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Bunny McKenna, R. J.s Schwester, hatte wo sie ging und stand einen teuren Leica-Feldstecher um den Hals hängen. Immer wenn R. J. ulkte, daß ihre Schwester vermutlich mit dem Fernglas schlief, erwiderte Bunny, das wäre aufregender als Don, ihr Ehemann.

Die passionierte Vogelbeobachterin riß das Glas unvermittelt an die Augen und murmelte:»Grünreiher. «So was konnte ganz schön nerven.

An diesem flauen Septembernachmittag, als goldenes Licht den Bootssteg auf dem Savedge-Grundstück am Ufer des James überflutete, hatte Bunny bereits zweiunddreißig verschiedene Vogelarten ausgemacht, darunter viele Wasservögel. Sie benannte auch die Leute in den vorbeigleitenden Segelbooten. Alle wurden mit bissigen Bemerkungen bedacht.

R. J. saß mit ihrem Werkzeugkasten bewaffnet in einem blauen Ruderboot am Steg und wechselte geschickt eine Rudergabel aus.

Den schwarzen Feldstecher an den Augen, ließ Bunny den Blick wieder über den Fluß schweifen.»Warum setzt Francie ihn nicht auf Diät?«Sie hatte mitten auf dem glitzernden Wasser Freunde erspäht; Nordie, der Ehemann, bediente die Pinne eines atemberaubenden Segelbootes.

«Er würde schnurstracks in die Stadt gehen und sich einen Cheeseburger holen. Ah, geschafft. «R. J. entfernte die alte Rudergabel.

«Nordie ist über einen Ersatzreifen raus. Das ist bereits ein Traktorreifen. Kannst du dir Sex mit einem Mann mit Schmerbauch vorstellen? Das wäre ein Triumph der Physik.«

«Nein, Schätzchen.«

«Was nein? Ein Triumph oder keiner, oder du kannst es dir erst gar nicht vorstellen?«Bunny ließ den Feldstecher sinken.

«Kann mir Sex mit Nordie nicht vorstellen.«

«Findest du, daß Sex überbewertet wird?«

«Bunny, das haben wir schon x-mal durchgekaut. Ich glaube, es hat 1955 angefangen. An dem Tag, als du vierzehn wurdest.«»Es ist gräßlich. Du bist in einem geraden Jahr geboren und ich in einem ungeraden. Es ist einfach gräßlich. 1938. Das hört sich doch hübsch an. Aber nein, ich bin Jahrgang 1941. Und das Einzige, was allen Leuten zu 1941 einfällt, ist der Überfall auf Pearl Harbor. Das ist nicht fair.«

«Du bist noch keine vierzig, also laß das Meckern und Jammern sein. «R. J. schmirgelte die Stelle ab, wo die alte Rudergabel gewesen war, dann steckte sie die neue Gabel auf. Paßte perfekt.

«Es gibt Tage, da fühle ich mich wie hundert«, seufzte Bunny und schwenkte die Beine übers Wasser.

«Momma hat gesagt, daß solche Tage kommen werden.«

Nun tuteten beide Schwestern in dasselbe Horn.

«Weißt du was, Orgy? Ich weiß nicht, ob ich alt werden will. Momma Catlett hat zu lange gelebt. Und die Wallaces — die sind alle nicht ganz dicht. Ich will einfach abtreten, in voller Fahrt. «Bunny sah auf die Rudergabel hinunter, die R. J. festschraubte.»Du hast alles so gut im Griff. Protestanten müssen ja alles im Griff haben.«

«Bunny, meistens kann ich deinen Gedankensprüngen und deiner verqueren Logik ja folgen, aber heute bist du unheimlich zerstreut.«

«Wie nett von dir, daß du es merkst. «Bunny riß den Feldstecher an die Augen.»Weißer Ibis. Ein großer.«

R. J. legte das Ruder in die Gabel ein und ruckelte es hin und her.»Nicht schlecht, wenn ich das so sagen darf.«

«Dafür sind Männer da.«

«Wenn ich warten wollte, bis mein Mann das macht, würde es nie gemacht. Ich glaube, Frank hat ein einziges Mal den Rasen gemäht, seit wir verheiratet sind. «R. J. sagte es ohne Groll, mehr im Sinn einer Tatsache, mit der sie sich abgefunden hatte.

Bunny fragte sich, ob Männer in diesen Dingen nicht womöglich klüger seien. Gras würde es immer geben, aber eine gute Golfpartie — für die lohnte es sich, seine Zeit aufzuwenden.

«Auf Donald ist bei diesen Aufgaben Verlaß. Er heuert immer wen an, der das erledigt. «Bunny lachte.

