Scharlachrote Bänder entrollten sich auf dem James. Die Savedges liebten es, gemeinsam den Sommersonnenuntergang zu betrachten. Sie saßen im Halbkreis auf ihren Stühlen im Hof, der auf den frisch gemähten Rasen hinaussah und ihnen eine herrliche Aussicht bot, und plauderten über die Ereignisse des Tages.
Frank, herzlich, aber reserviert, sonnte sich in seiner Rolle als Hahn im Korb. Er fand Vics neue Freundin mit den aschblonden Haaren, der schlanken Figur, dem breiten Lächeln ungemein attraktiv. Seine Überzeugung, mit der wunderbarsten Frau seiner Generation verheiratet zu sein, hinderte ihn nicht daran, andere Frauen zu bewundern. Anders als Don McKenna fiel Frank nie von Bewunderung in Lüsternheit. Er hatte zu viele Männer gesehen, die sich damit ruiniert hatten. Er fand Schönheit grausam, wenngleich die Frauen, die sie besaßen, es nicht waren.
«… dicke fette Kuh«, faßte Mignon ihre Ansicht über Marjorie Solomon zusammen.
«Wenn du nichts Nettes sagen kannst, hältst du am besten den Mund. «Vic stützte ihre Beine auf einen Holzschemel, den sie sich mit ihrer Mutter teilte. Sie sahen fast wie Zwillinge aus.
«Ach, hör doch auf. «Mignon verdrehte die Augen himmelwärts.
«Sie hat Recht, Mignon. Du weißt nicht, was Marjorie Solomon fehlt. «Frank kaute auf einem Minze zweig, den er aus seinem Glas gefischt hatte.
«So?«Mignon erhoffte sich die Enthüllung einer Leidensgeschichte. Vielleicht litt Marjorie an Leukämie und würde in Kürze von dieser Erde scheiden, was hieß, daß sie nett zu ihr sein mußten. Oder vielleicht war ihr Vater ein heimlicher Säufer. Mignon ergötzte sich an Visionen von tiefstem Elend.
«Sie muß wegen einem Abszeß am Niednagel das Bett hüten«, sagte Jinx. Sie zog dabei die Wangen nach innen und machte ein so komisches Gesicht, daß Vic lachen mußte.
«Haha. «Die kleine Schwester warf den Kopf zurück und bat ihren Vater mit flehendem Blick um die wahre Geschichte.
«Herzchen, ich weiß nicht, was Marjorie Solomon fehlt, aber ich weiß, was dir fehlt, wenn du nicht hinguckst. «Er zeigte auf den Sonnenuntergang, karmesinrot, rosa und purpurrot mit goldenen Flammen.
Das prachtvolle Schauspiel zog alle in seinen Bann, bis Mignon, die ihm die allerkürzeste Aufmerksamkeit zuteil werden ließ, bemerkte:»Sie ist vermutlich voll von Hass, weil sie Jüdin ist.«
«Es reicht«, ermahnte R. J. ihre Jüngste streng.
«Mom, ist doch wahr. Die Leute haben seit Tausenden von Jahren was gegen Juden.«
«Herrgott, Mignon, jetzt haust du auch noch in diese Kerbe. «Vic schüttelte den Kopf.
«Uneinsichtige Menschen brauchen Sündenböcke. Warum nicht diejenigen erniedrigen, die erfolgreich sind? Man lädt die eigenen Sünden auf sie ab, wird sie los und nimmt sich alles, was sie sich auf dieser Welt erworben haben«, erwiderte Frank ruhig, doch er war wütend auf Mignon.
«Dad, du hast Recht, aber Mignon hat uns wenigstens gesagt, was sie denkt«, sprang Vic Mignon bei.»Wenn sie so spricht, dann tun es die anderen in der Schule auch. Jetzt können wir wenigstens darüber reden. «Vic wandte sich Mignon zu, die sichtlich bestürzt war, weil sie ihren Vater verstimmt hatte. Sie verstanden sich alle gut darauf, in Frank zu lesen.»Marjorie mag ja 'n Miststück sein, aber nicht, weil sie Jüdin ist. Denk an Walter Rendell. Er ist der Schlimmste, dabei ist er Episkopale.«
«Tut mir Leid. «Und sie meinte es ehrlich.
