Sharon Green Der Kristall von Mida

Für Joyce und John Pachelok, die so lange das Schild der Mida hochgehalten haben.

1 Der Hort des Kristalles – und ein Gefangener wird gemacht

Ich stand in der Mitte des Gewölbes und blickte auf die drei toten Kriegerinnen herunter. Sie lagen in seltsam verrenkter Haltung auf den runden Kieseln. Ihre Stammesfarben, die jede Midanna um die Hüften geschlungen trägt, lagen zerrissen auf dem Boden. Einer hatte man sogar das Amulett abgerissen. Drei tapfere Kriegerinnen, tot, ermordet, unter ihnen die, die mich gebar. Die Angreifer waren heimlich gekommen und hatten sie mit ihrer Überzahl besiegt. Die Hüterinnen des Horts waren sofort dem Schwert zum Opfer gefallen, aber meine Kriegerinnen hatten die Fremden noch eine Weile zu ihrem Vergnügen leben lassen. Sie waren vom Abschaum der Diebe aus den Städten mißbraucht worden, bevor man ihnen die Kehle durchgeschnitten hatte.

Eine Kriegerin ihrer Stammesfarben zu berauben und ihr die Kehle durchzuschneiden – gerade wie bei einem Tier, das man tötet – und ihr damit die Ehre zu rauben, im Kampf zu fallen, das war unverzeihlich. Sollte einer der Diebe des Kristalls lebendig in unsere Hände fallen, würde er diese schmachvolle Tat langsam und qualvoll zu büßen haben. Nur so würden die Seelen unserer Kriegerinnen ihre ewige Ruhe finden. Ich ging zu der Hüterin, die den blutigen Anschlag überlebt hatte. Ihre Stammesfarben, die sie ihrem Amt gemäß bis herunter auf die Knöchel trug, waren von ihrem Blut getränkt. Und doch hatte sie durchgehalten und ausgeharrt, bis die Kriegerinnen zurückkamen, um ihnen berichten zu können, daß die Diebe aus dem Norden kamen, der fernen Stadt Ranistard.

»Remad«, sagte ich leise, und sie wandte sich auf dem Fell, auf dem sie mühsam atmend lag, nach mir um.

»Ich höre, Jalav«, antwortete sie schwach. »Wie kann ich meiner Herrin dienen?«

»Du hast mir immer treu gedient«, entgegnete ich. Das Amulett auf ihrer schwach atmenden Brust glich dem meinen. Wir trugen beide das Zeichen des Hadat, jenes finsteren, behaarten Todesboten mit langen Zähnen und scharfen Klauen, den Mida zum Zerschmettern ihrer Feinde aussendet. Allerdings glichen sie sich nicht vollständig. Jede Kriegerin muß sich nach Erreichen der Reife ihr Amulett aus dem Holz desjenigen Baumes schnitzen, den man bei ihrer Geburt zu ihrem Lebensbaum bestimmt hat. Stirbt er ab, bevor sie ihre Reife erreicht hat, wird sie in die Niederlassungen der Frauen geschickt, die Sklavinnen der Männer sind, denn eine Kriegerin kann einen Kampf nur mit ihrem Amulett bestehen.

»Remad«, sagte ich, »ich bitte dich, dir den Mann anzusehen, der von uns gefangengenommen wurde. Bist du in der Lage, uns zu sagen, ob er zu den Dieben des Kristalles gehört?«

»Das bin ich«, flüsterte sie. »Ich habe mir lange genug die Gesichter der Schufte ansehen können, die unsere Kriegerinnen durch ihre Berührung beleidigt haben.«

»Bringt ihn herein!« befahl ich, und zwei meiner Kriegerinnen entfernten sich eilig. Der Zorn, der in mir wogte, war schrecklich. Mein Schwert würde viel Blut trinken müssen, ehe mein Rachedurst gestillt war.

Dann hörte ich einigen Lärm. Ich wandte mich um und sah, wie der Gefangene hereingeschleppt wurde. Wir hatten ihn gefangengenommen, gleich nachdem wir von dem Diebstahl gehört hatten. Sechs der Kriegerinnen umringten ihn und hielten ihm einen Speer an die Kehle. Trotzdem wehrte er sich. Er war hochgewachsen, überragte mich fast um Haupteslänge. Sein kräftiger, muskulöser Körper war in das Gewand eines Städters gehüllt, ein braunes Tuch, das bis zur Mitte seiner Schenkel reichte und die Arme freiließ. Er trug weder Stammesfarben noch ein Amulett, denn die in den Städten haben keine Seele zu verlieren. Sogar seine Füße waren bedeckt, um sie vor der Berührung mit dem teuren Boden von Mida zu schützen.

Das rotgoldene Haar des Fremden war gestutzt und wurde durch ein Band zusammengehalten, so, als befinde er sich auf dem Kriegspfad. Meine Kriegerinnen hatten ihm die Arme auf dem Rücken gefesselt, und auch zwischen den Füßen trug er Fesseln. Darüber hinaus hatte man ihm eine Fessel um die Kehle gelegt, und trotzdem wehrte er sich. Sollte es sich herausstellen, daß er an dem Verbrechen unschuldig war, dann würde es klug sein, ihn trotzdem festzuhalten, damit meine Kriegerinnen sich seines Samens bedienen könnten. Nicht vielen Männern, die durch unser Land ziehen, wird diese Ehre zuteil.

Der Gefangene versuchte vergeblich, sich zu befreien, und stieß heftige Verwünschungen aus. Offensichtlich verwechselte er meine Kriegerinnen mit ihren blassen Schwestern aus den Städten, denn er drohte ihnen Taten an, die sie niemals erduldet hätten. Nur mit Mühe konnten sie ihn vorwärtsziehen, bis sein Blick auf die Toten vor ihm fiel.

»Damit habe ich nichts zu tun«, sagte er heiser zu Remad. »Niemals hätte ich...«

»Schweig!« fuhr ich ihn an und schlug ihn ins Gesicht, als er vor Remad niederkniete. Wild wollte er auffahren, aber meine Kriegerinnen hielten ihn zurück. »Ist er einer von denen, die euch überfielen, Remad?« fragte ich. »Sieh dir sein Gesicht gut an.«

»Nein«, flüsterte sie. »Wäre er unter ihnen gewesen, würde ich mich sehr wohl an ihn erinnern.«

»Sieh ihn dir noch einmal genau an«, sagte ich zu Remad. »Unsere Reise in den Norden könnte abgekürzt werden, wenn wir jemanden finden, der redet.«

»Er war nicht dabei, Jalav«, flüsterte Remad. Ich hatte die Spitze meines Dolches an seine Kehle gesetzt. Er mußte spüren, daß ich nach Blut dürstete, denn er verhielt sich still.

