14.

Im Eulenhause war eine Veränderung eingetreten. Fräulein Lindenmeyer hatte Besuch.

Es war erst ein mächtiges Hin- und Herschreiben gewesen, und dann war am Morgen nach dem Tage, als Klaudine mit der Herzogin spazieren fuhr, Fräulein Lindenmeyer mit verlegenem Gesicht in die Stube Klaudines getreten, einen offenen Brief in der Hand.

»Ach, Fräulein Klaudinchen, gnädiges Fräulein, ich hätte so eine rechte Herzensbitte.«

»Nun, meine liebe gute Lindenmeyer, dann ist sie bereits gewährt«, hatte Klaudine erwidert, indem sie für Joachims Frühstück Tee aufgoß.

»Aber Sie müssen es ehrlich sagen, gnädiges Fräulein, wenn es nicht paßt. Ich werde alles tun, damit keinerlei Störung zu bemerken ist, aber –«

»Nur heraus damit, Lindenmeyerchen«, hatte das schöne Mädchen sie freundlich ermutigt, »ich wüßte nicht, was ich Ihnen abschlagen könnte, es sei denn, daß Sie das Eulenhaus verlassen wollten, denn das würde ich nicht zugeben.«

»Ich von hier? O gnädiges Fräulein, das würde ich ja nicht überleben! Ach nein, das ist es nicht. Ich erwarte – ich soll – ich bekomme Besuch, wenn es die Herrschaft erlauben will.«

»Ei, wen denn, meine liebe Lindenmeyer?«

»Frau Försters Zweite, die Ida. Sie soll so ein bißchen Schick bekommen und feine Handarbeit lernen. Da hat sich nun die Försterin in den Kopf gesetzt, daß sie das bei mir altem Wurm am schönsten lernen würde. Ich tue es ja auch sehr gern, wenn Sie es erlauben. Sie könnte in dem Kämmerchen wohnen hinter meiner Stube, wenn –«

Die alte gute Seele hatte die Hände über ihren Brief gefaltet und ihre Augen sahen mit gespannter Erwartung zu der jungen Herrin hinüber.

»Na, das wird ja sehr hübsch für Sie«, lautete die freundliche Antwort, »lassen Sie das junge Mädchen nur bald kommen. Sie mag hier bleiben, solange es ihr gefällt.«

So stand anderen Tages, als Klaudine in die Küche trat, eine kleine runde Mädchengestalt am prasselnden Herdfeuer und wirtschaftete dort mit Tassen und Teekessel umher, als ob es gar nie anders gewesen wäre. Ein Paar schelmische blaue Augen sahen über das Stumpfnäschen hinweg zu Klaudine hinüber, und die Besitzerin dieser Augen machte einen etwas unbeholfenen Knicks, als sie die schöne schlanke Gestalt über die Schwelle treten sah.

»Aber, liebes Kind!« sprach Klaudine verwundert.

»Ach, gnädiges Fräulein, lassen Sie mich das tun!« bat das Mädchen zutraulich. »Den ganzen Tag kann ich nicht bei Tante Doris in der Stube sitzen und sticken. Ich käme um dabei, wenn ich nicht ein bißchen Wirtschaft hätte. Bitte recht sehr, lassen Sie mich!«

»Aber das darf ich nicht annehmen, liebe Ida, gewiß nicht, ich verwöhne mich nur dadurch.«

»Ida möchte so gern etwas lernen«, sagte das Mädchen und schlug die schelmischen Augen nieder.

Klaudine lächelte. »Bei mir? 0, da sind Sie schlimm angekommen, ich bin selbst noch eine Lernende.«

»Gnädiges Fräulein, dann will ich nur die Wahrheit sagen, ich kann schon etwas in der Wirtschaft, aber in so manchen anderen Dingen fehlt es mir. Ich möchte nämlich gern eine Stelle als Kammerjungfer in S. annehmen, und da dachte ich, ich könnte, hier so ein wenig wegbekommen, wie man seine Dame zu behandeln hat beim Ankleiden, und so weiter. Lassen Sie mich das bißchen Wirtschaft hier tun und sich dafür meine ungeschickte Hilfe gefallen beim Nähen, Ankleiden und Schneidern.«

Die Blicke des Mädchens hingen so freudig erwartungsvoll an Klaudines Augen und sie selbst fühlte sich so müde und traurig, aber sie antwortete nicht und ging zu Fräulein Lindenmeyer.

