Das Fest in Neuhaus war auf seinem Höhepunkt angelangt. Der warme Sommerabend, ohne jede Zugluft, machte es selbst der leidenden Herzogin möglich, im Freien zu bleiben. Die Purpurvorhänge des Zeltes, das unter den Linden unfern des Tanzplatzes stand, waren weit zurückgenommen. Sie lehnte dort im bequemen Sessel, umgeben von einem dichten Kreis von Damen und Herren. Das wunderbare Licht, welches Dämmerung, Mondschein und Hunderte von farbigen Laternen schufen, ließ ihr schmales Gesicht unter der schwarzen, mit Brillantnadeln befestigten Spitzenmantille noch blässer erscheinen als sonst, und die Augen größer noch und glutvoller. Sie trug ein granatrotes kurzes Kleid mit dem Spitzensaum und das schwarze goldgestickte Jäckchen der Andalusierin. Auf den schmalen schwarzen Atlasschuhen blitzten Brillantschnallen.
Prinzeß Thekla in grauem Atlaskleid saß neben ihr.
Vor ihnen breitete sich das reizvollste Bild aus unter den Zweigen der hundertjährigen Linden, deren Blätter smaragden schimmerten in dem Lichte zahlloser Flammen. Eine Fülle von Jugend und Schönheit wogte dort, die Gruppen dieser phantastischen, wie aus dem Feenreiche entstammenden Gestalten waren umschmeichelt von dem betäubenden Duft der Lindenblüte, umrauscht von den prickelnden Klängen eines Straußschen Walzers.
»Ein Fest, wie zu Goethes Zeit in Tiefurt«, sagte die Herzogin.
»Besonders, wenn man die schöne Gerold sieht. Bitte, Hoheit, betrachten Sie diese Gestalt – wahrhaft klassisch!«
Der Sprechende, dessen schmales Gesicht eitel Entzücken verriet, stand hinter dem Stuhl Ihrer Hoheit und seine Blicke deuteten auf Klaudine.
»O ja, mein lieber Graf«, erwiderte die Herzogin und betrachtete ihren Liebling mit leuchtenden Augen, »sie ist, wie immer, der Stern des Abends.«
»Hoheit sind allzu bescheiden«, sagte Prinzeß Thekla und ihre kalten Augen blickten vernichtend nach der bezeichneten Richtung.
Klaudine stand außerhalb des girlandenumschlungenen Tanzplatzes auf dem Rasen. Der alte Herr hatte nicht zuviel behauptet, nie war wohl ihre eigenartige Schönheit mehr zur Geltung gekommen, als an diesem Abend in der Tracht der Urgroßmutter. Sie trug das prachtvolle Blondhaar zu einem antiken Knoten am Hinterkopf zusammengebunden, ein schmales Diadem, in dessen Mitte ein Brillantstern funkelte, krönte den schönen Kopf. Die kurze Taille zeigte wundervoll geformte Arme und Schultern, nur leicht von einem seidenglänzenden Flor umhüllt. Ein kurzes enges Unterkleid aus weißem, durchsichtigem Seidengewebe, am Saum mit breiter Silberstickerei verziert, ließ kleine rosa Schuhe mit kreuzweise gebundenen Bändern sehen. Und dieses duftige Kleid ward vervollständigt durch eine mattrosa Schleppe aus schwerer Seide, ein Strauß frischer Zentifolien schmückte die Brust. – Aus den Falten dieses Gewandes wehte noch heute ein feiner Lavendelduft, das Parfüm jener geistesvornehmen, lebensvollen, sprühenden Vergangenheit.
Es mochte wohl Seine Hoheit förmlich berauschen, denn der Herzog stand bereits seit einer Viertelstunde vor dem schönen Mädchen, das, die schweren Falten der Schleppe in der Hand, wie fluchtbereit mit unruhigen Augen an ihm vorüberspähte, als suche sie nach einer Gelegenheit zu entschlüpfen. Man hatte einen förmlichen Respektkreis um sie und den Herzog gebildet, als wollte man Seiner Hoheit Gelegenheit geben, unbelauscht mit der schönen Gerold zu plaudern, und dennoch, während man dort, scheinbar mit sich selbst beschäftigt, fragte, plauderte, neckte, waren aller Augen verstohlen auf jenes reizende Mädchen gerichtet, welches von herzoglicher Huld und Gnade so auffallend ausgezeichnet ward.
