtete. Er blickte irgendwohin, in die Leere, die die Trunkenheit gewahrt, aber eine freudlose Leere, wie Cathérine instinktiv ahnte.

Plötzlich ging die hartnäckige Gleichgültigkeit Arnauds über die Geduld der Maurin. Gereizt warf sie das Instrument beiseite, schickte die Sklavin mit einem herrischen Fingerschnalzen hinaus, erhob sich und streckte sich neben Arnaud aus, den Kopf auf die Knie ihres Geliebten legend.

Cathérine, draußen in der Nacht, zitterte, aber Arnaud hatte sich nicht gerührt. Langsam und methodisch, ohne sich ablenken zu lassen, leerte er seinen Pokal. Doch Zobeida wollte ihn zwingen, sich mit ihr zu beschäftigen. Cathérine sah ihre mit Ringen beladenen Hände in langsamer Liebkosung über seinen Körper streichen, zu den Schultern hinauf, sich um seinen Nacken legen und sich dort verschränken, um sein Gesicht zu dem ihren herunterzuziehen, das sie ihm darbot. Der Pokal war leer, Arnaud schleuderte ihn mit verächtlicher Bewegung weit weg, und Cathérine schloß die Augen, weil Zobeida sich zu seinem Mund emporzog, um ihn leidenschaftlich zu küssen.

Da fuhr das Paar auseinander. Arnaud hatte sich jäh erhoben und wischte sich mit der Hand das Blut von den Lippen, die Zobeida gebissen hatte … Von ihm zurückgestoßen, rollte die Prinzessin auf den Teppich.

»Hündin!« grollte er. »Ich werde dich lehren …«

Er riß eine Reitpeitsche von einem niedrigen Tisch und schlug mit ihr auf Rücken und Schultern Zobeidas. Cathérine unterdrückte einen Entsetzensschrei, vergaß ihre Eifersucht angesichts dieses Wutausbruchs, der, wie sie glaubte, nur Arnauds Bestrafung nach sich ziehen konnte. Die stolze Prinzessin dürfte eine solche Behandlung wohl kaum ertragen. Sie würde rufen, würde auf den neben dem Diwan stehenden Bronzegong schlagen und ihre Eunuchen, ihre Henkersknechte herbeibefehlen …

Doch nein …! Mit einem klagenden Wimmern rutschte die ungebärdige Zobeida auf dem Teppich bis zu den nackten Füßen ihres Geliebten, drückte ihre Lippen darauf, umklammerte seine Beine mit ihren perlenglitzernden Armen und hob die tränennassen Augen unterwürfig zu ihm auf. Sie murmelte Worte, die Cathérine nicht hören konnte, deren Zauber aber seine Wirkung auf den Mann ausüben mußten. Cathérine sah die Reitpeitsche den Händen ihres Gatten entfallen. Er packte Zobeida an den Haaren, hob sie zu seinem Gesicht empor und bemächtigte sich ihrer Lippen, während er mit der freien Hand den hinderlichen Musselin herunterstreifte. Das umschlungene Paar rollte auf den Boden, während draußen der Himmel, die Bäume und Mauern sich in einer schrecklichen Sarabande um Cathérine zu drehen begannen.

Keuchend, mit klopfendem Herzen lehnte sie sich an die kalte Wand des Palais, kämpfte sie gegen eine Ohnmacht an. Sie spürte, wie ihr das Leben entrann, glaubte, sterben zu müssen, hier, in dieser Nacht, zwei Schritte von diesem schamlosen Paar entfernt, dessen brünstiges Keuchen sie hörte … Ihre zuckende Hand suchte den vertrauten Dolch an ihrer Hüfte, stieß aber nur auf den zarten Musselin, der sie spärlich bedeckte; sie blickte instinktiv um sich, von einem blinden, primitiven Verlangen zu töten ergriffen. Oh, wenn sie nur eine Waffe fände, sich wie eine Rachegöttin vor ihren treulosen Gatten stellen und dieses Geschöpf niedermachen könnte, das es wagte, ihn mit ihrer verächtlichen Liebe, der Liebe einer Sklavin, zu lieben! … Aber Catherines Hand fand keine Waffe, nur einen Brombeerstrauch mit scharfen Dornen, die sich ihr grausam in die Handflächen bohrten, so daß sie einen Schmerzensschrei unterdrücken mußte. Dies jedoch brachte sie wie durch ein Wunder wieder zu klarem Bewußtsein. Im selben Augenblick drang eine Stimme von den Alleen her an ihr Ohr und gab ihr den Sinn für die Wirklichkeit zurück. Sie erkannte das näselnde Organ Moraymas, verließ verstohlen ihr Versteck, schlängelte sich zwischen den Büschen und Sträuchern hindurch und trat schließlich auf die Hauptallee hinaus, als Morayma auch dort ankam.

Die alte Jüdin warf Cathérine einen mißtrauischen Blick zu. »Wo kommst du her? Ich suchte dich …«

»Aus diesem Garten. Die Nacht war so … schön! Ich hatte noch keine Lust, hineinzugehen«, brachte die junge Frau mit Mühe heraus.

Ohne zu antworten, nahm Morayma sie an der Hand und zog sie zum Turm. Unter der erleuchteten Kolonnade angekommen, sah sie ihre Gefangene prüfend an, runzelte die Stirn und sagte:

»Du bist sehr blaß! Fehlt dir etwas? …«

»Nein. Müde vielleicht …«

»Dann frage ich mich, weshalb du dich noch nicht hingelegt hast. Komm jetzt!«

Cathérine ließ sich widerstandslos zu einer Flucht von Zimmern führen, von denen sie nichts sah. Ihr aufgewühlter Geist stellte ihr immer und immer wieder die Liebesszene dar, deren Zeugin sie gewesen war. Und Morayma, die sich auf Freudenschreie über den Luxus gefaßt gemacht hatte, den die Liebe des Kalifen dieser ausgelösten Sklavin bot, verstand nicht, warum sich Cathérine, nachdem sie kaum das Zimmer betreten hatte, in dem ein ganzes Heer von Dienerinnen sie erwartete, auf die Seidenmatratzen sinken ließ, um bittere Tränen zu vergießen. Indessen besaß die Gebieterin des Harems genügend Klugheit, um keine Fragen zu stellen. Sie begnügte sich damit, mit einer herrischen Geste die Dienerinnen hinauszuschicken, und setzte sich dann geduldig auf das Fußende des Bettes, um das Verebben des Sturms abzuwarten.

Philosophisch schrieb sie ihn den ziemlich erheblichen Aufregungen dieses bewegten Tages zu. Aber Cathérine weinte lange, so lange, daß erst die Müdigkeit ihren Kummer besiegte. Als das Schluchzen erstarb, sank sie ohne Übergang in den Schlaf eines erschöpften Tieres. Schon einen Augenblick zuvor war Morayma ihr ins Reich der Träume vorangegangen und schlief, in sich zusammengekauert. Die Sommernacht, durch das Geläut der Glocke der Bewässerungskanäle untermalt, senkte sich über Granada.

Das Zimmer Catherines wimmelte von Menschen, als sie die vom Weinen noch verschwollenen Augen aufschlug. Sie schloß sie sofort wieder, überzeugt, daß dies nur die Fortsetzung ihrer fiebrigen Träume sei. Aber die feuchten, frischen Umschläge, die sie gleich darauf auf ihren Augen spürte, berichtigten schnell den Irrtum. Sie war wirklich wach. Eine dröhnende Stimme mischte sich ein.

»Wach auf, Licht des Morgens, meine kostbare Perle! Wache auf, und schau dir die Herrlichkeit an!«

Cathérine schlug mißtrauisch die Augen wieder auf. Die besagte Herrlichkeit bestand aus einem Bataillon überall im Zimmer kniender Sklavinnen, deren Arme mit vielen Dingen beladen waren. Man bot ihr Seidenstoffe, Musseline aller Farben, goldgefaßten Schmuck aus Steinen von barbarischer Größe, dickbauchige Flaschen mit Parfümen und seltenen Ölen, Vögel mit langem, schönem Gefieder, die wie farbenfunkelnde Juwelen aussahen. Was aber sofort den Blick der neuen Favoritin fesselte, war die überwältigende Gestalt Fatimas, die wie ein Schneider auf einem dicken, auf dem Boden liegenden Kissen saß, die Hände über dem mit brandroter Seide bekleideten Bauch gefaltet, ein breites Lächeln auf ihrem schwarzen Mondgesicht. Sie beobachtete ihr Erwachen mit vergnügter Miene. Über Cathérine gebeugt, befeuchtete eine junge milchkaffeefarbene Sklavin ihr die Augen.

Als die Äthiopierin bemerkte, daß die junge Frau sie ansah, stand sie auf und verneigte sich mit erstaunlicher Behendigkeit, indem sie mit den absurden, in ihrer Frisur steckenden Pfauenfedern über den Boden fegte.

»Was machst du hier?« fragte Cathérine widerwillig.

»Ich bin gekommen, den aufgehenden Stern zu begrüßen, o Herrlichkeit! Auf den Märkten redet man nur von der Vielgeliebten des Kalifen, der seltenen Perle, die entdeckt zu haben ich das Vorrecht hatte …«

»Und du kommst schon am frühen Morgen, um dir deinen Lohn zu holen, nehme ich an?«

Der verächtliche Ton Catherines konnte das Lächeln Fatimas nicht auslöschen. Ganz offensichtlich barst die Negerin vor Freude und ließ sich von nichts anderem beeindrucken.

»Aber nein! Ich bin gekommen, um dir ein Geschenk zu bringen.«

»Ein Geschenk? Von dir?«

»Nicht ganz. Von Abu, dem Arzt! Weißt du, Licht des Morgens, wir haben diese gute Seele schwer verkannt!«

Der Name ihres Freundes vertrieb wie durch einen Zauber Catherines Gleichgültigkeit. In dem Abgrund von Zorn, Schmerz und Ekel, in dem sie sich befand, war der Name Abus etwas Stärkendes, etwas Belebendes für sie. Sie stützte sich auf einen Ellbogen auf und schob die Sklavin beiseite, die etwas weiter entfernt niederkniete. »Was willst du damit sagen?«

Die schwarze Hand Fatimas deutete auf einen großen vergoldeten Korb mit den schönsten Früchten, die Cathérine je gesehen hatte und von denen die meisten ihr unbekannt waren.

»Er ist beim ersten Strahl der Morgensonne gekommen, um mir dies zu bringen und mich zu bitten, in die Alhambra zu gehen und es dir zum Geschenk zu machen.«

»Dich? Er brauchte sich dir gegenüber doch nicht erkenntlich zu zeigen! Du hast ihn doch betrogen, nicht wahr?«

»Das ist es ja, weshalb ich sage, Abu al-Khayr habe eine großmütige Seele. Nicht nur, daß er nichts mehr von mir haben will, ist er mir auch noch sehr dankbar für das, was ich getan habe. Du hast dafür gesorgt, daß ich, ohne es zu wollen, zum Glück meines Kalifen beitrugt, sagte er mit Tränen in der Stimme zu mir und fuhr fort: ›Von nun an wird der Herr der Gläubigen sich in seinen Gebeten Abus des Arztes erinnern, der ihm ein Juwel geopfert hat, ohne einen Preis dafür zu berechnen.‹ Was dich betrifft«, fügte die Äthiopierin redegewandt hinzu, »so bittet er dich, diese Früchte anzunehmen und sie mit Genuß zu essen, damit sie deinem durch dein Glück erschreckten Herzen wieder Mut einflößen, deine Kräfte beleben und dir den Glanz verleihen, der dein Glück dauerhaft machen wird. Diese Früchte, so versichert er, haben geheime Kräfte, aber nur für dich!«

Fatima konnte weiterschwatzen, konnte mit eitler Befriedigung schöne Phrasen dreschen, aber Cathérine hatte schon begriffen, daß diese morgendliche Sendung noch etwas anderes enthielt als Früchte, und wären sie noch so herrlich. Sie zwang sich zu einem Lächeln, von plötzlicher Eile ergriffen, von all diesen Leuten und ganz besonders von Fatima befreit zu werden.

»Danke meinem alten Herrn für seine Großmut. Sage ihm, daß ich nie an seiner Herzensgüte gezweifelt habe und daß ich alles tun werde, das Herz dessen, den ich liebe, auf immer zu erobern. Wenn mir das nicht gelingt, weiß ich zu sterben …«, fügte sie beziehungsvoll hinzu.

Als sie bemerkte, daß ihre Besucherin sich nicht vom Fleck rührte und die Dienerinnen in ihrer Opferhaltung wie festgefroren schienen, rief Cathérine Morayma zu sich, die in diesem Augenblick eintrat, und machte ihr ein Zeichen, sich herunterzubeugen, damit sie leise sprechen konnte.

»Ich bin noch müde, Morayma. Ich möchte gern noch etwas schlafen, um mich zu stärken und noch schöner zu sein, wenn mein Herr wiederkehrt. Ist das möglich?«

»Alles ist möglich, o Rose der Rosen! Du brauchst nur zu befehlen. Man wird dich ruhen lassen, solange du willst! Ich freue mich, daß du so vernünftig bist, so bemüht, zu gefallen! Du wirst es weit bringen!«

Ihre mit Henna gefärbte Hand wies auf die noch verschwollenen Augen der jungen Frau.

»Ein Glück, daß der Herr abwesend ist. So wirst du viel Zeit haben, den Glanz des Glücks wiederzufinden! Hinaus mit Euch!«

»Besuche mich bald wieder, Fatima!« sagte Cathérine zu der dicken Negerin, die sich ziemlich enttäuscht anschickte, den Raum mit den anderen zu verlassen. »Ohne Zweifel werde ich deiner bedürfen und werde immer glücklich sein, dich zu sehen.«

Mehr war nicht nötig, um die noch vor einem Augenblick niedergeschlagenen Pfauenfedern zu ihrer alten arroganten Größe wieder aufzurichten. Geschwollen vor Überheblichkeit und sich schon als Vertraute der Lieblingsfrau, vielleicht sogar der künftigen Sultanin sehend, die dem Kalifen einen Sohn schenkte, rauschte Fatima majestätisch hinaus, hinter sich die Trägerinnen der königlichen Geschenke.

»Schlafe jetzt«, sagte Morayma, die rosafarbenen Musselinvorhänge vor Catherines Bett zuziehend. »Und iß nicht zu viele Früchte«, fügte sie hinzu, als sie sah, daß die junge Frau den Obstkorb zu sich heranzog. »Man wird aufgebläht, wenn man es übertreibt, und was die Folgen betrifft …«

Der Satz blieb unbeendet. Morayma hatte sich plötzlich zu Boden geworfen und blieb so liegen, die Hände ausgebreitet, das Gesicht flach auf dem Teppich. Auf der Schwelle des Gemachs, im graziösen Rahmen eines maurischen Bogens, stand Prinzessin Zobeida.

Ihr gelöstes Haar hing bis zu den Lenden herab, und sie trug lediglich eine Art ärmelloses Negligé aus blaugrünem Brokat, das von einem dicken Goldreif in der Taille zusammengehalten wurde, aber trotz dieses Hauskleids bot ihre zierliche Gestalt ein perfektes Bild reinen Stolzes. Catherines Herz klopfte, als Morayma ihr schnell zuzischelte:

»Steh auf und knie nieder! Es ist die Prinzessin …«

Keine Macht der Welt hätte die junge Frau zwingen können zu tun, was ihr geheißen. Sich niederwerfen vor dieser Wilden, die es wagte, ihr den Gatten zu rauben? Nicht einmal der primitivste Trieb der Selbsterhaltung konnte sie dazu nötigen! Der Haß, den diese Frau in ihr erregte, verbrannte sie. Unbeweglich, nun gerade ihren schönen Kopf stolz hebend, sah sie der anderen zornbebend mit schmalen Augen entgegen.

»Aus Mitleid … für dich und für mich, knie nieder!« zischte Morayma bestürzt, während Cathérine nur verächtlich mit den Schultern zuckte.

Inzwischen war Zobeida ans Bett getreten. Ihre großen dunklen Augen prüften die Liegende mit einer Neugier, die sich zum Zorn steigerte.

»Kannst du nicht hören, was man dir sagt? Du hast dich vor mir niederzuwerfen!«

»Warum? Ich kenne dich nicht!«

»Ich bin die Schwester deines Herrn, Frau, und als solche deine Gebieterin! Du hast dich in meiner Gegenwart nicht über den Staub zu erheben, der du bist! Steh auf und wirf dich nieder!«

»Nein!« sagte Cathérine trocken. »Ich fühle mich wohl hier und habe keine Lust aufzustehen. Aber ich hindere dich nicht, dich zu setzen.«

Sie sah, wie Wut das schöne dunkle Gesicht der anderen verdüsterte, und zitterte einen Augenblick um ihr Leben. Doch nein … Zobeida beherrschte sich. Nur ein verächtliches Lächeln kräuselte ihre roten Lippen.

»Dein Glück steigt dir zu Kopf, Frau, und ich will dir für diesmal vergeben. Aber wisse, daß ich in Abwesenheit meines Bruders hier regiere. Außerdem bist du, liegend oder auf den Knien, immer mir Untertan. Nimm dich in acht, und erweise mir in Zukunft den Respekt, den du mir schuldest, denn das nächstemal könnte ich weniger nachsichtig sein. Heute bin ich gut gestimmt.«

Jetzt war es an Cathérine, ihren aufsteigenden Zorn zu unterdrücken. Gut gestimmt? Wahrhaftig, den Grund dieser Sanftmut konnte sie nur zu gut verstehen. Sie brauchte nur das Negligé Zobeidas zu betrachten, ihr gelöstes Haar, den Schlafrock, den sie sich, aus dem Bett steigend, übergestreift hatte, die blauen Ringe unter den Augen der Prinzessin … wie lange war es her, daß sie sich aus den Armen Arnauds gelöst hatte?

Jäh wurde die drückende Stille vom schallenden Gelächter der Prinzessin unterbrochen.

»Wenn du dich sehen könntest! Du siehst aus wie eine Katze, die im Begriff ist zu kratzen! Tatsächlich, wenn du mir nicht unbekannt wärest, würde ich sagen, du haßt mich. Woher kommst du, Frau mit den gelben Haaren?«

»Ich wurde von berberischen Seeräubern erbeutet und als Sklavin in Almeria verkauft«, leierte Cathérine herunter.

»Das sagt noch nichts über dein Herkunftsland. Kommst du aus dem Frankenland?«

»Jawohl! Ich bin in Paris geboren.«

»Paris! … Die Reisenden, die mein Bruder gern empfängt, berichten, daß es seit neuestem eine durch ihre Wissenschaften und ihren Reichtum unvergleichliche Stadt sei, daß aber der Krieg und Elend sie täglich zerrütteten und verkommen ließen. Ist das der Grund, weshalb ihre Bewohner sich in die Sklaverei begeben?«

»Ich fürchte«, entgegnete Cathérine trocken, »daß du nicht viel von den Angelegenheiten meines Landes verstehst. Ich könnte sie dir übrigens kaum erklären.«

»Spielt keine Rolle! Es interessiert mich nicht! Im Grunde seid ihr, mit einigen Ausnahmen, nur gut dazu, Sklavinnen abzugeben, und ich werde niemals den Geschmack der Männer für eure weiße Haut, eure gelben Haare verstehen. Ihr seid alle reizlos!«

Mit lässiger Grazie richtete sich Zobeida auf und wandte sich, Cathérine den Rücken kehrend, zur Tür. Ehe sie über die Schwelle trat, drehte sie sich noch einmal um.

»Ah! Beinahe hätte ich es vergessen! Hör zu, was ich dir jetzt sage, Frau, und vergiß es ja nicht, wenn du leben willst! Die Laune meines Bruders, die nicht andauert, dessen kannst du sicher sein, hat dich auf den Platz einer Sultanin erhoben und in meiner Nachbarschaft untergebracht. Wenn dir jedoch daran liegt, die Sinne des Kalifen noch einige Nächte zu fesseln, dann nähere dich ja nicht meinen Gemächern. Nur die Frauen in meinen Diensten oder die, welche ich einlade, haben dieses Recht, aber ich dulde nicht, daß eine Fremde, eine Barbarin, sich bei mir einschleicht. Wenn man dich um meine Gemächer herumstreichen sieht, stirbst du!«

Cathérine antwortete nicht. Sie begriff, daß diese Strenge sich besonders gegen die Frau richtete, die aus dem Land Arnauds stammte. Einen Augenblick war sie versucht, was sie dachte, ihrer Rivalin ins Gesicht zu schleudern, hielt sich aber zurück. Was würde es nützen, den gefährlichen Zorn dieser Frau zu erregen? Durch einen Wortstreit mit Zobeida würde sie Arnaud nicht zurückgewinnen. Trotzdem konnte sie sich nicht enthalten zu murmeln:

»Verbirgst du einen Schatz in deinen Gemächern?«

»Du bist zu geschwätzig und zu neugierig, Frau mit dem gelben Haar! Und ich habe jetzt keine Geduld mehr mit dir. Danke Allah, daß ich meinen Bruder nicht betrüben will, indem ich ihm ein Spielzeug zerschlage, dessen er noch nicht überdrüssig ist! Aber zähme deine Zunge und verhülle deine Augen, wenn du beides behalten willst! Blind und stumm wärest du zu nichts mehr nütze! Merke dir: Komme meinen Gemächern nicht zu nahe! Im übrigen … wirst du nicht lange meine Nachbarin bleiben.«

»Warum nicht?«

»Weil du mich enttäuscht hast! Man erzählte sich Wunder im Palais über dich, und ich wollte eine so außergewöhnliche Schönheit sehen, aber …«

Während sie sprach, war Zobeida zu Cathérine zurückgekehrt. Ihre lässige, katzenhafte Haltung erinnerte an ein schwarzes Pantherweibchen. Sie beugte sich jetzt hinunter, und der Herzschlag der jungen Frau setzte aus, als die Prinzessin aus dem Obstkorb einen großen, rosig-flaumigen Pfirsich nahm und mit ihren kleinen, scharfen Zähnen gierig hineinbiß. Da Cathérine nicht wußte, was der Korb genau enthielt, zitterte sie, die andere könne es vor ihr entdecken. War es zwischen den Früchten? … Oder in einer Frucht? Bei Abu al-Khayr konnte man nie wissen. Mit großen Augen sah sie zu, wie Zobeida die Frucht aß, deren Saft ihr an den Fingern herunterrann. Als sie fertig war, warf die Prinzessin den Stein auf Cathérine, als wäre sie ein Abfalleimer, und geruhte, ihren Satz zu beenden.

»Aber du bist gar nicht so schön, wie ich glaubte! Nein, tatsächlich kenne ich Schönere als dich!«

Wieder beugte sie sich nieder, wählte diesmal eine schwarze, violett schillernde Feige und ging endlich lässigen Schrittes hinaus. Es war aber auch Zeit! Außer sich vor Zorn, hatte Cathérine bereits eine große, süße Melone ergriffen und wollte sie als Wurfgeschoß benutzen. Aber der meerfarbene Brokat Zobeidas war schon durch die Tür verschwunden, und die Frucht fiel Cathérine aus den Händen, während Morayma endlich stöhnend aufstand. Während des ganzen Gesprächs war sie auf der Erde liegengeblieben. Zobeida hatte vergessen, ihr zu befehlen aufzustehen. Von der Kühnheit Catherines entsetzt, hatte sie vorgezogen, in Vergessenheit zu geraten, und es war ihr ganz gut gelungen, mit dem dicken Seidenteppich zu verschmelzen. Aber ihre Gelenke schmerzten vom langen Liegen. »Allah!« brummte sie. »Meine Knochen knacken wie Holz im Feuer! Was ist eigentlich in dich gefahren, Licht des Morgens, der furchtbaren Zobeida die Stirn zu bieten? Wirklich, ich wundere mich, daß du noch lebst. Die Prinzessin muß eine schöne Nacht verbracht haben, daß sie sich so großmütig zeigt!«

Diese vielsagenden Worte waren mehr, als Cathérine ertragen konnte.

»Hinaus!« zischte sie zwischen zusammengepreßten Zähnen. »Geh! Geh mir aus den Augen, wenn du nicht willst, daß ich mich beim Kalifen bei seiner Rückkehr über dich beschwere!«

»Was ist denn los?« fragte die alte Jüdin erstaunt. »Ich habe doch nichts Beleidigendes gesagt.«

»Ich will meine Ruhe haben, verstehst du? Ruhe! Verschwinde und laß dich nicht blicken, bis ich dich rufe. Ich habe dir bereits gesagt, daß ich schlafen will. Schlafen, ist das klar?«

»Gut, gut, ich gehe schon …«

Beeindruckt durch den wütenden Ton der neuen Favoritin, hielt Morayma es für das klügste, sich davonzumachen. Allein geblieben mit ihrem Zorn, verschwendete Cathérine indessen keine Zeit, ihm freien Lauf zu lassen. Sie zog den Fruchtkorb zu sich heran und machte sich daran, ihn zu leeren, indem sie die Früchte auf ihr Bett häufte. Es war eine ganz schöne Menge, und sie mußte bis zum Boden hinunterfassen, um zu finden, was sie suchte, ohne zu wissen, was es sein könnte. Abu al-Khayr war ein vorsichtiger Mann.

Neben der vergoldeten Korbwand fand Cathérine drei Dinge, deren eines ihr einen Freudenschrei entlockte: ihren teuren Dolch, den treuen Gefährten ihrer schwierigsten Tage. Die anderen Gegenstände waren ein Arzneifläschchen in einem Silberetui und ein Brief, den sie durchflog.

»Wenn der Reisende in einen tiefen Wald eindringt, wo wilde Tiere drohend knurren, braucht er eine Waffe, um sein Leben zu verteidigen. Du hast eine große Dummheit begangen, indem du dich ohne meinen Rat entferntest, denn ich hatte dir ein weniger glanzvolles … aber auch weniger exponiertes Schicksal gewünscht. Doch wer sich gegen den Willen Allahs aufbäumen will, ist ein Wahnsinniger, und du bist nur deinem Schicksal gefolgt. Deine Diener wachen aus der Ferne über dich. Josse hat in die Wache des Wesirs eintreten können. Er ist jetzt in der Alkazaba einquartiert, neben dem Palast. Doch Gauthier hat große Mühe, den stummen Diener zu spielen, der er an meiner Seite zu sein hat. Er folgt mir überallhin, und ich gedenke dem Herrn der Gläubigen zahlreiche Besuche abzustatten, wenn er zurück sein wird. Bis dahin überstürze nichts. Auch die Geduld ist eine Waffe.

Das Fläschchen enthält ein schnell wirkendes Gift. Der Weise ist stets auf einen Fehlschlag vorbereitet … und die mongolischen Henkersknechte der Prinzessin verstehen es zu gut, Symphonien des Leidens auf den armen menschlichen Harfen zu spielen …«

Darunter stand natürlich keine Unterschrift. Schnell verbrannte Cathérine den Brief auf den Kohlen der großen bronzenen Räucherpfanne in der Mitte des Zimmers. Zwar war der Brief in französischer Sprache geschrieben, aber dieser Palast barg zu viele Überraschungen, als daß man ihn nicht vernichten mußte … Cathérine sah zu, wie das Baumwollpapier sich bog, schwarz wurde und sich dann in feine Asche verwandelte. Jetzt fühlte sie sich unendlich besser, der Geist war freier und leichter. Nachdem sie nun bewaffnet war, schienen ihr die Chancen besser verteilt, da sie die Macht hatte, die arrogante Zobeida niederzustoßen und so endgültig den Armen Arnauds zu entreißen, selbst wenn sie ihm darauf in den Tod folgen müßte. Den kalten Stahl der Waffe an ihr Herz drückend, legte Cathérine sich wieder in ihre Kissen zurück. Sie mußte überlegen, wie sie weiter vorgehen sollte.

12

Auf einem riesigen gestickten Lederkissen sitzend, schlürfte Marie, die junge französische Odaliske, mit katzenhafter Anmut einen Rosensorbett. Schweigend betrachtete sie Cathérine, die, auf dem Bauch liegend, das Kinn in die Hand gestützt, düster ihrem Schicksal nachsann. Zu dieser Stunde der Siesta hatten sich Schweigen und Ruhe über das ganze Palais gesenkt. Nur die Sklavinnen, deren Aufgabe es war, riesige Federfächer über den schönen Schlafenden hin und her zu bewegen, rührten sich ein wenig. In der heißen Luft draußen schienen selbst die Pflanzen versteinert.

Zobeidas Besuch vor drei Tagen hatte alle Pläne Catherines zunichte gemacht. Nicht zufrieden damit, daß sie ihr jede Annäherung an ihre Gemächer verbot, hatte die Prinzessin noch besondere Vorkehrungen bezüglich ihrer Nachbarin getroffen. Als nämlich die junge Frau ihr Gemach hatte verlassen wollen, um sich mit ihren Dienerinnen in den Garten zu begeben, hatten sich plötzlich zwei Lanzen vor ihr gekreuzt, und eine gutturale Stimme hatte ihr den Befehl erteilt, in ihr Zimmer zurückzukehren. Und als sie gegen dieses erzwungene Klosterleben aufbegehrte, hatte der mit ihrer Überwachung besonders betraute Eunuch ihr bedeutet, daß die kostbare Favoritin während des Kalifen Abwesenheit Tag und Nacht bewacht werden müsse, aus Furcht, es könne ihr etwas zustoßen.

»Zustoßen? In diesem Garten?«

»Die Sonne brennt heiß, das Wasser ist gefährlich, die Insekten stechen, und die Viper bringt den Tod!« hatte der Schwarze gleichmütig erwidert. »Die Befehle sind klar. Du mußt in deinen Gemächern bleiben.«

»Bis wann?«

»Bis der Herr zurückkehrt.«

Cathérine hatte nicht weiter darauf bestanden. Zudem hatte die seltsame Fürsorge Zobeidas etwas Beunruhigendes, denn sie machte sich keine Illusionen über die Gefühle, die die Prinzessin ihr gegenüber hatte: Ohne sie zu kennen, haßte Zobeida sie, zweifellos instinktiv, so unbändig, wie nur sie es konnte. Warum also diese aufmerksame Bewachung, diese strengen Anweisungen? Zobeida konnte die Bande nicht ahnen, die sie an Arnaud fesselten. Sie war für die stolze Prinzessin nur eine Sklavin mehr, eine Frau wie die anderen, selbst wenn die Laune des Fürsten sie einen Augenblick über ihresgleichen erhob. Fürchtete sie etwa, daß ihr Gefangener, wenn er von der Neuen nur erführe, sich zu sehr für sie interessierte? Genügte die Tatsache allein, daß Cathérine demselben Volk wie Arnaud angehörte, um ihr Vorgehen zu begründen? Die einfache Furcht vor den Henkern müßte normalerweise doch ausreichen, die Favoritin den Gemächern der Prinzessin fernzuhalten …

Seit drei Tagen hatte Cathérine gegrübelt, um auf alle diese Fragen eine Antwort zu finden, aber vergebens. Als sie Morayma ausfragte, war sie merkwürdig zurückhaltend geworden. Sie duckte sich, schien sich so klein wie möglich machen zu wollen, und wenn sie die Augen zu Cathérine hob, dann mit einem aus Hoffnung und unüberwindlicher Furcht gemischten Blick. Ihre Besuche waren bemerkenswert kurz. Sie kam, um sich nach den Wünschen der jungen Frau zu erkundigen, und verschwand wieder mit sichtlicher Eile. Cathérine begriff nicht mehr, was um sie herum vor sich ging, aber die Furcht vor der Nachricht, daß Zobeida und infolgedessen auch Arnaud nach den fernen Ländern des Maghreb aufgebrochen seien, zerrte allmählich an ihrer Widerstandskraft und an ihren Nerven. Besonders die Nächte, in denen ihre wirre Phantasie sich ihrer Eifersucht bemächtigte, waren unerträglich, und Cathérine war bereits an dem Punkt angelangt, sich Hals über Kopf in die größte Dummheit zu stürzen, die ihr in den Sinn käme, als am Morgen des vierten Tages Marie-Aicha traditionsgemäß tief verschleiert, aber lächelnd gekommen war.

»Ich habe mir gedacht, daß du dich langweilst«, hatte sie zu der jungen Frau gesagt, den Schleier zurückschlagend, »und Morayma hat mir nur geringe Schwierigkeiten gemacht, dich hier aufzusuchen.«

»Haben die Eunuchen dich passieren lassen?«

»Warum denn nicht? Sie haben Befehl, dich am Ausgehen zu hindern, aber Besuche kannst du empfangen.«

Die Anwesenheit Maries tat Cathérine gut. Es war eine freundschaftliche Atmosphäre, und außerdem kam das junge Mädchen aus demselben Land wie sie: aus Burgund. Verblüfft hatte Cathérine, als sie sich ihre Geschichte anhörte, entdeckt, daß diese der ihren sehr ähnelte. Das hübsche junge Mädchen aus den Weinbergen von Beaune hatte das Pech gehabt, die Aufmerksamkeit eines Sergeanten Herzog Philippes zu erregen. Dieser Mann, der sich der Gunst seines Herrn erfreute, hatte verlangt, daß Marie Vermeil ihm angetraut werde, und in das Häuschen von Beaune war der Befehl geflattert, die Hochzeit vorzubereiten. Marie hätte die Sache vielleicht mit philosophischem Gleichmut hingenommen, denn der Sergeant Colas Laigneau war ein ganz hübscher Junge, wenn sie nicht seit langem schon in ihren Vetter Jehan Goriot verliebt gewesen wäre, dem sie Treue und Liebe geschworen hatte.

Jehan war ein ziemlich übles Subjekt, immer knapp an Geld, aber nie knapp an Mädchen und von fabelhaften Abenteuern träumend. Er war nicht auf den Mund gefallen, hatte eine blühende Phantasie, und Marie wurde durch seine Nähe angeregt. Trotz seiner zahlreichen Treulosigkeiten betete sie ihn an, so wie er war, und als ihr der Befehl des Herzogs überbracht worden war, Colas zu heiraten, hatte Marie den Kopf verloren und Jehan angefleht, sie zu entführen und mit ihr in jene südlichen Länder voll Sonne und Blumen zu fliehen, von denen er ihr dauernd erzählte, seit ein durchreisender Minnesänger ihm von ihnen geschwärmt hatte.

Auf seine Art liebte Jehan Marie. Sie war schön und klug. Er begehrte sie heftig, und der Gedanke, sie zu entführen, besonders, wenn er sie dadurch einem anderen wegschnappte, behagte ihm durchaus. Aber dazu brauchte man Geld. Und so begingen sie ihre schlechte Tat: Marie hatte sich die Hälfte der Ersparnisse ihres Vaters ausgeborgt, ohne es ihm natürlich zu sagen, während Jehan das Haus des Pächters plünderte, der auf seinen Landbesitz in Meursault gereist war. In derselben Nacht, einer sehr dunklen Nacht, waren die beiden Liebenden in Richtung der Saône geflohen, um nicht mehr wiederzukehren. Doch Marie, die geglaubt hatte, dem Glück entgegenzureisen, wurde bald eines Besseren belehrt.

Gewiß, Jehan hatte sie die Liebe gelehrt, und sie hatte Geschmack daran gefunden, aber indem sie sich ihm gab, hatte Marie allmählich jeden Wert in den Augen ihres Geliebten verloren. Und da sie ihn zu sehr liebte, wurde sie ihm schließlich lästig. Überdies lockten den Jungen die schwarzäugigen Schönen des Südens, so daß er bald nur noch einen Gedanken im Kopf hatte: sich Maries zu entledigen, die nicht aufhörte, von Heirat zu sprechen. Und dazu hatte er sich das niederträchtigste, gemeinste Mittel ausgesucht, das sich denken ließ: Mit der frischen Schönheit seiner Verlobten rechnend, hatte er sie an einen griechischen Händler aus Marseille verkauft, der das junge Mädchen nachts entführt, auf sein Handelsschiff gebracht und es auf dem Sklavenmarkt von Alexandrien dem Lieferanten Sarrazin des Kalifen von Granada weiterverkauft hatte.

»Und so bin ich hierhergekommen«, schloß Marie schlicht. »Meine Entscheidung habe ich sehr bald bereut … und das Haus meiner Eltern vermißt. Dieser Colas war vielleicht gar nicht so übel. Ich hätte glücklich mit ihm werden können!«

»Und Jehan?« hatte Cathérine leidenschaftlich gefragt.

Die klaren Augen der Kleinen hatten mörderisch gefunkelt. »Wenn ich ihn eines Tages treffe, töte ich ihn!« versicherte sie so ruhig, daß Cathérine keinen Augenblick an dieser Erklärung zweifelte. Worauf sie, durch das Vertrauen ermutigt, das Marie ihr bezeigt hatte, ihrerseits ihrer neuen Freundin ihre Geschichte erzählte.

Es hatte lange Zeit in Anspruch genommen, aber Marie hatte sie von Anfang bis Ende angehört, ohne sie zu unterbrechen. Erst als die junge Frau ihren Bericht beendet hatte, seufzte Marie:

»Was für eine fabelhafte Geschichte! Also ist der geheimnisvolle Franke Euer Gatte? Und ich hielt dich … hielt Euch für ein armes Mädchen wie mich. Jetzt weiß ich, wo ich Euch gesehen habe: in Dijon, wohin mein Vater mich zur Messe mitnahm. Ich war noch sehr jung, aber ich habe die betörende Erinnerung an eine wunderbar schöne und wie die Sonne prächtige Dame nicht vergessen.«

»Du wirst finden, daß ich mich verändert habe!« bemerkte Cathérine etwas bitter. »Und es gibt gar keinen Grund, ›Ihr‹ zu mir zu sagen. Heute gibt es keine Schranke mehr zwischen uns.«

»Verändert?« meinte die Kleine ernst. »Gewiß, ihr habt Euch verändert, aber damals war Euer Schmuck fast im Wege, um Eure Schönheit wirklich schätzen zu können. Jetzt ist sie viel augenscheinlicher. Ihr seid anders, das ist alles!«

»Ich flehe dich an«, bat Cathérine artig, »behandle mich nicht wie eine große Dame! Einfach als Freundin, ich habe wirklich eine nötig.«

Worauf Marie freudig zugestimmt hatte, das zeremonielle Ihr beiseite zu lassen, und das Eis zwischen den beiden jungen Frauen war endgültig gebrochen, denn sie hatten sich als Komplicen gefunden, fast so eng wie durch Blutsbande miteinander verbunden. Marie, Cathérine mit Leib und Seele ergeben, wurde ihre Verbündete in Freud und Leid.

»Versprich mir, mich mitzunehmen, wenn du fliehst, und ich werde alles tun, um dir zu helfen! Du mußt unter Zobeida ja sehr leiden.«

»Wenn ich diesen Palast und diese Stadt verlasse, kommst du mit, ich schwöre es dir.«

Dann hatte das junge Mädchen ihrer neuen Freundin einige höchst interessante Dinge mitgeteilt.

»Du bist in Gefahr«, sagte sie zu ihr. »Wenn der Kalif nicht zurückkehrt, wirst du keine Stunde mehr leben.«

»Warum sollte er nicht zurückkehren?«

»Weil Haben-Ahmed Banu Saradj, der Großwesir, ihn fast ebenso haßt, wie er Zobeida begehrt, deren Liebhaber er vor der Ankunft des fränkischen Ritters war. Er will sich außerdem des Throns bemächtigen, um ihn mit der Prinzessin zu besteigen … und dieser sogenannte Aufmarsch Yusufs, des alten Kalifen und Vater Mohammeds, gegen seinen Sohn besagt gar nichts. Die beiden Männer lieben sich nicht, aber Yusuf ist der Macht überdrüssig. Es bedarf schon der Naivität seines Sohnes, um zu glauben, daß er einen Thron wieder einzunehmen wünscht, den er aus freien Stücken aufgegeben hat. Der Naivität und der Einflüsterungen Banu Saradjs … Ich fürchte sehr, daß der Herr in einen wohlvorbereiteten Hinterhalt geraten ist.«

»Dann«, sagte Cathérine erblassend, »bin ich also verloren?«

»Noch nicht! Mohammed ist zwar naiv, aber tapfer. Er ist ein Krieger, er kann sich durchschlagen. Deshalb begnügt sich Zobeida damit, dich bewachen zu lassen. Wenn ihr Bruder zurückkehrt, hat sie, wenn auch vielleicht etwas zu fürsorglich, über die Favoritin ihres vielgeliebten Bruders gewacht. Und wenn die Nachricht vom Tod des Kalifen hier eintrifft, lebst du keine Stunde länger!«

»Warum? Was habe ich getan?«

»Du nichts. Aber Zorah, die Ägypterin, hat dich aufs Korn genommen. Sie ist bei der Prinzessin wohlgelitten, der gegenüber sie immer eine widerliche Unterwürfigkeit an den Tag gelegt hat. Und da Zorah deinen Tod um jeden Preis will, hat sie Phantasie bewiesen … ich möchte sagen, fast Genialität, denn sie hat, ohne es zu wissen, die Wahrheit entdeckt!«

»Was willst du damit sagen?«

»Daß eine einzige Person es wagt, sich dem Kalifen zu widersetzen: Zobeida. Du mußtest sie dir zur erbarmungslosen Feindin machen. Dazu gab es ein Mittel: ihre Eifersucht auf alles, was mit dem fränkischen Kriegshelden zusammenhängt. Zorah machte sich die Tatsache zunutze, daß du aus demselben Land stammst, und hat der Prinzessin eingeflüstert, du seist in ihren Gefangenen verliebt und wolltest dich ihm nähern!«

Cathérine stieß einen Entsetzensschrei aus, erstickte ihn aber sofort mit zitternder Hand.

