Die Karawane bewegte sich nur langsam vorwärts, aber nicht so langsam, daß uns der Marsch keine Mühe gemacht hätte. Ich mußte wieder hinter den Kand von Telion und Ceralt herlaufen. Fayan neben mir hinter dem Kan von Nidisar. Wir hatten uns nur kurz angesehen, als wir uns am Morgen trafen, dann waren wir zu unseren eigenen traurigen Gedanken zurückgekehrt. Die Männer waren im ersten Morgengrauen aufgewacht. Telion hatte meine Leine so weit gelockert, daß ich selbst essen konnte. Aber ich war wütend, denn die Leine hatte mich zurückgehalten, so daß ich nicht an Telions Gewand herankam, um mich des kleinen Metallstückchens zu bemächtigen, um damit meine Fesseln zu lösen.
Als wir aus dem Zelt herauskamen, warteten die Kand der Männer bereits, zusammen mit einer großen Anzahl weiterer Männer, von denen einige Ketten trugen. Letztere hatten schnell die Zelte zusammengefaltet und sie auf ein Gefährt ohne Bedachung gelegt. Auch den Pfosten aus unserem Zelt vergaß man nicht mitzunehmen.
Mehr als sechsmal fünf Zelte wurden abgebaut, das konnte ich beobachten, ebenso, daß eine Gruppe junger Sklavinnen auf ein bedecktes Gefährt stiegen. Dann setzte sich die Karawane in Bewegung, begleitet von einer Anzahl bewaffneter Männer. Das Tageslicht, das hinter dichten Wolken hervorkam, war ebenso düster wie meine Stimmung. Jetzt zogen wir nach Ranistard, aber was nutzte es, wenn ich gefangen war? Als das Licht der Mida am höchsten stand, wurde Rast gemacht. Telion und Ceralt stiegen von ihren Kand ab und banden mich kniend an einen Baum. Meine Fesseln erlaubten es nur, die Hände bis in Hüfthöhe zu bewegen. Dann setzten sie sich mit Nidisar abseits und aßen von dem mitgebrachten Fleisch. Fayan war in der gleichen Weise wie ich fünf Schritt entfernt angebunden worden. Ich bedauerte es nicht, daß ich nicht mit ihr zusammen war, denn ich hätte ihr kaum Mut machen können. Nach einiger Zeit erregten einige Tierlaute meine Aufmerksamkeit. Zuerst hörte ich den Ruf eines Lellin, danach ertönte der Ruf eines Wrettan, der hoch oben in den Wipfeln nistet. Zunächst glaubte ich, ich hätte mich getäuscht, aber dann ertönten die Rufe dieser gefiederten Kinder der Wildnis erneut, und mich durchflutete große Freude. Ich schaute hinüber zu Fayan und sah, daß sie auch die Rufe gehört und verstanden hatte. Ich hob meine Arme, soweit es ging, und fragte sie in der geheimen Fingersprache der Midanna: »Siehst du sie?« Sie antwortete in der gleichen Weise: »Nein.«
Wir hatten beide die Erkennungsrufe der Hosta gehört, und doch konnten wir niemanden sehen. Ich sehnte mich nach dem Anblick meiner Kriegerinnen, doch war mir das Wissen um ihre Gegenwart Trost genug, um die grauen Wolken um mich zu verjagen. Mida hatte uns nicht verlassen! Die Männer, die weder etwas gehört noch gesehen hatten, kamen kurz darauf, um uns etwas Fleisch zu bringen. Ich hatte große Sorge, daß Fayan im Wissen, daß sie von den Hosta beobachtet wurde, sich wieder weigern würde, gedemütigt zu werden, und dadurch unabsichtlich ihre Gegenwart preisgab. Aber Fayan war eine tapfere und loyale Kriegerin, die selbst auf Kosten ihres Stolzes ihre Schwestern nicht verriet. Sie kniete vor Nidisar und aß ihm aus der Hand, widerstrebend zwar, aber gehorsam, und empfing dann mit geschlossenen Augen seine »Belohnung«. Als wir wieder aufbrachen, atmete ich erleichtert auf.