»Dann muß es so sein«, sagte ich, und stieß meinen Dolch in die Scheide zurück. »Bei Anbruch des Morgens werden wir uns auf den Weg nach Ranistard machen. Vorher wollen wir noch den Worten der Obersten Hüterin lauschen.«

»Ranistard?« sagte der Gefangene fragend. »Kein Mann von Ranistard würde etwas so Sinnloses getan haben. Ranistard wurde schwer vom Zorn des Sigurr mit einem tödlichen Fieber getroffen. Sie haben kaum noch Weiber dort und hätten diese hier bestimmt mitgenommen.«

»Dafür haben sie etwas viel Wertvolleres mitgenommen«, sagte ich und befahl meinen Kriegerinnen: »Schafft ihn zu den Gandod und bindet ihn gut fest. Wir werden in Kürze zum Lager zurückkehren.«

»Halt!« brüllte der Gefangene und richtete sich auf. Selbst meinen Kriegerinnen gelang es nicht, ihn zu halten. »Meine Unschuld wurde bewiesen. Deswegen verlange ich, sofort freigelassen zu werden. Laß mich sofort losbinden, Mädchen!« Wieder blickte ich ihn mit Wohlgefallen an. Er würde vielen meiner Kriegerinnen sehr nützlich sein. Ruhig erwiderte ich seinen hitzigen Blick.

»Ich bin Jalav, Anführerin des Stammes der Hosta, dem edelsten unter allen Stämmen der Midanna«, erklärte ich ihm. »Ich habe dich auserwählt, meinen Kriegerinnen eine Zeitlang zu dienen. Am Ende dieses Dienstes wirst du wieder freigelassen. Solltest du dich jedoch weiterhin so ungebührlich benehmen, werde ich befehlen, dich noch wesentlich strenger zu behandeln. Es amüsiert mich, zu sehen, daß ein Mann sich wie eine Kriegerin verhält, aber ich bin nicht bereit, deine Widersetzlichkeit zu dulden. Sei gewarnt!«

»Du willst mich warnen«, keuchte er rasend, gegen seine Fesseln und meine Kriegerinnen ankämpfend. »Beim alles zermalmenden Fuß Sigurr des Schrecklichen, ein halbwüchsiges, halbnacktes Mädchen wagt es, mich zu warnen! Gleich wirst du erleben, wie ein wirklicher Krieger mit angeberischen Weibern umgeht. Macht euch schnell davon, ihr Kinder, denn jetzt komme ich, um euch zu strafen!«

Er versuchte vergeblich, seine Fesseln zu zerreißen, während meine Kriegerinnen ihn auslachten. Zornbebend stand er vor uns und bot in der Tat einen prächtigen Anblick. Ich entschied, ihn noch vor der Abreise in den Norden auf meiner Schlafstatt zu haben.

Lachend baute sich die rothaarige Larid vor ihm auf. Er wollte sich auf sie stürzen, aber Binat brachte ihn von hinten zu Fall. Er stürzte hilflos zu Boden, und in Sekundenschnelle waren meine Kriegerinnen über ihm und drehten ihn auf den Rücken. Mit geübten Händen erweckte Larid seine Männlichkeit, dann nahm sie Besitz von ihm. Er schrie und versuchte sich freizukämpfen, aber Larid behauptete mit großem Vergnügen ihren Platz auf ihm, bis sie bekam, wonach sie verlangt hatte.

Da sich danach schon eine andere meiner Kriegerinnen bereit machte, Larids Platz einzunehmen, gebot ich Einhalt. »Ihr könnt euch mit dem Sthuvad noch später im Lager vergnügen«, sagte ich. »Bringt ihn jetzt zunächst einmal zu den Gandod und fesselt ihn. Ich werde in Kürze nachkommen.«

Meine Kriegerinnen waren enttäuscht, aber sie folgten gehorsam meinen Befehlen. Der Sthuvad sah mich mit kaltem Haß an. »Ich werde diese Beleidigung nicht vergessen«, sagte er. »Du wirst dich noch bitter an den Zorn des Kriegers Telion von Ranistard erinnern! Dein Körper wird mir gehören, wie ich deiner Kriegerin gehört habe, und du wirst sattsam für das bezahlen, was du mir angetan hast. Darauf gebe ich dir mein Wort.«

»Meine Angst vor den Drohungen eines Mannes ist wirklich groß«, entgegnete ich höhnisch und winkte meinen Kriegerinnen, ihn fortzuschaffen.

»Ich habe bereits die Oberste Hüterin benachrichtigen lassen«, sagte ich zu Remad. »Sie wird die Worte sagen, die dich in Midas Königreich geleiten. Dort werden wir uns einst wiedersehen, Remad. Lebewohl!«

»Gewähre mir eine letzte Bitte, Jalav«, flüsterte sie. »Ich möchte mit dem Schwert in der Hand, wie eine Kriegerin, vor Mida treten.«

»Diese Bitte ist dir gewährt, Remad«, entgegnete ich. »Meine Kriegerinnen werden dir helfen.«

Zwei von ihnen richteten Remad auf. Sie hatte starke Schmerzen, trotzdem kam kein Laut von ihren Lippen. Tapfer sah sie mich an, als ich mein eigenes Schwert zog.

»Ich danke dir, Jalav«, flüsterte sie. Dann stieß ich ihr mein Schwert tief in die Brust, entseelt sank sie zu Boden. Meine Kriegerinnen und ich hoben salutierend die Schwerter, um eine tapfere Kriegerin zu ehren.

Vor dem Hort fand ich den Gefangenen, zwischen meinem Gando und dem von Larid festgebunden. Er sah mich verständnislos an. Ich bestieg mein Gando und überzeugte mich, daß die Leine sicher befestigt war, dann gab ich den Befehl zum Aufbruch. Das rote Kan des Gefangenen wurde von einer der Kriegerinnen mitgeführt. Wir Midanna bevorzugen die Gandod, um in die Schlacht zu reiten, denn sie sind mutiger als die Kand der Städter.

»Warum zwingt ihr mich, zu laufen ?« fragte der Gefangene, als wir die Lichtung, auf dem der Hort stand, verließen. »Ihr könntet mich doch im Sattel meines Kan festbinden.« »Hast du keine Kraft zu laufen?« fragte ich. Larid grinste. »Doch, schönes schwarzhaariges Mädchen«, entgegnete er. »Aber ich bin nicht gewohnt zu laufen.« »Oh, er ist es nicht gewohnt, zu laufen«, sagte Larid mit süßer Stimme. »Sollen wir ihn etwas unterstützen?« Wir trieben unsere Reittiere an. Der Gefangene hatte Mühe, Schritt zu halten, da ihn die Fesseln zwischen seinen Beinen behinderten. Bald bogen wir vom Weg in den Wald ab, wo sich unser gegenwärtiges Lager befand. Es war ein Glück für Mida, daß wir uns gerade nicht auf der Jagd oder mitten in einer Schlacht befanden, als ihr Kristall gestohlen wurde. Dann hätte es lange gedauert, ihn wiederzubeschaffen. Der Gefangene atmete schwer. Er sagte kein Wort, um seinen Atem zu sparen, aber in seinen Augen war zu lesen, was er dachte. Ich schlug ihm die Peitsche über die Schultern und rief: »Lauf schneller, Sthuvad. Lauf so schnell du kannst für Jalav, die Anführerin der Hosta. Wenn mir gefällt, wie du läufst, werde ich dich auf meine Lagerstatt nehmen.« Die Hiebe waren nicht scharf und verursachten ihm keine Schmerzen, stachelten aber seine Wut noch mehr an. Bald leuchteten unsere Zelte grün und schwarz durch die Bäume.