Prinzeß Helene, die als Griechin gekleidet mit dem Adjutanten Seiner Hoheit in einen Reigen eingetreten war, sah es mit heimlicher Freude. Sie wandte ihr dunkles Köpfchen energisch herum, sie mußte doch sehen, wie der Baron dieses Beisammensein vor aller Augen beurteilte. Eben stand er noch an jenen Baumstamm gelehnt, ein Glas eisgekühlten Sekt in der Hand, mit dem er einige Kelche berührt hatte, die ihm zwei oder drei Herren entgegenhoben. Jetzt war er verschwunden. Blitzschnell drehte sich das Köpfchen nach jener Seite, wo Klaudine stand, und ihre Lippen preßten sich aufeinander – denn jetzt schritt Baron Lothar auf das Paar zu.
»Verzeihung, Hoheit! Ihre Hoheit die Frau Herzogin wünschen Fräulein von Gerold zu sprechen. Darf ich bitten, Cousine?«
Klaudine verbeugte sich tief und legte ihre Fingerspitzen auf Lothars Arm, der sie langsam dem Zelte der Herzogin zuführte.
»Treten Sie einen Augenblick zu Ihrer Hoheit«, sagte er ruhig, »es möchte sonst auffallen. Nachher –«
Sie blieb stehen und sah ihm in das unbewegte Gesicht. »Ich denke, Ihre Hoheit will mich sprechen?«
»Nein«, erwiderte er gelassen, »ich sah nur, daß Sie wie auf Nadeln standen, und erblickte hundert lauernde Augen auf Sie gerichtet. Überhaupt«, fuhr er fort, »da ich Sie doch einmal hier sehen muß heute abend, würde ich Sie am liebsten in der Nähe Ihrer Freundin bewundern. Ich denke, Sie in Ihrer blonden Schönheit neben der Andalusierin würden das reizvollste Bild des Abends sein – gönnen Sie es uns!«
Sie zog die Hand von seinem Arm zurück. Die Erleichterung, mit der sie seiner Aufforderung gefolgt war, wich einer heißen Empörung, aber sie vermochte nicht mehr zu erwidern, schon stand sie vor der Herzogin.
»Kiaudine«, sagte diese und reichte ihr die Fingerspitze, »warum tanzen Sie nicht? Ich möchte Sie in diesem Reigen sehen, ich glaube, in jener Gruppe fehlt noch das vierte Paar. Herr von Gerold, bitte!«
Sie konnte sich nicht weigern, mechanisch nahm sie seinen Arm. Lothar blieb schweigend, es war ein merkwürdig stummes Paar, gleichwohl das schönste von allen. Kaum war die Schlußverbeugung des Tanzes geschehen, so fragte sie: »Wo ist Beate?«
»Sie wird im Schlosse sein«, erwiderte er.
Sie dankte und schlug eilig den Weg dorthin ein. In der großen Halle hatte man für einige wenige Auserkorene die Tafel gedeckt. Die mächtigen Flügeltüren waren zurückgeschlagen und ließen den Blick in den erleuchteten Garten frei.
Beate stand an der Tafel und wiederholte ihre Anordnungen einem halben Dutzend Dienern zum soundsovieltenmal. Sie schlug fröhlich in die Hände, als sie Klaudine erblickte.