«Um das Thema zu wechseln, Chris, was ist dein Hauptfach?«Frank lächelte sie an.
«Gute Frage, Mr. Savedge. Ich habe dreimal gewechselt. Vielleicht versuch ich's mal mit Englisch. «Sie lachte, dann sagte sie:»Was war Ihr Hauptfach?«
«Geschichte.«
«Daddy war auf der Princeton-Uni. Kaum sieht er die UniFarben Schwarz und Orange, schon wird ihm ganz schwummerig vor Nostalgie. «Mignon suchte ihn zu besänftigen.
«Mein Dad war in Colgate.«
«Gute Uni«, erwiderte Frank.
«Aber nichts gegen Princeton«, sagten Vic und Mignon wie aus einem Munde.
«Ein Familienscherz«, klärte Jinx Chris auf, die das bereits vermutet hatte.
«Hast du deine Mutter angerufen?«R. J. griff in ihre Tasche, zog ein kleines rundes Bohnensäckchen heraus und warf es Jinx zu.
Das reizte Piper, die sich zumindest für den Augenblick von dem abgekehrt hatte, was auch immer sich unter dem Tabakschuppen befinden mochte.
Jinx warf Chris das Bohnensäckchen zu, die es Vic zuwarf. Das Säckchen flog hin und her.
«Ich hab sie angerufen. Sie ist sauer auf mich. Sie will, daß ich nach Hause komme, und ich hab gesagt, ich schau morgen vorbei. «Jinx schnappte sich das Bohnensäckchen aus der Luft.
«Hey«, sagte Mignon.
«Wer pennt, verliert. «Jinx streckte den Arm und warf das Säckchen über den Kopf zu Vic hinüber.
Trotz seiner finanziellen Schwierigkeiten war Frank im Glanz des Sonnenuntergangs total entspannt; er beobachtete die kleinen Boote und größeren Schiffe, die ihren schmucken Häfen zustrebten. Das Geräusch des ans Ufer plätschernden Wassers beruhigte ihn.
Wie so viele blendend aussehende Männer war er sich seiner Wirkung auf andere nur schwach bewußt. Breitschultrig, groß, mit kräftiger, ebenmäßiger Kinnpartie — wer ihn sah, mußte unwillkürlich lächeln. Er konnte sich ungezwungen mit Männern oder Frauen unterhalten. Und er würde sich gleich mit Sissy Wallace unterhalten müssen, weil sie die Zufahrt so schnell hochgesaust kam, daß ihre Reifen einen Abrieb hinterließen.
R. J. stand auf.>Sissy Wallace, mit Vollgas.<
Mignon beugte sich zu Chris vor.»Total von der Rolle. Die Wallaces sind alle.«
«Mignon, du sollst kein Urteil abgeben. «Frank packte sie an der Schulter und drückte sie fest, als er sich erhob.
«Jawohl, Dad. «Sie zwinkerte Chris zu.
Jinx stand auf, dann Vic, dann Chris.»Bin gespannt, was sie diesmal angestellt hat.«
Sissy verfehlte knapp einen Laternenpfahl am Ende der Zufahrt. Sie trat auf die Bremse, daß es quietschte, stellte den Motor ab und knallte die Tür zu.»Ich hab Poppy erschossen!«
Chris erstarrte, unschlüssig, ob sie weitergehen oder wie angewurzelt stehen bleiben sollte. Wenn diese Frau verrückt war, dann war sie womöglich bewaffnet?
Vic nahm ihre Hand, merkte, wie kalt sie war.»Eine Art periodische Gewalt — so sind sie eben. Vorigen Monat ist ihrer Schwester Georgia ein Packen Schindeln vom Dach gefallen, der Edward, ihren Vater, der soeben nach draußen gegangen war, knapp verfehlt hat. Sie sagte, sie sei mit dem Fuß ausgerutscht, als sie das Dach reparierte, aber das erklärt nicht, wieso der ganze Packen über Bord ging.«
«Er bewegt sich flink für einen alten Mann. «Jinx unterdrückte ein Lachen, weil Sissy direkt zu ihr hinsah und winkte.