Das Nachtlager wurde kurz vor Anbruch der Dunkelheit aufgeschlagen. Ich hatte gehofft, daß man mich an einen Baum binden würde, damit eine meiner Kriegerinnen mich ungesehen erreichen könne, aber Ceralt hielt mich an seiner Seite fest, bis man unser Zelt aufgestellt hatte. Während des Tages hatte er mich oft angesehen, aber ich hatte seinen Blick nicht erwidert, worüber er verärgert schien. Als er mich in das Zelt führte, sagte er: »Du kniest weder vor deinem Herrn nieder, Sklavin, noch legst du dein Gewand ab, wie dir befohlen wurde. Du bist noch immer keine gehorsame Sklavin!« »Ich bin überhaupt keine Sklavin«, entgegnete ich. »Der Jäger, der Jalav gefangenhält, sollte sie fürchten.« »Ich glaube, du mußt anders erzogen werden«, erwiderte er. Damit nahm er mir mein Halsband ab und löste dann die Fesseln von meinen Handgelenken. Als ich die Gelenke rieb, um wieder Leben hineinzubringen, band er sein Schwert ab, warf es zur Seite und sah mich an und kreuzte die Arme. »Nun, Sklavin«, sagte er, »lege dein Gewand ab und knie nieder.« »Ich gehorche dir«, antwortete ich und bewegte mich unmerklich in Richtung seines Schwertes. Als ich es fast erreicht hatte, griff Ceralt nach mir. Mit festem Griff hielt er mich knapp außerhalb seiner Reichweite. Vergeblich versuchte ich mich zu wehren, als er mich auszog. Dann tat er, was ich niemals für möglich gehalten hätte. Er warf mich auf die Knie und nahm mich auf erniedrigende Weise von hinten. Dann warf er mich auf den Rücken und nahm mich erneut. Ich war ungefesselt, konnte mich ihm aber trotzdem nicht widersetzen. Er lachte und sagte: »Deine Miene zeigt, daß du glaubst, du würdest gestraft, Jalav. Aber das ist nicht der Fall. Jetzt bekommst du deine Belohnung. Die Bestrafung folgt, wenn ich fertig bin mit dir.«
Ich mußte nicht lang über die Bedeutung seiner Worte nachdenken. Als er ziemlich erschöpft war, zog er mich an den Haaren dorthin, wo die Leinen lagen, mit denen ich gefesselt worden war, legte mich übers Knie und schlug mich mit der Leine. Dies war die größte Erniedrigung, die man mir zufügen konnte. Genommen zu werden in der Art, wie er es tat, und anschließend geschlagen, in Reichweite meiner Kriegerinnen, ohne daß sie oder ich es verhindern konnten – das war das Schlimmste, was er mir antun konnte.
Ceralt schlug heftig, dann befahl er mir: »Geh zu dem Pfosten, Sklavin, und knie nieder, wie dein Herr es dir befiehlt!« Benommen befolgte ich seinen Befehl. Er nickte befriedigt und warf sich in die Pelze auf dem Boden, während ich über Midas Weisheit nachdachte.
Natürlich sind Männer körperlich stärker als Frauen. Ohne mein Schwert war ich gegenüber einem Mann genauso hilflos wie jede Sklavin. Schon lange hatte ich mich gewundert, daß Mida ihren Kriegerinnen nichts als einen gelegentlichen Kontakt mit einem Sthuvad erlaubte, nun wußte ich den Grund. Wenn ihre Kriegerinnen Kriegerinnen bleiben sollten, dann durften sie Männer nur mit dem Schwert in der Hand gegenübertreten. Ceralt hatte mich beschämt und erniedrigt, und das mußte mit seinem Tod gebüßt werden. Kurze Zeit später betrat Telion das Zelt, sah mich an und sagte zu Ceralt: »Meine Glückwünsche. Unsere Sklavin scheint endlich die richtigen Manieren angenommen zu haben.« »Einer Frau muß man zeigen, wer der Herr ist«, entgegnete Ceralt höchst zufrieden. »Ich wette, daß sie nun in jeder Beziehung besser gehorcht und zu gebrauchen ist. Was ergaben deine Erkundigungen?«
»Eine Menge interessanter Dinge«, sagte Telion verschmitzt. »Die hübschen jungen Damen befinden sich auf dem Weg nach Ranistard, beschützt von ihren Vätern. Dort sollen sie standesgemäß verheiratet werden. Da dort nach der Pest nur wenige Frauen zurückgeblieben sind, wird sich jeder Mann die Finger nach ihnen lecken und sich die Sache etwas kosten lassen. Der, der die Eheschließung vermittelt, wird sowohl von den Vätern, als auch von den zukünftigen Ehemännern eine gute Vermittlungsgebühr erhalten.«
»Wir hätten uns auch mit Sklavinnen zu demselben Zweck eindecken sollen«, meinte Ceralt. »Kennst du den Mann, der die Eheschließungen vermittelt?«
»Nein«, erwiderte Telion nach kurzem Zögern. »Es ist kein Krieger, den ich kenne. Wir werden aber keine Mühe haben, den Damen vorgestellt zu werden. Ich habe überall den Hinweis fallenlassen, daß ich über Beziehungen zum Hohen Senat verfüge.« »Ich frage besser nicht, welche Beziehungen das sind«, sagte Ceralt lachend. »Das sollte dein Geheimnis bleiben. Aber ich würde mich über die Gesellschaft einer jungen Dame freuen, selbst hier in der Wildnis.«
»Eine Dame bleibt immer eine Dame, selbst in der Wildnis«, stimmte Telion zu. Ich hatte ihre Unterhaltung mitbekommen, verstand aber wenig davon, denn ich war damit beschäftigt, mich auf meinen Tod vorzubereiten.
