WHITEHALL, 1553

1

Wie alles Wichtige im Leben begann es mit einer Reise – auf der Straße nach London, um es genau zu sagen, und es war mein erster Ausflug in diese so erregende wie elende Stadt.

Wir brachen noch vor Sonnenaufgang auf, zwei Männer zu Pferde. Noch nie im Leben war ich über Worcestershire hinausgekommen, sodass mich Master Sheltons Ankunft mit dem Befehl, ihm zu folgen, umso unerwarteter traf. Ich hatte kaum Zeit, meine wenigen Habseligkeiten zu packen und mich von den anderen Bediensteten zu verabschieden (unter ihnen auch die süße Annabel, die zum Steinerweichen weinte), dann ritt ich auch schon von Dudley Castle los. Mein ganzes bisheriges Leben hatte ich dort verbracht, und jetzt war auf einmal völlig unklar, wann oder ob ich überhaupt zurückkehren würde.

Eigentlich hätten mich allein schon meine Aufregung und Bangigkeit wach halten müssen, doch eingelullt von der Einförmigkeit der an mir vorbeiziehenden Landschaft und dem gemütlichen Trott meines Rotschimmels Cinnabar, schlief ich bald ein.

Master Shelton rüttelte mich wach. »Brendan, Junge, wach auf! Wir sind fast schon da.«

Ich richtete mich in meinem Sattel auf. Noch schlaftrunken blinzelnd, griff ich mir an den Kopf, um die Kappe zurechtzurücken, spürte aber nur mein widerspenstiges hellbraunes Haar zwischen den Fingern. Bei seiner Ankunft hatte Master Shelton die Nase über seine Länge gerümpft und gegrummelt, dass kein Engländer so ungepflegt wie die Franzosen herumlaufen sollte. Er würde über den Verlust meiner Kappe nicht gerade erbaut sein.

»O nein!« Ängstlich sah ich zu ihm auf.

Er musterte mich mit regungsloser Miene. Über seine gesamte linke Wange verlief eine hervortretende Narbe, die sein zerklüftetes Gesicht verunstaltete. Nicht, dass sie ihn störte! Ein schöner Mann war Archie Shelton noch nie gewesen, gleichwohl eine beeindruckende Gestalt, die Achtung gebietend auf dem Ross thronte. Sein bestickter Umhang und sein Stab wiesen ihn als Haushofmeister derer von Dudley aus. Jeden anderen Menschen hätte sein granitharter Blick in Angst und Schrecken versetzt, doch ich hatte mich an seine schweigsame Art gewöhnt, seit er vor acht Jahren auf dem Gut der Dudleys eingetroffen war und von da an meine Entwicklung überwacht hatte.

»Sie ist vor einer Wegstunde heruntergefallen.« Mit diesen Worten streckte er mir meine Kappe entgegen. »Seit meinen Tagen in den schottischen Kriegen habe ich nie wieder jemanden so fest zu Pferd schlafen sehen. Man könnte fast meinen, du wärst schon Hunderte von Malen in London gewesen.«

Ich hörte herben Humor aus seinem Tadel heraus. Das bestätigte mich in meiner Vermutung, dass er sich insgeheim über die jähe Wendung meines Schicksals freute, obwohl es wirklich nicht in seiner Natur lag, über seine persönlichen Gefühle zu sprechen, die ein Befehl des Herzogs oder von Lady Dudley in ihm auslösen mochte.

»Am Hof kannst du deine Kappe nicht ständig verlieren«, hielt er mir vor, als ich mir die rote Mütze auf den Kopf setzte und zu einem Hügel spähte, über den sich die im Sonnenlicht gesprenkelte Straße wand. »Ein Junker muss zu allen Zeiten auf seine Erscheinung achten.« Er unterzog mich einem prüfenden Blick. »Mylord und Mylady erwarten viel von ihren Dienern. Ich muss davon ausgehen können, dass du dich im Beisein höhergestellter Herrschaften zu benehmen weißt.«

»Selbstverständlich.« Ich straffte die Schultern und rezitierte in meinem unterwürfigsten Ton: »Es ist das Beste, wann immer möglich Stille zu wahren und stets den Blick zu senken, wenn man angesprochen wird. Ist man bezüglich der Anrede einer Person im Zweifel, genügt ein einfaches ›Mylord‹ oder ›Mylady‹.« Ich machte eine Kunstpause. »Ihr seht, ich habe es nicht vergessen.«

Master Shelton schnaubte. »Sieh zu, dass es so bleibt. Du wirst Lord Robert, dem Sohn Seiner Lordschaft, als Junker dienen, und ich werde nicht dulden, dass du diese Möglichkeit vergeudest. Wenn du dich bewährst, wer weiß, was dann auf dich wartet? Aus dir könnte ein Kammerherr oder sogar Haushofmeister werden. Die Dudleys sind dafür bekannt, dass sie diejenigen, die ihnen gute Dienste leisten, reich belohnen.«

Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, hielt ich mir vor, dass ich mir das hätte denken können.

Als Lady Dudley ihrer Familie an den Königshof gefolgt war, hatte sie Master Shelton zweimal jährlich zur Burg der Familie geschickt, wo ich und eine kleine Schar von Dienern zurückgeblieben waren, damit er nach dem Rechten sah. Vordergründig lautete sein Auftrag zu überprüfen, ob ich meinen Unterhalt auch wirklich verdiente, doch während ich zuvor ausschließlich als Stallknecht gearbeitet hatte, übertrug er mir auf einmal andere Pflichten und zahlte mir zum ersten Mal in meinem Leben einen bescheidenen Lohn. Er ging mit mir sogar zu einem in der Gegend lebenden Mönch und ließ mich von ihm unterrichten. Dieser war einer von Tausenden, die sich nach der Auflösung der Klöster durch den alten König Henry mit Betteln und Gelegenheitsdiensten durchschlugen. Beim übrigen Personal von Dudley Castle hatte der Haushofmeister Ihrer Ladyschaft als widernatürlich gegolten, als kalter, einsamer Mann, der unverheiratet und kinderlos geblieben war – doch mir hatte er eine völlig unerwartete Gunst erwiesen.

Und jetzt wusste ich, warum.

Er wollte, dass ich seine Nachfolge antrat, wenn Alter und Siechtum ihn zwangen, sich zur Ruhe zu setzen. Das war freilich nicht gerade die Rolle, die ich anstrebte, bestand sie doch aus all jenen langweiligen Aufgaben, für die Lady Dudley weder Zeit noch Interesse hatte. Andererseits war das immer noch viel besser, als jemand in meiner Lage es für sich erwarten konnte oder sollte. Nur wäre ich eben lieber in den Stallungen geblieben, als ein privilegierter Lakai zu werden, der von den Launen der Dudleys abhängig war. Pferde verstand ich wenigstens, wohingegen der Herzog und seine Frau Fremde für mich waren, und zwar in jeder Hinsicht.

Dennoch durfte ich nicht undankbar wirken. So neigte ich den Kopf und murmelte: »Es wäre eine Ehre für mich, wenn man mich einer solchen Stellung für würdig erachtete.«

Ein schiefes Lächeln, das umso verblüffender war, da es Seltenheitswert hatte, hellte Master Sheltons Züge auf. »Wäre es das? Das habe ich mir schon gedacht. Na gut, dann werden wir eben sehen müssen, nicht wahr?«

Ich erwiderte sein Lächeln. Lord Robert als Junker zu dienen würde mich vor genügend Herausforderungen stellen, ohne dass ich mir den Kopf über eine zukünftige Anstellung als Haushofmeister zu zerbrechen brauchte. Der drittälteste Sohn des Herzogs und ich waren ungefähr gleich alt und hatten unsere Kindheit auf der Burg seiner Eltern verbracht. Allerdings hatte ich ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.

Um die Wahrheit zu sagen, Robert Dudley war mein Fluch gewesen. Schon als Knabe war er der ansehnlichste und begabteste der Dudley-Sippe und hatte sich in allem, was er unternahm, ausgezeichnet, gleichgültig, ob Bogenschießen, Musik oder Tanz. Außerdem hegte er einen übertriebenen Stolz auf seine Überlegenheit – er war ein Tyrann, dem es königlichen Spaß bereitete, seine Brüder in dem stets aufs Neue lustigen Spiel »Prügelt das Findelkind« herumzukommandieren.

Wie geschickt ich mich auch versteckte, wie heftig ich mich auch wehrte, am Ende gelang es Robert immer, mich zur Strecke zu bringen. Und dann wiegelte er seine Brüder, diese Schlägerbande, dazu auf, mich in den mit Fäkalien verschmutzten Burggraben zu tauchen oder mich über den Brunnen im Innenhof zu hängen, bis meine Schreie in Schluchzen übergingen und meine geliebte Mistress Alice herbeistürzte, um mich zu retten. Den größten Teil meiner Zeit verbrachte ich damit, auf Bäume zu klettern oder mich verängstigt auf Dachböden zu verbergen. Schließlich wurde Robert an den königlichen Hof geschickt, um dem jungen Prinzen Edward als Edelknabe zu dienen. Und als seine Brüder mit ähnlichen Stellen versorgt waren, entdeckte ich eine nie erlebte und hochwillkommene Freiheit von ihrer Grausamkeit.

So schwer es mir fiel, mich mit diesem Gedanken anzufreunden, jetzt war ich auf dem Weg zu Robert, um ihm zu dienen. Keine Geringere als seine Mutter hatte es befohlen. Aber natürlich zogen Adelsfamilien unglückliche Findelkinder wie mich nicht aus reiner Nächstenliebe auf. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass der Tag kommen würde, an dem sie meine Schuld bei ihnen einfordern würden.

Meine Gedanken waren mir wohl am Gesicht abzulesen, denn Master Shelton räusperte sich und murmelte verlegen: »Du brauchst dich nicht zu grämen. Du und Lord Robert, ihr seid jetzt erwachsene Männer. Achte einfach auf deine Manieren, und tu, was er dir aufträgt, dann geht alles gut für dich aus. Du wirst schon sehen.« Und in einem neuerlichen Anflug von Empfindsamkeit tätschelte er mir die Schulter. »Mistress Alice wäre stolz auf dich. Sie hat immer daran geglaubt, dass aus dir etwas wird.«

Plötzlich schnürte sich mir die Kehle zu. Wieder sah ich sie vor meinem inneren Auge, wie sie mahnend den Finger hob, während auf dem Herd der Topf mit den Kräutern blubberte und ich mit den von der frisch gekochten Marmelade verklebten Lippen und Fingern wie verzaubert dasaß. »Du musst immer zu Großem bereit sein, Brendan Prescott«, pflegte sie mir vorzuhalten. »Wir können nicht wissen, wann wir dazu aufgerufen werden, uns über unser Schicksal zu erheben.«

Ich wandte die Augen ab und gab vor, die Zügel anzuziehen. Das nun eintretende Schweigen wurde nur vom steten Klipp-klapp der Hufe auf den mit getrocknetem Lehm bedeckten Pflastersteinen durchbrochen.

Schließlich brummte Master Shelton: »Hoffentlich passt deine Livree. Du könntest ein bisschen Fleisch auf deinen Knochen durchaus vertragen, aber deine Haltung ist gut. Hast du regelmäßig mit dem Kampfstab geübt, wie ich es dich gelehrt habe?«

»Jeden Tag«, antwortete ich und zwang mich, zu ihm aufzusehen. Master Shelton hatte keine Ahnung davon, was ich in den letzten Jahren noch alles geübt hatte.

Es war Mistress Alice, die mich mit dem Gebrauch der Buchstaben vertraut gemacht hatte. Sie selbst war eine Seltenheit gewesen: Als gebildete Kaufmannstochter war sie in Not geraten, und nachdem sie in den Dienst der Dudleys getreten war, um »Leib und Seele zusammenzuhalten«, wie sie gerne sagte, hatte sie mir immer gepredigt, dass unser Geist nur eine einzige Grenze hatte – diejenige, die wir uns selbst setzten. Nach ihrem Tod hatte ich mir geschworen, meine Studien zu ihrem Gedenken fortzusetzen. Von da an beeindruckte ich den Mönch mit dem fauligen Atem, den Master Shelton gedungen hatte, mit derart glühendem Eifer, dass er mich bald durch die Feinheiten von Plutarchs Stil lotste. Oft blieb ich ganze Nächte lang wach und las Bücher, die ich aus der Bibliothek der Dudleys entwendet hatte. Die Familie hatte Regale voller schwerer Bände erworben, hauptsächlich, um mit ihrem Wohlstand zu prahlen, denn ihre Söhne hielten sich mehr auf ihr Geschick bei der Jagd zugute als auf irgendeine Begabung für die Feder. In meinem Fall dagegen wurde das Lernen zur Leidenschaft. In diesen muffigen Schwarten entdeckte ich eine Welt ohne Beschränkungen, in der ich sein konnte, wer immer ich sein wollte.

Ich unterdrückte ein Lächeln. Auch Master Shelton war des Lesens und Schreibens kundig. Das musste er auch sein, um die Geschäftsbücher des Hauses Dudley zu führen. Gleichwohl legte er Wert darauf zu betonen, dass er nie mehr anstrebte, als ihm aufgrund seines Geburtsrechts zustand, und dass er solche Anmaßung bei anderen ebenfalls nicht dulden würde. Seiner Auffassung nach sollte kein Diener, so fleißig er auch sein mochte, danach streben, Gespräche über die humanistische Philosophie eines Erasmus oder die Traktate von Thomas Morus zu führen, und schon gar nicht in fließendem Französisch oder Latein. Und ich bezweifle stark, dass er begeistert gewesen wäre, wenn er gewusst hätte, wie viel von seinen Zahlungen an den Lehrer gerade dafür verwendet worden war.

Schweigend ritten wir weiter und erreichten die Kuppe des Hügels. Da sich die Straße unter uns von hier an durch eine baumlose Ebene zog, stach mir die Leere des Landes ins Auge. Von den Midlands her war ich einen weiten Blick gewohnt, und wir waren auch noch gar nicht weit von ihnen entfernt – dennoch fühlte ich mich, als beträte ich fremdes Hoheitsgebiet.

Rauch zog sich über den Himmel wie ein schmieriger Fingerabdruck. Ich bemerkte Zwillingstürme, dann massive Mauern, die sich in einem weiten Bogen um eine ausgedehnte Siedlung mit Wohngebäuden, Kirchtürmen, am Flussufer gelegenen Herrenhäusern und einem schier endlosen Gitterwerk von Straßen auftürmten – und all das wurde von der Themse geteilt.

»Das ist sie«, erklärte Master Shelton. »Die große Stadt. London. Du wirst den Frieden des Landlebens früh genug vermissen – wenn dich nicht schon vorher Halsabschneider oder die Pest erwischen.«

Ich konnte nur noch starren. London wirkte genauso riesig und unheilvoll, wie ich es mir vorgestellt hatte, und am Himmel segelten Rotmilane, als gäbe es in der Stadt Aas zuhauf. Doch als wir uns den gewundenen Mauern näherten, erspähte ich in ihrem Umkreis mit Nutztieren gesprenkelte Weiden, Kräuter- und Obstgärten und reiche Weiler. Allem Anschein nach konnte sich London auch großer ländlicher Gebiete rühmen.

Wir erreichten eines der sieben Tore der Stadt. Verzaubert nahm ich alles in mich auf, was sich meinen Augen darbot: eine Gruppe übertrieben vornehm gekleideter Kaufleute, die auf einem Ochsenkarren hockte, einen Kesselflicker, der auf den Schultern ein mit klirrenden Messern und Kupfer behängtes Joch trug und dabei lauthals sang, eine Horde von Bettlern, Lehrjungen, geschäftigen Handwerksgesellen, Metzgern, Kürschnern und Pilgern. Mit einem Mal brach ein Streit mit den Torwächtern aus, die der Menge abrupt Stillstand befohlen hatten. Als Master Shelton und ich uns ebenfalls in die Schlange einreihten, blickte ich zu dem über mir aufragenden Tor hoch, umrahmt von zwei wuchtigen Gefechtstürmen, mit ihren von Ruß geschwärzten Schießscharten.

Jäh erstarrte ich. Aufgespießt auf Pfählen, starrte aus blinden Augen eine Sammlung von blutbesudelten Köpfen auf mich herab – ein gespenstisches Festmahl für die Raben, die gierig an dem faulenden Fleisch zerrten.

»Papisten«, knurrte Master Shelton neben mir. »Seine Lordschaft hat befohlen, dass ihre Schädel als Warnung zur Schau gestellt werden sollen.«

Papisten waren Katholiken. Nach ihrem Glauben war nicht unser Monarch das Oberhaupt der Kirche, sondern der Papst in Rom. Mistress Alice war Katholikin gewesen. Obwohl sie mich dem Gesetz gemäß nach den Grundsätzen des reformierten Glaubens erzogen hatte, hatte ich sie nachts oft den Rosenkranz beten sehen.

In diesem Moment fiel mir wie Schuppen von den Augen, wie weit ich hier von dem Ort entfernt war, den ich als mein Zuhause gekannt hatte, das einzige, das ich je gehabt hatte. Dort ließ man die Leute einfach so gewähren, wie sie wollten. Niemand machte sich die Mühe, die örtlichen Behörden zu holen und irgendjemandem Ärger zu bescheren. Hier dagegen konnte derlei einen Menschen anscheinend den Kopf kosten.

Ein struppiger Wächter schlurfte auf uns zu und wischte sich im Gehen die fettverschmierten Hände an seinem Rock ab. »Keiner darf rein!«, bellte er. »Die Tore sind auf Geheiß Seiner Lordschaft geschlossen!« Er stockte abrupt, als er das Abzeichen an Master Sheltons Umhang bemerkte. »Bist du einer von Northumberlands Männern?«

»Der Haushofmeister seiner Gemahlin.« Master Shelton zog eine Rolle mit Dokumenten aus seiner Satteltasche. »Hier habe ich Pässe, die mir und dem Jungen freies Geleit sichern. Wir werden am Hof erwartet.«

»Ach, wirklich?« Der Wächter grinste ihn hämisch an. »Jeder erbärmliche Wicht behauptet, er würde irgendwo erwartet. Der Pöbel redet viel. Erst gehen diese Gerüchte von der tödlichen Krankheit Seiner Majestät um, und jetzt verbreiten sie diesen Unsinn, dass Prinzessin Elizabeth mitten unter uns sein soll.« Er zog Schleim hoch und spuckte ihn aus. »Idioten, sag ich! Die würden sogar glauben, dass der Mond aus Seide ist, wenn genug Leute das beschwören.« Er gab sich gar nicht erst damit ab, unsere Papiere zu überprüfen. »An eurer Stelle würde ich mich von Menschenmengen fernhalten«, riet er uns und winkte uns durch.

Ungestört ritten wir weiter und am Torhaus vorbei. In unserem Rücken hörte ich die wütenden Schreie der anderen, die nicht durchgelassen wurden. Master Shelton verstaute die Dokumente wieder in seiner Satteltasche. Als er seinen Umhang auseinanderschlug, kam ein an seinen Rücken geschnalltes Breitschwert zum Vorschein. Einen Moment lang bannte mich der Anblick der Waffe. Verstohlen griff ich nach meinem Dolch – ein Geschenk von Master Shelton zu meinem vierzehnten Geburtstag –, der mitsamt Scheide in meinem Gürtel steckte.

»Seine Majestät, König Edward … liegt er tatsächlich im Sterben?«, wagte ich zu fragen.

»Natürlich nicht!«, schnaubte Master Shelton. »Der König ist ein bisschen krank, das ist alles. Und daran geben die Leute dem Herzog die Schuld, wie sie ihn für praktisch alles verantwortlich machen, was in England nicht stimmt. Absolute Macht, mein Junge, hat eben ihren Preis.« Er schob den Unterkiefer vor. »Doch jetzt halt die Augen offen. Du kannst nie wissen, wann du an einen Halunken gerätst, der dir im Handumdrehen die Kehle aufschlitzt, nur weil er auf deine Kleider aus ist.«

Das glaubte ich ihm sofort. London war ganz und gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Statt den friedlichen, auf beiden Seiten von Geschäften gesäumten Prachtalleen aus meinen Fantasievorstellungen durchquerten wir ein Gewirr von krummen Gassen, wo sich gewaltige Abfallberge auftürmten und Durchgänge in finstere, Unheil verkündende Hinterhöfe führten. Über uns lehnten sich ganze Reihen von verfallenen Häusern aneinander, sodass sich ihre morschen Giebel geradezu ineinander verkeilten. Sonnenlicht drang kaum noch nach unten. Hier herrschte gespenstische Stille, als wären alle Bewohner verschwunden, eine Ruhe, die umso beängstigender wirkte, nachdem am Tor gerade noch ein solches Getöse geherrscht hatte.

Unvermittelt brachte Master Shelton sein Pferd zum Stehen. »Hör nur.«

Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ein gedämpfter Laut drang an meine Ohren, der aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. »Rühr dich besser nicht«, warnte mich Master Shelton. Ich gehorchte und straffte Cinnabars Zügel, womit ich ihn an die Seite lenkte. Im nächsten Augenblick drängte sich eine gewaltige Menschenmenge durch die Straße. Das geschah so unerwartet, dass Cinnabar trotz meines festen Griffs scheute. Aus Sorge, er könnte jemanden zertrampeln, ließ ich mich aus dem Sattel gleiten und packte ihn am Zaumzeug.

Die Menge teilte sich um uns und eilte weiter. So ohrenbetäubend laut, wie dieser bunt zusammengewürfelte, nach Schweiß und Kloake stinkende Haufen war, befiel mich die Angst, jemand könnte mir nach dem Leben trachten. Unwillkürlich tastete ich nach dem Dolch an meinem Gürtel, nur um zu bemerken, dass überhaupt niemand auf mich achtete. Ich spähte zu Master Shelton hinüber, der immer noch auf seinem mächtigen Fuchs saß. Er bellte einen unverständlichen Befehl. Ich reckte den Kopf und versuchte, die Anweisung zu verstehen.

»Steig wieder auf!«, brüllte er. Doch während ich das versuchte, wurde ich von der weiterdrängenden Menge fast umgerissen. Mit Mühe und Not schaffte ich es, auf Cinnabars Rücken zu klettern, dann wurden wir auch schon von den Menschen fortgeschwemmt. Hilflos schlingerten wir durch einen engen Durchgang und wurden unversehens an ein Flussufer gespült.

Mit einem Ruck am Zügel brachte ich Cinnabar zum Stehen. Vor mir wälzte sich die von grünen Algen bedeckte Themse vorbei. Stromabwärts verstellte in der Ferne ein in Dunst gehüllter Steinhaufen die Landschaft.

Der Tower.

Ich erstarrte, unfähig, den Blick von der berüchtigten königlichen Festung abzuwenden. Hinter mir kam Master Shelton herangeritten. »Habe ich dir nicht gesagt, dass du die Augen offen halten sollst? Los, weiter. Jetzt ist nicht die Zeit, um Bauwerke zu bewundern. Die Meute in London kann so grausam werden wie ein Bär im Burggraben.«

Ich riss mich von dem Anblick los und kümmerte mich zunächst um mein Pferd. Cinnabars zitternde Flanken waren von einer feinen Schweißschicht bedeckt, und seine Nüstern blähten sich, doch er wirkte unversehrt. Die Menge stürmte unterdessen weiter zu einer breiten Straße mit Wohnhäusern auf beiden Seiten und mehreren Gasthöfen, deren Schilder im Wind schwangen. Viel zu spät fasste ich mir im Weiterreiten an den Kopf. Wie durch ein Wunder saß die Kappe immer noch darauf.

Dann blieben die Leute stehen, ärmliche, einfache Menschen. Ich schaute zu, wie Gassenjungen auf Zehenspitzen herumschlichen und Hunde hinter ihnen hertrotteten. Diebe – und dem Aussehen nach zu schließen, nicht einer davon älter als neun Jahre. Bei ihrem Anblick fiel mir die Vorstellung nicht schwer, was für ein Halunke aus mir hätte werden können, wenn mich die Dudleys nicht bei sich aufgenommen hätten.

Master Shelton zog eine verdrießliche Miene. »Sie versperren uns den Weg. Laufe los und sieh zu, dass du herausfindest, was die Leute da so anglotzen. Ich möchte uns nicht mit Gewalt einen Weg dort hindurch verschaffen, wenn es sich vermeiden lässt.«

Ich reichte ihm meine Zügel, stieg erneut ab und zwängte mich durch die Menge. Dieses eine Mal wenigstens war ich dankbar für meine schmächtige Gestalt. Ich wurde beschimpft, mit Ellbogen gestoßen, geschubst, schaffte es aber, mich bis ganz nach vorn zu drängeln. Auf Zehenspitzen stehend, spähte ich vorbei an den gereckten Köpfen zu einer festgetretenen Lehmstraße, auf der sich ein unscheinbarer Reiterzug näherte. Schon wollte ich mich enttäuscht abwenden, als sich eine rundliche Frau neben mich schob und einen welken Blumenstrauß schwingend schrie: »Gott segne Euch, süße Bess! Gott segne Eure Hoheit!«

Mit einem kräftigen Schwung schleuderte sie die Blumen in die Luft. Auf einen Schlag herrschte Stille. Einer der Männer im Reiterzug ritt näher zur Mitte, als wollte er etwas – oder jemanden – verdecken.

Erst in diesem Moment bemerkte ich, halb hinter den größeren Pferden verborgen, ein scheckiges Streitross. Ich hatte ein gutes Auge für Pferde, und in diesem Tier mit dem gewölbten Rücken, der geschmeidigen Muskulatur und den tänzelnden Hufen erkannte ich auf Anhieb eine in England selten gesehene spanische Rasse, von der ein Exemplar mehr kostete als der gesamte Reitstall des Herzogs.

Und dann wurde mein Blick von der darauf sitzenden Person angezogen.

Obwohl ein Kapuzenumhang das Gesicht verdeckte und die Hände in Lederhandschuhen steckten, erkannte ich auf Anhieb, dass es eine Frau war. Gegen alle Gepflogenheiten war sie rittlings wie ein Mann aufgestiegen und trug kniehohe Reitstiefel, die sich vor den mit Mustern verzierten Seiten des Sattels abzeichneten – eindeutig Frauenstiefel. Nichts an ihr wies auf eine hohe Persönlichkeit hin, nur das Pferd. Zielstrebig ritt sie weiter, als wollte sie möglichst bald ihr Ziel erreichen.

Und doch wusste sie, dass wir sie beobachteten, und hörte den Ruf der Frau, denn sie wandte ihr den Kopf zu. Zu meiner Überraschung schob sie sogar die Kapuze zurück, womit sie ein längliches, zart geschnittenes Gesicht offenbarte, das von einer Korona aus kupferfarbenem Haar umrahmt wurde.

Und sie lächelte.

2

Plötzlich nahm ich alles wie durch einen Nebel wahr. Die Worte des Torwächters fielen mir wieder ein: … jetzt verbreiten sie diesen Unsinn, dass Prinzessin Elizabeth mitten unter uns sein soll. Und ich verspürte tatsächlich einen Stich im Herzen, als der Reiterzug vorbeisprengte und verschwand.

Nach und nach löste sich die Menge auf. Nur einer der Gassenjungen schlich gegen den Strom auf die Straße hinaus und barg den liegen gebliebenen Blumenstrauß. Die Frau, die ihn in die Luft geworfen hatte, stand immer noch wie gebannt da und starrte, die Hände gegen die Brust gepresst, den längst entschwundenen Reitern nach. In ihren müden Augen schimmerten Tränen.