Die Außenposten blickten wohlgefällig auf den Gefangenen, denn es war schon einige Zeit her, daß ein Mann in unsere Hände geraten war. Spaß würde in den Zelten der Hosta herrschen, trotz des Diebstahls des Kristalles. Wir hielten vor dem größten Zelt. Ich sprang ab und überließ den Gefangenen und mein Gando der Fürsorge meiner Kriegerinnen. »Midas Segen sei mit dir, Jalav«, sagte Fideran bei meinem Eintreten und kniete nieder. »Ich freue mich, daß du so bald zurückkehrst. Wird alles gut sein, Jalav?« »Es wird alles gut sein, Fideran«, versicherte ich und sah in sein hübsches Gesicht. Auch Fideran war als Sthuvad gefangengenommen worden, hatte sich aber geweigert, uns zu verlassen, als wir seine Dienste nicht mehr benötigten. Statt dessen hatte er es vorgezogen, als mein Diener in meinem Zelt zu bleiben. Zwar haßte er es, wenn ich ihn von Zeit zu Zeit einer meiner Kriegerinnen überließ, aber er weigerte sich, zurückzugehen. Er liebte mich, ein Gefühl, dessen ich als Kriegerin nicht fähig war. Ich hielt ihn mir zu meinem Vergnügen, konnte ihn aber auch gut leiden. Allerdings stand ich nun vor einem Dilemma, denn mit in den Norden konnte ich ihn nicht nehmen. Ich würde ihn einer anderen überlassen müssen, deren Arme ihn trösten würden.

»Braue mir einen Topf Daru, Fideran«, sagte ich, als ich mein Schwert ablegte, »und sieh zu, daß es frisch bleibt. Ich erwarte die Oberste der Hüterinnen zu einem wichtigen Gespräch, und es mag sein, daß sie nach Daru verlangt.« »Sofort, Jalav«, entgegnete er, ohne nach dem Grund für den Besuch zu fragen. Solche Dinge gingen nur die Kriegerinnen etwas an.

Ich setzte mich auf das Fell am Boden meines Zeltes und begann, gedankenvoll meine Pfeife zu stopfen. Zwar würde es zur größeren Ehre der Hosta beitragen, wenn wir den Kristall alleine zurückholen könnten, aber besser würde es sein, wenn sich alle Midanna für den Krieg rüsteten. »Bei Sigurrs Klauen, paß auf!« schnaubte der Gefangene. Er war von einer Kriegerin hereingeführt worden, die seinem Schritt mit dem Speer etwas nachgeholfen hatte. Dabei war sie fast an ein wichtiges Bestandteil seiner Männlichkeit geraten. Wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte er nur noch für das Vergnügen meiner Kriegerinnen dienen können, weil dann Nachwuchs unmöglich gewesen wäre. Trotz der möglichen Katastrophe mußte ich lachen.

»Grinse ruhig, Mädchen«, fauchte er. »Der Tag wird kommen, wo ich mit dir meinen Spaß haben werde.« »Das wird ein lohnendes Lebensziel sein«, lachte ich. Auch Fideran hatte so gesprochen, als wir ihn gefangennahmen, und doch war er nicht gegangen, als er die Gelegenheit hatte. Männer sind merkwürdige Wesen. Keine Kriegerin wird sie je verstehen, vielleicht nicht einmal Mida. Der Gefangene warf mir einen finsteren Blick zu, als er sich an den Pfahl hockte, an den man ihn angebunden hatte. Sein Blick wurde noch finsterer, als er auf Fideran fiel, der neben mir auf dem Fell hockte. Verächtlich musterte er den kurzen Lendenschurz, den Fideran trug. Fideran erwiderte seinen verächtlichen Blick. Beide konnten sich nicht leiden, das war zu merken.

»Dein Zelt ist ziemlich öde, Mädchen«, sagte der Gefangene. »Gibt es hier nichts, das dir das Leben etwas aufheitert?« »Ich weiß nicht, was du meinst«, entgegnete ich. Offenbar verstand er noch weniger vom Leben einer Kriegerin, als Fideran es zu Beginn getan hatte.

»Nun, Dinge wie Seidentücher, mit denen du die Wände bedeckst, funkelnde Steine, die du dir anstelle von diesem Stück Holz um den Hals hängst, verführerische Düfte, die den Gestank hier erträglicher machen.«

»Aus welchem Grund sollte ich danach verlangen?« fragte ich. »Funkelnde Steine sind in der Schlacht wenig von Nutzen. Wir schenken sie den Männern, wenn sie uns dienen. Seidentücher und verführerische Düfte sind ebenfalls lächerlich für eine Kriegerin.«

»Ein Weib, das nichts von solchen Dingen hält, muß einen schon sehr traurig stimmen«, sagte der Gefangene mit unterdrückter Stimme. »Du führst ein eintöniges Leben, Mädchen. Das muß nicht sein.«

»Alles ist so, wie Mida es vorherbestimmt hat«, erklärte ich ihm freundlich. »Verzweifle aber nicht an deinem Unverstand. Jemand ohne Seele kann nicht anders denken.« »Ohne Seele?« antwortete er ärgerlich. »Du glaubst, ich habe keine Seele und bedauerst mich deshalb? Bei Sigurrs faulem Zahn, ich will nicht von einer halbnackten Wilden bedauert werden. Binde mich sofort los!«

Erneut kämpfte er mit seinen Fesseln. Ich mußte lächeln, als ich von dem Daru trank, den Fideran mir reichte. Sein kräftiges Aroma füllte das Zelt. Der Gefangene hielt inne und sagte: »Soll ich hier eigentlich auch verhungern und verdursten? Ich habe nichts mehr zu mir genommen, seitdem deine Weiber mich überfielen.«

»Du wirst gleich etwas zu trinken bekommen«, sagte ich, »denn du mußt hier nicht darben.«

Befriedigt murmelte der Gefangene: »Sie sollten sich aber beeilen«, ohne das versteckte Lächeln von Fideran zu bemerken. Der machte keine Anstalten, seinen Geschlechtsgenossen zu warnen.

Ich hatte gerade den zweiten Schluck Daru genommen, als Larid und eine andere Kriegerin mit einem Topf hereinkamen. Lächelnd boten sie ihn dem Gefangenen an. Der roch vorsichtig daran und trank ihn dann in einem Zug aus. Meine beiden Kriegerinnen wechselten zufriedene Blicke, dann sahen sie mich an. Ich nickte ihnen lächelnd zu, und sie entfernten sich wieder.