»Gestehe es nur, Lindenmeyerchen«, sagte sie, sich zum Scherz zwingend und das alte Fräulein duzend, wie in ihrer Kinderzeit, »du hast dir Besuch eingeladen, um die Last der Wirtschaft von meinen Schultern zu nehmen?«

»Ach, Herzenskindchen«, jammerte das gutmütige Geschöpf, »so hat es die Ida doch dumm angefangen und wir hatten es uns so fein ausgedacht! Seien Sie nicht böse! Ich kann es nicht mit ansehen, wenn Sie des Morgens mit verwachten Augen herunterkommen und so blaß sind, so blaß! Es ist so ein altes Sprichwort: ›Rosenbeet und Ackerland gedeihen nie in einer Hand.‹ Wenn Sie frisch sein wollen bei Hofe, dann müssen Sie auch Ihr Recht haben, sonst ist es bald vorbei mit Ihrem weißen klaren Teint. Heinemann sagt es auch, er hat sich mit mir um die Wette geängstigt Ihretwegen. Und, Fräulein Klaudine, die Ida hat ihren regelrechten Profit dabei. Sie könnte durch ihre Tante die Stelle bei der Gräfin Keller als Kammerfrau bekommen, aber so weg von der Waldwiese geht es doch nicht. Wahrhaftig, es ist so!« beteuerte die alte Seele.

So hatte Klaudine plötzlich eine Hilfe bekommen. Es war eine ordentliche Behaglichkeit in das Haus eingekehrt und eifriger ist wohl nie eine Herrin bedient, herzlicher nie ein Kind verwöhnt worden wie Klaudine und die kleine Elisabeth. Heinemann strahlte ordentlich, wenn er der flinken Dirne auf dem Treppchen begegnete oder sie in der Küche die alten Volkslieder mit halblauter Stimme singen hörte. Jetzt weinte auch die kleine Elisabeth nicht mehr, wenn Tante Klaudine in dem schönen Wagen der Frau Herzogin fortfuhr, und Klaudine saß nicht mehr so abgespannt bei Tische, wie bisher, ohne einen Bissen zu genießen.

»Es ist ganz vornehm bei uns!« lächelte Joachim, als Heinemann zum erstenmal die einfachen Gerichte auftrug und Klaudine ruhig an ihrem Platz verblieb, »ich bin glücklich deinetwegen, Schwester.«

Klaudine hatte ihre Reise aufgegeben. Als sie der Herzogin von ihrer Absicht sprach, war diese in leidenschaftliches Schluchzen ausgebrochen: »Ich kann Sie nicht halten, Klaudine, gehen Sie!« Und da hatte sie, erschreckt und gerührt zugleich, versprochen zu bleiben. Nun kam der Hofwagen, der sie nach Altenstein holte, täglich früher. Die Neigung der fürstlichen Frau zu dem stillen schönen Mädchen wuchs eben täglich, und sie war jetzt ruhig, ganz ruhig. Sie fuhr in der Herzogin Wagen spazieren und saß in dem Boudoir derselben, vorlesend oder plaudernd. Zuweilen freilich trat der Herzog unangemeldet und rasch ein, von einem Freudenruf der fürstlichen Frau begrüßt, aber Klaudine fürchtete seine Begegnung nicht mehr. Keiner jener heißen Blicke war ihr mehr gefolgt, keine Silbe hatte er zu flüstern versucht, sie wußte, er hielt sein fürstliches Wort. Sie kannte ihn genau durch seine Mutter. Wie manchen tollen Streich hatte die alte Herzogin gelegentlich von ihm erzählt, von den Sorgen, die er ihr bereitet, von den Gebeten, die sie im heißen Flehen um diesen Sohn gesprochen, daß er nicht untergehen möge in dem wilden Treiben seiner Jugend! »Und«, hatte die alte Dame dann hinzugefügt, »es war doch nur überschäumende Jugendlust, sein Herz blieb edel. Er war zu lenken, wenn man das richtige Wort fand.« Und Klaudine meinte, sie habe das richtige Wort gefunden. Sie gehörte zu den edlen Naturen, die nicht ruhen, bis sie das Gute in einer Menschenseele entdeckt haben, die suchen und suchen und, wenn sie das Gold gefunden haben, keine Grenzen kennen im Verzeihen.

