17 Renth – und ein Gerät wird gesucht

Ich saß auf dem Sitz in dem Raum mit der roten Seide, und wartete auf den Topf mit dem Brei. Zwei Tage waren seit dem Weggang des Sklavenweibes Lodda verstrichen, zwei Tage, in denen Ceralt mir nicht erlaubt hatte, meinen Raum zu verlassen. Ich gab wenig darum, daß er mich so eingesperrt hielt, und hatte in der ganzen Zeit kein einziges Wort mit ihm gesprochen.

Der Jäger hatte oft mit einer Kräutersalbe die Wunden auf meinem Rücken behandelt, und war sehr enttäuscht darüber, daß ich mich weigerte, auf dem Bett zu liegen. Immer wieder hatte er mich dort hinauf gehoben, und immer wieder hatte ich meinen Platz vor dem Feuer eingenommen, von dem ich die tanzenden Flammen betrachten konnte. Hin und wieder wurde mir der Brei anstatt von Ceralt von einer jungen Frau gebracht, die ihm wohl zur Hand ging, aber auch mit ihr hatte ich kein Wort gesprochen. Eine große Leere war in mir, und ich wollte mit niemandem sprechen.

Am dritten Tag hatte Ceralt mich in den Raum mit der roten Seide geführt. Auf dem Tisch standen viele Speisen, darunter auch ein Stück blutiges Nilnofleisch. Ich wartete auf meinen Brei, als Ceralt freundlich sagte: »Schau, Jalav, was wir hier alles haben! Frisch gebackenes Brot, würzige Pemmawurzeln, Wrettaneier – und Nilno! Was möchtest du davon zuerst haben?« Ich wartete noch immer auf meinen Brei und entgegnete nichts. »Sieh dir die Wrettaneier an«, sagte Ceralt. »Fast hätten zwei Jäger ihr Leben verloren, um sie zu holen. Hoch in die Wipfel eines Baumes mußten wir klettern, und wurden von dem Wrettanweibchen überrascht, als wir sie aus dem Nest nehmen wollten. Sie hat einem Jäger fast die Augen ausgehackt, und zum Schluß hätten sie die Eier noch beinahe fallenlassen. Wie findest du das?«

»Jalav«, rief er aus, »so geht das nicht weiter! Du bist nur noch ein Schatten deiner selbst, ißt widerstandslos deinen Brei und wirst jeden Tag schmaler. Das kann ich nicht mehr mit ansehen. Was soll ich tun?«

Es gab nichts, was auch nur irgend jemand für mich hätte tun können, denn wie kann jemand zu Mida reden zugunsten einer, von der sie sich abgewandt hat? Wortlos schloß ich die Augen. »Also gut«, sagte er überaus traurig. »Eher will ich dich gehen lassen, als daß du an meiner Seite stirbst. Ich gebe dir deine Freiheit wieder und dein Amulett und ein Kan, und dann bringe ich dich zum Tor und lasse dich fortreiten.« Einst hätten mich seine Worte mit großer Freude erfüllt, aber nun war ich nur traurig. Wohin sollte ich reiten, wo doch Mida ihr Gesicht von mir abgewandt hatte? Mein Fehler war eindeutig, meine Verdammung war sicher.

»Hörst du mich überhaupt?« fragte Ceralt und schüttelte mich. »Ich lasse dich frei!« Nur Schweigen war meine Antwort.»Bei Sigurrs spitzen Ohren!« murmelte er, »sie hört mich nicht. Da muß unbedingt etwas geschehen!« Er verließ den Raum, kam aber bald wieder zurück und setzte sich mir schweigend gegenüber.

Als Midas Licht fast verschwunden war, kam Telion, und mit ihm eine Frau, die einen rotseidenen Sitz trug. Diesen Sitz stellte die Frau an meiner Seite auf und entfernte sich wortlos. Telion ließ sich auf ihm nieder und nahm sich ein Wrettanei. Er trug gleichfalls ein Amulett, und ich sah, daß es Larids war. »Bitte entschuldige, daß ich nicht früher kommen konnte«, sagte Telion, als er das Ei aufschlug, »aber ich war mitten in einer Schlacht, die ich nicht sofort verlassen konnte.« »Eine Schlacht?« fragte Ceralt erstaunt. »Ich weiß von keiner Schlacht.«