Don verdiente gut mit seiner kombinierten Dodge/Toyota- Vertragshandlung. Auf Drängen seiner Frau hatte er sich flugs den Japanhandel geschnappt, als der Ende der sechziger Jahre zu haben war, was sich als guter Schachzug erwiesen hatte. Mit Dodge lief es so lala, aber Toyotas gingen weg wie warme Semmeln.

R. J. sah zu dem weiten blauen Himmel auf.»Was ist nur dran an den Spätnachmittagen? Ich liebe sie so sehr. Der Tag hat Gestalt angenommen. Wenn ich morgens aufstehe, kenne ich meine Aufgaben, aber der Tag selbst hat noch keine Kontur. Jetzt hat er sie, und das Licht ist pures Gold, golden und satt wie Kadmiumfarbe. Die Stunden wirken irgendwie Glück verheißend.«

«So hab ich das nie gesehen.«

«Ich frage mich, ob jede Stunde ihren eigenen Geist hat.«

R. J.s poetische Gedankengänge entzückten Bunny, auch wenn sie es sich nicht verkneifen konnte, ihre Schwester damit aufzuziehen. Bunnys Verstand funktionierte redlich und geradeaus, ganz ähnlich wie eine Lokomotive. Sie mochte Ideen haben, Waggons, die sie an die Lok ihrer Sehnsucht anhängte, aber alles verlief im Gleis. R. J.s Verstand nahm alles auf, aber sie ordnete es nicht gleich. Es war, als sähe sie die Welt mit den Facettenaugen einer Libelle, eine Reihe von separaten, dennoch zusammenhängenden Bildern. Anders als ihre jüngere Schwester konnte R. J. ihre Gedanken schweifen lassen. Sie hatte kein großes Bedürfnis, allem auf den Grund zu gehen.

«Wer ist das?«Bunny sichtete ein großes Motorboot, ein Chris Craft. Sie hob das Glas an die Augen, um die Yacht-ClubFlagge zu erkennen, die hinten flatterte.»Bahia Mar. Das ist in Fort Lauderdale.«

«Vermutlich auf dem Weg zurück, zum Überwintern.«

«Der Winter ist noch weit.«

«Wenn wir Glück haben. «R. J. setzte sich, nahm ein Ruder in jede Hand.»Machen wir 'ne Spritztour?«

«Klar. «Bunny ließ sich anmutig ins Boot fallen, drehte sich um und machte es los.

Am Wasser aufgewachsen, waren die zwei Frauen in ihrem Element. Sie handhabten jedes Boot mit einer Leichtigkeit, um die die Leute, die erst später im Leben dazu kamen, sie beneideten. Beide konnten den Fluß lesen, die Strömungen, die Temperatur, das rasche Bilden einer Sandbank, die in einem heftigen Sturm weggewaschen werden konnte. Sie kannten sich einfach aus.

R. J. groß und stark wie ihre älteste Tochter, ruderte mit vier kräftigen Schlägen hinaus ins tiefere Wasser. Dann wendete sie das Boot flußabwärts, so daß sie sich eine Weile treiben lassen konnten. Bunny blickte durch ihr Glas auf die Uferlinie.»Blaureiher. Stockente. Eine Menge Stockenten dieses Jahr, und das da ist ein Erpel mit gelb-grünem Schnabel. «Ohne den Feldstecher sinken zu lassen, fragte sie:»Und was wollt ihr jetzt machen?«

«Dasselbe wie immer. Ohne auskommen.«

«Meinst du, ihr müßt Land verkaufen?«

«Das lasse ich nicht zu. Dieses Anwesen existiert seit 1642, es hat die Kriege der Indianer und der Weißen überdauert und einfach jeden Schlamassel, den man sich denken kann, und ich erlaube es nicht, daß Frank es verkauft.«

Bunny ließ den Feldstecher vorsichtig auf die Brust sinken.»Muß vor Zeiten imposant gewesen sein, viertausend Morgen.«

«Ist es heute noch.«

«Ja, stimmt. Ihr habt immer noch fast zweitausend Morgen, aber ich weiß nicht, was du tun willst, um sie zu behalten.«

«Ich kann Frank vom Vertrag zurücktreten lassen. Als wir geheiratet haben, lagen die Dinge anders. Ich war bewegliches Eigentum. «Sie lächelte wehmütig.»Was meins war, wurde seins. Das müssen wir ändern.«

Bunny blinzelte.»Würde er das tun? Zurücktreten?«

«Vielleicht, aber es wird ein schlimmer Schlag für ihn sein.«

«Und selbst wenn er es tut, kannst du den Betrieb am Laufen halten? Es hat sich viel verändert, Schätzchen. Mit Landwirtschaft oder Fischfang kannst du keinen lausigen Cent mehr verdienen.«

«Nein, aber ich habe mehr als anderthalb Kilometer Uferlinie, und wenn es sein muß, kann ich einen Teil davon vernünftig erschließen.«

Bunny hob die Stimme:»R. J.!«

«Zeig mir einen anderen Weg.«»Wenn Vic Charly heiratet, bringt das der Familie einen dicken Batzen Geld. Und ich prophezeie, sie wird ihn gleich nach dem Examen heiraten«, sagte Bunny.