«Auto fahren kann Sissy auch nicht«, steuerte Mignon bei.
«Das hab ich gesehen. «Chris fand ihren Besuch in Surry County noch unterhaltsamer, als sie erwartet hatte.
Frank sah auf die Uhr und flüsterte R. J. zu:»Schatz, ich rechne damit, daß Georgia und Edward uns in weniger als zehn Minuten zusammen oder getrennt mit ihrer Gegenwart beehren werden.«
«Ich frage mich, ob es eine gute Idee ist, ihnen einen Drink anzubieten.«
«Am besten einen doppelten. «Er küßte seine Frau auf die Wange und eilte sodann zu Sissy.»Sissy, jetzt setz dich erst mal hin und erzähl mir alles. «Er nahm ihren Arm und führte sie zu den Stühlen.
«Ich hab ihn erschossen. Ich hab ihn erschossen«, wehklagte sie zum hohen Himmel hinauf.
Mignon flüsterte Chris zu:»Sie schmiert ihre kahle Stelle mit Schuhcreme ein.«
«Und verwahrt einen Flachmann im Strumpf. «Vic überlegte, was sie tun sollte, um ihren Eltern beizustehen.
«Stützstrumpfhose. «Jinx lieferte genüßlich dieses Detail.
Chris fuhr sich mit der linken Hand durch die seidigen glatten Haare.»Ich glaube, da kommt noch jemand. «Sie wies mit dem Kopf zu der Abbiegung von der zweispurigen Straße in die Zufahrt.
Obwohl die Bäume die Sicht verdeckten und die Straße vierhundert Meter entfernt war, konnten sie in der Stille des Zwielichts das Dröhnen eines Motors hören.
«Ich hab ihn in den Hintern geschossen«, milderte Sissy ihre vorige Aussage ab.»Ich hab ihn gewarnt, hab über seinen Kopf gefeuert, aber.«
«Hat Poppy sein Testament wieder geändert?«
Sie nickte unter Tränen. Bevor sie dazu kam, auf einem der im Halbkreis aufgestellten Stühle Platz zu nehmen, hörte auch sie das Knattern eines großen V-8-Motors. Sie sah Chris an, stellte fest, daß sie sie nicht kannte und streckte die Hand aus.»Hallo, ich bin Sissy Wallace. Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, obwohl ich meinen Poppy mit Vogeldunst abgefüllt habe.«
Vic, die noch Chris' Hand hielt, ließ sie los. Chris gab Sissy die Hand.
«Miss Wallace, der Vogeldunst läßt sich mit der Pinzette rauszupfen. «Mignon steuerte hilfsbereit diese Kenntnis bei.
«Ich hab das Zeug besorgt, um die Krähen zu bepfeffern. Hätte ich 'nen Funken Verstand, würde ich Yolanda eine Ladung verpassen. Bei Poppy darf die Kuh den Kopf zum Küchenfenster reinstecken. Ich hasse den Kuhgestank! Poppy kümmert das nicht, er füttert sie glatt mit Möhren. «Sissy gewann ihre Selbstsicherheit zurück.»Da kommt meine Schwester. Wie kann sie es wagen, sich blicken zu lassen. Georgia ist ein Fratz — O ja, ich könnte Geschichten erzählen über meine Schwester, bei der nie ein Haar verrutscht ist — von den zweien, die sie noch hat.«
Georgia und Edward entstiegen einem dicken weißen Cadillac.
«Du hast mich nie geliebt. Du liebst Georgia«, schrie Sissy.
«Georgia schießt nicht auf mich«, erwiderte ein stämmig gebauter, gesund aussehender Mann um die achtzig gelassen. Anfeindungen wirkten sichtlich verjüngend auf Edward Wallace.