»Ungewöhnlich erfrischend«, bemerkte der Gefangene und leckte sich die Lippen. »Ich schätze, daß man in den Tavernen der Städte sehr viel dafür bezahlen würde. Wie heißt der Trank?«

»Man nennt ihn ›Eines Mannes Stählung‹«, antwortete Fideran lachend. »Du wirst ihn in kurzer Zeit viel zu erfrischend finden.« »Was erzählt dein männliches Spielzeug da ?« fragte der Gefangene. »Hat ihn sein Verstand mit seiner Männlichkeit verlassen?«

»Wenn du von den Fesseln befreit bist, werden wir über Männlichkeit reden«, gab Fideran zurück. »Ich habe den Gebrauch eines Schwertes noch nicht verlernt!« »Fideran«, sagte ich beschwichtigend, »er weiß doch noch nicht, wovon er redet. In Kürze wird er sich nicht mehr so aufführen.«

»Vielleicht«, entgegnete Fideran. Er schien nicht zufriedengestellt. Kriegerinnen verstehen Männer eben nicht. Ich hatte mein Daru fast ausgetrunken, als der Gefangene sich unbehaglich am Boden zu wälzen begann. Fideran und ich betrachteten ihn aufmerksam. Unter unseren Blicken begann er zu erröten.

»Worüber freut ihr zwei euch so?« fuhr er uns hitzig an, bemüht, das zu verbergen, was sich unter seinem Gewand so unzweideutig abzeichnete.

»Wir betrachten einen Mann, der nachhaltig erfrischt wurde«, antwortete Fideran, »und dessen Erfrischung bis zum Einbruch der Dunkelheit anhalten wird.«

»Was redest du für einen Unsinn«, fauchte der Gefangene, aber der Blick, den er mir zuwarf, sprach Bände. Wenn er nicht gefesselt gewesen wäre, hätte er sich auf mich geworfen, um das Feuer zu stillen, das nun in seinen Adern brannte. Er brüllte und kämpfte gegen seine Fesseln an, aber nicht, um sich zu befreien, sondern um die Gelegenheit zu haben, mich zu ergreifen und zu nehmen. Ich lächelte zufrieden. »Er reagiert sehr schnell«, sagte ich zu Fideran, der sich hinter mich gekniet hatte. »Er wird uns sehr nützlich sein.« Auf meinen Ruf kamen Larid und einige andere Kriegerinnen ins Zelt und betrachteten gierig den Gefangenen. »Ihr könnt ihn nun in das Männerzelt schaffen«, sagte ich, »aber achtet darauf, daß ihr ihn nicht zu sehr strapaziert.« »Wir werden darauf achten, Jalav«, murmelte Larid. Sie schien nicht in der Lage, ihren Blick von dem Gefangenen zu lösen, der noch immer vergeblich versuchte, mich zu erreichen. Seine Wildheit steigerte sich noch, als Fideran begann, mich zu liebkosen. Meine Kriegerinnen mußten ihn mit Gewalt aus dem Zelt entfernen.

Nachdem sie gegangen waren, wandte ich mich Fideran zu, der gleichfalls wie berauscht schien. Er preßte mich so heftig auf den Boden, daß ich ihm zur Abwehr meinen Dolch an die Kehle setzen mußte. Da erst kam er zur Besinnung und legte sich so, daß ich Gebrauch von ihm machen konnte. Das bereitete mir großen Spaß, aber seine Reaktionen waren nicht so wie gewöhnlich. Zwar war seine Begierde sehr stark, aber seine Befriedigung schien ihm nicht zu genügen. Als die Leidenschaft uns beide verlassen hatte, setzte sich Fideran hin und betrachtete Schild und Speer, die Zeichen meiner Würde als Anführerin. Viele Anführerinnen hatten diesen langen, ovalen Schild schon voller Stolz in der Schlacht getragen, ihn nie durch eine Flucht entehrt. Bevor eine Midanna aufgibt, stirbt sie lieber.

»Du darfst ihn nicht gebrauchen«, sagte Fideran plötzlich. »Wovon sprichst du?« fragte ich, damit beschäftigt, die Beinschnallen wieder zu befestigen, die meinen Dolch hielten. »Von dem neuen Gefangenen«, entgegnete er, während er sich umdrehte und mich heftig anstarrte. »Glaubst du, daß ich hier in deinem Zelt bleiben würde, nackt und ohne Stolz, um dir als Sklave zu dienen, während du von ihm Gebrauch machst? Er soll dich nicht haben!«

»Nein«, sagte ich im Aufstehen, »er wird mich nicht haben. Ich werde ihn haben. Hast du das vergessen?« »Das bleibt sich gleich«, sagte Fideran. »Ich will nicht, daß ein anderer besitzt, was mir gehört. Du darfst ihn nicht nehmen.« »Darfst?« fragte ich ruhig. »Was dir gehört? Du scheinst zu vergessen, daß ich nur meinen Kriegerinnen gehöre, niemals einem Mann. Nimm sofort deine Sachen und geh zu deinem Volk zurück!«

Ich wandte mich ab. Fideran fiel auf die Knie, schlang seine Arme um meine Beine und preßte sein Gesicht an meinen Körper.»Nein!« schrie er. »Bitte, schick mich nicht fort, Jalav! Dieser Fremde begehrt dich, und wenn er dich einmal besessen hat, wird er dich nie wieder lassen wollen. Ich liebe dich, Jalav, und ich möchte immer nur für dich leben. Bitte, schick mich nicht fort!«

Ich seufzte und strich ihm zärtlich über die Haare. »Fideran«, sagte ich, »hör, was ich dir zu sagen habe. Dein Glück bei den Midanna ist nicht von Dauer. Es wäre klug, wieder zu deinem Volk zurückzukehren. Ich bin glücklich, daß du mich liebst, aber ich kann diese Liebe nicht erwidern. Das werde ich nie können.«

»Erlaube mir, bei dir zu bleiben, Jalav«, flehte er. »Vielleicht werde ich dir eines Tages ein Kind schenken, wie ich es anderen geschenkt habe. Dann wirst du mich lieben, Jalav!« Er hatte nicht verstanden, warum er mir kein Kind schenken konnte. Eine Anführerin der Midanna muß die Blätter des Dablabusches kauen, damit sie immer in der Lage ist, ihre Kriegerinnen in die Schlacht zu führen. Zwar wurde gesagt, daß man etwas dagegen tun konnte, aber ich wußte nicht, was. Vielleicht wußte die Oberste Hüterin es, ich nicht. »Kümmere dich um den Daru, Fideran«, sagte ich. »Sollte die Oberste Hüterin eintreffen, bevor ich zurückkomme, bediene sie gut.« Gehorsam zog er sich zurück.

Draußen war es hell und warm, erleuchtet durch Midas Strahlen. Die schwarzen und grünen Zelte der Hosta boten einen freundlichen Anblick. Auf der Jagd und im Krieg haben die Midanna nichts als ihre Waffen und ihr Schlafleder bei sich, denn sie wollen ihrer Beute oder ihren Gegnern nicht verraten, wo sie rasten. Zu Hause ist das anders. Aber auch hier werden Posten aufgestellt, und die Kriegerinnen sind jederzeit bereit, auf einen Weckruf hin aufzuspringen.

Das Lager schien verlassen. Einen Moment war ich verwirrt, aber dann hörte ich das Gelächter aus dem Zelt in der Mitte des Lagers, das keine Stammesfarben trug. Natürlich zog der neue Gefangene die Aufmerksamkeit meiner Kriegerinnen an. Er war attraktiv, anziehender noch als Fideran, der lange Zeit der einzige Mann bei uns gewesen war.