Mit verklärter Miene drehte sie sich zu mir um. »Hast du sie gesehen?«, flüsterte sie. Obwohl sie mir ins Gesicht schaute, beschlich mich das Gefühl, dass sie mich gar nicht wahrnahm. »Hast du sie gesehen, unsere Bess? Endlich ist sie zu uns gekommen – gepriesen sei Gott, der Herr! Nur sie kann uns aus den Klauen dieses Teufels von Northumberland retten.«

Regungslos stand ich da, dankbar, dass meine Livree in der Satteltasche steckte. War das also das Bild, das die Londoner von John Dudley, Duke of Northumberland, hatten? Ich wusste, dass der Herzog dem König jetzt als oberster Minister diente, seit er nach dem Fall von dessen Onkel und vormaligem Protektor, Edward Seymour, die Macht ergriffen hatte. Viele Untertanen hatten die Seymours wegen deren Habgier und Machtbesessenheit verflucht. Hatte der Herzog denselben Hass auf sich gezogen?

Ich wandte mich von der Frau ab. Hinter mir war Master Shelton herangeritten. Wütend funkelte er die Frau von seinem Pferd herab an. »Du bist eine Närrin«, grollte er. »Nimm dich bloß in Acht, dass deine Torheiten nicht den Männern meines Herrn, des Herzogs, zu Ohren kommen, sonst schneiden sie dir noch die Zunge heraus, so wahr ich hier sitze.«

Sie glotzte ihn mit offenem Mund an. Als sie das Abzeichen auf seinem Umhang bemerkte, taumelte sie benommen zurück. »Der Mann des Herzogs!«, kreischte sie und stolperte davon. Diejenigen, die zurückgeblieben waren, retteten sich, die gleiche Warnung schreiend, in das verwinkelte Gassengeflecht oder das nächste Gasthaus.

Auf der anderen Seite der breiten Straße hielt auf einmal eine Gruppe von äußerst grobschlächtig aussehenden Männern inne und starrte uns unverwandt an. Als ich unter einem Ärmel eine Dolchscheide aufblitzen sah, sackte mir das Herz in die Hose.

»Sitz besser auf«, forderte mich Master Shelton auf, ohne den Blick von den Männern abzuwenden. Das brauchte er mir nicht zweimal zu sagen. Im Nu schwang ich mich in den Sattel, während Master Shelton sich umdrehte und den Blick über die Umgebung schweifen ließ. Unterdessen hatten sich die Männer in Bewegung gesetzt und überquerten die Straße, womit sie teilweise den Weg versperrten, den der Reiterzug genommen hatte. Ich wartete mit hämmerndem Herzen. Uns blieben zwei Möglichkeiten. Wir konnten auf dem Weg zurückreiten, auf dem wir gekommen waren, also über die Uferstraße wieder in das Labyrinth von Gassen eintauchen, oder aber auf die verfallenen Fachwerkhäuser in der anderen Richtung zuhalten, zwischen denen es jedoch keine Lücke zu geben schien. Einen Moment lang sah es so aus, als würde Master Shelton zögern. Dann lenkte er seinen Fuchs wieder herum und taxierte die sich uns nähernden Männer.

Jäh breitete sich ein wildes Grinsen auf seinem vernarbten Gesicht aus, dann rammte er seinem Fuchs die Fersen in die Flanken und sprengte los – geradewegs auf die Männer zu.

Ein leichter Tritt in Cinnabars Seiten, und ich folgte in halsbrecherischem Galopp. Die Männer schienen zu Salzsäulen zu erstarren. Mit hervorquellenden Augen sahen sie diesen Angriff von harten Muskeln gepaart mit fliegenden Hufen auf sich zukommen. Erst in letzter Sekunde warfen sie sich wie die Erdklumpen, die unsere Pferde aufwirbelten, zur Seite. Während wir vorbeidonnerten, hörte ich einen qualvollen Schrei. Ich riskierte einen Blick zurück. Einer der Männer lag mit dem Gesicht nach unten auf der Straße; aus seinem zerschlagenen Kopf sickerte Blut.

Zwischen den verfallenen Gebäuden jagten wir weiter. Alle Lichter waren gelöscht. Ein Pesthauch von Exkrementen, Urin und faulenden Essensresten legte sich über mich und drohte, mich zu ersticken, als drückte mir jemand einen Umhang auf das Gesicht. Über mir ragten Balkone über die Straße, bildeten ein beängstigendes Gewölbe, festlich geschmückt mit tropfnasser Wäsche und noch nicht fertig abgehangenen Fleischschwarten. Schmutzbrühe spritzte auf, als unsere Pferde durch die überfließenden Rinnen jagten, die die Fäkalien der Stadt in den Fluss spülten. Ich hielt die Luft an und presste die Zähne aufeinander, denn schon hatte ich den Geschmack der Gallenflüssigkeit in der Kehle. Und die gewundene Gasse schien einfach nicht enden zu wollen! Aber dann erreichten wir keuchend und hustend doch noch eine freie Fläche.

Ich zügelte Cinnabar. Erst als wir standen, merkte ich, dass sich alles um mich herum drehte. Ich schloss die Augen und atmete tief durch, um den Wirbel in meinem Kopf zu beruhigen. Nun wurde ich der plötzlichen Stille gewahr. In der Luft hingen die Gerüche von saftigem Gras und Äpfeln. Ich schlug die Augen auf.

Wir hatten eine andere Welt betreten.

Um uns herum wiegten sich hoch aufragende Eichen und Buchen in der Brise. So weit mein Auge reichte, erstreckte sich vor mir eine Wiese. Eine Oase mitten in der Stadt? Wie überaus merkwürdig! Voll des Staunens wandte ich mich zu Master Shelton um. Der spähte in die Ferne, das wettergegerbte Gesicht verwittert wie ein Fels. Noch nie hatte ich bei ihm ein Verhalten beobachtet wie gerade eben. Wie ein Besessener war er über einen hilflosen Mann hinweggeritten, als hätte er seine Haut einfach abgeworfen und unter der Schicht des hochherrschaftlichen Burgvogtes einen Söldner offenbart.

Ich musste immer noch meine Gedanken sammeln. Zögernd fragte ich: »Diese Frau … sie hat sie Bess genannt. War sie … die Schwester des Königs, Prinzessin Elizabeth?«

»Wenn sie es wirklich war, dann bringt sie nur Ärger«, knurrte Master Shelton. »Der folgt ihr sowieso überallhin, genauso wie dieser Hure von ihrer Mutter.«

Darauf entgegnete ich nichts mehr. Natürlich hatte ich von Anne Boleyn gehört. Wer hatte das nicht? Wie so viele auf dem Land draußen war ich mit blutrünstigen Geschichten über Henry VIII. und seine sechs Frauen aufgewachsen, mit denen er seinen Sohn, unseren gegenwärtigen König Edward VI., und zwei Töchter gezeugt hatte, die Prinzessinnen Mary und Elizabeth. Um Anne Boleyn heiraten zu können, hatte Henry seine erste Frau, die spanische Prinzessin Katharina von Aragón, die Mutter von Lady Mary, verstoßen. Danach hatte er sich zum Oberhaupt der englischen Kirche ausgerufen. Es hieß, Anne Boleyn hätte bei ihrer Krönung gelacht, doch das Lachen sollte ihr bald vergehen. Vom Volk als Ketzerin und Hexe beschimpft, die den König dazu angestachelt hatte, das Reich aus den Angeln zu heben, wurde sie nur drei Jahre nach Elizabeth’ Geburt wegen Inzest und Landesverrat angeklagt. Zusammen mit ihrem Bruder und vier weiteren Männern wurde sie geköpft. Einen Tag nach Annes Tod wurde Jane Seymour, König Edwards Mutter, mit Henry verlobt.

Ich wusste, dass viele, die Annes Aufstieg und Fall erlebt hatten, sie auch noch nach ihrem tragischen Ende zutiefst verachteten. Von den einfachen Leuten verehrten immer noch viele Katharina von Aragón. Ihre Unbeirrbarkeit und Würde waren nie in Vergessenheit geraten, selbst wenn ihr Leben zerstört worden war. Wie auch immer die Verhältnisse sein mochten, ich war von Master Sheltons heftigem Ton verunsichert. Er sprach von Elizabeth, als wäre sie schuld an den Verbrechen ihrer Mutter.

Während ich noch versuchte, aus alldem schlau zu werden, lenkte er meine Aufmerksamkeit auf eine Silhouette, die sich von dem rasch dunkler werdenden Abendhimmel abhob. »Das ist der Whitehall-Palast«, sagte er. »Komm, es wird spät. Für einen einzigen Tag haben wir genug Aufregung erlebt.«

Durch den riesigen, nach allen Seiten offenen Park erreichten wir Straßen, gesäumt von den hinter den Mauern aufragenden Herrenhäusern und dunklen Kirchen. Ich bemerkte eine große Steinkathedrale, die einem Wachposten gleich auf einem Hügel stand, und staunte über ihre düstere Pracht. Und als wir uns dem Whitehall-Palast näherten, wurde ich von Ehrfurcht schier überwältigt.

Schlösser und Burgen waren nichts Neues für mich. Ja, der Sitz des Geschlechts Dudley, auf dessen Landgut ich aufgewachsen war, war eine Burg, die als eine der beeindruckendsten im ganzen Reich galt. Doch Whitehall war anders als alles, was ich bisher gesehen hatte. An eine Flussbiegung geschmiegt, türmte sich die königliche Residenz von Henry VIII. vor mir auf – ein farbenprächtiger Bienenkorb aus bizarren Türmchen, spiralenförmig gewundenen Türmen und Säulengängen, die sich vor mir zu recken schienen wie schläfrige Raubtiere. Soweit ich das erkennen konnte, zogen sich zwei größere Hauptwege durch die Anlage, und überall wimmelte es von äußerst geschäftigen Menschen.

Wir ritten in gemächlichem Trab durch das nördliche Tor, vorbei an einem überfüllten Vorhof zu einem Innenhof, wo sich zahllose Dienstboten, Amtsträger und Höflinge drängten. Die Zügel unserer Pferde straff im Griff, gingen wir zu Fuß weiter, zu den Stallungen, wie ich annahm, als uns ein schmucker Mann in karmesinrotem Wams zielstrebig entgegentrat.

Master Shelton hielt mit einer steifen Verbeugung an. Der Mann neigte ebenfalls den Kopf zum Gruß, um uns dann mit seinen blassblauen Augen abzuschätzen. Seine lebhaften Züge wurden durch einen goldbraunen Bart abgerundet. Er erweckte bei mir den Eindruck, alterslose Männlichkeit und einen scharfen Verstand zu besitzen.

Als ich ehrerbietig den Kopf senkte, erspähte ich unter seinen Fingernägeln getrocknete halbmondförmige Tintenflecken. »Master Shelton, Ihre Ladyschaft hatte mir mitgeteilt, dass Ihr heute eintreffen könntet«, hörte ich ihn in kühlem Ton sagen. »Ich nehme an, dass Eure Reise nicht allzu beschwerlich war.«

»Nein, Mylord«, antwortete Master Shelton leise.

Der Blick des Mannes streifte mich. »Und das ist …?«

»Brendan«, platzte ich heraus. Erst, als es zu spät war, begriff ich, was ich getan hatte. »Brendan Prescott, Euch zu Diensten, edler Herr.« Einem Impuls folgend, vollführte ich eine Verbeugung, die erkennen ließ, dass stundenlanges mühevolles Üben dahintersteckte, auch wenn ich schrecklich albern auf ihn wirken musste.

Wie um meine Gedanken zu bestätigen, stieß er ein herzhaftes Lachen aus. »Ihr müsst Lord Roberts neuer Junker sein.« Sein Lächeln wurde breiter. »Privat mag Euer Herr eine solch erhabene Anrede von Euch verlangen, ich dagegen bin mit einem einfachen ›Master Secretary Cecil‹ oder ›Mylord‹ zufrieden, wenn Euch das recht ist.«

Ich spürte, wie ich errötete. »Selbstverständlich!«, rief ich. »Vergebt mir, Mylord.«

»Der Junge ist müde, das ist alles«, brummte Master Shelton. »Wenn Ihr Ihre Ladyschaft über unsere Ankunft in Kenntnis setzt, werden wir Euch nicht länger behelligen.«

Master Secretary Cecil wölbte eine Augenbraue. »Ich fürchte, Ihre Ladyschaft ist gegenwärtig nicht hier. Sie und ihre Töchter sind in das Durham House in The Strand gezogen, um für die Edlen und ihr Gefolge Unterkunft zu schaffen. Das Haus Seiner Lordschaft ist heute Abend voller Gäste, müsst Ihr wissen.«

Master Shelton erstarrte. Meine Augen schossen zwischen ihm und Master Secretary Cecils unergründlichem Lächeln hin und her. In diesem Moment begriff ich, dass Master Shelton nicht Bescheid gewusst hatte und soeben zurechtgewiesen worden war. So freundlich Cecils Gebaren auch sein mochte, gleichrangig waren die zwei Männer nicht.

»Lady Dudley hat allerdings eine Nachricht hinterlassen, dass sie Eurer Dienste bedarf«, fuhr Cecil fort. »Ihr sollt ihr umgehend in das Durham House folgen. Ich kann Euch eine Eskorte zur Verfügung stellen, wenn Ihr möchtet.«

Um uns herum rannten Bedienstete hin und her und zündeten mit ihren Fackeln an den Mauern angebrachte Leuchten an. Die Dämmerung hüllte den Hof und Master Sheltons Gesicht ein. »Ich kenne den Weg«, knurrte er und winkte mich zu sich. »Komm mit, Junge. Das Durham House ist nicht weit.«

Ich wollte ihm schon folgen, als Cecil mich am Arm fasste. Seine Finger übten einen leichten, doch überraschend gebieterischen Druck aus. »Ich glaube, unser neuer Junker wird hier, bei Lord Robert, Unterkunft beziehen. Ich bringe ihn zu seinen Gemächern.«

Ich hatte nicht damit gerechnet, so bald schon mir selbst überlassen zu werden, und einen Moment lang fühlte ich mich verloren wie ein verlassenes Kind. Insgeheim hoffte ich, Master Shelton würde darauf bestehen, dass ich ihn zum Rapport bei Lady Dudley begleitete. Stattdessen sagte er nur: »Geh, Junge. Du musst deine Pflicht erfüllen. Ich sehe später nach dem Rechten.« Ohne Cecil eines weiteren Blicks zu würdigen, schritt er zurück zum Tor. Die Hand fest um Cinnabars Zügel geschlossen, folgte ich Cecil.

Unter dem nächsten Durchgang blickte ich noch einmal über die Schulter.

Master Shelton war verschwunden.

Mir blieb keine Zeit, die riesigen Stallungen, bevölkert von zahllosen Pferden und Jagdhunden, zu bewundern. Nachdem ich Cinnabar einem jungen, dunkelhaarigen Knecht mit – was Münzen betraf – äußerst zupackender Hand anvertraut hatte, schulterte ich meine Satteltasche und hastete Cecil hinterher, der mich über einen weiteren Innenhof, durch eine Seitentür und eine Stiege hinauf zu einer Serie von ineinander übergehenden Kammern führte, jede mit gewaltigen Wandbehängen geschmückt.

Dicke Wollteppiche dämpften unsere Schritte. Die Luft roch stark nach Wachs und Moschus. Von den mit Kerzen gespickten Lüstern, die an den Deckenbalken hingen, tropfte stetig Wachs herunter. Die Klänge einer unsichtbaren Laute wehten an unsere Ohren, während Höflinge vorbeihuschten, und die Juwelen an ihrem Damast und Samt glitzerten wie schillernde Schmetterlingsflügel.

Niemand achtete auf mich, doch ich hätte mich nicht einmal dann unbehaglicher fühlen können, wenn jemand mich angehalten und nach meinem Namen gefragt hätte. Ich überlegte, ob ich mich jemals in diesem Labyrinth zurechtfinden, geschweige denn mir den Weg zu und von Lord Roberts Gemächern würde merken können.

»Am Anfang wird man von alldem regelrecht erschlagen«, meinte Cecil, als hätte er meine Gedanken gelesen, »aber Ihr gewöhnt Euch mit der Zeit daran. So ist es uns allen ergangen.«

Ich stieß ein unsicheres Lachen aus. Im Innenhof hatte sein Äußeres einnehmend gewirkt, doch hier, in der endlos langen Galerie, deren Erhabenheit uns alle wie Zwerge erscheinen ließ, ähnelte er auf einmal den Kaufleuten, die regelmäßig zu Dudleys Burg kamen, um dort ihre Waren feilzubieten – kleine Händler, die gelernt hatten, die Wechselfälle des Lebens frohgemut und wachsam zu überdauern, und sich so eine behagliche Nische geschaffen hatten.

»Ihr habt einen bestimmten Gesichtsausdruck«, erklärte Cecil. »Ich empfinde ihn als erfrischend.« Er lächelte. »Er wird nicht lange erhalten bleiben. Die neuen Eindrücke verblassen schnell. Bevor Ihr es Euch verseht, werdet Ihr darüber klagen, wie beengt hier alles ist und dass Ihr für eine Prise frischer Luft alles hergeben würdet.«

Eine Gruppe von lachenden Frauen mit eindrucksvollem Kopfputz und klirrenden Duftkugeln um die Taillen schwebte auf uns zu. Ich gaffte sie mit offenem Mund an. Noch nie hatte ich etwas derart Raffiniertes gesehen. Und als eine von ihnen mich verführerisch anblinzelte, vergaß ich alles, was ich gelernt hatte, und trat dicht heran, so verzaubert war ich von ihrer erlesenen Blässe. Sie lächelte mich an, nur um sich dann abzuwenden, als gäbe es mich gar nicht. Benommen starrte ich ihr nach. Neben mir hörte ich Cecil leise lachen, während wir um die nächste Ecke bogen und in einen menschenleeren Gang traten.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte: »Wie lange lebt Ihr schon hier?« Bereits während ich sprach, befielen mich Zweifel, und ich überlegte, ob er mich nicht vielleicht für zu forsch halten würde. Dann wiederum beschwichtigte ich mich damit, dass ich nie etwas lernen würde, wenn ich keine Fragen stellte. Außerdem war auch er nur ein Bediensteter. Unabhängig davon, dass er einen höheren Rang einnahm als Master Shelton, empfing er seine Befehle von Lady Dudley.

Einmal mehr wurde mir sein rätselhaftes Lächeln zuteil. »Ich lebe nicht hier. Ich habe mein eigenes Haus in der Nähe. Gemächer am Hof sind für diejenigen reserviert, die sie sich leisten können. Wenn Ihr wissen wollt, welche Funktion ich ausübe, dann sage ich Euch, dass ich erster Sekretär Seiner Lordschaft, des Herzogs, und der Ratsversammlung bin. Gewissermaßen speist uns dieselbe Hand.«

»Oh.« Ich bemühte mich um einen lässigen Ton. »Ich verstehe. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten, edler Herr.«

»Wie gesagt, ›Master Cecil‹ genügt vollauf. Hier gibt es auch ohne unser Zutun schon genügend Gespreiztheit.« Ein schalkhaftes Glimmern hellte seine blassen Augen auf. »Und Ihr braucht Euch nicht kleiner zu machen, als Ihr seid. Es geschieht nicht oft, dass ein Höfling die Ehre hat, mit jemandem zu sprechen, der frei von jeder Verstellung ist.«

Ich schwieg, als wir die Treppenflucht hinaufstiegen. Der Korridor, den wir oben erreichten, war schmäler als die Prunkgänge. Statt Wandbehängen und Teppichen gab es hier nackte Mauern und Holzbohlen.

Vor einer von mehreren identisch aussehenden Türen blieb Cecil stehen. »Das sind die Gemächer der Söhne des Herzogs. Ich weiß nicht, welcher von ihnen oder ob überhaupt einer anwesend ist. Von ihnen hat jeder seine Aufgaben. Wie auch immer, ich muss Euch hier zurücklassen.« Er seufzte. »Die Arbeit eines Sekretärs hört leider nie auf.«

»Danke, Master Cecil.« Wegen der Satteltasche, die ich mir aufgeladen hatte, fiel meine Verbeugung weit weniger aufwändig aus, auch wenn ich ihm für seine freundliche Hilfe aufrichtig dankbar war. Ich spürte, dass er sich eigens Umstände gemacht hatte, damit ich mir am Hof weniger verloren vorkam.

»Gern geschehen.« Er zögerte, während er mich nachdenklich musterte. »Prescott …«, murmelte er. »Euer Nachname hat lateinische Wurzeln. Reicht er in Eurer Familie weit zurück?«

Seine Frage traf mich völlig unvorbereitet. Kurz geriet ich in Panik, weil ich nicht wusste, wie oder ob ich überhaupt antworten sollte. Wäre es besser, ihm unverfroren ins Gesicht zu lügen oder darauf zu setzen, dass ich vielleicht einen neuen Freund gefunden hatte?

Ich entschied mich für Letzteres. Irgendetwas an Cecil erweckte mein Vertrauen, aber den Ausschlag gab vor allem die Überlegung, dass er es bereits wusste. Er war darüber im Bilde, dass ich an den Hof gebracht worden war, um Lord Robert zu dienen. Da war die Annahme doch logisch, dass Lady Dudley, wenn nicht sogar der Herzog selbst, ihm auch andere, weniger schmeichelhafte Wahrheiten über mich erzählt hatte. Es war ja nicht so, als wäre ich ihrer Verschwiegenheit wert. Und wenn ich jemanden, der ihr Vertrauen genoss, mit einer groben Unwahrheit abspeiste, konnte das die wenigen Aussichten, die ich hatte, es am Hof zu etwas zu bringen, im Ansatz zunichtemachen.

Ich erwiderte seinen sanften Blick und sagte: »Prescott ist nicht mein wirklicher Name.«

»Oh?« Seine Augenbrauen wanderten nach oben.

Erneut befielen mich Zweifel. Noch hatte ich Zeit, es mir anders zu überlegen. Noch konnte ich ihm eine Erklärung geben, die nicht allzu weit von der Wahrheit abwich. Ich hatte keine Ahnung, warum ich das nicht tat, warum ich das überwältigende Bedürfnis verspürte, die Wahrheit zu sagen. Nie hatte ich einem Menschen wissentlich das Geheimnis meiner Geburt anvertraut. Von dem Tag an, da ich entdeckt hatte, dass mein persönlicher Mangel mich zur Zielscheibe von Sticheleien und grausamen Mutmaßungen machte, hatte ich mir vorgenommen, nur immer das Nötigste über mich preiszugeben. Es bestand kein Anlass, Einzelheiten zu verraten, die keiner hören wollte, oder Spekulationen herauszufordern.

Doch in seinen Augen spürte ich eine stille Nachdenklichkeit, die mir das Gefühl vermittelte, dass er mich verstehen, vielleicht sogar Anteil nehmen würde. Mistress Alice hatte mich oft so angeschaut und ein Verständnis gezeigt, das auch den kompliziertesten Wahrheiten keineswegs auswich. Ich hatte gelernt, diese Eigenschaft zu schätzen.

Ich holte tief Luft. »Ich bin ein Findelkind. Mistress Alice, die Frau, die mich aufgezogen hat, hat mir meinen Namen gegeben. In früheren Zeiten haben oft Kinder mit dem Namen Prescott im Pfarrhaus gelebt. Dort wurde ich auch gefunden – im ehemaligen Pfarrhaus in der Nähe von Dudley Castle.«

»Und Euer Vorname?«, erkundigte er sich. »Geht der auch auf Mistress Alice zurück?«

»Ja. Sie stammte aus Irland. Sie verehrte den heiligen Brendan aus tiefstem Herzen.«

Ein bedrückendes Schweigen trat ein. Die Iren waren in England wegen ihrer Aufsässigkeit verhasst, doch bisher hatte mein Name nie übermäßige Neugier geweckt. Während ich auf Cecils Antwort wartete, befiel mich wieder die Furcht, einen Fehler begangen zu haben. Zwar konnte man den Nachteil, ein uneheliches Kind zu sein, mit viel Fleiß durchaus ausgleichen, doch nur wenigen gelang der Aufstieg. In der Regel war man aufgrund des fehlenden Stammbaums im besten Fall zu einem Leben als namenloser Knecht verdammt, und im schlimmsten zu einem Bettlerdasein.

Schließlich sagte Cecil: »Wenn Ihr von ›Findelkind‹ sprecht, meint Ihr damit wohl, dass Ihr ausgesetzt wurdet?«

»Ja. Ich war höchstens eine Woche alt.« Obwohl ich mir alle Mühe gab, ungerührt zu wirken, hörte ich die nur zu vertraute Anspannung in meiner Stimme, die Last meiner Hilflosigkeit. »Mistress Alice musste in der Stadt eine Amme verpflichten, damit ich gestillt werden konnte. Wie es das Schicksal so wollte, hatte dort gerade eine Frau ihr Kind verloren, sonst hätte ich vielleicht gar nicht überlebt.«

Er nickte. Bevor sich erneut verlegene Stille über uns senken konnte, plapperte ich weiter. »Mistress Alice hat oft gesagt, die Mönche hätten Glück gehabt, dass ich nicht vor ihrer Tür ausgesetzt worden bin. Ich hätte ihnen gewiss die Speisekammer leer gegessen – und was hätten sie dann noch gehabt, um den Sturm zu überstehen, den der alte Henry für sie zusammengebraut hat?«

Ich war schon in Lachen ausgebrochen, als ich meinen Fehler bemerkte. Ich hatte mich zur Religion geäußert, die am Hof wohl nicht gerade ein sicheres Thema war. Fast hätte ich noch hinzugefügt, dass es laut Mistress Alice nur eines gab, was noch größer war als mein Appetit: mein Mundwerk.

Cecil blieb stumm. Schon hielt ich mir vor, dass ich mir jetzt mit meiner Indiskretion Scherereien eingebrockt hatte, als er murmelte: »Wie schrecklich für Euch.«

Die gefühlvollen Worte fanden keine Entsprechung in seinen forschenden Augen, die mich fixierten, als wollte er sich mein Gesicht für immer einprägen. »Diese Mistress Alice … könnte es sein, dass sie wusste, wer Eure Eltern waren? Solche Dinge geschehen normalerweise in der näheren Umgebung. Ein unverheiratetes Mädchen gerät in andere Umstände und schämt sich zu sehr, um sich jemandem anzuvertrauen – das kommt leider viel zu oft vor.«

»Mistress Alice ist tot«, sagte ich tonlos. Manche Wunden waren zu schmerzhaft, als dass ich sie verschweigen konnte. »Sie wurde auf der Straße nach Stratford von Räubern überfallen. Wenn sie irgendetwas über meine Eltern wusste, hat sie das mit ins Grab genommen.«

Cecil senkte die Augen. »Es tut mir leid, das zu hören. Jeder Mensch sollte wissen, woher er kommt.« Unvermittelt beugte er sich näher zu mir. »Ihr dürft Euch davon nicht entmutigen lassen. In unserem neuen England können es selbst Findelkinder weit bringen. Das Schicksal lächelt oft den am wenigsten Begünstigten.«

Er wich zurück. »Es war mir ein Vergnügen, Junker Prescott. Bitte zögert nicht, Euch an mich zu wenden, solltet Ihr irgendetwas benötigen. Ich bin leicht zu finden.«

Einmal mehr schenkte er mir dieses rätselhafte Lächeln, dann drehte er sich um und schritt davon.

3

Ich blickte Master Cecil nach, während er sich entlang der Galerie entfernte, dann holte ich tief Luft und wandte mich zur Tür. Ich klopfte. Keine Antwort. Ich pochte noch einmal und drückte versuchsweise die Klinke. Die Tür ging auf.

Ich trat ein und erkannte, dass die Gemächer – wie Cecil sie bezeichnet hatte – aus einer einfachen Schlafkammer bestanden, die zum größten Teil von einem Bett mit durchhängendem Baldachin ausgefüllt wurde. Zerkratzte Täfelungen schmückten die untere Hälfte der Wände, und das kleine Fenster war mit grünlichen Rauten verglast. Ein brennender Kerzenstumpf schwamm in Öl in einer Schale auf dem Tisch. Strohmatten lagen über den Boden verteilt, großzügig garniert mit ganzen Haufen besudelter Kleidung, dazwischen achtlos hingeworfenes Besteck und benutztes Geschirr. Der Geruch war ekelerregend, eine Mischung aus ranzigen Essensresten und Schmutzwäsche.