Sie verzieh dem Herzog stillschweigend die Beleidigung, die er ihr zugefügt hatte, als sie sah, wie ritterlich er seine Leidenschaft bekämpfte, wie er sich bemühte, gegen seine Gemahlin geduldiger zu sein als vordem, wie er in ihr die Freundin dieser Gemahlin ehrte. An die Herzoginmutter schrieb Klaudine, es waren dankbare, gerührte Worte, mit denen das schöne Mädchen ihr Glück pries, sich die bevorzugte Gefährtin der Herzogin nennen zu dürfen. »0, wenn Eure Hoheit wüßten«, hieß es darin, »wie glücklich ich bin in der Liebe und dem Vertrauen des edelsten Herzens, ich sinne nur darauf, wie ich dafür danken kann, daß ich die Freundin dieser liebenswürdigen Fürstin geworden. Ihre Hoheit trägt nicht nur äußerlich die Liebe für ihren hohen Gemahl zur Schau, Ihrer Hoheit ganzes Sein und Wesen ist so in diese Liebe getaucht, daß Hoheit sich verstellen müßten, wollten sie dieselbe verbergen.«

Klaudine schien lebhafter als seit langer Zeit. Sie konnte mit Ungeduld den Wagen erwarten, der sie nach Altenstein holte. Die Herzogin hatte eines Tages, schüchtern wie ein Schulmädchen, ein paar Hefte in Klaudines Hand gelegt. Es waren liebliche kleine Gedichte, von ihr verfaßt. Zuerst jubelnde Lieder der Brautzeit, dann die tiefinnerlichen Glücksworte der jungen Ehefrau, und zuletzt die Verse, die sie aufschrieb an der Wiege ihrer Söhne.

Auch einige kleine Novellen waren darunter, eigentümlich erdacht. Es gab da immer ein paar Menschen, die sich über alles lieben und getrennt werden durch den Tod, durch einen tückischen Zufall, durch ein unabweisbares Verhängnis, niemals aber durch die Schuld des einen oder anderen. Klaudine hatte gestaunt über die traurigen Abschlüsse, aber nicht gewagt, darüber zu sprechen.

So waren acht stille schöne Tage vergangen. Die Neuhäuser hatten diesen Frieden nicht gestört, wie die Herzogin anfänglich befürchtet hatte. Prinzeß Helene war einigemale wie ein Wirbelwind in den Zimmern der Herzogin erschienen, hatte aber deutlich zu erkennen gegeben, daß sie die größtmögliche Eile habe, zu dem süßen Baby ihrer verstorbenen Schwester zurückzukehren. Die alte Prinzeß lag derweilen in Neuhaus mit verletztem Fuß auf einem Ruhebett. Klaudine sah Beate nur einmal flüchtig, als diese in aller Morgenfrühe nach dem Eulenhaus gewandert war, um sich nach einigen kleinen Prinzessinnenangewohnheiten zu erkundigen und eine Menge köstlicher Kuchenstückchen und sonstiger Süßigkeiten abzuladen. Sie sprach sich anerkennend aus über die neue Einrichtung im Eulenhaus, den Besuch des Fräulein Lindenmeyer betreffende Im übrigen war sie still und gedrückt und hatte auf Klaudines Frage nur gesagt, sie wünsche weiter nichts, als vier Wochen älter zu sein. Es sei fürchterlicher, als sie sich gedacht, kein Winkelchen sei im ganzen Hause, wo man seines Lebens sicher wäre vor der Prinzeß, diesem Irrwisch, und Lothar erwidere ihre Klagen mit Achselzucken.