«Nein, sie hätte dich fast mit Dachschindeln getötet.«
«Das war keine Absicht«, fauchte die herausgeputzte Georgia, deren Nagellack auf ihr blaßrosa Kleid abgestimmt war.»Du willst immer im Mittelpunkt stehen. Die Welt dreht sich um deinen Bauchnabel. «Georgia schob sich die Schildpattbrille auf die Nase.
«Sprich nicht mit mir, und ich sprech nicht mit dir.«
Piper, die fasziniert war von der menschlichen Unvernunft, sah schwanzwedelnd zu. Die Golden-Retriever-Hündin schnupperte in der Luft und runzelte die Augenbrauen.
R. J. kam mit einem Tablett voll starker Drinks zurück. Sie kannte jedermanns Vorliebe. Edward bevorzugte Scotch — Johnnie Walker Black mit Eis. Georgia, die vorgab, nur zur Gesellschaft mitzutrinken, hatte eine Schwäche für WodkaMartini. Sissy trank alles, was man ihr vorsetzte, aber am liebsten Margarita.
Die Wallaces ließen sich auf die Stühle sinken. Frank machte Chris mit Edward und Georgia bekannt.
«Sehr erfreut. «Georgia senkte die angenehme Stimme.»Es tut mir Leid, daß Sie uns nicht von unserer besten Seite kennen lernen. Wie Sie sehen, werden wir im Augenblick von einem Familienzwist heimgesucht.«
«Papperlapapp. «Sissy klemmte den Mund zu wie eine Schildkröte.
«Du bist die Ursache unserer Heimsuchung. «Georgias Stimme nahm einen herablassenden Ton an.
«Bin ich nicht!«
«Hab ich den Martini so gemixt, wie du ihn magst?«R. J. reichte Georgia eine Serviette. Ihre schmalen Hände bildeten einen starken Kontrast zu Georgias Wurstfingern.
«Einfach perfekt, R. J. Genau wie du, perfekt. Da ich allerdings kaum trinke, hab ich keinen richtigen Vergleich.«
«Lügnerin. Du schüttest dir auf Partys den Sprit mit 'nem Siphon die Kehle runter. «Sissy fing an, sich zu amüsieren. Die extra starke Margarita trug mit dazu bei.
«Mutter, kann ich dir irgendwie helfen?«Vic lächelte allen zu.
«Wie wär's mit Erdnüssen und oh, es ist noch was von dem Dip da für die Kartoffelchips. Edward mag meinen Spezialdip doch so gern.«
«Klaro. «Vic verschwand in der Küche, gefolgt von den anderen drei jungen Frauen.
Sie konnten alles hören, weil die Fenster offen waren.
«Was ist Vogeldunst?«, fragte Chris.
«Kleine Kügelchen. Dasselbe wie Hasenschrot, aber bei uns sagt man Vogeldunst. «Jinx holte ein großes Tablett aus der Speisekammer.»Servietten. «Sie legte einen Stapel auf das Tablett.
«Mignon, hol die Schälchen, ja? Ich kann das Zeug doch nicht in Plastiktüten anbieten.«
«Kann ich was tun?«Chris wollte sich nützlich machen.
«Dastehen und schön aussehen. «Vic lächelte sie an.
«Verdreht«, witzelte Jinx, während sie eine Tüte Chips in eine der Schalen schüttete, die Mignon auf das Tablett stellte.
«Selber«, schoß Vic gutmütig zurück.
Sie konnten Edward dröhnen hören.»Zu viele Weiber. Das ist der Haken in meinem Haus.«
«Kommt auf die Sorte Weiber an, Edward. «Frank warf ihm einen verschmitzten Blick zu, der die beabsichtigte Wirkung hatte.
Edward grunzte, lächelte und lehnte sich schwerfällig auf seinem Stuhl zurück. Er zuckte kurz zusammen, als er eins von den Kügelchen spürte, die in seinem Hinterteil steckten.
«Poppy, Poppy, ganz ruhig. Ich bring dich ins Krankenhaus, wenn dir flau wird. «Die falschen Worte.