Kurz darauf brachte eine Sklavin eine große Portion gebratenen Fleisches und die beiden begannen zu essen. Ich verharrte auf meinen Knien, mit gesenktem Haupt, und sprach in meinem Inneren mit Mida und allen Midanna, deren ich mich erinnerte. Daß das vergossene Blut ungerächt bleiben würde, lastete schwer auf meiner Seele, und ich würde nicht ins Königreich der Mida eingehen, um dort die zu treffen, die mich geboren hatte. Verzweifelt dachte ich über mein Versagen nach, dann nahm ich ein letztes Mal mein Amulett in die Hände und legte es ab. Ich war bereit.
Als Telion mit dem Essen fertig war, stand er auf und hockte sich vor mir nieder. »Ich möchte sehen, ob unsere Sklavin auch wirklich gehorsam ist«, sagte er mit leichtem Grinsen und hielt mir ein Stück Fleisch vor den Mund. »Hier, iß!« sagte er. Ich reagierte nicht.
»Mir scheinen deine Fähigkeiten zu fehlen, Ceralt«, sagte Telion.
»Das ist doch gar nicht so schwer«, lachte Ceralt und kam zu uns herüber. Er nahm das Fleisch, hielt es mir vor den Mund und sagte: »Dein Herr befiehlt dir, zu essen, Sklavin!« Niemals hätte ich das Fleisch von ihm, der mich so erniedrigt hatte, angenommen. Lieber hätte ich den Tod empfangen. »Doch nicht so leicht, wie du dachtest«, murmelte Telion und musterte mich aufmerksam. »Kommt sie dir verändert vor, Ceralt?«
»Unsinn«, sagte dieser leicht verwirrt. »Sie schmollt nur noch wegen ihrer Bestrafung. Hier, Sklavin, nimm das Fleisch! Ich erlaube dir diesmal, es selbst zu essen.« Oh, Mida, du machtest mich zur Anführerin deiner Kriegerinnen, und ich habe so versagt! Wie bitter muß deine Enttäuschung sein!
»Irgend etwas stimmt mit ihr nicht«, sagte Telion besorgt. »Sie scheint so entrückt. Und das Amulett. Wo ist ihr Amulett?«
»Hier«, antwortete Ceralt und hob es vom Boden auf. »Jalav«, sagte er besorgt, »rede mit mir! Was ist mit dir geschehen?« »Es scheint, als höre sie dich noch nicht einmal«, sagte Telion. »Wir sollten besser einmal die andere fragen, was sie bedrückt. «
Damit stand er auf und verließ hastig das Zelt. Bald darauf kam er mit Fayan und Nidisar zurück. Fayan sah sofort, daß ich mein letztes Lebewohl gesprochen hatte. Sie kniete drei Schritte vor mir nieder, um ihr Haupt im Gedenken zu senken. Nidisar fragte sie: »Fayan, was ist mit Jalav?« »Jalav erwartet ihren Tod«, antwortete Fayan mit trauriger Stimme. »Sie hat ihr Amulett abgelegt, so daß ihre Seele unbehütet sein wird, wenn sie sie verläßt, und nicht in Midas Königreich einkehrt.«
»Aber warum?« fragte Nidisar die beiden anderen. »Was hat man ihr getan?«
»Was kann man einem Kind antun, das fünfunddreißig Hiebe mit der schweren Peitsche hinnehmen mußte?« fragte Telion mit kalter Stimme und sah Ceralt böse an. »Es ist nicht meine Schuld«, erwiderte Ceralt unbehaglich. »Ich habe sie nur gebraucht und dafür bestraft, daß sie versucht hat, an mein Schwert zu kommen. Davor haben wir sie beide gebraucht, und ein bißchen Prügel kann ihr auch nicht geschadet haben, wenn sie Barioses Peitsche überstanden hat.«
»Die Anführerin Jalav erwartet den Todesstreich von deiner Hand«, sagte Fayan ruhig. »Sei gnädig und stoße rasch zu.« »Du bist verrückt, Weib!« schrie Ceralt und sprang auf. »Ich will sie doch nicht umbringen!«
»Du mußt«, entgegnete Fayan geduldig. »Du hast sie erniedrigt, und nun mußt du ihr Leben nehmen.«