Ich hoffte, daß meine Kriegerinnen meine warnenden Worte beherzigt hatten. Trotz ihres robusten Aussehens sind Männer oft zerbrechliche Wesen und können überbeansprucht werden bis zu dem Punkt, an dem sie nichts mehr taugen. Die Harra, ein Schwesterstamm, halten ihre Gefangenen wie Sklaven. Sie müssen sie oft durch Überfälle auf kleine Dörfer erneuern. Ich habe ihre Sklaven gesehen. Sie zucken bei der geringsten Berührung ängstlich zusammen. Bei dieser Gelegenheit bedauerte ich es, daß die Harra nicht unsere Blutsfeinde sind.

Ich trat in das Zelt und sah meinen Kriegerinnen zu. Sie hatten den Gefangenen so auf dem Boden festgebunden, daß er sich kaum bewegen konnte. Eine Kriegerin war gerade in den Besitz seines begehrten Samens gekommen. Trotzdem war er nicht müde. Seine Lust würde noch für viele reichen. Aber in seinen Augen war der Zorn über seine Lage zu lesen. Selbst als ihn jetzt eine andere Kriegerin bestieg und seine Hände begierig nach ihr griffen, ahnte ich, daß er nicht der Mann war, der freiwillig bei uns bleiben würde, wenn wir ihn nicht mehr brauchten.

Kilin kroch an seine linke Seite. Zusammen mit den anderen lachte sie ihn aus, als er zunächst versuchte, so zu tun, als interessiere sie ihn nicht, aber dann doch begierig nach ihr griff und das tat, wozu nur die Männer taugen. »Gleich bin ich dran, Jalav«, sagte sie. »Die Beute meines Speers war nicht sehr groß, aber sie langte, um mich an die Reihe zu bringen, ehe er zu sehr ausgetrocknet ist. Es wird mir Spaß machen.« »Dazu ist er da, Kilin«, sagte ich. »Zuvor möchte ich aber noch ein paar Worte mit dir wechseln.« Sie folgte mir aus dem Zelt. Zu meiner Verwunderung fing ich dabei einen Blick des Gefangenen auf, der nicht etwa der Kriegerin galt, die ihn gerade in Besitz hatte, sondern mir. Sein langes, rotblondes Haar hing wirr in sein verschwitztes Gesicht, und trotzdem sah er mich verlangend an. Ich lächelte ihm zu. Das nächstemal, wenn ich ihn sehen würde, war er bestimmt nicht mehr so geil.

Bevor ich zu sprechen begann, entfernten wir uns einige Schritte von dem Zelt, Midas Licht brach sich in dem Silberring, der in ihrem rechten Ohr hing und sie als eine Kriegerin auswies, die den Feind erfolgreich in der Schlacht geschlagen hatte. Ich trug den gleichen Ring, aber auch einen im linken Ohr, der mich als Anführerin in der Schlacht kennzeichnete. Auf diese Weise fanden sich die Führerinnen, um ihre Klingen miteinander zu kreuzen.

»Kilin«, sagte ich, »ich bitte dich um einen Gefallen. Du weißt, daß ich im Morgengrauen fortreiten werde, um den Kristall der Mida zurückzuholen und die zu rächen, die ermordet wurden. Alle Kriegerinnen der Hosta werden mit mir reiten bis auf diejenigen, die bei der Obersten Hüterin zurückbleiben müssen. Zu denen gehörst du.«

»Willst du, daß ich mit dir reite, Jalav?« fragte sie mit freudiger Stimme. »Ich habe bereits versucht, mit einer der Kriegerinnen zu tauschen, aber keine willigte ein. Aber ein Wort von dir, und...«

»Nein, Kilin«, sagte ich und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Alle müssen in einer solchen Zeit ihre Last tragen, und deine ist es, hierzubleiben. Ich würde gerne über dein Schwert dort im Norden verfügen, aber es kann nicht sein.« »Was kann ich dir dann für einen Gefallen tun?« fragte sie resigniert.

»Ich habe viel über Fideran nachgedacht«, erklärte ich ihr. »Er hat uns lange Zeit gut gedient, und ich möchte nicht, daß es ihm schlecht gelohnt wird. Ich glaube, daß er versuchen will, mir in den Norden zu folgen, aber das darf er nicht. Deswegen sollst du dafür sorgen, daß er hierbleibt, als Gefangener, ohne daß ihr ihm den Trank gebt. Später kann er nach seiner freien Wahl zurück zu seinem Volk gehen oder hierbleiben. Ich habe in der Vergangenheit gesehen, daß du ihn sehr schonend benutzt hast. Behandele ihn weiter so.« »Das mache ich gern, Jalav«, sagte sie mit einem zärtlichen Lächeln. Sie war eine kühne Kriegerin, konnte aber auch sehr zärtlich sein, wenn es nötig war.

»Ich habe es ihm noch nicht gesagt, Kilin«, sagte ich, »und ich werde es ihm auch nicht sagen. Komme in der Dunkelheit und hole ihn dir.«

»Ich hatte bisher immer gedacht, daß Männerraub unter den Hosta nicht erlaubt sei«, sagte Kilin mit einem Lächeln. »Nun raube ich mir sogar einen Mann aus dem Zelt meiner Anführerin.«

»Aber nur, wenn sie es erlaubt«, entgegnete ich lachend. »Sollte eine Kriegerin dies ohne meine Erlaubnis versuchen, würde sie keinen Bedarf mehr für das haben, was sie sich holen wollte. Aber nun solltest du ins Zelt zurückgehen, Kilin. Mit der Dunkelheit werden die restlichen Kriegerinnen zurückkehren, und dann wird es noch einen großen Bedarf für den Gefangenen geben.«

»Vielleicht haben sie ihren Bedarf schon in Islat befriedigt«, meinte Kilin.

»Im Interesse des Gefangenen möchte ich das hoffen«, kicherte ich und nahm ein Blatt vom Baum, um darauf zu kauen. »Es hat den Anschein, als ob die Dienste, die er uns leistet, ihm keinen Spaß machen.«

»Ich hoffe immer noch, daß Mida uns eines Tages jemanden sendet, der den Trank nicht nötig hat«, sagte Kilin und kaute gleichfalls ein Blatt. »Es wird erzählt, daß es einst Männer gab, die so stark waren, daß sie darauf verzichten konnten.« »Wie sollte das aber heute noch der Fall sein«, sagte ich. »Sie leben in ihren Städten, verwöhnt von ihren Weibern. Nichts müssen sie selber tun. Wie wollen sie da noch starke Männer sein?«

»Das stimmt«, entgegnete Kilin. »Wir haben das Glück, daß unsere Vorfahrinnen die Städte verließen, um Mida zu folgen, sonst wären wir genauso schlapp wie ihre Sklavinnen.« »Wir sind es aber nicht«, sagte ich, »doch müssen wir unsere Freiheit verteidigen, damit wir sie nicht verlieren. Du mußt nun gehen, Kilin, sonst hat deinen Platz auf dem Gefangenen eine andere eingenommen. Ich glaube, daß ihm ein wenig Zärtlichkeit guttun könnte.«

»Ich glaube, er wird von mir wenig Zärtlichkeit bekommen«, lachte Kilin. »Sein Anblick alleine reizt mich schon, und ich möchte ihn unter mir stöhnen hören. Er ist der beste Sthuvad, den ich je gesehen habe.«

Sie winkte mir abschiednehmend zu und lief zum Zelt, so wie ein Jäger hinter der Beute her ist. Ich überlegte, ob ich ihr folgen sollte. Es hatte mir nichts ausgemacht, wie der Gefangene mich angesehen hatte, noch, wie er mich angesprochen hatte. Sollte er dies aber noch einmal wagen, so würde er nicht ungestraft davonkommen.