»Das hat sie gesagt? Mein Gott, dann bin ich verloren! Wie kommt es, daß ich nicht schon …«

»… den mongolischen Henkern ausgeliefert worden bin? Das genau hat Zorah gehofft, da sie Zobeidas Temperament kennt. Aber die Prinzessin ist nicht verrückt: Dich während seiner Abwesenheit zu töten, dich, in die sich der Kalif auf den ersten Blick so leidenschaftlich verliebt hat, hieße ihre Mitwirkung am Komplott Banu Saradjs eingestehen, hieße offen verkünden, daß sie hoffe, ihn nicht mehr lebend wiederzusehen. Wenn er wiederkehrt, wird er dich unversehrt antreffen, doch sei gewiß, daß du dich seiner Zärtlichkeiten nicht mehr lange erfreuen wirst. Die Henker wirst du nicht zu fürchten brauchen, aber es wird dir ein Unfall zustoßen, der so gut getarnt ist, daß Zobeida nicht in Verdacht gerät. Sie kennt ihren Bruder und weiß, daß er unter dem äußeren Anschein eines sanftmütigen Dichters einen Hang zur Wildheit verbirgt, der ihrem eigenen ebenbürtig ist. Seine Zornesausbrüche sind selten, aber gefährlich. Und sein Verlangen nach dir muß heftig sein … wenn man dem hier glauben darf!«

Marie deutete auf einen mit Saphiren besetzten Samtüberzug, in dem sich eine Papierrolle mit Gedichten befand, die Mohammed seiner Vielgeliebten geschickt hatte. In den letzten Tagen hatte Cathérine auf diese Weise einen mit einer Schnalle aus großen rosafarbenen Perlen zusammengehaltenen weißen Federbusch, einen goldenen Käfig mit blauen Papageien und ein außerordentliches Kunstwerk erhalten: einen massiv-goldenen Pfau, dessen ganz mit Edelsteinen besetzter Schweif sich fächerartig ausbreitete.

»Das ist übrigens sehr beruhigend«, schloß Marie. »Es beweist zumindest, daß der Herr der Gläubigen noch am Leben ist … gebe Allah, daß er es behält!«

Die Sklavinnen trugen das Mahl herein, und die beiden Frauen hatten ihr vertrauliches Gespräch unterbrochen. Während Marie jedoch den zahlreichen Gerichten, die man ihr vorsetzte, freudig zusprach, verfiel Cathérine in tiefes Sinnen, das zu stören sich Marie wohl hütete. Die Lage war noch schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatte. Jeden Augenblick konnte die Nachricht vom Tode Mohammeds eintreffen … und dann! … Gott allein wußte, wie viele Minuten ihr noch zu leben blieben. Sie hätte nicht einmal mehr die Möglichkeit, Arnaud zu benachrichtigen, und sie würde ganz in seiner Nähe sterben, ohne daß er es ahnte. Und was ihre Freunde betraf, wie konnte sie sie zu Hilfe rufen? Josse, der in die Truppe des Kalifen eingetreten war, befand sich in Gefahr, aber wie sollte sie ihm Nachricht geben? Konnte sie Fatima rufen lassen und ihr einen Brief an Abu al-Khayr anvertrauen? Würde der Brief ankommen? Und immer kehrte dieselbe quälende Frage wieder: Würde sie noch Zeit dazu haben?

Marie, die ihren Sorbett ausgetrunken hatte, machte sich eben daran, große, zuckrig glänzende Datteln zu knabbern, fest entschlossen, Catherines Überlegungen nicht zu unterbrechen, als diese sich ihr jäh zuwandte und ihr offen in die Augen blickte. »Da es nun so ist«, erklärte sie ruhig, »habe ich keinen Augenblick zu verlieren. Ich muß noch heute handeln.«

»Was wirst du tun?« Cathérine antwortete nicht sofort.

Ehe sie die entscheidenden Worte sprach, gewährte sie sich noch eine letzte Bedenkzeit, weil es schließlich ihr Leben war, das sie aufs Spiel setzen würde, und weil dieses Mädchen ihr noch vor drei Stunden fast unbekannt gewesen war. Aber die kleine Marie sah sie mit so offenen, treuherzigen Augen an, daß die leichte Voreingenommenheit, die Cathérine noch beherrschte, rasch verflog. Wenn sie dieser Kleinen kein Vertrauen schenken konnte, dann konnte sie an keinen Menschen mehr glauben. Außerdem drängte die Zeit. Sie entschloß sich. »Ich muß hier heraus, muß meinen Gatten sprechen …«

»Das ist klar. Aber wie? Es sei denn …«

»Es sei denn?«

»Wir tauschen unsere Kleider, und du gehst an meiner Statt. Dieses Gewand hat sein Gutes: Um zu wissen, wer wirklich in dem Schleierbündel steckt, muß man schon sehr ausgekocht sein. Außerdem haben wir dieselbe Hautschattierung, und wenn du die Lider senkst, sieht man die Augenfarbe nicht.« Catherines Herz schlug stärker, aber auch regelmäßiger. Marie hatte es geahnt und schlug ganz natürlich vor, was sie von ihr zu erbitten noch gezögert hatte. Sie nahm die Hand der Kleinen. »Bist du dir darüber klar, Marie, daß du in dieser Sache dein Leben riskierst? Wenn jemand kommt, während ich fort bin …«

»Dann werde ich sagen, du hättest mich überwältigt und gefesselt. Es ist nicht schwer, hier jemand zu fesseln. An feinen und festen Geweben fehlt es nicht. Wenn jemand kommt, werde ich gedeckt sein … oder beinahe. Wenn niemand kommt, wirst du mich losbinden, wenn du zurückkehrst, und alles ist in Ordnung!«

»Wie willst du meine Abwesenheit erklären, wenn Morayma hereinkommt?«

»Ich werde sagen, du ersticktest hier und wolltest unbedingt frische Luft schöpfen.«

»Und dazu habe ich dich gefesselt und dir die Kleider abgenommen?«

»Warum nicht? Wenn du die unwahrscheinlich verrückten Ideen kennen würdest, welche die Langeweile den Frauen in diesem Harem eingibt, wüßtest du, daß Morayma nichts mehr erstaunen kann! Trotzdem, nimm dich in acht. Was du vorhast, ist außerordentlich gefährlich. Mit dem fränkischen Ritter sprechen zu wollen bedeutet, den Tod zu suchen. Wenn Zobeida dich überrascht, kann dich nichts, nicht einmal der Gedanke an den Zorn ihres Bruders, vor ihrer Wut retten. In solchen Augenblicken ist sie taub und blind allem anderen gegenüber.«

»Um so schlimmer! Wer nichts riskiert, bekommt nichts. Was mir aber Sorge macht, ist, wie ich an den Wachtposten vorbeikommen soll. Der Privatgarten Zobeidas liegt auf der anderen Seite ihrer Gemächer, nicht wahr? Und ich habe sagen hören, daß mein Gemahl dort einen abgesonderten Pavillon bewohnt.«

»In der Tat. Man nennt ihn das Prinzenpalais, weil er für einen Bruder des Sultans Mohammed V. erbaut worden ist. Er steht am Rande eines Bassins mit blauem Wasser. Der fränkische Herr verläßt ihn nur, um auf die Jagd zu gehen … und das nur unter guter Bewachung. Zobeida hat zu große Angst, daß das Heimweh nach seinem Geburtsland schwerer wiegen könnte als ihre Reize, und hat den Großwesir zu seinem bevorzugten Aufseher gemacht.«

»Ich dachte, er sei in sie verliebt?«

»Grausamkeit nach Art Zobeidas. Banu Saradj verabscheut seinen Nebenbuhler und hofft ohne Zweifel, sich seiner entledigen zu können, wenn er erst einmal Sultan ist, aber im Augenblick ist ihm nichts wichtiger, als seiner Prinzessin zu Gefallen zu sein. Sie könnte sich keinen besseren Wächter aussuchen und weiß es sehr gut. Aber zurück zu unserem Plan. Es ist nicht so schwierig, in Zobeidas Garten zu gelangen. Nahe meinem Gemach gibt es eine kleine Pforte, die immer verschlossen ist, die man aber mit einem Eisenplättchen und etwas Geschicklichkeit aufbrechen kann. Sie führt in die Gärten. Eine Mauer trennt den Garten Zobeidas ab, aber sie ist ziemlich niedrig, und jeder Behende kann sie leicht übersteigen, indem er sich an den Ästen der an ihr stehenden Zypressen festhält. Du müßtest es schaffen, nach all deinen Abenteuern.«

»Schaff ich auch. Aber warum flieht mein Gemahl nicht, wenn die Mauer so leicht zu überwinden ist?«

»Weil das Prinzenpalais von den treuesten Eunuchen Zobeidas streng bewacht wird. Sie sind zahlreich, blind ergeben, und ihre Krummschwerter sind scharf.«

Das klang offensichtlich nicht beruhigend. Cathérine ließ indessen die besorgniserregenden Einzelheiten beiseite und machte sich daran, sich genau über den zu verfolgenden Weg klarzuwerden, um zuerst das Zimmer Maries zu erreichen, ohne Neugier zu erwecken, dann von da aus die berühmte kleine Pforte, die die junge Odaliske ihr eingehend beschrieb. »Man würde sagen, daß du sie gut kennst!« bemerkte Cathérine.

»In den Gärten des Kalifen wachsen besonders saftige, riesige Pflaumen, die nur seinem Tisch vorbehalten sind … und ich bin doch so schrecklich gefräßig!«

Cathérine mußte lachen. Die beiden Freundinnen plapperten weiter, drauf wartend, daß der Tag sich neigte.

Denn der Plan, den sie ausgeheckt hatten, ließ sich nicht im vollen Sonnenlicht ausführen, und Cathérine, die es um so eiliger hatte, zu ihrem Gatten zu gelangen, als jede Nacht ihr Qualen bereitete, kamen die Stunden unendlich lang vor.

Sie wußte nur zu genau, wie Zobeida ihre Nächte verbrachte. Mit wahrer Erleichterung sah sie die Dämmerung hereinbrechen. Als die Sklavinnen mit den Abendgerichten erschienen, befahl sie ihnen, alles hinzustellen und zu verschwinden.

»Wir kommen wieder, um dich zu Bett zu bringen, Herrin«, sagte die Obersklavin.

»Nein. Ich gehe allein schlafen. Meine Freundin wird noch einen Augenblick bei mir bleiben. Wir wollen, daß man uns in Ruhe laßt. Teile Morayma vorsorglich mit, daß ich sie von ihrem Abendbesuch entbinde. Ich brauche nichts als Ruhe. Du kannst einen Teil der Lampen löschen. Das viele Licht schmerzt mich.«

»Wie du willst, Herrin! Ich wünsche dir eine angenehme Nacht!«

Sobald die Sklavinnen gegangen waren und die beiden Frauen in sanftem Halbschatten zurückgelassen hatten, aßen sie ein paar Hammelklöße und Honigkuchen und machten sich dann an die Ausführung ihres Plans. Marie schlüpfte aus ihren Kleidern und reichte sie Cathérine, die ihr ihre Gewänder gab. Sie hatten ungefähr die gleiche Figur, doch Cathérine war ein wenig kleiner. Sie mußte den Gürtel der Hose aus nachtblauem Musselin, die Marie getragen hatte, um die Taille enger schnüren. Dann zerrissen die beiden Frauen die langen Schleier und machten daraus Fesseln, mit denen Cathérine ihre Freundin festband, nachdem diese sich in ihr Bett gelegt hatte.

»Vergiß nicht, mich zu knebeln«, betonte Marie. »Sonst sieht es nicht überzeugend aus!«

Mit einem Seidenschal war das schnell zu bewerkstelligen, doch ehe ihre Gefährtin ihr den Mund schloß, empfahl Marie:

»Bleibe auf jeden Fall verschleiert, selbst wenn der Schleier dir beim Übersteigen der Mauer hinderlich ist. Wenn du dein Gesicht nicht zeigst, wird die Sache weniger ernst werden, falls man dich erwischt. Nicht viel weniger natürlich, aber du mußt alle Chancen zu deinen Gunsten nutzen. Und nun, Gott befohlen!«

»Das wünsche ich dir auch, Marie. Sei beruhigt, ich werde das Versprechen, das ich dir gegeben habe, halten, es sei denn, ich stürbe!«

»Das versteht sich von selbst. Steck mir jetzt den Knebel in den Mund!«

Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß die Gefangene trotz allem nicht zu schlecht versorgt war, denn ihre Gefangenschaft konnte mehrere Stunden dauern, beugte Cathérine sich zu ihr hinunter, küßte sie auf die Stirn und sah Maries Augen im Schatten blitzen. Dann zog sie sorgsam die rosafarbene Bettdecke über sie und trat ein paar Schritte zurück, um die Wirkung zu prüfen. Die leichte feine Seidendecke reichte Marie bis zur Nase, und im Halbdunkel des Zimmers war die Täuschung vollkommen.

Cathérine hüllte sich in den blauen Schleier ihrer Freundin. Darunter trug sie nichts als die Hose und ein Jäckchen mit kurzen Ärmeln, das ihre Brüste gerade bedeckte und unter ihnen abschloß. Trotz des Schleiers konnte sie sich frei genug bewegen, und nachdem sie Marie noch ein Lebewohl zugeflüstert hatte, ging sie festen Schrittes zur Tür.

Instinktmäßig kreuzten die Wachen die Lanzen, aber sie murmelte, so gut sie konnte, die Stimme des jungen Mädchens nachahmend:

»Ich kehre zurück. Laßt mich passieren, ich bin Aicha!«

Einer der Eunuchen wandte ihr sein großes schwarzes Gesicht mit der plattgedrückten Nase zu und grinste.

»Ziemlich spät, Aicha! Was macht die Favoritin?«

»Sie schläft«, antwortete Cathérine, beunruhigt über diese unerwartete Frage. »Laßt mich durch.«

»Ich muß mich vergewissern, daß du nichts bei dir trägst«, sagte er, seine Lanze an die Mauer lehnend. »Die Favoritin hat wunderbare Schätze bekommen …«

Die schwarzen Hände machten sich daran, sie mit einer Beharrlichkeit und Taktlosigkeit zu betasten, die die empörte junge Frau zweifeln ließen, ob dieser Schwarze seine ganze Männlichkeit verloren hatte. Sie wußte bereits, daß es bei diesen widerwärtigen Wesen unvollkommene Entmannungen gab, die noch merkwürdige Lüste übrigließen. Der da mußte zu dieser Kategorie gehören. Doch als er ihren Gürtel aufschnallen wollte, um seine Untersuchungen weiter unten fortzuführen, brauste sie auf.

»Laßt mich zufrieden! Sonst rufe ich.«

»Wen? Mein Kamerad ist taubstumm und verabscheut die Frauen.«

»Die Favoritin!« sagte Cathérine keck. »Sie ist meine Freundin. Wenn ich sie rufe, wird sie kommen, und dann geht's dir schlecht! Sie wird bestimmt deinen Kopf vom Kalifen fordern, der ihr eine so bescheidene Bitte nicht abschlagen wird.«

Mit Befriedigung sah sie das schwarze Gesicht vor Furcht grau werden. Der Eunuch ließ von ihr ab, nahm seine Lanze und zuckte die Schultern.

»Wenn man nicht mal ein bißchen scherzen darf … Geh deines Wegs und schnell! Es wird sich finden …«

Sie ließ es sich nicht zweimal sagen und schlug, den Schleier wieder um sich drapierend, den Weg in den Schatten des Innenhofes ein. Ohne zu zögern, durchquerte sie den Garten, ging unter einem Wachtturm hindurch und befand sich im Herzen des Harems, im Saal der Zwei Schwestern, so genannt nach den beiden Zwillingsfliesen, die die mittlere Verzierung bildeten. Hier begann die Gefahr, denn mehrere Frauen waren in diesem rot-blau-gold spiegelnden Saal versammelt, der wie eine unterseeische Grotte unter luftigen Kuppeln schimmerte. Auf Kissen, Teppichen oder Diwanen ausgestreckt, plauderten sie, knabberten Süßigkeiten oder schlummerten. Einige schliefen dort, weil sie kein eigenes Zimmer hatten. Das Ganze bot ein prächtiges, warmes und farbiges Bild.

Zur großen Erleichterung Catherines beachtete sie niemand. Wenn die eine oder andere von ihnen nicht zum Kalifen gerufen wurde, interessierten sich die Frauen des Harems nicht dafür, was ihre Gefährtinnen machten. Ihr Leben verlief völlig gleichartig, enthielt nichts als Gleichgültigkeit und Langeweile. Cathérine ging durch den Saal und wiederholte unaufhörlich im Geist Maries Hinweise, die verhüten sollten, daß sie sich verliefe und den Anschein erwecke, als sei sie mit der Örtlichkeit nicht gewohnheitsmäßig vertraut. Es genügte, die Säulenkolonnaden entlangzugehen. Dahinter öffnete sich das Juwel der Al Harra im allgemeinen und des Harems im besonderen, ein Traum aus weißem, gemeißeltem Marmor um einen von zwölf Löwen bewachten Brunnen, aus deren Mäulern blitzende Wasserstrahlen in die durch den roten, grün-golden emaillierten Boden gezogenen Abflußgräben sprühten. Riesige Orangenbäume umstanden den Innenhof, dessen Stille nur durch das Plätschern der Springbrunnen und das sanfte Geräusch des unaufhörlich über den Rand des Marmorbeckens fließenden Wassers unterbrochen wurde. Das Ganze war von einer solchen Schönheit, daß Cathérine, in größtes Erstaunen versetzt, sich trotz ihrer Eile einen kurzen Aufschub gönnte, um es zu bewundern. Einen Augenblick stellte sie sich vor, mit Arnaud allein an einem so wundervollen Ort sein zu können … Wie schön es sein müßte, hier zu lieben, dem Murmeln der Springbrunnen zu lauschen und schließlich unter diesem samtenen Himmel einzuschlafen, der das sanfte Licht seiner großen Sterne auf die glänzenden, vielfarbigen Ziegel der Galerien warf.

Aber Cathérine war nicht da, um zu träumen. Sie schüttelte ihre Verzauberung ab und schritt langsam, ohne das geringste Geräusch zu machen, durch die luftigen Arkaden. Keine Seele atmete in dem Hof, in dem die Löwen auf ihren steifen Pranken schweigend und wassersprühend Wache standen. Das Zimmer Maries lag auf dieser Seite. Sie fand es mühelos, hütete sich aber wohl einzutreten. Statt dessen tauchte sie in den tiefen, farblosen Schatten, machte sich, so gut es ihr möglich war, unsichtbar und fand schließlich die kleine Gartenpforte.

Es war dunkel. Der schwache Lichtschein einer ziemlich entfernt hängenden Öllampe machte es schwierig für die junge Frau, das Schloß zu finden. Sie tastete, wurde nervös, weil sie es nicht sofort fand. Wie konnte man diese Pforte öffnen, wenn man nichts sah? Doch langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel. Sie konnte die Umrisse des Schlosses besser unterscheiden, drückte die schmiedeeiserne Klinke herunter und setzte dann die Spitze ihres Dolches, den sie in ihrem goldbestickten Gürtel versteckt hatte, an dem ziemlich primitiven Schloß an. Und schließlich stellte sie mit Freuden fest, daß es nachgab. Das Zedernholztürchen öffnete sich geräuschlos, öffnete sich auf die großen, in der Nacht schlummernden Gärten. Flink glitt Cathérine hinaus. Die Umgebung war menschenleer, und sie empfand Vergnügen, auf den weichen Sand der Alleen zu treten. Bald tauchten die Zypressen und die niedrige Mauer auf, die den Privatbesitz Zobeidas abschloß und erst kürzlich gebaut worden sein konnte, zweifellos des fränkischen Ritters wegen. Das Hinübersteigen war spielend leicht für die junge Frau. Sie war noch ebenso geschmeidig, so behende wie zu der Zeit, als sie als junges Mädchen mit ihrem Freund Landry Pigasse durch Paris gebummelt und auf den Mauern der in Bau befindlichen Kirchentürme herumgeklettert war.

Auf der Mauer hockend, versuchte Cathérine, sich zu orientieren. Sie bemerkte am Ende eines Teichs einen eleganten Säulengang, den ein viereckiger Turm flankierte. Er wurde Turm der Damen genannt und war Teil der Privatgemächer Zobeidas. Dahinter tauchten undeutlich in der Nacht die Hügel Granadas auf, denn dieser Turm war auf dem Festungswall errichtet. Lichter blinkten unter den Säulen, wo Sklaven auf und ab gingen. Cathérine wandte sich um und erkannte rechts etwas entfernt mit klopfendem Herzen den von Marie geschilderten Pavillon, der sich Prinzenpalais nannte. Von Zypressen und Zitronenbäumen umgeben, spiegelte sich in einem stillen Teich, dem der Mond Lichtreflexe entlockte, seine Silhouette mit den hohen Säulen und dem eleganten Turm. Auch dort schimmerten Lichter, die es der jungen Frau erlaubten, die drohenden Gestalten der Eunuchen und ihre blitzenden Krummschwerter zu unterscheiden. Sie gingen vor dem Eingang des Wohnsitzes langsamen, gemessenen, fast mechanischen Schrittes auf und ab, und ihre gelben Turbane und die Stickereien ihrer weiten Gewänder spiegelten sich in dem Teich mit seinen aufgehenden Wasserlilien.

Einen Augenblick betrachtete Cathérine den Pavillon, suchte nach einer bekannten Gestalt. Wie sollte sie herausfinden, ob Arnaud tatsächlich da und ob er allein war? Wie konnte sie in das kleine Palais eindringen, wenn sein Bewohner es nicht verließ? Fragen über Fragen und schwierige Antworten …

Jedoch, schon seit langem gewohnt, die heikelsten Probleme ungelöst zu lassen, sich zuerst einmal ins Abenteuer zu stürzen und es dem Schicksal anheimzugeben, den Knoten zu durchhauen, verließ Cathérine ihren Sitz auf der Mauer und ließ sich geräuschlos zu Boden gleiten. Einen Augenblick zögerte sie, welchen Weg sie einschlagen sollte. Der drohende Anblick der Eunuchenwachen am Pavillon hielt sie zurück. Andererseits konnte sie vom Turm der Damen her eine zarte Musik hören, wogegen in dem kleinen Palais Stille herrschte. Wie sollte sie wissen, wo Arnaud war?

Als sie am Rand eines Zypressenhaines ankam, der sich fast bis zu dem großen Becken vor dem Turm erstreckte, mußte sie einen Freudenruf unterdrücken: Das Schicksal hatte wieder einmal ihrer Erwartung gemäß geantwortet. Unter dem Säulengang des Turmes war Arnaud aufgetaucht, allein. In eine weite weiße, von einem Goldgürtel in der Taille zusammengehaltene Wollbluse gekleidet, schritt er langsam auf das Wasserbecken zu und setzte sich auf den Marmorrand. Diesmal war er nicht betrunken, aber Catherines Herz krampfte sich zusammen, als sie sah, was für ein vollkommenes Bild der Einsamkeit und Langeweile er bot. Noch nie hatte sie sein Gesicht so düster gesehen, und das Licht einer ganz nahe hängenden Öllampe ließ keinen Zug seines Gesichtes im Schatten …

Aber er war allein, tatsächlich allein! Welche schönere Gelegenheit konnte sie sich wünschen? Sie streifte die Pantoffeln ab, an die sie sich immer noch nicht richtig gewöhnt hatte und die sie beim Laufen behinderten, und stürzte vor …

Harte Hände packten sie in genau dem Augenblick, in dem sie neben dem Wasserbecken in den Lichtkreis der Lampen trat. Die Festnahme und die Furcht entlockten ihr einen Schrei, so daß Arnaud sich umwandte. Instinktiv wehrte sie sich unter dem harten Griff der schwarzen Hände, die sie festzuhalten versuchten, aber sie war nicht stark. Die beiden Eunuchen, die sie ergriffen hatten, waren riesige Sudanesen. Einer hätte genügt, sie mit einer einzigen Hand niederzuhalten. Aber in ihrer Angst sah sie trotzdem nur eines: ihren Gatten! Er war da, ganz nahe. Er war aufgestanden, näherte sich jetzt. Unter ihrem Schleier, der sie fast erstickte, weil die Sudanesen ihn ihr um den Hals gezerrt hatten, wollte Cathérine seinen Namen hinausrufen. Aber kein Ton kam hervor, doch neben Arnaud war die blendende Gestalt Zobeidas aufgetaucht.

Beim Anblick der Prinzessin erstarrten die Sudanesen mit ihrer Gefangenen, waren unfähig, die geringste Bewegung zu machen. Zobeida wandte sich an die Gruppe:

»Was gibt es hier? Warum dieser Lärm?«

»Wir haben eine Frau gefangen, die sich in diesem Garten verbarg, o Licht! Sie ist über die Mauer gestiegen. Wir haben sie bis hierher verfolgt.«

»Führt sie her …«

Cathérine wurde zu Füßen Zobeidas gestoßen, wurde gezwungen niederzuknien und mit Gewalt niedergehalten. Arnaud, der ein paar Schritte zurückgetreten war, betrachtete mit gerunzelter Stirn und verächtlich heruntergezogenen Lippen die Szene. Mit klopfendem Herzen sah Cathérine ihn so nahe. Oh! Wenn sie ihm ihren Namen sagen, sich in seine Arme flüchten könnte … Aber die Gefahr war tödlich, für sie wie für ihn. Sie hörte ihn murmeln: »Zweifellos eine Neugierige oder eine Bettlerin aus der Oberstadt. Laß sie laufen!«

»Niemand hat das Recht, hier einzudringen!« erwiderte Zobeida barsch. »Diese Frau wird für ihren Fehler büßen!«

»Es ist nicht nur eine Neugierige«, wandte einer der Sudanesen ein. »Eine Neugierige ist nicht bewaffnet. Wir haben dies hier bei ihr gefunden.«

Ein Wutschrei entfuhr Cathérine; sie hatte, während sie sich gegen ihre Angreifer wehrte, nicht bemerkt, daß sie ihr den Dolch weggenommen hatten. Jetzt blitzte das Messer aus Silber und Gold in der schwarzen, der Prinzessin hingehaltenen Hand des Eunuchen. Diese beugte sich hinunter, um besser sehen zu können, was man ihr zeigte. Aber Arnaud war schneller als sie. Mit einem Satz hatte er sich der Waffe bemächtigt und betrachtete sie, plötzlich bestürzt. Sein Blick richtete sich prüfend auf die kniende Cathérine.

»Wo hast du diesen Dolch her?« fragte er heiser.

Sie war unfähig zu antworten, weil ihre Stimme vor Erregung versagte, aber ihre blauen, großen Augen verschlangen ihn und flehten ihn gleichzeitig an. Zobeida hatte sie ganz vergessen, deren schwarze, funkelnde Augen indessen nichts Gutes verhießen. Die Maurin wandte sich schroff an ihren Gefangenen: »Du kennst diese Waffe?« fragte sie. »Woher stammt sie?« Arnaud antwortete nicht. Er betrachtete weiter die dunkle, auf dem Sand kniende Gestalt, die ihn anstrahlte. Plötzlich sah Cathérine, wie er erblaßte. Ehe sie ihm hatte zuvorkommen können, war er drei Schritte vorgetreten, hatte den blauen Schleier gepackt und ihn weggerissen. Wie vom Schlag gerührt blieb er vor dem jäh enthüllten Gesicht stehen.

»Cathérine!« flüsterte er. »Du! … Du hier?! …«

Es folgte ein kurzer, wunderbarer Augenblick, in dem beide alles vergaßen, was nicht ihre ungeheure Freude betraf, sich nach soviel Tränen und Leiden wiedergefunden zu haben. Die dabeistehenden Sudanesen, die Frau, die sie mit wachsendem Zorn betrachtete, die Gefahr, die über ihnen schwebte – darüber legten sie sich keinerlei Rechenschaft ab. Alles war ausgelöscht, all dies existierte nicht. Sie waren allein in einer toten Welt, in der nichts Bestand hatte als ihre ineinandergehefteten Blicke und ihre von neuem im Gleichklang schlagenden Herzen. Den Dolch mechanisch in den Gürtel steckend, streckte Arnaud die Hände aus, um seiner Frau aufzuhelfen.

»Cathérine!« murmelte er mit unendlicher Zärtlichkeit. »Cathérine … ma mie!«

Das teuerste Wort unter allen! Das Wort, das sie nie hatte vergessen können und das nur er auszusprechen vermochte! … Cathérine befiel ein Schwindel. Aber die Gnadenfrist war schon vergangen. Mit einem Panthersprung hatte Zobeida sich zwischen sie geworfen.

»Was ist das für eine Sprache?« fragte sie in einem Französisch, das Cathérine erstaunte. »Sie nennt sich Licht des Morgens und ist eine von den Seeräubern gekaufte Sklavin. Sie ist die neueste Konkubine meines Bruders, seine Favoritin!«

Die ganze Sanftmut, die seine energischen Züge einen Augenblick entspannt hatte, erlosch. Ein Zornesblitz funkelte in seinem dunklen Blick, und er sagte scharf:

»Sie heißt Cathérine de Montsalvy! Sie ist … meine Schwester!« Das leichte Zögern war kurz wie ein Herzschlag gewesen, aber es hatte genügt, den Ritter die Gefahr erkennen zu lassen. Zuzugeben, daß Cathérine seine Frau war, hieße, sie auf der Stelle dem schlimmsten Tod zu überantworten. Er kannte die wütende Eifersucht Zobeidas zu gut! Gleichzeitig tauchte er seinen Blick wieder in den Catherines, ebenso gebieterisch wie flehentlich, sie möge ihm nicht widersprechen. Aber Arnaud hatte nichts zu fürchten. Wenn Cathérine auch eine wilde Freude empfunden hätte, ihren Titel als Gattin zurückzufordern, ihre Rivalin damit zu verletzen, hatte sie natürlich keine Lust, törichterweise wegen eines Wortes das Leben zu verlieren. Außerdem, hatte Zobeida die naive Lüge geglaubt? Ihre schmal gewordenen Augen huschten von einem zum anderen der beiden Gatten, ohne daß sie daran dachte, ihre Verwunderung und ihr Mißtrauen zu verhehlen.

»Deine Schwester? Aber sie sieht dir gar nicht ähnlich!«

Arnaud zuckte die Schultern.

»Der Kalif Mohammed hat blondes Haar und helle Augen. Ist er deswegen weniger dein Bruder?«

»Wir haben nicht dieselbe Mutter gehabt …«

»Wir auch nicht! Unser Vater hat sich zweimal verheiratet. Wünschst du noch weitere Auskünfte?«

Der Ton war hochmütig, scharf. Arnaud schien entschlossen, sich des Vorteils zu bedienen, den ihm die fast servile sinnliche Liebe seiner gefährlichen Geliebten bot. Aber die Anwesenheit dieser anderen, instinktiv verhaßten Frau neben dem Mann, dessen Besitz sie um den Preis von soviel Blut verteidigt hatte, machte Zobeida wütend. Kalt erwiderte sie:

»Jawohl, ich wünsche tatsächlich noch weitere Auskünfte. Zum Beispiel möchte ich gern wissen, ob es bei den Frauen von Adelsfamilien im Lande der Franken üblich ist, über die Meere zu fahren und die Sklavenmärkte zu bevölkern? Wie ist es zu erklären, daß deine Schwester hierhergekommen ist?«

Diesmal war es Cathérine, die antwortete, in der Hoffnung, daß Arnaud nicht unvorsichtigerweise vertrauliche Mitteilungen gemacht hatte. »Mein … Bruder war einst fortgezogen, um am Grab eines seit langem verehrten Heiligen die Heilung von einer Krankheit zu erflehen, an der er litt. Aber vielleicht weißt du nicht, was ein Heiliger ist?«

»Nimm deine scharfe Zunge in acht, wenn du willst, daß ich dich geduldig anhöre«, gab Zobeida zurück. »Alle Mauren kennen den Boanerges, den Sohn des Donners, dessen Blitzstrahl sie niedergestreckt hat.«

»Also«, fuhr Cathérine unerschütterlich fort, »mein Bruder hat sich aufgemacht, und viele Monate lang sind wir in Montsalvy ohne Nachricht geblieben. Wir hofften immer, daß er zurückkehre, aber er kam nicht wieder. Worauf ich beschloß, selbst aufzubrechen und am Grabmal dessen zu beten, den du den Sohn des Donners nennst. Ich hoffte, unterwegs Nachrichten über meinen Bruder zu erhalten. Und ich erhielt auch welche: Ein Diener, der in dem Augenblick floh, in dem du Arnaud gefangennahmst, hat mir von seinem Los berichtet, ich bin hierhergekommen, um ihn zu finden, den wir schon beweinten …«

»Ich dachte, du seist von den Korsaren erbeutet und in Almeria verkauft worden?«

»Ja, ich bin verkauft worden«, log Cathérine dreist, weil sie Abu al-Khayr nicht in die Sache hineinziehen wollte. »Ich bin nicht von Piraten gefangengenommen worden, sondern an den Grenzen dieses Königreichs. Ich habe es den Mann, der mich gekauft hat, nur glauben lassen, um ihm nicht erst lange Erklärungen geben zu müssen.«

»Was für eine rührende Geschichte!« bemerkte Zobeida spöttisch. »Eine zarte Schwester macht sich auf, um ihren vielgeliebten Bruder zu suchen. Um ihn besser ausfindig zu machen, treibt sie das Opfer so weit, sich ins Bett des Kalifen von Granada zu schmuggeln! Zu alledem gelingt es ihr, die offizielle Favoritin des Herrn, die kostbare Perle des Harems, zu werden, die …«

»Schweig«, unterbrach Arnaud, der, während Zobeida sprach, zunehmend erblaßt war. Soeben noch, als die Maurin die Wahl des Kalifen zum erstenmal erwähnt hatte, und unter dem Schock der Überraschung und der Freude hatte Arnaud dem Sinn des Gesagten nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt aber hatte er voll begriffen, was es bedeutete, und Cathérine sah angstvoll, wie Zorn statt Freude in sein Gesicht trat. Er wandte sich ihr jetzt zu.

»Ist das wahr?« fragte er mit solcher Schroffheit, daß die junge Frau erbebte. Sie kannte die unversöhnliche Eifersucht Arnauds zu gut, um nicht zu zittern, als sie sah, wie seine Kinnbacken sich verkrampften und seine dunklen Augen blitzten. Aber das spöttische Halblächeln Zobeidas gab ihr ihre ganze Selbstsicherheit zurück. Daß er es wagte, sie im Ton eines Herrn vor diesem Weib, das seit Monaten seine Geliebte war, zur Rede zu stellen, war doch etwas zu stark! Sie richtete sich auf, hob ihr kleines Kinn und blickte ihren Gatten fest an:

»Sehr wahr!« sagte sie ruhig. »Ich mußte dich erreichen. In einem solchen Fall sind alle Mittel recht …«

»Meinst du? Du scheinst zu vergessen …«

»Du vergißt, scheint mir! Darf ich dich fragen, was du hier tust?«

»Ich bin gefangengenommen worden. Das dürftest du wissen, wenn du Fortunat getroffen hast …«

»Ein Gefangener versucht, seine Freiheit wiederzuerlangen … Was hast du getan, um die deine zu erlangen?«

»Dies ist nicht der Ort und auch nicht der Augenblick, darüber zu sprechen!«

»Das scheint mir eine zu leichte Ausrede zu sein, und ich …«

»Ruhe!« unterbrach Zobeida ungeduldig. »Eure Familienangelegenheiten interessieren mich nicht! Wo, glaubt ihr, seid ihr eigentlich?«

Die Unterbrechung kam im unrechten Augenblick. Arnaud richtete seine Wut jetzt gegen sie.

»Und wer bist du, daß du dich zwischen uns mischst? Nach deinen wie nach unseren Sitten hat der Mann die volle Gewalt über die Frau seiner Familie. Diese hier gehört zu mir … da sie desselben Blutes ist, und ich habe das Recht, Rechenschaft über ihr Benehmen zu verlangen. Ihre Ehre ist die meine, und wenn sie sie herabgewürdigt hat …«

Die diese Worte begleitende Geste war so drohend, daß Cathérine erschrak. Das verzerrte Gesicht Arnauds war furchterregend, seine Nasenflügel zogen sich zusammen und wurden weiß, während Mordlust in seine Augen trat. Gleichzeitig packte Überdruß die junge Frau vor diesem selbstsüchtigen Zorn des getäuschten Manntiers. Konnte er denn nicht verstehen, was sie alles ausgestanden hatte, ihre Leiden, ihre Ängste und Mühen, um hierherzukommen? Aber nein! Entscheidend war für ihn nur das eine: Sie hatte ihren Körper dem Dichterfürsten geschenkt …

Die in der Haltung Arnauds lauernde Drohung fiel sogar Zobeida auf. Solche Wut war nicht geheuchelt, und wenn sie vorher noch einige Zweifel an dieser schönen, sozusagen vom Himmel gefallenen Schwester gehabt hatte, begann die Maurin, den Zorn ihres Geliebten in Rechnung zu stellen, um sich von ihr zu befreien. Wenn er sie in einem mörderischen Wutanfall tötete, wäre alles gut! Der Kalif könnte sich vor der beleidigten Ehre eines Bruders nur beugen. Ein leises Lächeln huschte über ihren schönen roten Mund, als sie sich zu Arnaud wandte:

»Du hast recht, o mein Gebieter. Die Ehre deiner Familie geht nur dich an. Ich überlasse es dir, nach Gutdünken mit ihr zu verfahren, und wenn du sie züchtigst, brauchst du den Zorn des Kalifen nicht zu fürchten. Er kann diese Art Rache verstehen … und ich würde für dich eintreten!«

Mit einer Bewegung entließ sie die beiden Sudanesen und schickte sich an, selbst zu gehen, als Morayma ganz außer Atem auftauchte. Die alte Jüdin warf sich mit dem Gesicht nach unten zu Boden, sobald sie die Prinzessin bemerkte, nicht ohne vorher Cathérine einen bösen Blick zugeworfen zu haben. Dann wartete sie, daß man sie verhörte. Zobeida ließ sie nicht lange warten:

»Was willst du, Morayma? Was soll diese Aufregung? Erhebe dich!«

Kaum aufgestanden, zeigte die Herrin des Harems mit anklagendem Finger auf Cathérine: »Diese Frau ist aus ihren Gemächern entwichen, nachdem sie eine ihrer Gefährtinnen überwältigt und gefesselt und ihr ihre Kleider gestohlen hat. Ich sehe nun, daß sie es gewagt hat, sich bei dir einzuschleichen, o Herrlichkeit! Überlasse sie mir, auf daß ich ihr die Züchtigung verabreiche, die sie verdient: die Peitsche!«

Ein boshaftes Lächeln kräuselte die Lippen der Prinzessin. »Die Peitsche? Bist du verrückt, Morayma? Damit der Kalif bei seiner baldigen Rückkehr auf dem Körper, dessen Wonnen von neuem zu genießen er voll Ungeduld ist, ihre Spuren entdeckt? Nein, überlaß sie mir … In Zukunft wird sie diese Pavillons nur verlassen, um sich zu meinem Bruder zu begeben. Sie ist eine Edeldame aus dem Frankenland, verstehst du, die Schwester meines vielgeliebten Herrn. Sie ist mir von nun an lieb und wert. Meine eigenen Dienerinnen werden sich in Zukunft um sie kümmern, werden sie baden und parfümieren, wenn ihr Herr es verlangt, damit ihr Körper das vollkommene Gedicht sei, an dem er sich unter den Rosen des Djenan-el-Arif berauschen kann …«

Einwandfrei beherrschte Zobeida die wunderbare Kunst, Öl ins Feuer zu gießen. Jedes ihrer Worte war darauf angelegt, Arnauds Wut anzustacheln … diese Wut, von der sie hoffte, daß sie tödlich werden würde. Tatsächlich bebte Catherines Gatte, seine Fäuste waren geballt und gespannt wie eine Bogensehne … Zobeida lächelte sphinxhaft.

»Ich lasse dich jetzt mit ihr allein. Tu, was du glaubst tun zu müssen, aber laß mich nicht zu lange auf dich warten! Jede Minute ohne dich bedeutet eine Ewigkeit Langeweile …« Dann, den Ton wechselnd: »Und was dich betrifft, Morayma, verlasse sie auch, aber entferne dich nicht. Du wirst dafür sorgen, daß diese Frau, sobald mein Herr mit ihr fertig ist, gemäß ihren Wünschen und ihrem Rang untergebracht wird!«

Cathérine zerbiß sich die Lippen vor Wut. Was eigentlich erhoffte sich diese blutgierige Katze? Daß Arnaud sie töten werde? Zweifellos war die Unterbringung, die Morayma für sie finden sollte, ein tiefes, geheimes, vor den Aasgeiern geschütztes Grab. Cathérine machte sich keine Illusionen über die plötzliche Fürsorge ihrer Feindin. Da sie sie für Arnauds Schwester hielt, haßte Zobeida sie vielleicht noch mehr als vorher, zweifellos wegen der gemeinsamen Erinnerungen, an denen sie keinen Anteil hatte. Diese Frau mußte sogar auf die Vergangenheit eifersüchtig sein! Und als die Maurin lässigen Schritts an ihr vorbei ihrem Gemach zuging, konnte Cathérine sich nicht enthalten, ihr entgegenzuschleudern:

»Freue dich nicht zu früh, Zobeida … Noch bin ich nicht tot. Es ist bei uns nicht üblich, daß der Bruder seine Schwester oder der Gatte die Gattin tötet.«

»Die Fäden des Schicksals liegen in Allahs Hand! Ob du lebst oder stirbst, was spielt das für eine Rolle? Aber wenn ich du wäre, würde ich den Tod wählen, denn lebend hast du keine Chance, deinem Los zu entgehen: dem einer Sklavin unter anderen Sklavinnen, geschmückt und verhätschelt, solange du gefällst, verlassen und elend, wenn deine Zeit vorbei ist!«

»Schluß jetzt mit dem Gerede, Zobeida!« unterbrach Arnaud brutal. »Ich allein habe hier zu bestimmen, was ich zu tun habe. Geh!«

Mit höhnischem, hinter der vorgehaltenen Hand kaum ersticktem Lachen geschmeidig über den Marmor gleitend, verschwand die Prinzessin. Arnaud und Cathérine standen sich allein gegenüber …

Einen Augenblick verharrten sie so wortlos, einige Schritte voneinander entfernt, die Geräusche des feindlichen Palastes hörend, und Cathérine dachte erbittert, daß sie sich ihr Wiedersehen anders vorgestellt hatte. Vorhin, ja, als er ihr den Schleier weggerissen und eine Bewegung angedeutet hatte, sie in die Arme zu schließen! Jetzt aber hatten die vergifteten Pfeile Zobeidas Arnaud getroffen und waren ihm ins Herz gedrungen. Jetzt würden sie sich mit der Verbissenheit unversöhnlicher Feinde zerreißen … Hatten sie sich dazu gesucht, sich trotz Menschen, Kriegen, Fürsten und so vieler widerlicher Umstände, die selbst die Stärksten niederschlagen konnten, geliebt? Was für ein Jammer! …

Cathérine wagte kaum, zu ihrem Gemahl aufzublicken, der sie mit verschränkten Armen betrachtete, weil sie fürchtete, ihm ihre tränenfeuchten Augen zu zeigen. Sie gewährte sich vor dem Kampf, den sie kommen fühlte, eine Atempause, darauf wartend, daß er vielleicht zuerst spräche. Aber er tat nichts dergleichen, rechnete möglicherweise damit, daß diese drückende Stille an den Nerven der jungen Frau zerrte. Und tatsächlich griff sie zuerst an.