Klaudine hatte das Haupt gesenkt, als käme jetzt ein Blitzstrahl, der die letzte Hoffnung vernichten müßte, aber Beate war still geworden und hatte dann von etwas anderem gesprochen.

Heute, an einem echten köstlichen Sommertage, hatte die Herzogin den Tee im Parke befohlen, dort, wo die Waldbäume an den Garten stoßen, an jenem Platze, wo Joachims Weib für immer eingeschlafen war. Unter den alten Eichen schaukelte die Hängematte der Herzogin, und Klaudine, im leichten weißen Kleide, saß neben ihr auf einem bequemen, mit Leinen überspannten Sessel aus Bambusstäben und las. Vor ihr auf dem Tischchen aus kunstvoller Flechtarbeit lag die unvermeidliche Wollstickerei der Frau von Katzenstein. Diese selbst stand etwas seitwärts und bereitete den Tee. Im Schatten einer mächtigen Kastaniengruppe, von den Damen um die Breite des Kiesplatzes getrennt, spielte der Herzog Luftkegel mit den zwei ältesten Prinzen, dem Rittmeister von Rinkleben und Herrn von Palmer. Das Jubeln der Kinder, das Lachen und das Klappen der umfallenden Kegel tönte herüber und die Augen der Herzogin sahen mit glückseligem Ausdruck dorthin.

»Halten Sie ein, Klaudine«, bat sie jetzt. »Der Tag ist so schön, die Sonne so golden und diese Erzählung so düster. Heute erscheint mir das so unnatürlich. Was glauben Sie, was noch geschehen wird? Mit jenen beiden in dem Buche, meine ich.«

»Hoheit, ich fürchte, es endet entsetzlich«, sagte die junge Dame und legte gehorsam das Buch auf den Tisch.

»Er hat sich ja bereits Gift verschafft«, gab die Herzogin zu.

»Ja«, erwiderte Klaudine, »sie wird sterben müssen.«

»Sie?« fuhr die Herzogin erstaunt auf, »aber, beste Klaudine, welch entsetzliche Phantasie! Er selbst will sich vergiften, weil er fühlt, er kann mit ihr nicht leben, und ebensowenig ohne die andere.«

»Ich weiß nicht, Hoheit«, stotterte das Mädchen, »dem Gange der Geschichte nach vermutete ich –«

»Bitte, geschwind das Buch!« rief die Herzogin. Sie schlug es auf und las das Ende. »Mein Gott, Klaudine, Sie haben recht«, sagte sie dann.

»Es ist psychologisch auch nicht anders möglich, wenn Hoheit der Charakterschilderung des Mannes, gefolgt sind –«

»Es ist mir nichts besonderes an ihm aufgefallen«, unterbrach die Herzogin. »Nein, Klaudine, das ist unwahr! Wir wollen das Buch nicht weiterlesen, die Welt ist so schön und ich bin so froh, so leicht heute.«

Sie warf die seidene Decke zurück, die über ihr mattrotes Foulardkleid gebreitet war, und winkte mit der Hand hinüber zu den Kastanien.

»Sehen Sie, Klaudine, da kommt eben der Herzog. Er scheint müde vom Spiel. Mein lieber Freund, ich bin etwas zu faul heute für unsere Dominopartie, aber vielleicht übernimmt Fräulein von Gerald meine Stelle? Bitte, das Tischchen hierher«, befahl sie und wandte sich in der Hängematte herum, stützte das Haupt auf die Hand und sah zu, wie der Herzog Klaudine gegenüber Platz nahm, die Steine verteilte und die seinigen aufbaute.