»Ich wäre froh, wenn ich dasselbe sagen könnte«, entgegnete Telion, und streute etwas Salz auf das Ei. »Heute war der Tag, an dem meine kleine Flamme ihren winzigen Schurz gegen ein zivileres Kleid hätte eintauschen sollen. Das Kleid hatte ein liebliches Blau, passend zu ihren Augen, und ich hätte darauf geschworen, daß sie sich darüber gefreut hätte.« Er seufzte. »Sie freute sich weder über das Kleid noch über die Farbe, sondern beschuldigte mich lautstark, ich würde einer Kriegerin der Hosta zumuten, die Farbe der Hitta zu tragen, ganz abgesehen davon, daß sie niemals so ein Kleid tragen würde, wie es die Stadtfrauen tragen. Das Kleid wurde mir an den Kopf geworfen, und Larid sitzt nun so da, wie Jalav dort sitzt – nur mit einem Unterschied, daß Larid zuvor eine Tracht Prügel bezogen hat. Ich hatte die feste Hoffnung, daß du bei Jalav inzwischen etwas mehr Erfolg hattest, aus dem ich hätte lernen können.«

»Ich beginne zu glauben, daß ich niemals auch nur einen winzigen Erfolg bei ihr haben werde«, entgenete Ceralt. »Könntest du nicht einmal mit ihr reden?« Telion zog seine Brauen hoch und fragte mich: »Über was sollte ich mit dir sprechen, Jalav?« Ich gab keine Antwort und blickte nur auf Larids Amulett.

»Siehst du«, sagte Ceralt, »so ist sie seit dem Verschwinden dieser Blutsverwandten Sigurrs, die ich dummerweise für ihre Erziehung eingestellt hatte.«

»Hast du sie gefragt, was sie bedrückt?« sagte Telion und sah mich forschend an.

»Du solltest mir einmal erklären, wie ich das anstelle, wenn sie sich weigert, mit mir zu sprechen«, erwiderte Ceralt ärgerlich. »Sie ißt nur den Brei, den sie bekommt, und starrt die übrige Zeit in das Feuer in ihrem Zimmer.« »Sie ißt also den Brei«, wiederholte Telion nachdenklich. »Ich . schätze die Folgen nicht, die es nach sich ziehen könnte, aber vielleicht hilft es uns weiter. Hast du etwas Renth im Haus?« »Natürlich habe ich Renth im Haus«, entgegnete Ceralt. »Suchst du die Antwort auf unsere Probleme in einer Kanne?«

»Nicht in einer Kanne«, erwiderte Telion, »aber möglicherweise in vielen, die wir zusammen austrinken werden.« Ceralt grinste und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ein ausgezeichneter Vorschlag!« rief er. »Man könnte auch behaupten, ein geistvoller. Inala, bring uns eine große Kanne Renth und drei Becher!«

Die Stadtfrau, die er Inala genannt hatte, kam herein und brachte das Gewünschte. Ceralt und Telion schienen sehr vergnügt zu sein, denn sie rieben sich freudig die Hände und schenken sich eifrig den Renth ein. Auch ich bekam einen Becher, und da mir sowieso alles egal war, trank ich den Renth, wie Ceralt es anordnete. Immer wieder wurden die Becher gefüllt, immer wieder von uns geleert, und immer wieder versuchten die Männer, mit mir zu reden – vergeblich. Da ich nichts gegessen hatte, fühlte ich inwendig ein bißchen Wärme von dem Renth, aber das dünne, schwache Zeug war nicht imstande, mir die Bürde meines Lebens auch nur etwas zu erleichtern. Als die Dunkelheit hereingebrochen war, hatte Inala die Kanne bereits einige Male gefüllt, und der Jäger und der Krieger schienen etwas mitgenommen zu sein. Das Einschenken fiel ihnen nicht mehr leicht, und mancher Tropfen ging daneben. Am Ende trafen sie mit ihren Bechern nicht einmal mehr ihre Münder.

Nach einem solchen vergeblichen Versuch setzte Ceralt seinen Becher auf den Tisch, guckte Telion angestrengt an und flüsterte ziemlich vernehmlich: »Hat... hat die schon mit uns gesprochen?«

Telion schüttelte den Kopf und erwiderte im selben Tonfall: »Nein, aber vielleicht hat sie nun zuviel Renth im Leib, um noch sprechen zu können.«

Ceralt blinzelte ihn einen Moment an, dann sagte er: »Ich... ich werde es herausfinden.« Dann wandte er sich an mich und fragte mit einem gräßlichen Lächeln: »Jalav, hast du zuviel Renth im Leib?«