Gerade wollte ich ebenfalls in das Zelt gehen, als ich durch die Ankunft der Obersten Hüterin davon abgehalten wurde. Würdevoll schritt sie inmitten der Prozession in das Lager. Zehn Kriegerinnen begleiteten sie, gekleidet nicht nur in den Farben der Hosta, sondern auch der Harra, der Heida und der Hitta. Kriegerinnen aller zehn Stämme unserer Schwesternschaft gaben ihr das Geleit. Die Oberste Hüterin selbst saß in einer offenen Sänfte, die von vier Gandod getragen wurde. Bei jedem ihrer Schritte schaukelte die Sänfte hin und her, aber das schien die Oberste Hüterin nicht im mindesten zu berühren. Sie war eine hochgewachsene, kräftige Frau, vital trotz ihres Alters. Ich ging der Prozession entgegen und begrüßte Rilas, die Oberste Hüterin, ehrfürchtig.

Rilas begrüßte mich mit einem Lächeln, hieß die Prozession anhalten und stieg aus der Sänfte. Sie trug einen Schurz, der ihr bis zu den Knöcheln ging, und von allen Stammesfarben der Midanna bedeckt war.

»Midas Segen sei mit dir, Jalav«, sagte sie. »Ich freue mich immer, wenn ich die Hosta besuchen kann, wünschte jetzt aber, es geschähe unter anderen Umständen. Bereitet ihr euch auf den Ritt vor, um den Kristall der Mida zu suchen?« »Natürlich, Rilas«, sagte ich. Ihr Haar reichte fast bis zu ihren Füßen, obwohl es nicht mehr so golden wie in ihrer Jugend war. Sie war auch einmal eine tapfere Kriegerin gewesen, wie hätte sie sonst jetzt Mida dienen können. »Wir wollen im Morgengrauen aufbrechen. Einen Teil dieses Tages muß ich Mida widmen. Am Abend möchte ich mit dir sprechen, welche Hilfe du uns zuteil werden lassen kannst.« »Das werde ich gerne tun«, entgegnete sie, dann blickte sie erstaunt zum Zelt in der Mitte des Lagers. »Habt ihr schon einen der Verbrecher gefangen?« fragte sie. »Nein«, sagte ich und lächelte. »Wir haben einen Gefangenen gemacht, aber er ist unschuldig. Er dient uns jetzt als Sthuvad. Sollte er Vater werden, sende ich die Kriegerin zu deinem Hort, denn das neue Leben darf nicht verschwendet werden.« »Gut«, sagte Rilas. »Jalav, ich bin am Hort des Kristalls gewesen, ehe ich hierherkam. Ich möchte bei dir sein, wenn du mit Mida sprichst und ihr die Verdienste derer schilderst, die sich auf den Weg zu ihr gemacht haben. Du sollst nicht alleine von derjenigen sprechen, die dich geboren hat.« »Ich danke dir, Rilas«, sagte ich. Ich dachte an meine Kriegerinnen, die dort mit durchschnittener Kehle lagen, besonders an die eine, die mich einmal geboren hatte. Ich ließ mir mein Schwert und einen Topf Daru für Rilas bringen, dann entfernten wir uns in den Wald. Als die Entfernung zum Lager groß genug war, zog ich mein Schwert aus der Scheide und richtete mich auf. Rilas stand neben mir. »Höre mich, Mida«, rief ich zum Himmel, die Arme und das Schwert ausgestreckt. »Ich möchte mit dir über diejenigen reden, die dein Königreich betreten wollen. Sie alle waren tapfere Kriegerinnen der Hosta und es ist nicht ihre Schuld, daß sie letzten Endes unterlagen. Ich, die Anführerin der Hosta, werde sie persönlich rächen und ich bitte dich, ihnen zu erlauben, dein Königreich zu betreten, damit sie nicht ewig auf dem grauen Pfad wandern müssen.«

Dann stieß ich mein Schwert wieder in die Scheide und zog meinen Dolch, mit dem ich meinen linken Arm ritzte. In das Blut tauchte ich zwei Finger, die ich gegen den Himmel hielt. »Mein Blut ist vergossen worden, Mida«, rief ich. »Die, die mich gebar, wurde sinnlos gemartert und gemordet, um ihren Platz in deinem Königreich gebracht. Ich weiß, daß du die Leute in den Städten bereits verflucht hast, aber ich bitte, hilf mir bei meiner Vergeltung, Mida! Schenk mir deine Gnade, Mida, damit das Blut meiner Feinde genauso vergossen werden wird wie mein eigenes!«

Danach warf ich mich zu Boden, um derer zu gedenken, die mich geboren hatte. Sie hatte mich den Gebrauch von Schwert und Dolch, von Speer und Bogen gelehrt. Ihr Stolz, als ich zur Anführerin der Hosta gewählt wurde, hatte meine Freude verzehnfacht. Sehr jung hatte sie mich geboren, hatte gerade erst ihre Mannbarkeit erreicht, als man den Gefangenen gemacht hatte. Bis zu ihrem Tod hatte sie jung ausgesehen. In jeder Schlacht hatte sie an meiner Linken gestanden, ein Schwert, auf das man sich verlassen konnte. Nun war sie nicht mehr.

Es war schon fast dunkel, als Rilas und ich zum Zelt zurückkamen. Fideran hatte die Kerzen angezündet und Fleisch für mich und Rilas gebraten. Als wir unsere Dolche zogen, um das Fleisch zu zerteilen, schrie Fideran auf und griff nach meinem linken Arm.

»Jalav, du bist verwundet!« rief er. »Ich werde sofort ein Tuch holen, um die Wunde auszuwaschen und zu verbinden.« »Nein, Fideran«, sagte ich und zog meinen Arm zurück. »Die Wunde muß bis zum Morgengrauen so bleiben.« »Ich verstehe«, sagte Fideran. Dabei verstand er viele unserer Bräuche überhaupt nicht. Es beunruhigte ihn auch, daß er sie nicht ändern konnte. Er setzte sich mit gebeugtem Haupt ans Feuer. Ich war froh, daß er bald eine andere haben würde, die er umsorgen konnte, ohne daß meine Handlungen ihn noch länger verwirrten.