Jäh, mit einer herausfordernden Kopfbewegung, deutete sie auf den Dolch in Arnauds Gürtel.

»Worauf wartest du noch? Warum gehorchst du nicht? Hat man dir nicht ausreichend zu verstehen gegeben, was du tun mußt? Ziehe diesen Dolch, Arnaud, und töte mich! Ich bekenne mich schuldig: Es stimmt, ich habe mich Mohammed hingegeben, weil dies das einzige Mittel war, hierherzukommen … und weil ich sonst nichts anderes tun konnte!«

»Und Brézé? Konntest du auch da nichts anderes tun?« Cathérine holte tief Atem. Wenn er so weit in seinen Anklagen zurückging, dann würde der Kampf schwer werden! Aber sie zwang sich zur Ruhe und erwiderte beherrscht:

»Brézé ist nie mein Geliebter gewesen, was immer du darüber denken magst. Er wollte mich heiraten. Einen Augenblick war ich versucht, seinen Antrag anzunehmen. Das war nach dem Sturz La Trémoilles, und ich konnte einfach nicht mehr! Ich hatte nur das verzweifelte Bedürfnis nach Ruhe, nach Frieden und Schutz. Du kannst nicht wissen, wie dieser Frühling des vergangenen Jahres war, auch nicht, was mich unser Sieg gekostet hat! Ohne Brézé wäre von mir nichts als ein Stück blutendes Fleisch unter den Händen der Henker der Dame La Trémoille übriggeblieben …« Sie hielt einen Augenblick inne, um die Erregung abklingen zu lassen, die sich ihrer bei der Erinnerung an diese entsetzliche Stunde bemächtigt hatte, dann fuhr sie mit einem Seufzer und tonloser Stimme fort: »Brézé hat mich gerettet, beschützt, ist mir bei der Ausführung meiner Rache behilflich gewesen, er hat für dich gekämpft, und da er dich für tot hielt, hielt er es nicht für unrecht, mir die Ehe anzubieten, denn er ist gut und treu …«

»Wie du ihn verteidigst!« fuhr Arnaud bitter dazwischen. »Ich frage mich, weshalb du dieser holden Neigung nicht gefolgt bist …«

»Erstens, weil man mich daran hinderte!« entgegnete Cathérine wieder zornig. Sie fügte hinzu, ihre Schuld ehrlich eingestehend: »Ohne den jungen Bernard hätte ich seinen Heiratsantrag vielleicht angenommen, doch ich schwöre bei Gott, der mich hört, daß Pierre de Brézé, als er nach Montsalvy ging, um die Verurteilungsurkunde zu suchen und dem König davon zu berichten, keinen Grund hatte zu glauben, daß ich ihn heiraten würde. Und wegen dieses unverantwortlichen Schritts habe ich endgültig mit ihm gebrochen!«

»Eine schöne, rührende Geschichte!« bemerkte der Ritter trocken. »Was hast du nach diesem Bruch getan?«

Cathérine mußte ihre ganze Geduld zusammennehmen, um nicht zu bersten. Der aggressive, inquisitorische Ton Arnauds erbitterte sie maßlos. Er spielte seine Rolle als in seiner Ehre gekränkter Bruder ein wenig zu gut, verlangte Rechenschaft und Erklärungen ohne das geringste Mitgefühl, als wären sie nicht Jahre hindurch in Liebe verbunden gewesen. Selbst der Brief, den er ihr hinterlassen hatte, als er Montsalvy verließ, offenbarte nicht soviel Bitterkeit und Gehässigkeit … Im Gegenteil, er war voll Sanftmut und Liebe gewesen. Vielleicht, weil er ernstlich glaubte, daß diese abscheuliche, erniedrigende Lepra sein Leben bald beenden würde, hatten ihm seine Tapferkeit und der Adel seines Charakters den Mut verliehen, verständnisvolle, verzeihende Worte zu schreiben. Als er sein Leben und seine Gesundheit wiedergewonnen hatte, war gleichzeitig sein Starrsinn wieder zurückgekehrt, unter dem Cathérine schon immer zu leiden gehabt hatte …

Sie überwand sich, und es gelang ihr zu lächeln, ein unendlich müdes und trauriges, doch sanftmütiges Lächeln. Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Komm mit mir! Bleiben wir nicht unter dem Säulengang, wo uns alle hören können. Gehen wir … da, zum Ende dieses Teichs, zu dem Steinlöwen, der die ganze Weisheit der Welt zu verkörpern scheint …«

Die Nacht verbarg den Anflug eines Lächelns, das einen kurzen Augenblick die strengen Züge Arnauds entspannte.

»Hast du denn die Weisheit so nötig?« fragte er, und am Klang seiner Stimme merkte sie, daß sein Zorn ein wenig nachließ. Daraus schöpfte sie neue Hoffnung. Auch ließ er sich widerstandslos mitziehen. Einen Augenblick gingen sie schweigend an der marmornen Einfassung entlang, auf die sich Cathérine, den Rücken an den Marmorlöwen gelehnt, setzte. Arnaud blieb stehen. Ihnen gegenüber leuchteten der Säulengang und der Turm, Rosen in der tiefblauen Nacht, unwirklich wie eine Luftspiegelung und leicht wie ein Traum. Die Geräusche des Palastes hatten sich beinahe gelegt, nur die Nachtvögel des Gartens und die Springbrunnen schienen noch zu leben. Eine schwache Brise ließ auf der Wasseroberfläche den zarten Widerschein des Palais zittern, und wie vorhin, im Löwenhof, war Cathérine von der zauberhaften Schönheit der Alhambra überwältigt.

»Dieser Ort ist für das Glück und die Liebe geschaffen … warum müssen wir uns hier gegenseitig quälen? Ich habe nicht so viele Meilen zurückgelegt, um dir weh zu tun oder daß du mir weh tust …«

Aber Arnaud ließ sich immer noch nicht erweichen. Einen Fuß auf den Marmorrand gestellt, sagte er warnend, die Augen abgewandt: »Hoffe nicht, meinen Geist auf die blumigen Pfade der Poesie locken zu können, Cathérine! Ich erwarte von dir einen genauen Bericht darüber, was sich seit deinem Aufbruch von Carlat ereignet hat.«

»Das ist eine lange Geschichte«, seufzte die junge Frau. »Ich hoffte, du würdest mir die Muße lassen, sie dir später in Ruhe zu erzählen. Vergißt du, daß wir hier in Gefahr sind, wenn nicht du, dann zumindest ich?«

»Weshalb du? Bist du nicht die Geliebte des Kalifen?« entgegnete er sarkastisch. »Wenn Zobeida zu mir hält, wird niemand es wagen, dir etwas zu tun …«

Cathérine wandte den Kopf ab, um ein ärgerliches, schmerzliches Zucken zu verbergen.

»Du weißt immer, was du sagen mußt, um zu verletzen, nicht wahr?« murmelte sie schmerzerfüllt. »Hör also zu, da du es willst, da ich den Mann, den ich verlassen hatte, nicht mehr wiederfinde und dein Vertrauen in mich gestorben ist …«

Die Hand Arnauds legte sich schwer auf Catherines Schulter, preßte sie, daß es schmerzte:

»Nicht so viele Ausflüchte, Cathérine! Versuche zu verstehen, daß ich alles wissen muß! Muß! Ich muß wissen, wie meine Frau, das Wesen, das mir das Liebste auf Erden war, dazu kam, nachdem sie in den Armen eines Waffenbruders Trost gesucht hatte, ihren Körper einem Ungläubigen zu verkaufen!«

»Und was anderes hast du getan?« rief Cathérine wütend. »Wie nennst du das, was du seit Monaten im Bett Zobeidas tust? … Was ich mit eigenen Augen, verstehst du, durchs Fenster des Innenhofes neulich nachts habe sehen können?«

»Was hast du gesehen?« fragte er hochmütig.

»Ich habe gesehen, wie ihr euch, du und sie, in enger Umschlingung auf dem Boden wälztet. Ich habe gesehen, wie du sie mit der Reitpeitsche schlugst, um danach deine Lust an ihr zu befriedigen … Ich habe ihr Keuchen gehört, habe deine Liebkosungen gezählt: zwei brünstige Tiere! Es war gemein! Außerdem warst du betrunken … aber ich glaubte, ich müßte sterben!«

»Schweig! Ich wußte nicht, daß du da warst!« fuhr er sie mit bewundernswerter männlicher Logik an. »Aber du, du, Cathérine, was hast du denn anderes im Djenan-el-Arif getan? Und du wußtest, daß ich da war, warst mir ganz nahe …«

»Dir nahe?« gab Cathérine böse zurück. »Du warst mir nahe, im Bett Zobeidas zweifellos? Du dachtest an mich, nur an mich?«

»Du glaubst nicht, wie wahr das ist! Ich mußte die Wut auslöschen, die mich jedesmal befiel, wenn ich an dich dachte, wenn ich dich mir in den Armen Brézés vorstellte, neben Brézé lebend, mit ihm sprechend, ihm zulächelnd, ihm deine Lippen bietend … und das übrige! Ein Frauenleib ähnelt einer Flasche Wein: Er kann einen Augenblick Vergessen schenken …«

»Bei dir dauern die Augenblicke offenbar lang! Vielleicht hätte es andere Mittel gegeben, deiner würdigere, um zu vergessen!« warf Cathérine ein, jede Vorsicht außer acht lassend. »Hättest du nicht versuchen können zu fliehen? Nach Montsalvy, nach Hause zu den Deinen?«

»Damit man dich als Bigamistin verurteilt und dem Scheiterhaufen überantwortet hätte? Die Eifersucht hätte mich weniger verzehrt, wenn ich dich weniger geliebt hätte … aber ich wollte dich nicht sterben sehen!«

»Und deshalb«, unterbrach Cathérine, absichtlich seine Liebeserklärung übergehend, »zogst du es natürlich vor, in den Genüssen dieses Palastes und in den Armen deiner Geliebten zu ›vergessen‹, zu vergessen, daß du, ein christlicher Ritter, Liebhaber einer Ungläubigen warst und deine Zeit zwischen der Jagd, dem Wein und der Liebe vergeudetest … Das hast du mir in deinem Brief nicht angekündigt. Hätte ich Fortunat nicht getroffen, hätte ich bis ins Heilige Land gehen können, um dich zu suchen, denn ich glaubte, du wolltest, geheilt oder noch krank, den Tod im Dienste Gottes oder des Königs suchen!«

»Erweist du mir die Ehre, mir einen Vorwurf daraus zu machen, daß ich noch lebe? Das wäre wirklich die Höhe!«

»Warum hast du nicht versucht zu fliehen?«

»Ich habe es tausendmal versucht … aber aus der Alhambra entkommt man nicht! Dieses unter Rosen und Orangenbäumen verborgene Palais wird besser bewacht als die sicherste königliche Festung. Jede Blume verbirgt ein Auge oder ein Ohr, jeder Strauch einen Spion. Übrigens, da du Fortunat getroffen hast, muß er dir erzählt haben, mit welcher Aufgabe ich ihn betraut hatte, wenn er nach dem Verlassen Toledos mit meiner Hilfe entwischen würde …«

»In der Tat: Er sagte mir, du hättest ihn zu deiner Mutter geschickt, um ihr von deiner glücklichen Heilung zu berichten!«

»… und von meiner Gefangenschaft in Granada. Er sollte ihr diskret, weil ich glaubte, du seist wieder verheiratet, die Wahrheit mitteilen, sie bitten, sich zum Konnetabel de Richemont zu begeben und ihm das Abenteuer zu gestehen, ihn zu ersuchen, es auf Ehre und Gewissen eines Ritters für sich zu behalten, was er zweifellos getan hätte, ihn aber auch aufzufordern, eine Delegation zum Sultan von Granada zu schicken, um von ihm meine Freilassung gegen Lösegeld zu verlangen. Darauf wäre ich unter einem falschen Namen ins Heilige Land oder in die Staaten des Papstes gezogen, und kein Mensch hätte mehr von mir gehört … zumindest hätte ich einen meiner und meines Namens würdigen Lebensweg gehen können!«

»Fortunat hat mir nichts von alledem gesagt! Alles, was er zu tun wußte, war, mir seinen Haß ins Gesicht zu schleudern und seine Freude, dich endlich in den Armen einer Prinzessin Ungläubig zu wissen, in die du leidenschaftlich verliebst seist.«

»Der Dummkopf! Und obgleich du dies wußtest, bist du weitergezogen?«

»Du gehörst mir an, wie ich dir angehöre, was du auch darüber denken magst. Für dich habe ich auf alles verzichtet, ich wollte aber nicht zugunsten einer anderen auf dich verzichten …«

»Was dir bei den Umarmungen mit dem Kalifen ein angenehmes Rachegefühl eingeflößt haben muß, nicht wahr?« warf Arnaud dickköpfig ein.

»Vielleicht!« gab Cathérine zu. »Meine Bedenken haben sich tatsächlich vermindert, denn ich bitte dich, mir zu glauben, daß es ein langer Weg zwischen dem Hospiz von Roncevaux, wo ich Fortunat traf, und dieser verfluchten Stadt ist! Ich habe Zeit gehabt zu überlegen, mir in aller Muße vorzustellen, was mein schlechter Stern mir noch bescheren würde.«

»Komm nicht immer wieder darauf zurück! Ich darf dich darauf aufmerksam machen, daß ich nach wie vor auf deinen Bericht warte!«

»Was nutzt das jetzt noch? Du willst nichts hören, nichts zugeben! Ich muß ja um jeden Preis in deinen Augen schuldig sein, um dein Gewissen zu beruhigen, nicht wahr? Einfach, weil du mich nicht mehr liebst, Arnaud, und im Bann dieser Frau stehst, so sehr, daß du deine eigene Frau vergißt … und unseren Sohn!«

»Ich vergesse nichts!« rief Arnaud, um seinen Zorn wiederanzufachen, den das plötzlich in ihm wachgerufene Bild des kleinen Knaben beträchtlich beschwichtigt hatte. »Wie könnte ich mein Kind vergessen? Es ist Fleisch von meinem Fleisch, wie ich das Fleisch meiner Mutter bin.«

Cathérine war aufgestanden, und die beiden Gatten standen sich wie zwei Kampfhähne gegenüber, jeder eine schwache Stelle im Harnisch des anderen suchend, um ihn um so sicherer verwunden zu können; aber ebenso, wie der Gedanke an Michel Arnaud halb entwaffnet hatte, so besänftigte die Erinnerung an Isabelle de Montsalvy den Groll Catherines. Sie war ihrem Gatten wegen seiner Täuschung zutiefst böse, liebte ihn aber zu sehr, um nicht unter dem Schlag zu leiden, den sie ihm jetzt versetzen mußte. Den Kopf senkend, murmelte sie:

»Sie lebt nicht mehr, Arnaud … Am Tage nach dem letzten Sankt Michael ist sie sanft entschlafen. Sie hatte die große Freude gehabt, noch mitzuerleben, wie unser kleiner Michel von all deinen versammelten Lehnsleuten zum Herrn ausgerufen wurde … Sie hat dich geliebt und hat für dich bis zum letzten Atemzug gebetet.«

Das Schweigen während der folgenden Augenblicke war drückend, wurde nur durch das schwere, schnelle und stoßweise Atmen Arnauds unterbrochen … Er sagte nichts. Cathérine hob wieder den Kopf. Das schöne Gesicht schien versteinert zu sein. Sein starrer Ausdruck, sein starrer Blick ließen keine Regung erkennen, weder Überraschung noch Schmerz, doch Tränen rannen über seine Wangen. Sie erschütterten Cathérine, die schüchtern die Hand ausstreckte, sie auf Arnauds Arm legte und ihn drückte, ohne eine Reaktion zu spüren.

»Arnaud!« stammelte sie. »Wenn du wüßtest …«

»Wer behütet Michel … während du auf den Landstraßen umherziehst?« fragte er so sachlich, als hätte es sich um eine unwichtige Erkundigung gehandelt.

»Sara und der Abbé de Montsalvy, Bernard de Calmont d'Olt … Dann sind da noch Saturnin und Donatienne … und alle Menschen in Montsalvy, die langsam wieder zum Leben zurückfinden und zu der Freude, deine Lehnsleute zu sein. Die Ländereien beleben sich wieder … und die Mönche der Abtei bauen ein neues Schloß neben dem Südportal, damit Schloß und Dorf sich besser Hilfe leisten können, falls neue Gefahr droht …«

Während Cathérine sprach, verwischte sich die zauberhafte, aber fremde Kulisse für die beiden Gatten. Anstelle des Rosenpalais, der üppigen Vegetation, des stehenden Wassers erwuchs vor ihren Augen die alte Auvergne mit ihren windgepeitschten Ebenen, ihren schnellen und wilden Gewässern, ihren tiefen schwarzen Wäldern, ihrem herben Boden, in dem geheimnisvoll Gold, Silber und glänzende Steine ruhten, mit ihren fuchsroten Ochsen und ihren eigensinnigen, aber tapferen Bauern, ihren purpurroten Sonnenuntergängen, ihren frischen Morgen, der malvenfarbenen Süße ihrer Dämmerungen und den langen Nebelschwaden an den Hängen der alten, erloschenen Vulkane …

Unter Catherines Hand zitterte der Arm Arnauds, wurde weich. Ihre Finger, die sich einen Augenblick wie Blinde suchten, verschränkten sich.

Die Berührung der festen und warmen Hand Arnauds ließ Cathérine vor Freude erschauern.

»Möchtest du das alles denn nicht wiedersehen? Es gibt kein Gefängnis, aus dem man nicht entweichen kann, außer dem Grab«, murmelte sie. »Kehren wir heim, Arnaud, ich flehe dich an …«

Aber er hatte keine Zeit, zu antworten. Jäh schwand die Täuschung, die Fata Morgana, der Zauber verflog. Hinter einer Kohorte fackeltragender Eunuchen, Morayma zur Seite, war Zobeida unter dem Säulengang erschienen und schritt jetzt am Wasserbecken entlang auf sie zu. Das Wasser schien Feuer zu fangen, die Nacht verlöschte, die noch vor einer Minute verschränkten Hände lösten sich.

Die dunklen Augen Zobeidas richteten sich zuerst auf Cathérine und kehrten dann fragend zu Arnaud zurück. An dem Stirnrunzeln, das ihren Blick begleitet hatte, erkannte Cathérine, daß die Maurin erstaunt war, sie noch lebend vorzufinden. Sie drückte es auch ganz klar aus: »Hast du deiner Schwester verziehen, mein Gebieter? Ohne Zweifel hattest du deine Gründe dafür. Das freut mich übrigens sehr«, fügte sie mit berechnender Niedertracht hinzu, »denn mein Bruder wird dir dafür verbunden sein. Seine Rückkehr ist angekündigt. Morgen, vielleicht noch in dieser Nacht, wird der Führer der Gläubigen wieder in der Alhambra sein! Niemand zweifelt, daß sein erster Gedanke seiner Vielgeliebten gilt …«

Während Zobeida sprach, sah Cathérine verzweifelt, wie vor ihren Augen alles, was sie sich wieder erobert hatte, verfiel. Arnauds Hand hielt nicht mehr die ihre, und sein Blick drückte erneut Zorn aus.

Die Wirklichkeit mit ihren Menschen, die unmöglich auszutilgen waren, dem Kalifen und seiner Schwester, forderte ihr Recht. Trotzdem wollte Cathérine noch kämpfen.

»Arnaud …«, bat sie, »ich habe dir noch soviel zu sagen.«

»Zu spät! Morayma, führe sie in ihr Gemach, und sorge dafür, daß sie bereit ist, wenn mein edler Bruder zurückkommt!«

»Wo führst du sie hin?« fragte Arnaud schroff. »Ich will es wissen!«

»Ganz nahe von hier. Ihr Gemach geht auf den Garten hinaus. Du siehst, wie gut ich zu dir bin! Ich bringe deine Schwester bei mir unter, damit du sie sehen kannst. Im Inneren des Harems, zu dem du keinen Zutritt hast, wäre dies unmöglich … Laß sie jetzt gehen. Es ist spät, die Nacht schreitet vor, man kann nicht bis zum Sonnenaufgang plaudern …«

O diese katzenhafte, einschläfernde und verführerische Stimme! Wer, wenn er sie hörte, hätte angenommen, daß sie voll Niedertracht und Haß war? Doch Arnaud kannte Zobeida allmählich.

»Du bist auf einmal so versöhnlich! Das sieht dir gar nicht ähnlich.«

Die Prinzessin zuckte mit den Schultern und erwiderte einschmeichelnd: »Sie ist deine Schwester, und du bist mein Gebieter, das sagt alles.«

Bei einem normalen Mann kommt es selten vor, daß eine Schmeichelei nicht wirkt, und Cathérine, unruhig geworden, bedauerte in diesem Augenblick, daß Arnaud so normal war und eine solche Portion Naivität besaß. Er schien zufrieden, daß Zobeida sich mit soviel Bescheidenheit ausdrückte.

Aber Cathérine ließ sich nicht zum Narren halten. Wenn die Maurin sich lammfromm stellte, mußte man seine Wachsamkeit verdoppeln, und ihre plötzliche Sanftmut bedeutete ihr nichts. Das Lächeln, die bezaubernde Stimme widerlegten die berechnende Härte ihres Blickes nicht. Die zahlreichen Prüfungen, die Cathérine hatte durchmachen müssen, hatten sie zumindest gelehrt, in einem Blick zu lesen, die Reaktion des Gegners zu belauern. Arnaud hatte sich trotz seines grausamen Aufenthalts in der Leprastation, trotz der entsetzlichen Erfahrung physischen und moralischen Zerfalls nie gegen eine feindliche Menge, die stärker war als er, zu verteidigen gehabt, wie seine Frau es getan hatte. Rechtschaffen und ritterlich, wiederstrebte es ihm, einem zärtlichen Lächeln, einem Kosewort, besonders, wenn es von einer Frau kam, zu mißtrauen …

Cathérine ließ sich indessen mit einer gewissen Folgsamkeit von Morayma fortführen. Für diese Nacht war alles gesagt! Trotzdem drehte sie sich noch einmal um, bevor sie sich endgültig entfernte, und war erleichtert, als sie feststellte, daß er ihr nachgeblickt hatte.

»Ein Mann muß sein Schicksal wählen können, Arnaud … und wenn es seiner würdig ist, darf er niemandem, verstehst du, niemandem gestatten, sich zwischen ihn und sein Gewissen zu stellen …«

Das Gemach ging tatsächlich direkt auf den Garten hinaus. Von der schmalen, aber bequemen Liegestatt, auf die Morayma sie gebettet hatte, konnte Cathérine zwischen zwei schlanken Säulen das Wasserbecken unter dem Mond glänzen sehen. Als Morayma sie hineinführte, hatte sie sie auf den ausgesuchten Luxus des Zimmers aufmerksam gemacht, das ganz mit malven- und mandelgrünem Kristall verkleidet und mit goldmattiertem Zedernholz eingefaßt war.

»Es ist vielleicht weniger prunkvoll als dein anderes Gemach«, sagte sie zu ihr, »aber raffinierter! Zobeida liebt große Gemächer nicht. Hier wird es dir an nichts fehlen, und du wirst fast den Eindruck haben, im Garten zu wohnen.«

Offensichtlich gab die Jüdin sich große Mühe, Cathérine ihre neue Unterkunft schmackhaft zu machen. Hatte sie das Bedürfnis, sie zu beruhigen, indem sie sich selbst beruhigte? Vielleicht … Von beiden hatte sie es zweifellos am nötigsten, denn unter ihren safrangelben, blau eingefaßten Schleiern zitterte Morayma wie Espenlaub … Cathérine wollte sie zwingen, es einzugestehen:

»Warum hast du solche Angst, Morayma? Wovor fürchtest du dich?«

»Ich?« entgegnete die andere unaufrichtig, »ich habe keine Angst. Mir … mir ist kalt!«

»Bei dieser Temperatur? Die Brise von vorhin hat sich gelegt. Nicht einmal die Blätter im Garten rühren sich mehr.«

»Und doch ist mir kalt … mir ist immer kalt!«

Während sie sprach, stellte sie ans Kopfende von Catherines Bett eine Schale Milch, die die junge Frau überrascht betrachtete.

»Warum diese Milch?«

»Für den Fall, daß du Durst bekommst. Und außerdem mußt du viel Milch trinken, das bewahrt den Glanz und die Zartheit deiner Haut.«

Cathérine seufzte. Dies war gerade der richtige Augenblick, sich mit ihrer Haut zu beschäftigen! Man schien sich in diesem Palast einzig und allein mit den Geheimnissen der Schönheit zu befassen, und sie begann, ihrer Rolle als verhätscheltes, gemästetes und geschmücktes Luxustier für den Gebrauch des Herrn nachgerade müde zu werden. Als ob sie keine anderen Sorgen hätte als den Schimmer ihres Teints! …

Während Morayma so schnell verschwand, wie ihre kurzen Beine sie trugen, versuchte Cathérine, ihre Situation zu durchdenken. Die unmittelbare Nähe Zobeidas flößte ihr keine Furcht ein.

Zweifellos würde die Prinzessin es sich zweimal überlegen, ehe sie etwas gegen sie unternahm, die sie für die Schwester ihres Geliebten hielt.

Sie also beunruhigte die junge Frau nicht so sehr. Aber Arnaud! … Wie seltsam und unberechenbar er war! Noch vor einer Stunde, als er sie erkannt hatte, hatte sie keine Sekunde an seiner Wiedersehensfreude und an seiner Liebe zu ihr gezweifelt. Es gab untrügliche Anzeichen dafür. Doch Zobeida erstickte diese Freude, wie man eine Kerze ausbläst, mit ihren giftigen Unterstellungen, und Arnaud hatte den plötzlichen Windstoß des Glücks vergessen, um nur auf seine Eifersucht zu hören, auf den Zorn des betrogenen Gatten. Zudem, dachte Cathérine traurig, wußte er nicht einmal von gewissen Episoden, wie der im Lager der Zigeuner mit dem unglücklichen Fero oder jener im Burgturm von Coca … und er durfte es auch nie erfahren, sonst gäbe es weder Rast noch Ruhe, noch Glück mehr für Cathérine. Er würde sich für immer von ihr abwenden … Indes, nach den Erregungen dieses Tages von Müdigkeit überwältigt, schloß Cathérine schließlich doch die Augen, aber sie sank nicht in den tiefen Schlaf, der in wenigen Stunden selbst die geschwächtesten Kräfte wiederherstellt. Sie schlief schlecht, nervös, fuhr jäh auf, und ihr Unterbewußtsein war reger als je. Im Untergrund ihres Schlafs witterte sie eine Gefahr, deren Natur sie nicht bestimmen konnte, die sich aber unerbittlich näherte.

Das plötzliche Gefühl zu ersticken weckte sie. Sie richtete sich schweißgebadet und mit klopfendem Herzen auf. Das Mondlicht beschien jetzt voll die Fliesen des Gemachs. Ein Entsetzensschrei entrang sich der Kehle der jungen Frau: Da … als langer fahler Schmutzstreifen bewegte sich etwas Schmales, Schwarzes, Glänzendes … eine Schlange kroch auf das Bett zu!

Das war kein Zufall, und Cathérine begriff blitzschnell. Die Schale Milch, die Morayma ans Kopfende ihres Bettes gestellt hatte! … Milch, Wonneschmaus der Schlangen! Die merkwürdige Eile zu verschwinden, die Morayma an den Tag gelegt hatte, ihre zitternde Angst bekamen jetzt einen einleuchtenderen Sinn … Dieses ekelhafte Tier, das auf sie zu kroch, das war die Hand Zobeidas, der Tod in seiner häßlichsten Erscheinung!

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen drückte sie die Seidendecken zitternd an die nackte Brust, und während kalter Schweiß ihr den Rücken hinunterrann, sah Cathérine, wie die Schlange sich näherte. Noch nie hatte sie derartige Angst ausgestanden, die einer Lähmung ihres ganzen Seins gleichkam. Sie war wie hypnotisiert von dem langen schwarzen Leib, dessen Ringe sich langsam über die Fliesen wanden, näher, immer näher. Und es war wie ein Alpdrücken, aus dem es kein Erwachen gab, denn sie wagte nicht zu schreien. Die Schlange war nicht sehr groß, hatte aber einen breiten, flachen, dreieckigen und häßlichen Kopf; ein Schrei würde den Biß vielleicht beschleunigen. Und wen sollte sie rufen? Cathérine konnte sich keiner Illusion über die grausame Absicht dieses widerlichen Todesboten hingeben. Niemand würde auf ihren Hilferuf kommen … Und sie war hier, allein, gefährdet wie auf einem Schafott, nur geschützt von einigen Seidendecken … unfähig, die Augen zu schließen, um das scheußliche Tier nicht mehr zu sehen.

Sie versuchte, sich zu fassen, und dachte an ihren Gatten. Sie würde hier sterben, nur wenige Schritte von ihm entfernt, und morgen, wenn man ihren kalten Leichnam entdeckte, würde Zobeida zweifellos eine Unmenge Entschuldigungen und verlogenes Bedauern vorbringen. Alle Zimmer öffneten sich auf den Garten. Wie konnte sie ahnen, daß eine Schlange, die vielleicht von der Frische der Wasserbecken angezogen worden war, ausgerechnet in dieses eindringen würde? … Und Arnaud würde ihr vielleicht glauben … Daher und weil die Schlange jetzt den unteren Teil des Bettes erreichte, weil sie zu sehr Angst hatte und seiner verzweifelt bedurfte, stöhnte Cathérine:

»Arnaud! … Arnaud, mein Liebster!«

Und das Wunder geschah. Cathérine glaubte, die Angst habe sie wahnsinnig gemacht, als sie seine hohe Gestalt im Mondschein aus den Schatten des Gartens auftauchen sah wie den guten Geist in den orientalischen Märchen. Mit einem Blick umfaßte er die entsetzte, in die fernste Ecke ihres Bettes geduckte Gestalt Catherines und das Reptil, das schon seinen flachen Kopf hob. Mit einer Hand riß er den Dolch aus dem Gürtel, packte mit der anderen eine von einer Fußbank herunterhängende Robe, knüllte sie zusammen und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Kobra fallen.

Die Schlange war sofort tot. Mit Kraft und Genauigkeit geführt, traf der Dolch sie am Kopfansatz und trennte den Kopf fast ganz vom Körper, der leblos wurde. Arnaud hob sich auf ein Knie und sah seine Frau an. Der Mondstrahl hatte sie erreicht, verriet ihre tragische Blässe. Ihre verkrampften Hände preßten immer noch die Decke an sich, aber sie hatte zu zittern begonnen wie ein Blatt im Sturm.

Um sie zu beruhigen, murmelte er sanft:

»Hab keine Angst! Es ist vorbei … ich habe sie getötet!«

Aber sie konnte ihn kaum hören. Völlig von der entsetzlichen Furcht durchdrungen, die sie hatte ausstehen müssen, blieb sie mit aufgerissenen Augen und klappernden Zähnen sitzen, unfähig zu antworten. Besorgt glitt er neben sie aufs Bett.

»Cathérine! Ich bitte dich, antworte mir … Fehlt dir etwas?« Sie öffnete den Mund, aber kein Wort kam über ihre unaufhörlich zitternden Lippen. Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht und hob zu Arnaud ihren noch schreckerfüllten und so rührenden Blick, daß Arnaud eine instinktive Bewegung machte: Er nahm sie in seine Arme.

Tiefes Mitleid überkam ihn, als er sah, daß sie sich ganz eng an seine Brust drückte, als suche sie nach Art erschreckter Kinder, sich so klein wie möglich zu machen. Er drückte sie noch fester an sich, versuchte, seine Wärme auf sie zu übertragen, damit ihr Zittern aufhöre. Sanft strich er über den blonden, an seine Schulter gelehnten Kopf.

»Ärmste! Du hast solche Angst gehabt … solche Angst! Diese elende Frau! Sie ist zu allem fähig … und da ich das wußte, blieb ich wach … aber zu so einer Gemeinheit! … Beruhige dich, ich bin da! … Ich werde dich verteidigen! … Wir werden zusammen fliehen, werden heimkehren. Ich liebe dich …«

Das Wort war ihm ganz von selbst über die Lippen gekommen, aber Arnaud wunderte sich nicht darüber. Sein Groll, seine Eifersucht waren mit einemmal verflogen. Eben, als er durch den Garten gegangen war, weil eine tiefe Unruhe ihn unwiderstehlich zu diesem Teil des Palastes trieb, hatte er das schwache Stöhnen Catherines und seinen in Todesangst ausgestoßenen Namen gehört; er hatte den langen schwarzen Leib über den Marmor auf das Bett seiner Frau zu kriechen sehen, und die entsetzliche Furcht, die ihn befallen hatte, hatte ihm das genaue Ausmaß seiner Liebe zu ihr klargemacht. Und jetzt, da sie in seinen Armen ruhte, zitternd wie ein kranker Vogel, begriff er, daß nichts und niemand je zwischen ihn und sie treten konnte, daß eine Liebe wie die ihre vieles aushalten konnte, Kummer, Schmerz und Leid, nur nicht endgültige Trennung. Sie waren ein Herz in zwei verschiedenen Körpern, und Arnaud wußte wohl, daß er nie den Mut fände, Cathérine zu verstoßen. Die Laune, aus Langeweile und der großen Freude geboren, die er empfunden hatte, als er erfuhr, daß er nicht leprakrank war, diese Laune, die ihn Zobeida in die Arme getrieben hatte, war zu einer für sein körperliches Gleichgewicht notwendigen Gewohnheit geworden, aber es war eine armselige Empfindung im Vergleich zu dem einzigen Glück, Cathérine in den Armen zu halten.

Sie klammerte sich jetzt mit beiden Händen an ihn, stammelte unaufhörlich Worte, und einen Augenblick fürchtete er, daß das Entsetzen sie wahnsinnig gemacht habe.

»Hör mich an!« bat er. »Antworte mir! Sieh mich an, du erkennst mich, nicht wahr?« Sie machte ein bejahendes Zeichen, und er fühlte, daß seine Sorge schwand, und strich wieder besänftigend über ihr Haar. »Ma mie!« murmelte er. »Beruhige dich, hab keine Angst mehr … Was kann ich tun, um dich zu beruhigen?«

Er kam sich schrecklich unbeholfen vor, entwaffnet von diesem Wesen in höchster Not, das sich an ihn klammerte … Und dann brach Cathérine jäh in Schluchzen aus. Er verstand, daß sie gerettet war, daß das Schreckbild des Wahnsinns sich verflüchtigte, und zärtlich wiegte er sie in den Armen wie ein ganz kleines Kind:

»Weine!« sagte er sanft. »Weine, soviel du willst, das wird dir guttun …«

Die dunklen Wolken der Angst lösten sich in wahren Tränenströmen auf. Noch nie hatte Cathérine so geweint. Die Monate des Leidens, des Kummers, der Verzweiflung gingen in diesem Augenblick unter, in ihren Tränen ertränkt. Sie weinte vor Glück, vor Erleichterung, aus Freude, aus Hoffnung, aus Liebe und selbst aus Dankbarkeit für den endlich wieder errungenen, teuren Hort. Da war nur noch die süßte Wärme des angebeteten Mannes, der sie in den Armen hielt, diese wunderbare Sicherheit, die er ihr geben konnte. Das Schluchzen wich allmählich einem köstlichen Wohlbefinden. Langsam beruhigte sich Cathérine.

13

Das Schluchzen stockte, ließ nach, und Cathérine fiel endlich in Schweigen. Ihr Atem fand wieder seinen normalen Rhythmus. Die Tränen auf ihren Wangen trockneten, und einen langen Augenblick rührte sie sich nicht, genoß das köstliche Glück, an ihren Gatten gekuschelt zu sein, seinen Herzschlag zu hören und den Garten unter dem Mond zu betrachten. Sie war sich nur der Hand bewußt, die sanft ihren Kopf streichelte, wie sie es einst so oft getan hatte. Es war so gut, Arnaud neben sich zu fühlen, seinen gesunden männlichen Geruch zu atmen, nachdem sie so lange geglaubt hatte, ihn für immer verloren zu haben.

Ein leichter Rausch glitt langsam durch die Adern der jungen Frau. Sie war so glücklich, daß sie fast verging, und den Kopf hebend, preßte sie ihre noch feuchten Lippen auf Arnauds Hals. Er fuhr unter diesem Kuß zusammen, unruhig, sein Verlangen plötzlich erwachen zu fühlen. Cathérine war sich dessen instinktiv bewußt, verlängerte ihre Liebkosung, glitt unmerklich zu seinem Gesicht und seinen Lippen empor. Und mit hungriger Gier verschloß sein Mund den ihren, klammerte sich an ihn in einem unendlichen Kuß, der beider Blut sofort in Wallung brachte. Gleichzeitig glitten Arnauds Hände über Schultern und Rücken Catherines und fühlten, daß sie nackt war. Sacht zog er die Seidendecken zwischen ihnen weg. Sie widersetzte sich nicht, half ihm, begierig, sich ihm ganz zu geben. Von ihren ungeduldigen Füßen weggestoßen, fiel die letzte Hülle, den Kadaver der Schlange bedeckend, die sie hatte töten wollen, aber Cathérine hatte sie schon vergessen: Das Leben schäumte wieder in ihr, die Glut der Liebe drang bis ins innerste. Sich von Arnaud lösend, ließ sie sich im kalten Licht des Mondes auf den Rücken sinken, damit er sie besser sehen könne.

»Sag mir, ob ich noch schön bin?« murmelte sie, der Antwort schon im voraus gewiß. »Sag mir, ob du mich noch liebst?«

»Du bist schöner als je, Teufelchen … und das weißt du genau! Und lieben.«

»Sag's mir! Du liebst mich, ich weiß es, ich sehe es … Soll ich mich schämen zuzugeben, daß ich dich anbete? Ich liebe dich, mein schöner Gebieter … Ich liebe dich mehr als alles auf Erden!«

»Cathérine!«

Von neuem warf sie sich an seine Brust, um den letzten Widerstand, den sie spürte, zu besiegen, schlang ihre zarten Arme um ihn, betörte ihn durch Berührung ihres Fleischs. Sie war eine zu wunderbare Hexe, und er war schließlich nur ein Mann. Ohne sich zu erklären, durch welches Wunder dieses bedauernswerte Geschöpf von vorhin sich mit einem Schlag in eine betörende Sirene verwandelt hatte, gab er sich geschlagen, riß sie wieder an sich.

»Meine Liebe …«, murmelte er gegen ihren Mund, »meine süße Cathérine! … Meine Frau!«

Das folgende war unvermeidlich. Es war zu lange her, daß sie, der eine wie die andere, auf die Liebe, auf die eheliche Umarmung gewartet hatten! Das Palais der Rosen hätte über ihnen einstürzen können, doch nichts hätte Cathérine gehindert, sich ihrem Gatten hinzugeben. Sie liebten sich mit einer wilden Gier, vergaßen die Gefahr, die in diesen schimmernden Mauern lauerte, gaben sich nur der unvergleichlichen Wollust hin, die sie zusammen genossen.

Sie hätten sich vielleicht noch stundenlang geliebt, wenn nicht grelles Licht ins Gemach gedrungen wäre und eine zornigscharfe Stimme die Stille durchbrochen hätte:

»Ist Blutschande ein fränkischer Brauch? Das scheint mir ein seltsames Verhalten für Bruder und Schwester zu sein.«

Das Paar fuhr auseinander. Arnaud sprang auf die Füße, während Cathérine in jähem Entsetzen in das verzerrte Gesicht Zobeidas blickte, die inmitten des Gemaches stand, hinter sich zwei Fackelträger. Die Prinzessin war nicht wiederzuerkennen. Der Haß hatte ihre Züge verkrampft, und ihre goldfarbene Haut hatte eine aschgraue Farbe angenommen. Ihre großen Augen waren rot unterlaufen, ihre kleinen Hände waren geballt und zeigten deutlich das Verlangen zu morden. Sie preßte die Zähne zusammen, zischte die Worte hervor. Cathérine den Rücken kehrend, wandte sie sich zornig an Arnaud:

»Du hast mich getäuscht … aber nicht so sehr, wie du glaubtest. Ich fühlte, daß zwischen dir und dieser Frau etwas war, etwas anderes als Blutsbande. Ich merkte es … an meinem Haß! Ich hätte deine Schwester lieben können, aber ich habe sie beim ersten Blick verabscheut! Deshalb habe ich sie überwachen lassen …«

Mit der Fußspitze schob Arnaud die Decke zurück, den schwarzen Leib der Schlange enthüllend.