Klaudines schlanke Finger begannen plötzlich zu zittern, sie neigte das schöne Gesicht tiefer über die schwarzweißen Steinchen und eine rosige Glut stieg ihr bis unter das wundervolle üppige Blondhaar. Dort drüben, jenseits des Rasenplatzes, war etwas blaues aufgetaucht, flatterte näher wie ein zierlicher Schmetterling und blieb dann mit einemmal regungslos stehen. Und hinter diesem Blauen?

»Ah, mein Kind«, sagte die Herzogin halblaut, »Sie scheinen zerstreut, der Herzog wird das Spiel gewinnen.«

»O, das ist ja eine idyllische Gruppe, das ist, als habe Watteau sie gestellt! Ich fürchte, Baron, wir stören«, rief die in hellblaues Leinen gekleidete Prinzessin und wandte sich mit einem halb spöttischen, halb ärgerlichen Ausdruck nach rückwärts, wo ihre Mutter am Arme des Schwiegersohnes ging, gefolgt von dem Kammerherrn und der Hofdame. Und sie blickte in Lothars Gesicht, das, wie aus Erz gegossen, keinen Zug veränderte.

Die alte Prinzessin nahm die Lorgnette vor die Augen und sagte, ohne eine Miene zu verziehen: »Vorwärts, mein Kind, du wünschtest Elisabeth zu überraschen, übernimm also die Anmeldung, bitte!«

Prinzeß Helene bewegte sich vorwärts, aber sie flatterte nicht mehr und ihre schwarzen Augen sahen sehr unzufrieden drein. Sie klappte geräuschvoll ihr Sonnenschirmchen zu, als sie sich näherte, und blieb dann mit einer schmollenden Miene stehen. »Verzeihung, Hoheit, wenn ich störe –«

Die Herzogin blickte auf und lachte. »Wo kommst du her, Wildfang?« Und sie streckte ihr die Hand entgegen. »Bist du über die Mauer geflogen, oder –?«

»Mit dem Neuhäuser Wagen gekommen. Mama, Baron Gerold und die anderen sind dort hinten und bitten um den Vorzug, Hoheit begrüßen zu dürfen.«

Sie verneigte sich anmutig vor dem Herzog und küßte die Hand der Herzogin. Klaudine, die neben dieser stand, schien Ihre Durchlaucht nicht zu bemerken.

Der Herzog schritt der alten Prinzessin entgegen und führte sie seiner Gemahlin zu, Lothar kam bei der Begrüßungsszene neben Klaudine zu stehen, aber vergeblich wartete sie auf ein Wort, sie erhielt nur eine stumme Verbeugung. Man nahm Platz, ein lebhaftes Gespräch entspann sich zwischen den fürstlichen Damen. Prinzeß Thekla bat um Entschuldigung, daß sie sich so unverantwortlich spät nach dem Befinden Ihrer Hoheit erkundigt habe, aber sie habe einen Unfall auf der Neuhäuser Schloßtreppe erlitten und sechs Tage lang Arnikaumschläge auf dem Fuße gehabt, auch wären Prinzeß Helenes Besuche so flüchtig gewesen, sie sei aus der Kinderstube und aus dem Neuhäuser Schlosse gar nicht wegzubringen, sie habe sich sogar von Fräulein Beate eine leinene Schürze geborgt und sei mit ihr in allen Wirtschaftsräumen umhergelaufen, auf dem Boden und in Keller und Speisekammer. »Gestern ertappte ich sie in der Küche beim Himbeereinkochen! Ja, ja, verstecke nur deine Arbeitsfingerchen!«

Die Herzogin wandte sich lächelnd an Prinzeß Thekla. »Wie befindet sich das Enkelkindchen?« fragte sie.