»Wahrhaftig, Herzenskind«, rief sie, »du bist unheimlich reizend heute in deinem vorweltlichen Kleide da. Und wie gut sich der Urgroßmutterstaat erhalten hat, nicht einmal das Silber ist schwarz geworden!«
Sie klopfte der Cousine die Wange, und auf die Tafel zeigend, die blitzte und funkelte, fragte sie: »Ist's recht so, Klaudinchen? Von dort oben, wo Ihre Hoheit sitzt, kann man das Feuerwerk am besten sehen. Du kommst hier etwas weiter unten her, diese zwölf Gedecke sind für die Prinzessinnen und ihre Herren. Die anderen müssen sich an allen den kleinen Tischen im Garten oder im Saale verteilen, wie das Geschick sie zusammenführt. Dort stehen die Körbchen mit den Losen, ich habe deinen Rat befolgt.«
»Ich bitte dich, Beate, laß mich von der herzoglichen Tafel weg«, rief Klaudine flehend, »ich sitze irgendwo anders lieber.«
»Damit mir deine Hoheit den ganzen Abend ein böses Gesicht zieht! Nein, mein Schatz, daraus wird nichts, beiße nur in den sauren Apfel. Wer dein Nachbar wird, weiß ich allerdings nicht. Aber verzeih, ich muß noch einmal zu der Mamsell.«
»Beate!« rief Klaudine, aber diese war schon hinter dem Teppich verschwunden, der den Flur heute von der Halle abschloß. Zögernd schritt sie dem Ausgang zu. Am liebsten wäre sie noch in dieser Minute auf den dünnen Sohlen die steinigen Waldwege entlang gewandert nach ihrem friedvollen, weltabgeschiedenen Heim. Drüben klangen jetzt die Töne eines Walzers, ihr war so bitter zumute. Sie wußte sich frei von Schuld, und dennoch wich ein beklemmendes Gefühl nicht von ihr. Sie wußte, daß der Herzog deshalb noch zugesagt hatte, weil die Durchreise des Großherzogs von Z., den zu begrüßen er nach der nächsten Bahnstation hatte fahren wollen, abgemeldet worden war. Und dennoch, auf all diesen Gesichtern hatte sie einen so sonderbaren Ausdruck gelesen, man war so beflissen gewesen zurückzutreten, als Seine Hoheit sich näherte, und er hatte sie aus der Nähe des Herzogs entfernt mit einer Bemerkung, so unartig, so unritterlich wie möglich! Sie preßte die Lippen aufeinander.
Plötzlich hob sie den Kopf. Ein eigentümlicher Laut, der grell über der gedämpften Musik schwebte, ließ sie aufhorchen, sie wußte nicht, kam er aus der Halle oder von draußen. Es klang wie der ängstliche Schrei eines Tieres. Aber jetzt – nein, das war eine Kinderstimme – angstvoll, gellend scholl sie herunter von dort oben. Im nächsten Augenblick flog Klaudine die Stufen empor, eilte durch den breiten oberen Flur und trat in die weitgeöffnete Tür, aus der die Klagetöne erschollen.
Der rosa Schein der leise schwankenden Ampel erhellte nur matt das Gemach. Zunächst sah Klaudine nichts als den großen weichen Spielteppich der Kleinen mit durcheinander geworfenen Puppen und anderem Spielzeug, und das leere Bettchen, dessen Vorhänge weit zurückgeschlagen waren. Das Weinen war verstummt, nichts rührte sich. Klaudines Blicke forschten umher, dann trat sie einen Schritt näher und ihre Augen wurden starr vor Entsetzen. Dort im weit geöffneten Fenster, nicht mehr auf der inneren Fensterbank, nein, auf der Steinbrüstung außen kauerte das Kind! Sein langes Nachtkleid hatte sich hindernd um die Beinchen gewickelt, es saß da ganz frei, den Rük- ken nach der Tiefe gewendet, und starrte mit tränenerfüllten Augen die unerwartete Erscheinung der fremden Dame an. Die geringste Bewegung – und das Kind mußte hinunterstürzen.
Atemlos stand das junge Mädchen einen Augenblick, blitzschnell kreuzten sich die Gedanken hinter ihrer Stirn. Würde das Kind erschrecken, wenn sie näher trat? »Barmherziger Gott, hilf mir!« flüsterte sie.
Über ihr starres Gesicht glitt plötzlich ein Lächeln, mit raschem Griff hatte sie ihr Armband abgenommen und drehte es spielend und lockend hin und her, während sie einen Schritt vorwärts tat, und noch einen und noch einen. Jetzt erfaßte sie das lange Kleidchen, ein schwacher Schrei entrang sich – der kleine Körper schlug rückwärts, aber kraftvoll griff die zweite Hand nach, und im nächsten Augenblick kniete sie auf dem Teppich, das zu Tode erschreckte Kind im Schoß. Die zitternden Knie hatten ihr den Dienst versagt, halb ohnmächtig sank ihr Kopf gegen den Pfeiler eines Spiegeltisches, während ihre blauen, großen Augen wie erloschen aus dem kreideweißen Antlitz blickten.