«Georgia, ich hab eine Schrotladung im Arsch. Mir ist nicht flau. «Er sah R. J. über den Rand seines geleerten Glases hinweg an.»Entschuldige den Ausdruck.«
«Ich krieg hier noch viel schlimmere Sachen zu hören, Edward. Komm, laß dir nachschenken. Es ist Freitagabend, und wir müssen alle ein bißchen abschalten. «Sie stand auf, nahm das Glas und trat just in dem Moment in die Küche, als die Mädchen herauskamen.»Vic, die Lösung dieses Problems ist es, den Schnaps in den Hof rauszubringen.«
«Ja, Ma'am. «Vic gab Jinx das Tablett und ging zurück in die Küche.
R. J. legte kurz ihren Arm um Chris' Taille.»Chris, hier bei uns gibt es keinen einzigen langweiligen Augenblick.«
Mutter und Tochter suchten rasch alles für Wodka-Martini, Margarita und Scotch zusammen. Frank mochte Scotch, für ihn war somit gesorgt. Er brauchte nur einen Spritzer Sodawasser. R. J. trank kaum, außer bei besonderen Anlässen, wie etwa dem Geburtstag ihres Mannes.
«Mom, sollen wir das auf den großen Tisch stellen oder auf den Beistelltisch?«, fragte Vic.
R. J. überlegte kurz.»Beistelltisch. Ich laß sie ihre Drinks lieber nicht selber mixen, für den Fall, daß jemand mal wieder durchdreht. Du behältst Georgia im Auge. Ich Paß auf Sissy und Edward auf.«
«Das geht hier ja wie geschmiert. «Chris lachte.
«Wir haben halt Übung darin. «Lächelnd nahm R. J. das Tablett mit einem silbernen Kübel voll Eiswürfel und kleinen Schälchen mit Limonen-, Zitronen- und Orangenschalen. Vic reichte Chris die Flaschen mit Absolut Wodka und Johnnie Walker Black, sie selbst schnappte sich die übrigen Flaschen.
«Wohlan, Soldaten Christi. «Vic stieß mit dem Fuß die Tür auf, gerade als Edward im Brustton der Überzeugung sagte:»Frauen können nicht klar denken. So sehr Gott sie lieben mag, es ist ihnen nicht gegeben.«
«Ich glaube, sie sagen dasselbe über uns. «Franks Tonfall war locker.»Aber wenn wir uns hier alle zusammensetzen, kommen wir bestimmt zu einer annehmbaren Lösung.«
«Aber sicher. Wir sind Männer.«
Chris sah Vic und Jinx an, die diese sexistischen Äußerungen stoisch ertrugen. Sie fragte sich, ob die Frauen in Virginia davon überzeugt waren oder ob sie sich nur fügsam gaben, um ihren Willen durchzusetzen. Offenbar entsprachen die Mythen über die Schönen des Südens der Wahrheit. Wenn es nach ihr ginge, sie würde dem Alten die Zähne in den Rachen schlagen.
«Wenn ihr Männer so vernünftig seid, wieso verwickelt ihr uns immer in Kriege?«Georgia fragte ohne Groll.
R. J. schob sich eine glänzende schwarze Locke aus den Augen.»Da hat Georgia eine Blöße entdeckt.«
«Ja, auf ihrem Kopf«, sagte Sissy kichernd, als R. J. ihr das Glas abnahm und ihr noch einen Drink mixte.
«Sei nicht kindisch. «Georgia machte ein finsteres Gesicht, dann sah sie R. J. an.»Du hast kein einziges graues Haar auf deinem hübschen Kopf.«
«O doch. Hier draußen kann man's nicht sehen. Wenn du mich unter eine helle Lampe stellst, wirst du ein paar entdecken.«
«Georgia versteckt die Farbtöpfe. Ihre Haare sind von einem Blond, das in der Natur nicht vorkommt. «Sie sah Chris an.»Deine Farbe ist bestimmt natürlich, Schätzchen.«
«Ja, Ma'am.«
Die Spannung verebbte, die älteren Herrschaften plauderten über Ereignisse, die jüngeren Leute füllten Chips-Schälchen nach, den Eiskübel und was sonst noch nachgefüllt werden mußte.