Die Oberste Hüterin und ich wollten uns auch gerade setzen, als wir weitere Gesellschaft bekamen. Der Gefangene wurde hereingebracht, um sich in meinem Zelt auszuruhen und Kräfte für weitere Anstrengungen zu sammeln. Das Feuer hatte ihn verlassen, nun hing er in den Armen der Kriegerinnen, die ihn hereinbrachten. Sein Schritt war schwer, sein Gesicht blaß. Müde ließ er sich neben dem Pfosten nieder, an dem er wieder angebunden wurde.

»Er schaut wirklich gut aus«, bemerkte Rilas. »Ein Glück, daß er nicht in den Diebstahl verwickelt war, sonst hätte man sich seiner nicht so bedienen können. Schade, daß er nicht lange im Dienste der Hosta stehen wird.«

»Sollte ich je freikommen«, sagte der Gefangene leise, »wird es die Hosta nicht mehr geben. Ich werde Vergeltung fordern für das, was mir angetan wurde.«

»Vielleicht werde ich ihn an die Harra weitergeben«, sagte ich. »Sie haben eine größere Zahl von Kriegerinnen, und ihre Bedürfnisse, so habe ich gehört, sind auch größer.« »Quäle ihn nicht, Jalav«, tadelte Rilas mich. »Die Hosta haben ihre Gefangenen immer freigelassen, wenn sie ihrer Dienste nicht mehr bedurften. Willst du die alten Sitten ändern?« »Auch alte Sitten überleben sich«, erwiderte ich. »Die Harra benötigen immer wieder Gefangene, um diejenigen zu ersetzen, die sie zu sehr abgenutzt haben. Meinst du nicht, Rilas, daß unser Gefangener Gefallen daran findet, den Kriegerinnen zu dienen?«

»Du wirst die erste sein, Mädchen, die meine Rache treffen wird«, schnaubte der Fremde. »Wenn du erst meine Peitsche auf deinem Rücken fühlst, wirst du wissen, was es heißt, in der Gewalt eines anderen zu sein. Und das wird geschehen, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.« Ich warf das Fleisch, an dem ich gerade nagte, auf den Boden und baute mich vor ihm auf. »Höre, Sthuvad«, sagte ich. »Ich bin Jalav, die Anführerin der Hosta. Wenn Mida es will, werde ich in der nächsten Schlacht enden. Aber deine Beleidigungen habe ich mir das letzte Mal angehört.« Dann rief ich meine Kriegerinnen herein und befahl ihnen, den Gefangenen zu züchtigen. Er versuchte sich zu wehren, als sie ihn aus dem Zelt zogen, aber seine Kräfte waren aufgebraucht. Trotzdem beeindruckte er mich mit seiner Tapferkeit.Rilas sagte kein Wort. Es ist auch nicht die Aufgabe der Obersten Hüterin, sich in die Angelegenheiten einer Anführerin der Midanna einzumischen. Fideran war aufgesprungen, als ich die Kriegerinnen hereingerufen hatte, verzichtete dann aber darauf, sich einzumischen.

Nach einiger Zeit wurde der Gefangene wieder hereingebracht. Sein Rücken zeigte die Spuren seiner Bestrafung. Er schwieg mit trotzig zusammengepreßten Lippen. Nachdem wir unser Fleisch verzehrt hatten, das Fideran wie üblich hatte zu lang braten lassen, griffen wir zu unseren Pfeifen und dem Topf mit Daru. Der Daru war sehr gut gebraut. Voller Wehmut dachte ich daran, daß ich bald niemanden mehr für die Aufgabe haben würde. Fideran kniete am Feuer, als Kilin mit zwei anderen Kriegerinnen eintrat. Ich nickte ihnen zu, und sie warfen sich auf ihn und banden ihn. »Jalav, was haben sie mit mir vor?« schrie er, als sie ihn aus dem Zelt zogen. »Ich will nicht von dir fort.« »Midas Segen sei mit dir, Fideran«, sagte ich. »Vielleicht sehen wir uns eines Tages vor Midas Thron wieder.« Seine Schreie verhallten in der Ferne, und ich strich ihn aus meinem Gedächtnis.

»Alle Stämme unserer Schwesternschaft müssen sich auf den Krieg vorbereiten, Rilas«, sagte ich. »Sollten wir Hosta uns als zu schwach erweisen, die Diebe des Kristalls zu überwältigen, müssen alle Stämme es versuchen. Ich werde Boten zu ihnen aussenden.«

»Ich werde die Stämme gleichfalls besuchen, um sie zu unterrichten«, sagte Rilas. »Du reitest direkt nach Ranistard?« »Ja«, sagte ich. »Es liegt direkt im Norden und wird nicht schwierig zu finden sein. Ich werde an Ort und Stelle entscheiden, wie wir vorgehen.«

»Du und deine Kriegerinnen, ihr seid noch nie in den Städten im Norden gewesen«, dachte Rilas laut nach. »Ich hatte in meiner Jugend einmal die Ehre, eine solche Stadt miterobern zu helfen. Ihre Mauern mußten erklettert werden, damit man die Tore von innen öffnen konnte. Zu diesem Zweck banden wir geflochtene Lederriemen aneinander und warfen sie mit einem eisernen Anker über die Mauer. Daran kletterten unsere Kriegerinnen hoch. Die Weiber der Stadt waren nachlässig in ihren Pflichten, und so gelang der Überfall. Seit dieser Zeit werden die Mauern der Städte besser bewacht, daran mußt du denken.«

»Ja, daran muß ich tatsächlich denken«, erwiderte ich. »Die Mauern von Ranistard müssen fallen, bevor meine Kriegerinnen sie erreichen, aber auch nicht zu früh, damit man nicht das vernichtet, was wir uns holen wollen. Das darf unter keinen Umständen geschehen.«

»Vielleicht solltet ihr zuvor an einer anderen Stadt üben«, schlug Rilas vor. »Ein Fehler, den ihr dort macht, würde nicht so entscheidend sein.« »Das ist eine sehr gute Idee«, sagte ich. »Ich habe von der Stadt Bellinard gehört, die noch weiter entfernt liegt. Vielleicht solltet ihr diese zuerst erobern«, meinte Rilas.

Während ich über diesen Vorschlag nachdachte, betraten zwei Kriegerinnen das Zelt. Sie brachten kleingeschnittenes Fleisch, um den Gefangenen damit zu füttern. Hätte er nicht solch großen Hunger gehabt, dann hätte er es bestimmt abgelehnt. Während er kaute, ruhte sein Blick unverwandt auf mir. Unterdessen betrat eine andere Kriegerin das Zelt, die die Stammesfarben der ermordeten Kriegerinnen und Hüterinnen brachte. »Hier sind die Stammesfarben, wie du es befohlen hast, Jalav«, sagte sie. »Wir waren aber nicht in der Lage, das Amulett der dritten Kriegerin zu finden, weder im Hort noch in seiner Umgebung. Sollen wir weiter suchen?« Ich schüttelte den Kopf und entließ sie. Ich wußte sehr wohl, wo ich das Amulett derjenigen finden würde, die mich geboren hatte. Es war mit dem Kristall entführt worden. Diejenigen, bei denen ich es finden würde, waren meiner blutigen Rache sicher.