Ich ließ meine Satteltasche an der Türschwelle fallen. Manche Dinge änderten sich offenbar nie. Selbst am Hof hausten die jungen Dudleys noch wie im Schweinestall.

Aus dem Bett dröhnte ein Schnarchen. Vorsichtig trat ich näher. Unter meinen Sohlen knirschten Knochen, die sich in den Strohmatten festgetreten hatten. Einer Lache von Erbrochenem ausweichend, zog ich den Vorhang beiseite. Die Ringe klirrten an der Stange. Ich sprang zurück, halb darauf gefasst, die ganze Dudley-Sippe johlend und die Fäuste schwingend über mich herfallen zu sehen, genau wie in meiner Kindheit.

Stattdessen lag nur eine einzige Gestalt mit ausgebreiteten Gliedern auf dem Bett, Hose und Hemd zerknittert, das verfilzte Haar von der gleichen Farbe wie verschmutztes Getreide, dazu die unverkennbare Ausdünstung von billigem Bier. Guilford, das Nesthäkchen der Meute, ganze siebzehn Jahre alt und in trunkener Betäubung niedergestreckt.

Ich kniff in seine über den Bettrand baumelnde Hand. Als dies nur ein weiteres röchelndes Schnarchen hervorrief, rüttelte ich ihn an der Schulter.

Er ruderte mit den Armen und hob sein verquollenes Gesicht, in das sich die Kissenfalten geprägt hatten. »Hol dich der Teufel«, lallte er.

»Euch ebenfalls einen guten Abend, Mylord Guilford«, erwiderte ich. Zur Sicherheit trat ich noch einen Schritt zurück. Obwohl er der jüngste der fünf Dudley-Sprösslinge war, gegen den ich öfter gesiegt als verloren hatte, wollte ich in meiner ersten Stunde am Hof nicht gleich eine Tracht Prügel riskieren.

Er glotzte mich an, während sein benebeltes Hirn mein Gesicht zu identifizieren suchte. Als ihm das gelang, lachte Guilford hämisch. »Ach, der elternlose Bastard. Was machst du denn …« Plötzlich würgte er, beugte sich vor und spie auf den Boden. Stöhnend fiel er aufs Bett zurück. »Ich hasse sie. Das wird sie mir büßen, die elende Hexe.«

»Hat sie Euch das Bier vergällt?«, fragte ich unschuldig.

Er funkelte mich an und hievte sich mühsam aus dem Bett. Groß und kräftig wie alle Dudleys, hätte er mich sicher wie ein wütendes Raubtier angefallen, wäre er nicht so besoffen gewesen. Instinktiv tastete ich nach meinem Dolch. Nicht dass ich es hätte wagen dürfen blankzuziehen. Ein Gemeiner musste mit der Todesstrafe rechnen, wenn er einen Adeligen auch nur mit Worten bedrohte. Doch das Gefühl des abgewetzten Griffs zwischen meinen Fingern wirkte beruhigend.

»Ja, vergällt hat sie es mir.« Guilford schwankte. »Bloß weil sie mit dem König verwandt ist, bildet sie sich ein, sie kann mich von oben herab behandeln. Aber ich werde ihr schon zeigen, wer hier der Herr und Meister ist. Sobald wir verheiratet sind, schlage ich sie grün und blau, diese erbärmliche …«

»Halt dein Drecksmaul, Guilford!«, peitschte eine Stimme durch den Raum.

Guilford erbleichte. Ich fuhr herum.

In der Tür stand kein anderer als mein neuer Dienstherr, Lord Robert Dudley.

Trotz meiner Ängste vor einer Wiederbegegnung nach zehn Jahren musste ich zugeben, dass er einen beeindruckenden Anblick bot. Schon immer hatte ich ihn heimlich beneidet. Während mein Gesicht so unauffällig war, dass man es so schnell vergaß wie einen Landregen, war Robert ein Prachtexemplar von einem Edelmann: die beeindruckende Statur, die breite Brust und die muskulösen Schenkel seines Vaters, die fein gemeißelte Nase seiner Mutter, volles schwarzes Haar und dunkle Augen, die gewiss so manche Jungfer dahinschmelzen ließen. Er besaß alles im Überfluss, was ich nicht hatte, dazu jahrelange Erfahrung am Hof. Seit König Edwards Thronbesteigung war er mit äußerst förderlichen Aufgaben betraut, was zu einem erfolgreichen, wenn auch kurzen Feldzug gegen die Schotten geführt und ihm eine junge, begüterte Dame als Gemahlin und Bettgefährtin eingebracht hatte – oder vielleicht eher ihn ihr.

Ja, Lord Robert hatte alles, was ein Mann sich nur wünschen konnte. Und einer wie ich hatte allen Grund, ihn zu fürchten.

Mit dem Stiefelabsatz trat er die Tür zu. »Sieh dich nur an, vollgesoffen wie ein Pfaffe. Du ekelst mich an. Du hast ja Fusel statt Blut in den Adern!«

»Ich wollte …« Guilford war weiß wie die Wand. »Ich wollte doch nur sagen …«

»Spar’s dir.« Mich behandelte Robert wie Luft. Schließlich aber wandte er den Kopf. Seine Augen verengten sich. »Wie ich sehe, hat der Stallknecht es unversehrt hierhergeschafft.«

Ich verbeugte mich. Offenbar sollte unser Verhältnis genau dort anknüpfen, wo es unterbrochen worden war, sofern ich ihm nicht beweisen konnte, dass ich mehr zu bieten hatte als einen biegsamen Buckel, den er verprügeln konnte.

»Jawohl, Mylord«, antwortete ich in meiner vornehmsten Sprechweise. »Ich fühle mich geehrt, dass ich Euch als Junker dienen darf.«

»Tatsächlich?« Sein Grinsen ließ blendend weiße Zähne aufblitzen. »Das solltest du auch. Obwohl … meine Idee war das nicht. Mutter fand, du solltest allmählich deinen Lebensunterhalt verdienen, auch wenn ich dich viel lieber auf die Straße hinausgejagt hätte, woher du gekommen bist. Aber da du nun schon mal hier bist« – er streckte den Arm aus –, »kannst du auch gleich den Dreck hier beseitigen. Danach kannst du mich zum Bankett ankleiden.« Er hielt inne. »Ach was, beschränk dich aufs Putzen. Es sei denn, du hast in den letzten Jahren beim Stallausmisten in Worcestershire gelernt, einem Gentleman das Wams zu schnüren.« Er lachte laut, wie immer von seinem eigenen Witz begeistert. »Ich kann mich selbst ankleiden. Tu’s ja schon seit Jahren. Geh lieber Guilford zur Hand. Vater erwartet uns in einer Stunde im Thronsaal.«

Ich verbeugte mich, ohne eine Miene zu verziehen. »Mylord.«

Robert prustete. »Was für ein Gentleman aus dir geworden ist! Mit deinen feinen Manieren wirst du bestimmt die eine oder andere Dirne finden, die gewillt ist, deinen fehlenden Stammbaum zu übersehen.« Er wandte sich wieder seinem Bruder zu und stieß ihn mit seinen silbern beringten Fingern an. »Und du halt das Maul und tu, was man dir sagt. Sie ist nichts weiter als ein Eheweib. Nimm sie an die Kandare, reite sie und schick sie auf die Weide, wie ich es mit meiner gemacht habe. Und tu, um Himmels willen, was für deinen Atem!« Robert lächelte mir verkniffen zu. »Bis später dann im Festsaal, Prescott. Bring ihn besser zum Südeingang. Wir wollen doch nicht, dass er unsere erlauchten Gäste vollkotzt.«

Mit einem hämischen Lachen drehte er sich um und schritt hinaus. Guilford streckte ihm hinterrücks die Zunge heraus und übergab sich zu meinem Entsetzen erneut.

Es erforderte meine ganze Geduld, meinen ersten Auftrag in der zugemessenen Zeitspanne auszuführen. Die meisten der herumliegenden Sachen hätten gründlich in Essig eingeweicht gehört, aber da ich keine Wäscherin war, versteckte ich das schmutzige Zeug einfach und machte mich auf die Suche nach Wasser, das ich in einem Kessel am Ende des Ganges fand.

Zurück im Zimmer, hieß ich Guilford, sich seiner Kleider zu entledigen. Das Wasser rann braun von seiner Haut, deren viele feuerrote Einstiche den Schluss nahelegten, dass er sein Bett mit Flöhen und Wanzen teilte. Er stand da und starrte stumpf vor sich hin, nackt und schlotternd, allerdings auch sauberer, als er es seit seiner Ankunft am Hof wohl je gewesen war.

Ich kramte ein halbwegs fleckenloses Hemd, Hose, Wams und Damastärmel aus dem Schrank und hielt sie ihm hin. »Soll ich Mylord beim Anziehen helfen?«

Er riss mir die Sachen aus den Händen. Ich ließ ihn allein mit seinen Kleidern kämpfen und holte meine einzige Ersatzhose, mein neues graues Wollwams und die guten Schuhe aus der Satteltasche.

Unversehens überkam mich dabei die Erinnerung an Mistress Alice, wie sie Tierfett in das Schuhleder rieb. »Damit sie glänzen wie die Sterne«, hatte sie augenzwinkernd gesagt. Sie hatte mir die Schuhe von einem ihrer Ausflüge zum Jahrmarkt von Stratford mitgebracht. Zwei Nummern zu groß waren sie damals gewesen, gerade recht für einen im Wachstum befindlichen Jungen, und ich war stolz darin herumgeschlurft, bis ich sie eines dunklen Morgens nach ihrem Tod anzog und merkte, dass sie passten. Bevor ich Dudley Castle verließ, hatte ich Fett hineingerieben, so wie sie es getan hatte. Ich hatte es aus dem gleichen Topf geschöpft, mit dem gleichen Holzlöffel …

Die Kehle war mir wie zugeschnürt. Als ich noch in der Burg der Dudleys lebte, konnte ich mir einreden, sie sei noch bei mir, eine unsichtbare gute Fee. Morgens in der Küche, die ihr Reich war, nachmittags auf Cinnabar über die Felder reitend oder beim Lesen der vergessenen Dudley-Bücher in der Turmbibliothek – immer hatte es sich so angefühlt, als könnte sie mir jeden Moment auf die Schulter tippen und mich ermahnen, dass es Zeit sei, etwas zu essen.

Aber hier war sie so weit entfernt, als hätte ich die Segel in Richtung Neue Welt gesetzt. Zum ersten Mal im Leben hatte ich hier eine Stellung und die Möglichkeit, mir eine bessere Zukunft zu schaffen, und ich war so nörgelig wie ein Baby bei der Taufe.

Bei der Erinnerung an einen ihrer Lieblingssprüche fasste ich neuen Mut. Sie hatte immer gesagt, ich könnte alles erreichen, was ich mir ernsthaft vornähme. Allein schon um ihres Andenkens willen musste ich mehr tun, als nur zu überleben. Ich musste Erfolg haben. Wer konnte schließlich wissen, was die Zukunft bereithielt? So lächerlich die Vorstellung jetzt noch schien, war es doch nicht undenkbar, dass ich mir eines Tages die Freiheit von der Knechtschaft verdienen konnte. Wie Cecil so richtig bemerkt hatte, konnten im England unserer Tage sogar Findelkinder zu Ruhm und Ehren gelangen.

Schnell schlüpfte ich aus den verschmutzten Kleidern, sorgsam darauf bedacht, Guilford den Rücken zuzukehren, während ich mich mit dem Rest des Wassers wusch und dann umzog. Als ich mich zu ihm umdrehte, fand ich ihn hilflos in sein Wams verstrickt, mit schief sitzendem Hemd, die Hose um die Knie.

Ohne weiterer Anweisung zu bedürfen, trat ich hinzu, um ihm Beistand zu leisten.

4

Obwohl Guilford schon seit über drei Jahren am Hof war, in denen er sich vermutlich nicht nur mit der Befriedigung seiner Gelüste befasst hatte, brachte er es fertig, dass wir uns innerhalb von Sekunden verliefen. Ich malte mir aus, wie man uns Jahrhunderte später entdecken würde, zwei Skelette, meine Hände um seinen Hals geklammert, und nahm es auf mich, jemanden nach dem Weg zu fragen. Dank einer Goldmünze, die ich dem murrenden Guilford abknöpfte, brachte ein Page uns zum Südeingang des Thronsaals, wo die Söhne des Herzogs in ihren Prunkgewändern warteten. Nur der Älteste, Jack, war nicht zugegen.

»Na endlich«, näselte Ambrose Dudley, der Zweitälteste. »Wir dachten schon, Brendan hätte dich ans Bett fesseln müssen, um dich anzuziehen.«

Guilford grinste verächtlich. »Das soll er mal versuchen.«

Die Brüder lachten. Mir fiel auf, dass Roberts Lachen nicht seine Augen erreichte. Sie schweiften unruhig durch den Saal, als erwartete er jemand Bestimmten.

Henry Dudley, der jüngste, am wenigsten wohlgestaltete und daher der hinterhältigste der Brüder, schlug mir auf die Schulter, als wären wir die besten Freunde. Nicht ohne Genugtuung sah ich, dass ich jetzt einen Kopf größer war als er.

»Und wie ist das werte Befinden, Waisenknabe?«, frotzelte er. »Du siehst aus, als wärst du keinen Zoll gewachsen.«

»Nicht, soweit Ihr sehen könnt«, entgegnete ich mit einem gezwungenen Lächeln. Es hätte alles noch schlimmer kommen können. Ich hätte auch Henry Dudley unterstellt werden können, der als Junge gern Katzen ertränkt hatte, um sie jaulen zu hören.

»Nein«, fauchte Henry, »aber selbst ein Hund kann erkennen, wer seine Mutter ist. Kannst du es?«

Er beäugte mich streitsüchtig. Seine Attacken waren schon immer von Hass erfüllt gewesen, doch heute sagte er nichts, was ich nicht schon oft zu hören bekommen oder sogar selbst in nächtlicher Einsamkeit bedacht hatte. Ich ließ mich nicht von ihm provozieren.

»Wenn sich die Möglichkeit dazu böte, hoffe ich sehr, dass ich es könnte.«

»Zweifellos«, schnaubte Guilford. »Ich würde dasselbe sagen, wenn ich an deiner Stelle wäre. Gott sei Dank bin ich es nicht.«

Robert funkelte seine Brüder an, als sie erneut in schallendes Gelächter ausbrachen. »Herrgott, ihr klingt wie ein Haufen Waschweiber! Wen interessiert denn der Bursche? Kümmert euch lieber um eure Angelegenheiten. Seht nur, die Herren vom Kronrat scharen sich dort hinten um das Podest wie ein Krähenschwarm.«

Ich folgte seinem Blick zu einer Gruppe düster dreinblickender Männer, die so dicht beieinanderstanden, dass ihre schwarzen Roben wie ein einziger Tintenfleck zusammenflossen. Sie hatten sich tatsächlich um ein Podest versammelt, das mit Goldbrokat behängt war. Mitten darauf prangte ein breiter, mit Samt bezogener Thron, darüber ein Baldachin mit eingestickter Tudor-Rose. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich heute Abend vielleicht den König höchstpersönlich sehen würde, und ich spürte ein aufgeregtes Kribbeln, während ich mir den Saal näher ansah.

Er war hell erleuchtet. Seine bunt bemalte Decke stand in völligem Kontrast zu einem schwarz-weißen Fliesenboden, über den die Edelleute wie über ein riesiges Schachbrett schritten. Auf der Galerie griffen die Hofmusiker in die Saiten, während die Höflinge zu den langen, mit erlesenen Speisen und Karaffen beladenen Tischen strebten oder sich in kleinen Gruppen versammelten, um zu tuscheln, sich eitel in die Brust zu werfen oder zu gaffen.

Wenn Intrige einen Geruch hätte, würde Whitehall zum Himmel stinken.

Hinter uns hörte ich Schritte. Ich drehte mich um und gewahrte eben noch eine hohe Gestalt in eisengrauem Damast, bevor ich mich so tief verbeugte, wie ich nur konnte.

John Dudley, Herzog von Northumberland, sagte mit ruhiger Stimme: »Ich sehe, ihr seid alle da. Gut. Ambrose, Henry, geht und steht dem Kronrat zur Seite. Die Herren bedürfen offenbar einer Erfrischung. Robert, ich habe gerade gehört, dass jemand mit Autorität in einer dringenden Angelegenheit im Tower benötigt wird. Bitte geh, und kümmere dich darum.«

Selbst mit gebeugtem Kopf vernahm ich die Ungläubigkeit in Roberts Stimme. »Im Tower? Ich war doch erst heute Nachmittag dort, und alles schien in bester Ordnung. Da muss ein Irrtum vorliegen. Darf ich den Herrn Vater bitten, mich später darum kümmern zu dürfen?«

»Leider nein«, erwiderte der Herzog. »Wie gesagt, die Sache ist dringend. Wir haben heute eine frühe Sperrstunde verhängt, und es darf nichts passieren, was die Bevölkerung in Aufruhr versetzt.«

Die Wut, die von Robert ausging, war fast körperlich zu spüren. »Mylord«, knurrte er mit einer knappen Verbeugung und stelzte davon.

Der Herzog wandte sich an den letzten Sohn, der noch übrig war. »Guilford, finde einen Stuhl am Kamin, und bleib dort. Wenn Ihre Hoheiten von Suffolk eintreffen, betreue sie deinem Rang gemäß. Und sieh bitte zu, dass du dich heute bei deinem Weinkonsum ein wenig zurückhältst.«

Missmutig schlurfte Guilford aus dem Saal. Mit einem nachdenklichen Seufzer richtete der Herzog seine gleichgültigen schwarzen Augen auf mich. »Junker Prescott, erhebt Euch. Es ist lange her, seit ich Euch zuletzt gesehen habe. Wie war die Reise?«

Ich musste den Hals recken, um Northumberlands Blick zu begegnen. Nur selten hatte ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, da sein Dienst beim König ihn die meiste Zeit am Hof zurückhielt, und wie jedes Mal war ich von seiner Erscheinung beeindruckt. John Dudley hatte sich seine schlanke Gestalt dank lebenslanger Disziplin erhalten, und seine Größe wurde von dem maßgeschneiderten, knielangen Brokatmantel noch betont. Eine dicke Goldkette um seine Brust bezeugte seinen Reichtum und Erfolg. Niemand konnte übersehen, dass er in diesem Mann einen Mächtigen vor sich hatte; nur wenige bemerkten wohl darüber hinaus die Anzeichen von Schlaflosigkeit in den tiefliegenden Augen oder die Sorgenfalten um den Mund, den ein gestutzter Spitzbart umrahmte.

Eingedenk Master Sheltons Worten über den Preis der Macht antwortete ich vorsichtig: »Die Reise war ereignislos, Mylord. Ich danke für die Gelegenheit, zu Diensten sein zu dürfen.«

Northumberland blickte zerstreut in den Thronsaal, als registrierte er kaum, was ich vorbrachte. »Mir braucht Ihr nicht zu danken. Ich habe Euch nicht an den Hof geholt. Das war der Wunsch meiner Frau Gemahlin, obwohl ich finde, dass Robert den Luxus eines eigenen Junkers gar nicht verdient.« Seufzend wandte er sich wieder mir zu. »Wie alt seid Ihr jetzt?«

»Ich glaube, zwanzig, Mylord. Oder vielmehr: Es ist zwanzig Jahre her, dass ich bei Euch aufgenommen wurde.«

»Tatsächlich.« Das eiskalte Lächeln vermochte seine Lippen kaum zu lösen. »Vielleicht erklärt das die Hartnäckigkeit meiner Gemahlin. Ihr seid jetzt ein Mann und solltet Euch in unseren Diensten bewähren dürfen.« Er wedelte mit der Hand. »Geht jetzt. Steht meinem Sohn treu bei und tut, was er befiehlt. Dies sind gefährliche Zeiten. Wer seine Loyalität beweist, wird nicht unbelohnt bleiben.«

Wieder verbeugte ich mich tief und hörte den Herzog vor sich hin murmeln: »Doch wer uns verrät, den werden wir ebenso wenig vergessen.« Er wandte sich ab und betrat den Saal, wo das Stimmengewirr augenblicklich verstummte.

Von seinen Worten verwirrt, bewegte ich mich in die Richtung, die Robert eingeschlagen hatte. Auch Master Shelton hatte gesagt, die Dudleys würden meine Loyalität belohnen. Damals hatte ich gedacht, er meinte, sie würden mich irgendwann als Sheltons Nachfolger akzeptieren. Jetzt wurde ich das Gefühl nicht mehr los, in ein Schlangennest gefallen zu sein, wo jeder falsche Schritt ins Verderben führen konnte. Je länger ich das bedachte, desto eindringlicher regten sich in mir Zweifel an den Gründen, die man mir für meine Berufung genannt hatte. Waren sie am Ende nur vorgeschoben worden? Anders als ihr Gemahl, der Herzog, war Lady Dudley stets Teil meiner Kindheit gewesen – eine hochmütige Frau, die es unbedingt zu meiden galt. Sie hatte mich immer mit Verachtung behandelt, sofern sie mich überhaupt zur Kenntnis nahm. Nie schritt sie ein, wenn ihre Söhne mich quälten; und ich hatte den Eindruck, dass sie mich nur deshalb von Mistress Alice versorgen ließ, damit man ihr nicht nachsagte, sie habe ein Findelkind auf ihrem Grund und Boden verhungern lassen. Aber warum wollte sie mich jetzt auf einmal als Diener ihres Sohnes am Hof haben, just in einer Zeit, die ihre Familie vor solch große Herausforderungen stellte?

So vertieft war ich in meine Grübelei, dass ich gar nicht auf meine Umgebung achtete. Mitten in einem Korridor schoss plötzlich ein Arm auf mich zu und packte mich in einem Würgegriff. Ich wurde in ein stinkendes Kabuff gezerrt. Das kotbespritzte Loch im Boden und der ekelerregende Gestank ließen keinen Zweifel am Zweck des Raumes. Als ich gegen die Wand taumelte, streckte ich die Hand aus, um meine Kleider nicht zu besudeln, und fasste mit der anderen nach dem Dolch, den ich unter dem Wams trug.

»Ich könnte dir mit meinem Schwert die Hand abschlagen, bevor du deine mickrige Klinge ziehst.«

Ich drehte mich um. Ein Schatten trat vor. Lord Robert wirkte übermächtig in der engen Kammer. »Nun?«, schnarrte er. »Was hat mein Vater zu dir gesagt?«

Ich bemühte mich, mit ruhiger Stimme zu antworten. »Er sagte, ich solle Euch beistehen und tun, was Ihr sagt.«

Er trat noch einen Schritt näher. »Und?«

»Das ist alles.«

Robert trat so dicht heran, dass mir sein edler Moschusduft in die Nase stieg. »Du sagst mir besser die Wahrheit. Wenn nicht, dann bete, dass ich es nicht herausfinde.« Er blickte mich forschend an. »Elizabeth hat er nicht erwähnt?«

»Nein«, entgegnete ich schnell, noch ehe mir bewusst wurde, von wem er sprach.

Er schnaubte. »Ich weiß nicht, warum Mutter sich überhaupt mit dir abgibt, einem unbedarften Dorftrottel, der mir hier die Stiefel putzen soll.« Er wandte sich ab. Ich hörte, wie ein Feuerstein geschlagen wurde. Kurz danach flammte ein Wachslicht in seiner Hand auf. Er stellte es auf dem Boden ab. »Eines gestehe ich dir zu: Du hast noch nicht gelernt zu lügen.« Er musterte mich über die flackernde Flamme hinweg, die groteske Schatten über sein Gesicht tanzen ließ. »Mein Vater hat also nicht über sie gesprochen?«

Ich entsann mich dessen, was ich gehört hatte, als wir in London einritten. Als ob eine Alarmglocke in meinem Kopf läutete, beschloss ich, mich unwissend zu stellen. »Hätte er es getan, würde ich es Euch sagen.«

Er lachte. »Du bist mir vielleicht ein Leisetreter! Ich hatte ganz vergessen, wie geschickt du dich immer im Hintergrund gehalten hast, nie etwas gehört oder gesehen hast, was dich nichts anging. Jetzt verstehe ich, wieso Mutter dich hier haben wollte. Du bist wirklich ein Niemand.«

Sein dröhnendes Lachen verstummte so abrupt, wie es ausgebrochen war. »Ja, ja«, murmelte er vor sich hin. »Junker Niemand. Perfekt.«

Ich rührte mich nicht. Der bösartige, lauernde Ausdruck, der über sein Gesicht kroch, war mir nicht geheuer. Er wiegte sich auf den Absätzen. »Also, Junker Niemand, was würdest du sagen, wenn ich dich heute Abend mit einem Auftrag betraute, der dir ein Vermögen einbringen könnte?«

Die dicke Luft im Raum legte sich mir wie eine Schlinge um den Hals.

»Na?« Mit einem Grinsen ließ Robert makellose weiße Zähne aufblitzen. »Hast du nichts dazu zu sagen? Komisch – ein flinkes Wiesel wie du. Ich biete dir die Gelegenheit deines Lebens, die Chance, dir einen Ausweg aus der Knechtschaft zu verdienen und dein eigener Herr zu werden. Das ist doch dein Traum, oder? Du willst doch nicht ewig ein Niemand bleiben! Du doch nicht, du gerissenes kleines Findelkind! Stimmt’s? Lesen und schreiben kannst du ja schon, nachdem dir Shelton diesen alten Mönch zum Lehrer gegeben hat. Bestimmt hat er dir sogar Latein beigebracht, neben so allerlei mönchischen Schweinereien. Na, habe ich recht?«

Ich hob die Augen und nickte.

Sein Lächeln bekam einen grausamen Zug. »Dachte ich’s mir doch. Ich wusste schon immer, dass du nicht so dumm bist, wie du dich stellst.« Seine Stimme wurde leiser, nahm einen Unheil verkündenden, vertraulichen Klang an. »Und ich weiß, dass unsere stolze Bess heute Abend hier sein wird, obwohl mein Vater vorgibt, nichts davon zu wissen.«

Unversehens begann mir das Herz heftig zu klopfen. Es stimmte also. Elizabeth Tudor war hier, in London. Ich hatte ihre Ankunft miterlebt.

Roberts Miene verdüsterte sich. Seine Stimme bekam eine zornige Färbung, als wäre ich tatsächlich zu einem Nichts verblasst, einem unsichtbaren Wesen, vor dem er seine Worte nicht abwägen musste. »Mein Vater hat mir versprochen, dass ich nicht unberücksichtigt bleibe, wenn die Zeit reif ist. Er hat gesagt, niemand sei der höchsten Ehren würdiger als ich. Aber jetzt scheint er mir Guilford vorzuziehen, und ich soll stattdessen die Dreckarbeit für ihn verrichten. Bei Gott, ich habe alles getan, was er verlangt hat. Sogar dieses fade Schaf Amy Robsart habe ich geheiratet, weil er das für das Beste hielt. Was kann er denn noch von mir fordern? Wann werde ich endlich bekommen, was ich verdiene?«

Nie hatte ich einen der Dudley-Söhne etwas anderes als vollkommene Übereinstimmung mit den Wünschen ihres Vaters ausdrücken hören. So geziemte es sich für den Adel: Väter setzten ihre Söhne auf einflussreiche Posten, damit sie der Familie von Nutzen sein konnten. Dudleys Söhne besaßen keinen anderen Willen als den seinen; dafür würden sie dereinst seine Reichtümer ernten. Aus meiner Sicht hatte Robert keinen Grund zur Klage. Er hatte in seinem Leben niemals Hunger oder Mangel gelitten, und so würde es vermutlich auch bleiben. Ich hatte keinen Grund, ihn zu bemitleiden, doch ich sah, dass Robert Dudley wie so viele Söhne, die sich hilflos fühlen, gegen die väterliche Kandare aufzubegehren begann.