»Fayan, das verstehen wir nicht«, warf Nidisar ein. »Wir haben mit Jalav nichts gemacht, was wir nicht auch mit dir gemacht haben. Warum will sie sterben und du nicht?« »Jalav ist unsere Anführerin«, erklärte Fayan. »Sie ungefesselt zu nehmen, bedeutet eine ungeheure Erniedrigung für sie, die nur mit ihrem Tod beendet werden kann. Das ist das Gesetz der Midanna. Sie muß sich sehr erniedrigt fühlen, wenn sie wünscht, daß ihre Seele ohne ihr Amulett verlorengeht.« Sie schloß die Augen und sagte mit schwacher Stimme: »Ich selbst erwarte nur die Vergebung von Mida, um den reinigenden Tod zu suchen. Ich habe nicht den Mut, das zu tun, was Jalav tun will.«
»Sie warten beide auf den Tod!« schrie Ceralt. Nidisar starrte Fayan an, als ob ihn der Schlag getroffen hätte. »Ich habe schon viele Frauen gehabt, und einige davon auch – zugegeben – schon geprügelt, aber keine hat erwartet, daß ich sie anschließend umbringe. Ein paar Tränen, ja, aber doch nicht so etwas.« Er kniete sich vor mir hin, schüttelte mich an den Schultern und krächzte: »Jalav, ich will dich doch nicht töten! Jalav, hörst du mich? Ich habe dich doch nur bestraft. Das ist doch kein Grund, sterben zu wollen.«
Seine hellen Augen starrten mich verzweifelt an. Ich verstand ihn nicht. Was war das für eine Art, erst jemandem den Stolz zu rauben und ihn dann nicht töten zu wollen? Selbst jemand ohne Seele konnte doch nicht so grausam sein. »Fayan, du kannst doch nicht wirklich den Tod wünschen«, sagte Nidisar, Schmerz in der Stimme. »Daß eine Frau von einem Mann genommen wird, oder auch einmal bestraft, ist doch keine Schande. Das ist doch etwas Natürliches.« »So befleckt zu werden, bedeutet für eine Kriegerin große Schande«, entgegnete Fayan. »Ich selbst habe viel Freude dabei empfunden, wenn Nidisar mich berührt hat, und doch hat er mich auch beschämt. Ich habe das ertragen, um Midas Sache willen, aber ich kann es nicht ewig ertragen. Sobald mir Mida vergibt, wird mein Blut diesen Flecken auf meiner Ehre wegwaschen.« »Nein!« schrie Nidisar und nahm Fayan in seine Arme. »Das werde ich nicht zulassen! Das ist barbarisch!« »So sind sie aber«, sagte Telion bedeutsam. »Sie leben in der Wildnis, nach grausamen, starren Gesetzen. Ihr Leben ist nur kurz, und das ist vermutlich ein Segen.« »Das ist doch verrückt«, sagte Ceralt, »wir sollten uns auf einen solchen Blödsinn nicht einlassen.« Er hob mein Amulett auf und legte das Band wieder um meinen Nacken. »Du wirst nicht sterben, Jalav«, sagte er, »und deine Seele wird nicht verlorengehen. Ich will von diesem Unsinn nichts mehr hören, sonst muß ich dich erneut bestrafen.«
Ich wollte das Amulett wieder abnehmen, aber Ceralt hinderte mich daran. »Ist Ceralt ohne Ehre?« fragte ich ihn. »Er wird es doch sicherlich nicht ablehnen, mich von der Bürde meines Lebens zu befreien. Eine Anführerin der Hosta, die so erniedrigt wurde, kann nicht weiterleben. Es ist deine Aufgabe, Ceralt, mich von diesem Leben zu befreien!« »Doch, Jalav, ich habe Ehre«, erwiderte er. »Ich wollte dir zurückzahlen, was du mir damals im Wald angetan hast; ich wollte, daß du mich mit Tränen in den Augen deinen Herrn nennst. Ich wollte nicht, daß du dein Leben in meine Hände legst, und meine Ehre verbietet es mir, es anzunehmen.« Befriedigt darüber, daß der, der mich erniedrigt hatte, doch Ehre besaß, sagte ich: »Schwert oder Dolch, Ceralt, du hast die Wahl.«
»Ich habe in der Tat die Wahl«, sagte Ceralt verärgert und hinderte mich noch immer daran, mein Amulett wieder abzulegen. »Da dein Leben nun mir gehört, mußt du künftig das tun, was ich will.«
Telion und Nidisar lachten erleichtert, aber ich sah Fayan verdutzt an. Er sollte mein Leben nehmen, nicht es für sich behalten.