»Nur überwachen lassen? Dann erkläre mir das hier! Ohne mich wäre sie jetzt tot!«

»Und ich wollte ihren Tod, weil ich ahnte, daß zwischen euch etwas war, verstehst du? Ich war ganz sicher! … Ich bin gekommen, um ihren Leichnam wegschaffen zu lassen … und ich habe euch gesehen … gesehen … verstehst du?«

»Hör auf zu schreien!« fuhr Arnaud sie geringschätzig an. »Man könnte meinen, ich gehörte dir. Du keifst und tobst wie irgendein Weib aus dem Basar, dessen Mann den jungen Mädchen nachläuft. Du bedeutest mir nichts … nichts! Du bist für mich nur eine Ungläubige, deren Gefangener ich bin!«

»Arnaud!« keuchte Cathérine besorgt, als sie sah, daß ihre Feindin leichenblaß wurde. »Sieh dich vor!«

Aber Zobeida würdigte sie noch immer keines Blicks.

»Und diese weiße Frau bedeutet dir viel, nehme ich an?«

»Sie ist meine Frau!« entgegnete der Ritter einfach. »Meine Frau vor Gott und den Menschen. Und wenn du wirklich alles wissen willst: Wir haben einen Sohn, in unserem Land! Jetzt begreife, wenn du kannst.«

Trotz der heiklen Situation empfand Cathérine unbändige Freude. Sie war glücklich, daß er ihrer Rivalin wie eine Beleidigung ins Gesicht geschleudert hatte, sie sei seine Ehefrau.

»Begreifen?«

Ein gehässiges Lächeln verzerrte das entstellte Gesicht der Prinzessin noch mehr, während ihre Stimme ihren scharfen Klang verlor und einen drohend-freundlichen Ton annahm.

»Du wirst begreifen, mein Gebieter. Du hast es gesagt: Du bist mein Gefangener, und mein Gefangener wirst du bleiben … zumindest, solange ich Verlangen nach dir haben werde! Was versprachst du dir davon, als du mir triumphierend erklärtest, daß diese Frau deine Gattin sei? Daß ich vor Rührung weinen, ihre Hand in die deine legen, vor euch die Pforten der Alhambra öffnen, euch eine Eskorte bis zur Grenze mitgeben und euch alles Glück der Welt wünschen würde?«

»Wenn du deines Blutes würdig wärest, Kriegertochter des Atlas, dann würdest du genau so handeln!«

»Meine Mutter war eine Sklavin, eine an den Großkhan verkaufte turkmenische Prinzessin, und meinem Vater zum Geschenk gemacht. Sie war ein wildes Steppentier, das man fesseln mußte, um es zu besitzen. Sie kannte nur die Gewalt und endete durch Selbstmord nach meiner Geburt. Ich ähnele ihr: Ich kenne nur das Blut. Diese Frau ist deine Gattin, um so schlimmer für sie!«

»Was willst du tun?«

»Ich werde es dir sagen.« Ein verdächtiges Licht flackerte im eisigen Blick Zobeidas auf. Sie gab ein kleines, böses, nervöses Lachen von sich: »Ich werde sie nackt auf dem Sklavenhof festbinden lassen, damit die Sklaven sich einen ganzen Tag und eine Nacht an ihr vergnügen. Dann wird man sie auf dem Festungswall ans Kreuz schlagen, damit die Sonne die Haut, die dir so gut gefällt, ein wenig verbrennt und rissig macht; dann werden Yuan und Kong sich mit ihr beschäftigen, aber beruhige dich, es wird dir nichts von dem Schauspiel entgehen. Das wird deine Züchtigung sein. Ich glaube, danach wirst du keine Lust mehr haben, Vergleiche zwischen ihr und mir anzustellen, denn meine Folterknechte verstehen ihr Handwerk gut! … Ihr da, bemächtigt euch dieser Frau!«

Catherines Herzschläge setzten aus, instinktiv streckte sie die Arme ihrem Gatten entgegen, wie um seinen Schutz zu suchen. Die Eunuchen hatten keine Zeit, auch nur eine Bewegung zu machen. Flink hatte Arnaud seinen neben dem Bett liegengebliebenen Dolch ergriffen und sich zwischen Cathérine und die Sklaven geworfen. Sein Gesicht war rot vor Zorn, doch seine Stimme war von eisiger Ruhe, als er erklärte:

»Ihr rührt sie nicht an! Der erste, der vortritt, kann sicher sein, daß er keinen Augenblick länger lebt.«

Die Eunuchen erstarrten, aber Zobeida brach in Lachen aus. »Du bist verrückt! Ich werde rufen … Die Wachen werden kommen. Es werden hundert, zweihundert, dreihundert sein … soviel ich will! Du wirst dich geschlagen geben müssen. Überlasse sie ihrem Schicksal. Ich werde dafür sorgen, daß du sie vergißt. Ich mache dich zum König …«

»Glaubst du wirklich, mich mit solchen Argumenten verführen zu können?« höhnte Arnaud. »Und du behauptest, ich sei verrückt? Du selbst bist verrückt!«

Ehe jemand eine Bewegung machen konnte, hatte er Zobeida ergriffen, ihre beiden Handgelenke mit der freien Hand gepackt und sie fest an sich gezogen. Mit der anderen setzte er die scharfe Spitze des Dolches der Prinzessin an die Kehle.

»Jetzt rufe deine Heere, Zobeida! Rufe, wenn du es wagst, und du wirst zum letztenmal gerufen haben … Steh auf, Cathérine, und zieh dich an … Wir werden fliehen!«

»Aber … wie?«

»Das wirst du sehen. Tu, was ich dir sage. Und was dich betrifft, Prinzessin, so wirst du uns ganz ruhig zu dem geheimen Palastausgang führen, den du so gut kennst. Wenn du eine verdächtige Bewegung machst oder einen Schrei ausstößt, bist du tot.«

»Du wirst nicht weit kommen«, murmelte Zobeida. »In der Stadt schon wird man dich ergreifen.«

»Das ist meine Sache. Vorwärts!«

Langsam – Cathérine folgte entsetzt – verließen sie das Gemach, zwei seltsame Gestalten, vor denen die Eunuchen zurückwichen und entflohen. Die Gruppe betrat den Garten.

Cathérine schien das Unternehmen Wahnsinn zu sein, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie hatte vorhin, als Zobeida mit sadistischer Freude die ihr zugedachten Qualen geschildert hatte, eigentlich keine Angst gehabt. Hatte Morayma ihr nicht die bevorstehende Rückkehr des Kalifen angekündigt? In ihrem Zorn hatte Zobeida das ganz vergessen … Merkwürdigerweise ahnte Arnaud den Gedanken seiner Frau:

»Du hast unrecht, Cathérine, zu glauben, daß die Furcht vor der Rückkehr ihres Bruders diese Furie zurückhalten würde, dich töten zu lassen. Sie ist jeder vernünftigen Überlegung unzugänglich, jenseits jeder Furcht, wenn sie von ihren Dämonen besessen ist.«

Trotz der drohenden Waffe an ihrer Kehle zischte Zobeida in der Tat zwischen den Zähnen hervor:

»Ihr werdet nicht weit kommen … Ihr werdet sterben …«

Und plötzlich den Kopf verlierend, schrie sie: »Hierher! … Zu Hilfe!«, während sie sich wie eine Natter wand, um dem harten Griff Arnauds zu entwischen. Sie wollte noch einmal schreien, aber diesmal erstickte der Schrei, erstarb in einer Art entsetzlichen Gurgelns. Der Dolch war eingedrungen. Zobeida glitt ohne Klage aus Arnauds Armen in den weichen Sand des Gartens, die Augen wie in großem Erstaunen aufgerissen. Wie ein fahler Lichtfleck lag sie vor Catherines Füßen.

»Du hast sie getötet!« stammelte sie bestürzt.

»Sie hat sich selbst getötet … Ich wollte nicht zustoßen. Der Dolch hat sich von selbst in ihren Hals gebohrt.«

Einen Augenblick standen sie einander gegenüber, zwischen ihnen der Leichnam. Arnaud streckte seiner Frau die Hand entgegen.

»Komm! Wir müssen versuchen zu fliehen! Die Eunuchen haben bestimmt schon Alarm gegeben. Unsere einzige Chance wäre es, den geheimen Ausgang zu erreichen, bevor man uns einholt.«

Ohne zu zögern, gab sie ihm ihre Hand und ließ sich durch die Blumenbeete und Anlagen ziehen. Aber es war schon zu spät. Der Augenblick war verpaßt.

Der Tag brach an, und schon regte es sich im Garten. Aus vier Richtungen waren Schritte und Rufe zu hören.

Das eingekreiste Paar zögerte einen Augenblick, überlegte, welchen Weg es einschlagen sollte.

»Es ist zu spät«, murmelte Arnaud. »Wir haben keine Zeit mehr, die Mauer der Oberstadt zu erreichen. Sieh!«

Von allen Seiten tauchten Eunuchen mit ihren unheimlichen Krummsäbeln auf, auf denen die aufgehende Sonne funkelte. Hinter den Sträuchern, wo die beiden Montsalvy den Leichnam Zobeidas gelassen hatte, erklangen gellende Schreie, das »Ju! … Ju!«, die pflichtgemäßen Verzweiflungsschreie der Diener und Sklaven.

»Wir sind verloren!« stellte Arnaud ruhig fest. »Uns bleibt nur noch, anständig zu sterben.«

»Wenn ich bei dir bleibe, glaube ich, daß ich sterben könnte …«, sagte Cathérine, die Hand ihres Gatten fest drückend. »Es wäre nicht das erstemal, daß wir beide dem Tod ins Auge blickten. Erinnere dich an Rouen …«

»Ich habe es nicht vergessen!« erwiderte Arnaud mit flüchtigem Lächeln. »Aber hier gibt es keinen Jean Son, der uns zu Hilfe käme!«

»Aber es gibt Abu al-Khayr … und Gauthier und Josse, meinen Knappen, der in die Truppe des Kalifen eingetreten ist, um Zugang zur Alhambra zu erlangen! … Wir sind nicht allein!« Arnaud sah seine Frau bewundernd an.

»Josse? Wer ist denn das?«

»Ein Pariser Strolch, der auf Pilgerfahrt ging, um Ablaß für seine Sünden zu erlangen … Er ist mir sehr ergeben.«

Trotz der drohenden Gefahr, trotz der nahenden Gestalten, die sie immer enger und unerbittlicher einkreisten, mußte Arnaud lachen.

»Du wirst mich immer erstaunen, Cathérine! Wenn du Satan träfest, ma mie, wärest du fähig, ihm eine Leine um den Hals zu legen und ihn zum gehorsamsten Hündchen zu machen! Ich stelle ebenso mit Vergnügen fest, daß du diesen Muskelberg und normannischen Dickkopf Gauthier bis hierher mitgeschleppt hast. Jetzt wende deine Künste bei denen da an!« fügte er in einem anderen Ton hinzu, auf die Herankommenden deutend. Zwei verschiedene Gruppen näherten sich jetzt dem Paar, das zwischen einem Wasserbecken und einem Rosenstrauch stehengeblieben war. An der Spitze der einen konnten Cathérine und Arnaud die vorhin geflüchteten fackeltragenden Eunuchen erkennen, die dem von sechs Frauen der Prinzessin aufgehobenen Leichnam voranschritten. Den Mann, der die andere anführte, erkannte Cathérine an seinem Turban aus rotem Brokat: Es war der Großwesir Haben-Ahmed Banu Saradj …

»Du hast recht«, murmelte sie. »Wir sind verloren! Der da haßt dich und hat keinen Grund, mich zu lieben …«

Die beiden Gruppen stießen zusammen, bevor sie das Paar erreichten. Banu Saradj blickte lange auf den in seine azurblauen Schleier gehüllten Leichnam hinunter, den die Frauen vor ihm niederlegten. Dann ging er ruhig auf die beiden jungen Leute zu. Cathérine hatte instinktiv bei Arnaud Zuflucht gesucht, der den Arm um ihre Schulter legte. Der Tod, der in Form dieses jungen und eleganten Mannes auf sie zukam, schien ihr schrecklicher zu sein als der, welcher ihr von der Kobra gedroht hatte, vielleicht, weil es furchtbar ist zu sterben, wenn man nach soviel Mühen und Leid endlich die Liebe und das Glück gefunden hat. Der Garten entfaltete seine Schönheit im goldenen Licht des anbrechenden Morgens. Die von der Nacht erfrischten Blumen schienen glanzvoller, und das Wasser warf blaue, glitzernde Reflexe.

Der schwere, seltsam leere Blick Banu Saradjs legte sich jetzt auf Arnaud.

»Du hast die Prinzessin getötet, nicht wahr?«

»Jawohl! Sie wollte meine Frau foltern lassen. Ich habe sie getötet.«

»Deine Frau?«

»Diese hier ist meine Frau, Cathérine de Montsalvy. Sie hat die größten Gefahren auf sich genommen, um zu mir zu gelangen …«

Die schwarzen Augen des Großwesirs ruhten einen Augenblick voller Ironie auf der errötenden Cathérine. Dieser Mann hatte sie in den Armen des Kalifen überrascht, und die Erwähnung der Gefahren, die sie zu bestehen gehabt hatte, mußte ihn zwangsläufig belustigen. Sie schämte sich und machte sich Vorwürfe, weil Arnaud den Spott tragen mußte.

»Es war zweifellos dein Recht«, bemerkte Banu Saradj, »aber du hast Blut aus dem Geschlecht des Herrn der Gläubigen vergossen, und für dieses Verbrechen mußt du sterben.«

»Sei es denn, nimm mein Leben, doch laß meine Gemahlin ziehen! Sie ist unschuldig.«

»Nein!« protestierte Cathérine leidenschaftlich, sich an Arnaud klammernd. »Trenne uns nicht, Wesir! Wenn er stirbt, will auch ich sterben …«

»Ich habe nicht über dein Los zu entscheiden«, wandte Banu Saradj ein. »Der Kalif ist auf dem Weg hierher. In einer Stunde wird er wieder in der Alhambra sein. Du vergißt zu schnell, Frau, daß du ihm gehörst. Und was diesen Mann betrifft …« Er machte eine befehlende Geste. Einige Wachen, die ihn begleiteten, traten vor. Trotz ihrer Schreie und ihrer verzweifelten Gegenwehr wurde sie von Arnaud weggerissen, dessen Hände man auf dem Rücken zusammenband, während die junge Frau den Haremsdienerinnen übergeben wurde.

»Führt sie zurück«, befahl der Wesir in gelangweiltem Ton, »und bewacht sie scharf. Besonders aber sorgt dafür, daß sie schweigt!«

»Ich werde schweigen«, schrie Cathérine außer sich, als sie sah, wie ihr Gatte in Fesseln und von Wachen umgeben abgeführt wurde, »wenn du mich bei ihm läßt, wenn du mich auch fesseln läßt.«

»Sei tapfer, Cathérine!« bat Montsalvy. »Ich brauche deine Tapferkeit.«

»Knebelt sie«, befahl Banu Saradj. »Ihre Schreie sind unerträglich!«

Die Frauen stürzten sich wie ein Wespenschwarm auf sie und knebelten sie. Eine Schärpe wurde ihr um den Mund gebunden, mit einer anderen wurden ihre Hände gefesselt, mit einer dritten die Füße, und dann wurde die junge Frau wie ein Paket auf die Schultern der Dienerinnen gehoben und in die Gemächer der Sultanin getragen, die sie zu Beginn dieser nun zu Ende gegangenen Nacht mit einer so großen Hoffnung im Herzen verlassen hatte. Sie war derart wütend, daß sie nicht einmal mehr Lust hatte zu weinen! Konnte Gott eine solche Ungerechtigkeit zulassen? Sollte Arnaud sterben, weil er diese wahnsinnige Mörderin erdolcht hatte, die sie den schlimmsten Qualen hatte ausliefern wollen? Nein … das war nicht möglich, das konnte nicht möglich sein!

Unter schmerzhafter Anstrengung gelang es ihr, den Kopf zu wenden, um noch einmal ihren Gatten zu sehen. Zwischen den blitzenden Krummschwertern schritt er aufrecht und mutig trotz seiner Fesseln, eine hohe, edle Gestalt im morgendlichen Licht, dem Kerker zu. Heiße, verzweifelte Tränen glitzerten in den Augen Catherines.

»ich werde dich retten …«, versprach sie sich ganz leise. »Und wenn ich mich dem Kalifen zu Füßen werfen und den Staub unter seinen Füßen küssen muß, werde ich deine Begnadigung von ihm erwirken …«

Sie war wieder einmal zu jeder Verrücktheit bereit. Indessen wußte sie, daß es für Arnauds Lebensrettung einen Preis gab, den er von nun an auf keinen Fall gutheißen würde … Er hatte ihr verziehen. Sie gehörte ihm.

Während man sie forttrug, hörte sie in der blauen Morgenluft den schrillen, rhythmischen Ton der Querpfeifen und Trommeln zwischen den Jubelrufen der Menge. Mohammed war in Granada eingezogen.

Als man Cathérine gegen Abend holte, um sie zum Kalifen zu führen, regte sich wieder Hoffnung in ihr. Doch war der Tag durchaus nicht ermutigend gewesen.

Die Wachen an den Ausgängen ihrer Gemächer waren verstärkt worden, dafür hatte sich die übliche Schar von Dienerinnen und Sklavinnen auf einen einzigen stummen Eunuchen verringert, der ihr gegen Mittag ihre Mahlzeit auf einem Tablett gebracht hatte. Keine Frau war zu ihr gelassen worden. Nicht einmal Morayma! Und Cathérine machte sich wegen dieser Isolierung Sorgen, nicht so sehr ihretwegen als um Arnauds willen. Die Härte kündigte nichts Gutes für ihren Gatten an. Sie würde vielleicht mehr Mühe haben, seine Begnadigung zu erreichen, als sie zuerst geglaubt hatte …

Es hatte den üblichen Lärm gegeben, als die Rückkehr des Kalifen verkündet wurde, dann war das ganze Palais wieder in seine Stille zurückgefallen. Von Zeit zu Zeit drang das Jammergeschrei der Klageweiber an Zobeidas Bahre an Catherines Ohr, schrill und aufreizend, weil es gekünstelt war. Wer konnte auch diese grausame, mordgierige Frau ehrlich beweinen? Und was würde Arnaud dafür geschehen, daß er die Welt von ihr befreit hatte?

Cathérine ärgerte sich, daß Morayma nicht erschien. Was konnte diese alte Närrin denn fürchten? Dabei brauchte sie sie dringend. Es mußte um jeden Preis ein Weg gefunden werden, Abu al-Khayr von der tödlichen Gefahr zu verständigen, in der Arnaud schwebte. Würde der Kalif in seinem Zorn nicht sofort seinen Tod befehlen? Lebte Arnaud in diesem Augenblick, in dem Cathérine sich um ihn Sorgen machte, vielleicht schon nicht mehr? … Doch die junge Frau wies diesen Gedanken leidenschaftlich von sich. Nein, er konnte nicht tot sein. Sie hätte es bestimmt gefühlt.

Durch ihren Kummer war Cathérine in einen Zustand fieberhafter Spannung geraten, als Morayma endlich auf der Schwelle ihres Gemachs erschien.

»Komm!« sagte sie nur. »Der Herr will dich sehen!«

»Endlich! Da bist du!« rief die junge Frau. Sie erhob sich schnell, um ihrer Wärterin zu folgen. »Ich habe dich den ganzen Tag erwartet und …«

»Schweig!« herrschte die alte Jüdin sie an. »Ich habe nicht das Recht, mit dir zu sprechen. Und hüte dich ja, einen Fluchtversuch zu machen. Du hättest nicht die geringste Chance.«

Tatsächlich warteten auf der Schwelle zehn Eunuchen, Krummschwerter in den Fäusten, um Cathérine zu eskortieren. Morayma begnügte sich, die junge Frau fest zu verschleiern, und bemerkte:

»Sei so demütig, wie du kannst, Licht des Morgens. Ich bringe dich nicht in den Djenan-el-Arif, sondern in den Mechouar, in den Palast, wo der Herr regiert. Er ist sehr verärgert. Du tust mir leid, denn du wirst seinen Zorn zu spüren bekommen.«

»Ich habe keine Angst!« entgegnete Cathérine stolz. »Geh voraus, ich folge dir!«

Dicht von den Eunuchen umgeben, ließ Cathérine sich durch den Harem zu den Pforten des dem Kalifen vorbehaltenen Palastes führen. Die Frauen, neugierig, oft haßerfüllt, drängten sich auf ihrem Weg. Sie konnte Lachen und Scherze hören. Sie sah die grünen Augen Zorahs blitzen, die vor ihr ausspuckte. Beim Verlassen des Löwenhofs gab es einen solchen Andrang von Frauen, daß die Eskorte Mühe hatte durchzukommen. Die Frauen weigerten sich, sich auseinandertreiben zu lassen. In diesem Durcheinander hörte Cathérine plötzlich eine Stimme, die ihr auf französisch ins Ohr flüsterte:

»Man hat ihn in den Chafar gebracht! Es geschieht also zunächst nichts!«

Sie lächelte dankbar, glaubte, die Gestalt Maries bemerkt zu haben, die sich zwischen den anderen verlor. Es konnte nur sie sein! Und sie fühlte sich getröstet. Arnaud war also in den Hauptturm der Alkazaba gebracht worden … aber er lief nicht Gefahr, sofort getötet zu werden.

Mit dem Schwertknauf oder der Nilpferdpeitsche bahnten die Eunuchen sich den Weg zu der Pforte, welche die beiden Teile des Palastes miteinander verband. Dort standen die maurischen Wachen, behelmt und Lanzen in der Faust, drohend und feierlich, Vorhut der Gerechtigkeit … Jenseits der Pforte tat sich die Herrlichkeit eines königlichen Kreuzgangs aus weißem Marmor auf, um eine meergrüne Wasserfläche herumgeführt und von einer Doppelhecke aus duftenden Myrten eingefaßt. Danach empfingen sie keine stimmungsvollen Gebüsche, keine freundlichen Schatten wie im Djenan-el-Arif. Statt dessen bewaffnete Posten, gestaffelt bis zu dem grandiosen, nach hinten offenen Versammlungssaal in einem massigen, viereckigen Turm und eine Menge Würdenträger und Diener in prächtigen Gewändern. Die Eskorte und Morayma ließen Cathérine am Eingang zum Saal der Gesandten allein. Aus schmalen, mit buntem Glas versehenen Fenstern fiel gedämpftes Licht senkrecht auf den großen goldenen, mit Edelsteinen eingelegten Thron, auf dem der Kalif saß und die junge Frau herankommen sah.

Ein grünseidener, mit einem riesigen Smaragd geschmückter Turban umschloß den Kopf des Herrschers. In der Hand hielt er das Zepter, ein langes, gekrümmtes, goldverziertes Bambusrohr. Und Cathérine stellte mit schwerem Herzen fest, daß keine Freundlichkeit den düsteren, eisigen Blick aufhellte, mit dem er sie betrachtete.

Zwei Diener in langen grünen Gewändern packten sie an den Schultern, als sie eintrat, und zwangen sie, vor dem Thron niederzuknien. Da verlor sie die letzte Hoffnung. Von diesem Mann, der sie von vornherein als Schuldige behandelte, hatte sie nichts zu erwarten. Sie blieb unbeweglich, wartete, daß er spräche, hob aber kühn die Augen zu ihm auf.

Mit einer Bewegung hatte er ihre Umgebung entlassen. Als der letzte Diener sich zurückgezogen hatte, befahl er: »Nimm deinen Schleier ab. Ich möchte dein Gesicht sehen. Ohnehin hast du nicht das Recht dazu. Du bist keine der Unsrigen.«

Sie gehorchte freudig und stand gleichzeitig auf, entschlossen, sich wieder stolz zu zeigen. Wenn sie Arnaud nicht retten konnte, wollte sie Mohammed wenigstens zwingen, sie sein Schicksal teilen zu lassen. Der helle Schleier, den sie trug, glitt an ihr hinunter, während sich ihr Blick mit dem des offenbar gereizten Herrschers kreuzte.

»Wer hat dir erlaubt aufzustehen?«

»Du. Du hast gesagt, ich sei keine der Eurigen! Ich bin eine freie Frau und von edler Herkunft. In meinem Land spricht der König achtungsvoll mit mir.«

Mohammed neigte sich zu ihr hinunter, eine spöttische, verächtliche Falte um die vollen Lippen.

»Hat dich dein König besessen? Ich habe dich besessen! Welche Achtung könnte ich für dich empfinden?«

»Hast du mich zu dir befohlen, o mächtiger Kalif, um mir das zu sagen? ich sehe den Nutzen nicht ein, es sei denn, es gefällt dir, eine Frau zu beleidigen.«

»Ich hätte dich, ohne ein Wort zu verlieren, in den Tod schicken können, aber ich wollte dich wiedersehen … und sei es auch nur, um deine Fähigkeit zu lügen beurteilen zu können.«

»Lügen? Warum sollte ich mir die Mühe dazu nehmen? Frage, Herr: ich werde dir antworten. Eine Frau meines Standes lügt nicht.«

Es folgte Stille. An untertänige Sklaven, an untätige, verweichlichte Kreaturen gewöhnt, für die es kein größeres Fest bedeutete, als zu ihm gerufen zu werden, betrachtete Mohammed diese Frau mit einer Mischung aus Zorn und Erstaunen, die es wagte, in ihrer Lage ohne augenscheinliche Furcht, jedoch nicht arrogant, sondern nur stolz und würdevoll vor ihn hinzutreten. Daß ihre Unterhaltung sich so entwickelt hatte, fachte den Mut der jungen Frau an. Wenn sie so weitersprechen konnte, fast gleich zu gleich, bestünde vielleicht eine Chance … Abrupt ergriff Mohammed das Wort:

»Man sagt, daß der fränkische Ritter … der Mörder meiner vielgeliebten Schwester, dein Gemahl sei«, bemerkte er mit geheuchelter Nachlässigkeit.

»Das ist wahr.«

»Also hast du mich belogen! Du bist keine in Almeria gekaufte Berbergefangene.«

»Man hat dich belogen, Herr! Ich habe nichts dergleichen gesagt … denn du hast mich ja nicht gefragt. Jetzt werde ich es dir selbst sagen: ich heiße Cathérine de Montsalvy, Dame de la Chataigneraie, und bin hierhergekommen, um meinen Gatten zurückzuholen, den deine Schwester mir gestohlen hatte.«

»Gestohlen? Ich bin diesem Mann des öfteren begegnet. Er schien sich mit seinem Los abgefunden zu haben … und mit der wahnsinnigen Liebe, die Zobeida für ihn empfand.«

»Welcher Gefangene versucht nicht, sich mit seinem Los abzufinden? Und was die Liebe betrifft, Herr, so müßtest du, der du die Frauen nach Lust und Laune nimmst, ohne daß dein Herz daran beteiligt ist, wissen, daß ein Mann das ziemlich leicht fertigbringt.«

Brüsk warf der Kalif das Bambuszepter beiseite, das seine Majestät vielleicht erhöhte, ihn aber behinderte, und rückte unruhig auf seinem Paradediwan hin und her. Cathérine sah, wie ein Hauch von Traurigkeit in seinen klaren Blick trat.

»Siehst du es so an?« fragte er bitter. »Ich habe dir in wenigen Tagen so viel Liebe geschenkt, daß ich von dir zumindest Wärme erwarten könnte! Ich habe einen Augenblick geglaubt, in dir die zu entdecken, die zu suchen ich schon aufgegeben hatte. Du bist also in meinen Armen nur eine Sklavin wie die anderen gewesen?«

»Nein. Du hast mich glücklich gemacht«, gab Cathérine ehrlich zu. »Ich kannte dich nicht und war angenehm überrascht, dich als den zu finden, der du bist. Ich habe mich auf Schreckliches gefaßt gemacht, und du hast dich als liebenswürdig und gut erwiesen. Diese Erinnerung, die du in mir wachrufst … warum soll ich nicht gestehen, daß sie mir angenehm ist und daß unsere Nacht eine bezaubernde Nacht war? Habe ich dir nicht versprochen, dich nicht zu belügen?«

Mit einer schnellen, behenden Bewegung stand Mohammed auf und trat auf Cathérine zu. Das Blut war ihm in die braunen Wangen gestiegen, und seine Augen blitzten.

»Warum sollen wir die Romanze nicht wiederaufnehmen, wo wir sie abgebrochen haben?« murmelte er leise, drängend. »Alles kann bleiben, wie es war. Du gehörst mir immer, und ich kann die Bande, die dich an diesen Mann ketten, leicht vergessen.«

Die in den Worten des Kalifen fiebernde Leidenschaft ließ Cathérine erzittern. Die Liebe war das einzige Gebiet, auf das sie ihm nicht zu folgen vermochte, weil sie seine Leidenschaft nicht mehr erwidern konnte. Sie senkte den Kopf, antwortete mit müder Sanftmut:

»Ich nicht! Er ist mein Gatte, habe ich dir gesagt. Wir sind von einem Priester in unserem Land getraut worden. Ich bin seine Frau, bis der Tod uns scheidet.«

»Was nicht lange auf sich warten lassen wird! Bald wirst du frei sein, meine Rose, und wirst hier ein Leben beginnen, dem gegenüber das, welches du gekannt hast, nur ein schlechter Traum ist. Ich werde dich zur Sultanin machen, zur Königin über alles, was hier lebt und atmet. Du wirst alles haben, was dein Herz begehrt, und du wirst mehr herrschen als ich, weil du über mich herrschen wirst!«

Mohammed hatte mit einem Schlag das leidenschaftliche Gesicht wiedergewonnen, das er in dem Garten mit den plätschernden Wassern gehabt hatte. Cathérine, plötzlich traurig, verstand, daß er sie wirklich liebte, daß er jedes Opfer für sie zu bringen bereit war, außer dem einen, das sie von ihm forderte.

Es wäre natürlich leicht, ihn zu belügen, ihn an eine fiktive Liebe glauben zu lassen, aber sie wußte wohl, daß dies Arnaud nicht retten und daß er ihr diesen letzten Verrat nicht verzeihen würde. Sie hatte versprochen, offen zu sein, und sie würde es bis zum Schluß sein. Vielleicht würde dieser Mann, der ihr immer gut und gerecht erschienen war, letzten Endes so viel Edelmut aufbringen, sich großzügig zu erweisen …

»Du hast mich nicht verstanden, Herr«, sagte sie betrübt, »oder du hast mich nicht verstehen wollen. Um hierherzukommen und ihn hier zu suchen und so viele Gefahren zu bestehen, mußte ich meinen Gemahl lieben … mehr als alles in der Welt!«

»Ich sagte dir bereits, daß er nicht mehr lange dein Gemahl sein wird!«

»Weil du ihm den Tod geschworen hast? Aber, Herr, wenn du mich liebst, wie du behauptest, kannst du mich nicht zur Verzweiflung treiben wollen. Glaubst du, daß ich dich nach seinem Tod lieben, die Liebkosungen deiner von seinem Blut noch triefenden Hände ertragen könnte?«

Plötzlich kam ihr ein Gedanke, hochherzig und verrückt, aber die unmittelbare Gefahr, in der sich Arnaud befand, ließ ihr keine Wahl. Sie hatte immer das Recht, sich für ihn zu opfern, und dieser Mann empfand genug Liebe für sie, um anzunehmen, was sie ihm jetzt anbieten würde:

»Hör mich an!« sagte sie mit drängender Stimme. »Wenn du mich wirklich liebst, kannst du keine so entsetzliche Erinnerung zwischen uns stellen. Laß meinen Gemahl gehen! Laß ihn an die Grenze des Königreichs zurückbringen … und ich werde bei dir bleiben, als deine Gefangene, solange du willst.« Diesmal verdrehte sie bewußt die Wahrheit entgegen ihrem Versprechen, denn sie wußte genau, daß sie, wenn er ihren Vorschlag annähme, alles täte, um zu fliehen, und daß Arnaud seinerseits alles ins Werk setzen würde, sie zu entführen. Aber sie mußte Zeit gewinnen und vor allem Arnaud dem nahenden Tod entreißen. Ganz behutsam näherte sie sich Mohammed mit instinktiver Koketterie, betörte ihn mit ihrem Parfüm, wurde kühner und legte ihm die Hand auf den Arm. Zum Teufel mit den Bedenken! Das Leben Arnauds ging vor!

»Hör mich an, Herr, und tue, worum ich dich bitte!« flehte sie. »Begnadige meinen Gatten!«

Ohne sie anzusehen, den Blick auf den grünen Hof gerichtet, erwiderte er kalt: »Ich habe nicht das Recht zur Begnadigung! Du vergißt, daß es meine Schwester ist, die er getötet hat, und daß das gesamte Königreich den Kopf des Mörders verlangt.« Daß ganz Granada die allgemein verhaßte Zobeida rächen wollte, bezweifelte Cathérine, sie sagte aber nichts. Es war jetzt nicht der Augenblick, die Beliebtheit der Toten zu erörtern. Als ihre Hand ihn berührte, hatte sie gespürt, wie Mohammed zitterte, und das genügte ihr.

»Dann laß ihn fliehen! Niemand wird dir daraus einen Vorwurf machen.«

»Fliehen?« Diesmal sah er sie an, und Cathérine stellte enttäuscht fest, daß sein Blick wie Stahl war. »Weißt du, daß sich der Großwesir persönlich zu seinem Kerkermeister eingesetzt hat? Weißt du, daß außer den zwanzig maurischen Soldaten, die ihn nicht aus den Augen lassen, auch ein Trupp von Männern des Großen Kadi seinen Kerker bewacht? Denn Allah selbst verlangt das Blut des Mörders einer Prinzessin von Granada. Um ihn fliehen zu lassen, müßte ich diese ganze Welt beseitigen … und ich würde meinen Thron riskieren!«

Während er sprach, hatte Cathérine allmählich die Hoffnung aufgegeben.

Sie begriff plötzlich, daß der Kampf vergebens war, daß er jeden Vorwand suchte, um eine Begnadigung zu verweigern, die er eben nicht gewähren wollte. Er haßte Arnaud, mehr noch, weil er ihr Gemahl war, als Zobeidas wegen. Trotzdem machte sie noch einen letzten Versuch, ihn zu erweichen.

»Deine Schwester wollte mich den Sklaven ausliefern«, sagte sie kurz und bündig, »wollte mich nackt auf dem Festungswall ans Kreuz schlagen lassen und mich dann ihren mongolischen Henkersknechten ausliefern. Arnaud hat zum Dolch gegriffen, um mich zu retten, und du verweigerst mir sein Leben! … Und du behauptest, du liebtest mich?«

»Ich habe dir gesagt, daß ich es nicht kann!«

»So! Bist du hier der Herr oder nicht, ja oder nein! Und was war Zobeida anders als eine Frau … eine dieser so verachteten Frauen, von so geringer Bedeutung für die Angehörigen deines Volkes? Und du möchtest mich glauben machen, daß der Großkadi selbst, der heilige Mann von Granada, das Blut meines Gatten fordert?!«

»Zobeida war vom Blut des Propheten!« donnerte Mohammed. »Und wer das Blut des Propheten vergießt, muß sterben! Das Verbrechen ist noch größer, weil der Mörder ein Ungläubiger ist! Höre auf, mich um Unmögliches zu bitten, Licht des Morgens. Die Frauen verstehen nichts von den Angelegenheiten der Männer!«

Die Verachtung in seiner Stimme ließ Cathérine auffahren.

»Wenn du nur wolltest … du, der für so stark gilt!«

»Aber ich will nicht!«

Brutal hatte er sich ihr zugewandt, hatte sie an den Armen gepackt und preßte sie, während er sein vor Wut rotes Gesicht dem Catherines näherte.

»Begreifst du nicht, daß du mich mit deinen Bitten nur noch mehr reizt? Warum sagst du nicht offen, was du denkst? Warum sagst du mir nicht: Laß ihn frei, weil ich ihn liebe und weil ich ihn um jeden Preis am Leben wissen muß … selbst um den Preis deiner Küsse! Wahnsinnige! Gerade deine Liebe für ihn, viel mehr als der Wunsch, meine Schwester zu rächen, macht ihn mir so hassenswert. Denn ich hasse ihn jetzt, verstehst du … ich hasse ihn zutiefst, mit aller Kraft, weil es ihm gelungen ist zu erlangen, was ich um alles in der Welt wünschte: von dir geliebt zu werden.«

»Glaubst du, mehr zu erreichen, wenn du ihn tötest?« fragte Cathérine kalt. »Die Toten haben eine Macht, wie du es dir gar nicht vorstellen kannst. Du würdest die Gemahlin Arnaud de Montsalvys gefangenhalten können, aber seine Witwe würdest du nie besitzen! Erstens, weil ich ihn nicht überleben würde. Und dann, weil das Blut, mit dem du dich befleckt hättest, mich schaudern machen würde, wenn ich noch leben sollte …«

Mit einem jähen Ruck hatte sie sich von ihm gelöst, war einige Schritte zurückgetreten und sah ihn jetzt herausfordernd an. Es war seltsam zu sehen, wie die Männer im Zorn sich ähnelten. Unter der aufgeregten Maske dieses Mannes entdeckte sie den Reflex anderer Wutausbrüche, die aller Männer, die sie geliebt hatten oder mit denen sie gekämpft hatte. Und immer war sie als Siegerin hervorgegangen. In dem Augenblick, in dem nicht an ihr Herz oder an ihre Empfindsamkeit appelliert wurde, fühlte sie sich einem zornigen Mann gegenüber stark. Aber wenn sie glaubte, daß die Schwäche, die dem Zorn immer anhaftet, ihr Mohammed ausliefern würde, dann täuschte sie sich. Die anderen gehörten zu ihrem Volk. Dieser da war anders. Zwischen ihnen lag eine Welt, über die hinweg sich ihre Geister nicht finden konnten.

Mit äußerster Anstrengung beruhigte sich der Kalif. Cathérine den Rücken kehrend, ließ er sich wieder auf seinem Thron nieder, griff nach seinem Zepter, als suche er in dem Emblem seiner Macht eine Verteidigung gegen diese allzu reizvolle Frau. Cathérine straffte sich, unruhig plötzlich über den zweideutigen Blick, den er ihr zuwarf, während ein leises Lächeln seine Zähne unter dem blonden Bart blitzen ließ. Furcht erfaßte sie! Mohammeds Wut war weniger erschreckend als dieses Lächeln!

»Du wirst nicht sterben, Licht des Morgens!« begann er sanft.

»Höre auf, mich so zu nennen!« begehrte die junge Frau auf.

»Dieser Name ist greulich. Ich heiße Cathérine!«

»Die Barbarennamen sind mir nicht sehr geläufig, aber ich werde nach deinem Wunsch handeln. Also, du wirst nicht sterben … Cathérine, denn ich werde darauf achten, daß dir keine Möglichkeit dazu gelassen wird. Und ich werde dich gewinnen, wann immer ich will. Nein … keine Einwände! Ich werde das Blut deines Gatten nicht an meinen Händen haben … denn du wirst ihn töten!«

Catherines Herzschlag setzte aus. Sie glaubte, nicht recht gehört zu haben, fragte verstört: »Was sagst du? Ich habe nicht richtig verstanden …«

»Du selbst wirst ihn töten mit deiner hübschen, schmalen Hand. Höre weiter: Dein Gatte liegt in diesem Augenblick in einem tiefen Kerker. Dort wird er bis zum Tag der feierlichen Bestattung seines Opfers, die heute in einer Woche bei Sonnenuntergang stattfinden wird, bleiben. An diesem Tag wird er sterben, damit der Sklave seine Herrin ins Jenseits begleite und Zobeida in ihrem Grabmal die blutigen Überreste ihres Mörders betrachten kann. Bis dahin wird er nichts trinken, nichts essen, nicht schlafen, damit das Volk sehen kann, was mein Zorn aus einem fränkischen Ritter zu machen vermag. Aber was er an Qualen zu erdulden haben wird, ist nichts im Vergleich zu dem, was er vor seinem Tod auszustehen hat. Unter freiem Himmel, vor dem ganzen Volk, werden die Henkersknechte es ihn hundertmal bereuen lassen, daß er geboren wurde … es sei denn …«

»Es sei denn was?« hauchte Cathérine entsetzt.

»Es sei denn, du verkürzt seine Folterqualen. Du wirst dabeisein, meine Rose, geschmückt, wie es einer Sultanin gebührt. Und du wirst das Recht haben, seine Leiden abzukürzen, indem du ihn selbst mit der Waffe, die er zum Töten benutzt hat, niederstreckst.«

Das war es also, was er sich ausgedacht hatte, um ihr Schmerz zu bereiten. Die furchtbare Wahl, entweder den Mann, den sie anbetete, zu erdolchen oder ihn stundenlang qualvoll schreien zu hören! Mein Gott! Wie konnte sie dieses Leben zerstören, an dem das ihre hing? Traurig, elend murmelte sie wie zu sich selbst:

»Er wird den Tod von meiner Hand segnen.«

»Das glaube ich nicht. Denn er wird wissen, daß du in Zukunft mein sein wirst. Man wird ihn nicht im unklaren lassen, daß ich dich noch am selben Abend heiraten werde.«

Auf dem schönen Gesicht des Kalifen lag eine solche Grausamkeit, daß Cathérine angewidert die Augen abwandte.