»Nein«, entgegnete ich, und das War die Wahrheit, denn meine Fähigkeit zum Trinken ist berühmt unter allen Midanna. Nur wenige meiner Kriegerinnen können es mir nachtun. »Sie hat noch nicht zuviel Renth im Leib«, informierte Ceralt Telion mit dem gleichen lauten Flüstern. »Füll ihr den Becher nach! Vielleicht bringen wir sie zum Sprechen.« Telion nickte und füllte meinen Becher erneut, ohne mehr als einen großen Schluck zu verschütten. Dann sagte er: »Trinke, Jalav, es wird dir guttun.«

»Ich mag nichts mehr«, antwortete ich, und Telion stierte mich an. »Du wirst den Renth trinken, wie man es dich geheißen hat!« brüllte er, und fuhr dann ziemlich kläglich fort: »Du mußt den Renth trinken, damit du mit uns sprichst! Tust du es nicht, muß ich dich verprügeln!«

»Nein!« fuhr Ceralt auf. »Niemals wieder werde ich es erlauben, daß sie geschlagen wird! Und wer sie schlagen will, muß zuerst mein Leben nehmen. Zieh deine Waffe, Telion!« »Ich habe keine Waffe«, entgegnete Telion verwirrt. »Außerdem bist du nur ein Jäger, Ceralt, mit dem ein Krieger sich nicht mißt.«

»Ha«, brüllte Ceralt, »willst du etwa behaupten, daß ich nicht mit einem Schwert umgehen könnte? Der Jäger ist noch nicht geboren, der es nicht mit einem Krieger aufnehmen könnte. Der Renth hat offensichtlich deine Einbildung gestärkt, aber deinen Geist hat er geschwächt!«

»Meinen Geist geschwächt?« wiederholte Telion. »Eine solche Beleidigung kann nur mit Blut abgewaschen werden!« Ceralt stand auf, schwankte und sagte: »Sprich dieses Wort nicht noch einmal!«

»Welches Wort?« fragte Telion. »Blut?« Dann wurde er plötzlich sehr bleich und wankte hinaus, gefolgt von einem noch bleicheren Ceralt. Ich beobachtete, wie sie hinausstolperten, dann trank ich gemächlich meinen Becher aus. Inala kam herein und fragte: »Kann ich jetzt hier saubermachen?« Ich nickte abwesend, denn ich hatte nachzudenken. Inala grinste und sagte: »Sind dabei, sich zu entleeren. Zu sehen, wie schlecht es dem obersten Jäger der Stadt und ihrem obersten Krieger geht, ist ein seltenes Vergnügen. Mich wundert, daß es dir nicht so schlecht geht.« »Auch in meinem Magen liegt der Renth sehr schwer«, entgegnete ich, »aber ich fühle nichts als eine große Müdigkeit, obwohl ich bezweifle, daß der Schlaf kommen wird.« Inala sah mich aufmerksam an und hörte mit ihrer Arbeit auf. »Du siehst sehr verstört aus«, sagte sie mitfühlend. »Ich bin auch eine Sklavin, aber wenn ich dir helfen kann, werde ich es gerne tun. Willst du mir nicht sagen, was dich beunruhigt?« »Der Jäger Ceralt beunruhigt mich«, antwortete ich. »Ich weiß, daß ich nie verstanden habe, was die Männer bewegt, aber diesen hier verstehe ich ganz und gar nicht.« Ich schwieg einen Moment, dann fuhr ich fort: »Noch verstehe ich, warum ich darüber mit dir, einer Fremden, spreche.« »Jeder von uns braucht jemanden, dem er sein Herz ausschütten kann«, entgegnete sie. Ich betrachtete sie das erstemal gründlich. Sie war nicht größer als andere Stadtweiber. Ihr hellbraunes Haar wurde durch kleine Metallstreifen zusammengehalten. Um den Hals, das bemerkte ich jetzt, trug sie das Halsband der Sklavinnen, das durch ihr weißes Gewand verdeckt wurde, aber ihre ganze Haltung strahlte eine Würde aus, die anderen Sklavinnen abging.»Ich... ich hege seltsame Empfindungen für Ceralt«, sagte ich, mühsam nach Worten suchend. »Diese Gefühle verwirren mich, weil ich die Gründe nicht erkennen kann für das, was er tut. Der Frau, die vor dir da war, befahl er, mir Qualen zuzufügen, und mit Telion, der Prügel nur erwähnt, will er kämpfen. Ich finde keinen Sinn in dem, was er tut.« »Das ist sehr leicht zu verstehen«, entgegnete Inala und nahm mich in ihre Arme. »Ich habe gehört, was Lodda dir angetan hat, und du bist im Irrtum. Ceralt wünschte nicht, daß sie dich schlug, deshalb hat er sie hinausgeworfen. Er hegt ein sehr starkes und zärtliches Gefühl für dich, und hat dir schon dein Halsband abgenommen. Sicherlich wird er dich bald ganz freigeben.«