Irgendwann meinte R. J. zu Mignon:»Herzchen, ich dachte, du gehst heute Abend zu dem Footballspiel?«
«Ich bleib lieber hier bei euch. «Mignon wollte nichts verpassen, da die Wallaces imstande waren, von einer Sekunde auf die andere zu explodieren.
«Bestimmt?«
Mignon lächelte.»Ja.«
«Wenn ich deine Mädels sehe, bedaure ich es, keine Kinder zu haben«, sagte Sissy.»Du nicht, Georgia?«
Georgia nickte.»Ja, R. J. du und Frank, ihr habt zwei prächtige Mädels in die Welt gesetzt. Richtige junge Damen. Und du auch, Jinx.«
«Wo steckt dein Freund?«Sissy beugte sich vor und klopfte Vic aufs Bein.
Vic, die vorn auf der Stuhlkante saß, erwiderte:»Er hat ein Footballspiel. Freitags kriegen wir ihn hier nicht oft zu sehen.«
«Wir haben gern einen jungen Kerl um uns, was, Georgia?«Sissy seufzte.
Georgia antwortete nach kurzem Zögern:»Eine Frau, die einen stattlichen Mann nicht gerne sieht, ist tot. Das hat Momma immer gesagt.«
«Wie war das? Was hat deine Momma gesagt?«Edward hatte den Tod seiner Frau vor vierunddreißig Jahren nie richtig überwunden, infolgedessen hatte er seine Töchter zu eng an sich gebunden.
«Daß eine Frau, die einen stattlichen Mann nicht gern sieht, tot ist«, wiederholte Georgia.
«Deswegen hat sie dich geheiratet, Poppy«, säuselte Sissy.
Er gab ein ungläubiges Prusten von sich, aber er hörte es gern. Er wies mit seinem Glas auf Chris. Eine neue Zuhörerin.»Meine Frau Dorey ist am dreizehnten April 1945 von uns gegangen. Ich sage Ihnen, Schätzchen, es hat mir das Herz gebrochen. Sie war einundvierzig und bildhübsch. Ich hab die Frau geliebt und sie hat mich geliebt. Das hab ich nie verstanden. «Seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem Lächeln.
Als Frank sah, daß seine Schützlinge so weit waren, kam er schließlich zur Sache.»Ich weiß, bei dem Streit ging es um das Testament, und ich weiß auch, Edward, daß deine Geduld manchmal auf eine harte Probe gestellt wird. Aber wenn du zu deiner — und ich glaube auch Doreys — ursprünglichen Absicht zurückkehrst und euren Besitz halbehalbe aufteilst, werden beide Mädels sicher ihren Verpflichtungen gegenüber der Kirche und anderen wohltätigen Einrichtungen gewissenhaft nachkommen, nicht wahr, Mädels?«
«Ja«, trällerten sie wie aus einem Munde.
«Bring mir Montag die Papiere«, sagte Edward.
«Hast du dein früheres Testament vernichtet?«, fragte Frank.
«Verbrannt.«
«Gut. Ich komm gegen Mittag vorbei.«
Als sie die Bar leer getrunken hatten, begaben sich die Wallaces zu ihren Autos.
Sissy öffnete die Tür ihres Plymouth.»Ich wünschte, Don McKenna würde sich eine Cadillac-Lizenz besorgen. Poppy, kaufst du mir einen Cadillac?«
«Nun übertreib mal nicht. «Georgia schloß die Tür hinter ihrer Schwester und ging zu dem Cadillac.
«Hab bloß Spaß gemacht, Poppy«, sagte Sissy, die es todernst gemeint hatte.
Vom Scotch betäubt, zuckte Edward nicht zusammen, als er sich auf dem Beifahrersitz zurechtsetzte und Georgia den Motor anließ.
«Frank, sollten wir ihn nicht lieber nach Hause fahren lassen?«
«Schatz, die Autos sind allen Leuten bekannt. Sie werden an den Straßenrand ausweichen. «Frank lachte.