»Und dich nennt man gut, edel, großmütig! … Man kennt dich schlecht! Freue dich nicht zu früh. Mich kennst du nämlich auch nicht! Für alles Leiden gibt es eine Grenze.«

»Ich weiß. Du hast gesagt, daß du deinen Tagen eine Ende bereiten wirst. Aber nicht vor dem Tag der Hinrichtung, denn nichts könnte deinen Gatten vor der Folterung retten, wenn du nicht mehr wärest. Du mußt für ihn am Leben bleiben, schöne Dame!«

Sie hob die tränenfeuchten Augen zu ihm auf. Welche Art Liebe empfand dieser Mann für sie? Er schrie ihr seine Leidenschaft ins Gesicht und quälte sie im nächsten Augenblick mit kalter Grausamkeit … Aber sie überlegte nicht mehr, kämpfte nicht mehr! Sie war am Ende jeder Hoffnung. War es aber vielleicht nicht doch möglich, im tiefsten Innern dieses Mannes, dieses Dichters, eine winzige Stelle zu finden, die dem Mitleid zugänglich wäre … Langsam ließ sie sich auf die Knie fallen und senkte den Kopf.

»Herr«, sagte sie leise, »ich flehe dich an! Sieh … ich knie zu deinen Füßen, ich habe keinen Stolz, auch keine Selbstachtung mehr. Wenn du noch etwas Liebe, und sei es auch noch so wenig, für mich empfindest, so laß mich nicht so leiden! Du kannst mich nicht zu der Qual der kommenden Tage verurteilen, kannst nicht wollen, daß ich unter demselben Dach mit dir langsam sterbe. Wenn du mir das Leben meines Gatten nicht schenken kannst oder willst, dann erlaube mir wenigstens, daß ich zu ihm gehe. Laß mich seine Leiden und seinen Tod teilen, und vor Gott, der mich hört, schwöre ich, daß ich dich noch im Sterben segnen werde …«

Instinktiv streckte sie flehentlich die Hände aus, hob ihr schönes, tränenfeuchtes Antlitz zu ihm auf, das rührend und gleichzeitig so schön war, daß sich der Zorn Mohammeds entgegen ihren Hoffnungen noch verstärkte.

»Steh auf«, sagte er barsch. »Es ist unnötig, daß du dich demütigst. Ich habe dir gesagt, was ich zu sagen hatte.«

»Nein, du kannst nicht so grausam sein! Was fängst du mit einem Körper an, dessen Seele dir nicht gehören kann? Laß mich nicht so leiden … Habe Mitleid mit mir!«

Sie barg das Gesicht in den Händen. Draußen ging die Sonne in herrlicher Glut unter. Von der Höhe eines benachbarten Minaretts erklang die durchdringende Stimme eines Muezzins, der die Gläubigen zum Abendgebet rief. Sie übertönte das verzweifelte Schluchzen Catherines, und Mohammed, der sich vielleicht hätte rühren lassen, fand seine Fassung wieder. Mit einer heftigen Bewegung wies er Cathérine die Tür und sagte schroff:

»Geh! Du verschwendest Zeit und Mühe hier! Du wirst nichts von mir erlangen. Geh in dein Gemach. Es ist für mich die Stunde des Gebets!«

Unverzüglich versiegten Catherines Tränen im Feuer einer unbändigen Wut. Rasch erhob sie sich und warf dem Kalifen einen haßerfüllten Blick zu.

»Gebet?« sagte sie mit vernichtender Verachtung. »Du kannst beten? Dann vergiß nicht, Herr, deinem Gott mitzuteilen, wie du den Ehebund zweier Wesen zu zerreißen und die Gattin zu zwingen gedenkst, den Gatten zu ermorden. Wenn er dies billigt, dann unterscheidet er sich wahrhaftig sehr von dem einzigen und wahren Gott! Und außerdem hat man die Götter, die man verdient!«

Sie hob ihren Schleier auf, hüllte sich nachlässig in ihn und ging, ohne sich umzublicken, hinaus, wo sie Morayma und ihre Eskorte vorfand. Der langgestreckte grüne Hof leerte sich schnell. Die Männer begaben sich in die Moschee. Nur vier Gärtner waren noch damit beschäftigt, gemächlich die Myrtenbüsche zu beschneiden. Einer von ihnen, ein riesiger Maure, hustete, als Cathérine an ihm vorüberging. Mechanisch wandte sie den Kopf und sah ihn an. Unter dem weißen Turban und trotz des kleinen schwarzen Bartes erkannte sie Gauthier.

Ihre Blicke kreuzten sich. Sie konnte sich weder erstaunt zeigen noch stehenbleiben, mußte ihren Weg fortsetzen, während der falsche Gärtner ebenso langsam und trödelnd wie seine Kollegen zur Moschee hin davonging. Trotzdem fühlte sich Cathérine, in ihrem vergoldeten Gefängnis angelangt, erleichtert. Sie konnte nicht verstehen, wie Gauthier dahin gelangt war, wie er sich unter die Dienerschaft der Alhambra hatte mischen können, aber sicherlich hatte er es Abu al-Khayr zu verdanken. Er mußte zweifellos für taubstumm gelten, was die am wenigsten gefährliche Situation für einen falschen Muselmanen war. Und der Gedanke, daß er da und ihr nahe war, hatte so etwas Tröstliches, daß Cathérine vor Freude hätte weinen können. Es war gut, ihn in diesem verfluchten Palast zu wissen, zu wissen, daß er über sie wachte, so gut es ging. Josse wiederum war in der Alkazaba, bei den Soldaten … vielleicht sogar im Ghafar, Arnaud nahe. Aber Cathérine verging vor Angst. Der Pariser kannte Arnaud nicht. Und was konnte er schon unternehmen, um das Martyrium des Gefangenen zu mildern? Die Worte Mohammeds klangen ihr wieder im Ohr: »Eine Woche lang wird er nichts essen, nichts trinken, wird nicht schlafen …« Was für ein menschliches Wrack würde Arnaud nach diesen qualvollen Tagen sein! Und würde sie wirklich selbst den Dolch, der sie so viele Male verteidigt und geschützt hatte, ins Herz ihres Gatten stoßen müssen? Allein bei diesem Gedanken stockten Catherines Herzschläge. Sie wußte, daß sie Tag für Tag, Stunde um Stunde allein durch diese Vorstellung leiden würde, gleichzeitig mit dem geliebten Mann …

Nur ein Gedanke tröstete sie ein wenig. »Nachdem ich ihn getötet habe, töte ich mich selbst!« schwor sie sich.

Als Cathérine wieder in ihrem Gemach angekommen war, warf ihr Morayma, die kein Wort an sie gerichtet hatte, einen unsicheren Blick zu.

»Ruhe dich aus. In einer Stunde komme ich wieder und hole dich ab.«

»Wozu?«

»Um dich den Bademeisterinnen zu übergeben. Von heute an wirst du jede Nacht ins Bett des Herrn geführt werden.«

»Du willst doch nicht etwa sagen, daß er …?«

Die Empörung raubte ihr die Sprache, aber Morayma hob mit dem Fatalismus ihrer Rasse die Schultern.

»Du bist sein Eigentum. Er verlangt nach dir … Was gibt es Natürlicheres? Wenn man sein Los nicht vermeiden kann, gebietet die Klugheit, es klaglos zu erdulden …«

»Und du glaubst, daß ich es hinnehmen werde?«

»Was kannst du sonst tun? Du bist schön. Auf seine Art liebt dich der Herr. Vielleicht gelingt es dir sogar, seinen Zorn zu besänftigen …«

Ein scharfer Blick Catherines wies sie in ihre Grenzen, und sie zog es vor, sich zu entfernen. Allein geblieben, ließ die Gefangene sich auf ihr Bett fallen, krank vor Wut bei dem Gedanken, was sie noch erwartete. Und sie hatte an diesen Kalifen geglaubt, der sie nun mit so kalter Grausamkeit behandelte! Er war ganz der Bruder Zobeidas. Sie hatte dieselbe Arroganz, dieselbe wilde Eifersucht, dieselbe absolute Selbstsucht an ihm entdeckt. Zobeida hatte geglaubt, Arnaud könne Cathérine sterben lassen und sie an ihrer Seite vergessen; und Mohammed wagte es, sie im selben Augenblick, in dem er ihren Gatten endlosen Leiden unterwarf, zu der Seinen machen zu wollen! Gewiß, Cathérine war fest entschlossen, sich leidenschaftlich zu wehren, aber ihr Henker hatte alle Möglichkeiten, sie zur Ohnmacht zu verurteilen. Zweifellos würde er über ihren Widerstand und ihre Anstrengungen lachen … und sie hatte nicht einmal ein Mittel, sich zu töten! Traurig zog sie das Giftfläschchen, das Abu al-Khayr ihr geschickt hatte, aus dem Versteck hinter der Azulejosverkleidung hervor, die sie von der Wand gelöst hatte. Wenn sie die Hälfte des Inhalts ihrem Gatten hätte zukommen lassen können, hätte sie ohne zu zögern, den Rest im Fläschchen ausgetrunken … aber es war nicht möglich!

Der schlurfende Schritt des stummen Eunuchen vom Morgen, der mit einem neuen Tablett ankam, ließ sie zusammenfahren. Das Fläschchen verschwand in ihrer Hand. Sie sah, daß der Diener das Tablett ganz nahe auf dem Bett abstellte, statt es auf ein niedriges Tischchen zu setzen, wie es der Brauch war. Gereizt wollte sie die Mahlzeit zurückweisen, nach der ihr nicht verlangte, als ein bedeutsamer Blick des Schwarzen ihre Aufmerksamkeit erregte. Der Mann zog ein Papierröllchen aus seinem Ärmel und ließ es auf das Tablett fallen, dann verneigte er sich bis zur Erde und zog sich, der Etikette gemäß rückwärts schreitend, zurück.

Auf dem hastig entrollten Papier las Cathérine mit plötzlicher Freude einige Zeilen, die ihr Freund, der Arzt, ihr geschrieben hatte: »Wer einen tiefen Schlaf schläft, weiß nichts von den Leiden und den äußeren Begebenheiten. Die Rosenkonfitüre, die dir jeden Abend vorgesetzt wird, wird dir einige Stunden so tiefen Schlafes schenken, daß nichts und niemand dich aufwecken kann …«

Das war alles, aber Cathérine empfand große Dankbarkeit für ihren treuen Freund, dem es auf nur ihm bekannten Wegen gelang, so aufmerksam über sie zu wachen. Sie hatte verstanden: Jeden Abend, wenn Morayma käme, um sie zu holen, würde sie so fest schlafen, daß der Kalif gezwungen wäre, sein Vorhaben aufzugeben. Und wer würde schon die unschuldige Konfitüre verdächtigen, ohne die es in Granada keine angemessene Mahlzeit gab?

Das Fläschchen schnell wieder in sein Versteck zurückstellend, machte Cathérine sich an ihr Mahl. Sie mußte außerdem noch etwas essen, um keinen Verdacht zu erregen. Es war nicht leicht, denn sie hatte wirklich keinen Hunger, aber sie zwang sich, von mehreren Tellern etwas zu kosten. Schließlich aß sie drei Löffelchen von dem berühmten parfümierten Gelee und streckte sich dann, von einem Triumphgefühl erfüllt, auf ihrem Bett aus. Sie hatte ein zu großes Vertrauen in ihren Freund Abu, um sich nicht ganz seinen Befehlen zu unterwerfen. Sie war auch ziemlich sicher, daß die Fürsorge des kleinen Arztes sich nicht allein auf sie erstreckte. Vielleicht war er über die tragische Lage Arnauds ebensogut unterrichtet. Die Anwesenheit Gauthiers unter den Gärtnern der Alhambra war ihr eine Art Beweis dafür. Langsam entspannten sich Catherines Nerven. Die der Konfitüre beigemischte geheimnisvolle Droge tat ihre Wirkung …

14

Am Fuße der roten, die Pforte der Sieben Stockwerke flankierenden Doppeltürme versammelte sich die Menge, als die Hitze des Tages nachzulassen begann. Davor lag ein großer, freier Platz, auf dem der Kalif die Parade seiner Truppen abzunehmen pflegte und die größten öffentlichen Feste abgehalten wurden. Dort, unter den Festungswällen der Alhambra, waren Gerüste für das Publikum und mit bunter Seide ausgeschlagene Tribünen für den Kalifen und seine Würdenträger errichtet, aber es kam so viel Volk, daß die Gerüste sofort überfüllt waren und ein großer Teil des Publikums stehen mußte.

Tagelang vorher waren Priester und Bettler durch die Stadt gegangen, um überall zu verkünden, daß der Herr der Gläubigen an diesem Tag ein großes Fest anläßlich der Bestattung seiner vielgeliebten Schwester geben werde, in dessen Verlauf der Ungläubige, der sie getötet habe, hingerichtet werde. Und die ganze Stadt war zur festgesetzten Stunde gekommen: Männer, Frauen, Kinder, Greise, zu einer wogenden, farbigen, schreienden und aufgeregten Masse vereint. Die Bauern waren von den benachbarten Bergen heruntergekommen, mischten ihre braunen, erdfarbenen Dschellabas unter die roten, weißen, blauen oder orangefarbenen Gewänder der Städter. Man zeigte sich einige Gruppen aus dem Maghreb gekommener Söldner, deren langes Haar in Zöpfen über die Rücken herunterhing, andere wieder in Dunkelblau gekleidet und wie Frauen verschleiert, mit fremdartigen Schilden aus bemaltem Leder, furchterregender vielleicht noch in ihrer geheimnisvollen Aufmachung als die maurischen Reiter in ihren blitzenden Helmen.

Die ganze Oberstadt war heruntergekommen, in Festkleidern, gold- und silberglänzend, die sich von den makellosen Behängen der Tribüne des Kalifen abhoben. Da und dort liefen die großen sudanesischen Palastsklaven herum, von auffälliger Eleganz in ihrer grellbunten Kleidung, den Ring der Knechtschaft im Ohr und wie die Kinder lachend in Erwartung des großen Schauspiels.

Über allem lag eine Kirmesatmosphäre. Bis das Schauspiel begann, waren alle Possenreißer der Stadt aufs Manöverfeld gezogen, in der Gewißheit, dort ihr Publikum zu finden. Gaukler, Erzähler, die ihren Vortrag mit kurzen Trommelschlägen begleiteten, Schlangenbeschwörer, die ihre gefährlichen Pfleglinge sich in frenetischen Tänzen wiegen ließen, Akrobaten, noch gelenkiger als die Schlangen, Zauberinnen, die die Zukunft aus einem Weidenkorb mit schwarzen und weißen Muscheln lasen, näselnde Sänger, die Koranverse oder Liebesgedichte mit Muezzinstimme herunterleierten, alte graubärtige Hanswurste, deren Grimassen einen Sturm von Gelächter auslösten, Bettler und fleißige Taschendiebe – ein einziges Gebrodel in dem aufgewirbelten roten Staub, dazu der Geruch von Pferdemist und Stroh.

Über dem Eingangstor der Alhambra erschienen einige Männer zwischen den Zinnen. Einer, groß und in ein orangegestreiftes Gewand gekleidet, ging den anderen voran, die, nachdem sie respektvoll die Hände gekreuzt hatten, seine Befehle zu erwarten schienen. Kalif Mohammed kam, um sich mit einem letzten Blick zu vergewissern, daß alles in Ordnung war und das Schauspiel beginnen konnte. Die Schwadronen der Reiter mit ihren spitzen Helmen und weißen Turbanen bezogen um den riesigen Platz Stellung. Auf den Türmen der Alhambra träumten Störche, unbeweglich auf einem Bein stehend … Inzwischen bereiteten in den Gemächern der Sultaninnen die Frauen unter Leitung der aufgeregten Morayma die augenscheinlich teilnahmslose Cathérine vor. In der Mitte des Gemachs stehend, zwischen Bergen von Schleiern, Seidenstoffen, neben offenen Kasten voller kostbarer Fläschchen, ließ sie sich wortlos, bewegungslos gleich einer Statue mit lebenden Augen anziehen. Man hörte im Gemach nur das Geschimpfe Moraymas, die nie mit der Arbeit der gereizt seufzenden Dienerinnen zufrieden war. Die Herrin des Harems nahm die Haltung einer Priesterin ein, die einen Ritus zelebriert, dessenungeachtet aber die Frauen anpfiff, die Cathérine Stück um Stück, von Kopf bis Fuß in Gold hüllten. Aus feinem goldbesticktem Leder waren die Pantoffeln, goldverziert und mit Smaragden besetzt die weiten Hosen aus goldschimmerndem Musselin. Das kurze Leibchen, das ihre Brust umschloß, war aus Goldbrokat. Juwelen im Übermaß vervollständigten ihre Kleidung: Reifen bis zur Mitte ihrer Arme, dicke Armspangen, eine Halskette mit großen, tropfenförmigen Smaragden bis zu den halb entblößten Brüsten des tiefen Dekolletés, schließlich ein fabelhafter breiter Gürtel, ein wahres Meisterwerk persischer Kunst, mit Diamanten, Rubinen und Smaragden besetzt, den Morayma mit einer Art respektvoller Furcht der jungen Frau um die Hüfte gelegt hatte: »Der Herr zeigt dir mit dem Geschenk dieses Gürtels seinen festen Vorsatz, dich zu seiner Gemahlin zu machen. Dieses Kleinod, einst vom Kalifen von Bagdad, Harun al-Raschid, für seine Lieblingsfrau bestellt, ist die Perle seines Schatzes. Nach der Plünderung des Palastes von Bagdad kaufte der Emir von Cordoba das Kleinod für seine Geliebte, und dann wurde es gestohlen. Der Seigneur Rodriguez de Bivar, el Cid, schenkte es seiner Gemahlin, Donna Ximena, aber später, nach ihrem Tod, kam der Gürtel wieder zurück. Alle Sultaninnen haben ihn an ihrem Hochzeitstag getragen …«

Morayma verstummte. Cathérine hörte nicht hin. Seit einer Woche lebte sie wie eine Schlafwandlerin, in einer Art wachen Alptraums, der Morayma alsbald und dann den ganzen Harem mit abergläubischer Furcht erfüllt hatte. Der seltsame, tiefe Schlaf, in den sie seit der Festnahme ihres Gatten jeden Abend fiel, hatte Mohammed zuerst heftig erzürnt, dann aber in ein gewisses furchtsames Erstaunen versetzt. Nichts konnte diesen Schlaf bezwingen, der mehrere Nachtstunden währte, und es war, als hätten die Hände Allahs selbst die Augen der Gefangenen geschlossen. Anfänglich hatte man wohl an eine Droge gedacht, aber in dem Verhalten der jungen Frau, die scharf überwacht wurde, hatte sich nichts Anomales gezeigt. Mohammed war schließlich zu dem Schluß gekommen, daß es ein Zeichen des Himmels sei. Er durfte diese Frau, Gemahlin eines Mörders, nicht berühren, solange ihr legitimer Herr noch lebte, und nach dem dritten Abend hatte er es aufgegeben, sie zu sich zu beordern. Doch Morayma, abergläubisch bis zum Exzeß und als gute Tochter Judas Anhängerin der Geheimlehren, war nicht weit davon entfernt, in der neuen Favoritin ein außergewöhnliches Wesen zu sehen. Ihre Wortkargheit, ihr hartnäckiges Schweigen schienen ihr Anzeichen einer von unsichtbaren Geistern Gezeichneten zu sein.

Um die Wahrheit zu sagen, wirkte die Droge Abu al-Khayrs auf Catherines Bewußtsein immer nachhaltiger. Sie lebte durch den Tag in einer Art zweiter Existenz, ihr Geist war benebelt, was zumindest den Vorteil hatte, daß ihr Kummer und ihre Sorgen gedämpft und ihr Schmerz eingeschläfert waren. Ohne dies wäre sie wahnsinnig geworden, so unerträglich war ihr der Gedanke, daß Arnaud im Turm der Alhambra von Hunger, Durst und Schlaflosigkeit gequält wurde. Doch hatte Cathérine, beunruhigt über die Betäubung ihrer Sinne und Reflexe, an den beiden letzten Abenden der Woche die Rosenkonfitüre nicht angerührt und sich einfach schlafend gestellt. Am Hinrichtungstag wollte sie im Besitz aller ihrer Sinne sein.

Noch einen Tusch Kohle auf die Augenlider, und Morayma hüllte Cathérine in einen gewirkten bestickten Schleier, der das Bild eines fremden, barbarischen Idols vervollständigte.

»Es ist Zeit …«, flüsterte sie und bot ihr die Hand, um sie über die Schwelle zu führen. Aber Cathérine lehnte die dargebotene Hand ab. Sie war überzeugt, daß der Weg, den sie jetzt ging, zum Tode führte, daß ihr nicht mehr viel Zeit zu leben blieb und die fabelhaften Geschmeide, die man ihr angelegt hatte, nur der Ornat für das dem Tode bestimmte Opfer waren. Gleich würde sie Arnaud erdolchen, um ihm die fürchterlichsten Qualen zu ersparen, dann würde sie die Waffe flink gegen sich selbst richten, und alles wäre zu Ende. Ihre Seele würde mit der ihres Mannes in die blaue, warme Luft steigen, dieser Sonne entgegen, die bald hinter den schneebedeckten Bergen untergehen würde, und sie wären für immer vereint, von Schmerz, Zweifel und Eifersucht befreit, würden nur ein Stück fühllosen Fleisches in den Händen ihrer Henker zurücklassen. Alles in allem war dieser Tag ein schöner Tag, weil Cathérine und Arnaud nur noch nach der letzten Ruhe strebten …

Als die zukünftige Sultanin, von Frauen umgeben und einer starken Eunuchentruppe begleitet, im Rund erschien, hatten der Kalif und sein Gefolge bereits auf der erhöhten, grün-gold ausgeschlagenen Tribüne Platz genommen, die für ihn vorbereitet worden war. Die zahlreichen Spaßmacher der Menge hatten mit ihren Kunststücken aufgehört, aber es trat keine Stille ein. In der Menge ging es wie in einem aufgestörten Vogelhaus zu. Die Erscheinung der jungen Frau zügelte sie einen Augenblick. Inmitten der zarten blauen, rosenfarbenen, safrangelben oder mandelgrünen Schleier ihrer Frauen schimmerte sie geheimnisvoll, ihr funkelndes Geschmeide ließ sich unter der goldenen Wolke ihres Schleiers erraten. Still nahm Cathérine auf einer etwas niedrigeren Tribüne neben der des Kalifen Platz. Sie war mit blauer Seide verkleidet, und einige Stufen verbanden sie mit dem Sand der improvisierten Arena. Schweigend sah auch Mohammed die junge Frau sich nähern, strich mit nervöser, mechanischer Gebärde über seinen blonden Bart. Ihre Blicke kreuzten sich, aber unter dem Eindruck ihrer wild funkelnden Augen wandte er den Blick ab. Stirnrunzelnd schenkte er seine Aufmerksamkeit der Arena, wo eine Truppe junger berberischer Tänzer zum Klang einer näselnden, klagenden Musik aufgetreten war. In lange weiße Gewänder gekleidet, mit Juwelen bedeckt und wie Mädchen geschminkt, Stirn und Taille mit roten Seidenkordeln umbunden, lag auf den außergewöhnlich zarten Gesichtern dieser hübschen Jünglinge ein versteinertes Lächeln. Mit ihren behenden Füßen stampften sie auf den Boden, sie bogen sich wollüstig in den Hüften, ahmten in einem fremdartigen Tanz mit komplizierten Figuren die Bewegungen der Liebe nach. Einige sangen mit hohen Kopfstimmen, sich selbst auf dreisaitigen, schrill klingenden Geigen begleitend, andere schlugen mit ihren Fingern Kastagnetten aus Bronze zum Takt ihrer Schritte.

Diese zweideutigen Tänze mißfielen Cathérine, die den Kopf abwandte, eine Bewegung, die ihr haßerfüllte Blicke der jungen Tänzer eintrug, aber sie konnte ihre gezierten Bewegungen das Weichlich-Weibische ihrer Attitüden auf diesem Fest des Todes nur mit Mühe ertragen. Denn es war das Fest des Todes. Diese Menge war gekommen, um Blut zu sehen!

Oben, in der königlichen Moschee, dröhnten dumpf die Trommeln. Ihr Rollen ging über die Tänzer wie ein Gewittersturm hinweg, sie warfen sich keuchend zu Boden, blieben bewegungslos liegen, während ihre leidenschaftliche Musik erstarb. Langsam öffneten sich die schweren Flügel der Pforte der Sieben Stockwerke, einem feierlichen Zug den Weg freigebend. Vor einer Gruppe von Querpfeifern und Tamburinschlägern wurde die einbalsamierte Leiche Zobeidas, starr und rot unter dem langen Purpurschleier, der sie von Kopf bis Fuß bedeckte, von zwanzig Sklaven auf einer Silberbahre herausgetragen. Priester in weißen Gewändern umgaben sie, dann folgte ein großer Trupp schwarzer Eunuchen, angeführt von ihrem Befehlshaber, einem riesigen Sudanesen mit bronzefarbenem Gesicht, der sein Krummschwert zum Zeichen der Trauer umgekehrt trug.

Das Erscheinen ihrer Feindin weckte Cathérine aus ihrer verächtlichen Gleichgültigkeit. Zobeida war tot, aber ihr Haß lebte noch. Cathérine fühlte ihn, und eine kalte Wut bemächtigte sich ihrer beim Anblick dieses erstarrten Körpers, dem sie in Bälde ihren Gatten und sich selbst opfern müßte. Inzwischen stellten die Sklaven die Bahre auf einer Art niedrigen Podests vor der Tribüne des Kalifen ab, der sich erhob und mit Banu Saradj und mehreren Würdenträgern die sterblichen Überreste seiner Schwester grüßte. Wieder wollte Cathérine die Augen abwenden, aber etwas zwang sie, es nicht zu tun. Mit fast unerträglicher Beharrlichkeit hatte sie einen Blick auf sich gefühlt und wandte sich instinktiv nach der Seite, von derer kam. Und da entdeckte sie unter dem Gefolge des Kalifen Abu al-Khayr. Die hohe, breite Gestalt des Hauptmanns der maurischen Wache hatte bis dahin die schmächtige Gestalt ihres Freundes verdeckt. Unter seinem riesigen orangefarbenen Turban sah der kleine Arzt sie beharrlich an, und Cathérine bemerkte, als ihre Blicke sich schließlich kreuzten, daß er ihr ein flüchtiges, schnelles Lächeln zusandte, dann den Kopf wandte, als wollte er sie veranlassen, der Richtung seines Blickes zu folgen. Und sie erspähte in den ersten Reihen der Menge, die er mit seiner hohen Gestalt überragte, Gauthier, der mit verschränkten Armen sehr gut den Neugierigen spielte. Nach wie vor in seinem groben Gärtnerkittel, eine Art kegelförmigen Filzhut auf dem Kopf, machte er den völlig ruhigen, friedlichen Eindruck eines Mannes, der einem frohen Fest beiwohnt und nicht einer Hinrichtung.

Dann wanderten die Augen Abu al-Khayrs zu einer Gruppe maurischer Reiter weiter hinten, und Cathérine erkannte unter einem vergoldeten Spitzhelm Josse. Allerdings mit einiger Mühe. Sonnengebräunt wie seine Kameraden, das Gesicht von einem schwarzen Bärtchen umrahmt, steif in seinem verzierten Sattel sitzend, die Lanze in der Faust, bot der Pariser einen ebenso wilden und militärischen Anblick wie seine Kameraden. Nichts unterschied ihn von den anderen Reitern, und Cathérine bewunderte die Kunst, mit der der einstige Strolch seine Rolle spielte. Augenscheinlich interessierte er sich nicht für das, was vor ihm vorging, war ganz damit beschäftigt, sein Pferd in Reih und Glied zu halten. Tatsächlich schien das Tier außerordentlich nervös zu sein, tänzelte auf der Stelle und hätte ohne die Fertigkeit seines Reiters zweifellos einige Unordnung verursacht.

Der Anblick ihrer drei Freunde belebte Catherines Hoffnungen. Sie wußte, daß sie mutig, ergeben und zu allem bereit waren, sie zu retten, sie und Arnaud, und diese Entschlossenheit, die sie in ihnen fühlte, riß sie mit … Durfte man mit solchen Männern wirklich verzweifeln?

Eine lange Zeremonie folgte der Ankunft der Leiche der Prinzessin. Es gab Gesänge, feierliche Tänze, die unendlich lange Ansprache eines imposanten Greises mit schneeweißem Bart, groß und hager wie eine Pappel im Winter, dessen Augen unter buschigen weißen Brauen in einem fanatischen Feuer brannten. Cathérine wußte bereits, daß es der Großkadi war, und grub die Nägel in ihre Hände, als sie hörte, wie er den Zorn Allahs und des Kalifen auf den Ungläubigen herunterrief, der es gewagt hatte, seine frevelhafte Hand gegen einen Nachkommen des Propheten zu erheben. Als er endlich nach einer Verwünschung schwieg, dämmerte es Cathérine, daß die Sterbestunde für Arnaud und sie gekommen war, und der schwache Hoffnungsschimmer, den die Anwesenheit ihrer Freunde wieder entfacht hatte, schwand … Was konnten sie schon ausrichten, drei gegen so viele? Da waren die Menge, der Hof, die Soldaten … und soviel Haß gegen den Ungläubigen, soviel wilde Freude über seinen nahenden Tod! … Es blieb nur noch Gott! Still richtete Cathérine ein inständiges Gebet an den Herrn, die Jungfrau von Puy, deren Schutz sie erfleht hatte, an den heiligen Jakob von Compostela.

»Noch einige Streiter mehr, mein Gott«, bat sie flehentlich. »Nur einige Streiter mehr, die Mut zum Zuschlagen haben!« Oben, hinter dem Festungswall, hatten die Trommeln wieder zu dröhnen begonnen. Cathérine erbebte, in diesem langsamen Rollen schien ihr eine Drohung zu liegen, sie klangen wie die Schläge eines sterbenden Herzens. In diesem Augenblick traten die Henker des Kalifen jeweils zu zweit durch die Pforten des Palastes. Sie waren imposant, sehr muskulös, schwarz wie eine mondlose Nacht. Sie trugen blaue Hemden mit aufgekrempelten Ärmeln und gelbe, rotbestickte Pluderhosen. Mit einer Menge sonderbarer Werkzeuge beladen, die Cathérine erblassen ließen, zogen sie eine Kette um den Platz und trieben die Menge zurück, die die Wachen schlecht im Zaume halten konnten. Gleichzeitig hatte ein Trupp halbnackter Sklaven vor der Tribüne Mohammeds eiligst ein Gerüst errichtet, auf das sie ein Holzkreuz pflanzten, ähnlich dem, das einst auf einem Hügel Jerusalems errichtet worden war, nur viel niedriger, damit die mit der Folterung des Verurteilten beauftragten Henker ihr Werk verrichten konnten. Dann brachten die Sklaven eiserne Kohlenöfen, in die die Folterknechte eine ganze Sammlung von Eisengeräten, Zangen und Kneifzangen schoben. Die faszinierte Menge hielt bei diesen makabren Vorbereitungen den Atem an, aber sie empfing mit lauten Hochrufen einen riesigen, buckligen Neger, dürr wie ein Ebenholzstumpf, der vortrat, über die Schulter den Sack geschwungen, in den er nach Beendigung der Hinrichtung den Kopf des Opfers stecken würde, um ihn dem Kalifen vorzulegen, ehe er auf dem Turm der Gerechtigkeit aufgepflanzt wurde. Es war Békir, der Oberhenker, eine wichtige Persönlichkeit, wie sein purpurseidenes, silberbesticktes Gewand deutlich machte. Er stieg feierlichen Schrittes auf das Gerüst, blieb dort unbeweglich stehen, warf sich in Positur und verschränkte die Arme, um den Verurteilten zu erwarten.

Wieder ein Trommelwirbel. Cathérine war unter ihren goldenen Schleiern dem Ersticken nahe. Sie biß sich in die Hand, um nicht laut aufzuschreien, die Nerven bis zum äußersten gespannt. Ihr bestürzter Blick suchte den Abu al-Khayrs, aber der kleine Arzt, das Kinn auf der Brust und im rechten Winkel dazu sein absurder Turban, schien zu schlafen. Er sah so zerbrechlich, so einsam inmitten dieser überreizten Menschen aus, daß Cathérine völlig den Kopf verlor. Würden er und die beiden anderen nicht etwas unternehmen? Es wäre Wahnsinn, denn keiner von ihnen würde lebend davonkommen! Es war unmöglich! … Nein! Besser sterben! Aber schnell …! Sie betrachtete die Menge.

Unten behielt Gauthier seine statuenhafte Unbeweglichkeit bei, aber Cathérine sah, wie er sich straffte, als die Pforten der Alhambra zum dritten Mal knarrten. Am Fuße der roten Mauern, zwischen den riesigen, eisenbeschlagenen Flügeln, erschien der Verurteilte …

Unfähig, sich zu beherrschen, richtete Cathérine sich mit einem Entsetzensschrei auf. Bleich und fast nackt, abgesehen von einem um die Lenden geschlungenen Tuch und den schweren Ketten, mit denen er gefesselt war, torkelte Arnaud wie ein Betrunkener in die Sonne. Die Arme auf dem Rücken zusammengebunden, das Gesicht vom Bart überwuchert, die Augen verstört, versuchte er trotz allem verzweifelt, in dieser letzten Minute gute Figur zu machen. Aber er stolperte über einen Stein und fiel auf die Knie. Die ihn umgebenden Wachen mußten ihn wieder auf die Füße stellen. Der Mangel an Schlaf und Nahrung hatte seine Arbeit getan, und die Wachen mußten den Verurteilten den Abhang hinunter stützen.

An Cathérine geklammert, versuchte Morayma verzweifelt, sie zum Niedersitzen zu bewegen, aber die in ihrem furchtbaren Schmerz erstarrte junge Frau hörte nicht hin und sah nichts als diesen langen braunen Körper, den die Mauren zur Hinrichtung führten. Jetzt hatte sich der düstere Blick Mohammeds auf die junge Frau geheftet. Morayma flehte ganz leise:

»Ich bitte dich inständig, Licht des Morgens, komm zur Besinnung. Der Herr sieht dich an.«

»Wie? Soll er mich doch ansehen!« zischte die junge Frau durch die Zähne. »Was macht das schon!«

»Sein Zorn kann sich noch heftiger gegen den Verurteilten richten«, flüsterte die alte Jüdin ängstlich. »Glaube mir! Trotze ihm nicht offen! Die Mächtigen zahlen ihre Demütigungen grausam heim. Man weiß das in meinem Volk.«

Cathérine antwortete nicht, hatte aber verstanden. Wenn der Kalif ihr in seinem Zorn die furchtbare Gunst wieder entzöge, die er ihr aufgezwungen hatte? Wenn er sie daran hinderte, die entsetzlichen Qualen ihres Geliebten abzukürzen, die das häßliche Arsenal der Folterwerkzeuge der Henker voraussehen ließ? Langsam setzte sie sich wieder auf ihren Platz, aber sie zitterte am ganzen Leib. Ihr war, als sei sie im Begriff zu sterben, und sie versuchte, mit aller Kraft gegen die Schwäche anzukämpfen, die sie befiel. Doch ihre ganze Seele, ihr ganzes Leben war in ihren Augen konzentriert, die sich fest auf den todgeweihten Mann richteten.

Die Henkersknechte hoben ihn auf das Gerüst, richteten ihn am Kreuz auf, die Hände offen an den Querbalken gelegt, doch ohne sie festzubinden. Alsbald zischte etwas durch die Luft, was die Menge mit Freudenrufen und Arnaud mit einem schweren Stöhnen quittierte. Am Fuße der Kalifentribüne postiert, hatten zwei Bogenschützen angelegt, und ihre Pfeile, mit teuflischer Präzision abgeschossen, hatten sich genau in die Mitte der geöffneten Hände gebohrt und sie ans Kreuz genagelt. Arnaud war erblaßt, während der Angstschweiß ihm die Wangen herunterrann. Die »Ju! … Ju!«-Rufe der hysterischen Frauen erfüllten die laue Luft, der die untergehende Sonne einen veilchenblauen Schimmer gab. Cathérine war erneut mit einem Schrei aufgesprungen. Einer der Henkersknechte zog aus einem Kohlenofen einen langen, im Feuer geröteten Eisenstab und ging jetzt auf den Verurteilten zu, von den begeisterten Rufen des Volkes angespornt.

Wutentflammt riß Cathérine sich von Morayma los, die vergebens versuchte, sie zurückzuhalten, stieg in die Arena hinunter und stellte sich direkt vor Mohammed auf. Sofort schwieg die Menge, und der Henkersknecht hielt vor Erstaunen in seinem Tun inne. Was wollte diese in Gold gekleidete Frau, von der es in der ganzen Stadt hieß, daß der Kalif sie noch am selben Abend heiraten werde? Catherines Stimme hob sich, durchdringend, anklagend:

»Ist es das, Kalif, was du mir versprochen hast? Willst du so dein Wort halten? Sofern du überhaupt weißt, was das heißt?« Sie hatte französisch gesprochen, in einem letzten Bemühen, diesen Mann, der sie in der Hand hatte, rücksichtsvoll zu behandeln. Wenn sie ihn vor seinem Volk demütigte, hätte dies sicher entsetzliche Folgen … Aber ein dünnes Lächeln umspielte die Lippen des blondbärtigen Kalifen.

»Ich wollte nur sehen, wie du darauf reagieren würdest, Licht des Morgens. Du kannst den Schritt tun, den ich dir erlaubt habe, wenn dies dein Wunsch ist …«

Er erhob sich, beherrschte mit seinem gebieterischen Blick die wartende Menge:

»Hört, getreue Untertanen des Königreichs Granada! Heute abend wird die Frau, die ihr an meiner Seite seht, meine Gemahlin. Sie besitzt mein Herz, und ich habe ihr als Hochzeitsgeschenk das Vorrecht gewährt, mit eigener Hand den Mörder meiner geliebten Schwester zu töten. Es ist gerecht, daß der, welcher eine Frau getötet hat, durch die Hand einer Frau stirbt!«

Das enttäuschte Grollen des Volkes dauerte nur einen Augenblick. Die vor der Tribüne aufgestellte Kompanie Bogenschützen hatte ihre Bogen gehoben. Man protestierte nicht, wenn der Kalif gesprochen hatte.

Der flehende Blick Catherines suchte den Abu al-Khayrs, aber der kleine Arzt hatte sich nicht gerührt. Bestimmt schlief er fest; das Herz der jungen Frau wurde schwer vor Gram: Er ließ sie im grausamsten Augenblick im Stich! Er war wie viele: Das Leben war ihm teurer als die Freundschaft …

Indessen kniete ein Sklave vor ihr nieder und hob eine goldene Platte, auf der der Dolch der Montsalvy unheilverkündend blitzte. Cathérine ergriff ihn begierig. Er schmiegte sich ganz natürlich in ihre Hand wie ein zutraulicher Vogel. Endlich hatte sie Arnauds und ihre Errettung in der Hand!

Sich in voller Größe aufrichtend und Mohammed mit funkelnden Augen trotzend, riß sie sich mit herausfordernder Bewegung den goldenen Schleier vom Gesicht.

»Ich bin weder deiner Rasse noch deines Glaubens, Sultan! Vergiß das nicht!«

Dann wandte sie sich stolz auf den Fersen um und schritt auf das Gerüst zu. Die Stunde ihres größten Triumphes war gekommen! In einem Augenblick würden ihre Seele und die ihres Gatten sich vereinen und zu der Sonne aus Gold und Purpur aufsteigen, die den Platz in Flammen hüllte, unbeschwerter noch als die schwarzen Vögel, die hoch oben am Himmel auftauchten …

Die Menge schwieg, von der schönen Frau gebändigt, die, den Tod in der Hand, auf den Gekreuzigten zuschritt … Ein herrlicher und seltener Anblick, der für dieses Volk einer verfeinerten Zivilisation das barbarische Vergnügen einer Hinrichtung wohl lohnend machte.

Aber Arnaud am Kreuz hatte den Kopf gehoben. Sein merkwürdig klarer und freier Blick kreuzte sich mit dem Catherines, um sich dann auf den Kalifen zu richten.

»Ich lehne diese angebliche Gunst ab, Seigneur Sultan! Der schnelle Tod, den ich nach deinem Wunsch von dieser Frau empfangen soll, bedeutet ebenso Entehrung und Schande! Welcher Ritter, der seines Namens würdig ist, würde es hinnehmen, von einer Frau getötet zu werden? Und, schlimmer noch, von der eigenen! Denn außer meiner Entehrung willst du ihr auch noch dein Verbrechen aufbürden, indem du sie zur Mörderin ihres Gatten machst! Hört mich, ihr Leute!« Die Stimme des Gemarterten schwoll an, rollte wie Donner über die Menge. »Diese mit Gold beladene Frau, diese Frau, die euer Sultan heute nacht in sein Bett nehmen will, ist meine Gemahlin, die Mutter meines Sohnes! Indem er mich tötet, macht er sie frei! Wißt weiter, daß ich Zobeida ihretwegen getötet habe, um sie vor Folterung und Vergewaltigung zu schützen, auf daß die, welche meinen Sohn getragen hat, nicht von schmutzigen Sklaven besudelt werde! Ich habe Zobeida getötet und bin stolz darauf! Sie verdiente nicht zu leben! Aber ich weigere mich, von der Hand einer Frau zu sterben! Entferne dich, Cathérine …«

»Arnaud!« bat die junge Frau bestürzt. »Ich flehe dich an … im Namen unserer Liebe!«

»Nein! Ich befehle dir, dich zurückzuziehen … wie ich dir befehle zu leben … für deinen Sohn!«

»Leben? Weißt du, was das heißt? Laß mich zustoßen, sonst …« Doch zwei Wachen waren der jungen Frau gefolgt und packten sie an den Händen.

Mohammed hatte erraten, daß sie sich töten würde, nachdem sie Arnaud getötet hatte. Ihr Zornesschrei wurde von Arnauds Stimme überdeckt, die jetzt schwächer klang, denn seine Qualen benahmen ihm den Atem, doch immer noch unerbittlich, immer noch voll unbeugsamen Willens:

»Laß deine Henker kommen, Kalif! Ich werde dir zeigen, wie ein Montsalvy stirbt! Gott schütze meinen König und sei meiner Seele gnädig!«

Kraftlos kniete Cathérine im Sand der Arena nieder.