»Genug!« Er schlug sich mit der Faust in die Handfläche. »Es wird Zeit, dass ich zeige, was in mir steckt. Und du, du Wurm, wirst mir dabei helfen.« Er beugte sich zu mir vor. »Oder willst du lieber für den Rest deines armseligen Lebens die Ställe ausmisten?«

Ich zögerte. Ich wusste, ich hätte die Ställe vorziehen sollen, wo das Leben wenigstens vorhersehbar war, doch ich hielt Roberts Blick stand und sagte: »Vielleicht könntet Ihr mir erklären, was Ihr von mir erwartet, Mylord.«

Er wirkte verdutzt. Nervös blickte er über die Schulter und biss sich auf die Unterlippe, als wären ihm plötzlich Zweifel gekommen. Dann drohte er: »Wenn du mich in irgendeiner Weise betrügst, das schwöre ich dir, wird es in ganz England keinen Ort geben, wo du dich verstecken kannst. Verstehst du mich? Ich werde dich finden, Prescott. Und ich werde dich mit meinen bloßen Händen umbringen.«

Ich reagierte nicht. Dass er mich einschüchtern würde, war ja zu erwarten gewesen. Ich sollte ihn genug fürchten, um ihn nicht zu hintergehen. Das machte mich freilich nur noch neugieriger. Was konnte er so dringend wollen?

»Na gut«, sagte er gedehnt. »Vor allem musst du wissen, dass sie einen gern dann überrascht, wenn man es am wenigsten erwartet. Ich kenne sie, seit sie ein kleines Mädchen war, und ich sage dir, nichts gefällt ihr besser, als alle zu verblüffen. Sie ergötzt sich an Konfusion.«

Der vorsichtige Unterton, der sich in seine Stimme geschlichen hatte, ließ darauf schließen, dass es um mehr ging als nur das Aufbegehren eines Sohnes gegen seinen Vater.

»Zum Beispiel ihre Ankunft heute«, fuhr er fort. »Sie stiehlt sich ohne Vorwarnung in die Stadt, und erst, als sie ihre Residenz erreicht hat, lässt sie anfragen, wann sie ihren Bruder besuchen darf, so wie es ihre Schwester, Lady Mary, vor ein paar Monaten getan hat.« Er lachte auf. »Wenn das nicht pure Berechnung ist! Gott behüte, dass sie sich unserer Gnade anvertraute oder sich von ihrer papistischen Schwester überflügeln ließe! Und sie weiß, dass wir es nicht wagen würden, ihr diesen Wunsch abzuschlagen, denn die ganze Stadt schwirrt schon vor Gerüchten über ihre Ankunft, genau, wie sie es geplant hat. Sie will uns zeigen, dass kein Dudley mächtiger ist als sie.«

Er tat gerade so, als wäre das alles ein ausgeklügeltes Spiel, obwohl doch klar war, dass Elizabeth nach London gekommen sein musste, weil sie Gerüchte vom bevorstehenden Tod ihres Bruders gehört hatte. Wieder drängte ich das ungute Gefühl zurück, dass ich alles tun sollte, um diesem Auftrag zu entgehen. Wozu mich in Teufels Küche begeben? Wozu riskieren, dass ich einmal mehr zu Lord Roberts Opfer wurde? So verheißungsvoll sie auch war, die Befreiung aus der Knechtschaft schien momentan nur eine sehr entfernte Möglichkeit zu sein.

Ich holte tief Luft. »Warum sollte sie mich überhaupt anhören? Wir sind uns nie begegnet.«

»Sie wird dich anhören, weil ich ihr Freund bin, an dem zu zweifeln sie noch nie Grund hatte. Sie weiß, dass ich nicht wie mein Vater bin. Ich werde kein falsches Spiel mit ihr treiben.« Er angelte einen Ring unter dem Handschuh hervor und warf ihn mir zu. »Gib ihr den. Sie wird schon verstehen. Aber geh diskret vor. Ihre wichtigtuerische Gouvernante, diese Mistress Ashley, darf nichts davon erfahren. Sag ihr, ich sei aufgehalten worden, würde mich aber bald bei ihr einfinden – auf dem üblichen Weg.« Wieder baute er sich bedrohlich vor mir auf. »Und lass sie ja nicht aus den Augen, nicht einmal, wenn sie dich fortschickt! Ich will einen exakten Bericht über alles, was sie tut – von dem Augenblick, in dem sie den Palast betritt, bis zu dem Augenblick, in dem sie ihn verlässt.« Er nestelte eine Geldbörse vom Gürtel und ließ sie neben die Wachskerze fallen, die auf dem Boden schmolz. »Davon gibt es noch mehr, wenn du Erfolg hast. Wer weiß? Du könntest ein reicher Mann werden, Prescott. Die Zugbrücke liegt direkt vor dir. Wenn du getan hast, was ich dir aufgetragen habe, darfst du dich amüsieren gehen. Elizabeth zieht sich immer früh zurück. Such dir eine Dirne, sauf, friss, bis du kotzt. Nur verrate keinem ein Sterbenswörtchen, und finde dich morgen auf den Glockenschlag um neun bei mir ein.«

Er stieß die Tür auf. Als seine Schritte verhallten, griff ich mir die Börse und stürzte hinaus. Im Korridor schnappte ich nach Luft, während ich mit bebenden Fingern die Börse aufknöpfte. Sie enthielt mehr Geld, als ich mir je hätte vorstellen können. Noch ein wenig mehr davon, und ich konnte mir, wenn nötig, den Weg in die Neue Welt erkaufen.

Alles, was ich tun musste, war, Lord Roberts Ring abzuliefern.

5

Ich wanderte durch eine Reihe von Korridoren, bis ich plötzlich aus dem Palast in die Nacht hinaustrat.

Die Fackeln in den Mauernischen von Whitehall ließen die Butzenscheiben der Erkerfenster wie Katzenaugen schimmern. Ein fast voller Mond schwamm am Himmel und badete den kunstvoll angelegten Garten vor mir in fahlem Licht. Trauerweiden neigten sich über duftende Kräuterbeete, und hüfthohe Buchsbaumhecken säumten den Pfad zu den moosbewachsenen Stufen des Anlegestegs. Drei Wächter, alle in wollene Umhänge gewickelt, standen an einer Feuerstelle, die einen rötlichen Widerschein auf den Fluss warf.

Sonst war niemand zu sehen.

Das Plätschern der Uferwellen war das einzige Geräusch. Ich hätte die unerwartete Ruhe der lauen Nacht genießen können, wäre ich nicht hinsichtlich meines weiteren Vorgehens so ratlos gewesen. Zum einen hatte ich keine Ahnung, wann die Prinzessin eintreffen würde, und wenn sie kam, konnte ich doch nicht einfach auf sie zutreten und den Wunsch äußern, sie zu sprechen. Kein Wächter, der seinen Sold wert war, würde einen Fremden durchlassen, der sich nicht ausweisen konnte – außer mit dem Wappen auf meinem Ärmel, das ich ja auch gestohlen haben konnte, und dem Ring, den ich nicht vorzeigen durfte.

Die Gelegenheit würde sich also von selbst ergeben müssen. Ich wartete im Schatten des Palasts, horchte gespannt auf das Wellengeplätscher. Als ich das rhythmische Klatschen von Rudern vernahm, machte ich mich bereit, aus meiner Deckung zu huschen.

Ein von einem Baldachin überdachtes Boot glitt in Sichtweite.

Die Wächter stellten sich in einer Reihe auf. Aus dem Garten tauchte eine schlanke Gestalt auf. Ich zuckte zusammen, als ich Master Cecil erkannte. Ein ganz in Schwarz gewandeter Mann gesellte sich zu ihm. Kribbelnd stellten sich mir die Nackenhaare auf. Wie viele unsichtbare Schattengestalten mochten da denn noch lauern?

Das Boot legte an. In den Schatten der Hecke geduckt, schlich ich näher. Obwohl meine Schritte furchtbar laut auf dem Kies des Weges knirschten, erreichte ich ungehindert das Flussufer.

Drei Gestalten in langen Umhängen stiegen aus dem Boot und erklommen die Stufen zum Steg. Sie selbst trat als Erste hervor, mit einem schlanken, silberfarbenen Hund an der Leine. Als ihre schmale Hand die Kapuze zurückschlug, erspähte ich feuerfarbene Flechten in einem filigranen Silbernetz, die ein kantiges Gesicht umrahmten.

Cecil und der Fremde in Schwarz verbeugten sich. Ich schlich mich näher heran, duckte mich noch tiefer in den Schatten der Hecke. Sie waren nur einen Steinwurf entfernt, und die nächtliche Stille verstärkte ihre Stimmen. Zunächst hörte ich die von Cecil. Sie hatte einen dringlichen Unterton.

»Eure Hoheit, ich muss Euch bitten, Euren Entschluss zu überdenken. Der Hof ist für Euch gegenwärtig nicht sicher.«

»Ganz meine Meinung«, mischte sich eine zweite Stimme wichtigtuerisch ein. Sie gehörte der kleineren Gestalt an der Seite der Prinzessin, einer korpulenten Person, die reichlich dreist klang. Das war wohl diese Mistress Ashley, die Robert erwähnt hatte. Die etwas größere Begleiterin hinter Elizabeth schwieg, eingehüllt in ihren goldbraunen Samtumhang.

»Noch keine Stunde ist es her, da habe ich Ihrer Hoheit genau das gesagt!«, ereiferte sich die Gouvernante. »Aber hat sie etwa auf mich gehört? Natürlich nicht! Wer bin ich denn schon? Doch nur die Frau, die sie aufgezogen hat.«

»Ash Kat«, ließ sich die Prinzessin in gereiztem Ton vernehmen, »sprich nicht von mir, als ob ich nicht da wäre.« Sie blitzte die Gouvernante ärgerlich an, die ihrem Blick erstaunlich selbstbewusst standhielt. Elizabeth wandte sich Cecil zu. »Wie ich Mistress Ashley schon habe wissen lassen, sorgt Ihr beide Euch zu sehr. Der Hof war noch nie sicher für mich, und doch bin ich immer noch lebendig genug, um durch seine Hallen zu wandeln, nicht wahr?«

»Aber natürlich«, entgegnete Cecil. »Niemand bezweifelt Eure Fähigkeit zu überleben, Mylady. Ich wünschte nur, Ihr hättet mich um Rat gefragt, bevor Ihr Hatfield verließt. Indem Ihr einfach so nach London kommt, könntet Ihr den Unmut des Herzogs erregen.«

»Wüsste nicht, warum«, erwiderte sie barsch. »Ich habe genauso das Recht, meinen Bruder zu sehen, wie meine Schwester Mary, und sie hat er wohlwollend genug empfangen.« Sie raffte ihren Umhang. »So, wenn es weiter nichts gibt, möchte ich jetzt endlich in den Thronsaal. Edward wird mich schon erwarten.«

Wieder musste ich mich hinter die Hecke ducken, um ihnen nachzuschleichen, voller Angst, mich durch das Knacken eines trockenen Zweigs zu verraten, aber zum Glück verursachten meine weichen Ledersohlen keine Geräusche auf dem Rasen. Mir war nur zu bewusst, dass ich gerade einer Unterhaltung gelauscht hatte, die nicht für meine Ohren bestimmt war, während mir die Botschaft, mit der ich betraut war, mehr und mehr wie eine Finte vorkam. Mochte Robert auch beteuern, er würde die Prinzessin nie betrügen, dem Herzog jedenfalls schien Cecil alles zuzutrauen. Was, wenn ich mit der Übergabe der Botschaft und des Rings meines Herrn mehr Unheil anrichtete, als ich mir vorstellen konnte?

»Eure Hoheit, bitte.« Cecil stolperte ihr atemlos hinterher, denn trotz ihrer Zierlichkeit schritt sie kraftvoll aus. »Ich beschwöre Euch, bedenkt doch, welcher Gefahr Ihr Euch aussetzt. Hättet Ihr denn sonst das Angebot ausgeschlagen, hier im Palast zu wohnen?«

Also hatte Robert recht gehabt! Der Herzog wusste, dass sie kommen wollte. Er hatte ihr sogar Logis angeboten. Warum nur machte er seinem eigenen Sohn etwas vor?

Elizabeth blieb stehen. »Nicht, dass ich Euch eine Erklärung schulde, aber ich habe ›das Angebot ausgeschlagen‹, wie Ihr es zu formulieren beliebt, weil sich schon zu viele Leute am Hof befinden und ich es mir bei meiner zarten Gesundheit nicht leisten kann, mich mit irgendeiner Krankheit anzustecken.« Sie hob abwehrend die Hand. »Und ich werde mich nicht umstimmen lassen. Ich habe lange genug gewartet. Ich will heute Abend meinen Bruder sehen. Keiner, nicht einmal der Herzog von Northumberland, kann mir das verwehren.«

Cecils widerstrebendes Kopfnicken zeigte, dass er sich geschlagen gab. »Lasst Euch doch wenigstens von Master Walsingham begleiten. Er ist gut geschult und wird Euch zu schützen wissen, falls …«

»Ich denke nicht daran! Ich brauche keinen Walsingham und auch sonst niemanden. Bin ich denn nicht die Schwester des Königs? Was habe ich von seiner Hofgesellschaft zu befürchten?« Ohne auf Antwort zu warten, setzte sie ihren Weg zum Palast fort, den Hund in vollkommenem Gleichschritt an ihrer Seite. Doch plötzlich blieb er stehen, wandte den Kopf zur Hecke und knurrte. Ich erstarrte; er hatte mich gewittert. Sie zog an der Leine. Der Hund rührte sich nicht, knurrte nur noch drohender.

»Wer da?«, hörte ich sie fragen und wusste, dass ich nun keine Wahl mehr hatte.

Unter dem wilden Gebell des Hundes schlüpfte ich durch eine Lücke in der Hecke, riss mir die Mütze vom Kopf und sank auf die Knie. Das Mondlicht schien mir hell ins Gesicht. Elizabeth starrte mich reglos an, während der Hund mit gebleckten Zähnen geiferte. Cecil schnippte mit den Fingern. Die Wärter stürzten sich auf mich und zogen blank. Innerhalb einer Sekunde war ich von Klingen umgeben. Wenn ich auch nur einen Finger rührte, würden sie mich aufspießen.

Der Hund zerrte aus Leibeskräften an der Leine. »Ruhig, Urian.« Seine Herrin tätschelte ihm den schmalen Kopf. »Sei still.« Der Hund ließ sich gehorsam auf die Hinterhand nieder, während seine grünlichen Augen mich unentwegt fixierten.

»Ich glaube, ich kenne diesen Jüngling, Eure Hoheit«, sagte Cecil. »Ich versichere Euch, er ist harmlos.«

Sie hob eine ihrer dünnen, rotgoldenen Brauen. »Zweifellos, zumal er offenbar glaubt, sich ausgerechnet in einer Hecke vor uns verbergen zu können. Wer ist er?«

»Robert Dudleys Junker.«

Ich sah gerade rechtzeitig auf, um den Blick aufzufangen, den Cecil in meine Richtung warf. Ich konnte nicht erkennen, ob er amüsiert war oder verärgert.

Die Prinzessin winkte die Wärter beiseite. Ich verharrte auf einem Knie.

Es gibt Momente, die über unsere ganze Existenz entscheiden, Momente, die zu Angelpunkten unseres Lebens werden, wenn wir sie denn als solche erkennen. Wie Perlen an einer Schnur werden sich solche Momente mit der Zeit zur Essenz unseres Daseins aneinanderreihen und uns Trost spenden, wenn unser Ende naht.

Für mich war die Begegnung mit Elizabeth Tudor einer dieser Momente.

Das Erste, was mir auffiel: Schön war sie nicht. Ihr Kinn war zu spitz für das Oval ihres Gesichts, ihre lange, schmale Nase hob die hohen Wangenknochen und die stolze Stirn hervor. Ihr Mund war ein wenig zu breit und die Lippen zu dünn, als fände sie Vergnügen daran, Geheimnisse zu bewahren. Und sie war zu blass und ätherisch, wie ein Fabelwesen von ungewissem Geschlecht.

Dann begegnete ich ihrem Blick. Ihre Augen waren unergründlich; übergroße Pupillen verschlangen fast die goldene Iris wie verdunkelte Zwillingssonnen. Augen wie die ihren hatte ich vor Jahren einmal gesehen, als ein Wanderzirkus uns auf Dudley Castle unterhielt. Auch damals war ich fasziniert gewesen von ihrer schwelenden Kraft.

Sie hatte die Augen einer Löwin.

»Lord Roberts Junker?«, murmelte sie, an Cecil gewandt. »Wie kann das sein? Ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Ich bin neu am Hof, Eure Hoheit«, antwortete ich. »Euer Hund ist aus dem Ausland, nicht wahr?«

Sie blitzte mich an; sie hatte mir nicht erlaubt zu sprechen. »Er ist aus Italien. Ihr kennt die Rasse?«

»Während meiner Zeit in den Stallungen der Dudleys hatte ich Gelegenheit, so manches zu lernen.«

»Ach ja?« Sie legte den Kopf schräg. »Streckt einmal die Hand aus.«

Zögernd tat ich, wie mir geheißen. Sie ließ die Leine locker. Der Hund beschnupperte meine Hand, und ich wäre fast zurückgezuckt, als ich seinen Atem auf meiner Haut spürte. Er schnüffelte. Im nächsten Moment leckte er mir zu meiner Erleichterung die Finger und zog sich zurück.

»Ihr versteht etwas von Tieren«, sagte Elizabeth. »Urian fasst selten Vertrauen zu Fremden.« Sie bedeutete mir, mich zu erheben. »Wie heißt Ihr?«

»Brendan Prescott, Eure Hoheit.«

»Ihr seid ein kühner Bursche, Brendan Prescott. Sagt, was ist Euer Begehr?«

Ich merkte plötzlich, dass ich zitterte, und platzte überstürzt heraus: »Mylord lässt Euch sein Bedauern ausrichten, dass er nicht hier sein konnte, um Eure Hoheit zu empfangen. Er wurde in einer dringenden Angelegenheit abberufen.«

Weiter wagte ich nicht zu gehen. Ich hatte versprochen, den Ring diskret zu übergeben, und hatte das Gefühl, dass sie es nicht schätzen würde, ihre Beziehung zu Robert Dudley an die Öffentlichkeit gebracht zu sehen. Der Blick, mit dem sie mich in Schach hielt, war von einer Intensität, die an ihren verstorbenen Vater erinnerte – dessen Augen, wie es hieß, so durchdringend waren, dass sie einem Menschen bis ins Herz sehen und erkennen konnten, ob es treu war oder nicht.

Sie legte den Kopf in den Nacken und lachte auf. »In einer dringenden Angelegenheit, sagt Ihr? Das bezweifle ich nicht. Lord Robert hat einen Vater, dem er Gehorsam schuldet, nicht wahr?«

Ich spürte, wie mein devotes Grinsen verrutschte. »Ja, das tut er wohl.«

»Nun, und ich weiß, wie fordernd Väter sein können.« Noch immer lächelnd, reichte sie Urians Leine an Cecil weiter und winkte. »Begleitet mich ein Stück, Junker. Ihr habt mir heute Abend Grund zur Heiterkeit gegeben, und das ist eine Fähigkeit, die ich überaus schätze.« Sie warf einen vielsagenden Blick auf ihre Gefolgschaft. »Zumal ich in letzter Zeit so wenig davon um mich habe.«

Ein Glücksgefühl durchströmte mich von Kopf bis Fuß. Master Shelton hatte mich gewarnt, dass es mit ihr nichts als Ärger gab.

Doch in diesem Moment war mir das gleichgültig.

Ich begleitete sie in den Palast, sorgsam darauf bedacht, ihr den Vortritt zu lassen. Bei der ersten Gelegenheit drängte Mistress Ashley sich an mir vorbei und flüsterte der Prinzessin etwas zu. »Nein«, hörte ich Elizabeth antworten, »ich habe ihn heute Abend zu meinem Begleiter erwählt, also bleibt es dabei.«

Mistress Ashley schnaubte. »Ich verbiete es. Es wird Gerede geben.«

»Simple Begleitung führt wohl kaum zu Gerede, Ash Kat«, erwiderte Elizabeth trocken. »Und Ihr seid viel zu kurz geraten, um mir noch etwas zu verbieten.«

Die Gouvernante sah sie finster an. »Mistress Ashley«, warf Cecil ein, »der Junge wird keinen Schaden anrichten.«

»Das werden wir noch sehen«, murrte Mistress Ashley. »Er ist schließlich ein Diener der Dudleys, oder?« Mit einem letzten wütenden Blick auf mich zog sie sich zurück.

Ich nickte Cecil dankbar zu. Er musste bemerkt haben, dass ich von Robert geschickt worden war, und versuchte, mir meinen ersten Auftrag zu erleichtern, doch zu meiner Verwunderung wich er meinem Blick aus und verlangsamte den Schritt, um uns vorangehen zu lassen. Ebenso eigenartig erschien mir der Fremde in Schwarz, der Walsingham genannt wurde und sich so lautlos bewegte wie eine Katze, die Miene ein Inbild der Ausdruckslosigkeit.

Ich war umzingelt von misstrauischen Fremden. Ihr Drang, die Prinzessin zu beschützen, bohrte sich mir geradezu in den Rücken. Die Einzige, deren Gesicht ich noch nicht gesehen hatte, war Elizabeths andere Gefährtin, doch ich nahm an, dass meine Anwesenheit auch ihr unwillkommen war. Bei diesem Gedanken warf ich einen Blick über die Schulter und erspähte ein Paar braune Augen, die mich keck unter der Kapuze hervor anblitzten.

Elizabeth unterbrach meine Überlegungen. »Ich bat Euch, mich zu begleiten, nicht, hinter mir herzutrödeln.«

Hastig begab ich mich an ihre Seite. Als sie erneut das Wort an mich richtete, war es kaum mehr als ein Wispern. »Wir haben wenig Zeit, bevor wir den Thronsaal erreichen. Ich wüsste gern den wahren Grund für Robins Abwesenheit.«

»Robin, Eure Hoheit?«

»Dient Ihr vielleicht noch einem anderen Lord Robert?« Sie lachte. »›Dringende Angelegenheit‹! Ich hätte gedacht, nichts als der Kerker könnte ihn heute Abend von hier fernhalten.« Ihre Heiterkeit schwand. »Wo ist er? Er weiß doch, wie viel ich mit meinem bloßen Kommen riskiere.«

»Ich …« Meine Zunge fühlte sich an wie aus Leder. »Ich kann es nicht sagen, Eure Hoheit.«

»Das heißt, Ihr wisst es nicht.« Sie bog in die Galerie ein. Ich beeilte mich, mit ihr Schritt zu halten.

»Das heißt, er hat es mir nicht gesagt. Aber er hat mich angewiesen, Euch das hier zu geben.« Ich griff in mein Wams und vergaß in meiner Hast, sie mit der Erklärung zu beschwichtigen, dass ich ihr den Ring nur ohne Zeugen geben durfte.

Ihre Hand schoss vor und packte mich am Handgelenk. Obwohl ihre Finger kalt waren, brannte ihr Griff wie Feuer. »Herrgott, Ihr seid wirklich ein Neuling am Hof. Nicht hier! Was ist es? Sagt es mir!«

»Ein Ring, Eure Hoheit. Silber mit Onyx. Mein Herr hat ihn von seinem eigenen Finger gezogen.«

Fast wäre sie stehen geblieben. Selbst in dem dämmerigen Säulengang sah ich Farbe auf ihren bleichen Wangen flammen. Eine Sekunde lang fiel die königliche Maske von ihr ab und offenbarte das Erröten eines Mädchens, das seine Freude nicht verbergen kann. Das verwirrte mich so sehr, dass ich unbedacht drauflossprudelte vor lauter Eifer, meinen Auftrag zu erfüllen.

»Er sagte, Eure Hoheit würden verstehen, und dass er bald einen Moment finden wird, um sich allein mit Euch zu treffen, damit das Versprechen eingelöst werden kann.«

Eisiges Schweigen folgte meinen Worten. Zu meiner Bestürzung blieb sie nun tatsächlich stocksteif stehen und musterte mich wie aus einer Höhe, an die ich nie im Leben würde hinaufreichen können. »Ihr könnt Eurem Herrn ausrichten, dass ich sehr wohl verstehe. Wie üblich ist er viel zu sehr von sich eingenommen – und viel zu wenig von mir.«

Ich erstarrte. Weiter vorn kündigten Stimmen und Musik an, dass der Thronsaal nicht mehr fern war.

»Mylady«, entgegnete ich schließlich, »ich fürchte, Mylord dringt darauf, dass Ihr diesen Beweis seiner Beständigkeit annehmt.«

»Er dringt!«, rief sie erschreckend schrill. Dann senkte sie die Stimme zu einem angespannten Flüstern. »Ich lasse mich weder von Eurem Herrn noch irgendjemandem sonst kompromittieren. Sagt Robert, er geht zu weit. Zu weit, bei Gott.« Sie wandte sich demonstrativ von mir ab. Mistress Ashley eilte nach vorn und schubste mich zur Seite, um Elizabeth den Umhang abzunehmen.

Ich war entlassen. Als ich zurücktrat, glitt Elizabeths zweite Gefährtin an mir vorbei und strich die Kapuze zurück. Ich starrte sie an. Sie war jung und schön, und die Lebhaftigkeit ihrer Züge wurde durch das vielsagende Glitzern ihrer großen Augen unterstrichen. Sie warf mir ein schnelles Lächeln zu, und ich senkte den Blick, gekränkt von ihrer vermeintlichen Schadenfreude über meine Demütigung.

Als ich mich umsah, stellte ich fest, dass Walsingham sich davongemacht hatte. Cecil verbeugte sich vor Elizabeth. »Master Walsingham lässt sich entschuldigen. Er hat noch zu tun. Mit Eurer Erlaubnis bringe ich Urian jetzt in seinen Zwinger.« Er küsste ihr die Hand, ehe er sich abwandte.

»Cecil«, sagte sie, und er hielt inne. »Ich muss das tun, für Edward. Sollen sie sich etwa einbilden, ich säße furchtsam zu Hause und wartete, bis sie mich rufen?«

Er lächelte sie traurig an. »Ich weiß. Ich hoffe nur, dass es Euch nicht zum Schaden gereicht.« Damit entfernte er sich, den Hund an seiner Seite.

Ich sah zu, wie sich Elizabeth, flankiert von ihren Gefährtinnen, der Flügeltür zum Thronsaal näherte. Klein und verletzlich wirkte sie plötzlich, auch wenn sie den Kopf in königlicher Haltung hoch erhoben trug, als sie die Stufen hinabstieg. Kaum hatte sie den gedrängt vollen Raum betreten, geriet die Musik ins Stocken und verebbte in disharmonischen Tönen. Schweigen breitete sich aus, eine so vollkommene Stille, dass ich ihre Schritte auf dem bunten Fliesenboden hören konnte, während ich im Schatten der Flügeltür in den Saal schlüpfte und mich unter die Menge mischte, um alsbald den Herzog durch die Reihen der dienernden Höflinge auf sie zuschreiten zu sehen.

»Mylord von Northumberland, es ist mir eine Ehre«, sagte Elizabeth. Sie streckte die Hand aus. Der Herzog verneigte sich. Seine bärtigen Lippen verharrten noch auf ihren Fingern, während er zu ihr aufblickte.

