Kapitel 2

Der Schnellzug aus Hamburg rauschte in die Bahnhofshalle und hielt mit quietschenden Bremsen. Ernst Dahlmann lief die Wagen entlang und schwenkte seinen Blumenstrauß, als er Monika Horten aus einem Wagen Erster Klasse springen sah. Mit ausgebreiteten Armen lief sie auf ihn zu, aber nicht, um ihn zu umarmen, sondern um sich an ihn zu klammern. Ihr rundes Puppengesicht unter den wilden, honigblonden Haaren zuckte vor Erregung.

»Was ist mit Luise.?« schrie sie. »Was ist passiert? Ist . ist sie tot.?«

Einige Reisende drehten sich um. Das Wort >tot< klang merkwürdig in einer Bahnhofshalle. Ernst Dahlmann schüttelte den Kopf und zog Monika Horten mit sich fort aus dem Gewühl von Menschen, Koffern und hupenden Elektrokarren. Erst im Wagen fing er an zu sprechen, als Monika seinen Arm umklammerte.

»Sie ist nicht tot«, sagte er dumpf. »Aber es wird vielleicht einmal eine Stunde kommen, in der sie sich wünscht, lieber gestorben zu sein.«

»Sie . sie ist verkrüppelt?«

»Nein -«

Monikas Griff wurde härter, die Nägel drangen durch den Anzugstoff in Dahlmanns Arm. Ihr kleines, süßes Gesicht, zu süß fast und in seiner Naivität dazu reizend, es dauernd streicheln zu müssen, war wie aufgesprengt.

»Das . das ist nicht wahr.«, sagte sie tonlos.

»Doch, Moni. Es gibt gar keine Hoffnung mehr -«

»Blind -«

Es war ein Aufschrei. Dann verbarg sie das Gesicht an Dahlmanns Schulter und weinte haltlos. Vorsichtig, weil ihre Umklammerung ihn störte, fuhr er hinaus zu den Städtischen Krankenanstalten und hielt auf dem großen Parkplatz. Sie weinte noch immer und schlug die Hände vor die Augen, als sie sah, wo sie sich befanden.

»Ich kann nicht, Ernst... ich kann nicht. Wenn sie mich so sieht -«

Ihr Kopf zuckte hoch. Blankes Grauen stand in ihren Augen. Sie sieht es ja nicht, dachte sie, und das gleiche dachte Dahlmann. Sie wird nie mehr etwas sehen . sie wird die Augen öffnen, und es wird immer Nacht sein.

»Wir müssen jetzt ganz mutig sein, Moni«, sagte Dahlmann rauh. »Wir müssen ihr von unserem Mut etwas mitgeben. Sie braucht uns jetzt, uns beide, nicht mich allein, auch dich.«

»Du meinst, ich sollte.«

»Ja. Ich halte es für besser, wenn du deine Wohnung in Hamburg aufgibst und zu uns ziehst. Ich werde mich, so gut und so oft ich kann, um Luise kümmern . aber da ist die Apotheke, das Labor, die Angestellten . ich möchte nicht, daß Luise stundenlang allein im Zimmer sitzt ... gefesselt an einen Sessel ... umgeben von dem Nichts -«

»Sprich nicht so ... bitte, bitte, Ernst.« Monika Horten stand vor dem Wagen und sah die Fassade des langgestreckten Gebäudes hinauf. »Wenn Luise mich braucht ... selbstverständlich ziehe ich zu euch.«

»Wir alle brauchen dich, Moni -« Ernst Dahlmann warf die Tür zu und vermied es, seine Schwägerin anzusehen. »Ja, auch ich brauche dich. Du kannst dir denken, was es für mich bedeutet . ich wundere mich, daß meine Nerven das ausgehalten haben. Du würdest uns allen eine große Hilfe sein, Moni.«

»Ich bleibe, Ernst.« Sie ging drei Schritte zum Krankenhaus und wandte sich um. Der Blick Dahlmanns ruhte auf ihr, abschätzend, fern aller Traurigkeit oder inneren Erschütterung.

»Weiß Luise, daß ich komme?«

»Nein. Sie wird sich sehr freuen.«

Er schloß die Wagentüren ab, während Monika Horten die Auffahrt zum Eingang hinaufging. Mit angedrücktem Kinn sah ihr Dahlmann nach.