»Ich will mit dir sterben! Ich will! …«

Auf ein gereiztes Zeichen des Kalifen kehrten die Folterknechte zu ihren Werkzeugen zurück. In der Menge rauschte es wie anschwellende Dünung. Man sprach über die mutigen Worte des Verurteilten, war erstaunt, zeigte sogar fast Mitleid … Und plötzlich dröhnten hinter den roten Mauern der Alhambra die Trommeln von neuem …

Alle Köpfe hoben sich, alle Bewegung erstarrte, denn diese Trommelschläge waren mit den vorhergegangenen nicht zu vergleichen: Heftig, schnell, waren sie eine Art wütendes Sturmläuten. Gleichzeitig brachen in der Palastfestung Geheul, Wehklagen, Wutschreie, Schmerzensschreie oder Siegesrufe aus. Der Kalifenhof und die riesige Menge, starr vor Verblüffung, warteten, ohne eigentlich zu wissen, auf was, aber auf der Tribüne hatte Abu al-Khayr sich endlich entschlossen, sich zu rühren. Ohne sich um das Protokoll zu kümmern, gähnte er mit weit offenem Mund …

Sofort gab Josse seinem nervösen Pferd, das er nur mit Mühe im Zaume gehalten hatte, die Zügel frei, so daß es davongaloppierte und fürchterliche Verwirrung in den Reihen der Wachen anrichtete. Und Gauthier, seine verblüfften Nachbarn niederwerfend, hieb auf die Wachen ein, die die Menge von der Seite zusammenhielt, und rannte zum Schafott. Der Riese raste. Von dem heiligen Furor mitgerissen, der sich seiner in der Stunde des Kampfes bemächtigte, warf er in wenigen Augenblicken die Wachen Catherines, die Henkersknechte und selbst den riesigen Békir zu Boden, der, seine Zähne ausspuckend, unter die Füße des sich bäumenden Pferdes von Josse rollte, dessen ausschlagende Hufe einige Schädel einschlugen. Sprachlos fühlte Cathérine, daß man sie an der Hand zog.

»Komm!« sagte neben ihr die ruhige Stimme Abu al-Khayrs. »Da ist ein Pferd für dich.«

Gleichzeitig riß er ihr den goldenen Schleier herunter und warf ihr einen dunklen Mantel über, den er wie durch Zauberei unter seinem Gewand hervorgezogen hatte.

»Aber … Arnaud!«

»Laß Gauthier nur machen!«

Tatsächlich riß der Riese jetzt die Pfeile, die Arnaud an das Kreuz nagelten, heraus, warf sich den reglosen Körper wie ein Paket über die Schulter und rutschte die Leiter des Schafotts hinunter. Josse, der sein Pferd langsam wieder in die Gewalt bekommen hatte, war plötzlich zur Stelle, am Zügel neben sich ein zweites, besonders kräftiges Pferd führend, ein schweres Schlachtroß mit breiter Kruppe. Der Riese bestieg es trotz seiner Last mit außerordentlicher Behendigkeit, preßte dann die Knie zusammen und drückte die Sporen, die er unter seinem Gewand trug, dem großen Roß in die Weichen. Das schoß wie eine Kanonenkugel davon, quer durch die in einem wüsten Durcheinander wogende Menge, und kümmerte sich nicht um die Leiber, die es unter seinen Hufen zertrampelte …

»Du siehst«, sagte die ruhige Stimme des kleinen Arztes, »er braucht uns nicht.«

»Aber was ist denn los?«

»Keine große Sache: eine Art kleine Revolution! Ich werde es dir erklären. Auf jeden Fall hat unser Kalif im Augenblick andere Sorgen. Komm, jetzt ist der richtige Augenblick. Niemand beschäftigt sich mit uns.«

In der Tat, auf dem Platz herrschte die größte Verwirrung. Man schlug aufeinander ein. Die Menge der Frauen, Kinder, Possenreißer, Greise und kleinen Händler floh in alle Richtungen, versuchte, nicht immer mit Erfolg, den Hufen der aufgeregten Gäule auszuweichen. Die Palastwachen waren in ein Handgemenge mit einem Trupp schwarzgekleideter und verschleierter Reiter geraten, der plötzlich, niemand wußte, woher, aufgetaucht war. Auch auf den Tribünen schlug man sich, und Cathérine konnte sehen, daß Mohammed tapfer seinen Part in diesem kriegerischen Konzert spielte. Todesröcheln mischte sich mit Wutschreien, mit dem Stöhnen Verwundeter. Die schwarzen Vögel am malvenfarbenen Himmel hatten ihre Kreise verengt und flogen jetzt tiefer.

Der Mittelpunkt des Wirbels, der Befehlshaber der schwarzen Reiter, um den sich einige verschleierte Männer geschart hatten, die bis dahin teilnahmslos in der Menge gestanden hatten, war ein großer, hagerer Mann dunkler Hautfarbe, auch schwarz gekleidet, aber mit unverhülltem Gesicht und einem fabelhaften Rubin am Turban. Sein Krummschwert sauste nach allen Seiten, schlug Köpfe ab wie die Sense des Schnitters die Ähren des Korns. Das letzte, was Cathérine noch sehen konnte, während Abu al-Khayr sie mitzog, nachdem er sie auf ein Pferd gesetzt hatte, war der Tod des Großwesirs. Das Krummschwert des Reiters schnitt ihm den Kopf ab, der einen Augenblick später am Sattel seines Besiegers hing. Auf der königlichen Moschee der Alhambra schlugen Allahs Trommeln immer noch …

Die Stadt war wahnsinnig geworden. Während Abu al-Khayr, der auch ein Pferd bestiegen hatte, ihren Weg durch die weißen Gassen mit den blinden Mauern verfolgte, konnte Cathérine Szenen sehen, die sie an das Paris ihrer Kindheit erinnerten. Überall schlugen sich die Menschen, überall rann Blut. Es war gefährlich, unter einem Flachdach durchzureiten, denn es regnete Wurfgeschosse jeder Art, und manchmal löste sich aus der rasenden Menge die unheimliche Gestalt eines der fremden verschleierten Reiter. Ein Krummschwert blitzte dann unter den Öllampen auf, denn die Nacht brach an, und es folgte ein Todesschrei. Aber Abu al-Khayr hielt nicht an.

»Beeilen wir uns«, sagte er immer wieder. »Es kann sein, daß die Stadttore früher geschlossen werden.«

»Wohin führst du mich denn?« fragte Cathérine.

»Wohin der Riese deinen Gatten geführt haben muß. In den Alkazar Genil, zu der Sultanin Amina.«

»Aber warum?«

»Nur noch etwas Geduld. Ich sagte dir doch, daß ich es dir erklären werde. Schneller, schneller! …«

Der Höllenlärm, die Schreie, die Gefahr schienen die tiefe Freude, die Cathérine empfand, nicht dämpfen zu können! Sie war frei, Arnaud war frei! Das ganze Szenarium der Hinrichtung war verschwunden, und der muntere Schritt des Pferdes war im Gleichklang mit den freudigen Schlägen ihres Herzens! Schließlich fielen sie in Galopp, ohne sich darum zu kümmern, wen sie niederritten. Das Südportal, das glücklicherweise noch offen war, wurde in sausendem Galopp durchritten, dann klapperten die Hufe der Pferde auf der kleinen römischen Brücke, die über die schäumenden, klaren Wasser des Gebirgsbaches führte. Bald tauchte neben der weißen Kuppel einer kleinen Moschee ein breiter Wall aus Blattwerk auf, der eine Art Turm mit einem Aufsatz und zwei Pavillons sowie einen Portalvorbau aus schlanken Säulchen umschloß. Phantomhafte Gestalten, wahrscheinlich die Wachen, schritten vor dem Portal auf und ab, das sich sofort öffnete, als Abu al-Khayr, die Hände zum Sprachrohr um den Mund gewölbt, einen eigenartigen Ruf ausstieß. Ohne die Geschwindigkeit zu verlangsamen, sprengten die beiden Pferde und ihre Reiter durch das Portal und kamen erst vierzig Fuß dahinter vor blühenden Jasminbüschen zum Stehen. Hinter ihnen wurden die schweren Türen des Landsitzes wieder zugestoßen und versperrt.

Als Cathérine sich vom Pferd gleiten ließ, landete sie beinahe in den Armen Gauthiers. Er packte sie und hob sie hoch empor, von so heftiger Freude ergriffen, daß er seine übliche Zurückhaltung vergaß.

»Am Leben!« rief er. »Und frei! … Odin und der siegreiche Thor seien gelobt, die Euch uns wiedergegeben! Seit Tagen leben wir schon nicht mehr!«

Sie jedoch konnte ihre Ungeduld und Unruhe nicht zügeln.

»Arnaud? Wo ist er?«

»Ganz nahe. Man pflegt ihn …«

»Er ist nicht …« Sie wagte nicht fortzufahren. Sie sah wieder Gauthier, wie er die Pfeile aus den durchbohrten Händen riß und das Blut sprudelte, sah den reglosen Körper, den der Normanne sich über die Schulter warf.

»Nein. Er ist durch den Blutverlust natürlich geschwächt. Maître Abus Pflege wird sehr willkommen sein.«

»Gehen wir hin!« sagte der Arzt, dessen Turban, als er von seinem Riesenroß heruntergepurzelt war, gefährlich aus dem Gleichgewicht geraten war. Er nahm Cathérine an der Hand und folgte Gauthier durch einen riesigen, mit herrlichen Intarsienarbeiten Tausender leuchtender Blumen verzierten Saal und durch eine Galerie mit kleinen gewölbten Fensteröffnungen. Die Schwarzen Marmorfliesen schimmerten wie ein nächtlicher Weiher um das vielfarbige Inselmeer der dicken Teppiche. Dahinter öffnete sich ein kleinerer Raum. Dort lag Arnaud auf einer Seidenmatratze, neben ihm standen eine unbekannte Frau und Josse, der sich, immer noch in seiner militärischen Kleidung, über ihn beugte. Als der Pariser Cathérine kommen sah, lächelte er ihr breit zu, aber Cathérine ließ sich, ohne ihm oder der Frau Beachtung zu schenken, neben ihrem Gatten auf die Knie fallen.

Er war ohne Bewußtsein, seine Züge waren abgespannt und sehr blaß, und unter seinen geschlossenen Augen lagen tiefe Ringe. Das Blut von seinen verwundeten Händen hatte die mandelgrüne Seide der Matratze und den dicken Teppich des Bodens befleckt, lief aber nicht mehr. Der Atem ging kurz, schwach.

»Ich glaube, daß er leben bleiben wird!« sagte neben Cathérine eine ernste Stimme. Als die junge Frau den Kopf wandte, traf sie auf einen dunklen, tiefen Blick, der ihr unergründlich schien. Als sie die Frau ansah, die das Wort an sie gerichtet hatte, bemerkte sie, daß sie jung und sehr schön war, mit einem Gesicht, dessen Armut den Stolz nicht ausschloß, auf dessen goldfarbene Haut aber fremdartige dunkelblaue Zeichen gemalt waren. Catherines Überraschung erratend, lächelte die Frau sie kurz an.

»Alle Frauen des Großen Atlas sehen so aus«, sagte sie. »Ich bin Amina. Komm mit mir. Wir müssen den Arzt mit den Verwundeten allein lassen. Abu al-Khayr läßt sich nicht gerne von Frauen bei seiner Arbeit stören.«

Cathérine mußte lächeln. Nicht nur, weil Aminas Liebenswürdigkeit ansteckend war, sondern weil ihre Worte sie an ihre erste Begegnung mit dem kleinen maurischen Arzt erinnerten, in dem Wirtshaus an der Straße von Péronne, als er Arnaud, den Cathérine und ihr Onkel Mathieu am Straßenrand verwundet angetroffen hatten, zum erstenmal behandelt hatte. Sie kannte das außerordentliche Geschick ihres Freundes. So ließ sie sich widerstandslos fortführen, um so mehr, als Gauthier ihr erklärte:

»Ich bleibe bei ihm …«

Die beiden Frauen setzten sich an den Rand des schmalen Wasserlaufes, der sich durch den Garten schlängelte. Zwei Rosenbeete säumten ihn, und kleine Springbrunnen plätscherten da und dort, so eine köstliche Frische erzeugend, in der sich die Müdigkeit und Hitze des Tages verflüchtigten. Seidenkissen, in den Farben der Blumen ausgewählt, waren auf dem steinernen Brunnenrand neben goldbronzenen Lampen und großen goldenen Tabletts mit Feingebäck und Früchten aller Art aufgehäuft. Amina lud Cathérine ein, neben ihr Platz zu nehmen, nachdem sie mit einem kurzen Wort ihre Frauen entlassen hatte, deren zarte Schleier langsam im Haus oder im Schatten des Gartens verschwanden.

Längere Zeit schwiegen die beiden Frauen. Erschöpft von dem, was sie erlebt hatte, genoß Cathérine unbewußt den Frieden, von dem dieser schöne Garten erfüllt war, die Heiterkeit und Ruhe, die von der neben ihr sitzenden Frau ausgingen. Nach den grausamen Qualen, nachdem sie hundertmal geglaubt hatte, vor Angst, Kummer und Schmerz sterben zu müssen, kam Arnauds Frau sich wieder wie im Paradies vor. Der Tod, die Angst, selbst die Unruhe waren verflogen. Gott konnte Arnaud nicht so wunderbar gerettet haben, um ihn sogleich wieder zu sich zu holen. Man würde ihn heilen, ihn retten … Dessen war sie sicher!

Ihre unfreiwillige Besucherin betrachtend, achtete die Sultanin ihre Träumerei, bevor sie auf die großen Tabletts deutete.

»Du bist sicherlich müde und erschöpft«, sagte sie liebenswürdig. »Ruhe dich aus und iß!«

»Ich habe keinen Hunger«, entgegnete Cathérine mit der Andeutung eines Lächelns. »Dagegen hätte ich gern gewußt, wie ich hierherkomme? Was ist passiert? Kannst du mir sagen, die du mich so großmütig aufnimmst?«

»Warum sollte ich mich dir gegenüber nicht liebenswürdig erweisen? Weil mein Herr seine zweite Gattin aus dir machen wollte? Unser Gesetz gibt ihm das Recht auf so viele Gattinnen, wie er wünscht, und … wenn du an meine persönlichen Gefühle denkst, schon seit langem flößt er mir nur noch Gleichgültigkeit ein.«

»Trotzdem sagt man, ihr seid noch sehr miteinander verbunden.«

»Nur äußerlich. Vielleicht hängt er in Wirklichkeit an mir, aber seine unglaubliche Schwäche für Zobeida, die Leichtigkeit, mit der er ihre schlimmsten Zügellosigkeiten duldete, ihre Verbrechen, selbst die Mordversuche, die sie gegen mich unternommen hat, dies hat langsam die Liebe in meinem Herzen getötet. Du bist mir willkommen, Licht des Morgens, und dies um so mehr, da ich weiß, was du gelitten hast. Es ist edel und schön, daß eine Frau soviel Leid für den Mann, den sie liebt, auf sich nimmt. Dein Lebensweg hat mich beeindruckt. Daher habe ich zugestimmt, Abu al-Khayr bei seinem Plan zu helfen.«

»Entschuldige, wenn ich meine Frage wiederhole, aber was hat sich eigentlich zugetragen?«

Ein belustigtes Lächeln entblößte die kleinen weißen Zähne Aminas. Sie hatte einen neben ihr liegenden Fächer aus feinen bemalten und vergoldeten Palmblättern ergriffen und bewegte ihn sanft mit ihren schmalen, hennagefärbten Fingern hin und her.

»In diesem Augenblick ist der Seigneur Mansour ben Zegris im Begriff, Mohammed den Thron von Granada zu entreißen.«

»Aber … warum?«

»Um mich zu rächen. Er glaubt, ich liege im Sterben. Nein, schau mich nicht so entsetzt an«, fuhr Amina mit einem kurzen Lachen fort, »ich fühle mich wohl, aber Abu, der Arzt, hat das Gerücht in Umlauf gesetzt, der Großwesir, wahnsinnig vor Schmerz über den Tod Zobeidas, habe mich vergiften lassen, damit ich meine Feindin ins Reich der Toten begleite und nicht Muße habe, mich am Tod der Prinzessin zu weiden.«

»Und Mansour ben Zegris hat das geglaubt?«

»Heute morgen ist er wie ein Verrückter hier hereingestürzt. Er traf meine Frauen an, wie sie ihre Schleier zerrissen, meine Dienerinnen stießen Klageschreie aus, und ich lag auf meinem Bett, blaß wie der Tod.« Sie unterbrach sich, um Cathérine zuzulächeln. Und da sie die Frage voraussah, die kommen würde: »Abu al-Khayr ist ein großer Arzt. Mansour hat mich übrigens nur von ferne gesehen und keinen Augenblick gezweifelt. Von diesem Augenblick an war der Angriff auf die Alhambra beschlossene Sache. Abu, der Mansour gut kennt, hat ihm eingeredet, die Stunde der Hinrichtung sei der günstigste Zeitpunkt für den Angriff, da der Kalif, sein Hof und ein Teil seiner Truppen außerhalb der Festung sein würden. So wurde alles beschlossen, und als die Trommeln der königlichen Moschee Alarm schlugen, hat Abu al-Khayr durch sein Gähnen das mit deinen Dienern verabredete Zeichen gegeben. Das übrige kennst du …«

Diesmal hatte Cathérine verstanden. Abu hatte einen Aufstand angezettelt, indem er Mansour aufwiegelte, um im Schutze der allgemeinen Unruhe die Flucht des Verurteilten bewerkstelligen zu können.

»Gott sei gelobt«, seufzte sie, »daß er meinem Gatten die Kraft gab, so viele Leiden auszustehen, ohne daran zu sterben!«

Die dünne Stimme des kleinen Arztes erhob sich hinter Cathérine und veranlaßte sie, sich umzudrehen. Seine Ärmel wieder auf die frisch gewaschenen Hände herunterrollend, nahm Abu al-Khayr auf den Kissen Platz.

»Er ist viel weniger schwach, als anzunehmen war und sein Verhalten glauben machte, meine Freundin, aber diese Täuschung mußte sein!« sagte er, während er mit den Fingerspitzen vorsichtig ein von Honig triefendes Stück Kuchen nahm und es sich, ohne einen Tropfen fallen zu lassen, in den Mund schob.

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Cathérine unwillkürlich auf französisch.

»Daß er nicht viel gegessen hat, aber ein wenig hat trinken können, dank Josse, der im Ghafar aufpaßte, und, besonders, daß er geschlafen hat. Wie hat dir in letzter Zeit die Rosenkonfitüre geschmeckt?«

»Ausgezeichnet, aber ich dachte, die Wachen hatten Befehl, den Gefangenen um jeden Preis am Schlafen zu hindern, und der Großkadi habe Männer zu ihm geschickt, um sich dessen zu vergewissern.«

Abu al-Khayr lachte.

»Wenn ein Mensch so tief schläft, daß nichts und niemand ihn aufwecken kann, und wenn man den Auftrag hat, ihn daran zu hindern, dann ist es das beste, diesen Umstand zu vertuschen, sofern man nicht bestraft oder lächerlich gemacht werden will. Die Männer des Kadis hängen an ihrem Kopf wie jeder andere Sterbliche auch. Dein Gatte hat drei volle Nächte schlafen können.«

»Aber nicht dank der Rosenkonfitüre?«

»Nein. Dank des Wassers, das Josse ihm in einem unter seinem Turban versteckten kleinen Schlauch brachte. Gewiß, man hat ihm nicht viel zu trinken geben können, aber es hat genügt, ihn bei klarem Bewußtsein zu halten.«

»Und jetzt?«

»Jetzt schläft er, von Josse bewacht. Ich habe ihm Ziegenmilch mit Honig zu trinken gegeben und ihm dann von neuem das Schlafmittel verabreicht.«

»Aber … seine Hände?«

»Man stirbt nicht an durchbohrten Händen, wenn das Blut rechtzeitig gestillt wird und die Wunden früh genug behandelt werden. Du solltest auch an Ruhe denken. Hier seid ihr in Sicherheit, ganz gleich, wie der Kampf ausgehen wird.«

»Wer wird ihn gewinnen?«

»Wer kann das wissen? Mansours Versuch ist ein wenig zu hastig vorbereitet worden. Gewiß, er hatte den Vorteil der Überraschung, und seine Wüstensöhne sind die tapfersten Krieger der Welt. Aber sie sind nicht zahlreich, und der Kalif hat viele Wachen. Andererseits ist mindestens die Hälfte der Stadt auf Mansours Seite.«

»Und wenn einer von beiden stirbt, der Kalif oder Mansour?« fragte Cathérine mit instinktivem Entsetzen. »Ihr habt den Zorn dieser Männer entfesselt, und das nur, um uns zu retten? Verdienen wir es, daß man uns so viele Menschenleben opfert?«

Die Hand Aminas legte sich beruhigend und sanft auf die Catherines.

»Zwischen Mansour ben Zegris, meinem Vetter, und dem Herrn der Gläubigen hört der Krieg nimmer auf. Ein Nichts facht ihn wieder an. Die Zeit dämpft ihn einen Augenblick! … Wie es heißt, soll der Kalif sich entfernen, um der Stadt Zeit zu lassen, sich zu beruhigen. Solange er lebt, wird Mansour den Thron nicht einnehmen können. Die Ulemas würden es nicht erlauben …«

»Aber wenn Mansour besiegt wird? Was geschieht dann mit ihm?« fragte Cathérine, trotz allem an diesem grausamen und blutrünstigen Mann interessiert (hatte sie nicht mit angesehen, wie er Banu Saradj köpfte?), dem sie aber das Leben ihres Gatten und ihr eigenes verdankte. Sie hatte das prickelnde Gefühl, Komplizin der Täuschung zu sein, der er zum Opfer gefallen war.

Abu al-Khayr zuckte die Schultern und nahm sich noch ein Stück Kuchen.

»Beruhige dich! Er ist nicht so dumm, sich fangen zu lassen. Wir haben sein Leben nicht über die Maßen in Gefahr gebracht. Wenn er besiegt wird, wird er übers Meer fliehen und Zuflucht in Fes suchen, wo er einen Palast und Ländereien besitzt. Nach einigen Monaten wird er dann arroganter denn je mit neuen Streitkräften zurückkehren. Und alles beginnt wieder von vorn. Diesmal jedoch wird er sich vor Banu Saradj in acht nehmen müssen. Zobeidas Tod hat ihn wirklich halb wahnsinnig gemacht.«

»Der Großwesir ist tot!« sagte Cathérine. »Ich habe einen schwarzgekleideten Reiter mit einem riesigen Rubin am Turban gesehen, der ihm den Kopf abschlug und den Kopf dann an seinen Sattel band.«

Erstaunt stellte sie fest, daß Abu al-Khayrs Gesicht sich aufhellte.

»Der Weise sagt, es sei schlecht, den Tod seines Feindes zu segnen … aber ich muß ehrlich gestehen, daß ich Haben-Ahmed Banu Saradj nicht beweinen werde!«

»Wenn Mansour gleichzeitig nur die ganze Familie hätte niedermachen können!« wandte die Sultanin mit plötzlicher Heftigkeit ein. »Aber diese Leute scheinen sich wie die Fliegen zu vermehren, sie werden immer zahlreicher …«

»Begnügen wir uns mit dem erzielten Resultat, und hoffen wir, daß …«

Heftige Schläge gegen das Portal schnitten ihm das Wort ab. Von jenseits der hohen Mauer erhoben sich Schreie und Rufe.

Dann erklang das seltsame Geheul, das zuvor der kleine Arzt schon ausgestoßen hatte. Sklaven stürzten herbei. Die kolossale, mit Bronzenägeln bestückte Pforte bewegte sich geräuschlos in ihren Angeln, aber die Männer, die sie handhabten, hatten gerade noch Zeit, sich nach hinten zu werfen, um dem wütenden Ansturm einer Gruppe verschleierter Reiter auszuweichen. An der Spitze erkannte Cathérine den Mann mit dem Rubin und wandte die Augen ab. Der Kopf mit den geschlossenen Augen baumelte nach wie vor am Sattelbogen. Ohne die geringste Überraschung zu zeigen, erhob Amina sich und blieb am Rande der Rosenrabatte stehen. Nur ihren malvenfarbenen, goldlasierten Schleier zog sie sich übers Gesicht. Bei ihrem Anblick schien der schwarze Reiter auf der Stelle zu erstarren. Cathérine sah, daß er einen schönen, grausamen Mund mit einem Schnurrbärtchen und wilde Augen in einem hageren, melancholischen Vogelgesicht hatte.

Mansour ben Zegris ließ sich mehr vom Pferd fallen, als daß er abstieg, und ging mit abgehackten Schritten auf Amina zu. Drei Schritte vor ihr blieb er stehen.

»Du lebst?« brachte er schließlich hervor. »Durch welches Wunder?«

»Abu al-Khayr hat mich gerettet«, erwiderte die Sultanin ruhig. »Er ist ein großer Arzt. Eine seiner Arzneien hat das Gift besiegt.«

»Allah ist groß!« hauchte Mansour so verzückt, daß Cathérine ein Lächeln unterdrücken mußte. Dieser Krieger mit dem Gesicht eines Fanatikers schien sich eine gute Portion Naivität bewahrt zu haben. Ihm den größten Bären aufzubinden, war offenbar die leichteste Sache der Welt! Wahrhaftig, der Ruf Abu al-Khayrs war groß!

Doch schon wandten sich die schwarzen Augen Mansours Cathérine zu und starrten sie an, obwohl sich die junge Frau gleich Amina verschleiert hatte. Der ungewöhnliche Anblick dieser Unbekannten überraschte ohne Zweifel den dunklen Herrn, denn er fragte:

»Wer ist diese Frau? Ich habe sie noch nie gesehen.«

»Eine Flüchtige! Die weiße Favoritin Mohammeds. Während du kämpftest, hat Abu, der Arzt, ihr und dem Verurteilten, dem Mann, der Zobeida tötete und der außerdem ihr Gatte ist, zur Flucht verholfen.«

Das Gesicht Mansours drückte unverhohlene Verblüffung aus. Offensichtlich wußte er überhaupt nichts von Cathérine und Arnaud.

»Was ist das für eine seltsame Geschichte? Und was soll das alles bedeuten?«

Cathérine erriet, daß die Sultanin unter ihrem halbdurchsichtigen Schleier lächelte. Ganz sicher kannte sie die kleinsten Gefühlsregungen ihres unruhigen Geliebten und trieb mit unglaublicher Leichtigkeit ihr Spiel mit ihm.

»Das soll bedeuten«, erwiderte sie mit feierlichem Unterton in der Stimme, »daß der Kalif sich anschickte, das heilige Gesetz zu brechen und sich fremdes Gut anzueignen. Diese Frau ist unter großen Gefahren und Entbehrungen aus ihrem fernen Frankenland gekommen, um ihren Gatten von Zobeida zurückzufordern, die ihn gefangenhielt, aber ihre Schönheit hat das Verlangen im Herzen Mohammeds erweckt. In Verteidigung seiner vom Tod bedrohten Gemahlin hat der fränkische Ritter die Pantherin getötet.«

Diese kleine Rede machte auf Mansour sichtlich tiefen Eindruck. Seine Schlußfolgerungen waren im allgemeinen von großer Einfachheit: Der Feind des Kalifen war zwangsläufig sein Freund. Sein Blick verlor das Drohende und drückte Mitgefühl aus.

»Wo ist der fränkische Ritter?« fragte er.

»Hier. Abu, der Arzt, hat ihn behandelt. Er ruht jetzt.«

»Er muß fliehen. Noch in dieser Nacht!«

»Warum?« fragte die Sultanin. »Wer soll ihn hier suchen?«

»Die Wachen des Kalifen. Der Tod dieses Hundes, dessen Kopf an meinem Sattel hängt, und die Flucht seiner Favoritin und des Mörders seiner Schwester haben Mohammed rasend gemacht. Heute nacht werden alle Häuser Granadas, selbst die Villen auf dem Lande, durchsucht … ja sogar dein Wohnsitz, Prinzessin!«

Ein Schatten trat in den hellen Blick der Sultanin.

»Du bist also gescheitert?«

»Was glaubst du wohl, weshalb ich hierherkam? Um dir die Kalifenkrone zu Füßen deines Bettes zu legen? Nein, ich bin gekommen, um meine Leute zu stärken und selbst Kräfte zu sammeln, ehe ich fliehe. Mein Palast ist bereits in Feindeshand. Ich bin glücklich, dich am Leben zu sehen, aber ich muß fliehen. Wenn deine Schützlinge Mohammed entkommen wollen, müssen sie Granada noch in dieser Nacht verlassen, denn der Kalif fahndet nach ihnen noch dringender als nach mir!«

Cathérine war dem kurzen Gespräch zwischen Amina und Mansour mit verständlicher Bangigkeit gefolgt. Gleichzeitig wurde sie in dem Maße, in dem sie sich den Sinn des Gesagten vergegenwärtigte, von Überdruß befallen. Wieder fliehen, wieder sich verstecken müssen … und unter welchen Bedingungen! Wie sollte man ihren verwundeten und von Abu unter Drogen gesetzten Gatten aus Granada hinausbringen? Schon wollte sie der Sultanin diese Frage stellen, als deren sanfte Stimme sich von neuem erhob, diesmal aber, wie Cathérine feststellte, mit einem leisen Unterton von Zorn.

»Du willst mich also wieder verlassen, Mansour? Wann werde ich dich wiedersehen?«

»Nichts hindert dich, mir zu folgen! Warum bleibst du bei diesem Mann, der dir nur Enttäuschungen und Schmerz bereitete? Du weißt, daß ich dich liebe, und ich kann dich glücklich machen. Der Große Sultan würde dich mit Freuden aufnehmen …«

»Eine Ehebrecherin würde er nicht aufnehmen. Solange Mohammed lebt, werde ich hierbleiben müssen. Du mußt jetzt daran denken, das Meer zwischen dich und ihn zu bringen. Welchen Weg schlägst du ein? Motril?«

Der schwarze Reiter schüttelte den Kopf.

»Zu leicht! Dort wird man mich zuerst suchen. Nein. Almeria! Die Strecke ist zwar länger, aber Prinz Abdallah ist mein Freund, und ich habe ein Schiff im Hafen.«

»Dann nimm den Franken und seine Gattin mit. Allein sind sie verloren. Mohammeds Reiter werden sie schnell ergreifen. Bei dir haben sie wenigstens eine Chance …«

»Was für eine? Ihre Beschreibung muß in dieser Minute durch Eilkurier an alle Grenzposten und alle Häfen abgehen … Ich werde mich immer aus der Affäre ziehen, weil ich überall Freunde, Diener habe. Aber für ihre Haut gebe ich nicht viel.« Ohne Cathérine Zeit zur Bestürzung zu lassen, mischte Abu al-Khayr sich ein:

»Einen Augenblick, Seigneur Mansour! Sei nur einverstanden, sie mitzunehmen, und ich werde mich darum kümmern, sie zu verbergen. Ich habe nämlich eine Idee. Übrigens werde ich euch begleiten, wenn du gestattest. Solange meine Freunde nicht endgültig außer Reichweite der Henker des Kalifen sind, kehre ich nicht nach Hause zurück.«

Der kleine Arzt hatte mit so viel einfacher Größe und wahrem Adel gesprochen, daß Mansour es nicht wagte abzulehnen.

Während Cathérine ihrem Freund voll tiefer Dankbarkeit die Hand drückte, brummte Mansour:

»Es ist gut! Tu, was du für richtig hältst, Arzt Abu, aber wisse: In einer halben Stunde werde ich diesen Palast verlassen! Das ist die Zeit, die ich zur Stärkung meiner Leute und Pferde brauche, wie ich dir bereits sagte. Wenn deine Schützlinge bis dahin nicht bereit sind, bleiben sie hier. Mein letztes Wort!«

Abu al-Khayr neigte schweigend den Kopf. Mansour drehte sich auf den Fersen um und ging zu der dunklen Schar zurück, die in geschlossener Formation neben dem Portal, die Zügel in den Händen, bewegungslos wartete, eine schwarze, von glänzenden Augen durchbrochene Mauer. Der Anführer sprach einige Worte zu ihnen, worauf sie schweigend, einer hinter dem anderen, in den Wirtschaftsgebäuden des Palastes verschwanden. Der Arzt wandte sich nun an Cathérine und Amina.

»Kommt«, sagte er, »wir haben nicht viel Zeit.«

Doch als Cathérine über die Schwelle des Palastes trat, kam ihr eine Idee.

Flink nahm sie den prächtigen Gürtel Harun al Raschids ab und hielt ihn der Sultanin hin.

»Da!« sagte sie. »Dieser Gürtel gehört dir. Um nichts in der Welt würde ich ihn mitnehmen wollen.«

Einen Augenblick strichen die schlanken Finger Aminas zärtlich über die riesigen Gemmen. Es lag Trauer in ihrer Stimme, als sie murmelte:

»An dem Tag, an dem ich ihn zum erstenmal trug, glaubte ich, er sei die Kette des Glücks … Aber inzwischen habe ich begriffen, daß er eine richtige Kette war, nichts als eine Kette … und sehr schwer. Heute abend erhoffte ich, daß meine Fesseln sich lösen würden … Ach! Sie sind noch da, und du bringst mir den Beweis! Tut nichts! Sei trotzdem bedankt …«

Die beiden Frauen schickten sich an, dem Arzt in die Privatgemächer Aminas zu folgen, als zwei große, kräftige schwarze Sklavinnen in braungestreiften Gewändern erschienen, die eine viel kleinere, ganz in Schwarz gekleidete Frau, die sich wie eine Furie sträubte, halb trugen, halb zogen.

»Man hat sie am Portal angetroffen!« sagte eine der beiden Sklavinnen. »Sie rief, sie wolle Abu, den Arzt, sprechen. Man habe ihr in seinem Hause gesagt, er sei hier …«

»Laßt sie los«, befahl Abu und fügte, sich zu dem Ankömmling wendend, hinzu: »Was willst du?«

Diese antwortete ihm jedoch nicht. Sie hatte Cathérine erkannt, riß mit einem Freudenschrei ihren Schleier herunter und stürzte auf sie zu.

»Endlich finde ich dich wieder! Du hast mir doch versprochen, nicht ohne mich fortzugehen.«

»Marie!« rief die junge Frau in einer Mischung von Freude und Scham, denn sie hatte vor lauter eigenen Sorgen Marie und das Versprechen vergessen, das sie ihr gegeben hatte. »Wie hast du es fertiggebracht, zu fliehen und mich zu finden?« fügte sie, sie umarmend, hinzu.

»Leicht! Ich stand mitten unter den anderen bei … bei der Hinrichtung. Ich habe dich keinen Augenblick aus den Augen gelassen und habe gesehen, wie du mit dem Arzt flohst. Es herrschte ein solches Durcheinander auf dem Platz, daß ich in der Menge untertauchen konnte, die sich nach allen Seiten zerstreute. Die Wachen und Eunuchen hatten anderes zu tun, als auf uns aufzupassen. Ich bin zu Abu al-Khayr gegangen, wo ich dich anzutreffen hoffte, aber man sagte mir, er pflege die Sultanin Amina und müsse im Alkazar Genil sein. Nun, hier bin ich! Du … du bist mir nicht böse, daß ich gekommen bin?« fügte die Kleine, plötzlich unruhig geworden, hinzu. »Weißt du, ich sehne mich so sehr nach Frankreich zurück! Viel lieber putze ich kleinen Kindern die Rotznase, koche und brate und wasche Geschirr, als mich in Samt und Seide in einem vergoldeten Gefängnis unter einer Bande verrückter Weiber zu Tode zu langweilen!«

Als Antwort umarmte Cathérine das junge Mädchen wieder und lachte.

»Das hast du gut gemacht, und ich muß dich um Verzeihung bitten, daß ich mein Wort nicht gehalten habe. Es war nicht so ganz meine Schuld …«

»Das weiß ich wohl! Hauptsache, wir sind zusammen!«

»Nachdem ihr nun genug Höflichkeiten ausgetauscht habt«, unterbrach die spöttische Stimme Abu al-Khayrs, »wäre es recht hübsch, wenn ihr euch daran erinnern wolltet, daß die Zeit drängt und Mansour nicht wartet!«

15

Der schweigende Trupp, der eine halbe Stunde später aus dem Alkazar Genil ritt, hatte nichts mehr gemein mit dem, der kurze Zeit vorher unter der grimmigen Führung Mansours ben Zegris hereingesprengt war. Die dunklen, verschleierten Reiter hatten sich in reguläre Garden des Kalifen verwandelt, ihre schwarzen Selhams waren durch weiße Burnusse ersetzt. Mansour selbst hatte sein goldgesticktes Gewand und den prächtigen Rubin bei Amina zurückgelassen und trug jetzt die Uniform eines einfachen Offiziers. Gauthier und Josse hatten sich unter die Soldaten gemischt. Den beturbanten Helm tief in die Stirn gedrückt, hielten sie sich dicht an eine große Sänfte mit hermetisch geschlossenen Seidenvorhängen, die die Mitte des Zuges bildete.

In dieser Sänfte lag Arnaud, immer noch bewußtlos, unter der sorgsamen Beaufsichtigung Abu al-Khayrs, Catherines und Maries. Die beiden Frauen waren als Dienerinnen aus gutem Haus verkleidet, und während Marie, mit einem Fliegenwedel bewaffnet, den Verwundeten fächelte, begnügte sich Cathérine damit, eine der verbundenen Hände zu halten. Die Hand war fieberheiß, und die ängstliche Cathérine ließ das im Augenblick entschleierte Gesicht mit den geschlossenen Lidern nicht aus den Augen. Denn der schlaue Abu al-Khayr hatte Arnaud prächtige Frauengewänder anziehen lassen, die größten, die man hatte auftreiben können. Eingehüllt in weite Schleier von leichtem nachtblauem, goldgestreiftem Satin, in Pluderhosen und gestickten Pantoffeln, stellte der Ritter die große, ältliche und kranke Dame, für die er gehalten werden sollte, ausgezeichnet dar. Dieser seltsame Aufputz hatte die Nerven Catherines entspannt. Er brachte eine amüsante Note mit sich, die aus der überstürzten Flucht eine Art Seitensprung machte, in der die Liebe mitspielte. Und dann, was vor allem zählte: Sie zogen fort, verließen diese fremde und gefährliche Stadt, aus der zu entkommen sie vor kurzer Zeit noch so wenig Chancen gehabt hatten. Daher fragte sie Mansour, als sie auf der Matratze der Sänfte Platz nahm, ruhig:

»Was werden wir sagen, wenn wir auf die Männer des Kalifen treffen?«

»Daß wir die alte Prinzessin Zeinab, die Großmutter des Emirs Abdallah, der in Almeria herrscht, eskortieren. Sie befinde sich auf dem Rückweg in ihren Palast, nach einem Besuch einer Sultanin, mit der sie schon lange befreundet ist.«

»Wird man uns das glauben?«

»Wer würde es wagen, das Gegenteil zu behaupten?« unterbrach Abu al-Khayr. »Fürst Abdallah, der Vetter des Kalifen, ist so empfindlich, daß der Herr selbst in seinen Beziehungen zu ihm äußerst vorsichtig ist. Almeria ist unser wichtigster Hafen. Und was meine Person betrifft, so ist es ganz normal, daß ein Arzt diese edle Dame begleitet«, schloß er, sich ebenfalls auf den Kissen der Sänfte niederlassend.

Jetzt ritt der Trupp in die Nacht, ohne ein anderes Geräusch als die gedämpften Hufschläge der Pferde. In der nahen Stadt hielt die Unruhe an. Alle Lichter brannten, große Feuertöpfe loderten auf dem Wall, und Granada funkelte in der Dunkelheit wie eine riesige Ansiedlung von Glühwürmchen. Das Bild, das Cathérine, als sie die Vorhänge halb öffnete, begierig und mit einem Gefühl des Triumphes sah, war wunderbar, aber die Schreie und der Tumult, die über die hohen Mauern drangen, gaben ihm eine unheilvolle Note. Da unten wurde gestöhnt, gestorben, Peitschen sausten auf angstgekrümmte Rücken herunter …

Mansours brummende Stimme drang an Catherines Ohr. »Der Kalif rechnet ab! Reiten wir schnell weiter! Wenn man mich erkennt, müssen wir kämpfen, und wir sind nur zwanzig Mann!«

»Ihr vergeßt uns, Seigneur!« sagte Gauthier trocken, der so nahe an der Sänfte ritt, daß Cathérine ihn mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können. »Mein Kamerad Josse kann kämpfen. Und was mich betrifft, so behaupte ich, zehn aufzuwiegen.«

Die dunklen Augen Mansours schätzten den Riesen prüfend ab; Cathérine erriet den Schatten eines Lächelns im Ton seiner Stimme, als er ruhig erwiderte: »Gut, sagen wir also, wir sind dreißig und einer, und möge Allah uns beschützen!«

Er ritt wieder zur Spitze der kleinen Kolonne, die bald ins dunkle Land tauchte. Die Feuer von Granada blieben allmählich zurück. Die schlechte, schwer auszumachende Straße stieg an, und unversehens verschwand die Stadt hinter einem Felsvorsprung.

»Der Weg wird beschwerlich werden«, bemerkte Josse auf der anderen Seite der Sänfte. »Wir werden hohe Berge überwinden müssen. Andererseits werden wir uns dann leichter verteidigen können.«

Ein scharfer Befehl peitschte durch die Nacht, und der Trupp hielt an. Beunruhigt schob Cathérine den Vorhang auseinander, nachdem sie Arnaud einen ängstlichen Seitenblick zugeworfen hatte. Aber er schlief noch immer, glücklicherweise teilnahmslos gegenüber den Ereignissen draußen. Der Felsvorsprung war zurückgeblieben. Granada war wieder sichtbar geworden. Auch das Palais Aminas, wo die Lampen auf den Zinnen der weißen Mauern brannten. Die Stimme Mansours, von unwillkürlicher Unruhe bebend, drang an Catherines Ohren.