Es kniete jemand neben ihr, genau so erschreckt, so blaß, so zitternd. Zwei heiße Lippen preßten sich auf ihre Hände und auf des Kindes Gesichtchen.
»Lothar!« murmelte sie und strebte zitternd empor.
Er nahm ihr das Kind vom Schoß, trug es ins Bettchen und trat dann zu ihr, die hochaufgerichtet dort stand und nun mit schnellen Schritten an ihm vorüberstrebte.
»Klaudine!« scholl es bebend, und seine Gestalt vertrat ihr den Weg.
»Es war beinahe zu spät«, sagte sie und versuchte zu lächeln.
Er faßte ihre Hand und führte sie zu dem Bettchen. Die Kleine saß aufrecht darin und lachte. Er hob sie empor und hielt des Kindes Gesicht an die blasse Wange des Mädchens.
»Bedanke dich!« sagte er mit seltsam bewegter Stimme, »dein Vater darf es nicht.«
Klaudine sah, wie die Hände, die das Kind hielten, zitterten. Sie küßte flüchtig die kleine Wange.
»Ich war vorher sehr zornig auf mich«, sprach sie kühl, »daß ich Ihre Einladung doch noch annahm, Vetter – ich darf mir jetzt wohl verzeihen.«
Eine schwüle Pause entstand. Die Kleine hatte jauchzend nach dem Stern in dem blonden Haar gegriffen, Klaudine mußte den Kopf neigen, um die Fäustchen zu lösen. Draußen flog eben mit zischendem Laut eine Rakete empor, das Zeichen für den Beginn des Mahles. Musik, Lachen, plaudernde Stimmen drangen deutlicher herauf, und ein glutroter Schimmer brach durch die Fenster.
Sie war vor den Spiegel getreten, um die zerzausten Löckchen etwas zu ordnen. Sie sah nicht den leidenschaftlichschmerzlichen Blick der dunklen Männeraugen, die ihr folgten, wie sie nicht gesehen hatte, daß vor ein paar Minuten in der weit geöffneten Tür eine zierliche Gestalt im blaßblauen Seidenröckchen wie hingeweht gestanden hatte, um gleich wieder zu fliehen, als sei dort in dem dämmernden Zimmer etwas entsetzliches zu erblicken gewesen, während es doch das entzückendste Bild war, ein schlankes Mädchen an der Seite des schönen Mannes, der sein spielendes Kind auf den Armen hält.
»Ich werde veranlassen, daß die Wärterin kommt«, sagte Klaudine jetzt im Hinausgehen, »die kleine Unternehmungslustige möchte sich sonst zum zweitenmal aus dem Bettchen entfernen.«
In diesem Augenblick erschien zwar nicht die unzuverlässige Kinderfrau, wohl aber Frau von Berg.
»Sie werden die Güte haben, Frau von Berg, an Leonies Bett zu bleiben, bis die Kinderfrau, die Sie übrigens vortrefflich unterrichtet zu haben scheinen, zur Stelle ist. Ich möchte nämlich nicht gern, daß die Kleine noch einmal in die Gefahr kommt, dort hinauszustürzen.«
Klaudine war rasch auf den Flur getreten, sie konnte nicht mehr das namenlos bestürzte Gesicht der schönen Italienerin erblicken, die auf ein paar verzweiflungsvoll geflüsterte Worte der Prinzeß Helene über das befremdende Schauspiel kraft ihres Amtes einmal in der Kinderstube nachschauen wollte. Klaudine schritt schon am Ende des Ganges, als Lothar sie einholte. Nebeneinander betraten sie die Treppe, die in die Halle führte.
Es ging wie staunende Bewunderung einen Augenblick durch alle die Menschen, die den Raum füllten oder draußen vor der Halle standen. Die Herzogin aber winkte mit ihrem Granatstrauß empor.