»Nun, es erholt sich ja«, antwortete die alte Dame widerwillig, »aber noch lange nicht genügend. Die gute Berg hat wohl die Vorschriften des Arztes etwas allzustreng befolgt – niemals Medizin, aber dafür kühle Abwaschungen und frische Luft von früh bis abends. Das Kind ist dafür viel zu zart.«

»Mein Töchterchen läuft bereits ein wenig, wenn auch noch schwankend«, fügte der Baron gelassen hinzu, »und da sie die normale Größe einer zweijährigen jungen Dame hat, klettert sie auf Sofas und Stühlen umher.«

»Noch lange nicht genug«, wiederholte Prinzeß Thekla.

»Ich bin mit diesem wenigen schon sehr zufrieden«, erwiderte er.

Klaudine hatte sich inzwischen freundlich zu Komtesse Moorsleben gewandt und fragte sie irgend etwas. Wenige Worte, wobei die lustigen braunen Augen der jungen Dame nach einer ganz anderen Richtung schauten, waren die Erwiderung.

Befremdet schwieg Klaudine. Die kleine Prinzessin ihr gegenüber im Schaukelstuhl sah sie schon eine ganze Weile mit herausfordernden Blicken an. Klaudine richtete ihre schönen blauen Augen ruhig und wie fragend auf diese dreisten schwarzen Sterne, da wandte sich der dunkle Lockenkopf und ein verächtlicher Zug flog um den fast zu vollen kleinen Mund.

»Die jungen Damen sollten eine Partie Krocket spielen «, schlug die Herzogin vor. »Die Herren dort drüben werden sich gern beteiligen. Meine liebe Klaudine, geleiten Sie die Prinzessin und Komtesse Moorsleben hinüber und geben Sie den Befehl die Reifen aufzustellen.«

Klaudine erhob sich.

»Verzeihung, Hoheit, – ich danke!« sagte Prinzeß Helene, »ich bin etwas ermüdet.« Sie legte den Kopf an die Lehne des Schaukelstuhles und wiegte sich langsam. Komtesse Moorsleben setzte sich auf die abschlägige Antwort ihrer Gebieterin sofort wieder hin. Auch Klaudine nahm ruhig Platz.

Es wurde Eis gereicht und Tee und Kaffee in kleinen Porzellantassen. Die Herren kamen jetzt vom Spielplatz herüber und gesellten sich zu den Herrschaften. Klaudine sah plötzlich zwei Herren hinter ihrem Stuhl, Herrn von Palmer und den Rittmeister von Rinkleben. Sie wandte sich zu letzterem und war bald mit ihm im Gespräch. Da sie seine jüngere Schwester aus der Pension kannte, fragte sie nach ihrem Ergehen. Er gab einen langen Bericht über ihre Heirat und das Glück, das sie gegen alle Erwartung darin gefunden. Enge Verhältnisse, schmales Auskommen, und doch sei sie heiter und zufrieden.

»O ja«, stimmte die junge Dame bei, »es läßt sich mit ein wenig Zufriedenheit das engste kleine Heim ganz köstlich ausschmücken.«

»Ein sprechendes Beispiel gibt gnädiges Fräulein selbst; Eulenhaus ist ein Idyll, ein Traum, wo Sie walten wie eine Fee des Behagens«, fiel Palmer ein. »Das Bewußtsein freilich, daß dies nur eine Episode ist, hilft wohl diesen Zauber vollenden. Es ist leicht, zufrieden zu sein, schaut man in der Ferne einen Tempel des Glückes.«

Klaudine sah ihn fragend an.

»Etwas dunkel, Herr von Palmer, ich verstehe Sie nicht«, sagte Klaudine.

»Wirklich nicht? Ah, meine Gnädige, bei Ihrer glänzenden Fassungsgabe. Es muß Ihnen doch sehr heimisch hier vorkommen«, fuhr er ablenkend fort, »hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, wo Sie endgültig den Sitz Ihrer Väter wieder beziehen. Die ewigen Fahrten von und nach dem Eulenhause sind doch lästig, meine ich, und noch dazu in nächster Zeit, wo die Festlichkeiten in Altenstein und Neuhaus sich jagen werden.«

»Ich habe heute Unglück, Herr von Palmer, schon wieder will mir der Sinn Ihrer Rede nicht klar werden.«

»So betrachten Sie doch die Worte prophetisch, Fräulein von Gerold!« sagte eine helle Stimme, und der Erbprinz, ein bildschöner Junge von zwölf Jahren mit den großen schwärmerischen Augen seiner Mutter, rückte mit seinem Sessel zu Klaudine hinüber, »Propheten reden ja immer dunkel«, setzte er hinzu.