«Wir wissen nicht, wie viel seine Familie ihm aussetzen wird. Manche Familien schicken ihre Kinder arbeiten. Und ich halte das für keine schlechte Idee — nein, wirklich nicht.«

«Sie ermöglichen ihnen wenigstens einen Start. Für einen Harrison gehört es sich nicht, arm zu sein.«

«Bunny, es gehört sich für niemanden, arm zu sein.«

«Wohl wahr. «Bunny streckte die schönen langen Beine aus.

«Und wenn Vic und Charly nicht hier leben wollen?«, fuhr R. J. fort.»Vielleicht hält sie ja nichts in Surry County. Ich kann mir gut vorstellen, daß sie nach Richmond ziehen. Sogar nach Washington! Charly muß sich einen Job suchen.«

«Vic würde umkommen vor Langeweile. Sie hält sich am liebsten im Freien auf.«

R. J. lachte.»Vic ist am glücklichsten, wenn sie den Traktor fährt oder Zäune aufstellt.«

«Mode bedeutet für sie ein rotes Tuch um den Hals, Latzhosen und Hemd. Oder Latzhosen ohne Hemd. «Bunny fand Vics Aufzug höchst undamenhaft.

«Sie hat diesen Sommer schwer bei Don geschuftet und dann noch morgens und abends auf der Farm. Sie ist nicht arbeitsscheu. Charly auch nicht. Sie werden was aus sich machen, die zwei«, sagte R. J.

«Sie wird als Gattin eines wichtigen Mannes enden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie Schindeln auf ein Dach knallt.«

«Er scheint in die Richtung zu streben, was? Hin zu Macht und Rang. Liegt im Blut, nehm ich an. Aber sie sind jung. Da kann sich noch was ändern. Vielleicht wird er ja mal ein reicher Steueranwalt.«

«So was Langweiliges.«

«Oh, er ist nicht langweilig, Schätzchen.«

«Er wird langweilig werden. «Bunnys Stimme hatte einen bissigen Unterton.

«Man kann nicht jeden Tag ein loderndes Feuer sein.«»Ich wär mit ein Mal die Woche zufrieden. «Bunny seufzte.»Alles, woran Don denkt, ist das Geschäft. Herrgott im Himmel. «Sie ließ ihre Hand im Wasser schleifen.

«Vielleicht können wir nicht alles haben.«

«Ich will nicht alles haben. Ich will bloß genug.«

«Ach Bun. «R. J. griff das Ruder in der neuen Gabel und schwenkte den Bug herum. Dann ruderte sie stromaufwärts, freute sich an dem Widerstand.

«Soll ich rudern?«

«Nein, du mußt deine Kräfte schonen. Ist morgen nicht das Club-Turnier?«

«Ja.«

Der kleine, aber feine alte Country-Club war sehr rührig, und zu der Zeit, als die zwei jungen Familien sich vor gut zwanzig Jahren vereinigten, war er nicht teuer gewesen. Ihre Eltern waren Mitglieder und ihre Großväter väterlicherseits waren Gründungsmitglieder gewesen.

«Wir werden vielleicht unsere Mitgliedschaft kündigen müssen.«

«Tut das nicht, Orgy. Wär 'n großer Fehler. Nicht nur, daß dort unsere Freunde sind, denk auch an die geschäftlichen Kontakte.«

«Ich betreibe kein Geschäft, und Frank ist ein guter Anwalt. Die Leute wissen, daß er solide ist. Er ist, was er ist.«

«Vielleicht könnten wir ein Geschäft gründen, du und ich.«

R. J. ruderte gleichmäßig gegen die leichte Strömung. Im Westen bildeten sich sahnige Kumuluswolken.»Bunny, das haben wir doch längst abgehakt.«

«Du mußt was tun und ich auch. Ich will was Sinnvolles machen.«

«Tabak.«

«Tabak ist Schwerarbeit, dazu kommt der ganze Papierkram, um die Quotenzuteilung zu erhalten.«

«Das mach ich alle Jahre«, entgegnete R. J.