Wie schlank sie ist, dachte er. Wie blond, wie erregend jung -

Er wunderte sich nicht, daß in ihm der letzte Rest einer mitleidenden Traurigkeit verging.

Mit schnellen Schritten rannte er Monika nach und faßte sie unter. Es sah nach einem fürsorglichen Unterstützen aus. Ernst Dahlmann aber machte es glücklich. Er fühlte sein Herz klopfen, als er ihren Körper an seinem Handrücken spürte. Es war wie vor fünf Jahren . der Puls an seinem Hals hämmerte.

Sie wird immer blind sein, dachte er, als sie durch die weißen, stillen Gänge zur Augenstation gingen. Eine gnädige Blindheit, die ihr vieles verschweigen wird und sie glücklich bleiben läßt. Nicht sehen, kann auch eine Gnade sein . so gnadenlos wie das Gefühl eines Menschen.

Vor dem Zimmer 29 der Augenstation blieben sie stehen. An der Tür hing ein Schild. Eintritt verboten. Sie sahen sich an, in Monikas hellen, blauen Kinderaugen flimmerte es.

»Was . was soll ich sagen, Ernst?« fragte sie leise.

»Nichts, Moni. Nur entsetzt darfst du nicht sein . das merkt sie.

Sprich zu ihr wie immer, als sei nichts geschehen.«

»Wir werden sie immer belügen müssen, Ernst?«

»Immer -«

Auch diese Lüge wird barmherzig sein, dachte er.

Wie herrlich, herrlich jung ist sie -

Das Zimmer war hell, die Frühlingssonne flutete durch das breite Fenster, irgendwo auf einer Dachrinne oder einem hohen Ast der Gartenbäume flötete ein verliebter Star, auf dem kleinen Tisch an der Wand, unter einem Bild der Burg Neuschwanstein, stand in einer grünen Glasvase ein dicker Tulpen- und Narzissenstrauß. Es war wohltuend warm nach der feuchten Nacht . vom Garten zog der Geruch aufgebrochener und in der Sonne dampfender Gartenerde bis ins Zimmer.

Von all dem sah und empfand Luise Dahlmann nichts. Seit sie aus der Bewußtlosigkeit erwacht war, lag sie still auf dem Rücken, den Kopf in Bandagen, über den Augen eine dicke, weiche Watteschicht. Sie spürte, daß die Ärzte ihr Gesicht mit einer Salbe eingerieben hatten, die das Brennen isolierte und die verätzte Haut mit einem fettigen Schutzfilm überzog.

Nachdem Ernst Dahlmann gegangen war, hatte sie die ganze Nacht wach gelegen. Die Schwester, die ab und zu ins Zimmer kam, glaubte, sie schliefe fest.

Für Luise Dahlmann gab es nach dem ersten seelischen Schock keine Klagen mehr. Von jeher war sie ein logisch denkender, oft nüchterner Mensch gewesen, der Tatsachen hinnahm und sie nicht beweinte. Dadurch wird's auch nicht besser, war ihre ständige Rede, wenn Unvorhergesehenes in den Alltag einfiel. Man muß sehen und sich bemühen, aus der neuen Situation das Beste herauszuholen. Was unabänderlich war, brauchte nicht beklagt zu werden. Das war Zeitverschwendung.

Mit der gleichen Logik überdachte sie nun ihre eigene Lage. So schrecklich sie war, sie mußte für das weitere Leben als Grundlage betrachtet werden. Ein von Säure zerstörtes Gesicht, verätzte, leblose Augen, Blindheit... das waren die Tatsachen, die ihr noch niemand gesagt hatte, aber die sie wußte.

Ernst wird die Apotheke völlig allein leiten, dachte sie. Er ist ein guter Mann, er hat geweint, als er an meinem Bett saß ... ich habe es gehört an seiner Stimme, auch wenn er sich bemühte, es nicht zu zeigen. Ich werde ihm ein ganzes Leben lang eine Belastung sein, ein tappender, hilfloser Mensch, der wieder lernen muß, wie man geht, wie man fühlt, wie man hört ... ein Mensch, der sich in ewiger Nacht zurechtfinden muß und nur mit dem inneren Auge sieht, was er anfaßt oder was um ihn ist. Ein Mensch, der Freude und Liebe spüren muß, weil er die kleinen, täglichen Beweise der Liebe nicht mehr sieht... einen Blick, ein Nicken, ein Lächeln, eine stumme Liebeserklärung.