»Ganz meinerseits, Eure Hoheit. Willkommen am Hof.«

»Tatsächlich?« Sie lächelte mit entwaffnender Offenheit. »Ich gestehe, ich dachte schon, Ihr würdet mir das Vergnügen dieses Hofes auf ewig verwehren. Wie lange ist es her, dass meine Schwester zu Besuch kam? Vier Monate? Fünf? Mir dagegen wurde in all der Zeit nie eine Einladung zuteil.«

»Nun, seht Ihr, ich wartete auf den geeigneten Moment.« Der Herzog richtete sich auf und überragte sie um Haupteslänge. »Wie Ihr wisst, ist Seine Majestät seit Längerem unwohl.«

»Ich weiß, und ich hoffe, Edward befindet sich auf dem Wege der Besserung.«

»Allerdings, und er hat mehrmals nach Euch gefragt. Habt Ihr seine Briefe denn nicht erhalten?«

»Doch, ja. Ich … ich bin erleichtert.« Ich sah, wie ihre Züge weicher wurden. Sie brachte es sogar fertig, kokett den Kopf zurückzuwerfen, während sie dem Herzog die Hand auf den Arm legte und ihm gestattete, sie in den Saal zu führen. Inmitten der Kerzenflammen und gleißenden Wandspiegel, der farbenprächtigen Samtroben und extravaganten Juwelen der Höflinge, die sich in bauschigen Stoffkaskaden vor der Prinzessin verneigten, ragte sie heraus wie Alabaster. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Mir war, als sähe ich alles zum ersten Mal, diese schillernde Wildnis aus Täuschung und Verrat, bevölkert von wohlgenährten Raubtieren, welche die Prinzessin umkreisten wie Wölfe ihre Beute.

Ich musste mich selbst zur Ordnung rufen; meine verstaubten Vorstellungen von Tugend und Anstand, die sich aus den Rittergeschichten meiner Kindheit speisten, waren hier fehl am Platz. So zerbrechlich sie auch wirken mochte – Elizabeth Tudor war kein hilfloses Rehlein. Sie hatte diese vergiftete Luft seit der Stunde ihrer Geburt eingesogen. Wenn irgendjemand sich darauf verstand, am Hof zu überleben, dann sie. Anstatt mir Sorgen um sie zu machen, kümmerte ich mich besser um meine eigenen Nöte. Ich musste immer noch den Ring abliefern, und Robert hatte ja unmissverständlich klargemacht, was mich erwartete, wenn ich versagte. Ich sah andere wie mich im Saal, livrierte Schatten, die ihren Herren Weinkelche und Servietten nachtrugen. Vielleicht konnte auch ich mich unsichtbar machen, bis ich eine Gelegenheit fand, mich der Prinzessin noch einmal zu nähern.

Ich sah mich in der Menge um. Elizabeth driftete immer wieder in mein Blickfeld, blieb hier und da stehen, um jemanden zu grüßen oder anzulächeln. Als sie an dem riesigen Kamin ankam, um den herum auf Polstersesseln Personen von besonderem Rang saßen, erhoben sich alle, um sich vor ihr zu verneigen. Es war gewiss nicht einfach, überlegte ich mir, von solcher Ehrerbietung umgeben zu sein, zu wissen, dass man durch Rang und Geblüt stets eine erhabene Stellung einnehmen würde. Und plötzlich erkannte ich meine Chance.

Neben einer Anrichte unweit der noblen Gesellschaft lungerte Master Shelton.

6

Ich watete durch eine Flut von Höflingen und wich einem Ansturm von Dienern, die mit Tabletts beladen waren, aus, während ich auf eine Gruppe von Damen in mächtigen Gewändern zusteuerte, die mir den Weg versperrten.

Abrupt riss mich jemand am Ärmel zu sich herum.

»Was machst du hier?«, zischte Master Shelton.

Aus seinem Mund schlug mir Weindunst entgegen, als er mich zur Anrichte zog. Er runzelte böse die Stirn, wie sonst nur, wenn die Haushaltsbilanz nicht stimmte oder wenn er einen der Forstaufseher des Herzogs beim Wildern erwischte.

»Na, willst du nicht antworten?«, fuhr er mich an. »Wo ist Lord Robert?«

Ich beschloss, so wenig preiszugeben wie möglich. »Seine Gnaden, der Herzog, hat ihn zum Tower geschickt, irgendetwas zu erledigen. Und mir hat er befohlen, auf ihn zu warten.« Während ich sprach, teilte sich vor meinen Augen zufällig die Menge, und ich erhaschte einen Blick auf die Prinzessin, die bei den Sesseln am Kamin stand.

»Dann hättest du ihn begleiten sollen«, tadelte Shelton. »Ein Junker darf nie von der Seite seines Herrn weichen.«

Elizabeth unterhielt sich mit einem schmächtigen Mädchen, das in einem jener monumentalen Sessel saß. Das Mädchen trug ein schlichtes Gewand, das dem von Elizabeth ähnelte, ebenso wie ihr kupferfarbenes Haar und ihr blasser Teint, nur dass ihrer von Sommersprossen durchsetzt war. In dem Sessel neben ihr fläzte sich mit gerötetem Gesicht kein anderer als Guilford Dudley.

»Hör auf zu glotzen!«, herrschte Master Shelton mich an. Doch seine Miene war starr vor Anspannung, und auch er konnte den Blick nicht von Elizabeth wenden, die über irgendetwas lächelte, was das Mädchen gesagt hatte. Tastend, ohne hinzuschauen, griff er nach seinem Becher, und während er den Inhalt hinunterkippte, fiel mir ein, dass ich ihn im Dienst noch nie betrunken gesehen hatte. Aber vielleicht war er ja heute Abend nicht im Dienst. Vielleicht hatte ihn Lady Dudley für heute beurlaubt. Was ich allerdings bezweifelte. Seit ich ihn kannte, war Master Shelton immer im Dienst gewesen.

»Wer ist das?«, fragte ich, um ihn wenigstens der Form halber ins Gespräch zu ziehen. Gleichzeitig überlegte ich, wie ich den Ring abgeben konnte, der mir in der Tasche brannte.

»Na, wer schon?«, knurrte er. »Bist du blind? Lord Guilford natürlich, wer denn sonst?«

»Ich meine die Dame neben Lord Guilford.«

Lange blieb er stumm. »Lady Jane Grey«, fauchte er schließlich, und mir war, als hörte ich einen schmerzlichen Unterton in seiner Stimme. »Die älteste Tochter Ihrer Gnaden, der Herzogin von Suffolk.«

»Suffolk?«, wiederholte ich, und er fügte ungeduldig hinzu: »Ja, Jane Greys Mutter ist die Tochter der verstorbenen französischen Königin Mary, der jüngsten Schwester unseres Königs Henry selig.« Er trank noch einen Schluck Wein. »Nicht, dass dich das etwas anginge.«

Dieses schmächtige Mädchen sollte das Luder sein, das Guilford gestern das Bier vergällt hatte? Das kam mir eigenartig vor, und ich war schon im Begriff, weiter nachzufragen, als eine andere Gestalt meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Elizabeths zweite Gefährtin hatte ihren Umhang irgendwo abgelegt und bewegte sich selbstsicher durch die Menge, in ein bernsteinfarbenes Samtkleid gewandet, das sich hübsch zu ihren umbrabraunen, von einem halbmondförmigen Diadem gehaltenen Locken ausnahm. Mit ihrer jugendfrischen Grazie und natürlichen Ausstrahlung fiel sie angenehm unter all den geschniegelten, angemalten Hofschranzen auf. Zuerst vermutete ich, dass sie sich mit einem Verehrer treffen wollte – ein Mädchen wie sie musste derer viele haben –, doch dann sah ich, dass sie den jungen Stutzern, die sie beäugten, eher auszuweichen schien, um sich der hohen Gesellschaft am Kamin zu nähern. Wahrscheinlich, sagte ich mir, wollte sie nur ihrer Herrin zur Seite eilen; aber Elizabeth wandte sich bei ihrem Herannahen einfach ab, als würde sie ihre eigene Gefährtin nicht wahrnehmen.

Auch wenn ich noch nicht lange am Hof war, konnte ich erkennen, wann jemand schauspielerte. Für mich sah es so aus, als belauschte das Mädchen Personen von höherem Rang, und Elizabeth, ihre Herrin, wäre sich dessen durchaus bewusst. Als ob sie gespürt hätte, wie ich sie anstarrte, sah das Mädchen plötzlich auf und begegnete meinem Blick. In ihren Augen las ich Trotz, Arroganz – und eine unverblümte Herausforderung.

Ich lächelte. Auch wenn man ihre Anziehungskraft einmal außer Acht ließ, bot sie mir die perfekte Lösung für mein Dilemma. Sie hatte mich mit Elizabeth sprechen sehen; sie musste erraten haben, dass ich mich bemühte, ihr eine geheime Botschaft zu übermitteln, die sie unter anderen Umständen eventuell gar nicht abgeneigt wäre zu akzeptieren. Gewiss würde eine so vertraute Dienerin die verborgenen Wünsche ihrer Herrin zu erfüllen suchen?

Plötzlich durchfuhr mich der Impuls zu handeln, meinen Teil des Geschäfts endlich zu erledigen, mich dann zu entschuldigen und zu Bett zu gehen. Ob ich je den Weg zurück zu den Gemächern der Dudleys finden würde, blieb abzuwarten; aber zumindest würde ich mich mit gutem Gewissen zur Ruhe begeben können, wenn ich getan hatte, was mir befohlen worden war. Und nach einer Mütze Schlaf würde ich auch in besserer Verfassung sein, meine zukünftige Rolle bei den Machtspielen der Dudleys zu überdenken.

Ich behielt das Mädchen im Auge, um den richtigen Moment für eine Annäherung nicht zu versäumen, und sah sie in einer Gruppe vorbeischlendernder Frauen verschwinden, nicht ohne mir über die Schulter ein Lächeln zuzuwerfen. Es war eine Einladung, die nur ein Narr ignoriert hätte.

Master Shelton schmunzelte. »Ein hübsches Weibsbild. Warum nicht anschauen, was sie zu bieten hat?« Er stieß mich in den Rücken. »Na, lauf. Falls Lord Robert kommt und nach dir fragt, werde ich sagen, ich hätte dich weggeschickt, weil ein Junker ohne seinen Herrn im Thronsaal nichts zu suchen hat.«

Ich war perplex. Täuschte ich mich, oder wollte er mich wirklich loswerden? Wie auch immer, das kam mir sehr recht. Mit einem erzwungenen Lächeln straffte ich die Schultern und schlenderte davon. Als ich mich umblickte, sah ich ihn schon wieder nach dem Weinkrug hinter sich greifen.

Ich folgte dem Mädchen in sicherem Abstand und bewunderte ihr üppiges, wie ein Banner den Rücken hinabfallendes Haar. Ich war, was Frauen betraf, nicht ganz unerfahren und fand sie weit verlockender als all die herausgeputzten und gepuderten Hofdamen. Doch ich war so intensiv mit ihrer Verfolgung beschäftigt, dass ich gar nicht auf die Idee kam, sie könnte etwas anderes im Sinn haben, als eine Begegnung zwischen uns herbeizuführen.

Unversehens machte sie einen Schritt zur Seite und verschwand in der Menge, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Ich spähte nach allen Seiten, konnte sie aber nirgends mehr entdecken.

Ich konnte es nicht fassen. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Sie konnte doch nicht einfach davongeflogen sein.

Während ich nach ihr Ausschau hielt, wurde mir zu meinem Schreck bewusst, dass sie mich zum anderen Ende des Saals geleitet hatte, ganz in die Nähe des Königspodests, wo sich inmitten der noblen Gesellschaft auch die Prinzessin aufhielt.

Ich versuchte, mich kleinzumachen. Aus der Nähe betrachtet, war es eine einschüchternde Gruppe: privilegiert und glanzvoll, mit jener Ausstrahlung von unangreifbarer Überlegenheit, die den Adel vom Rest des Volkes unterschied. Elizabeth hatte Jane Grey verlassen und saß jetzt, mit verträumter, unaufmerksamer Miene lauschend, einer Person gegenüber, von der ich nur die beringte Hand am Knauf eines Gehstocks sehen konnte.

Vorsichtig wie eine Katze trat ich den Rückzug an, im Stillen betend, dass die Prinzessin mich nicht bemerken möge. Das hätte mir gerade noch gefehlt, dass sie mich vor allen anderen bloßstellte und meine weiß Gott zweifelhafte Zukunft vollends ruiniert wurde.

Nur noch darauf bedacht zurückzuweichen, wäre ich fast mit einer Dame zusammengestoßen, die aus der entgegengesetzten Richtung kam. Im letzten Moment bemerkte ich sie – und erstarrte vor Schreck.

Es war Lady Dudley, die Herzogin von Northumberland.

Ihr Anblick traf mich wie ein Schwall kaltes Wasser. Lady Dudley, Roberts Mutter. Konnte es noch schlimmer kommen? Warum nur musste ich ausgerechnet ihr über den Weg laufen? In ihrer Welt kannten die Lakaien immer ihren Platz. Und der meine war sicher nicht hier, im Thronsaal.

Sie wirkte wie aus Marmor gemeißelt, ihre strenge Schönheit noch hervorgehoben durch ein exquisites granatrotes Samtgewand. Ich stand da wie festgenagelt, schlagartig zurückversetzt zu dem Augenblick vor ein paar Jahren, als sie mich bei dem Versuch, ein Buch aus der Dudley-Bibliothek zu schmuggeln, ertappt hatte.

Ich war damals dreizehn Jahre alt gewesen und untröstlich über den plötzlichen Verlust von Mistress Alice. Bei dem Buch, das Alice sehr geliebt hatte, handelte es sich um eine Sammlung von Psalmen in französischer Sprache, in Kalbsleder gebunden, mit einer auf Französisch geschriebenen Widmung auf dem Deckblatt: A mon amie, de votre amie, Marie.

Lady Dudley hatte es mir aus der Hand genommen und mich in die Stallungen beordert. Eine Stunde später war Master Shelton mit der Peitsche gekommen. Er war erst knapp ein Jahr im Dienst der Dudleys; er kannte mich kaum und versetzte mir die strafenden Hiebe eher zögerlich, sodass sie mehr Demütigung als Pein bewirkten. Aber danach wagte ich mich erst wieder in die Nähe der Bibliothek, als Lady Dudley sich an den Hof begab. Und selbst nach ihrer Abreise dauerte es noch Wochen, bis die Bücher mich zurücklockten; und dann schlich ich mich nur noch des Nachts hinauf und stellte jedes Werk zurück, sobald ich es gelesen hatte, als ob sie meine Verstöße gegen die Regeln aus der Ferne ausspionieren könnte.

Was das Psalmenbuch betraf, war es der einzige Gegenstand, der nicht mir persönlich gehörte, als ich die Burg der Dudleys verließ; ich hatte es in der Satteltasche versteckt, da ich mich einfach nicht davon trennen konnte.

Ein sarkastisches Lachen aus dem Sessel gegenüber von Elizabeth rief mich zurück in die Gegenwart. Lady Dudley hatte mich zum Glück noch nicht erkannt. Da ich keine andere Wahl hatte, begann ich, langsam, Zoll für Zoll, auf die Gruppe am Kamin zuzurücken, unter meinem Wams heftig schwitzend. Nur darauf bedacht, Lady Dudley zu entkommen, achtete ich nicht darauf, wohin ich strebte, bis ich gegen Lady Jane Greys Sessel stolperte.

Sie fuhr herum, die graublauen Augen erschrocken aufgerissen. Ich glaubte, abgrundtiefe Resignation darin zu erkennen. Sie straffte die schmalen Schultern. »Wer seid Ihr?«, fragte sie mit bebender Stimme.

Mir war, als zerfiele mein ganzes Dasein in Trümmer.

Und dann kam es, wie es kommen musste. »Was, du schon wieder?«, bellte der neben ihr sitzende Guilford, sprang auf und deutete anklagend auf mich. »Prescott, du hast hier bei der besseren Gesellschaft nichts zu suchen!«

Da hatte ich mich schön in die Nesseln gesetzt. Ich hätte mich nie so nah heranwagen sollen. Nie hätte ich dem Mädchen folgen sollen. Ja, besser wäre ich gleich in Worcestershire geblieben.

»Prescott?« Jane Grey blickte verwirrt zu Guilford auf. »Ihr kennt diesen Burschen?«

»Ja, und er sollte jetzt eigentlich meinen Bruder Robert bedienen«, knurrte Guilford. »Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung dafür, Prescott.«

Ich öffnete den Mund – und brachte keinen Ton heraus. Jane Grey starrte mich an. Ruckartig zog ich die Kappe vom Kopf und verbeugte mich. »Mylady, bitte vergebt mir, dass ich Euch gestört habe.«

Als ich durch den Haarschopf spähte, der mir über die Augen fiel, sah ich einen Anflug von Farbe auf ihren Wangen. »Ihr kommt mir bekannt vor«, sagte sie zögernd. »Haben wir uns schon einmal getroffen?«

»Ich glaube nicht, Mylady«, erwiderte ich sanft. »Daran würde ich mich gewiss erinnern.«

»Na, an deine Manieren kannst du dich anscheinend auch nicht erinnern«, nörgelte Guilford. »Geh und hol uns sofort was zu trinken, bevor ich dich auspeitschen lasse.«

Wie befürchtet, hatte seine Streitsucht die anderen hellhörig werden lassen. Elizabeth erhob sich von ihrem Sessel und zog sich zum Kamin zurück. Weit schwerer als ihr Missfallen wog allerdings das unaufhaltsame Nahen Lady Dudleys. Die Brust wurde mir eng. Ich hatte keine Entschuldigung vorzubringen, außer dem Vorwand, dass ich nach Robert suchte, was selbst mir unglaubwürdig erschien. Während ich mich bis zum Boden verneigte, fürchtete ich, das Ende all meiner Träume, in die Dienste der Dudleys aufzusteigen, sei gekommen.

»Stimmt etwas nicht, meine Liebe?«, wandte sich Lady Dudley an Jane. Auch ohne aufzublicken, konnte ich mir vorstellen, wie ihre kühlen grünblauen Augen in völliger Verachtung über mich hinwegglitten. »Ich hoffe doch, unser Diener hat Euch nicht behelligt. Er ist offenbar nicht fähig, den ihm angemessenen Platz einzunehmen.«

»Ganz recht«, feixte Guilford schadenfroh. »Mutter, sorgt bitte dafür, dass er uns nicht mehr stört.«

Ich lugte empor und sah Janes Augen zwischen Guilford und ihrer Schwiegermutter in spe hin- und herwandern. Sie kaute unschlüssig auf ihrer Unterlippe. Ich hatte das Gefühl, sie wolle nichts lieber als einfach verschwinden.

»Er, er …«

»Ja?« Huldvoll nickte Lady Dudley ihr zu. »Nur zu, meine Liebe.«

Jane sank in sich zusammen. Mit einem scheuen Blick in meine Richtung murmelte sie verlegen: »Ich dachte, ich kenne ihn. Ich habe mich geirrt. Verzeiht mir.«

»Es gibt nichts zu verzeihen. Eure Augen müssen vom vielen Lernen übermüdet sein. Ihr solltet versuchen, Euch weniger mit Büchern abzugeben. Das tut Euch nicht gut. Und nun entschuldigt mich für einen Moment.«

Fast hätte ich laut gejapst, als sich Lady Dudleys Finger wie Messer in meinen Arm gruben. Sie schob mich ein Stück weg. Immer noch mit demselben gefrorenen Lächeln fragte sie: »Wo bitte ist Robert?«

Mein Mund war plötzlich knochentrocken. »Ich dachte, Lord Robert sei vielleicht …«

Es war sinnlos. Ich vermochte kaum mit ihr zu sprechen, geschweige denn sie anzulügen. So war es immer schon gewesen. Ich hatte mich oft gefragt, warum sie mich aufgenommen hatte, wo sie mich doch offensichtlich nicht leiden konnte. Auf ein unrühmliches Ende meiner kurzen Hofkarriere gefasst, senkte ich den Kopf. Meinen Verstoß gegen die höfische Etikette würde man mir nie verzeihen. Ich konnte mich glücklich schätzen, wenn ich den Rest meiner Tage damit verbringen durfte, die Hundezwinger zu schrubben.

Bevor sie noch etwas hinzusetzen konnte, ertönte eine schrille Stimme aus der Sesselgruppe am Kamin. »Was geht da hinten vor sich?« Die beringte Hand, die den Gehstock umfasste, klopfte damit zweimal gebieterisch auf den Boden. »Ich will es augenblicklich wissen!«

Ich zuckte zurück. Lady Dudley stand reglos da. Dann verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem sonderbaren Lächeln. Sie winkte mich vor. »Nun denn, wie es scheint, möchten Ihre Gnaden von Suffolk dich kennenlernen.«

7

Mit einem Kloß im Hals folgte ich ihr. Während wir uns näherten, blickte Elizabeth mich vom Kamin aus an. In ihren kühlen bernsteingelben Augen zeigte sich kein Anflug von Wiedererkennen.

»Auf die Knie!«, zischte Lady Dudley mir ins Ohr. »Die Herzogin von Suffolk ist von königlichem Geblüt, Tochter der jüngeren Schwester unseres verstorbenen Königs Henry. Du musst ihr höchste Achtung zollen.«

Ich ließ mich auf ein Knie nieder. Ein Spaniel mit einem roten, brillantenbesetzten Lederhalsband, gebettet auf einen massiven Schoß, stach mir ins Auge. Der Hund kläffte ein paarmal.

Langsam hob ich den Blick. An einen Berg von Kissen gelehnt, eingekeilt in ein mit Juwelen gespicktes Mieder, die pfirsichroten Röcke gebläht wie ein Galeonensegel, saß ein Monster.

»Ihre Hoheit, Frances Brandon, Herzogin von Suffolk«, säuselte Lady Dudley. »Eure Gnaden, darf ich Euch Junker Prescott vorstellen? Er ist neu an den Hof gekommen, um meinem Sohn zu dienen.«

»Ein Junker?« Der Firnis von Höflichkeit in der Fistelstimme der Herzogin war so brüchig wie eine Pastetenkruste. »Na, ich kann den Kerl nicht sehen, so zusammengeklappt, wie er ist. Auf, auf, Bursche! Lass uns dich mal anschauen.«

Ich tat, wie mir geheißen. Metallisch glänzende Augen bohrten sich in die meinen. Sie musste einmal recht ansehnlich gewesen sein, bevor die Trägheit und die Überfülle der Tafelgenüsse ihren Tribut gefordert hatten. Das Phantom einer üppigen Schönheit war noch immer schwach erkennbar im matt gewordenen, rötlichen Schimmer ihres unter dem mächtigen Kopfputz gelockten Haars, im edlen Schwung ihrer Adlernase und in dem rosigen Teint ihrer Haut, die frei von Falten oder sonstigen Makeln war.

Doch es war ihr Blick, der mich in den Bann schlug – grausam, abschätzend, durchdringend, straften diese Augen die Gleichgültigkeit ihrer Miene Lügen; sie kündeten von einem tyrannischen Wesen, wie es den von Geburt an Privilegierten so oft zu eigen ist.

Ich hielt ihrem Blick nicht lange stand und schlug die Augen nieder. Unter ihrem Rocksaum sah ich ihren linken Fuß in einen lächerlich zierlichen Schuh gequetscht, nach innen gebogen, schrecklich verformt.

Ich hörte sie vor sich hin glucksen. »In meiner Jugend war ich eine gute Reiterin. Und du? Kannst du reiten?«

»Ja, Eure Hoheit«, antwortete ich vorsichtig. »Ich bin unter Pferden aufgewachsen.«

»Er ist auf dem Landsitz unserer Familie aufgezogen worden«, warf Lady Dudley mit seltsam herausfordernder Miene ein. »Vor zwanzig Jahren hat er sich zufällig bei uns eingefunden. Unsere Haushälterin …«

Ein knapper Wink der beringten Wurstfinger schnitt ihr das Wort ab. »Was? Du hast keine Angehörigen?«

Ich warf Lady Dudley einen schnellen Blick zu, obwohl ich wusste, dass sie mir nicht beistehen würde. Sie öffnete leicht den Mund, zeigte stumm die Zähne. Mir rutschte das Herz in die Hose. Sollte ich jetzt etwa abgeschoben werden? So etwas geschah oft genug. Herrschaften tauschten Diener gegen Vorteile aus, sei es als Rückzahlung von Schulden oder einfach, um diejenigen loszuwerden, an denen sie den Gefallen verloren hatten. Hatte sie mich deswegen an den Hof gerufen? Waren all meine Aufstiegshoffnungen nur Wunschträume gewesen?

»Nein, Eure Hoheit.« Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte. »Ich bin Waise.«

»Schade.« Ihr Tonfall ließ erkennen, dass sie genug gehört hatte. »Madam«, wandte sie sich munter an Lady Dudley. »Eure Barmherzigkeit gereicht Euch zur Ehre. Ich hoffe, der Junge erweist sich ihrer als würdig.« Ihre Hand wedelte kurz in meine Richtung. »Du kannst gehen.«

Erleichtert verbeugte ich mich, ohne zu vergessen, dass ich einer Person von königlichem Geblüt nicht den Rücken zukehren durfte. Während ich mich gebückt zurückzog, betend, dass ich nicht noch einmal an einen Sessel stieß, beugte Lady Dudley sich zur Herzogin vor und wisperte: »Il porte la marque de la rose.«

Sie konnte nicht wissen, dass ich ihre Worte verstand, da ich mir mithilfe eines von Roberts achtlos weggeworfenen Schulbüchern selbst Französisch beigebracht hatte. Die Herzogin saß da wie versteinert und fixierte mich. Der Hass in ihren Augen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Er trägt das Mal der Rose.

Mir wurde flau im Magen. Lady Dudley trat von dem Sessel zurück und knickste. Die Herzogin schien unfähig, sich zu rühren. Hinter ihr, am Rand der Gruppe, glaubte ich einen Bernsteinschimmer zu erhaschen. Ich blinzelte, sah erneut hin. Nichts mehr.

Eine schwere Hand landete auf meiner Schulter. Ich fuhr herum und entdeckte Master Shelton hinter mir, das vernarbte Gesicht vor Wut verzerrt. Er stieß mich unsanft zur Anrichte. »Ich dachte, ich hätte dich mit diesem Weib abziehen sehen. Stattdessen treibst du dich hier herum und handelst dir Ärger ein! Ist das etwa der Dank? Zahlst du mir so zurück, was ich alles für dich getan habe?«

Sein Tadel traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Mir schwirrte der Kopf vor Verwirrung, obwohl ich geistesgegenwärtig genug war, mir nichts anmerken zu lassen, selbst als er mir gegen die Brust tippte und barsch befahl: »Rühr dich nicht von der Stelle. Ich bin gleich wieder zurück.«

Er schritt davon. Ich stand da und schnappte nach Luft. Angstvoll zitternd tastete ich nach meinem Hosenbund. Weiter unten, wo Haken und Ösen meinen Hosenlatz hielten, konnte ich die Stelle fühlen. Es bedurfte meiner ganzen Selbstbeherrschung, mich nicht sofort zu entblößen, um mich zu vergewissern, dass das nicht möglich sein konnte.

Die Rose – so hatte Mistress Alice es genannt. Sie hatte gesagt, es bedeute, dass ich gesegnet sei. Aber wie konnte Lady Dudley das wissen? Wie konnte sie etwas so Intimes entdeckt haben, das, wie ich glaubte, ausschließlich einem einsamen Jungen und einer fröhlichen Frau gehörte, die seine einzige Freundin in einer feindseligen Welt war? Und warum sollte sie dieses Wissen wie eine Waffe gegen jemanden einsetzen, der keinerlei Anlass hatte, sich darum zu scheren?