»Klaudine«, sagte sie, als das Mädchen vor ihr stand, »wir haben beschlossen, mitzulosen. Warum sollten sich der Herzog und ich nicht auch einmal dem Zufall anvertrauen? Unsere liebenwürdige Wirtin hat noch rasch unsere Namen hineinwerfen müssen.«
Und als jetzt Komtesse Moorsleben in einem blumigen Rokokokostüm mit zierlichem Knicks Ihrer Hoheit die silberne Schale darbot, welche die goldgeränderten Zettelchen mit den Namen der Herren enthielt, griff die schmale Frauenhand keck hinein und entnahm eine der kleinen Rollen. Prinzeß Thekla dankte. Die Hand der Prinzeß Helene, die einen Schritt hinter Ihrer Hoheit stand, zitterte, als sie den kleinen Zettel nahm.
»Liebste Klaudine«, sprach die fürstliche Frau, »Ihr Schicksal winkt«, und die Angeredete ergriff nun auch eines der Zettelchen.
»Noch nicht lesen!« sagte die Herzogin. Ihre großen, dunklen Augen glänzten freundlich, sie stützte sich leicht auf Klaudines Arm.
Das weiß gepuderte Köpfchen der hübschen Hofdame war hin und wieder aus der Menge aufgetaucht. Jetzt hielt sie das geleerte Silberkörbchen in die Höhe, und im nämlichen Augenblick begann die Kapelle den Hochzeitsmarsch aus dem »Sommernachtstraum«.
Die Damen sollten die ihnen durch das Los zugeteilten Herren zur Tafel führen. So war es von Prinzeß Helene bestimmt. Lachen, Ausrufe wurden laut.
Ihrer Hoheit Augen leuchteten. Sie hatte den Namen eines blutjungen, schüchternen Leutnants auf ihrem Zettel gefunden.
»Nun, Klaudine?« fragte sie, indem sie in das Papier der Freundin blickte. »Oh!« machte sie dann, »Seine Hoheit!«
Klaudine war bleich geworden, der Zettel in ihrer Hand bebte. »Eigentümlicher Zufall!« flüsterte eine leise Stimme hinter ihr.
Die Herzogin wandte sich langsam um und maß Prinzeß Helene mit einem kühlen Blick von oben bis unten. Aber aus ihren Augen war plötzlich die harmlose Freude gewichen. Stumm legte sie ihren Arm in den Klaudines und zog das Mädchen vorwärts durch die suchende, wogende Menge, die ehrerbietig zurückwich.
»Hier, mein Freund«, sagte sie zu dem Herzog, der noch immer neben Palmer stand, »deine Tischnachbarin, die dir ein gütiges Geschick bestimmte. Mein Herr von Palmer, bringen Sie mir den Leutnant von Waldhaus, er wurde mir durch das Los zugeteilt.«
Herr von Palmer flog davon. Die fürstliche Frau stand, das Antlitz lächelnd in dem Granatstrauß geborgen, neben Seiner Hoheit und Klaudine. Dann kam atemlos, dunkelglühend, ein schlanker, blonder Husarenoffizier und verneigte sich tief vor Ihrer Hoheit.
Der Herzog wandte sich mit Klaudine dem Garten zu und deutete auf das Dunkel der Linden. »Es ist schwül hier in der Halle«, erklärte er. Auf den Stufen der Treppe blieb er stehen und blickte in das von peinvoller Verwirrung unsagbar liebliche Mädchengesicht.
»Um Gottes willen, gnädiges Fräulein«, sagte er erschreckt und mitleidig, »was glauben Sie? Ich bin weder ein Räuber noch ein Bettler, und Sie haben mein Wort. Mißgönnen Sie mir doch diese harmlose Freude nicht!«
Sie ging mechanisch neben ihm die Treppe hinunter zu einem der kleinen Tische unter den Linden, der nur vier Gedecke trug. Ihre lange rosa Schleppe lag noch im silbernen Mondlicht auf dem Rasen, sie selbst stand im Dunkeln hinter ihrem Stuhle, hochaufgerichtet jetzt.
»Eh!« rief der Herzog plötzlich, »Gerold, hier ist noch Platz!«
Der Baron war mit seiner Dame, der jungen, harmlosen Frau des Landrats von N., die Stufen herabgeschritten, er kam nun im völligen Sturmschritt auf den Tisch des Herzogs zu; die niedliche Frau an seiner Seite vermochte kaum ihm zu folgen.
»Hoheit haben befohlen«, sprach er.
Es war, als hole er tief Atem, während er seiner Dame den Stuhl hielt, als sie Platz nahm. Und er winkte dem Diener, der die Platte mit Speisen trug.