Er wird ein schweres Leben haben ... aber er wird es ertragen, weil er mich liebt. Das war ein Gedanke, der Luise Dahlmann froh machte. Ein Leben ist mit der Blindheit nicht zu Ende ... es wird nur innerlicher, konzentrierter, ja fast hungriger nach Freude, Liebe und Glück. Ein Leben, das nach Zärtlichkeiten sich sehnen wird, das die Wärme der Geborgenheit braucht, das Wissen, doppelt geliebt zu werden. Das alles - das wußte sie - würde ihr Ernst Dahlmann geben können.

Sie dachte an die Worte ihres Vaters, als Dahlmann damals vor über vier Jahren um ihre Hand anhielt: »Du bist alt genug, du mußt wissen, was du tust, du bist ein so kluges Mädchen ... aber wenn ein Mann auftaucht, in den man verschossen ist, ist alle Klugheit so viel wert wie ein Haufen Glasscherben. Für mich ist dieser Dahlmann zu glatt, zu ehrgeizig, zu bewußt vornehm. Aber bitte - wenn du willst -, heirate ihn! Leben mußt du mit ihm, nicht ich! Nur eins kann er sich gleich merken: Die Apotheke überschreibe ich dir, nicht ihm! Und das bleibt so, bis du ein Kind hast. Dann erbt das den Besitz! Ich werde das notariell festlegen -«

So wurde es. Der alte Horten schaltete Ernst Dahlmann in der Erbfolge restlos aus, aber Luise heiratete ihn. Jetzt kam ihr zum Bewußtsein, wie gut dies gewesen war. Sie hatte auf ihr Herz und ihren Verstand gehört, und es war richtig gewesen. Jetzt, nach diesem Unfall, zeigte es sich, wie wertvoll ein Mensch wie Ernst war. Ein Mensch, an dessen Liebe man blindlings - im wahrsten Sinne des Wortes traf es jetzt zu - glauben konnte.

Mit solchen Gedanken verbrachte sie die Nacht. Übermüdet schlief sie bis in den späten Morgen hinein und war gerade aufgewacht und hatte flüssige Nahrung in einem Röhrchen über die gleichfalls ver-ätzten Lippen fließen lassen, als Monika und Ernst ins Zimmer kamen.

»Ich bin es, Luiserl«, sagte Dahlmann und streichelte zärtlich ihre Hand, die sich ihm entgegenstreckte. Eine Hand, die stumm um Hilfe und Liebe flehte. Er küßte sie und behielt sie zwischen seinen Händen. Dabei nickte er Monika Horten zu, näherzukommen und die Tür zu schließen.

»Wer ist noch im Zimmer?« fragte Luise und hob den Kopf ein wenig. Es war, als ob sie durch den dicken Verband sehen könne . ihr Gesicht drehte sich Monika zu, ein bandagierter Kopf, dessen freie Hautpartien rot und runzelig waren und von Salbe glänzten, als sei es verdorbener, zergehender Speck.

Monika Horten lehnte am Türrahmen und preßte die Faust gegen die Zähne. Das wilde Entsetzen, den Schrei, der ihr aus der Kehle drängte, durfte sie nicht zeigen, und doch war es zu viel, was sie plötzlich sah, zu grausam, um es stumm ertragen zu können.

Ernst Dahlmann winkte ihr mit dem Kopf, näher zu kommen. Sie hob hilflos die Schulter, wandte sich ab und preßte das Gesicht gegen die Wand. Schreien, dachte sie. O könnte ich schreien. Was ist aus Luise geworden! In einer Sekunde! Ich kann es nicht begreifen ... ich kann es einfach nicht begreifen -

»Wer ist denn da?« fragte Luise wieder und drückte die Hand ihres Mannes.

»Monika ist gekommen -«, sagte Dahlmann ruhig. »Ich habe sie gerufen -«

»Moni -« Luise richtete sich etwas auf. Dahlmann sprang hinzu, stopfte ihr das Kissen unter den Rücken, damit sie beim Sitzen besseren Halt habe. Es war ein schrecklicher Anblick . ein dicker, in weißen Binden verborgener Kopf, und inmitten der Binden ein Schlitz, aus dem die Worte kamen, klar und deutlich, nur etwas zischend durch die verätzten Lippen. »Ich sehe nicht mehr schön aus, Moni -«

»Luise!« Der Aufschrei befreite. Monika stürzte zum Bett und umarmte ihre Schwester. Sie weinte wie ein Kind, und Luise streichelte ihr über die Haare und das Gesicht, drückte sie an sich und ließ sie an ihrer Schulter ausweinen.