Zorn flammte in mir auf. Mistress Alice war aus meinem Leben verschwunden. Ich hatte nie aufgehört, um sie zu trauern, aber in diesem Moment hasste ich sie fast dafür, dass sie unsere Erinnerungen entweiht, unser Vertrauen geschändet hatte. Es ging nicht darum, dass Lady Dudley mein Geburtsmal zweifellos gesehen hatte, als ich ein Baby war, vielmehr kränkte es mich einfach, dass sie in etwas eingeweiht worden sein musste, das ich für mein und Mistress Alice’ heiliges Geheimnis gehalten hatte.

Ich schloss die Augen, zog die Hand aus der Hose und drückte sie auf mein heftig pochendes Herz. Als ich den Ring in der Brusttasche spürte, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich ernsthaft in Gefahr war, unversehens in eine Klemme zu geraten, aus der ich aus eigener Kraft nicht mehr heil herauskommen würde. Irgendetwas war hier im Gange, etwas Furchtbares. Ich wusste nicht, was es war, doch irgendwie war mir eine Rolle dabei zugefallen, ebenso wie offenbar auch der Prinzessin. Die Dudleys wollten uns beiden Böses. Und wenn ich einen Weg fände, sie zu warnen, würde sie vielleicht …

Ein Fanfarenstoß ertönte von der Galerie, und der Herzog erklomm das Podest. Es wurde still im Saal. Ich spähte zum Kamin, wo Elizabeth regungslos dastand. Die Herzogin von Suffolk hatte sich ebenfalls erhoben; als ich ihrem Blick begegnete, durchzuckte mich Angst, und ich versuchte, mich in der Menge unsichtbar zu machen.

Die Rede des Herzogs schallte durch den Saal. »Seine Majestät möchte all jenen seine Dankbarkeit aussprechen, die sich um seine Gesundheit gesorgt haben. Ich wurde ermächtigt, folgende Ankündigung zu machen.« Er ließ seinen Blick über die Reihen der Höflinge schweifen. »Seine Majestät ist ein wohlwollender Herrscher, doch er ist höchst ungehalten über die Gerüchte, die ihm zu Ohren gekommen sind. Ganz im Gegensatz zu gewissen ruchlosen Spekulationen befindet er sich längst auf dem Wege der Genesung. Auf Anraten seiner Ärzte hat er sich auf seinen Landsitz in Greenwich zurückgezogen, wo er sich besser erholen kann. Zum Zeichen seiner Gesundung möchte er uns wissen lassen, dass er der Eheschließung meines Sohnes, Guilford Dudley, mit seiner geliebten Cousine, Lady Jane Grey, seine allergnädigste Genehmigung erteilt hat. Die Verlobung wird morgen Abend in Greenwich gefeiert werden, wo Seine Majestät höchstselbst dem jungen Paar seinen Segen geben wird. Seine Majestät befiehlt, dass wir auf dieses freudige Ereignis anstoßen.«

Ein Page hastete vor, um dem Herzog einen Kelch zu reichen. Dudley reckte das Gefäß in die Höhe. »Auf die Gesundheit Seiner Majestät; möge er noch lange über uns herrschen. Gott schütze König Edward den Sechsten!«

Wie aufs Stichwort kamen Diener mit Tabletts voller Krüge herein. Die Höflinge stürzten sich darauf und hoben dann ebenfalls die Kelche. »Auf Seine Majestät!«, riefen sie einstimmig.

Northumberland kippte seinen Wein hinunter, stieg vom Podest und schritt aus dem Saal, die hohen Fürsten vom Kronrat in seinem Schlepptau. Aus meiner Deckung in der Menge sah ich Lady Dudley ihm ebenfalls folgen, neben ihr die finster dreinblickende Herzogin von Suffolk. Die Tochter der Herzogin, Jane Grey, ging hinter ihrer Mutter, die schmale Hand verloren in der Pranke ihres Verlobten, der als das von seinem Vater auserwählte Verbindungsglied zum königlichen Blut der Tudors mit geschwellter Brust einherstolzierte.

Kaum waren sie gegangen, wandten sich die Höflinge einander zu und fingen an zu tratschen wie die Fischweiber auf dem Markt. Ich hingegen blickte, plötzlich begreifend, aufgeschreckt zum Kamin. Elizabeth war aschfahl geworden. In ihrem Gesicht spiegelte sich Fassungslosigkeit, der Kelch fiel ihr aus der Hand, Wein spritzte über den Boden und auf ihren Rocksaum. Abrupt drehte sie sich um und eilte zur nächsten Seitentür hinaus.

Die folgenden Minuten vergingen wie Jahre. Ich stand da und wartete ab, ob irgendwer ihr folgen würde. Die Höflinge begannen, sich ebenfalls zurückzuziehen. Keiner schien bemerkt zu haben, dass Elizabeth gegangen war. Schon wollte ich ihr nacheilen, als ich die Begleiterin der Prinzessin auf eine finstere Gestalt zutreten sah, die ich zunächst nicht erkannte. Doch dann stockte mir der Atem. Es war Walsingham, Cecils Gefährte. Er und das Mädchen wechselten ein paar Worte, bevor er sich ganz plötzlich abwandte. Keiner von beiden schien der Prinzessin folgen zu wollen.

Ich wollte gerade zur Tür hinausschlüpfen, da baute sich unversehens Master Shelton vor mir auf. »Ich dachte, ich hätte dir befohlen, dich nicht von der Stelle zu rühren. Oder hast du dir für einen Abend noch nicht genug Ärger eingehandelt?«

Ich starrte in seine blutunterlaufenen Augen. Er hatte mir noch nie Anlass gegeben, ihm zu misstrauen. Doch er musste sich für alles, was er tat, vor Lady Dudley verantworten, und in diesem Moment erinnerte er mich nur an die Ohnmacht, die ich mein ganzes Leben empfunden hatte. »Da Ihr mehr über diesen sogenannten Ärger zu wissen scheint als ich«, entgegnete ich verdrossen, »könnt Ihr mir vielleicht erklären, was es damit auf sich hat.«

Seine Stimme wurde grob. »Du undankbarer Wicht, dir bin ich überhaupt keine Erklärung schuldig! Aber eines will ich dir sagen: Wenn dir dein Leben lieb ist, halte dich von Elizabeth fern. Sie ist das reinste Gift, genau wie ihre Mutter. Von der Boleyn-Hexe ist nie etwas Gutes gekommen, und das gilt auch für ihre Tochter.«

Er spie mir die Worte förmlich entgegen. Es war eine Warnung, und ich wusste, dass ich sie ernst zu nehmen hatte, doch im Moment wollte ich nur noch weg von ihm und den Dudleys, koste es, was es wolle.

»Das mag ja sein, aber ich muss den Befehl meines Herrn ausführen.«

»Wenn du ihr nachgehst«, sagte er, »übernehme ich keine Verantwortung. Die Folgen musst du dann selber tragen. Verstehst du? Wenn du gehst, bist du ganz auf dich gestellt.«

»Bestens.« Ich verbeugte mich knapp und ließ ihn stehen. Obwohl ich seine Blicke im Rücken spürte, schaute ich mich nicht mehr um. Gleichwohl beschlich mich trotz seiner Drohungen ein merkwürdiges Gefühl, dass er Verständnis für mein Vorhaben hatte – als hätte er irgendwann in ferner Jugend den gleichen ungestümen Drang verspürt und versuchte nun auf seine ruppige Art, mich vor mir selbst zu retten.

Dann aber verschwendete ich keinen Gedanken mehr an ihn und hastete auf der Suche nach Elizabeth weiter in das Geflecht von Korridoren.

8

Ich dachte schon, ich sei zu spät gekommen, denn sie schien im Labyrinth der Gänge und Galerien verschwunden zu sein. Meine Absätze hallten auf den Steinplatten wider, während ich aufs Geratewohl von einer Ecke zur nächsten hastete. Ich folgte nur meinem Instinkt, indem ich die Gänge mied, die von unregelmäßig aufgereihten, flackernden Fackeln erhellt waren, und mich in die dunklen Korridore wagte.

Fast hätte ich laut geseufzt, als ich sie endlich entdeckte, unter einem Torbogen stehend, der zu einem Innenhof führte. Das Gewand hielt sie mit beiden Händen wie zu einem schnellen Lauf gerafft. Sie hatte ihr filigranes Haarnetz abgenommen, sodass ihre roten Locken über die Schultern fielen. Als sie mich kommen hörte, aber noch nicht sah, wirbelte sie herum. »Ash Kat, sag sofort Cecil Bescheid. Wir müssen …«

Sie hielt mitten im Satz inne und starrte mich an. »Mein Gott, Ihr seid aber kühn.« Angst schwang in ihrer Stimme mit. »Wo sind meine Damen? Wo sind Mistress Ashley und Mistress Stafford?«

Ich verbeugte mich tief. »Mistress Ashley habe ich nirgends gesehen«, sagte ich in dem beruhigenden Tonfall, den ich bei scheuen Fohlen anzuwenden gelernt hatte. »Und falls Ihr mit Mistress Stafford Eure andere Dame meint, die junge – die ist Euch nicht gefolgt; eben habe ich sie in die andere Richtung davongehen sehen.«

»Sie wird gegangen sein, mir mein Boot vorzubereiten.« Elizabeth betrachtete mich unverwandt, als könnte sie so in mein Inneres schauen. Mit einer ungeduldigen Geste eilte sie dann in den Hof hinaus, wo alles in tiefen Schatten lag. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter. »Warum folgt Ihr mir noch immer?«

Unwillkürlich zuckte meine Hand zur Wamstasche hoch. »Ich fürchte, ich muss immer noch die Order meines Herrn befolgen.«

Ihre Miene wurde hart. »Dann wird diese Order wohl unbefolgt bleiben. Ich glaube, ich habe einstweilen genug Demütigungen durch die Dudleys erfahren.« Im Freien klang ihre empörte Stimme lauter, als es angemessen schien. Wie sie da vor mir stand, wirkte sie wesenlos, fast geisterhaft. Sie war an den Hof gekommen, um ihren Bruder zu sehen, nur um in aller Öffentlichkeit erniedrigt zu werden und sich anhören zu müssen, dass der König, zweifellos auf Befehl des Herzogs, nach Greenwich gereist war. Und obendrein heftete nun auch noch ich mich an ihre Fersen, eine Nervensäge, die sich unbedingt Verdienste erwerben wollte. Mich ekelte vor mir selbst. Was tat ich hier? Sollte Robert doch mit seinem Ring zur Hölle fahren! Ich würde schon eine Ausrede finden, warum ich meinen Auftrag nicht ausgeführt hatte. Wenn ich dafür bestraft oder fortgeschickt wurde, dann sollte es eben so sein. Ich war des Lesens und Schreibens kundig und wusste mich durchzuschlagen. Mit etwas Glück würde ich nicht verhungern.

»Vergebt mir.« Ich verneigte mich. »Ich wollte Eurer Hoheit keinen Kummer bereiten.«

»Mir geht es weit mehr um den Kummer, den mir der Herzog bereitet.« Sie richtete die volle Kraft ihres Blicks auf mich. »Ihr seid dort Diener. Wisst Ihr, was er im Schilde führt?«

Ich zögerte. Master Sheltons Worte klangen mir noch in den Ohren. Sie ist das reinste Gift, genau wie ihre Mutter.

Noch während ich überlegte, wusste ich schon, dass ich mich nicht abwenden, ihrer Frage nicht ausweichen würde, selbst wenn mich das am Ende alles kosten konnte. Ich war an dem unvermeidlichen Scheideweg angelangt, den jeder Mensch irgendwann in seinem Leben erreicht – jenem Moment, da wir, wenn wir das Glück haben, es zu bemerken, eine Entscheidung treffen, die unser ganzes Leben verändert. Elizabeth war das auslösende Element, nach dem ich unwissentlich gesucht hatte; ob giftig oder gutartig, sie bot mir die Chance zu einem neuen Dasein.

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Wenn ich es wüsste, würde ich es Euch sagen. Aber ich habe Augen und Ohren; ich habe gesehen, was heute Abend passiert ist, und ich fürchte, was immer er im Schilde führt, es wird für Eure Hoheit nichts Gutes bedeuten.«

Sie neigte abwägend den Kopf. »Nun, zumindest wisst Ihr Euch auszudrücken. Doch ich muss Euch warnen: Ihr bewegt Euch auf unsicherem Boden. Seht Euch vor, wohin Ihr den Fuß setzt, Junker.«

Ich ließ mich nicht beirren. »Ich melde nur das, was ich sehe. Ich habe schon früh im Leben gelernt, hinter die Fassade der Dinge zu schauen.«

Der Anflug eines Lächelns spielte um ihre Lippen. »Anscheinend haben wir da etwas gemeinsam.« Sie verstummte für einen kurzen Moment, und das Schweigen stellte die unsichtbare Grenze zwischen Königskind und gewöhnlichen Menschen wieder her.

»Also, ich höre. Was habt Ihr beobachtet, das Euch auf den Gedanken bringt, ich könnte in Gefahr sein?«

Die unterschwellige Drohung in ihrer Stimme blieb mir nicht verborgen. Dies war in der Tat trügerischer Boden, nicht irgendein Märchen, in dem ich den tapferen Ritter spielen konnte. Wir waren hier am Königshof, wo das Einzige, was zählte, die Macht war. Sie war in diesem Treibsand aufgewachsen, schmeckte seine Salzlauge, seit sie alt genug gewesen war, die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter zu erfahren. Doch ob sie es nun eingestand oder nicht, sie wusste, dass wir beide nur Schachfiguren in einem Spiel der Dudleys waren. Das war der einzige Grund, weshalb ich mich nicht davonmachen konnte: Es gab kein Entkommen.

»Ich habe gesehen, dass Ihr überrascht davon wart, nicht zu Seiner Majestät vorgelassen zu werden. Ihr hattet erwartet, dass er im Thronsaal sein und Euch begrüßen würde, was er mit Sicherheit auch getan hätte, wäre er wirklich auf dem Weg der Genesung. Jetzt fürchtet Ihr Euch, weil Ihr nicht wisst, wie es ihm geht und was der Herzog mit ihm gemacht hat.«

Sie schwieg, reglos wie eine Statue. »Ihr seid wirklich scharfsichtig. Mit solchen Augen könnt Ihr es noch weit bringen. Aber wenn Ihr schon so viel seht, dann möge mich Gott vor denen schützen, die noch mehr Weitsicht besitzen, denn natürlich war jene Travestie im Thronsaal als Warnung an alle gedacht, dass von jetzt an John Dudley, Herzog von Northumberland, dieses Königreich regiert.«

Ich musste gegen den Drang ankämpfen, mich umzuschauen, denn ich erwartete fast schon, den Herzog auf leisen Sohlen herankommen zu sehen, gefolgt von seinen schwarz gekleideten Ratsmitgliedern, allesamt ausgestattet mit der Vollmacht zu unserer Verhaftung.

»Weiß Robin von Eurem Verdacht?«, fragte sie.

Ich schluckte. Es lag mir auf der Zunge, ihr zu sagen, was ich von Robert hielt und was da soeben für ein seltsamer Wortwechsel zwischen Lady Dudley und der Herzogin von Suffolk bezüglich meiner Wenigkeit stattgefunden hatte. Doch alles, was ich hatte, waren nur Verdachtsmomente, und so zog ich es instinktiv vor zu schweigen. Was auch immer die Dudleys mit mir vorhaben mochten, es hatte nichts mit ihr zu tun – noch nicht.

»Eure Hoheit«, sagte ich schließlich, »ich weiß nicht, ob Lord Robert vertrauenswürdig ist. Aber wenn Ihr es befehlt, werde ich versuchen, es herauszufinden.«

Unversehens lachte sie auf, laut und unbefangen, und ebenso plötzlich brach ihr Lachen wieder ab. »Ich glaube wahrhaftig, dass Ihr genau das tun würdet, was Ihr sagt. Offensichtlich hat deren Verderbtheit Euch noch nicht angesteckt.« Sie lächelte traurig. »Was ist es denn, was Ihr Euch von mir ersehnt, mein tapferer Junker? Streitet es nicht ab. Ich sehe es Euch an. Auch mir ist die Sehnsucht nicht fremd.«

Als hätte ich die Antwort schon die ganze Zeit parat gehabt, ohne zu wissen, ob der Moment dafür je kommen würde, platzte ich heraus: »Ich möchte Eurer Hoheit helfen, wohin mich das auch führen mag.«

Sie krampfte die Hände ineinander und blickte hinab zu den Weinflecken, die ihren Rocksaum besudelten. »Ich hatte nicht erwartet, heute Abend einen neuen Freund zu finden.« Sie hob den Blick zu mir. »Sosehr ich das Angebot zu schätzen weiß, muss ich es dennoch ablehnen. Es würde Euer Verhältnis zu Eurem Herrn trüben, das ohnehin nicht sehr gefestigt zu sein scheint. Gegen Geleit zu meinem Boot habe ich allerdings nichts einzuwenden. Meine Damen warten sicher schon dort.«

Trotz eines Gefühls plötzlicher Leere verneigte ich mich beflissen. Sie streckte die Hand aus und berührte mich am Ärmel. »Einen Begleiter«, sagte sie, »der mir Schutz gewährt. Ich gehe voran.«

Ohne ein weiteres Wort führte sie mich durch den Hof und zurück durch den Irrgarten aus stillen, mit Gobelins behängten Säulengängen, vorbei an Kassettenfenstern mit dicken Samtvorhängen, zwischen denen ich hier und da einen Blick auf mondhelle Innenhöfe und Gärten erhaschte. Ich fragte mich, was sie wohl empfand in diesem Palast, der von ihrem Vater für ihre Mutter erbaut worden war, Monument einer Leidenschaft, die England ausgezehrt hatte. Ich konnte nichts in ihrer Miene lesen, das auf irgendeine Gefühlsregung schließen ließ.

Wir kamen in dem nebeldurchwobenen Garten heraus, der zum Bootssteg führte. In banger Erwartung standen dort schon die Gefährtinnen. Mistress Ashley kam sogleich mit dem Umhang der Prinzessin herbeigestürzt, doch Elizabeth hob Einhalt gebietend die Hand. Die andere Begleiterin, Mistress Stafford, blieb stehen, wo sie war, in ihr goldbraunes Cape gehüllt.

Bei ihrem Anblick befiel mich die Sorge, Elizabeth könnte eine Schlange an ihrem Busen nähren. Diese Frau war wirklich höchst undurchsichtig.

Die Prinzessin wandte sich noch einmal mir zu. »Ein weiser Mann sollte jetzt auf seine Sicherheit achten. Die Dudleys brauen einen Sturm zusammen, der das ganze Reich zerfetzen könnte, und wenn es überhaupt eine Gerechtigkeit gibt, werden sie dafür bezahlen. Ich würde lieber nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden – so mancher hat schon für weniger den Kopf eingebüßt.« Sie setzte sich in Bewegung. »Lebt wohl, Junker. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal Gelegenheit haben werden, uns zu begegnen.«

Sie schritt über den Steg zu ihrem Boot. Der Umhang wurde ihr über die Schultern gelegt. Von ihren Damen flankiert, stieg sie die Stufen hinab. Kurz danach hörte ich die Ruder des Bootsmanns ins Wasser eintauchen, während die steigende Flut die Prinzessin eilends davontrug, fort vom Hof, fort von mir.

Nachdem sie meinen Blicken entschwunden war, versuchte ich, mich zu beruhigen. Sie hatte meine Hilfe abgelehnt, aber nur, weil sie besorgt um mich war. Sosehr es mich schmerzte, hoffte ich doch, sie würde London verlassen, solange es ihr noch möglich war. Dieser Hof, dachte ich, Master Cecils warnender Worte eingedenk, war nicht sicher. Nicht für sie.

Für keinen von uns.

Ich strich mit der Hand über mein Wams und spürte den Ring in der Tasche. Ich hatte bei meinem ersten – und vermutlich auch letzten – Auftrag für Robert Dudley versagt. Jetzt kümmerte ich mich besser um meine eigene Sicherheit.

Ich marschierte zurück in den Palast. Nach – wie es mir schien – stundenlangem ziellosen Umherirren fand ich zufällig zu den Stallungen, wo die Hunde, die Augen etwas verquollen, mich mit trägem Kläffen begrüßten, während die Pferde in ihren bunten Boxen weiter schlummerten. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass Cinnabar gut untergebracht und mit genügend Hafer in seiner Krippe versorgt war, suchte ich mir eine grobe Pferdedecke, streifte Wams und Stiefel ab und kuschelte mich ins Stroh. Die raue Decke wickelte ich um mich, als ob sie aus feinstem Leinen wäre.

Es war warm und behaglich hier, und es roch nach Heimat.

9

Ich wachte vollkommen desorientiert auf, glaubte, ich wäre wieder daheim auf Dudley Castle und im Pferdestall über einem entwendeten Buch eingenickt. Schläfrig tastete ich nach dem Buch, als die Erinnerung zurückkehrte.

Ich musste grinsen. Nicht gerade der günstigste Auftakt für eine Karriere am Hof, dachte ich, während ich mich auf einen Ellbogen stützte und nach meinen Stiefeln griff.

Jäh erstarrte ich.

Neben dem Heuballen, die Hand in meinem Wams vergraben, hockte ein junger Stallknecht.

Ich lächelte. »Wenn du das da suchst« – ich reckte die Börse hoch –, »die behalte ich beim Schlafen immer am Leib.«

Der Junge sprang auf. Mit den zerzausten dunklen Locken und den großen, erschrockenen Augen sah er aus wie ein Engel. Ich erkannte ihn sofort wieder. Es war der gleiche Bursche, dem ich gestern Cinnabar anvertraut hatte, der mit der gierigen Hand. Unter seiner schlichten Tracht aus Sackleinen und Leder war er dürr. Offenbar wusste er aus eigener Erfahrung, was Hunger bedeutete. Ein niederer Stalljunge, vielleicht ebenfalls Waise. London war voll davon, und wo sonst konnte ein elternloser, mittelloser Junge Arbeit finden, wenn nicht im großen Räderwerk des Königshofs?

Ich zog mir die Stiefel an. »Willst du mir erklären, warum du mich bestehlen wolltest, oder soll ich den Stallmeister rufen?«

»Ich wollte nicht stehlen. Ich wollte bloß …« Der Junge schwieg. Ich sah es ihm an, dass er nicht daran gedacht hatte, für den Fall, dass er ertappt wurde, eine glaubwürdige Ausrede zu erfinden.

Ich verkniff mir ein Lächeln. »Ja? Du wolltest – was?«

Er schob das Kinn vor. »Ihr schuldet mir Geld. Ihr habt mich bezahlt, damit ich Euer Pferd füttere. Aber wenn Ihr es heute wieder gefüttert haben wollt, müsst Ihr mich wieder bezahlen. Wie es aussieht, seid Ihr sowieso kein Edelmann. Und nur Edelleute dürfen ihr Reittier hier gratis unterstellen.«

»Tatsächlich?« Ich öffnete mein Beutelchen und spürte, welche Genugtuung es mir bereitete, dass ich nun jemand war, der jemandem eine Münze zuwerfen konnte, selbst wenn das vielleicht der letzte Schatz war, den ich je zu Gesicht bekommen würde.

Der Junge fing den Taler auf. Seine seltsam grün gefleckten Augen verengten sich. »Ist das echtes Gold?«

»Ich denke schon.« Ich griff nach meinem zerknüllten Wams. »Jedenfalls kann ich’s nur hoffen, nach all der Mühe, die mich das gekostet hat.«

Während ich in die Ärmel schlüpfte, sah ich den Jungen in die Münze beißen. Mit einem fachmännischen Nicken, das jedem Geldverleiher zur Ehre gereicht hätte, steckte er sie ein. Ich hatte den Verdacht, soeben für einen ganzen Monat Futter und Unterkunft bezahlt zu haben. Doch das machte mir nichts aus. Ich wusste, wie es war, sich ohne jede Belohnung abzumühen. Außerdem hatte ich eine Idee. Vor nicht allzu langer Zeit war ich selbst ein Bursche wie er gewesen, abgefeimt wie ein Straßenköter und ebenso darauf bedacht, nicht unter die Räder zu kommen. Burschen wie wir sahen und hörten mehr, als uns bewusst war.

»Das hier braucht keiner zu erfahren«, sagte ich. »Ach ja, ich bin übrigens Brendan. Brendan Prescott. Und du?«

»Ich heiße Peregrine.« Er hockte sich auf ein Fass und fischte zwei Falläpfel aus seiner Jacke. Einen warf er mir zu. »Wie der Wanderfalke.«

»Interessanter Name. Hast du noch einen anderen dazu?« Ausgehungert, wie ich war, biss ich herzhaft in den Apfel, doch er war schauderhaft sauer.

»Nein«, entgegnete er mit trotziger Miene. »Wieso auch?«

»Na gut. Immerhin ist er leicht zu merken. Wie alt bist du, Peregrine?«

»Zwölf. Und du?«

»Zwanzig«, sagte ich und hätte fast hinzugefügt: Glaube ich.

»Ach.« Er warf die Reste des Apfels in Cinnabars Box. Mein Pferd schnaubte und fing an zu kauen. »Du siehst jünger aus. Ich dachte, du wärst so alt wie Edward. Fünfzehn.«

»Edward? Meinst du Seine Majestät, den König?«

Peregrine runzelte die Stirn. »Du bist komisch. Du bist nicht von hier, oder?«

Jetzt musste ich aber doch grinsen. Er war wirklich ein Waisenknabe. Nur jemand, der seit jeher für sich selbst sorgen musste, hatte so schnelle Reflexe und konnte jeder Frage eine eigene entgegensetzen. Ich hatte nicht erwartet, eine so unverfälschte Seele in Whitehall anzutreffen.

Und dass er nicht geantwortet hatte, bedeutete natürlich, dass ich recht hatte. Er kannte den König.

»Stimmt«, sagte ich. »Ich bin aus Worcestershire.«

»Nie dort gewesen. Nie über London hinausgekommen.«

Ich nickte, wischte mir Strohhalme von der Hose. »Kennst du Seine Majestät gut?«

Er zuckte mit den Schultern. »So gut, wie man einen Prinzen eben kennen kann. Früher war er oft hier im Stall. Er liebt Tiere und hasst es, den ganzen Tag eingesperrt zu sein. Seine Hoheit, der Herzog, hatte ihn immer …« Er unterbrach sich und blickte mich mürrisch an. »Das ist gemein!«

»Ich habe dir nur eine Frage gestellt.« Ich lächelte. »Außerdem, wem sollte ich das verraten? Ich bin doch gar nicht wichtig. Ich bin nur neugierig, wie ein Stallbursche dazu kommt, den König kennenzulernen.«

»Ich bin nicht nur ein Stallbursche, ich kann auch andere Dinge.« Er schürzte die Lippen und blickte mich abschätzend an, als wäre er nicht sicher, ob ich der Mühe wert sei. Doch ich sah hinter die Pose und erkannte, dass er sich nur zu gerne mitteilen wollte; wie ich war er einsam aufgewachsen.

»Du sagtest gerade, der König wäre viel lieber im Freien«, erinnerte ich ihn.

»Ja. Edward … ich meine, der König … also, er muss dauernd studieren und schreiben und Leute treffen, die er gar nicht mag, darum stiehlt er sich manchmal davon, um mich zu besuchen. Oder vielmehr seine Hunde und Pferde. Ich versorge sie. Er liebt seine Tiere.«

»Ich verstehe.« Ich dachte an Elizabeth und die Furcht in ihrer Miene, als sie den Ankündigungen des Herzogs im Thronsaal lauschte, und musste an mich halten, um den Jungen nicht mit Fragen zu überschütten. Er hatte den König getroffen, vielleicht sogar noch vor Kurzem; hatte mit ihm gesprochen. Was mochte er sonst noch alles wissen?

»Kommt der König denn oft hierher?« Ich fühlte ihm auf den Zahn, um herauszufinden, ob er sich nicht vielleicht nur aufspielte.