Ein Durcheinander bei dem Gefangenen zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte sein Fleisch aufgegessen, weigerte sich aber nun, aus dem Topf zu trinken, den man ihm gereicht hatte.

»Meinst du, ich bin ein Narr, Mädchen«, protestierte er. »Niemals wieder werde ich in diesem Lager irgend etwas trinken. Lieber verdurste ich.«

»Ich sehe keinen Grund für deine Weigerung«, entgegnete meine Kriegerin. »In diesem Topf ist nur frisches Quellwasser. «

»Und das soll ich glauben«, entgegnete der Gefangene lachend. »Einmal war ich so dumm, und habe meine Strafe bekommen. Diesmal legt ihr mich nicht herein. Laß mich in Ruhe!«

Die Kriegerin entfernte sich, und der Gefangene sah mich triumphierend an. Ich trank gelassen meinen Daru und rauchte eine Pfeife.

Die Droge wirkte diesmal noch schneller als beim erstenmal. Ich sah, wie er sich unruhig hin und her wälzte, als er eine Erektion bekam und schließlich begriff, was geschehen war. »Der Topf enthielt tatsächlich nur frisches Quellwasser«, sagte ich. »Die Droge war diesmal im Fleisch. Wie hat es dir geschmeckt?«

»Nein«, brüllte er. »Du kannst mir nicht noch einmal solch eine Behandlung angedeihen lassen. Ich bin ein Krieger. Ein Krieger, verstehst du?«

»Du bist bloß ein Sthuvad, ein ganz gewöhnlicher Sthuvad«, sagte ich. »Und ein Sthuvad ist lediglich zur Befriedigung der Kriegerinnen da. Oder wurdest du von einer Kriegerin geboren und bist lediglich in der Stadt aufgewachsen? Vielleicht behauptest du nur, du seist ein Krieger?« »Ich bin in der Stadt geboren«, entgegnete er. Seine Augen sprühten Feuer. »Nie zuvor habe ich etwas über euch Pack giftiger Vipern gehört, bis ich euch in die Hände fiel. Aber ich werde nie vergessen, was ihr mir angetan habt. Niemals!« »Wir haben erfahren«, bemerkte Rilas gelassen, »daß diejenigen, die wir gefangennahmen und später wieder freiließen, niemals über ihre Erlebnisse zu anderen gesprochen haben. Ich kenne den Grund dafür nicht, aber auf diese Weise bekommen wir immer wieder Nachschub. Würde irgendeiner unserer Gefangenen einmal plaudern, würde sich sehr wahrscheinlich niemand mehr trauen, durch unser Gebiet zu reisen. Auch du wirst den Mund halten, nehme ich an.« Der Gefangene warf ihr einen haßerfüllten Blick zu, aus dem zu entnehmen war, daß sie recht hatte. Bald erschienen Larid und einige andere, um ihn wieder ins Männerzelt zu bringen. Meine Kriegerinnen hatten sich gesättigt. Nun suchten sie Zerstreuung.

Rilas und ich saßen noch eine Weile zusammen und diskutierten über den Grund, warum man den Kristall gestohlen hatte. Wäre die Tat von feindlichen Midanna begangen worden, hätte der Grund auf der Hand gelegen. Aber uns war nicht klar, warum die Bewohner der Städte so begierig danach waren. Die Kristalle waren den Midanna von den Boten der Mida viele, viele Kalod früher zur Bewachung übergeben worden, bis zu dem Tag, an dem Mida selbst wieder davon Gebrauch machen wollte. Die Männer aus den Städten konnten überhaupt nichts damit anfangen. Niemand kannte die genaue Bedeutung der Kristalle, obwohl man glaubte, daß Mida selbst durch sie sprechen würde, um ihre Wünsche mitzuteilen. Ein Kristall wurde von den Hosta aufbewahrt, ein anderer von den feindlichen Silla. Aber es war keine Kunde gekommen, daß man auch jenen gestohlen hatte oder es versuchte.

Ich schlug vor, einige Kriegerinnen zu den Silla zu senden, um zu erfahren, was mit dem Kristall geschehen war, den sie bewachten. Rilas stimmte zu, bestand aber darauf, daß die Aufgabe von ihren Hüterinnen übernommen wurde. In diesem Sinn einigten wir uns.

Danach zog Rilas sich in ihr Zelt zurück. Da ich schmerzlich die Gegenwart von Fideran vermißte, begab ich mich nach draußen. Die Dunkelheit wurde vom Eingang zu Midas Königreich wohltuend erleuchtet, der öfter seine Stellung am Himmel wechselt. Zum Kummer der Midanna ist er nicht immer zusehen, aber zu solchen Zeiten trösten uns die glänzenden Splitter, die am Himmel zu sehen sind.

Aus dem Männerzelt hörte ich das Lachen meiner Kriegerinnen. Ich lenkte meinen Schritt dorthin. Innen war es sehr warm, von den Körpern meiner Kriegerinnen und von einem Feuer, das man angezündet hatte, um daran Daru zu brauen. Die Kriegerinnen saßen um den Gefangenen herum, tranken Daru und gaben ihm oder der Gefährtin, die ihn gerade besaß, nützliche Ratschläge. Zwar waren sie zwecklos, aber der Gefangene spürte den Hohn, der in ihnen lag und machte erneut vergebliche Versuche, zu entkommen. Dies verursachte großes Gelächter.

Man hatte den Gefangenen diesmal hart herangenommen. Wäre er nicht so stark gewesen, hätte er wohl kaum überlebt. Bei seinen Fluchtversuchen hatte er sich die Gelenke blutig gescheuert. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen. Nur seine Augen waren dieselben geblieben, gefüllt mit unendlichem Zorn und Haß. Als ich vor ihm stand und der Kriegerin zusah, die sich seiner bediente, trafen sich unsere Blicke. Seine Augen ließen mich nicht mehr los.

Meine Kriegerin hatte bekommen, was sie wollte, und stand auf. Alle im Zelt sahen mich an, neugierig, ob ich ihm die Ehre erweisen würde. Ich sah, wie sich seine Brust hob und senkte, roch seinen Schweiß. In seinen Augen konnte ich das Verlangen lesen, das Verlangen nach mir, der Anführerin der Hosta, ein Verlangen, das noch stärker war als das durch die Droge erzeugte. Ich sah ihn einen Moment an, dann wandte ich mich ab und sagte: »Bindet ihn anständig fest und bewacht ihn gut. Ich möchte nicht, daß er uns gestohlen wird, nachdem er uns so gute Dienste leistet.«

Das Lachen meiner Kriegerinnen übertönte sein wütendes Schnauben und seine vergeblichen Versuche, sich zu befreien. Er war sich so sicher gewesen, daß ich ihm die Ehre geben würde, ihn zu demselben Zweck zu benützen wie meine Kriegerinnen. Aber ich war ihre Anführerin und konnte tun und lassen, was ich wollte. Und ich wollte nicht.

Ich kehrte in mein Zelt zurück, löschte die Kerzen und legte mich zum Schlafen nieder. Fideran fehlte mir. Mit dem Dolch fest in der Hand, wie es der Brauch ist, schlief ich ein.

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