Ernst Dahlmann saß stumm und steif daneben auf der Bettkante. Sein Blick folgte der Beinlinie Monikas ... beim Hinstürzen auf das Bett hatte sich das Kleid emporgeschoben, ein Teil des Oberschenkels lag frei, ein glattes, rosafarbenes Stück Fleisch mit einem winzigen Leberfleck.

Ernst Dahlmann wandte sich ab und strich sich nervös über die Haare. Dann stand er auf und trat an das Fenster, atmete tief und trommelte mit den Fingern gegen seinen Brustkorb.

Ich bin ein Lump, dachte er. Wahrhaftig, ich bin ein Lump. Jetzt zeigt es sich ganz deutlich . aber ich kann es nicht ändern.

Ich habe fünf Jahre geglaubt, ein guter Mensch zu sein ... jetzt sind sie weggewischt, diese sechzig Monate, und es ist wie damals an der Säule im Ballsaal: Ich bin ein Wahnsinniger, wenn ich sie sehe.

- Nur wer dieses Gefühl kennt, wird verstehen, daß es sinnlos ist, dagegen anzukämpfen.

»Ernst -«

Dahlmann fuhr herum. Luise saß im Bett, während Monika sie umarmt hielt und sich beruhigt hatte.

»Ja, Luiserl.?«

Er kam ans Bett und streichelte ihre Schulter. Dabei berührte er auch den Arm Monikas, und es war in ihm wie ein heftiger elektrischer Schlag.

»Moni wird bei uns bleiben.«

»Ich weiß.«

»Für immer.«

»Das können wir nicht annehmen, Luise -« Dabei sah er Monika an. Es war ein Betteln in seinen Augen, ein hündisches Bitten: Bleib ... bleib.

»Ich werde Luise nie mehr verlassen -«, sagte Monika Horten fest.

»Du bist noch so jung, Moni.« Dahlmann würgte an den Worten. »Eines Tages . es wird ein Mann kommen . du heiratest . das Leben geht ja weiter, Moni . und dein Leben beginnt ja erst.«

»Im Hause der Mohren-Apotheke ist Platz für zwei Familien. Ich geh' nicht mehr fort -«

Dahlmann biß die Zähne zusammen. Es war ein körperlicher Schmerz für ihn, daß sie nicht sagte: Ich heirate nie! Es tat ihm bis in die feinsten Nerven weh, daß sie damit rechnete, einmal einem Mann zu begegnen, den sie lieben konnte. Unter einem Dach, dachte er. Ein Mann an ihrer Seite unter meinem Dach. Ich werde zum Mörder werden. O Gott, man könnte es nur verhindern, wenn man mir das Herz herausreißt -

»Es ist so schön, daß du da bist, Moni.«, sagte Luise zärtlich. Sie streichelte wieder das lange blonde Haar ihrer Schwester und drückte sie an sich. »Fast ein Jahr habe ich dich nicht gesehen . und nun -« Sie wandte plötzlich den Kopf ab und sank zurück in die Kissen. Monika umklammerte sie.

»Du wirst mich wieder sehen können.«, rief sie. Es sollte tröstend sein, aber die Verzweiflung schrie deutlicher aus den Worten. »Glaub es mir . du wirst wieder sehen können, und wir werden Spazierengehen, wir werden hinausfahren zum Steinhuder Meer und wie damals um den ganzen See segeln. Weißt du noch, wie das Boot umkippte und du mich vor dem Ertrinken gerettet hast. Zwei Stunden lang trieben wir mit dem umgestürzten Boot im See, klammerten uns am Kiel fest . Luise, glaub mir . du wirst wieder sehen können -«

»Ich glaub es, Kleines . ich glaub es ja.« Luise ließ sich zurücksinken. Sie hielt die Hände Monikas fest, tröstend und begütigend, wo in ihr selbst ein neuer Brand aufglühte und die dünne, künstliche Wand der Beherrschung zerstörte.

Die Angst, das Fürchterlichste, das sie bisher mit aller Kraft zu unterdrücken versuchte, kam wieder in ihr hoch. Sie war plötzlich so mächtig, daß alle Logik, alle schönen Selbstgespräche der Nacht untergingen in dem Sturm, den die Angst in ihr erzeugte.