»Bravo, Hoheit!« rief Herr von Palmer lachend.

»Ich wollte, Herr von Palmer hätte wahr geweissagt«, fuhr der Erbprinz fort und sah mit der knabenhaft kecken Bewunderung seines Alters auf das schöne Mädchen. »Sie könnten wohl ganz zur Mama kommen, gnädiges Fräulein. Mama sagte erst gestern zu Papa, es würde nett sein, wenn Sie nicht immer wieder fortführen.«

Herr von Palmer lächelte noch immer.

»Das kann ich leider nicht, Hoheit, ich habe daheim meine Pflichten«, erwiderte Klaudine ruhig. »Wie gern käme ich sonst nach meinem lieben Altenstein!«

»Es ist eine köstliche Besitzung«, lenkte der Rittmeister ab, »welch wundervoller Garten!«

»Er war Großpapas Steckenpferd«, bemerkte Klaudine traurig.

»Sie haben hier immer mit Ihrem Bruder und anderen Kindern >Räuber und Prinzessin< gespielt, als Sie noch klein waren?« fragte der Erbprinz, ohne einen Blick von dem Gesicht der jungen Dame zu wenden.

»Dort unten«, nickte sie und wies nach links, »an der Mauer, wo die kleine Pfortentür ist, die wurde dann zu Ausfällen benutzt.«

»Herr Rittmeister«, rief Prinzeß Helene jetzt laut, »ich möchte nun doch eine Partie Krocket machen! Kommen Sie, Isidore!«

Die Komtesse und der Rittmeister erhoben sich und eilten nach dem Rasenplatz. Prinzeß Helene zögerte noch, »Baron«, sagte sie dann zu Lothar von Gerold, »sind Sie nicht auch dabei?«

Er erhob sich und schaute sie an, während er sich zustimmend verneigte. »Haben Durchlaucht schon alle Personen befohlen, die am Spiel teilnehmen sollen?« fragte er dann.

»Warum? Sie sehen ja, wir sind zwei zu zwei.«

»Nicht mehr als vier? Ah so! Hoheit!« wandte er sich an den Erbprinzen, »Prinzeß Helene wünscht Krocket zu spielen – ich weiß, wie Sie das Spiel lieben.«

Der Fuß der kleinen Durchlaucht trat ungeduldig den Rasen.

»Ich muß bedauern«, erwiderte der Prinz ernsthaft, »Fräulein von Gerold hat soeben versprochen, mir den Platz zu zeigen, wo ich mit meinem Bruder am besten eine Festung bauen kann. Das ist mir interessanter.«

Baron Lothar lächelte. Er blieb einen Augenblick stehen und sah, wie der junge Prinz Klaudine mit einer allerliebsten Wichtigtuerei den Arm bot.

Die Herzogin folgte dem schönen Mädchen am Arm des Knaben mit erstaunter Miene. »Warum spielt Fräulein von Gerold nicht mit?« fragte sie den Baron.

»Hoheit, Prinzeß Helene wählte soeben selbst ihre Mitspieler«, erwiderte er.

»Bitte, Baron«, sagte die Herzogin liebenswürdig, aber bestimmt, »gehen Sie Ihrer Cousine nach und sagen Sie ihr, wie sehr ich bedaure, daß man sie aufzufordern vergaß, und bringen Sie sie womöglich zurück. Der Hofmeister des Erbprinzen, der dort eben kommt, wird so lange Ihre Stelle übernehmen.«

Der Baron verbeugte sich und ging, sich bei der Prinzeß zu entschuldigen und dem Hofmeister den Hammer in die Hand zu drängen. Dann schlug er langsam und auf Umwegen die Richtung ein, die seine Cousine genommen hatte.