»Es war höchste Zeit! Seht!«

Ein Reitertrupp in weißen Mänteln, Fackeln in den Händen, die Funken in die Nacht sprühten, sprengte in sausendem Galopp über die römische Brücke und hielt in einer Staubwolke vor dem Portal des Alkazar Genil. An der Spitze schimmerte die grüne Standarte des Kalifen. Der ganze Trupp stürzte sich in die breite, geöffnete Pforte … Cathérine schauderte. Es war wirklich höchste Zeit gewesen; ein paar Minuten länger im Palast, und alles hätte wieder von vorn begonnen: der Alpdruck, die Angst und zum Schluß der Tod!

Wieder klang die Stimme Mansours:

»Wir sind schon zu weit, um gesehen zu werden! Gesegnet sei Mohammed, denn wir wären einer gegen fünfzig gewesen!« Cathérine steckte den Kopf durch den Vorhang, suchte die hohe Gestalt des Anführers.

»Und Amina?« fragte sie. »Ist sie nicht in Gefahr?«

»Was hätte sie zu fürchten? Man wird nichts bei ihr finden. Die Kleider meiner Männer sind bereits im Garten vergraben, und es gibt niemand unter ihren Dienern oder ihren Kammerfrauen, der sich nicht lieber die Zunge abschneiden ließe, als sie zu verraten. Und selbst wenn Mohammed sie im Verdacht hat, mich unterstützt zu haben, ist er weit davon entfernt, sich vorzustellen, daß sie Euch beigestanden haben könnte, und wird nichts gegen sie unternehmen. Das Volk betet sie an, und ich glaube, er liebt sie immer noch. Jedoch«, schloß er mit einem plötzlichen Zornesausbruch, »wird er sie mir eines Tages zurückgeben müssen! Denn ich komme zurück! Ich komme viel stärker zurück als je, und an diesem Tag werde ich ihn töten! Bei Allah, meine Rückkehr wird Zeuge seines letzten Augenblicks sein!«

Ohne ein weiteres Wort gab der fürstliche Rebell seinem Pferd die Peitsche und machte sich an die Erstürmung des ersten Ausläufers der Sierra. Der Trupp setzte sich schweigend hinter ihm in Bewegung, aber in einem wesentlich vernünftigeren Marschtempo. Cathérine ließ den Vorhang zurückfallen. Im Innern der Sänfte war es vollkommen dunkel und so drückend heiß, daß Abu al-Khayr die Vorhänge auf einer Seite zurückschob und festband.

»Wir riskieren nicht, erkannt zu werden. Und so können wir besser atmen«, flüsterte er.

Im etwas helleren Schatten sah Cathérine seine Zähne blitzen. Sie begriff, daß er lächelte, und faßte bei diesem Lächeln wieder Mut. Ängstlich suchte ihre Hand Arnauds Stirn. Sie war warm, aber von einer weniger trockenen Wärme als bislang. Ein wenig Schweiß perlte auf ihr, während sein Atem regelmäßig und kräftig ging. Er schlief fest. Im Grunde ihres Herzens etwas wie Glück empfindend, setzte sich Cathérine zu Füßen ihres Gatten nieder und schloß die Augen.

Der Angriff kam zwei Tage später, mitten im Herzen der Sierra, gegen Sonnenuntergang. Die Flüchtigen hatten das Hochtal des Genil erstiegen und folgten am Hang einer tiefen Schlucht, in der ein Sturzbach schäumte, einem zum Paß aufsteigenden Pfad. Die Temperatur, die auf der Höhe von Granada tropisch gewesen war, hatte sich beträchtlich abgekühlt. Die Schneegrenze war nahe, und der Saumpfad schien eine Talwand sozusagen vertikal durchstoßen zu wollen, die von drei riesigen Gipfeln beherrscht wurde. Mansour hatte auf den imposantesten aufmerksam gemacht.

»Man nennt ihn den Mulhacén, weil er das verborgene Grab des Kalifen Moulay Hacen verschließt. Dort leben nur Adler, Geier und die Männer Faradjs des Einäugigen, eines berüchtigten Wegelagerers.«

»Wir sind zu stark, um einen Banditen fürchten zu müssen!« hatte Gauthier geringschätzig erklärt.

»Das ist noch die Frage! … Wenn Faradj Gold braucht, kann es sein, daß er in die Dienste des Kalifen tritt, und verstärkt durch Grenzposten, wird er fürchterlich.«

Die letzten schrägen Strahlen der Sonne beschienen die weißen Burnusse und vergoldeten Helme der falschen Garden des Kalifen, so daß sie sich von den schwarzen Felsen scharf wie ein Relief abhoben. Und ganz plötzlich erklangen wilde, so durchdringende Schreie, daß die Pferde scheuten. Eines hob sich auf die Hinterbeine und warf seinen Reiter aus dem Sattel, der mit einem Schrei in die Schlucht stürzte. Hinter jedem Felsen tauchte ein Mann auf … das ganze Gebirge schien sich zu beleben und auf den kleinen Trupp zu stürzen. Es waren schlecht gekleidete, zum Teil fast zerlumpte Bergbewohner, aber ihre Waffen blitzten heller als ihre scharfen Zähne. Ein kleiner, magerer, verwachsener Mann mit schmutzigem Turban, in dem ein Büschel Adlerfedern steckte, und einem schmierigen Band über dem Auge führte sie zum Angriff, indem er schreckliche Kreischlaute von sich gab.

»Faradj, der Einäugige!« rief Mansour. »Schließt euch um die Sänfte zusammen!«

Schon blitzten die Krummschwerter in den Fäusten der Krieger, Gauthier preschte zum Anführer vor, um neben ihm zu kämpfen, und rief Josse zu: »Schütze die Sänfte!«

Aber die Vorhänge der Sänfte flogen auseinander. Arnaud tauchte auf, Cathérine schroff zurückstoßend, die versuchte, sich an ihn zu klammern, und ihn anflehte, sich nicht zu rühren. »Eine Waffe!« rief er. »Ein Pferd!«

»Nein!« schrie Cathérine. »Du kannst noch nicht kämpfen … du bist viel zu schwach!«

»Wer sagt das? Glaubst du, ich sehe zu, wie sie von diesen Ungläubigen ausgeplündert werden, ohne mich am Kampf zu beteiligen? Duck dich wieder hinein, und rühr dich nicht!« befahl er barsch. »Und du, Freund Abu, paß auf sie auf, damit sie keine Dummheiten macht!«

Mit zorniger Ungeduld riß er sich die blauen Schleier herunter, in die er gehüllt war, behielt nur die bauschigen Musselinhosen und das für seine breiten Schultern zu enge Jäckchen an.

»Ein Pferd! Eine Waffe!« wiederholte er.

»Da ist eine Waffe«, sagte Josse ruhig, ihm sein eigenes Krummschwert reichend. »Ihr versteht es besser als ich, mit diesem Hackbrett umzugehen. Und mein Pferd könnt Ihr auch haben.«

»Und du?«

»Ich hole mir das Pferd des abgestürzten Reiters. Keine Sorge.«

»Arnaud!« rief Cathérine angstvoll. »Ich flehe dich an …«

Aber er hörte sie gar nicht. Er hatte sich bereits in den Sattel geschwungen, und das Tier mit seinen nackten Fersen anspornend, preschte er zu Mansour und Gauthier vor, die schon in einen wilden Kampf gegen eine Übermacht verwickelt waren. Sein Erscheinen auf dem Kampfplatz hatte die Wirkung einer Bombe. Der große Kerl in Weiberkleidern, unbeholfen in seinen blauen Musselinhosen, griff an und stieß fürchterliche Schreie aus, so daß der Feind vor Verblüffung Mund und Augen aufsperrte, was sich Mansour, der beinah laut herausgelacht hätte, zunutze machte. Und was Cathérine betraf, so überwand dieses Bild einen Augenblick ihre Furcht, und sie brach in offenes, befreiendes Lachen aus: Arnaud in seinen Frauenhosen war unwiderstehlich! Aber es dauerte nur einen Augenblick. Bald ließ Cathérine sich wieder auf ihre Kissen zurückfallen und warf Abu einen tränenfeuchten Blick zu.

»Er ist wahnsinnig!« seufzte sie. »Wie kann er diesen Kampf aushalten, wo er erst vor zwei Tagen …«

»In diesen zwei Tagen hat er gegessen, getrunken und geruht«, entgegnete der kleine Arzt, der in aller Ruhe die polierten Elfenbeinkugeln eines Rosenkranzes durch die Finger gleiten ließ. »Dein Gatte hat ungewöhnliche Kräfte. Du glaubst doch nicht etwa ernstlich, daß er sich, ohne mit der Wimper zu zucken, dieses Säbelgerassel anhören könnte? Das wilde Kriegsgeschrei klingt in seinen Ohren wie die lieblichen Töne der Laute oder der Harfe.«

»Aber … seine Hände?«

»Die Wunden schließen sich, wie du gesehen hast. Und er weiß sehr wohl, daß ich das Blut wieder stillen werde, falls es von neuem fließen sollte.«

Und mit einem ermutigenden Lächeln setzte Abu al-Khayr sich zurück und rief still Allah und seinen Propheten Mohammed für einen guten Ausgang des Kampfes an, dessen Verlauf Cathérine, ihren vorübergehenden Heiterkeitsausbruch vergessend, jetzt mit Entsetzen verfolgte. Die Briganten schienen ungeheuer zahlreich zu sein. Es wimmelte von ihnen, sie umzingelten die Reiter Mansours mit einem Wald von Blitzen, aber die Männer der Wüste und des Großen Atlas schlugen sich mindestens so gut wie die Banditen der Sierra. Sie bildeten um die Sänfte eine felsenfeste Gruppe, und Cathérine befand sich im Mittelpunkt eines Wirbels funkelnder Waffen. Etwas weiter entfernt fochten Mansour, Arnaud und Gauthier heldenmütig. Die Männer fielen unter ihren Streichen wie die Fliegen. Cathérine hörte Arnaud inmitten des Getümmels lachen und konnte eine ärgerliche Regung nicht unterdrücken. Da war er wieder einmal in seinem wahren Element, endlich hatte er es wiedergefunden. »Nie«, dachte sie grollend, »ist er so glücklich wie auf dem Höhepunkt einer Schlacht. Nicht einmal in meinen Armen fühlt er sich so erfüllt …«

Eine schrille, durchdringende Stimme drang an ihr Ohr:

»Du entrinnst mir nicht, Mansour ben Zegris! Als ich von deiner Flucht erfuhr, war mir klar, daß du versuchen würdest, Almeria auf dem beschwerlicheren Weg zu erreichen, und du bist mir geradewegs in die Falle gegangen …«

Es war Faradj, der seinen Feind höhnte. Auch der kleine Mann war ein furchtbarer Krieger, und der Zweikampf, der Mansour bevorstand, mußte grausam sein.

»In die Falle?« entgegnete der Fürst verächtlich. »Damit tust du dir zuviel Ehre an. Ich wußte, daß du in dieser Gegend kampierst, und fürchte dich nicht. Aber du bist auf dem Holzweg, wenn du dir Gold oder Juwelen erhoffst. Wir haben nur unsere Waffen …«

»Du vergißt deinen Kopf! Der Kalif wird ihn mir zehnfach mit Gold aufwiegen, und ich werde als Sieger in Granada einziehen.«

»Wenn dein Kopf auf dem Festungswall verfault, ja, dann kannst du Granada als Sieger betrachten.«

Der Rest des Gezänks ging im Waffenlärm unter. Cathérine hatte sich an Marie gedrückt, und die beiden Frauen verfolgten ängstlich das Gefecht.

»Wenn man uns wieder ergreift«, murmelte das Mädchen, »wird man dir das Leben lassen, weil Mohammed dich liebt … aber ich werde den Henkern ausgeliefert und gepfählt!«

»Man wird uns nicht ergreifen«, versicherte Cathérine mit einem Vertrauen, das sie durchaus nicht empfand. Der Tag ging schnell zur Neige. Nur die schneebedeckten Gipfel leuchteten noch rot in den Strahlen der Sonne. Die Hänge verfinsterten sich. Der Tod riß Lücken in beide feindliche Lager. Zuweilen stürzte ein Berittener mit einem verzweifelten Schrei, der das Kampfgetöse zerriß, in die Schlucht. Aber das Gefecht ging weiter, die Nacht würde hereinbrechen, und Cathérine, die Nerven bis zum Zerreißen gespannt, grub die Nägel in ihre Hände, um nicht zu schreien. Neben ihr hielt Marie den Atem an, während sie auf die Krieger starrte, deren Sieg oder Niederlage für sie so entsetzliche Folgen haben konnte. Abu al-Khayr betete …

Und dann erhob sich ein doppelter, entsetzlicher Schrei, und Cathérine sprang, jede Gefahr außer acht lassend, aus der Sänfte. Das von Arnaud energisch geschwungene Krummschwert hatte den Kopf Faradjs des Einäugigen gespalten, der wie ein Stein zu Boden fiel. Doch die junge Frau warf ihm nur einen kurzen Blick zu, da sie von einem anderen furchtbaren Bild in Bann gezogen wurde: Gauthier, noch im Sattel, hatte den Mund zu einem nicht enden wollenden Schrei geöffnet, und eine Lanze hatte sich tief in seine Brust gebohrt.

Die Augen Catherines und die des Riesen kreuzten sich. Sie las im Blick ihres Freundes ungeheures Erstaunen, dann glitt der Normanne wie ein Klotz, wie eine gefällte Eiche zu Boden.

»Gauthier!« schrie die junge Frau. »Mein Gott!«

Sie lief zu ihm, aber schon war Arnaud vom Pferd gesprungen, stürzte hinzu und schob sie beiseite.

»Laß! Rühr ihn nicht an!«

Auf seinen Ruf eilte Abu al-Khayr herbei, kniete nieder und legte dem gefällten Riesen die Hand aufs Herz. Ein dünner Blutfaden rann aus Gauthiers Mundwinkel.

»Er lebt noch«, sagte der Arzt. »Die Waffe muß vorsichtig herausgezogen werden … ganz vorsichtig! Kannst du das tun, während ich ihn halte?« fragte er Montsalvy.

Statt jeder Antwort riß sich dieser, ohne zu zögern, die Verbände von den verwundeten Händen, um nicht am Holz der Lanze abzugleiten. Dann packte er fest die Waffe, während Abu vorsichtig die Ränder der Wunde auseinanderdrückte und Cathérine das Blut im Mundwinkel mit einem Zipfel ihres Schleiers abwischte.

»Jetzt …«, sagte der kleine Arzt. »Sacht, ganz sacht! Wir können ihn töten, wenn wir die Lanze zu schnell herausziehen.« Arnaud zog. Zoll um Zoll verließ die scharfe Spitze der mörderischen Waffe die Brust … Cathérine hielt den Atem an, fürchtete, jeder Atemzug Gauthiers könne sein letzter sein. Die Tränen brannten ihr in den Augen, aber sie hielt sie tapfer zurück. Endlich kam die Lanze ganz heraus, und Arnaud warf sie mit einer zornigen Bewegung beiseite, während der Arzt sich beeilte, mit Tampons, die Marie hastig aus allem fabriziert hatte, was ihr an Stoff in die Hände gefallen war, das neu fließende Blut zu stillen.

Um sie herum herrschte tiefe Stille. Ihres Anführers beraubt, waren die Briganten geflohen, und Mansour machte sich nicht die Mühe, sie zu verfolgen. Auf Seiten der Rebellen sammelten sich die Überlebenden des Gefechts um die Gruppe, bildeten einen schweigsamen Kreis. Mansour wischte ruhig sein Krummschwert ab und befestigte es wieder an seinem Gürtel. Dann beugte er sich über den Verwundeten. Sein dunkler Blick kreuzte den Arnauds.

»Du bist ein tapferer Kämpe, Herr Ungläubiger, aber dein Diener ist auch ein heldenmütiger Mann! Bei Allah, wenn er am Leben bleibt, mache ich ihn zu meinem Leutnant. Glaubst du, ihn retten zu können, Arzt?«

Abu, der mit gewohnter Fertigkeit die verwundete Brust mit Catherines Hilfe entblößt hatte, schüttelte zweifelnd den Kopf, und die junge Frau sah mit banger Sorge, daß seine gerunzelte Stirn sich nicht glättete.

»Rettet ihn!« bat sie inständig. »Er darf nicht sterben!«

»Die Verwundung scheint tief zu gehen!« murmelte Abu. »Ich werde mein Bestes tun. Aber er muß von hier weg. Man sieht nichts mehr …«

»Tragen wir ihn in die Sänfte«, schlug Arnaud vor. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich meinen Fuß noch einmal dort hineinsetze!«

»Du bist fast nackt, ohne Schuhe«, wandte Cathérine ein, »und du bist noch nicht geheilt!«

»Was macht das! Ich werde mir die Ausrüstung eines der Gefallenen nehmen. Ich weigere mich, weiter diesen Weiberplunder zu tragen, der mich lächerlich macht. Kann nicht ein wenig Licht gemacht werden?«

Zwei von der Anstrengung des Kampfes noch keuchende Krieger entzündeten Fackeln, während andere mit unendlicher Vorsicht Gauthier aufhoben und ihn unter der bedachten Leitung Abus in die Sänfte trugen, wo der kleine Arzt dank seiner unfehlbaren Voraussicht Proviant und Arzneimittel unter den Matratzen verstaut hatte.

Die schneebedeckten Berggipfel zeichneten sich wie gigantische Schemen in der Nacht ab. Der Wind erhob sich und heulte in der Schlucht wie ein kranker Wolf. Und dann kam die Kälte. »Wir müssen ein Obdach für die Nacht suchen«, sagte im Dunkel die Stimme Mansours. »In der Dunkelheit diesen Gebirgsweg weiterzuverfolgen wäre Selbstmord, und von den Banditen Faradjs haben wir nichts mehr zu befürchten. Räumt den Weg, Männer!«

Den zahlreichen ›Plumpsen‹, die darauf folgten, entnahm Cathérine, daß die Toten vom Pfad in den reißenden Bach gestürzt wurden, Feinde und Freunde zur letzten Reise brüderlich vereint. Arnaud, der einen Augenblick verschwunden war, kam zurück, vom Scheitel bis zur Sohle eingekleidet, in weißem Burnus und beturbantem Helm.

Der eisige Hauch der Berggipfel pfiff über die Fackeln. Mit größter Vorsicht setzte man sich den gefährlichen Weg entlang in Marsch, von den Fackelträgern geleitet. An der Spitze Mansour, der sein Pferd am Zügel führte und nach einem geeigneten Zufluchtsort Ausschau hielt. Ihm folgte im Schneckentempo die Sänfte, um den Verwundeten nicht zu schütteln, dem Abu, von Cathérine und Marie unterstützt, Erste Hilfe leistete. Bald öffnete sich glücklicherweise neben dem Weg die schwarze Mündung einer Grotte, die groß genug war, um die Sänfte, nachdem die Pferde ausgespannt waren, teilweise in ihr unterzubringen. Männer und Pferde pferchten sich zusammen. Es wurde ein Feuer gemacht, an das Cathérine sich mit Arnaud setzte, als Abu sie nicht mehr brauchte. Nachdem der Arzt die Wunde verbunden hatte, hatte er Gauthier ein Beruhigungsmittel gegeben, damit er schlafen konnte; aber das Fieber stieg, und Abu verbarg seinen Pessimismus nicht.

»Seine außergewöhnliche Konstitution wird vielleicht ein Wunder bewirken …«, sagte er zu der bekümmerten jungen Frau. »Aber ich wage nicht, daran zu glauben.«

Zutiefst betrübt saß sie neben ihrem Gatten, kuschelte sich an ihn und schmiegte den Kopf an seine Schulter.

Zärtlich legte er den Arm um sie und hüllte sie mit seinem Burnus ein, dann blickte er ihr forschend in die tränenfeuchten Augen.

»Weine, meine Süße«, murmelte er. »Halte die Tränen nicht zurück. Es wird dir guttun, und ich verstehe deinen Kummer, weißt du?« Er zögerte einen Augenblick, und Cathérine fühlte, wie seine Umarmung sich lockerte. Dann erklärte Arnaud entschlossen: »Früher, das kann ich dir offen gestehen, bin ich auf ihn eifersüchtig gewesen … Diese Hingebung eines treuen Hundes dir gegenüber, der unermüdliche Schutz, mit dem er dich umgab, reizten mich … und dann kam die Zeit, da ich den Preis dafür abschätzen konnte. Ohne ihn hätten wir uns vielleicht nie wiedergefunden … und ich verstand, daß ich unrecht hatte, daß seine Liebe zu dir eine andere war als die, welche ich mir vorstellte … wie man eine Heilige verehrt …«

Cathérine fröstelte und fühlte, wie sie zitterte. Die verrückte Nacht von Coca kam ihr jäh ins Gedächtnis, so gegenwärtig, so heiß, daß eine Welle der Scham und der Reue sie überspülte. Sie fühlte sich versucht, sich von ihr zu befreien, sofort einzugestehen, daß Gauthier ihr Geliebter und sie in seinen Armen glücklich gewesen war. Sie öffnete den Mund.

»Arnaud«, hauchte sie, »ich muß dir sagen …«

Aber mit einem schnellen Kuß schloß er ihr fest den Mund. »Nein, sage nichts … Noch ist die Stunde der Erinnerungen oder der Reue nicht gekommen … Gauthier lebt noch, und Abu wird vielleicht das Wunder bewirken, an das er nicht glaubt!«

Der weite Burnus umhüllte die Wärme ihrer beiden aneinandergedrängten Körper. Er bildete eine sichere und köstliche Zuflucht, in der Cathérine ihre kummerbeladene Seele barg. Was würde Arnaud sagen, wenn sie spräche, was täte er? Er würde sie zurückstoßen, würde sie in die Kälte treiben, in der ihre Seele erstarrte … und hier fühlte sie sich doch so gut, so wohl an ihn gelehnt! Es war so schön, ihn neben sich zu fühlen, von seinen wiedergewonnenen Kräften beschützt, von seiner ganzen Liebe, die nur er ihr zu geben wußte. Leidenschaftlich ergriff sie eine der verletzten Hände ihres Gatten. Die Wunden waren wieder aufgegangen, aber das Blut war bereits getrocknet.

Sie preßte die Lippen darauf.

»Ich liebe dich …«, flüsterte sie. »Oh, ich liebe dich so sehr!« Er antwortete nicht, drückte sie nur noch fester an sich, fast tat er ihr weh, und Cathérine spürte, daß er gegen die Versuchung ankämpfte, sie ganz zu besitzen … Sein dunkler Blick glitt prüfend über die verschlossenen Gesichter der schweigsamen Krieger Mansours. Sie bildeten um das Feuer eine Kette unbeweglicher, rätselhafter Gestalten, deren sonnengebräunte Haut, durch das Tragen des Selham sonst leicht blau getönt, vom flackernden Feuer erhellt wurde. Niemand beachtete das Paar. Die Unversehrten pflegten die Verwundeten, aber keiner sprach. Diese Kriegsmänner standen noch unter der Nachwirkung des bestandenen Kampfes, aber da sie von Kindheit an das gefährliche Leben gewohnt waren, verschwendeten sie keinen Augenblick, ihre verlorenen Kräfte wiederherzustellen. Wer konnte sagen, ob der nächste Kampf, der ihnen bevorstand, nicht noch in dieser Nacht stattfand?

Dies fremdartige, fast unwirkliche Bild sollte Cathérine noch lange verfolgen. Diese Nacht im Herzen des Gebirges war wie eine Rast in einer von Dschinns bevölkerten Höhle, Dämonen aus orientalischen Märchen, die man ihr bei Fatima oder im Harem erzählt hatte … Bald tauchte die hohe Gestalt Mansours am Feuer auf. Er sagte seinen Männern leise einige Worte in einem Dialekt, den Cathérine nicht verstand, kam dann ruhig um das Feuer herum und setzte sich neben Arnaud. Einer der beiden Diener, die Ben Zegris begleiteten, trat näher, in seinen verschränkten Händen Datteln und Bananen tragend. Der Maure nahm davon und bot sie, mit einem kurzen Lächeln, dem Ritter an. Es war die erste höfliche Geste, die er ihm bezeigte, aber durch diese Geste anerkannte er ihn als ebenbürtig. Arnaud dankte ihm schweigend mit einer Neigung des Kopfes. »Die Herren des Krieges erkennen sich beim ersten Zusammenprall der Waffen«, erklärte Mansour einfach. »Du bist einer der Unsrigen!«

Und Schweigen senkte sich wieder herab. Die Männer stärkten sich, aber Cathérine konnte nichts essen. Dauernd schweiften ihre Augen zu der am Eingang der Grotte stehenden Sänfte. Eine im Innern angezündete Öllampe verwandelte sie in eine Art großer Laterne, in der Abu al-Khayr bei dem Verwundeten wachte. Von Zeit zu Zeit drang ein Stöhnen zu der jungen Frau, und jedesmal krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Gleich würde Arnaud Abu ablösen, damit der kleine Arzt etwas ruhen konnte, und sie würde ihn begleiten. Aber sie wußte schon, daß dies eine Prüfung wäre und das schreckliche Gefühl der Ohnmacht, das sie empfand, angesichts des verletzten, vielleicht tödlich verwundeten Riesen noch verschärfen würde … Ein Wolf heulte im Gebirge, und Cathérine erbebte. Wieder eine schlechte Vorbedeutung …

Die Not der jungen Frau erratend, beugte Arnaud sich zu ihr und flüsterte mit leiser, leidenschaftlicher Stimme:

»Nie sollst du mehr leiden, ma mie … Nie wirst du wieder frieren, nie hungern, nie mehr Angst haben! Vor Gott, der mich hört, schwöre ich, daß ich mein Leben damit zubringen werde, dich vergessen zu machen, was du erduldet hast!«

Als der Trupp der Rebellen nach fünf Tagen Almeria erreichte, lebte Gauthier noch, aber es war klar, daß er im Sterben lag. Trotz des hartnäckigen Kampfes Abu al-Khayrs, Catherines und Arnauds gegen den Tod entfloh das Leben nach und nach dem riesigen Körper.

»Jetzt kann man nichts mehr tun«, gestand der Arzt schließlich ein. »Man kann sein Leben nur noch verlängern. Er müßte eigentlich noch in dieser Nacht sterben, wenn er nicht eine so ausgezeichnete Konstitution hätte. Und er will auch nicht leben«, fügte er nach einem Augenblick des Überlegens hinzu, »er hilft mir nicht!«

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Cathérine.

»Daß ihm am Leben nichts mehr liegt! Ich würde sagen … ja, ich würde sagen, daß er glücklich ist zu sterben! Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so gelassen zu seinem eigenen Ende beiträgt.«

»Aber ich will, daß er lebt!« lehnte Cathérine sich in einer fast kindlichen Zornesanwandlung auf. »Man muß ihn zwingen!«

»Da kannst du nichts machen! So ist es eben! Ich glaube, er hält seine irdische Aufgabe für beendet, seitdem du deinen Gatten wiedergefunden hast.«

»Wollt Ihr damit sagen, daß ich ihn nicht mehr interessiere?«

»Du interessierst ihn nur zu sehr, meiner Meinung nach! Und genau aus diesem Grunde, denke ich mir, ist er froh zu sterben.«

Diesmal antwortete Cathérine nicht. Sie verstand, was der kleine Arzt sagen wollte. Gauthier glaubte, nachdem sie Arnaud nun wiedergefunden hatte, sei kein Platz mehr für ihn in ihrem Leben. Vielleicht hatte der Gefährte ihrer dunklen Tage auch nicht den Mut, an ihrem Glück teilzunehmen. Das konnte sie verstehen, wenn sie sich auch jetzt wegen der Nacht von Coca Vorwürfe machte, als wäre es ein Verbrechen gewesen. Indem sie ihn vor dem Wahnsinn rettete, hatte sie eine Mauer zwischen ihnen errichtet.

In jedem Fall mußte Gauthier die Gemahlin Arnauds de Montsalvy verlassen …

»Wie lange wird er noch leben?« fragte sie.

Abu zuckte die Schultern.

»Wer kann das wissen? Vielleicht noch einige Tage, aber ich glaube eher, nur einige Stunden. Seine Kräfte lassen schnell nach … dennoch hatte ich gehofft, daß die Meeresluft einen wohltuenden Einfluß auf ihn haben würde!«

Das Meer! Cathérine hatte es mit ungläubigem Staunen von einem Hügel aus erblickt. Es breitete sich, so weit das Auge reichte, schimmernd, seidig, von einem tiefen, prächtigen Blau, in dem die Sonne Diamanten funkeln ließ. Es umrahmte einen goldfarbenen, weichen Strand, eine riesige Stadt* von blendender Weiße, die von einer ebenso weißen Festung beherrscht wurde, und einen Hafen, in dem Schiffe mit vielfarbigen Segeln schaukelten. Hohe Palmen wiegten ihre dunkelgrünen Wedel im Meereswind gegen den blendendblauen Himmel.

Die Stadt lag am Ausgang eines von Orangen- und Zitronenbäumen strotzenden Tals, und Cathérine überlegte sich, daß sie sich noch nie eine solche Landschaft ausgemalt hatte. Das Meer, wie sie es einst in Flandern, an den Küsten Herzog Philippes, mit einer Art abergläubischer Furcht gesehen hatte, war graugrün, ungestüm, mit hohen, schäumenden Wellenkämmen, oder glatt, in der Farbe welkenden Dünengrases, das der Wind zerzauste.

Ihren Kummer einen Augenblick vergessend, hatte sie Arnauds Hand gesucht.

»Schau! Das ist bestimmt der schönste Ort der Welt. Würden wir nicht sehr glücklich sein, wenn wir hier lebten, wir beide ganz allein?«

Aber er hatte den Kopf geschüttelt, in seinen Mundwinkeln war die harte Falte erschienen, die Cathérine so gut kannte, und der Blick, mit dem er das wunderbare Land umfaßte, enthielt etwas wie Verbitterung.

»Nein! Wir würden nicht glücklich sein! Es unterscheidet sich zu sehr von dem, was wir gewohnt sind. Wir – besonders ich – sind nicht für dieses weichliche, anmutige Land geschaffen, dessen Zauber Grausamkeit, Laster, wilde Triebe und den Glauben an einen Gott verbirgt, der nicht der unsrige ist. Um auf islamischem Boden zu leben, muß man erobern, töten, zerstören und herrschen. Dann nur ist ein Leben für Leute wie uns möglich … Glaube mir, unsere rauhe, alte Auvergne, sollten wir sie eines Tages wiedersehen, wird uns sehr viel mehr wahres Glück geben.«


In dieser Epoche war Almeria eine sehr große Stadt, bedeutender noch als Granada.


Er lächelte über ihr enttäuschtes Gesicht, drückte ihr rasch einen Kuß auf die Augen und ging zu Mansour hinüber. Der Trupp hatte auf diesem schattigen Hügel haltgemacht, um eine Art Kriegsrat zu halten. Cathérine verließ Gauthier einen Augenblick, glitt aus der Sänfte und ging zu den Männern. Mansour zeigte auf die weiße Festung über der Stadt.

»Das ist die Alkazaba. Der Fürst Abdallah residiert dort sehr oft, er zieht sie seinem Palast am Meer vor. Er ist erst fünfzehn Jahre alt, lebt aber nur für die Waffen und den Krieg. Auf diesem Gebiet hast du nichts mehr vom Kalifen zu fürchten«, sagte er zu Arnaud. »Was beabsichtigst du zu tun?«

»Ein Schiff zu finden, das uns in unser Land zurückbringt. Hältst du das für möglich?«

»Ich habe zwei in diesem Hafen vor Anker liegen. Mit dem einen werde ich zu meinen afrikanischen Ländereien segeln, um dort über meine Rache nachzudenken. Das andere wird dich und die Deinen in die Nähe von Valencia bringen. Seitdem der Cid uns daraus vertrieben hat«, fügt er bitter hinzu, »laufen die Schiffe des Islams diesen Hafen nicht mehr an, nicht einmal, um Handel zu treiben, wohingegen wir häufig fremde Kaufleute bei uns aufnehmen. Der Kapitän wird euch bei Nacht an Land setzen. In Valencia wirst du mühelos ein Schiff finden, das dich nach Marseille bringt.«

Arnaud nickte zustimmend. In Marseille, einer Besitzung der Königin Yolande, Gräfin der Provence, wäre er tatsächlich beinah zu Hause, und aus seinem Lächeln erriet Cathérine die Freude, die er bei diesem Gedanken empfand. Er würde sein einstiges Leben wiederfinden, das er so lange für immer verloren geglaubt hatte, das Leben der Waffenbrüderschaft, des Kampfes, denn ganz im Grunde zweifelte die junge Frau, ob er sich mit einem friedlichen Dasein im Schloß von Montsalvy zufriedengeben würde, das die Mönche zu dieser Stunde wieder aufbauten … Aber das Lächeln Arnauds schwand und machte einer sorgenvollen Miene Platz.

»Können wir noch in dieser Nacht aufbrechen?«

»Warum so eilig? Abdallah wird dir die brüderliche Gastfreundschaft gewähren, die ich selbst dir geboten hätte, wenn ich dich in den Maghreb hätte führen können. Auf diese Weise wirst du eine weniger schlechte Erinnerung an den Islam bewahren.«

»Ich bin dir verbunden. Sei gewiß, daß ich eine gute Erinnerung bewahren werde, wenn nicht an den ganzen Islam, so zumindest an dich, Mansour. Dir zu begegnen, ist ein Segen des Himmels gewesen, und ich bin ihm dankbar dafür! Aber da ist der Verwundete …«

»Er ist verloren. Der Arzt hat es euch gesagt.«

»Ich weiß … Wenn er aber durchhalten könnte, bis wir die Erde Frankreichs erreicht hätten!«

Eine Anwandlung von Zärtlichkeit überkam Cathérine. Dieses Feingefühl Arnauds gegenüber dem bescheidenen Gauthier rührte sie zutiefst. Der Normanne würde sterben, gewiß, aber Montsalvy weigerte sich, seine sterblichen Überreste im Land der Ungläubigen zurückzulassen. Sie hob ihren dankbar strahlenden Blick zu ihrem Gatten. Mansour erwiderte nach einem Augenblick des Schweigens langsam: »So lange wird er nicht mehr leben! Doch ich verstehe deinen Gedanken, mein Bruder! Es soll nach deinem Wunsche geschehen. Noch heute nacht wird mein Schiff Segel setzen … Vorwärts also.«

Er stieg zu Pferd. Cathérine kehrte in die Sänfte zurück, wo Gauthier einen Augenblick das Bewußtsein wiedererlangt hatte. Sein Atmen wurde von Stunde zu Stunde schwieriger und mühsamer. Sein riesiger Körper schien in dem Maße, in dem die Zeit verrann, zu schrumpfen, und sein Gesicht nahm eine bleierne Farbe an, bereits vom Schatten des Todes berührt. Aber er warf Cathérine einen Blick des Erkennens zu, und sie lächelte ihn an.

»Schau«, sagte sie sanft, den Vorhang zurückschlagend, damit er hinaussehen konnte, »da ist das Meer, das du immer so geliebt und von dem du mir soviel erzählt hast. An seinem Gestade wirst du genesen …«

Er schüttelte den Kopf. Der Anflug eines Lächelns huschte über seine weißen Lippen.

»Nein … und es ist besser so! Ich werde … sterben!«

»Sag das nicht!« wandte Cathérine zärtlich ein. »Wir werden dich pflegen, wir …«

»Nein! Es hat keinen Zweck zu lügen! Ich weiß es, und ich … ich bin glücklich! Ihr müßt … mir etwas versprechen.«

»Alles, was du willst.«

Er machte ihr ein Zeichen, näher zu kommen. Cathérine beugte sich über ihn, so daß ihr Ohr den Mund des Todkranken fast berührte. Dann keuchte er:

»Versprecht … daß er nie erfahren wird, was … in Coca … geschah! Es würde ihm weh tun … und es war nur … Barmherzigkeit! Es ist nicht der Mühe wert …«

Cathérine richtete sich auf, drückte leidenschaftlich die heiße, auf der Matratze liegende Hand.

»Nein!« sagte sie heftig. »Es war keine Barmherzigkeit! Es war Liebe! Ich schwöre es dir, Gauthier, bei allem, was mir auf der Welt teuer ist: In jener Nacht habe ich dich geliebt, ich habe mich dir von ganzem Herzen gegeben und hätte dich weitergeliebt, wenn du es gewollt hättest. Siehst du«, fügte sie, die Stimme noch mehr senkend, hinzu, »du hast mir so viel Freude geschenkt, daß ich einen Augenblick mit dem Gedanken spielte, dazubleiben und Granada aufzugeben …«

Sie hielt inne. Ein Ausdruck unendlichen Glücks verklärte die verwüsteten Züge Gauthiers und verlieh ihm eine Schönheit, eine Sanftmut, die ihm nie geeignet hatte. Er lächelte wie ein überglückliches Kind, und zum erstenmal seit jener berüchtigten Nacht fand Cathérine erschüttert in dem grauen Blick die Leidenschaft wieder, die sie damals darin gelesen hatte.

»Du hättest es bedauert, meine Liebe …«, flüsterte er, »aber … hab Dank, daß du es mir sagtest! Ich werde glücklich scheiden … so glücklich!« Und als die junge Frau den Mund öffnete, um vielleicht wieder zu protestieren, murmelte er leiser, mit nachlassender Stimme: »Sag nichts mehr … verlaß mich! Ich möchte gern … mit dem Arzt sprechen … und ich habe nicht mehr viel Zeit! Leb wohl … Cathérine! Ich habe … nur dich auf Erden geliebt!«

Die Kehle der jungen Frau schnürte sich in jähem Schmerz zusammen, aber sie wagte nicht, ihm seine Bitte abzuschlagen. Einen Augenblick noch betrachtete sie das Gesicht mit den bereits geschlossenen Augen, die sich vielleicht nicht mehr öffnen würden. Noch einmal beugte sie sich hinunter und drückte die Lippen mit unendlicher Zärtlichkeit auf den ausgetrockneten Mund. Dann drehte sie sich zu Marie um, die, reglos in der hintersten Ecke der Sänfte, still der Unterhaltung beigewohnt hatte.

»Rufe Abu! Er marschiert neben uns … Ich steige aus.«

Der Zug bewegte sich tatsächlich langsam, denn dichter Verkehr behinderte den Weg zur weißen Stadt. Es mußte Markttag sein, was die schon immer große Betriebsamkeit des Hafens noch verdoppelte. Marie machte ein Zeichen, daß sie verstanden habe, und rief den Arzt, während Cathérine, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen, sich auf den Weg gleiten ließ. Arnaud ritt einige Schritte voraus, neben Mansour. Sie rief ihn mit so schmerzerfüllter Stimme, daß er anhielt. Er sah das hübsche, tränenüberströmte Gesicht, beugte sich aus dem Sattel hinunter und streckte ihr die Hand hin.

»Komm«, sagte er nur.

Er hob sie auf, setzte sie vor sich und schloß die Arme um sie. Die junge Frau verbarg das Gesicht an seiner Brust und ließ ihren Tränen freien Lauf. Arnaud sagte sanft:

»Ist es zu Ende?«

Sie brachte kein Wort heraus, schüttelte nur den Kopf. Er sagte: »Weine, ma mie, weine, soviel du willst! Über einen Mann wie ihn kann man nie genug weinen!«

Im tobenden Gewimmel des Hafens, zwischen den unzähligen Fisch-, Muschel-, Apfelsinen-, Gemüse-, Früchte- und Gewürzhändlern, die neben großen, überquellenden Körben auf dem Boden hockten und ihre Kunden mit lauten Anpreisungen anriefen, bahnte sich Mansours Trupp einen Weg für die Sänfte mit dem sterbenden Gauthier zu den Schiffen am Kai. Dort lagen zwischen Fischerbooten jeder Größe einige große Handelsschiffe neben zwei Berbergaleeren, schnittig wie Geparden, ruhende wilde Tiere im Vergleich zu den schwerfälligen Kauffahrteischiffen. Mansour zeigte sie Arnaud.

»Das sind meine Schiffe …«

Montsalvy lächelte, ohne zu antworten. Er hatte begriffen, daß Ben Zegris, von seinen Besitzungen im geheimnisvollen Maghreb abgesehen, seine größten Einkünfte aus der Piraterie zog. Das waren Jagd- und Raubschiffe, und mit Unbehagen dachte er daran, Cathérine und Marie an Bord dieser Wasserkatzen gehen zu lassen. Wer konnte sicher sein, ob der Kapitän, einmal auf See, nicht Kurs auf Alexandria oder Kreta oder Tripolis, auf einen der großen Sklavenmärkte nähme, auf dem die schönste Dame des Abendlandes zweifellos einen hohen Preis erzielen würde? Der bevorstehende Tod Gauthiers änderte die Dinge. Er, Arnaud, wäre mit Josse allein, um zwei Frauen gegen die ganze Mannschaft zu verteidigen, da Abu nach Granada zurückkehren würde, nachdem sie Anker gelichtet hatten … Wenn sie einmal die Türme des Außenhafens von Almeria passiert hätten, würde sich keine muselmanische Stimme mehr erheben, um die Christen gegen die Geldgier der Berber in Schutz zu nehmen. Gewiß, Arnaud zweifelte nicht am guten Glauben Mansours, aber ein Seeräuber verstand sich aufs Lügen, Täuschen, Überreden. Der alte Fuchs, der diese Raubgaleere befehligte, brauchte nur zu sagen, er habe seinen Auftrag erfüllt, und niemand würde sich noch Sorgen darüber machen, was aus den Montsalvys geworden war …

Von diesen düsteren Vorahnungen gequält, drückte Arnaud Cathérine instinktiv an sich, aber sie reagierte nicht auf seine Umarmung. Sie starrte fasziniert auf ein Schiff, das in diesem Augenblick das enge Fahrwasser passierte, und fragte sich bei seinem Anblick, ob sie richtig sähe oder träume.