«Dad, ob Vic und ich uns auch so zanken werden?«
«Wir können gleich damit anfangen«, sagte Vic, als sie die leeren Gläser aufs Tablett stellte.
«Ich meine, wegen dem Testament?«Mignon konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Eltern starben, aber die Wallaces waren eine lebhafte Mahnung, daß Geschwister sich um die Beute raufen wie die Hyänen.
«Alles wird euch so vermacht, wie es heute ist«, antwortete ihr R. J. mit fester Stimme.
Franks Augen trübten sich, als er seiner Frau mit einem Nicken zustimmte.
Später, als alle zu Bett gegangen waren, hatte Chris im Gästezimmer neben Mignons Zimmer was zu lachen. Mignon schob ihr andauernd Zettel unter der Tür hindurch. Botschaften wie» Hilfe, ich werde in diesem Zimmer gefangen gehalten«. Chris antwortete mit einer Zeichnung oder sonst etwas.
Jinx schlief in Vics Zimmer, in dem zwei breite Betten standen, mit einem Nachttisch dazwischen. Die meisten Sachen, die in Vics Kleiderschrank hingen, gehörten Jinx.
«Um wie viel Uhr willst du morgen zu deiner Mutter?«Vic schüttelte die Kissen auf. Das Licht war aus.
«Darüber mach ich mir morgen Gedanken«, sagte Jinx.»Es treibt mich zum Wahnsinn, wenn ein alter Mann wie Wallace meint, daß Frauen unvernünftig sind.«
«Laß die Männer denken und sagen, was sie wollen, dann geh hin und mach was du willst. Das ist mein Wahlspruch«, erwiderte Vic.»Ich glaube nicht, daß Charly mal so wird. Ich meine, er ist jetzt nicht so. Er soll bloß nicht zu so 'nem alten Knaben werden.«
«Wer weiß? Wenn ich mir meine Mutter ansehe, kann ich sie mir nicht jung vorstellen. Die Zeit hat wirklich Macht. «Jinx setzte sich auf.»Ich hab Hunger.«
«Iß was.«
«Ich darf nicht. Es ist zu spät. Ich muß zehn Pfund abnehmen.«
«Dann denk nicht ans Essen.«
«Ich werd's versuchen.«
«Jinx, weißt du noch, wie wir über Bestimmung geredet haben?«
Sie glaubten beide an eine Art Bestimmung oder Karma, das ihr Schicksal entschied. Im Laufe der Jahre und in zahlreichen nächtlichen Gesprächen hatte sich diese Vorstellung zu dem Glauben verfestigt, daß jeder Mensch ein vorherbestimmtes Ziel hatte, es aber Hindernisse bei der Erreichung gab. Außerdem passierte auf dem Weg dahin so allerhand. Die Menschen hatten Wahlmöglichkeiten.
«Ja.«
«Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß wir trotz Bestimmung eine individuelle Verantwortung haben.«
«Da kommt die Ehre ins Spiel. «Jinx hatte eine Vision, nicht von Ehre, sondern von Schokoladentorte.»Wie begegnet man seiner Bestimmung? Man kann mutig sein oder nicht. Man kann ihr ins Gesicht sehen oder weglaufen. Daß man vielleicht nicht für das verantwortlich ist, was einem geschieht, heißt nicht, daß man nicht ehrenvoll handeln kann.«
«Ah, du hast eine tiefere Einsicht in die Dinge als ich.«
«Kann schon sein. «Jinx atmete tief ein.»Schokoladentorte.«
«Wer hat was von Schokoladentorte gesagt?«Vic war leicht verwirrt.
«Komm, wir plündern die Küche. Ich muß ein Stück von der Schokoladentorte haben.«
«Na gut. «Vic hatte keinen Hunger, aber sie war ein guter Kumpel. Sie schlüpfte aus dem Bett und warf sich ein übergroßes T-Shirt über.
«Bestimmung. «Jinx zog ihren Morgenrock an.»Es ist meine Bestimmung, Schokoladentorte zu essen.«