»Du irrst dich«, sagte ich, »ich habe kein Halsband getragen. Ich bin eine Gefangene für Ceralt, keine Sklavin, denn eines weiß Ceralt sicher, daß Jalav keine Sklavin sein will.« Inala sah mich verwirrt an und sagte: »Ich verstehe dich nicht«, dann schwieg sie gedankenverloren, bevor sie langsam sagte: »Vielleicht ist alles das, was er mit dir anstellt, nur eine Bestrafung, aber für was... ? Tatsächlich, der Jäger scheint mir ein harter Mann zu sein. Hast du nicht einmal überlegt, dich an den Hohen Senat zu wenden?«

»Der Hohe Senat hat wenig Veranlassung, sich um das Schicksal von Jalav Gedanken zu machen«, erwiderte ich. Ich war sehr verwirrt von dem, was sie mir erzählt hatte. Konnte es tatsächlich sein, daß Ceralt nicht gewollt hatte, daß diese Lodda mich quälte, daß er es mir nicht nachtrug, daß ich ihn in Vistrens Ketten zurückgelassen hatte? Der Gedanke erfüllte mich mit Gefühlen, die ich unmöglich ergründen konnte. Zaghaft sagte ich: »Aber warum hat er Telion herausgefordert?« Inala lachte. »Nur wirklich große Liebe kann einen Mann dazu bringen, einen solch berühmten Krieger wie Telion herauszufordern. In der Tat, es scheint, daß die Gefangene ihren Fänger gefangengenommen hat.«

Ich schloß meine Augen bei diesem Gedanken, dann entgegnete ich: »Das darf nicht sein. Nicht nur, daß es den Regeln der Hosta nicht entspricht, aber ich bin auch nicht länger wert, irgend jemandem zu gehören, besonders nicht einem solchen Mann wie Ceralt.«

Inala schien über meine Worte traurig zu sein, aber da kam mir ein neuer Gedanke. Ich hatte gegenüber Mida versagt, und das mußte ich wieder gutmachen. Sollte ich dabei mein Leben aufs Spiel setzen, so war das noch das beste, was mir passieren konnte.

Ich ging hinauf in den Raum, den Ceralt mir zugewiesen hatte. Auf dem Bett lag Ceralt in tiefem Schlaf. Ich streckte meine Hand aus und streichelte ihn, aber er rührte sich nicht. So männlich war Ceralt und so begehrenswert, daß es einer Kriegerin schwerfallen mußte, ihn nicht zu streicheln. Aber dann ging ich hinüber zum Feuer und legte mich auf den Boden, um mich auszuruhen, denn am Morgen mußte ich das ausführen, was Mida mir aufgetragen hatte. Wäre ich nicht so voll Renth gewesen, hätte ich sofort begonnen. So war ich glücklich, daß ich mich wenigstens in der Nähe Ceralts ausruhen konnte, denn ich hatte wenig Hoffnung, ihn in meinem Leben noch einmal wiederzusehen. Mit einem Blick auf ihn schlief ich ein.

Das Gebäude, in dem Vistren gewohnt hatte, schien jetzt vollkommen menschenleer zu sein. Verstohlen schlich ich mich hinein. Innen war es so kühl, daß es mich schauderte. Still war es im Haus des Vistren, so still wie in Ceralts Haus, als ich es verließ. Ceralt hatte fest geschlafen, ohne mich zu hören, und auch Inala wachte nicht auf, als ich mich in den kleinen Raum schlich, in dem sie schlief, und dort meine Stammesbekleidung fand. Mein Amulett von Ceralts Brust hatte ich nicht mitgenommen, denn meine Seele war ja sowieso verloren, damit hatte ich mich abgefunden.

In Vistrens Haus war es dunkel, aber ich hatte keine Schwierigkeit, mich zurechtzufinden. Ich tappte dorthin, wo wir ihn mit dem Gerät gefunden hatten. Die Tür, die wir eingebrochen hatten, war noch nicht ausgebessert – aber das Gerät, das ich suchte, war verschwunden. Enttäuscht dachte ich nach und kam zu dem Schluß, daß ich das ganze Haus durchsuchen müsse.