Der kleinen Prinzeß war Herr von Palmer durch das Los zugefallen. Sie saß in der Halle an der Tafel Ihrer Hoheit, ebenso Prinzessin Thekla. Baron Lothar erhob sich einmal, trat auf die Treppe und brachte das Hoch auf die Hoheiten aus. Der Herzog ließ die Damen leben. Die Augen der Prinzeß Helene hingen mit wahrhaft dämonischem Ausdruck an jenem Tisch dort unten im Garten, man schien sehr heiter dort, das tiefe Lachen des Herzogs scholl deutlich in ihr Ohr. Zuweilen wandte sie das bleiche Gesicht mit den funkelnden Augen nach der Herzogin und sah mit stiller Befriedigung, wie auch sie ihre Blicke unablässig dorthin sandte, eine bange Frage schienen sie zu enthalten, obgleich ihr Mund lächelte, obgleich sie so heiter schien, wie seit langer Zeit nicht.
Zum Nachtisch, als die Knallbonbons mit den Raketen draußen wetteiferten, saß Prinzeß Helene plötzlich neben der Herzogin, sie hatte Herrn von Palmer gebeten, den Stuhl mit ihr zu tauschen, worauf er eifrigst einging. Ihre Hoheit hatte sowieso kein Wort für ihn gehabt, nur für ihren jungen Kavalier. Die kleine Prinzessin blieb anfänglich stumm. Trotz ihrer besinnungslosen Eifersucht klopfte ihr das Herz bei dem Gedanken an das, was sie tun wollte. Sie trank gegen alle Hofsitte ihren Sektkelch einigemal rasch aus, Herr von Palmer wußte ihn immer wieder unbemerkt füllen zu lassen.
In ihrem tollen, leidenschaftlichen Köpfchen sah es erbarmungswürdig aus an diesem Abend. Das rebellische, durch den Wein erhitzte Blut stieg ihr verwirrend zum Kopf.
»Hoheit«, flüsterte sie besinnungslos und beugte sich zu ihr, die eben nach Fächer und Strauß griff. »Hoheit! Elisabeth, um Gottes willen, Sie vertrauen zu viel!«
Hatte es die Herzogin nicht gehört? Sie erhob sich langsam und würdevoll. Das Zeichen zur Aufhebung der Tafel war gegeben, Stühle wurden geschoben, und draußen unter den dunklen Bäumen flammte ein verschlungenes A. E. auf mit der Herzogskrone. Alles flutete zurück in den Garten, zum Tanz.
»Prinzeß Helene!« befahl die Herzogin ihrem Kavalier. Sie setzte sich nicht mehr, der Befehl für die Wagen war bereits gegeben. Nur der Herzog stand noch unter den Linden, mit Klaudine plaudernd.
Prinzeß Helene flatterte eilfertig daher, auf ihrem heißen Gesichtchen lag eine Art verzweifelten Trotzes.
»Erklären Sie sich deutlicher, Cousine«, sprach die Herzogin laut zu ihr. Es war jetzt niemand weiter in dem kleinen, von rosiger Dämmerung erfüllten Zelte, vor dessen zurückgeschlagenen Vorhängen das Fest im Mondlicht wogte.
»Hoheit!« rief das leidenschaftliche Mädchen heftig, »ich ertrage es nicht, zu sehen, wie Sie hintergangen werden!«
»Wer hintergeht mich?«
Noch einmal gewann alles Vornehme, alles Gute in diesem Mädchenherzen die Oberhand. Sie sah diese so schwer nach Atem ringende Frau, sie wußte, was das nächste Wort bedeute für dieses Leben.
»Nichts! Nichts!« stieß sie hervor. »Lassen Sie mich gehen, Elisabeth, schicken Sie mich fort!«
»Wer hintergeht mich?« fragte die Herzogin noch einmal bestimmt, mit Aufbietung aller Kräfte.
Die kleinen Hände der Prinzessin falteten sich und ihr Blick wandte sich zu Klaudine, die dort noch immer von dem Herzog festgehalten wurde. Die Augen der Herzogin folgten ihr, eine erschreckende Blässe breitete sich über ihr Gesicht.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie kühl.