«Ich weiß, daß du den Papierkram machst, aber ihr fahrt keine große Ernte ein, weil ihr's nicht könnt und wir's nicht können. Es gibt hier nicht mehr viele, die was von Tabak verstehen, und früher oder später geht dieser ganze Rauchen-schadet-Ihrer- Gesundheit-Kram uns an den Kragen.«

«Hmm. Erdnüsse.«

«Orgy, bleib einfach bei Heu und Nutzholz. Vertrau mir.«

R. J. vertraute Bunny, die einen ausgeprägten Geschäftssinn besaß. Alles, was Bunny in die Hand nahm, zahlte sich aus. Sie las gierig nicht nur alles über die Kfz-Industrie, sondern auch über die Wirtschaft im Allgemeinen.

Bunnys gesamte Arbeit kam ihrem Mann zugute. Die Leute wußten, daß Bunny der führende Kopf war, aber Don war der Mann im Vordergrund, und er erhielt den Löwenanteil der Aufmerksamkeit. Bunny hatte mehr Freiheit als er, aber sie fühlte sich wie in der Schwebe. Sie wünschte sich einen Halt, ein Geschäft, das auf ihren Namen lief.

«Manchmal fühle ich mich vom Leben überfallen. Überrascht. Aber…«R. J.s Stimme erstarb, als sie über die Schulter blickte, um zu sehen, wie sie zum Bootssteg kam.

Sie stießen mit einem leichten Rumms dagegen. Bunny packte den Pfahl und wickelte schnell die Bootsleine darum. Sie hievte sich aus dem Boot, während R. J. die Ruder ins Boot legte.

Bunny beugte sich vor, streckte die Hand aus. R. J. zog sich daran hoch.

Wie die zwei da im Sonnenlicht standen, sah man deutlich, daß sie nahe Verwandte waren. Es war nicht so sehr eine äußerliche Ähnlichkeit; denn sie waren nach verschiedenen Zweigen ihrer Familie geraten. Es war vielmehr die Art, wie sie sich bewegten, ihre Gesten, das körperliche Behagen in der gegenseitigen Gegenwart.

«Hör mir zu. «Bunny sprach im Befehlston.»Du weißt nicht, ob Frank das Geld zurückgewinnen kann. Und wenn, dann dauert es Jahre. Erinnerst du dich noch an das letzte Mal? Ihr müßt euch viel mehr anstrengen als damals. Es ist eine neue Zeit. Hoffen wir, daß Vic Charly heiratet. Das wird weiß Gott nicht schaden. Aber laß uns ein Geschäft gründen. Das ist mein Ernst. Don kann mir das Geld fürs Saatgut geben — und er wird's tun. Erstens, ich habe es verdient. Zweitens, er hat immer noch ein schlechtes Gewissen wegen seinem Techtelmechtel. Drittens, ein Teil von ihm wird es prickelnd finden, wenn er sieht, daß wir Erfolg haben. Viertens, ich zahl's ihm zurück, einfach weil ich will. Nach und nach natürlich. Fünftens, Surry Crossing ist im Besitz unserer Familie, seit Charles I. uns das Land zugewiesen hat, und bei Gott, es wird im Besitz dieser Familie bleiben. Manchmal wünsche ich, ich wäre nie von hier weggegangen, aber Don wollte näher an der Stadt sein, und wir waren jung verheiratet. Damals sah ich keinen Sinn darin, in der Nähe von Mom und Dad zu sein.«

R. J. legte ihren Arm um Bunnys Schulter.»Ich vermisse sie.«

«Laß es uns machen. Nicht nur für dich, sondern genauso für mich. Laß uns ein Geschäft gründen.«

«Was schwebt dir vor?«

«Ein Gartenbaubetrieb. Wir haben das Land. Ständig bauen die Leute Häuser in diesem Bezirk. Und solltest du dich je zu einer vernünftigen Erschließung«, sie äffte die Stimme ihrer Schwester nach,»entscheiden, dann haben wir den gesamten Bestand des Gartenbaubetriebes, um ihn zu einer der besten landschaftlich gestalteten Erschließungen in Virginia zu machen.«

«Es ist dir ernst.«

«So ernst wie ein Herzinfarkt.«

«Vielleicht setzt du ja aufs richtige Pferd. Es gibt so vieles zu bedenken. Aber zuallererst muß ich Frank aus dem Vertrag rauskriegen. «R. J. küßte Bunny auf die sonnengebräunte Wange.

Bunny zeigte auf eine etwa vierhundert Meter entfernte Staubwolke.»Vic. «Sie hob ihr Fernglas und erspähte das in wasserblau und weiß gehaltene Impala Cabriolet, Baujahr 1961, mit offenem Verdeck.»Ja, es ist deine Älteste, mit Jinx. Und noch jemand, ein Mädchen. Sehr blond. Sehr hübsch.«

«Los, begrüßen wir die nächste Generation.«

«Degeneration.«

«Mit etwas Glück«, sagte R. J. lachend.

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