Ich zündete eine Fackel an und begann mit der Suche. Das Gerät war so sperrig, daß man es nicht leicht verstecken konnte, aber ich fand keine Spur von ihm. Das neue Licht des Tages schien schon voll durch die Fenster, als ich schließlich in einen Raum kam, dessen Zweck ich nicht ergründen konnte. Seine Wände und der Boden waren nackt. An seinen Wänden hingen lediglich metallene Fesseln, zweimal fünf Paare. Dann sah ich im Licht der Fackel Spuren geronnenen Blutes auf dem Boden, und ich brauchte keine weitere Erklärung. Aber ich war froh, darüber, daß Vistren keine Sklaven mehr peinigen konnte. Ich löschte die Fackel in einem Eimer mit Schmutz aus und ließ mich einen Moment nieder, um erneut nachzudenken. Das Gerät mit den Kristallen konnte nicht einfach verschwunden sein, also mußte es jemand an sich genommen haben. Vistren und seine beiden Gefolgsleute waren tot, sie konnten es also nicht gewesen sein. Aber da waren noch andere dabei gewesen, die das Gerät gesehen hatten, Telion und Galiose mit seinen Männern.

Wahrscheinlich war es Galiose, der es genommen hatte. Er war der Erste des Hohen Senats, und in seinen Palast mußte das Gerät geschafft worden sein. Ich tat es nicht gerne, aber dort mußte ich also weitersuchen. Während des Tages konnte ich dies aber nicht tun, denn die Bewaffneten dort würden mich bald entdecken und überwältigen. Also mußte ich bis zur Dunkelheit warten. Ich legte mich nieder und zwang mich, zu schlafen, um Hunger und Kälte zu vergessen. Bei Anbruch der Dunkelheit wachte ich auf, wartete aber geduldig, bis der Eingang zu Midas Königreich hoch am Himmel stand und wieder verschwand. Erst dann brach ich auf, Es waren nicht wenige Männer, die vor dem Gebäude des Hohen Senats standen, aber es waren Männer mit den Augen von Städtern, die nichts sehen konnten. Ich schlich durch die Büsche vor dem Gebäude, als dicht vor mir einer der Wächter auf seinem Rundgang stehenblieb und sich streckte. Das war sehr dumm von ihm, denn wäre ich bewaffnet gewesen und hätte nach seinem Leben getrachtet, dann lebte er bereits nicht mehr. Ich schüttelte den Kopf über soviel Unverstand, dann schlich ich weiter und suchte das Fenster, das einmal offengestanden hatte. Was einmal offensteht, steht meist immer offen. So war es auch hier. Leise kletterte ich hinein und begann mit meiner Suche.

Die Stunden verstrichen, ohne daß ich etwas fand, aber ich mußte auch sehr vorsichtig sein. Oftmals mußte ich in einem Schatten untertauchen, wenn jemand vorbeiging. Einmal waren es zwei: ein Mann, der Schwert und Dolch trug und eine Frau hinter sich herzog, die sich den Schlaf aus den Augen wischte. Interessiert sah ich den beiden nach. Ich wußte nun, wo ich mir eine Waffe besorgen konnte, wenn ich sie benötigte. Nachdem ich alle Räume im unteren Teil des Gebäudes durchsucht hatte, schlich ich mich nach oben. Hier waren die Räume, in denen die Wächter und Sklaven schliefen, und in die ich nur flüchtig hineinsah. Sollte sich das Gerät in diesem Gebäude befinden, dann sicherlich in den bewachten Räumen des Galiose, in die ich aber bestimmt nicht so einfach hineinkommen konnte.

Da entdeckte ich die Treppe, die weiter nach oben führte. Sofort hastete ich hinauf. Obwohl es dunkel dort oben war, weil keine Fackel leuchtete, konnte ich sehen, daß die Wände hier mit Holz verkleidet waren. Die Räume, in die ich hineinsah, rochen stickig und waren teilweise voller Gerüche, die ich nicht deuten konnte. Das Gerät war nirgendwo zu entdecken. Dafür sah ich eine Menge seltsamer, mir unbekannter anderer Dinge, die mir Unbehagen einflößten. Schnell ging ich weiter, bis Stimmengemurmel an mein Ohr drang. Es kam aus einem Raum, der von schwach leuchtenden Kerzen erhellt wurde. Als ich mich umsah, erstarrte ich, denn auf einem großen Tisch stand das Gerät, das ich gesucht hatte. Auf anderen Tischen in seiner Nähe lagen Stapel von Leder und Tüchern. Das Leder schien die Tücher zu schützen, aber ich gab wenig acht darauf, denn vor mir lag das Ziel meiner Wünsche.Die Kristalle, wolkig in der goldenen Luft, die sie umgab, zogen mich wie mit Zauberhänden an. Ich streckte die Hand aus, als eine Stimme hinter mir heftig sagte: »Nein!« Ich wirbelte herum. Hinter einem Tisch saß ein alter Mann, der mich finster ansah. Grau war sein Haar über seinem scharfgeschnittenen Gesicht, dicht waren seine Brauen über den schwarzen Augen. Er erhob sich und kam auf mich zu. Sein grünes Gewand war länger, als das anderer Männer, und bedeckte seine hohe, schlanke Gestalt vollständig. Um seinen Hals trug er eine Kette, und daran bemerkte ich das Zeichen mit dem geöffneten Auge, das ich auch bei Vistren gesehen hatte.