»Ernst.«, rief sie. »Ernst -«

»Luiserl -« Dahlmann beugte sich über ihren unförmigen Kopf. »Ich bin da -«

»Du hast mit den Ärzten gesprochen -«

»Ja.«

»Was sagen sie? Bitte, bitte, belüg mich nicht . du weißt, daß ich stark genug bin, die Wahrheit zu erfahren. Was sagen sie -«

»Sie haben Hoffnung, Luiserl.«

»Du belügst mich nicht, nicht wahr?«

»Nein, Liebes.« Dahlmann kaute an seiner Unterlippe und zwang sich, seiner Stimme einen normalen, hoffnungsvollen Klang zu geben. »Du weißt, daß auch die Augen etwas abbekommen haben -«

»Gesagt hat es mir noch keiner. Aber ich weiß es -«

»Die Hornhäute sind getrübt.« Dahlmann atmete tief auf; es war schwer, zu lügen, zumindest in diesem Falle. »Es kann sogar sein, daß sich alles gibt. Das wird sich bald herausstellen. Auf jeden Fall ist man sehr hoffnungsvoll.«

»Und mein Gesicht?« Sie drehte den bandagierten Kopf zu ihm. Jetzt sieht sie mich an, dachte Dahlmann und schauderte. Sie sieht mich forschend an, und ich weiß sogar, daß sie mich sieht, auch wenn ewige Nacht um sie ist.

»Ernst . wie ist mein Gesicht?«

»Wie es nach einer Verätzung aussieht, Luiserl. Was soll ich da sagen -«

»Also schlimm? Verbrannt. Häßlich.«

»So schlimm ist es nicht. Du weißt, daß es kosmetische Operationen gibt. In einem Jahr wirst du wieder aussehen wie früher . vielleicht noch hübscher -«

Es sollte wie ein Scherz klingen. Luise faßte es auch so auf; sie sah ja nicht, wie Dahlmann bei diesen Worten Monika anblickte und das Wort >hübscher< zu einer Liebeserklärung wurde. Auch Monika bemerkte es nicht . sie starrte gegen die weiße Wand und hatte den Schock noch nicht überwunden.

Ernst Dahlmann ging hinaus. Er ahnte, daß er die Schwestern allein lassen mußte. Es gab Dinge, die selbst ein Ehemann nicht zu hören brauchte.

Auf dem Flur traf er den Stationsarzt. Seit der Einlieferung und dem ersten Bericht Dr. Ronnefelds war es die erste fachärztliche Stellungnahme.

»Wir wollen ehrlich sein«, sagte der Stationsarzt und trat mit Dahlmann an eines der Flurfenster. »Ihre Gattin wird blind sein -«

»Das habe ich befürchtet.« Dahlmann zündete sich mit bebenden Fingern eine Zigarette an. »Und ... und sie wird es bleiben, nicht wahr?«

»Aller Voraussicht nach ... ja. So schrecklich es ist ... sie hat einen ungeheuren Lebenswillen, und Sie, Herr Dahlmann, werden ihr einziger Halt sein. Sie müssen Ihrer Gattin die Augen ersetzen, die Sonne, die Blumen, die Schönheit, die ganze, für sie jetzt im Dunkel liegende Welt. Wir werden hier oft mit solchen Fällen konfrontiert, Sie sind kein Einzelschicksal... und immer müssen wir sagen: Hier hilft nur die Liebe ... eine Liebe, die zu den größten Opfern bereit ist.«

»Das will ich, Doktor. Ich werde Luises Augen sein.« Dahlmann zerdrückte seine Zigarette in der Erde eines Blumentopfes. Es schien ein beliebter Aschenbecher zu sein ... unter der Primelblüte häuften sich die Zigarettenreste. »Ich danke Ihnen, Doktor. Wann wird sie entlassen werden können?«

»Nicht vor zwei Wochen -«

»Danke, Doktor.«

Dahlmann sah dem Arzt nach, der in eines der Zimmer trat. Zwei Wochen, dachte er. Zwei Wochen allein mit Monika. In diesen zwei Wochen werde ich die Hölle oder den Himmel erleben . und was es auch wird, ich werde ein Teufel sein . und es hilft nichts, daß ich es weiß -

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