»Ceralt, du hast mich nicht begriffen«, sagte ich. »Nach den Gesetzen der Midanna...«
»Ich bin nicht an die Gesetze der Midanna gebunden«, unterbrach er mich, »denn ich gehöre nicht zu den Midanna. Dein Leben gehört jetzt mir, und ich verfüge darüber, wie es mir paßt.«
»So geht es aber nicht«, protestierte ich verwirrt. »Als ich Anführerin der Hosta wurde, habe ich mit eigener Hand...« »Ich tue das, was ich für richtig halte!« fuhr er mich an. »Willst du meine Autorität in Frage stellen?«
»Ich verstehe dich nicht«, erwiderte ich schwach und sah die Männer der Reihe nach an. Nidisar stand bei Fayan und hatte den Arm um ihre Schulter gelegt. Seine Augen funkelten vergnügt. Telion wandte sich ab. Auch er schmunzelte. Ceralt hatte seine breiten Schultern stolz zurückgenommen und betrachtete mich ärgerlich. Zu ihm sagte ich: »Ich verstehe dich wirklich nicht. Soll ich dir mit dem Schwert in der Hand gegenübertreten ?«
»Kein Schwert«, schnaubte er und zog mich an meinen Armen hoch. »Ich sehe nun, daß es grausam von mir war, meinen Spaß mit dir zu haben, denn du bist nur eine Wilde. Das soll nicht mehr geschehen. Von diesem Augenblick an wirst du lediglich als Gefangene behandelt werden, die ich gegen meine Männer austauschen möchte. Bis dahin werde ich tun, was in meinen Kräften steht, um dich etwas zu zivilisieren, aber ich will dich nicht mehr beschämen. Bist du einverstanden, Telion?« »Absolut«, entgegnete dieser. »Mein verletzter Stolz wurde inzwischen gerächt, und ich will nur noch dafür sorgen, daß meine Stadt unversehrt bleibt. Es gibt keinen Grund für deinen Tod, Jalav, aber viele Gründe, daß du am Leben bleibst. Deine Mida wird das verstehen.«
»Und ich verstehe jetzt auch verschiedene Dinge«, sagte Nidisar und sah Fayan an. »Komm, Gefangene, laß uns in unser Zelt zurückkehren.«
Fayan sah ihn verwirrt an, als er sie freundlich aus dem Zelt geleitete. Auch ich war zutiefst verwirrt, denn ich konnte überhaupt nicht verstehen, was diese Männer wollten, und warum sie mir meinen Tod verweigert hatten. Verloren stand ich da, der Gnade derjenigen anheim gegeben, die keine Seele und keine Ehre haben.»Du scheinst müde zu sein, Jalav«, sagte Ceralt und strich mir über das Haar. »Möchtest du, bevor du dich schlafen legst, noch etwas essen?«
Ich schüttelte den Kopf. Mein einziger Wunsch war, meine Gefangenschaft mit dem Tod zu beenden. Ceralt nahm freundlich meinen Arm und führte mich zu dem Pfosten, wo die Kette diesmal um mein linkes Fußgelenk gelegt wurde. Ich ließ mich nieder und sah ihm und Telion zu, wie sie die Reste des Fleisches wegräumten, den restlichen Renth tranken und zuletzt die Kerzen löschten.
Dann wartete ich darauf, daß die Männer sich neben mich legen würden und sich wieder meiner bemächtigten, aber das war nicht der Fall. Das konnte ich am allerwenigsten verstehen. Hatten sie mich nicht eine Gefangene genannt? Aber vielleicht wollten sie nicht neben jemandem liegen, der so erniedrigt worden war. Das hätte ich verstehen können. Einsam schlief ich ein.