»Willst du unbedingt sterben, törichtes Weib?« fuhr er mich an. »Die Kristalle werden von einem unsichtbaren Feuer bewacht, das erbarmungslos zuschlägt, ohne Ansehen der Person. Wer bist du, und was willst du hier?« Enttäuscht bemerkte ich, daß der Mann keine Waffe trug. Aber er war alt und vermutlich nicht so kräftig wie andere Männer.

»Ich komme, um die Kristalle zu holen«, entgegnete ich, »denn sie gehören Mida. Mische dich nicht ein! Ich werde sie mir in jedem Fall nehmen!«

Damit wandte ich mich um und streckte wieder meinen Arm aus, um nach den Kristallen zu greifen, aber er hielt mich entschieden fest. »Du wirst das Gerät nicht berühren, wildes Biest!« keuchte er. Ich versuchte, ihn mit Zähnen und Fingernägeln anzugreifen. »Wache!« rief er ängstlich, »herbei, herbei!«

Ich biß ihn in die Hand. Aufheulend ließ er mich los, aber es war bereits zu spät. Zwei Bewaffnete erschienen, die mich ergriffen und resolut festhielten. »Haltet sie gut fest!« befahl der alte Mann. »Im Namen der Erhabenen Einigkeit, hindert sie daran, das Gerät zu berühren! Dieses hohlköpfige Weib ist im Begriff, sein Leben wegzuwerfen!«

Mit einiger Mühe gelang es den Bewaffneten, mich weiter von dem Gerät wegzuziehen. Der Alte sah mich zornig an und fragte: »Noch einmal, wer bist du, und warum willst du die Kristalle stehlen? Weißt du nicht, daß alle Tore der Stadt verschlossen sind, so daß du nicht entkommen kannst?« Ich stand vor ihm, ohne ihm zu antworten. Eine Midanna zu beschuldigen, sie wolle die Kristalle der Mida stehlen, war ein so dummes Unterfangen, daß es sich nicht lohnte, darauf einzugehen.

Der Zorn des Mannes wuchs, und er sagte brüsk: »Gut, wenn du nicht willst... Du kannst dir deine Antwort bis morgen früh überlegen, und sie dann dem Hohen Senat vortragen. Bringt sie in die Zelle und bewacht sie gut! Der Hohe Senat soll über ihr Schicksal entscheiden!«

Mit einem Nicken gehorchten die Bewaffneten und zogen mich mit hartem Griff aus dem Raum. Ich hatte erwartet, daß sie mich nach unten schaffen würden. Statt dessen führten sie mich hinauf, wo die Wände nur noch aus roh behauenen Steinen bestanden und es keine Türen vor den Räumen gab, sondern Gitter.

In einen dieser Räume warf man mich hinein. Dann entfernte sich einer der Bewaffneten, während sich der andere vor der Gittertür aufstellte. In der Zelle befand sich auch ein Bett, aber ich zog es vor, mich auf dem Steinboden niederzulegen. Mit geschlossenen Augen dachte ich nach.

Wieder einmal hatte ich versagt, aber ich würde in meinem Bemühen, die Kristalle zurückzuholen, nicht nachlassen, bis meine Seele meinen Körper verlassen hatte, und nichts würde mich abhalten können. Mit dem neuen Licht würde ich wieder vor Galiose stehen und von ihm die Kristalle zurückfordern oder an ihrer Stelle sein Leben. Wenn die Kristalle befreit waren, würden vielleicht auch meine Hosta befreit werden, um wieder ein Leben in Freiheit zu führen. Mit diesen Gedanken wartete ich auf den Morgen.

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