Dieses Schiff ähnelte den im Hafen liegenden in keiner Weise. Keine dreieckigen, spitz zulaufenden Segel, sondern ein riesiges quadratisches, blau-rot gestreift, das eben von Matrosen eingeholt wurde, denn das Einlaufen in den Hafen war Sache der Ruderer. Es war ein Schiff mit dickem, breitem Rumpf, mit hohem, kunstvoll geschnitztem Heck, aber was Cathérine vor allem faszinierte, war nicht so sehr die Form des Schiffes, sondern das Lilienbanner, das im Wind über dem Mastkorb flatterte. Sein Wappen kannte sie gut.

»Jacques Coeur!« rief sie. »Dieses Schiff gehört bestimmt ihm!« Auch Arnaud sah es jetzt, aber es war der andere Wimpel, den er mit Erstaunen betrachtete, der alles beherrschte und sich am üppigsten entfaltete.

»Die goldenen Lilien von Anjou, das Wahrzeichen von Sizilien, die Pfähle von Aragon und die Kreuze von Jerusalem!« flüsterte er. »Die Königin Yolande … Dieses Schiff trägt sicher einen Gesandten.«

Ungeheure Freude erhob sich in den Herzen der beiden Gatten. Dieses Schiff verkörperte in sich das ganze Land, aber auch die Freundschaft, die Pflichttreue, die Herrlichkeit … Die Farben flimmerten in der Sommerwärme. Auf diesem Schiff wären sie schon zu Hause …

»Ich glaube«, sagte Arnaud zu Mansour, »du brauchst keins deiner Schiffe für uns flottzumachen. Das dort drüben gehört einem Freund von uns und hat ohne Zweifel einen Gesandten meines Landes an Bord …«

»Ein Kauffahrer«, bemerkte Ben Zegris mit leiser Verachtung, verbesserte sich aber gleich wieder, indem er hinzufügte: »Aber gut armiert!« In den Schiffsluken zeigten tatsächlich sechs Bombarden ihre klaffenden Mäuler.

Die ›Magdalene‹, so hieß das Schiff, versuchte nicht anzulegen. In der Mitte des Hafens angekommen, warf sie Anker und ließ ein Boot zu Wasser, während ein Schwarm von beturbanten Beamten und Neugierigen auf den Kai eilte. Mansours Trupp und die Sänfte wurden von dieser Woge menschlicher Leiber förmlich überspült, die sich zum Kairand drängten, um die unerwarteten Ankömmlinge besser sehen zu können.

Das Boot indessen ruderte mit aller Kraft und brachte schnell drei Personen an Land, die eine im Turban, die anderen beiden in gestickten Mützen. Aber Cathérine hatte den größten Bemützten bereits erkannt. Bevor Arnaud sie zurückhalten konnte, war sie aus seinen Armen auf den Boden geglitten und erreichte, mit Ellbogen und Füßen derart um sich stoßend, daß man ihr Platz machen mußte, den Wasserrand in dem Augenblick, als das Boot anlegte. Und als Jacques Coeur auf den Kai sprang, fiel sie ihm, lachend und weinend zugleich, fast in die Arme …

Er hatte sie nicht sofort erkannt und wollte die staubige Muselmanin, die sich ihm da an den Hals warf, zurückstoßen. Aber nur einen Augenblick. Jäh erblickte er ihr Gesicht – und erblaßte. »Cathérine!« rief er verblüfft. »Aber das ist nicht möglich! Das seid doch nicht Ihr?«

»Doch, doch, mein Freund, ich bin's … und so glücklich, Euch wiederzusehen! Mein Gott! Euch schickt der Himmel! Es ist zu schön, zu wunderbar, zu …«

Sie wußte gar nicht mehr, was sie sagte, war von solcher Freude erfüllt, daß auch der vernünftigste Mensch den Kopf verloren hätte. Aber Arnaud hatte sein Pferd angetrieben und war nun auch nach vorn gelangt. Er sprang aus dem Sattel und fiel dem verdutzten Jacques ebenfalls beinahe in die Arme, der den maurischen Reiter jedoch alsbald erkannte.

»Messire Arnaud!« rief er. »Welch unglaubliches Glück, Euch wiederzufinden, nachdem ich kaum den Fuß auf festen Boden gesetzt habe! Wißt Ihr, daß ich hier nun nichts mehr zu tun habe?«

»Wieso?«

»Was glaubt Ihr wohl, weshalb ich herkam? Um Euch zu suchen! Habt Ihr das königliche Wappen auf meinem Schiff nicht bemerkt? Ich bin Gesandter der Herzogin-Königin und komme, vom Kalifen von Granada den Seigneur de Montsalvy und seine Gemahlin zu fordern, wofür ich ihm einen seiner besten Kapitäne zurückgebe, der das Unglück hatte, an der Küste der Provence gefangengenommen zu werden. Eine Art Austausch …«

»Ihr setztet Euer Leben aufs Spiel?« rief Cathérine.

»Kaum«, lächelte Jacques Coeur. »Mein Schiff ist stark, und die Menschen dieses Landes respektieren Gesandte, gleichzeitig interessieren sie sich auch für Handelsbeziehungen. Ich verstehe mich ziemlich gut mit den Kindern Allahs, seitdem ich im Mittelmeer herumstrolche!«

Die Freude der drei Freunde über ihr Wiedersehen schien unbändig. Sie lachten, sprachen alle gleichzeitig und vergaßen alles und alle um sie herum. Die Fragen schwirrten so schnell durcheinander, daß niemand sie beantworten konnte, aber jeder wollte alles wissen, und zwar sofort. Es war Cathérine, die sich zuerst wieder fing, weil ihr Blick über Jacques und Arnaud hinaus, die sich noch einmal umarmten und auf den Rücken klopften, auf die Sänfte fiel, zwischen deren Vorhang der unruhige Kopf Abu al-Khayrs erschien. Und sie machte sich Vorwürfe, ihren sterbenden Freund, wenn auch nur einen Augenblick, vergessen zu haben. Sie hängte sich an Jacques' Arme, entriß ihn beinah ihrem Gatten.

»Jacques«, bat sie, »wir müssen gleich absegeln … sofort! Sofort!«

»Warum?«

Sie sagte es ihm in kurzen Worten, und die Freude, die das gebräunte Gesicht des Kaufmanns verklärte, wich.

»Armer Gauthier!« murmelte er. »Er ist also sterblich. Ich gestehe, ich hätte es nicht geglaubt … Wir werden ihn sofort an Bord bringen, damit er seinen letzten Atemzug auf dem Boden seines Landes tut … selbst ein Holzboden wird besser sein als diese Erde!«

Er wandte sich an seine Begleiter, einen kleinen Mann mit klugem Gesicht, eine Art Sekretär, nach dem Schreibzeug und einer kleinen Rolle Pergament zu schließen, die an seinem Gürtel hingen, und den stummen, unbeweglichen Herrn im Turban. Als ob es ihm gleichgültig wäre, wer hinter ihm stand, wandte er sich an diesen:

»Seigneur Ibrahim, seid Ihr nun zu Hause? Ich brauche über Eure Freilassung nicht mehr zu sprechen, da ich meine Freunde ganz persönlich gefunden habe. Ihr seid also frei.«

»Ich danke dir für deine Liebenswürdigkeit, Freund … Ich wußte, daß ich nichts von dir zu fürchten hatte, aber du bist ein Kerkermeister gewesen, wie ihn nur sehr wenige Gefangene haben. Daher bin ich dir ohne Sorge gefolgt.«

»Ich hatte Euer Wort, nicht zu fliehen, und habe mich daran gehalten!« erwiderte der Kaufmann edelmütig. »Lebt wohl, Seigneur Ibrahim!«

Der Gefangene verneigte sich tief und verlor sich schnell in der Menge, die Mansour und seine Männer jetzt zurückdrängten, um Platz für die Sänfte zu schaffen. Die Matrosen Jacques Cœurs hatten den nun bewußtlosen Sterbenden mit äußerster Vorsicht herausgehoben. Die helle Sonne verklärte das abgezehrte, von tragischen Schatten überzogene Gesicht, das die Männer mit einer Art abergläubischer Furcht betrachteten. Man trug ihn in das Boot, in dem Abu sich neben ihn setzte.

»Ich werde bleiben, solange er noch atmet«, erklärte er. »Übrigens, Ihr setzt doch nicht sofort Segel?«

»Nein«, erwiderte Jacques Cœur. »Erst übermorgen. Da ich nun einmal hier bin, möchte ich meinen Aufenthalt nutzen und Seidenstoffe, Möbel mit Intarsien, Gewürze und bearbeitete Felle und Häute, vergoldete Töpferware und diese schönen Pergamente aus Gazellenhaut von der Sahara, eine Spezialität dieses Landes, laden …«

Cathérine unterdrückte ein Lächeln. Gewiß, Jacques war gekommen, um sie zu suchen, und hatte den Gesandtenwimpel gehißt, aber bei ihm verbannten die Gefühle keineswegs den Geschäftssinn. Diese aus Freundschaft unternommene Reise mußte sich lohnen …

Während das Boot mit dem Verwundeten vom Ufer ablegte und dem Schiff zuglitt, von wo es zurückkehren sollte, um sie aufzunehmen, und während Arnaud sich ernst von Mansour verabschiedete, fragte sie:

»Übrigens, mein Freund, wie habt Ihr erfahren, daß wir hier sein würden?«

»Das ist eine lange Geschichte. Aber in zwei Worten: Ihr verdankt unser Kommen Eurer alten Freundin, der Dame de Châteauvillain. Ihr habt Euch, scheint es, im Gebirge von ihr getrennt, habt aber einen Knappen Messire Arnauds bei ihr gelassen, den sie sehr gut auszuhorchen verstand. Worauf sie schnurstracks nach Angers zur Herzogin-Königin eilte und ihr die ganze Geschichte erzählte. Es war Madame Yolande, die mich benachrichtigt und mit mir diese Reise geplant hat.«

»Unglaublich!« rief Cathérine verdutzt. »Ermengarde, die mich an Händen und Füßen gefesselt zu ihrem Herzog zurückbringen wollte?«

»Vielleicht! Solange sie ehrlich glaubte, dies sei die beste Lösung für Euch. Aber von dem Augenblick an, in dem Ihr hartnäckig darauf bestandet, Messire Arnaud nachzureisen, hat sie sich bemüht, Euch zu helfen. Sie will vor allem Euer Glück, und Ihr habt keine Ahnung, was für einen Krach sie machte, bis ich aufbrach! Ich habe die größte Mühe gehabt, ihr klarzumachen, daß ich sie nicht mitnehmen könne.«

»Die gute Ermengarde!« seufzte Cathérine mit unwillkürlicher Zärtlichkeit. »Sie ist eine außergewöhnliche Frau. Auf jeden Fall war das Abenteuer riskant. Wie konnte sie wissen, daß ich Arnaud finden und ob ich gesund und sicher nach Granada gelangen würde?«

Jacques Coeur hob die Schultern und grinste spöttisch.

»Sie kennt Euch eben! Wenn Euer Gatte im Innern Afrikas gefangengehalten worden wäre, hättet Ihr bestimmt Mittel und Wege gefunden, zu ihm zu gelangen. Das natürlich«, schloß er, »wäre ein viel weiterer Weg für mich gewesen …«

In der dunkelsten Stunde der Nacht, unmittelbar vor dem Morgengrauen, starb Gauthier in der hohen Heckkabine, in der Jacques Cœur ihn untergebracht hatte, das Gesicht dem offenen Meer zugewandt, das er nicht mehr befahren konnte … Der Todeskampf war grauenvoll gewesen! Die Luft drang nur mit Mühe in die beschädigten Lungen, und die Konstitution des Riesen, seine außergewöhnlichen Lebenskräfte, verlängerten den erschöpfenden, von vornherein verlorenen Kampf gegen den Tod und machten ihn dadurch noch grausamer.

Cathérine, Arnaud, Abu al-Khayr, Josse, Marie und Jacques Coeur waren bei ihm, wohnten machtlos und mit großem Schmerz diesem erschöpfenden Todeskampf bei, den der bewußtlose Gauthier um ein Leben führte, das nichts mehr von ihm wollte. Dicht nebeneinander, die Gesichter von Müdigkeit und den flackernden Schatten der in der Kabine angezündeten qualmenden Öllampen gezeichnet, beteten sie, daß endlich die gequälte Stimme schweige, die in einer unbekannten Sprache Klagen, Verwünschungen, Anrufungen der geheimnisvollen nordischen Gottheiten ausstieß, die der Normanne sein Leben lang angebetet hatte. Draußen stand die Mannschaft in einem dichten Haufen, wartend, ohne eigentlich recht zu wissen, worauf, in der Erkenntnis nur, daß sich in der geschlossenen Kabine ein Drama abspielte.

Endlich ein letztes Zucken, ein Seufzer, der einem Röcheln ähnelte, und der riesige Körper bewegte sich nicht mehr. Drückende Stille, nicht mehr durch das schreckliche Atmen unterbrochen, senkte sich herab. Das vor Anker liegende Schiff, dessen sanftes Schaukeln den Todeskampf des Riesen begleitet hatte, knarrte unheilverkündend in einer Klage, auf die der heisere Schrei der Möwen antwortete.

Da verstand Cathérine, daß alles zu Ende war. Schluchzend legte sie zwei Finger auf die geöffneten Lider und schloß die Augen ihres Freundes für die Ewigkeit. Dann ging sie zu Arnaud zurück, flüchtete sich in seine Arme. Er zog sie an sich, damit sie ihr tränennasses Gesicht verbergen konnte. Jacques Coeur hustete, um der Bewegung, die ihm das Herz zusammenschnürte, Herr zu werden.

»Gleich, sobald die Sonne aufgegangen ist, werden wir ihn versenken!« sagte er. »Ich werde die Gebete sprechen.«

»Nein«, wandte Abu al-Khayr ein. »Ich mußte ihm versprechen, über sein Begräbnis zu wachen. Keine Gebete, aber ich werde dir sagen, was zu tun ist.«

»Gut, kommt mit. Wir werden die Anweisungen geben.«

Die beiden Männer gingen hinaus, und Cathérine konnte die Stimme Jacques' hören, der auf Deck Befehle gab, worauf die Mannschaft eiligst davonstürzte. Sie suchte den Blick ihres Gatten, dieser aber nahm sie schon an der Hand und führte sie ans Bett, auf dem der Tote lag. Nebeneinander knieten Cathérine und Arnaud nieder, um Gott von ganzem Herzen um Barmherzigkeit für einen guten Menschen zu bitten, der nie an ihn geglaubt hatte. Schweigend knieten Josse und Marie auf der anderen Seite nieder … und trotz ihres Schmerzes bemerkte Cathérine, daß Josse, obgleich seine Augen voll Tränen waren, die Hand der kleinen Marie nicht losließ, die er unter seinen Schutz genommen zu haben schien. Sie dachte, daß dies vielleicht der Beginn eines unerwarteten Glücks sei und daß diese beiden, aus ganz verschiedenen Kreisen kommend, zueinander finden würden. Aber die ernste Stimme Arnauds erhob sich jetzt und sprach die Sterbegebete, und Cathérine fiel ein.

Drei Stunden später schritt Arnaud vor der gesamten, auf Deck versammelten Mannschaft der ›Magdalene‹ und zum Klang der pausenlos läutenden Totenglocke nach den Angaben Abu al-Khayrs zu einer seltsamen Zeremonie. Das Schiff erreichte langsam den Hafeneingang, im Schlepptau ein mit Stroh ausgelegtes Segelboot, auf dem die in Linnen gehüllte Leiche des Normannen lag. Auf der Höhe des Turms des Außenhafens sprang Montsalvy in das Boot, hißte das Segel, das der Wind alsbald blähte, packte das Tau, das das zerbrechliche kleine Boot mit dem Schiff verband, stieg wieder auf die ›Magdalene‹ zurück und zerschnitt das Tau. Wie von unsichtbarer Hand getrieben, schoß das Boot vorwärts, fing den Wind ein und überholte den roten Rumpf der Galeone, deren Ruder untätig blieben. Einen Augenblick sahen die an Bord Versammelten ihm nach, wie es mit der großen weißen Gestalt davonglitt. Dann nahm Arnaud aus den Händen Abus einen großen Eschenbogen, legte einen feuergefiederten Pfeil auf, spannte die Muskeln … Der Pfeil zischte und landete mitten im Herzen des Boots, dessen Stroh sofort Feuer fing. Im Nu war das kleine Schiff in Flammen gehüllt. Die Leiche verschwand hinter einem Feuervorhang, während der Wind, die Brunst anfachend, sie langsam auf die offene See trug …

Arnaud ließ den Bogen fallen und sah Cathérine an, die, ohne zu verstehen, diesem sonderbaren Zeremoniell mit angehaltenem Atem gefolgt war. Sie sah Tränen in den dunklen Augen ihres Gemahls. Dann stieß er mit heiserer Stimme hervor:

»So gingen einst, auf dem Weg der Schwäne, die Befehlshaber der Schlangenschiffe in die Ewigkeit. Der letzte Wikinger hat das Begräbnis bekommen, das er sich wünschte …«

Und weil ihn die Bewegung übermannte, floh Arnaud de Montsalvy eilends.

Am anderen Tag, bei Sonnenaufgang, blähte sich das blau-rote Segel der ›Magdalene‹ im frischen Morgenwind, und die Galeone Jacques Coeurs verließ den Hafen. Einen Augenblick betrachtete Cathérine, unter demselben Mantel an Arnaud gedrückt, die zurückbleibende weiße Stadt in ihrem Schrein von frischem Grün und suchte noch einmal im Gewimmel des Hafens nach dem absurden orangefarbenen Turban Abu al-Khayrs.

So kurze Zeit nach Gauthiers Tod trennte sie sich nur schweren Herzens von diesem alten Freund, dem sie ihr wiedergefundenes Glück verdankte, aber der kleine Arzt hatte kurzen Prozeß gemacht.

»Der Weise sagt: ›Die Abwesenheit existiert nur für die, die nicht lieben können. Sie ist ein schlechter Traum, aus dem man eines Tages erwacht, um ihn alsbald zu vergessen.‹ Eines Tages werde ich vielleicht an eure Tür klopfen. Ich habe noch viele Gebräuche in eurem fremden Land zu studieren«, schloß er und drehte sich ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um.

Als sich keine Einzelheiten mehr erkennen ließen und die Stadt ein undeutlicher weißer Fleck geworden war, über dem die vergoldeten Dächer der Moscheen verschwommen blitzten, wandte sich Cathérine zum Vorderschiff. Der schwere Vordersteven pflügte mit dem Geräusch reißender Seide das unergründliche Blau des Wassers, das sich am Horizont mit dem Blau des Himmels vereinte. Oben kreisten weiße Möwen. Dort hinten, jenseits dieser Unendlichkeit, waren Frankreich, das vertraute Land, das Lachen Michels, das gute Gesicht Saras, die knotigen Hände und treuen Augen der Menschen von Montsalvy. Cathérine hob den Kopf, um Arnauds Blick zu suchen, sah, daß auch er den Horizont betrachtete.

»Wir kehren heim«, murmelte er. »Glaubst du, daß es diesmal für immer sein wird?«

Er lächelte sie auf seine gleichermaßen zärtliche wie spöttische Art an.

»Ich glaube, ma mie, daß es jetzt Schluß ist mit den Landstraßen für die Dame de Montsalvy! Schau dir diese hier genau an, sie ist die letzte …«

Die ›Magdalene‹ erreichte das offene Meer. Der Wind wurde lebhafter, das Schiff setzte seine ganze Leinwand und entschwand wie ein befreiter großer Vogel auf den blauen Wogen.

16

Seit Sonnenaufgang lösten sich zwei Laienbrüder an der großen Glocke der Abtei von Montsalvy ab, die ununterbrochen und auf so freudige Weise läutete, wie es dieser schöne Tag gebot. Ihre Arme waren so ermüdet, daß Abt Bernard de Calmont ihnen nach Beendigung des Hochamts Verstärkung geschickt hatte. Sie konnten einfach nicht mehr, aber man muß auch sagen, daß sie noch nie so froh gewesen waren. Auf den Festungswällen indessen schmetterten die Trompeten fast ohne Unterlaß.

Seit drei Tagen strömten durch die Pförtnerei des großen neuen Schlosses, dessen weiße Türme die tiefen Täler beherrschten, Sänften und Reiter, Fuhrwerke und Bewaffnete, Pagen und Gefolge, und das ganze Dorf war hundemüde. Es hieß, daß Dame Sara, die im Schloß über Diener, Kammerfrauen und Köche gebot, trotz ihrer großen Erfahrung nicht mehr wisse, wo ihr der Kopf stehe, und daß man das Gästehaus der Abtei und selbst einige Häuser im Dorf habe requirieren müssen, um diese vielen Menschen unterzubringen. Jetzt aber war alles in Ordnung, und um den glänzenden Zug, der aus der Kirche trat und sich zum Schloß begab, gab es nur ungetrübte Freude. Das ganze Dorf war geschmückt, von den Rinnsteinen bis zu den Häusergiebeln. Man hatte die schönsten Stoffe, die schönsten Behänge aus den Aussteuertruhen hervorgeholt, hatte sie mit spät blühenden Blumen und farbenprächtigen Zweigen des Herbstes geziert. Die Sonntagskleider aus feiner Wolle und schönem Linnen, häufig bestickt, wurden stolz getragen, während die Wollmützen sich keck aufrichteten und die Linnenhauben davonzufliegen schienen. Die Mädchen hatten neue Bänder ins Haar geflochten, und die jungen Burschen hatten eine Art, ihre Mützen übers Auge zu stülpen und die jungen Mädchen zu mustern, die voraussehen ließ, daß nach dem Tanz, nach Einbruch der Nacht, manch ein Pärchen sich im nahen Walde verlieren würde.

Alles in allem war dies für Montsalvy das größte Fest, das man seit mehreren Jahrzehnten erlebt hatte. Man feierte zugleich den wiedererlangten Wohlstand, die Einweihung des neuen Schlosses, die endgültige Wiedereinsetzung Messire Arnauds und Dame Catherines in ihre Ländereien und endlich die Taufe der jungen Isabelle, des Töchterchens, dem die junge Frau das Leben geschenkt hatte.

Der ganze Adel im Umkreis von zwanzig Wegstunden war erschienen. Man zeigte sich voll Achtung die edlen Herren vom Hofe, die gekommen waren, dem Herrn der kleinen Stadt ihre Glückwünsche darzubringen; und man zeigte sich die Hauptleute des Königs, die mit lauter Freude ihren alten Waffengefährten, den sie längst tot geglaubt hatten, wiedersahen. Aber das große Wunder waren Pate und Patin … Sie gingen an der Spitze des prächtigen Zuges, gleich hinter dem Neugeborenen, das Dame Sara, ganz in roten Samt und Brugger Spitzen gekleidet, stolz auf den Armen trug, und als sie sich näherten, knieten die guten Leute von Montsalvy nieder, etwas verdutzt und leicht unbehaglich, aber vor allen Dingen ungeheuer stolz über die ihrer kleinen Stadt erwiesene Ehre. Man hat im Herzen der Auvergne nicht jeden Tag Gelegenheit, eine Königin und einen Konnetabel von Frankreich zu bewillkommnen! Denn die Patin war die Königin Yolande von Anjou, imposant und schön unter der funkelnden Krone, die ihre schwarzen, goldbestickten Schleier hielt; der Pate war Richemont, in Gold und blauen Samt gekleidet, eine Kappe mit riesigen Perlen über dem narbigen Gesicht. Er geleitete die Königin an der Hand über die Teppiche, die man auf der Straße ausgelegt hatte, unter einem Regen von Blüten und Blättern, die die Mädchen über sie ausschütteten.

Beide dankten durch Winken und Lächeln für die Hochrufe und den Jubel der begeisterten Menge, glücklich über diesen ländlichen Feiertag, dem ihre Anwesenheit den Glanz eines königlichen Festes gab.

Dann folgten die Damen Madame de Richemonts, die einen zarten, schimmernden Wald vielfarbiger, hoher Spitzhauben anzuführen schien. Dann die Herren mit den markigen Gesichtern, unter denen man sich den berühmten, furchtbaren La Hire zeigte, der sein Bestes tat, liebenswürdig zu wirken, und den prunkvollen Xaintrailles, prächtig in grünem, golddubliertem Samt. Aber die Schönste, darüber waren sich alle in Montsalvy mit berechtigtem Stolz einig, war Dame Cathérine … Seitdem sie vor Monaten Messire Arnaud im Triumph ins Land seiner Väter zurückgeführt hatte, schien ihre Schönheit noch mehr erblüht zu sein. Sie hatte einen Grad der Vollkommenheit erreicht, eine Feinheit, die aus jeder ihrer Bewegungen ein Gedicht, aus jedem Lächeln eine Bezauberung machte. O ja, das Glück stand ihr gut! Unter dem Azurblau und Gold ihres Gewandes, unter der schaumigen Wolke von Musselin, die von ihrem Kopfputz herabfiel, sah sie wie eine Märchenfee aus … Sie war wirklich die Schönste, und Messire Arnaud, der sie stolz an der Hand führte, schien zutiefst davon überzeugt. Er trug ein schlichtes Wams aus schwarzem Samt, nur von einer schweren Kette aus Rubinen verziert, denn er hatte den Glanz seiner Frau durch die Einfachheit seiner Erscheinung noch erhöhen wollen. Und die guten Bauern waren ganz gerührt, als sie sahen, wie sie sich unaufhörlich wie ein junges Liebespaar anblickten.

Tatsächlich war Cathérine noch nie so glücklich gewesen. Dieser Oktobertag des Jahres 1435 war bestimmt der schönste Tag ihres Lebens, weil er alle die, die sie liebte, um sie versammelt hatte. Während sie die beflaggte Straße von Montsalvy hinunterschritt, die kleine Hand fest in die Arnauds gedrückt, dachte sie, daß sie im Schloß von ihrer Mutter erwartet wurde, die sie, überglücklich vor Freude, nach so vielen Jahren wiedergesehen hatte, und von ihrem Onkel Mathieu, der, zwar gealtert, doch immer noch munter und fidel, seit seiner Ankunft mit Saturnin, dem alten Pächter, von dem er unzertrennlich geworden war, tagelang das Land durchstreifte. Nur ihre Schwester Loyse war nicht gekommen, aber eine Klosterfrau gehörte nicht mehr der Welt. Sie war seit sechs Monaten Äbtissin der Benediktinerinnen von Tart und hatte durch einen Boten nur ihren Segen für das Kind übermittelt …

»Woran denkst du?« fragte Arnaud plötzlich, der seine Frau seit einem Augenblick lächelnd angesehen hatte.

»An all das … an uns! Hättest du wirklich geglaubt, daß man so glücklich sein kann? Wir haben alles: Glück, schöne Kinder, vortreffliche Freunde, eine Familie, Ehren, und sogar ein großes Vermögen …«

Dieses verdankten sie Jacques Coeur. Das Geld für den berühmten schwarzen Diamanten, von ihm gut angelegt, war im Begriff, sich in ein ungeheures Vermögen zu verwandeln, und obgleich er seine Zukunft damit aufbaute, obgleich er begann, den grandiosen Plan zu verwirklichen, den er für den Wiederaufbau seines Landes entworfen hatte, zahlte der Pelzhändler von Brügge, der auf dem besten Wege war, Finanzminister von Frankreich zu werden, seinen Freunden die Wohltaten, die er von ihnen in schweren Zeiten empfangen hatte, hundertfach zurück.

»Nein«, gab Arnaud ehrlich zu, »ich hatte es nie für möglich gehalten. Aber, ma mie, haben wir es uns nicht ein bißchen verdient? Wir haben soviel durchgemacht, besonders du …«

»Ich denke nicht mehr daran. Mein einziges Bedauern ist, daß Dame Isabelle, deine Mutter, nicht mehr bei uns ist …«

»Sie ist bei uns. Ich bin sicher, daß sie uns sieht, daß sie uns von jenem geheimnisvollen Ort aus hört, wo sie den großen Gauthier wiedergesehen haben muß … und dann, haben wir sie nicht wiedergeboren?«

Das stimmte. Isabelle, das Baby, ähnelte in nichts seiner Mutter. Es verband mit den blauen Augen der Großmutter das herrische Profil der Montsalvy im allgemeinen und das schwarze Haar ihres Vaters im besonderen. Wenn man Sara glauben wollte, war zu befürchten, daß es auch seinen unbeugsamen, jähzornigen Charakter haben würde.

»Wenn man sie nur ein wenig auf ihre Milch warten läßt«, seufzte die alte, zur Gouvernante erhobene Zigeunerin, »dann brüllt sie, daß die Mauern einstürzen …«

Im Augenblick schlief die junge Isabelle tief und fest in den Armen der famosen Frau, umhüllt von Seide und Spitzen ihres kostbaren Taufkleides. Der Lärm der Oboen und Querpfeifen, der um sie tobte, schien sie nicht zu stören. Eines ihrer winzigen Fäustchen klammerte sich an Saras Daumen, und es sah so aus, als könne sie nicht einmal der Knall einer Kanone dazu bringen, ein Auge zu öffnen.

Dafür war sie dem Ansturm der beiden Personen, die sich auf sie stürzten, sobald sie mit ihrem Zug im Schloßhof erschien, in dem sich Knechte, Bewaffnete und Dienerinnen drängten, wehrlos ausgeliefert: einem kleinen Knaben von drei Jahren, dessen goldenes Haar in der Sonne glänzte, und einer großen dicken Dame, ganz in Purpur und Gold gekleidet – ihr Bruder Michel und Dame Ermengarde de Châteauvillain, die Ehrenpatin.

Trotz der respektvollen, aber energischen Abwehr Saras und der Proteste Michels, der sich ebenfalls Isabelles bemächtigen wollte, trug Ermengarde den Sieg davon und stürmte mit ihrer schreienden Trophäe in den riesigen, weißen, ganz mit Gobelins behängten Saal, wo ein großes Festmahl aufgetragen war. Hinter ihr und dem Paten und der Patin ergoß sich der Zug ins Schloß, das bald von Rufen, Gelächter und den Lautenklängen der Musikanten, die die Mahlzeit begleiteten, widerhallte.

Während unter der Leitung Josses, des Schloßverwalters, und seiner Frau Marie das ganze Dorf sich an langen, im Hof aufgestellten Tischen neben gewaltigen Feuern niederließ, über denen ganze Hammel und eine Menge Geflügel brieten; während die Minnesänger die ersten Lieder unter den Bäumen des bereits von jungen Mädchen bevölkerten Obstgartens anstimmten; während die Kellermeister die Weinfässer und die Vierteltonnen Apfelmost anstachen, begann das prächtigste Festessen seit Menschengedenken im großen Saal.

Als nach unzähligen Platten mit Pasteten, Wild und Fisch, mit Pfauen in ihrem vollen Gefieder, Wildschweinen samt ihren Hauern auf Apfel- und Pistazienbetten die Diener die Torten, Konfitüren, Nougats, die Sahnen und all die anderen Nachtischgerichte zusammen mit Weinen aus Spanien und Malvasien auftrugen, erhob sich Xaintrailles und bat um Ruhe. Den vollen Pokal in die Hand nehmend, verneigte er sich vor der Königin und dem Konnetabel und wandte sich dann an seine Gastgeber: »Meine Freunde«, sagte er mit kraftvoller Stimme, »mit Erlaubnis der Frau Königin und des Herrn Konnetabel möchte ich Euch unsere Freude darüber ausdrücken, daß wir heute mit Euch der Wiedererstehung Montsalvys und gleichzeitig der Erneuerung unseres Landes beiwohnen dürfen. Überall in Frankreich gehen die Kriegshandlungen zu Ende; wo der Engländer sich noch hält, wird er nicht mehr lange bleiben. Der Vertrag, den unser König mit dem Herzog von Burgund in Arras schloß, hat, wenn er auch nicht gerade als Muster dienen kann, zumindest das Verdienst, einen erbarmungslosen Krieg zwischen Menschen desselben Landes zu beenden. Es gibt keine Armagnacs, keine Burgunder mehr! Es gibt nur noch treue Untertanen des Königs Karl des Siegreichen, den Gott uns in Gesundheit und Macht erhalten möge!«

Xaintrailles hielt inne, um Atem zu holen und die Hochrufe ausklingen zu lassen. Er sah sich flink um und heftete dann zufrieden den Blick auf Arnaud und Cathérine, die ihn Hand in Hand lächelnd ansahen. »Arnaud, mein Bruder«, begann er wieder, »wir haben dich verloren geglaubt, du bist zu uns zurückgekehrt, und das ist gut so. Ich werde dir nicht sagen, was ich von dir halte, du weißt es schon seit langem. Aber Euch, Cathérine, die Ihr Euch in großer Liebe und unter großen Gefahren aufgemacht habt, Euren Gatten selbst von den Pforten des Todes zurückzuholen, Euch, die Ihr uns geholfen habt, das Werk der heiligen Jungfrau von Orléans zu vollenden, Euch möchte ich sagen, wie teuer Ihr uns seid und wie glücklich und stolz wir sind, heute Eure Gäste zu sein! Wenige Männer wären Eures Mutes fähig gewesen, aber wenige Männer tragen auch im Herzen die treue Liebe, die Euch seit so vielen Jahren beseelt hat!

Die viel zu zahlreichen schlimmen Tage, die Ihr kennengelernt habt, sind zu Ende. Ihr habt vor Euch ein langes Leben des Glücks und der Liebe … und die freudige Aussicht, eine ganze Generation von Montsalvys guten Blutes ins Leben zu rufen! Messieurs und Ihr, schöne Damen, ich bitte Euch nun, Euch zu erheben und mit mir auf das Glück Arnauds und Catherines de Montsalvy zu trinken. Ein langes Leben und Herrlichkeit, meine Herren, dem tapfersten Ritter der Christenheit und der schönsten Dame des Abendlandes!«

Die gewaltige Ovation, die die letzten Worte Xaintrailles' begrüßte, hallte in den neuen Gewölben des Schlosses wider und vereinte sich mit den Freudenrufen der Dorfbewohner, und einen Augenblick war die kleine befestigte Stadt ein einziger Jubel der Freude und der Liebe. Blaß vor Bewegung, wollte sich Cathérine erheben, um zu antworten, aber es war zuviel für sie, ihre Kräfte ließen sie im Stich, und sie mußte sich auf die Schulter ihres Gatten stützen, um nicht zu fallen.

»Mein Gott, das ist zuviel!« murmelte sie. »Wie kann man, ohne zu sterben, soviel Freude ertragen?«

»Ich glaube«, sagte er lachend, »daß du dich sehr gut daran gewöhnen wirst.«

Es war spät in der Nacht, als Cathérine und Arnaud nach dem Ball das Gemach betraten, das sie sich im Südturm reserviert hatten. Da und dort im Schloß schliefen die erschöpften Diener, wo die Müdigkeit sie gerade übermannt hatte. Die Königin und der Konnetabel hatten sich schon lange in ihre Gemächer zurückgezogen, aber in den dunklen Ecken konnte man noch einige unverwüstliche Zecher treffen, die auf ihre Art ein so denkwürdiges Fest zu Ende feierten. Im Hof wurde noch um die niederbrennenden Feuer zu den von den kräftigsten Kehlen gesungenen Liedern getanzt.

Wie die anderen war Cathérine müde, konnte aber nicht schlafen. Sie war zu glücklich, um zu wollen, daß diese Freude sich schon im Schlaf verflüchtigte. Am Fuß des großen Himmelbettes mit seinen blauen Damastvorhängen sitzend, sah sie, wie Arnaud ihre Kammerfrauen ohne viel Umstände entließ.

»Warum schickst du sie weg?« fragte sie. »Ich könnte mich dieses Gewandes nie ohne ihre Hilfe entledigen.«

»Ich bin ja da«, sagte er mit einem spöttischen Lächeln. »Du wirst sehen, was für eine wunderbare Kammerfrau ich abgebe …«

Schnell sein Wams ausziehend, das er mit nachlässiger Gebärde in eine Ecke warf, machte er sich daran, eine Nadel um die andere zu lösen, die die hohe Haube hielten. Er tat das mit einer solchen Leichtigkeit und Geschicklichkeit, daß die junge Frau lächeln mußte.

»Stimmt! Du bist genauso geschickt wie Sara.«

»Warte, das ist noch nichts. Steh auf …«

Sie gehorchte, bereit, ihm die Spangen und Bänder anzugeben, die zuerst abgenommen werden mußten, bevor ihr das Gewand über den Kopf gezogen werden konnte; aber schon hatte Arnaud den Ausschnitt besagten Gewandes gepackt und mit einem scharfen Ruck daran gezogen. Der azurblaue Satin riß von oben bis unten durch, das feine Batisthemd desgleichen, und Cathérine stand mit einem ärgerlichen Schrei plötzlich splitternackt da, mit der einzigen Ausnahme ihrer blauen Seidenstrumpfe. »Arnaud! Bist du verrückt geworden? … Ein solches Gewand zu zerreißen!«

»Genau. Du darfst eine Robe, in der du solche Triumphe gefeiert hast, nicht zweimal tragen. Das ist ein Andenken … Und außerdem«, fügte er, sie lachend in die Arme schließend und seine Lippen auf die ihren drückend, hinzu, »dauert es viel zu lange, es auszuziehen!«

Das ›Andenken‹ lag auf dem Boden, während Cathérine sich mit einem glücklichen Seufzer hingab …

Arnauds Mund war heiß und roch ein wenig nach Wein, aber er hatte nichts von seiner Fähigkeit verloren, zügellose Gefühle in Cathérine wachzurufen. Er küßte sie bedächtig, bewußt, suchte in der jungen Frau das Verlangen zu wecken, das eine Bacchantin ohne Scham und Zurückhaltung aus ihr machte. Mit einer Hand hielt er sie an sich, mit der anderen liebkoste er langsam ihren Rücken, ihre Weiche, strich an ihrer Brust empor und dann über die süße Kurve des Bauches. Und Cathérine vibriere schon wie eine Harfensaite.

»Arnaud …«, stammelte sie an seinem Mund, »ich bitte dich …«

Mit beiden Händen nahm er ihren Kopf, grub seine Finger in die seidenen Wellen ihres Haares, zog es nach hinten, um ihr Gesicht im vollen Licht zu sehen.

»Um was bittest du mich, meine Süße? Dich zu lieben? Aber das will ich doch gerade tun. Ich werde dich lieben, Cathérine, ma mie, bis dir der Atem ausgeht, bis du um Gnade bittest … Ich hungere nach dir, als hättest du mir nicht schon zwei Kinder geschenkt …«

Gleichzeitig bog er sie zurück, bis ihre Knie einknickten, bis sie mit ihm auf das große Bärenfell vor dem Kamin sank, dann ließ er sich auf sie fallen und schloß sie in die Arme.

»So! Jetzt bist du meine Gefangene und wirst mir nicht mehr entwischen!«

Aber schon umklammerte sie mit den Armen seinen Hals und suchte nun seinen Mund. »Ich habe gar keine Lust, dir zu entwischen, Liebster. Liebe mich, liebe mich, bis ich vergesse, daß ich nicht du bin, bis wir nur noch eins sind.«

Sie sah, wie sein braunes Gesicht sich verzerrte. Sie kannte diesen fast schmerzhaften Ausdruck gut, den er in der Begierde hatte, und drückte sich an ihn, so daß es keinen Zoll ihres Körpers gab, den er nicht fühlte. Jetzt war es an Arnaud, sich zu verlieren, und lange Minuten gab es nichts mehr in dem großen, warmen Gemach als die süßen Seufzer einer liebenden Frau. Während Arnaud etwas später, in einer stillen Pause ihres Vergnügens, ruhig lag, fragte Cathérine plötzlich:

»Was hat La Hire auf dem Ball zu dir gesagt? Ist es wahr, daß du im Frühling wieder fort mußt, zurück in den Kampf?« Er öffnete halb ein Auge, zuckte die Schultern, hob eine Ecke des Bärenfelles, auf dem sie noch lagen, umwickelte sich damit und deckte gleichzeitig den etwas fröstelnden Körper der jungen Frau zu.

»Der Engländer hält noch einige feste Plätze. Solange er da ist, muß man kämpfen …«

Sofort wurde sie kopflos, wurde wieder von den alten Ängsten gepackt, die sie einst so sehr gequält hatten. Sollte alles wieder von vorn beginnen?

»Ich will nicht, daß du fortgehst, ich will nicht, daß du mich noch einmal verläßt! Ich habe dich wiedergewonnen, ich behalte dich …«

Sie umschlang ihn mit einer kindlichen Gebärde, als fürchte sie, er könnte plötzlich verschwinden. Mit sanfter Hand strich er ihr liebkosend über die Wange und küßte sie behutsam. Im Schatten sah sie seine weißen Zähne blitzen und merkte, daß er lächelte.

»Glaubst du, ich habe Lust, dich zu verlassen, wieder Nächte um Nächte ohne dich zu verbringen, ohne deine Augen, ohne deinen Körper? Ich bin Soldat und muß meinen Beruf ausüben. Wenn ich gehen werde, wirst du mir folgen … Die Feldzüge dauern nur ein halbes Jahr, und es gibt immer Schlösser hinter der Kampflinie. Dort wirst du auf mich warten, und wir verlassen uns nicht mehr … nie mehr. Die Zeit der Tränen, des Kummers und des Leidens ist zu Ende. Von jetzt an ist für uns die Zeit der Liebe gekommen. Und wir werden keinen einzigen Augenblick mehr vergeuden.«


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