Er wirkte nicht weiter betroffen, sondern zuckte nur mit den Schultern, wie jemand, der sich wohlweislich nicht weiter um das Kommen und Gehen Hochgestellter kümmerte. »Früher war er öfter da, aber seit einiger Zeit lässt er sich nicht mehr blicken. Der Herzog hat es wahrscheinlich untersagt. Edward hat mir einmal erzählt, Seine Lordschaft habe ihn dafür gerügt, dass er sich mit Untergebenen anfreundete. Oder vielleicht ist er auch zu krank geworden. Das letzte Mal hat er Blut gehustet. Aber wenigstens hat er noch diese alte Amme als Pflegerin.«

»Eine alte Amme?« Ohne ersichtlichen Grund sträubten sich mir die Nackenhaare.

»Ja. Sie ist einmal mit einer Order des Herzogs gekommen, um einen von Edwards Spaniels zu holen. Eine alte Frau, die stark humpelte. Sie roch aber angenehm, irgendwie nach Kräutern.«

Obwohl ich auf festem Boden stand, begann der Stall, sich um mich zu drehen wie eine Galeone im Sturm. »Kräuter?«, hörte ich mich sagen. »Was für welche?«

»Woher soll ich das wissen?« Er verdrehte die Augen. »Ich bin doch kein Küchenjunge, der den Bratspieß dreht. Vielleicht war sie ein Kräuterweiblein oder so. Wenn man als König krank wird, bekommt man so eines wahrscheinlich zusammen mit den Ärzten und Blutegeln angedient.«

Ich atmete tief durch, um nicht dem Impuls nachzugeben, den Burschen am Kragen zu packen. All diese rätselhaften Ereignisse, die seit meiner Ankunft am Hof über mich hereinbrachen, hatten mich verwirrt. Viele Frauen verstanden sich auf Kräuterheilkunde, und außerdem hatte er doch gesagt, dass sie alt war und humpelte. Ich haschte schon nach Schatten. In so einem erbärmlichen Zustand würde ich niemandem eine Hilfe sein.

»Hat die Frau gesagt, wer sie ist?«, fragte ich. Ich konnte nur hoffen, dass mein Gesichtsausdruck nicht verriet, wie sehr mich meine Torheit ärgerte.

»Nein. Sie hat den Hund genommen und ist wieder verschwunden.«

Ich hätte längst aufhören sollen, doch ich konnte mich nicht bremsen. »Und du hast sie nichts gefragt?«

Peregrine starrte mich an. »Wieso denn? Sie wusste, dass der Hund Edward gehörte. Warum hätte sie sonst herkommen sollen? Falls du es noch nicht gemerkt hast, ich tue immer, was man mir sagt. Wer zu viel fragt, kriegt nur Ärger. Und Ärger will ich keinen.«

»Natürlich.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. Ich sollte mich mit diesem Gassenjungen gut stellen. Das konnte sicher nichts schaden.

Peregrine sprang von dem Fass herab. »Also, ich muss wieder zur Arbeit. Der Meckermeister kann jeden Moment zurückkommen, und der gerbt mir das Fell, wenn ich die Tiere nicht gefüttert und gesattelt habe. Alle brechen heute nach Greenwich auf. Ich muss sogar den Hund Ihrer Hoheit in eine Transportkiste packen. Sie ist wie Edward, liebt ihre Tiere. Eine hübsche Dame und nett obendrein, nicht so wie manche Leute hier. Sie bezahlt mich sogar.«

Ich konnte es nicht fassen. »Ihre Hoheit, Prinzessin Elizabeth? Sie war hier?«

Peregrine lachte. »In den Stallungen? Du hast gestern wohl wirklich zu viel getrunken, was? Nein, Brendan Prescott aus Worcestershire, ihr Freund, Sekretär Cecil, hat mich gestern Abend bezahlt, damit ich Urian versorge. Ich hoffe, du findest den Weg dahin zurück, wo immer du hingehörst.«

Ich tastete im Stroh nach meiner Kappe. »Warte.« In meiner Börse fischte ich nach der größten Münze, die ich finden konnte, und warf sie Peregrine zu. »Ich fürchte, ich habe mir gestern tatsächlich etwas zu viel genehmigt. Ich hatte Glück, dass ich es bis hierher geschafft habe, aber allein finde ich bestimmt nicht mehr zurück. Und jetzt sollte ich eigentlich längst bei meinem Herrn sein. Kannst du mir den Weg zeigen?«

Er grinste, die Finger fest um die Münze geschlossen. »Nur bis zum Garten. Ich habe zu tun.«

Die Sonne mühte sich, durch dichte Wolken zu dringen. Der Wind biss uns mit spitzen, scharfen Zähnen ins Gesicht, fegte durch die Blumenbeete und füllte die Luft mit wirbelnden Blütenblättern. Während Peregrine mich zu einem von Bäumen gesäumten Weg führte, fragte er unvermittelt: »Ist das da das Wappen des Herzogs auf deinem Ärmel?«

»Ja, ich bin Diener seinen Sohnes, Lord Robert.«

»Oh.« Er deutete auf den Pfad zu dem in der Ferne aufragenden Palastgebäude, dessen Türme, Zinnen und Tore in den Himmel ragten. »Da hindurch und dann nach links. Sobald du den ersten Innenhof erreicht hast, musst du jemand nach dem Weg fragen. Da drinnen war ich noch nie.«

Ich verbeugte mich. »Danke, Master Peregrine. Ich hoffe, wir treffen uns wieder.«

Sein Lächeln ließ sein Gesicht aufleuchten. In dem Moment sah er plötzlich ganz kindlich aus, und mit einem Anflug von Wehmut erinnerte ich mich an meine eigene Kindheit – frühreif und in einer feindseligen Welt um Anerkennung bestrebt. »Falls Lord Robert je einen anderen Pagen braucht«, sagte er, »oder auch bloß jemand zum Aushelfen, dann bin ich euer Mann. Ich kann mehr als Pferde füttern, weißt du.«

»Werd’s mir merken.« Ich schlug den Weg zum Palast ein, windverwehtes, raschelndes Laub zu meinen Füßen.

Als ich über die Schulter blickte, war Peregrine verschwunden. Da sah ich plötzlich aus den Augenwinkeln zwei Gestalten mit gezückten Dolchen zwischen den Bäumen hervorstürzen. Sofort rannte ich los, in die Richtung, aus der ich gekommen war.

Die Männer warfen sich auf mich. Ich wehrte mich aus Leibeskräften und schaffte es noch, einen Tritt in irgendwelche Weichteile zu landen, bevor eine massive Faust gegen mein Kinn krachte und mich zu Boden streckte. Um mich her drehte sich alles, und ich hörte eine kalte Stimme sagen: »Das reicht. Er soll nicht blutig geschlagen werden.«

Die Kerle ließen von mir ab. Einer von ihnen hielt sich wüst fluchend das Gemächt. Trotz der Schmerzen am Unterkiefer brachte ich ein Lachen zustande. »Zu spät«, sagte ich zu dem Mann, der den Überfall beendet hatte. »Ich glaube, der da hat mir einen Zahn ausgeschlagen.«

»Halb so schlimm.« Meine Kappe wurde mir zugeworfen. »Steht auf. Langsam.«

Er trat in mein Gesichtsfeld. Von dürren Schultern fiel ein viel zu weiter Umhang herab: Walsingham, der im Morgengrauen noch strenger wirkte als im Mondlicht. Dem Klang seiner Stimme und der Glätte seiner fahlen Haut nach konnte er nicht viel älter sein als ich, und doch wirkte er uralt – wie jemand, der in seinem Leben noch nie eine Sekunde spontane Freude gekannt hatte. Jetzt wusste ich wenigstens, was er von Beruf war: ein Haudegen.

»Ihr hättet mich auch rufen lassen können.«

Er ignorierte mich. »Ich rate Euch, nicht zu fliehen oder Widerstand zu leisten. Meine Männer können nicht nur Zähne einschlagen, sondern auch noch ganz andere Dinge.« Er winkte, woraufhin die Kerle mich flankierten. Ich hatte keine Chance, an meinen Dolch im Stiefel zu kommen.

Einer der beiden packte mich unsanft am Arm. Als ich herumfuhr, um ihn abzuwehren, stülpte mir der andere einen Sack über den Kopf und fesselte mir die Hände mit einer Kordel. Blind und hilflos wurde ich vorwärtsgeschubst, in eine Richtung, die vom Palast wegzuführen schien.

Die Kerle stießen mich durch den Wildpark und über gewundene Straßen, wo sich das Rasseln von Wagenrädern und das Klappern von Hufen auf Steinpflaster, die Rufe von Verkäufern und das raue Grölen von Bettlern gegenseitig überboten. Ich roch das faulige Wasser der mit Abfällen angefüllten Themse, und dann wurde ich durch eine Tür geschoben. Als ich Protest erhob, kassierte ich eine schallende Backpfeife.

Durch einen Gang und eine zweite Tür gestoßen, taumelte ich in plötzliche Stille, die mit Orangenduft gefüllt war. Ich hatte vor Jahren einmal eine Orange gegessen. Das hatte ich nie vergessen. Orangen wurden aus Spanien eingeführt. Wer sie sich leisten konnte, verfügte über einen luxuriösen Geschmack und den entsprechenden Wohlstand.

Die Kordel um meine Handgelenke wurde gelöst. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Ich riss mir den Sack vom Kopf. Eine wohlbekannte Gestalt erhob sich von einem Pult vor einem Flügelfenster. Dahinter bot sich mir ein weiter Blick auf einen bis zum Flussufer reichenden Garten mit Trauerweiden, die sich über schmiedeeiserne Bänke und Buchsbaumhecken neigten.

Ich erstarrte. »Ihr!«, keuchte ich.

10

»So leid es mir tut«, sagte Master Secretary Cecil. »Falls Ihr misshandelt worden seid, bitte ich um Entschuldigung. Walsingham hielt es für das Beste, Euch keine andere Wahl zu lassen, als meiner Einladung zu folgen.«

Ich wusste selbstverständlich, dass Walsingham draußen vor der Tür stand, um jeglichen Fluchtversuch meinerseits zu verhindern. Ich verkniff mir eine Entgegnung und sah zu, wie Cecil an eine Anrichte trat, auf der eine Platte mit verschiedenen Speisen, ein Korb Orangen und ein Weinkrug standen. Ich war mir fast sicher, dass seine sogenannte Einladung etwas mit dem vorigen Abend zu tun hatte, weshalb meine Neugier meine Befürchtungen überwog – wenn auch nur knapp.

»Habt Ihr schon gefrühstückt?«, fragte Cecil.

Ich wischte mir das Blut aus dem Mundwinkel. »Mir ist der Appetit vergangen.«

Cecil lächelte. »Ihr werdet Euch schon erholen – ein junger Mann wie Ihr, ohne Fleisch auf den Rippen. Als ich in Eurem Alter war, konnte ich ständig essen. Doch Euer Tonfall lässt vermuten, dass Ihr mir böse seid. Aber ich habe mich doch schon entschuldigt.«

»Wofür? Mich mit Gewalt hierhergezerrt zu haben?« Ich hörte selbst, wie aufgebracht ich klang, und nahm mich zusammen. Dies war kein Mann, dem man sich offenbaren konnte. Gewiss wollte er etwas von mir, wenn er sich schon die Mühe machte, mich in den Stallungen aufzuspüren und entführen zu lassen. Offenbar besaß er ja das Vertrauen der Prinzessin. Dass er auch ein Angestellter des Herzogs war, machte die Situation natürlich etwas komplizierter.

Letztlich konnte ein Mann doch nur einen Herrn haben. Welchem mochte Cecil dienen?

Er machte sich an der Anrichte zu schaffen. »Ich bin nicht der Feind Ihrer Hoheit, falls es das ist, was Ihr denkt. Bedauerlicherweise sieht es fast so aus, als wäre ich ihr einziger Freund, zumindest der einzige einflussreiche. Bitte nehmt doch Platz.« Er wies zu einem gepolsterten Stuhl am Pult, als empfinge er in aller Gemütlichkeit einen Gast. Ich setzte mich. Er reichte mir Teller und Kelch, die ich absichtlich unberührt ließ, und kehrte dann ans Pult zurück, eine sehr selbstsichere Erscheinung in schwarzer Kniehose und Wams. »Ich glaube, Ihre Hoheit ist in Gefahr«, sagte er unvermittelt. »Aber das wisst Ihr vermutlich schon.«

Ich ließ mir meine wachsende Unruhe nicht anmerken. Weder im Guten noch im Bösen wollte ich mich dazu bringen lassen, etwas über die Prinzessin zu verraten.

Cecil lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich muss sagen, ich finde Euer Schweigen verwunderlich. Ihr habt uns doch gestern im Garten belauscht, nicht wahr?« Er hob die Hand. »Ihr braucht es gar nicht abzustreiten. Lauschen ist ein von alters her üblicher Initiationsritus am Hof. Irgendwann hat es jeder von uns getan. Doch was wir hören, kann manchmal falsch ausgelegt werden. Vor allem dann, wenn wir nicht alle Einzelheiten kennen.«

Schweißtropfen rannen mir zwischen den Schulterblättern hinab. Was für ein Stümper ich doch war! Was hatte mich nur geritten, mich so weit vorzuwagen? Natürlich hatte Cecil gewusst, dass ich da war. Wahrscheinlich hatte ich genug Lärm gemacht, um die ganze Palastgarde zu alarmieren. Hatte ich mehr gehört, als gut für mich war?

Cecil sah mich abwartend an. Ich musste etwas sagen. »Ich … ich wurde von meinem Herrn dorthin gesandt.« Meine Stimme klang heiser, halb erstickt. Ich konnte heute sterben. Der Mann mir gegenüber nahm seine Aufgabe, Elizabeth zu schützen, sehr ernst. Er konnte mich umbringen lassen, und keiner würde es je erfahren. Junker, die ihren Herrn enttäuschten, verschwanden oft genug.

»Oh, das bezweifle ich nicht. Lord Robert hat immer seine eigenen Pläne, und es ist ihm gleichgültig, wen er dazu benutzt.« Cecil seufzte. »Als Junker neu am Hof, und bei all dem, was Ihr den Dudleys schuldet – was hättet Ihr denn tun sollen? Ich muss zugeben, Ihr habt Euer Soll mehr als erfüllt. Das Vertrauen Ihrer Hoheit zu gewinnen, ohne ihr Misstrauen zu wecken, ist eine reife Leistung. Ich hoffe, Lord Robert hat Euch gut dafür bezahlt. Ihr habt es Euch wahrhaft verdient.«

Vielleicht, überlegte ich, wollte Cecil erfahren, was für eine Botschaft ich der Prinzessin ausrichten sollte. Wenn ich mich dumm stellte, konnte ich ihn möglicherweise davon überzeugen, dass ich keine Bedrohung darstellte. Am besten, ich hielt diese Rolle so lange durch, bis er seine Karten auf den Tisch gelegt hatte; denn dass er Trümpfe in der Hand hielt, war sonnenklar.

»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, sagte ich.

»Nein. Woher auch?« Zu seiner Linken hatte er einen Stapel Rechnungsbücher, zur Rechten ein juwelengeschmücktes Tintenfass. »Ich dagegen bekleide ein Amt, in dem ich eine Menge weiß. Und was ich nicht weiß, finden meine Spione für mich heraus. Ihr würdet Euch wundern, was man heutzutage für den Preis einer Mahlzeit so alles kaufen kann.« Er begegnete meinem Blick. »Überrascht Euch meine Offenheit?«

Spiel bloß den Dummkopf! Mit allen Mitteln!

»Ich frage mich, was das alles mit mir zu tun hat.«

Er lachte. »Na, na, ein schlaues Kerlchen wie Ihr wird schon noch dahinterkommen. Man erringt ja nicht jeden Tag die Gunst von Elizabeth Tudor. Leute mit Euren einzigartigen Talenten sind genau das, was ich suche.«

Ich nahm diese Neuigkeit wortlos auf. Gerade hatte ich noch gedacht, meine Lage könnte gar nicht schlimmer werden, da wurde mir eine weitere Stellung angeboten. Damit hatte es keinen Sinn mehr, den Bauerntölpel zu spielen.

»Was genau wollt Ihr damit sagen?«

»Geradeheraus? Ich wünsche, Eure Dienste für mich zu gewinnen. Es ist ein lukratives Agebot, das kann ich Euch versichern. Ich brauche jemand Frischen, scheinbar Naiven, äußerlich Unauffälligen, der in der Lage ist, Vertrauen zu erwecken, sogar bei so skeptischen Naturen wie der Prinzessin. Ihr habt ihr doch gestern Eure Hilfe angeboten? Sie hat es mir selbst gesagt. Wenn Ihr für mich arbeitet, dann werdet Ihr ihr helfen, sogar weit mehr, als Ihr Euch vorstellen könnt.«

Der Magen krampfte sich mir zusammen, wie zur Warnung, mein plötzliches, brennendes Interesse nicht kundzutun. Wie auch immer ich vorging, äußerste Wachsamkeit war angebracht. Es konnte ja eine Falle sein. In der Tat: was denn sonst? So talentiert ich auch sein mochte, ein Spion war ich sicher nicht.

»Warum ich? Ich habe keine Ausbildung zum … Agenten.«

»Das nicht. Aber was Ihr nicht wisst, könnt Ihr lernen. Es ist der Instinkt, den man nicht lernen kann; ich muss es wissen, denn ich besitze ihn selbst. Glaubt mir, er ist wertvoller, als Ihr denkt.«

»Tatsache ist aber, dass ich in Robert Dudleys Diensten stehe«, gab ich zu bedenken. »Und immerhin hat er so viel Vertrauen zu mir, dass er mich mit einer persönlichen Botschaft zur Prinzessin geschickt hat, nicht wahr?«

»Ganz recht. Und ich muss wissen, was er von ihr will. Ihr Leben könnte davon abhängen.«

»Ihr Leben

»Ja. Ich habe gute Gründe anzunehmen, dass der Herzog etwas gegen sie im Schilde führt und dass Lord Robert, Euer Herr, ein Teil seines Plans ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich zerstritten geben, während sie unter der Hand zusammenarbeiten, um einen Gegner zu Fall zu bringen.«

Es war eine Falle. Ich war nicht hier wegen meiner verborgenen Talente. Ich war hier, weil ich Lord Robert diente. Elizabeth hatte meine Botschaft nicht offenbart. Das war der Grund, warum Cecil mich mit einem Sack über dem Kopf hatte herschleppen lassen. Er wollte wissen, wie meine Botschaft lautete, und sobald ich es ihm berichtete, würde man mich zum Schweigen bringen.

Für immer.

»Tut mir leid, das zu hören«, gab ich mich ungerührt, obwohl ich beinahe vor Angst geschrien hätte. Doch lieber wollte ich wehrhaft sterben, als kleinmütig hinzunehmen, was immer Cecil mir als Schicksal zugedacht hatte. »Aber wie Mylord Master Secretary wissen, riskiert ein Diener, der seinen Herrn verrät, dass ihm Zunge und Ohren abgeschnitten werden.« Ich zwang mich zu einem Lachen, das eher kläglich ausfiel. »Und diese sind mir eigentlich ganz lieb.«

»Ihr habt ihn schon verraten. Ihr wisst es nur noch nicht.«

Das war eine Feststellung, knapp und unpersönlich. Obgleich nichts an seiner Haltung sich verändert hatte, ging plötzlich eine stille Bedrohung von ihm aus. »Gleichgültig, wie Ihr Euch entscheidet, Eure Tage als Bediensteter der Dudleys sind gezählt. Oder glaubt Ihr, sie behalten Euch, nachdem sie bekommen haben, was sie wollen? Lord Robert hat Euch als seinen Laufburschen benötigt, und seine Eltern verabscheuen Ungewissheiten.«

Er trägt das Mal der Rose.

Wieder sah ich die Herzogin von Suffolk mich mit ihrem metallischen Blick durchbohren.

»Soll das heißen, sie werden mich töten?«, fragte ich.

»Ja. Obwohl ich natürlich keinen Beweis dafür habe.«

»Und Ihr könnt mir die Sicherheit bieten, dass mir nichts passiert, wenn ich in Eure Dienste trete?«

»Nicht unbedingt.« Er faltete die Hände unter dem bärtigen Kinn. »Seid Ihr interessiert?«

Ich hielt seinem Blick stand. »Ich höre Euch zu.«

Er neigte den Kopf. »Lasst mich damit beginnen, dass der Herzog und seine Familie sich in einer misslichen Lage befinden. Sie waren nicht darauf gefasst, dass Ihre Hoheit sich am Hof zeigen würde. Ehrlich gesagt hat das keiner von uns erwartet. Und doch war sie plötzlich da, wollte unbedingt ihren Bruder treffen; also musste man irgendwie mit ihr umgehen. Sie traf Vorsichtsmaßnahmen, indem sie das Volk wissen ließ, dass sie in London ist, was ihr ein gewisses Maß an Schutz bietet, zumindest kurzfristig. Aber sie macht einen schweren Fehler, wenn sie glaubt, der Herzog könne ihr nichts anhaben. Sie ist so erbost über seine – wie sie das sieht – Weigerung, sie mit ihrem Bruder, dem König, sprechen zu lassen, dass sie jetzt darauf besteht, nach Greenwich weiterzureisen und sich selbst von der Genesung Seiner Majestät zu überzeugen.«

Cecil lächelte mich bedauernd an – was sich auf seinem strengen Gesicht höchst eigenartig ausnahm –, als könnte ihn nichts, was Elizabeth Tudor anstellte, je überraschen. »Sie ist nicht leicht von etwas abzubringen, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat. Und Northumberland hat sie gründlich verprellt. Edwards Abwesenheit gestern Abend hat ihren Verdacht geweckt und sie aufs Bitterste erzürnt, was zweifellos in der Absicht des Herzogs lag. Sie hängt sehr an ihrem Bruder. Zu sehr, wie manche sagen würden. Sie wird nie aufgeben, bis sie die Wahrheit herausfindet. Und genau das ist es, was ich fürchte. Denn, versteht Ihr, wir mögen zwar die Wahrheit suchen, doch sie ist nur selten das, was wir uns erhoffen.«

Ich merkte, dass ich angespannt auf der Stuhlkante saß. »Ihr glaubt, der Herzog hat …?« Ich wagte es nicht, den Satz zu beenden. Im Geiste sah ich die undurchdringliche Miene des Herzogs wieder vor mir, hörte sein Unheil verkündendes Murmeln, das nun einen noch bedrohlicheren Klang annahm.

Doch wer uns verrät, den werden wir ebenso wenig vergessen.

»Ich wünschte, ich wüsste es«, sagte Cecil. »Als Edward einen Rückfall erlitt, hat der Herzog ihn unter Quarantäne gestellt, sodass seither niemand mehr zu ihm vorgelassen wird. Wer kann schon wissen, was da passiert ist? Zumindest nehme ich an, dass er viel kränker ist, als es den Anschein hat. Warum sonst sollte Northumberland mit solchem Getöse seine Genesung verkünden, während er gleichzeitig Lord Robert zum Tower schickt, um die Waffen zu überprüfen und die Bewachung sämtlicher Stadttore zu verstärken? Selbst wenn man Ihre Hoheit zur Rückkehr nach Hatfield überreden könnte, würde sie den Weg versperrt finden. Nicht, dass sie das in Betracht ziehen wird. Sie glaubt, der Herzog hält ihren Bruder gegen seinen Willen fest. Wenn das wahr ist, können wir leider nichts dagegen tun. Mir geht es nur darum, dass sie nicht in dieselbe Falle gelockt wird.«

Es war das erste Mal seit Mistress Alice’ Tod, dass eine höhergestellte Person mit mir wie zu ihresgleichen sprach, und das Vertrauen, das er mir dadurch erwies, tat ein Übriges, um meine Zweifel zu zerstreuen. Dann wiederum hielt ich mir vor, dass der ganze Hof durch Doppelzüngigkeit verseucht war. Nicht einmal Cecil konnte dagegen immun sein.

»Habt Ihr sie von Euren Befürchtungen in Kenntnis gesetzt?« Ich erinnerte mich an Elizabeths schroffe Mahnungen gestern Abend. Wahrscheinlich würde sie sich seine Sorgen kaum zu Herzen nehmen.

»Mehrfach.« Er seufzte. »Aber ohne Erfolg. Sie muss Edward sehen, sagt sie, und wenn es das Letzte ist, was sie im Leben tut. Deshalb brauche ich Euch. Ich muss unwiderlegbare Beweise haben, dass die Dudleys etwas gegen sie im Schilde führen.«

Unwillkürlich ballten meine Hände sich zu Fäusten. Plötzlich wollte ich nichts mehr hören. Ich wollte nicht über eine Schwelle gezogen werden, die ich letzte Nacht, im Beisein der Prinzessin, noch gerne überschritten hätte. Aber der Gefahr, die er beschrieb, fühlte ich mich einfach nicht gewachsen; ein solches Risiko einzugehen würde meinen sicheren Tod bedeuten.

Doch noch während ich mich anschickte, meine Ablehnung und Entschuldigung in Worte zu fassen, sträubte sich etwas in mir dagegen. Ich spürte, dass eine Veränderung in mir vorging. Ich war nicht mehr bloß ein namenloser Junker, der sich etwas vom Leben erhoffte. Ich wollte mehr, wollte Teil von etwas sein, das größer war als ich. Es war unerklärlich, bestürzend, furchterregend – aber auch unentrinnbar.

»Ihre Hoheit bedeutet mir alles«, fügte Cecil hinzu, und ich hörte seiner Stimme an, dass auch er, genauso wie ich, in ihren Bann geraten war. »Aber weit wichtiger, sie bedeutet alles für England. Sie ist unsere letzte Hoffnung. Edward war zu jung, als er König wurde, und hat die Bevormundung durch seine sogenannten Beschützer niemals abschütteln können. Und nun liegt er vielleicht im Sterben. Sollte Ihre Hoheit dem Herzog in die Hände fallen, würde das alles zerstören, was wir, die wir England lieben, seit jeher anstreben – eine vereinte Nation, unbezwingbar, auch nicht durch die Raubzüge Frankreichs und Spaniens. Der Herzog ist sich dessen bewusst; er weiß, wie wichtig die Prinzessin ist. Wenn er als Machthaber überleben will, muss er sie unter seiner Kontrolle haben. Doch was kann er ihr bieten, das ihre Mitwirkung bei seinem Vorhaben garantiert?«

Er sah mich unverwandt an.

Ich musste an mich halten, um nicht in mein Wams zu greifen. Der Ring. Robert hatte mir seinen Ring gegeben. Er hatte gesagt, er fordere ein, was man ihm versprochen habe.

»Das … geht nicht«, flüsterte ich. »Lord Robert hat schon eine Frau.«

Cecil lächelte. »Mein lieber Junge, man muss sich doch nur König Henry anschauen, um zu begreifen, wie schnell man Ehefrauen loswerden kann. Roberts Ehe mit Amy Robsart war ein Fehler, den er inzwischen wohl ebenso bereut wie sein Vater. Sie ist die Tochter eines kleinen Landadeligen, und der Herzog hatte sich Besseres für seinen Sohn erhofft. Wenn er den Kronrat dazu überreden konnte, der Eheschließung von Guilford mit Jane Grey zuzustimmen, warum nicht auch der von Robert mit der Prinzessin? Es wäre die Krönung seiner Strategie, die höchste aller Trophäen in der Sammlung der Dudley-Sippe und abgesehen davon das Mittel zur Sicherung seiner Herrschaft. Denn zweifellos ist es der Herzog, der England regiert, seit er die Enthauptung des Lord Protector bewerkstelligt und Edward in seine Gewalt gebracht hat.«

Der Ring in meiner Tasche fühlte sich auf einmal doppelt so schwer an. Allein der Gedanke an eine solche Heirat war absurd. Und doch passte alles perfekt zu dem, was ich mir von den Dudleys erwartete. Was hatte Robert gesagt? Gib ihr den. Sie wird schon verstehen. Hatte sie verstanden? Hatte sie den Ring deshalb abgelehnt? Weil sie wusste, was er bedeuten würde? Oder fürchtete sie sich gar davor, irgendwo in einem geheimen Winkel ihres Herzens? Ich hatte den Ausdruck in ihrem Gesicht gesehen, als sie sagte, auch ihr sei die Sehnsucht nicht fremd. Sie trug eine Tiefe an Leidenschaft in sich, die niemand je ausgelotet hatte. Vielleicht begehrte sie Robert Dudley ebenso sehr wie er sie.

Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Das ging mir alles zu schnell. Ich musste mich darauf besinnen, was ich wusste und was ich gehört hatte. »Aber Ihre Hoheit und der König haben eine ältere Halbschwester, Lady Mary. Sie ist die Thronerbin. Falls Ihre Hoheit Lord Robert heiraten sollte, könnte sie trotzdem nicht Königin werden, es sei denn …«

Meine Stimme erstarb. Eine Fliege summte über der völlig in Vergessenheit geratenen Früchteplatte auf der Anrichte. Ich wagte es kaum, den unterbrochenen Gedanken zu Ende zu führen.

»Seht Ihr?«, sagte Cecil ruhig. »Ihr lernt, und zwar schnell. Ja, Lady Mary ist die Nächste in der Thronfolge. Aber sie ist auch eine bekennende Katholikin, die sich jedem Versuch widersetzt hat, sie für einen Konfessionswechsel zu gewinnen. Abgesehen davon wird England sich nie wieder eine Einmischung von Rom gefallen lassen. Ihre Hoheit dagegen wurde im reformierten Glauben erzogen. Außerdem ist sie siebzehn Jahre jünger als Mary und kann mit Sicherheit einen männlichen Erben hervorbringen. Das Volk möchte viel lieber sie auf dem Thron sehen als ihre papistische Schwester. Und genau das kann der Herzog ihr bieten: England. Eine Versuchung, der kaum jemand widerstehen kann.«

Ich griff nach meinem Kelch und nahm einen tiefen Zug. Die Religion. Der ewige Zankapfel. In ihrem Namen fanden Menschen den Tod. Ich hatte ihre auf Geheiß des Herzogs an den Toren Londons aufgespießten Köpfe gesehen.

War er fähig, einer Prinzessin das Gleiche anzutun? Denn das war es, was Cecil andeuten wollte. Damit Elizabeth den Thron erben konnte, musste Mary tot sein. Ich konnte mir nicht anmaßen, einen Menschen zu durchschauen, den ich allenfalls ein halbes Dutzend Mal im Leben gesehen hatte und dessen Wertvorstellungen den meinen in nichts entsprachen. War er zu so etwas fähig? Wenn es um sein eigenes Überleben ginge, würde er wohl vor nichts zurückschrecken. Doch irgendetwas störte mich ganz gewaltig bei diesem Gedanken, und ich brauchte mehrere Sekunden, um das Problem zu erkennen. Dann aber nannte ich es ohne Umschweife beim Namen.

»Ihre Hoheit würde niemals dem Mord an ihrer eigenen Schwester zustimmen.«

»Nein«, bestätigte Cecil zu meiner Erleichterung. »Sie und Mary haben sich nie sonderlich nahegestanden, aber Ihr habt recht. Sie würde sich nie in ein Komplott zum Verrat hineinziehen lassen, jedenfalls nicht wissentlich. Das ist, wie ich hoffe, der eine verhängnisvolle Fehler im Plan des Herzogs. Er unterschätzt sie – wie schon immer. Sie will auf den Thron, aber erst, wenn die Zeit dafür reif ist.«

Es ging also um Hochverrat. Die Dudleys intrigierten gegen den König und seine beiden Schwestern. Ich konnte Elizabeths Stimme hören, als flüsterte sie mir ins Ohr.

Ich würde lieber nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden – so mancher hat schon für weniger den Kopf eingebüßt.

Sie hatte mich gewarnt. Sie wollte deshalb nicht fort von London und zurück auf ihr Landgut, weil sie die Absichten des Herzogs erkannt hatte und vermeiden wollte, dass ihretwegen Menschenleben aufs Spiel gesetzt wurden. Sie wusste ganz genau, dass sie sich am Hof in die Höhle des Löwen begeben hatte.

Ich holte den Ring hervor. »Robert wollte, dass ich ihr den gebe. Sie hat ihn nicht akzeptiert. Er weiß es nur noch nicht.«

Cecil atmete auf. »Gott sei Dank.« Sein Lächeln war ohne Wärme. »Euer Herr hat sich übernommen. Bestimmt hätte sein Vater eine so offensichtliche Geste nicht gutgeheißen. Dies dürfte wohl dazu beigetragen haben, dass Ihre Hoheit sich entschieden hat hierzubleiben. Nun, da sie Roberts Spiel durchschaut, wird sie versuchen, es sich zunutze zu machen, um zu ihrem Bruder zu gelangen.« Er sah mich bedauernd an. »Ich wünschte, Ihr hättet mehr Zeit, Euch die Sache zu überlegen, doch wie Ihr Euch schon denken könnt, ist die Zeit leider dasjenige Gut, das uns fehlt. Vielleicht bleiben uns nur noch wenige Tage, um Ihre Hoheit zu retten.«

Ich warf einen Blick zum Fenster hinaus. Eine Frau kam gerade mit einem hinkenden Kind an der Hand in den Garten. Sie lächelte, als der Junge auf irgendetwas am Fluss deutete, das ich nicht sehen konnte, ein Boot vielleicht, oder ein Schwarm Schwäne. Sie bückte sich, um ihn auf die Wange zu küssen, und schob ihm eine widerspenstige Locke unter die Mütze.

Trostlosigkeit öffnete sich in mir wie ein Abgrund. Der Anblick weckte Erinnerungen an Mistress Alice und – weniger anrührend – an Master Shelton. Der Haushofmeister würde mir das nie verzeihen, was er nur als Verrat an der Familie begreifen konnte, die mich am Leben erhalten hatte. Aber Alice hätte es verstanden. Von allem, was sie mich gelehrt hatte, hatte ich den Grundsatz, sich selbst treu zu bleiben, stets in meinem Herzen getragen.

Doch ich hatte nie die Gelegenheit gehabt, mich nach dieser Wahrheit zu richten. Als Waisenkind und rechtloser Knecht hatte ich immer ums Überleben kämpfen müssen. Nie hatte ich weiter nach vorn blicken können, als die Erfordernisse des Tages es verlangten. Die einzige Ausnahme stellte mein heimliches Lernen dar, doch das hatte nur dazu gedient, meine Überlebensfähigkeit zu verbessern. Gleichwohl konnte ich nicht leugnen, dass ich mich mit jeder Faser nach der Freiheit sehnte, mein Schicksal selbst zu gestalten und der Mann zu werden, der ich sein wollte, nicht der, zu dem meine Herkunft mich verurteilt hatte.

Ich wandte mich wieder Cecil zu. »Was genau wollt Ihr von mir?«

Er lächelte. »Vielleicht sollte die Frage eher lauten: Was wollt Ihr? Ich nehme an, Ihr wollt doch zumindest bezahlt werden.«

Ich wusste durchaus, was ich wollte. Was ich nicht wusste, war, ob ich es ihm anvertrauen sollte, auch wenn ich in meiner Situation niemanden sonst sah, dem ich vertrauen konnte. Wie lauteten seine Worte?

Die Wahrheit ist selten das, was wir uns erhoffen

Ich fragte mich, ob er recht hatte.

»Ihr müsst Euch nicht gleich entscheiden«, sagte Cecil. »Vorerst kann ich Euch nur Freiheit von der Fronarbeit für den Rest Eures Lebens versprechen, und dazu natürlich eine Stelle auf Dauer in meinen Diensten.« Er griff nach einem Rechnungsbuch. Ein kurzes Schweigen trat ein. Dann sagte er mit erstaunlichem Einfühlungsvermögen: »Meiner Meinung nach hungern Menschen nach mehr als materieller Befriedigung. Tut Ihr das auch? Hungern, meine ich?«

Er blickte auf. Ob er mein Zögern sah? Wieder musste ich an die Worte denken, die zwischen Lady Dudley und der Herzogin von Suffolk gefallen waren. Eine Wahrheit verbarg sich darin, wenn auch verworren und verzerrt. Doch darüber konnte ich nicht sprechen. Und ich konnte diesem Mann nicht alles anvertrauen. Letztlich war er immer noch ein Fremder.

Schweigen trat ein. Als er weitersprach, war seine Stimme leise. »Ich mache es mir zur Aufgabe, diejenigen, die meinen Weg kreuzen, genau zu beobachten; und Ihr seid jemand, der ein Geheimnis mit sich herumträgt. Ihr verbergt es gut, aber ich kann es Euch ansehen. Und wenn ich das kann, können es auch andere. Nehmt Euch in Acht, damit es nicht eines Tages gegen Euch verwendet wird, wenn Ihr es am wenigsten erwartet.«

Er hielt inne. »Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass meine Rolle in dieser Angelegenheit natürlich anonym bleiben muss«, fügte er hinzu. »Die Sicherheit der Prinzessin hat natürlich jederzeit absoluten Vorrang. Und es sollte klar sein, dass Ihr meine Befehle ohne Umschweife befolgen müsst. Versteht Ihr? Jede Eigenmächtigkeit Eurerseits könnte unseren ganzen Plan vereiteln. Ihr seid nicht der Einzige, der sich bemüht, sie zu retten. Ihr müsst lernen, sogar denen zu vertrauen, die Ihr nicht kennt oder nicht leiden könnt.«

Ich holte tief Luft. »Ich habe verstanden.«

»Gut. Einstweilen werdet Ihr weiter Lord Robert zur Seite stehen. Beobachtet alles, was er sagt und tut. Ihr werdet noch Weisung erhalten, wie Ihr Eure Informationen weiterzugeben habt, wenn es so weit ist. Und falls sich unsere Pläne ändern, werdet Ihr ebenfalls rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden.« Von dem Aktenstapel neben sich nahm er eine Mappe und schlug sie auf. »Hier seht Ihr eine maßstabgetreue Karte von Greenwich. Prägt sie Euch gut ein. Ich weiß nicht genau, wann, aber ich glaube, während der Hochzeitsfeierlichkeiten von Guilford und Lady Jane wird der Herzog zur Tat schreiten. Ehe es so weit kommt, müssen wir die Prinzessin an einen sicheren Ort schaffen.«

Ich nickte und beugte mich über die Karte, während Cecil mir meinen Auftrag erklärte.

11

Ich verließ das Herrenhaus an der Themse reichlich benommen. Die Geräusche der Stadt überfielen mich, erinnerten mich daran, dass ich spät dran war für meinen Rapport bei Robert. Ich beschleunigte meine Schritte. Cecil hatte mir versichert, der Palast sei nicht allzu weit entfernt. Er hatte mir sogar Geleit angeboten, das ich jedoch höflich abgelehnt hatte. Je weniger ich von Walsingham und seinen Schlägern sah, desto besser.

Die Sonne zeichnete flirrende Lichtfinger aufs Wasser. Eine drückende Schwüle hing in der Luft. Der Tag versprach, glutheiß zu werden, sobald der letzte Rest von Morgenfrische verflogen war; Kaufleute und Händler gingen bereits emsig ihren Geschäften nach.

Niemand schien mich zu bemerken, doch für alle Fälle zog ich die Kappe tiefer über die Stirn. Ich war mir nur zu deutlich des Wappens auf meinem Ärmel bewusst, das verriet, zu wem ich gehörte, und es bedurfte all meiner Willenskraft, es nicht abzureißen. Ich würde lernen müssen, meinen Abscheu vor den Dudleys zu verbergen, wenn ich Robert von meiner unverbrüchlichen Treue überzeugen wollte.

Denn nun war ich ein Spion: Ich würde für Master Cecil Spitzeldienste leisten, um Prinzessin Elizabeth zu helfen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es einmal so weit kommen würde. Gestern erst war ich als Grünschnabel in London eingeritten und hatte nichts anderes im Sinn gehabt, als mich auf meinem neuen Posten zu bewähren. Einen Tag später kehrte ich mit Verrat im Herzen zu meinem Dienstherrn zurück. Es fiel mir schwer, meine Gefühle angesichts dieser Doppelzüngigkeit miteinander zu vereinbaren, bis ich an die verängstigte junge Frau dachte, die da in ihrem weinbefleckten Kleid allein in einem zugigen Korridor gestanden hatte.

Was ist es denn, was Ihr Euch von mir ersehnt, mein tapferer Junker?

Ich hatte schon einige lärmerfüllte Straßen überquert, als ich merkte, dass ich verfolgt wurde. Ein- oder zweimal fiel mir eine schattenhafte Gestalt hinter mir auf, und ich musste an mich halten, die Person nicht zur Rede zu stellen. Mit der Hand am Dolch, der an der Hüfte hing, setzte ich meinen Weg fort, wobei ich das dichte Gehölz des Jagdforstes sorgsam mied. Sobald ich in die King Street eingebogen war, die unter einem Torbogen hindurch Whitehall querte, blieb ich stehen, um die Kappe zurechtzurücken. Und als ich schließlich den Schatten hinter mir spürte, sagte ich: »Irgendein Narr will sich wohl ein Messer in den Bauch rammen lassen.«

Schweigen folgte. Ich spähte über die Schulter. »Wieso versteckst du dich?«, fragte ich, und ein beschämt errötender Peregrine antwortete: »Weil du meinen Schutz brauchst.«

»Aha. Also hast du den Überfall beobachtet.« Ich hakte die Finger in den Gürtel. »Du hättest um Hilfe rufen oder – besser noch – loslaufen und welche holen können. Oder habe ich dir nicht genug gezahlt?«

»Das wollte ich ja auch«, stieß er hervor. »Am Anfang. Aber ich hielt es für besser, dir zu folgen, falls sie dir eins überziehen und dich in den Fluss werfen. Früher habe ich mein Geld damit verdient, dass ich Leichen aus dem Fluss geborgen habe. Und es war dein Glück, dass ich das getan habe, denn ich war nicht allein.«

»Ach?« Ich blickte mich schnell nach allen Seiten um. »Hat jemand dir geholfen, die Leichen rauszufischen?«

»Nein.« Er trat dich an mich heran und flüsterte: »Es folgt dir noch jemand. Ich hab ihn aus dem Unterholz kommen sehen, als sie dich gefasst hatten. Er ist um das Haus herumgeschlichen, als du drin warst, hat durch die Fenster gespäht und … aua!« Peregrine jaulte auf, als ich ihn am Kragen packte und in eine Seitenstraße stieß.

Er zappelte. Ich hielt ihm den Mund zu. »Sei still, du Dummkopf. Vielleicht beobachtet der Kerl uns immer noch. Willst du, dass wir beide im Fluss enden?«

Seine Augen weiteten sich. Ich ließ meine Hand sinken. Den Blick unablässig auf den Eingang zur Gasse gerichtet, flüsterte ich: »Weißt du, wer er ist?«

Er nickte und fummelte ein Taschenmesser aus seinem Wams hervor. Ich musste grinsen. Genau so eines hatte ich als Junge auch besessen – bestens geeignet, um Äpfel zu schneiden oder Eichhörnchen zu jagen. »Kennt er dich?«

»Nein. Jedenfalls nicht mit Namen. Er ist vor ein paar Tagen zu den Stallungen gekommen und hat zwei Pferde einstellen lassen. Heute hat er einen Kapuzenumhang getragen, aber ich habe ihn trotzdem wiedererkannt. Als er ging, hat er einen der Köter getreten. Das arme Vieh hat doch bloß mit dem Schwanz gewedelt und wollte gestreichelt werden, und er hat ihm einen Tritt verpasst.« Peregrine schnitt eine Grimasse. »Ich hasse Leute, die Tiere quälen.«

»Ich auch.« Ich nahm die Kappe ab und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Unser geheimer Verfolger hatte sich nicht gezeigt, obwohl die Sackgasse, in der wir uns befanden, mit Unrat übersät war und sich insofern ideal für einen Überfall eignete.

Ich zückte meine Geldbörse, um Peregrines Hand mit Münzen zu füllen. »Hör gut zu. Ich kann mich hier nicht länger amüsieren, so gern ich’s auch wollte. Aber du kannst deine Aufgaben offenbar vernachlässigen, sonst wärst du ja nicht hier. Also kannst du vielleicht herausfinden, wohin er will, ohne dir dabei Ärger einzuhandeln.«

»Ich schleiche ja schon den ganzen Tag um ihn herum. Vertrau mir, ich bringe alles heraus, was du wissen willst. Wenn nötig, kann ich schlau sein wie eine Schlange.«

»Das glaube ich gern. Also, pass auf, ich sage dir jetzt, wie wir vorgehen.« Ich erklärte ihm eilig meinen Plan, dann führte ich ihn zu der Straße zurück, wo ich ihn plötzlich von mir stieß.

»Und komm mir ja nicht wieder unter die Augen! Das nächste Mal verfüttere ich dich an die Schweine, du diebischer Spitzbube!«

Peregrine rannte davon. Einige Passanten blieben stehen und schüttelten die Köpfe über das Diebesgesindel in ihrer Mitte. Sichtlich erzürnt klopfte ich mein Wams ab, stülpte mir die Kappe auf und setzte meinen Weg mit der erbosten Miene eines Mannes fort, dem man beinahe seinen schwer verdienten Lohn stibitzt hätte.

Ich war erleichtert, als ich Whitehall erreichte. Der große Innenhof war voller Diener und Kammerherren, sodass ich mich diskret nach den Räumlichkeiten der Dudleys erkundigen konnte.

Trotz meiner Entschlossenheit, der Prinzessin beizustehen, und trotz Cecils Vertrauensbekundungen war ich keineswegs sicher, ob ich Lord Robert ins Gesicht sehen konnte, ohne mich auf der Stelle zu verraten. Auch wenn ich ihn dafür verachtete, dass er mich benutzte – würde es mir wirklich gelingen, eine undurchdringliche Miene zu wahren, um ihn am Erreichen seiner Ziele zu hindern? Dass ich nun auch noch verfolgt wurde, machte mich nur noch furchtsamer. Dabei waren meine Nerven schon vorher zum Zerreißen gespannt gewesen. Wenn mein Zusammentreffen mit Cecil beobachtet worden war, konnte ich getrost davon ausgehen, dass der Verfolger keine wohlwollenden Absichten hegte. Nicht allein das Leben der Prinzessin und das ihrer Schwester Mary standen auf dem Spiel, auch mein eigenes hing von meiner Fähigkeit ab, diese Aufgabe zu Ende zu bringen. Im Moment, versuchte ich, mich zu beruhigen, musste ich nur Robert davon überzeugen, dass sein Ansinnen nicht aussichtslos war und lediglich weiblicher Wankelmut für Verzögerungen sorgte. Ansonsten war es angesichts der jüngsten Ereignisse das Beste, nicht zu weit vorauszuschauen.

Ich holte tief Luft und stieß die Tür auf, die Entschuldigung schon auf den Lippen.

Der Raum war leer. Nur das nackte Bettgestell und der zerkratzte Tisch waren noch da. Und auf dem Tisch lagen mein Umhang und meine Satteltasche.

»Endlich«, ließ eine Stimme hinter mir sich vernehmen. Ich fuhr herum.

Prächtig anzuschauen in karmesinrotem Brokat, die geschlitzten Pumphosen extra kurz gehalten, um die muskulösen Schenkel und den dick ausgestopften, mit Girlandenmustern verzierten Hosenlatz zur Geltung zu bringen, kam Lord Robert hereinstolziert.

Ich verneigte mich tief. »Mylord, vergebt mir meine Verspätung. Ich habe mich verlaufen und …«

»Schon gut.« Er wedelte lässig mit der behandschuhten Hand und verteilte dabei eine Wolke von Moschusduft. »Deine erste Nacht am Hof, der viele Wein, Essen bis zum Platzen, vielleicht noch ein, zwei Weiber – wie hättest du da widerstehen können?«

Sein unverschämtes Grinsen ließ kräftige Zähne erkennen; kein sympathischer Anblick, aber dennoch attraktiv. So ungern ich es zugab, ich konnte verstehen, warum ihm die Frauen reihenweise erlagen. Zu meiner Erleichterung deutete das Grinsen außerdem darauf hin, dass er nicht vorhatte, mich zu quälen, bis ich um Gnade winselte.

Er hob eine Augenbraue. »Du hast allerdings das Packen vergessen, ganz zu schweigen von der guten Nachricht.«

»Mylord?« Natürlich. Darum sah er so selbstzufrieden drein.

Seine dunklen Augen glitzerten. »Ja, ich habe Nachricht von meinem Vater erhalten, dass Ihre Hoheit beschlossen hat, zu Guilfords Hochzeitsfeierlichkeiten in unserer Mitte zu bleiben. Offenbar kann sie mir nicht widerstehen. Und das verdanke ich dir.« Mit einem dröhnenden Lachen legte er mir den Arm um die Schultern. »Wer hätte gedacht, dass du so gut Süßholz raspeln kannst! Wir sollten dich als Botschafter ins Ausland schicken.«

Ich zwang mich zu einem Grinsen. »Ganz recht, Mylord. Es möge Euch als Beispiel dafür dienen, wie man eine Dame umwirbt.«

»Pah!« Er schlug mir auf die Schulter. »Du bist mir vielleicht ein Spaßvogel. Aber lass dir eines gesagt sein: Du hast noch einen weiten Weg vor dir, bevor du irgendetwas anderes als Tavernendirnen umwerben kannst. Ich dagegen werde bald einer Prinzessin von königlichem Geblüt den Hof machen.«

Selbstverständlich nahm er an, die Prinzessin würde sich aus Interesse an ihm nach Greenwich begeben. Aber wenigstens hatte ich jetzt etwas, das ich Cecil berichten konnte. Robert hatte seine Absichten ausdrücklich bestätigt. Ich konnte ihm kaum ins Gesicht sehen; hinter dieser beneidenswerten Fassade verbarg sich die Seele eines Schurken.

»Glauben Mylord, dass sie …?« Ich beließ es bei der Andeutung.

»Mir entgegenkommt?« Er spielte mit den Fransen seines Handschuhs. »Ja. Wie denn nicht? Mag sie auch eine Prinzessin sein, vor allem aber ist sie Nan Boleyns Tochter, und Nan hatte immer ein Auge auf die Mannsbilder. Doch wie ihre Mutter wird sie mich zappeln lassen. So sind sie eben, die Boleyns. Sie wird mich betteln lassen, bis ich für würdig erachtet werde – wie Nan es schon bei Henry tat. Aber das macht gar nichts. So haben wir umso mehr Zeit, meinen Köder auszulegen.«

In diesem Moment hasste ich ihn. Am liebsten hätte ich ihm diese unerträgliche überhebliche Miene poliert. Stattdessen fand ich beträchtliche Genugtuung darin, den Ring aus der Tasche zu ziehen. Ich hielt ihn ihm hin. »Das will ich hoffen, Mylord, denn den hier wollte sie nicht von mir in Empfang nehmen.«

Sein selbstgefälliges Grinsen erstarrte. Er schaute auf den Ring in meiner Hand. »Hat sie gesagt, warum?«, fragte er mit tonloser Stimme.

»Sie sagte, Ihr wärt zu sehr von Euch eingenommen. Oder zu wenig von ihr.« Ich wusste, das hätte ich nicht sagen dürfen. Ich hätte seine Illusion anfachen sollen, statt sie zu untergraben. Aber ich konnte nicht anders. Robert Dudley hatte es verdient, dass man ihn von seinem hohen Ross herunterholte.

Einen Moment lang sah es so aus, als würde er meine Hand beiseiteschlagen. Dann lachte er verkrampft auf. »Na gut, da hat sie also mein Treuepfand verschmäht. Natürlich! Die hehre Jungfrau – beruft sich immer auf ihre Sittsamkeit. Das ist ihre Lieblingsrolle. Gönnen wir ihr einstweilen ihren Spaß, nicht wahr?«

Die eisige Munterkeit seines Tons jagte mir Schauer über den Rücken. In einer Geste der Großmut breitete er die Hände aus, nun wieder ein Ausbund von Charme und Lässigkeit. »Behalte den Ring. Ich werde ihr einen noch viel schöneren anstecken.«

Er stieß mich gegen die Schulter und schlenderte zur Tür. »Pack deine Sachen zusammen. Wir brechen nach Greenwich auf, aber nicht mit dem Boot. Den Fluss überlassen wir den Weibern und Memmen. Wir reiten unsere Rösser über guten englischen Boden, wie es sich für Freunde und Kameraden ziemt.«

Freunde. Offenbar meinte er, wir wären jetzt Freunde, Verbündete in einem schmutzigen Komplott. Ich verbeugte mich und wandte mich zum Tisch. »Mylord«, murmelte ich.

Er gluckste belustigt. »Ach so, ja, du willst dich noch umkleiden. Dann zieh dich mal zurück. Aber lass dir nicht zu viel Zeit.« Er hielt inne. »Ich hatte ganz vergessen, wie zimperlich du dich immer beim Ausziehen angestellt hast. Wie eine Jungfer.« Erneut verstummte er, und mir pochte das Herz gegen die Rippen. »Was soll’s?«, brummte er dann achselzuckend. »Es ist ja nicht so, als ob du etwas hättest, das ich nicht längst gesehen habe.«

Er verließ den Raum und schloss sogar die Tür hinter sich. Ich wartete, bis ich sicher war, dass er nicht zurückkommen würde, bevor ich hastig mein zerknittertes neues Wams und meine guten Schuhe auszog.

In Hemd und Hose stand ich da. Ich musste einfach nachsehen. Vorsichtig zog ich die Hose bis zu den Oberschenkeln hinunter. Eine große bräunliche Verfärbung zog sich über meine linke Hüfte, die Ränder wie welke Blütenblätter.

Der Fleck war schon seit meiner Geburt da. Obwohl sie nicht ungewöhnlich waren, wurden solche Schönheitsfehler von unwissenden oder abergläubischen Menschen oft als »Satansbiss« oder »Luzifers Fingerabdruck« bezeichnet. Ich hatte früh gelernt, den Makel vor neugierigen Augen zu verbergen, besonders vor denen der Dudley-Jungen, die mich dann nur noch mehr gequält hätten. Nie hatte einer von ihnen mich nackt gesehen.

Mistress Alice hatte gesagt, das Mal sei eine Rose, die vom Kuss eines Engels herrührte, als ich noch im Mutterschoß ruhte. Eine fantasievolle Geschichte, die ich ihr fast geglaubt hätte. Doch als ich heranreifte, war es die Liebkosung einer echten Frau wie die der Magd, die mich in die Lust einführte, womit sie dem Stigma das Beschämende nahm und mich lehrte, dass nicht jeder so empfindlich darauf reagierte wie ich.

La marque de la rose

Erschauernd zog ich mir die Hose hoch und griff nach meiner Lederweste. Das Wams rollte ich zusammen und stopfte es in die Satteltasche. Noch hatte ich Cecil nichts von meinem Mal gesagt, aber ich hatte es vor. Sobald ich meinen Auftrag erfüllt hatte, würde ich ihn bitten, mir zu helfen, die Wahrheit über meine Geburt herauszufinden, koste es, was es wolle. Bis dahin war es schon ein ermutigender Anfang, Robert Dudleys neuer Freund zu sein. Ein Freund war jemand, dem man Vertrauen schenkte, auf den man sich verließ, dem man alles erzählte – jemand, an den man sich wandte, wenn man Beistand brauchte. Und wohin auch immer Robert ging, dorthin würde ihm sein neuer Freund folgen wie ein Schatten.

Und gewiss würde der Schatten, der mir folgte, nie sehr weit entfernt sein.

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