Die Nase der alten Prinzeß war während dieses Vorganges plötzlich spitz und weiß geworden.

»Verzeihung, Hoheit«, sagte sie und setzte die zierliche Tasse klirrend auf das Tischchen, »Helene hatte sicher nicht die Absicht, zu kränken, sie meint es nur gut und sie liebt Eure Hoheit schwärmerisch. Ihr ehrliches Herz geht eben immer mit ihr durch, und –«

»Ich sehe nicht ein, was die Ehrlichkeit damit zu tun hat, liebste Tante«, erwiderte die Herzogin und ihre Wangen färbten sich purpurn vor Erregung.

Herr von Palmer sah zu dem Herzog hinüber, der von diesem kleinen Wortwechsel nicht die geringste Notiz nahm. Hoheit spielte mit seinem Augenglas, indem er ernsthaft der weißen schwebenden Mädchengestalt nachschaute, an deren Arm zutraulich der Erbprinz hing und sie nach allem möglichen befragte. Sie war schon eine ganze Weile in dem dichten Gewirre eines Jasmingebüsches verschwunden. Da wandte der Herzog langsam den Kopf zurück und begegnete den Augen der Prinzeß Thekla, die noch funkelnder aussahen als sonst, es lag ein verbissener, schadenfroher Ausdruck über ihrem mageren Gesicht.

»Er macht zeitig den Hof«, sagte der Herzog unbefangen, »der Junge ist ja Feuer und Flamme!«

»Und guten Geschmack hat er auch«, ging die Herzogin fröhlich auf den Scherz ein.

»Das hat er von seinem Papa«, schrillte die Stimme der alten Prinzessin, und das liebenswürdigste, harmloseste Lächeln der Welt verdrängte für einen Augenblick die Verbissenheit. Sie sah aus, als hätte sie nie ein Wässerchen getrübt, und setzte sich noch einmal so aufrecht in ihren Stuhl zurück.

Der Herzog nahm verbindlich den Hut ab und verneigte sich vor ihr.

»Ja, meine allergnädigste Tante, ich sah stets lieber eine schöne Frau, als eine häßliche, und wenn Sie meinen, der Erbprinz habe diese Eigenschaft von mir, so machen Sie mich glücklich. Ich danke Ihnen.«

In Herrn von Palmers scharfgeschnittenem Gesicht wetterleuchtete es vor unterdrückter Heiterkeit. Es war ja unbezahlbar. Wenn die Berg das hören könnte! Prinzeß Thekla zupfte nervös an den Spitzen ihres Taschentuches, die Herzogin aber warf dem Gemahl einen bittenden Blick zu, sie kannte vollauf seine Abneigung gegen Tante Thekla. – Jetzt würdigte sie Seine Hoheit keines Wortes mehr, sie wandte sich zu der Herzogin und überschüttete sie mit wahrhaft unheimlichen Freundlichkeiten, die eine mitleidige Färbung hatten, wie man zu Leuten zu sprechen pflegt, die unverschuldet einen großen, großen Kummer tragen, eine Freundlichkeit, die nervöse stolze Naturen bis aufs Blut peinigen kann.

Die Herzogin verstand sie nicht, aber sie litt unter all den Fragen und Ratschlägen und Erkundigungen, und als endlich Prinzeß Thekla seufzte: »Wenn ich nur ganz gewiß wüßte, ob Eurer Hoheit dieses Altenstein gut tun kann?« ward sie ungeduldig und bat, man möge sie hinaufführen, sie fühle sich ermüdet.

Das galt als Zeichen zum Aufbruch. In kurzer Zeit war der Platz unter den Eichen leer, lagen die bunten Kugeln verlassen auf den Wegen, und auf der Straße rollten die beiden Prinzessinnen nebst ihrer Begleitung Neuhaus zu.

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