Das Herz der Prinzessin pochte wie wahnsinnig gegen die Kapsel, in der sie den Brief des Herzogs verwahrte. »Hoheit wollen nicht verstehen«, flüsterte sie, »Hoheit wollen die Augen verschließen!« Sie hob die noch immer gefalteten Hände empor und preßte sie auf das blauseidene Jäckchen. »Klaudine von Gerold!« stieß sie hervor.
Sie vollendete nicht, die Gestalt der Herzogin wankte; mit einem leisen Schreckensruf hielt die Prinzessin sie umfangen, aber nur einen Augenblick, die Herzogin war schon wieder Herrin ihrer selbst.
»Es scheint, als ob die schwüle, betäubende Nacht Fieber erzeugte«, sagte sie mit einem Lächeln um den blassen Mund. »Gehen Sie zu Bette, Cousine, und trinken Sie kühle Limonade. Sie reden irre! Rufen Sie Fräulein von Gerold, liebe Katzenstein«, wandte sie sich dann an die alte Hofdame, die herbeigeeilt war und unter ihrem Spitzenhäubchen hervor besorgt in das blasse Gesicht der Herzogin schaute.
Und als das schöne Mädchen kam, sagte sie freundlich und so laut, daß auch die Außenstehenden es hören mußten, indem sie das trauliche »Du« gebrauchte: »Führe mich zum Wagen, Dina, und vergiß nicht, daß du morgen an einem Krankenbett sitzen wirst. Ich fürchte, für meine Kräfte ist dieses schöne Fest zuviel geworden.«
Sie stützte sich fest auf Klaudines Arm und schritt, begleitet von dem Herzog, von Baron Lothar und dem Gefolge, nach allen Seiten freundlich grüßend, der Freitreppe zu, wo die Wagen hielten. Sie übersah dabei die tiefe Verneigung der Prinzessin Helene. – Als Klaudine an der Seite Lothars zurückkehrte, trug sie den Granatstrauß der Herzogin in der Hand.
Sie weilte noch einige Augenblicke unter all den Menschen, die plötzlich kein Auge mehr für sie zu haben schienen, aber sie bemerkte es nicht, sie sehnte sich nach Ruhe. »Gute Nacht, Beate, ich möchte heim.«
»Wie sonderbar die Herzogin war beim Abschied!« sprach Beate, als sie neben Klaudine dem Wagen zuschritt. »Sie sah dich an, als wollte sie bis auf den Grund deiner Seele schauen, und doch, als hätte sie dir etwas abzubitten. Wie lieblich die Art und Weise war, als sie dir den Strauß noch zuletzt aus dem Wagen reichte und: ›Meine liebe Klaudine‹ sagte, als könnte sie dir nicht liebes genug tun.«
»Wir haben uns sehr lieb«, antwortete Klaudine einfach.
Prinzeß Helene tanzte weiter in dieser Nacht. Dann meinte sie plötzlich, die innere Unruhe, die Herzensangst nicht mehr aushaken zu können, warf sich im Dunkel eines Gebüsches auf eine Bank und preßte ihre glühende Wange an das kalte Eisen der Lehne. Frau von Berg stand mit finsterer Miene vor ihr.
»Mein Gott«, sagte sie, »wenn jemand Eure Durchlaucht so sähe!«
»Kommt der Baron?« fragte die Weinende, rasch die Augen trocknend.
Die Berg lächelte.
»O, doch nicht, er spricht mit dem Landrat von Besser über Feuerversicherungen.«
»Haben Sie gesehen, Alice? Die Gerold wurde von der Herzogin beim Abschied noch mit dem Strauß begnadet, das war« – hier lachte die Prinzessin – »das Ergebnis meiner gutgemeinten Warnung.«
Frau von Berg lächelte noch immer.
»Durchlaucht verzeihen, die Herzogin konnte nicht anders! Auf ein bloßes Gerücht hin läßt ein so vornehmer Charakter seine Freundin nicht fallen. Ich habe geglaubt, Sie kennen Ihre Hoheit besser. Sie bestanden ja selbst so dringend auf Beweisen!«
Die Prinzessin fuhr mit beiden Händen an die Ohren, als wollte sie nichts mehr hören.
»Beweise!« wiederholte Frau von Berg noch einmal, »Beweise, Durchlaucht!«