Es war kühl in der Dunkelheit, und feucht war das Gras, auf dem ich lag. Der Eingang zu Midas Königreich war noch nicht am Himmel erschienen, so daß mich die Wachen am Eingang der Behausung des Vistren nicht entdecken konnten. Langsam und ohne ein Geräusch bewegte ich mich auf sie zu. Da die Städter weder über ein feines Gehör, noch über gute Augen verfügen, gelang es mir ohne Schwierigkeit, bis zu einer dunklen Ecke links vom wohlbeleuchteten und wohlbewachten Eingang des Gebäudes zu kommen. Als ich sie umrundete, sah ich vielleicht dreizehn Schritte dahinter einen weiteren kleinen Eingang, der nur von einer Fackel beleuchtet und von einem Bewaffneten bewacht wurde. Unbemerkt schlich ich mich an diesen heran und stieß ihm meinen Dolch in die Kehle. Die Tür war nicht verriegelt, und rasch war ich im Gebäude verschwunden. Aber es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an die Dunkelheit im Innern gewöhnt hatten, dann schlich ich vorwärts, bis ich aus einem Raum zu meiner Linken ein Stimmengemurmel hörte.
Ich öffnete vorsichtig die Tür einen Spalt und blickte in einen Raum, in dem sich eine Handvoll Männer befand. Vor einer Wand, die mit blauen Seidentüchern verhangen war, stand ein hoher Sitz, in dem ein hagerer, langbeiniger Mann mit scharfen Gesichtszügen und eng zusammenstehenden Augen saß. Sein dunkles Haar war grau meliert. Er trug Schwert und Dolch umgegürtet, und auf seiner Brust baumelte eine silberne Kette, an der eine silberne Scheibe hing, in die ein geöffnetes Auge eingeritzt war.
Rechts von diesem Mann stand einer, den ich kannte: Der, der die Karawane geführt hatte und beim Überfall des Horts dabei war; Arrelin, wie Telion ihn genannt hatte, der bei dem Überfall sein Schwert nicht gezogen hatte.
Vor den beiden Männern standen drei andere, zwei Bewaffnete, die den in ihrer Mitte an Ketten führten. Er kam mir bekannt vor, aber meine Aufmerksamkeit wurde von dem in Anspruch genommen, was der auf dem hohen Sitz sagte. »Es war dumm von dir, Widerstand zu leisten«, erklärte er dem Gefesselten. »Ich wünschte dein Erscheinen, und was ich wünsche, bekomme ich auch immer.«
Und als der Gefangene stumm blieb, fuhr er fort: »Da ist etwas im Palast des Hohen Senats, das ich haben will und für das ich bereit bin, jeden Preis zu zahlen. Du hast Zugang zu dem Palast, also sollte es dir ein leichtes sein, es mir zu besorgen. Was sagst du dazu?«
Der Gefangene schwieg noch immer. »Komm doch«, schnappte der Hagere. »Du kannst ein reicher Mann sein, bevor der Morgen graut, wenn du vernünftig bist. Du schuldest dem Hohen Senat keine Treue. Ein Vermögen gehört dir, wenn du mir die schwarzhaarige wilde Schlampe herbeischaffst !«
Ein wilder Laut kam aus der Kehle des Gefangenen und er versuchte, sich auf den Hageren zu werfen, wurde aber von seinen beiden Bewachern festgehalten. Arrelin lachte rauh. »Der Narr ist scharf auf diese Hure, Lord Vistren«, sagte er verächtlich, »obwohl ich mir nicht vorstellen kann, warum. Es war direkt widerlich, wie er sich auf dem Ritt hierher bei ihr eingeschmeichelt hat.«
Bei dem Gefangenen handelte es sich um Ceralt. Er entgegnete kalt: »Du solltest mir nicht in die Quere kommen, Arrelin,wenn ich wieder frei bin, denn mit dem größten Vergnügen würde ich dich mit bloßen Händen erwürgen.« »Schluß mit diesen Albernheiten!« gebot Vistren ärgerlich. »Ich werde diese Wilde auf jeden Fall bekommen, Jäger, damit du dich nicht täuschst. Fünfhundert Silberstücke gehören dir, wenn du sie mir herbeischaffst! Du solltest es doch mit Vergnügen tun, denn Arrelin hat mir erzählt, wie sie dich behandelt hat. Wäre Rache nicht süß? Wenn du willst, kannst du sogar voll über sie verfügen, während ich sie hier festhalte.« »Weder fünfhundert noch fünftausend Silberstücke könnten mich veranlassen, sie Euch auszuliefern«, entgegnete Ceralt mit hoch erhobenem Haupt. »Sie ist mehr wert als zehn von Eurer Sorte, selbst mit all Eurem Silber.« Arrelin erstarrte vor Zorn, doch Vistren schürzte nur gedankenvoll seine Lippen, wobei er die kleine Silberscheibe auf seiner Brust streichelte. »Ich muß tatsächlich untersuchen, über welche Zauberkräfte dieses Biest verfügt«, sagte er, »daß sie alle Männer so verhexen kann.« Dann sah er Ceralt an und sagte eisig: »Dich lasse ich erst einmal einsperren und sehen, ob du mit Prügel anstatt Essen zur Vernunft kommst. Mir macht es nichts aus, wie ich zu deinem Wort in der Sache komme, Hauptsache, ich bekomme es.« »Tut, was Ihr wollt«, erwiderte Ceralt. »Ich werde Euch Jalav nicht bringen.«
»Warten wir es ab«, meinte Vistren und winkte seinen Männern. Schnell zog ich mich in die Dunkelheit des Ganges unter einen Torbogen zurück, als auch schon die Bewaffneten mit dem sich sträubenden Ceralt erschienen. Ich überlegte, mich dorthin zu begeben, wo Vistren und Arrelin nun alleine waren, denn leicht hätte ich sie töten können. Statt dessen folgte ich denen, die Ceralt wegführten. Sie verschwanden hinter einer Tür, die ich einen Spalt öffnete.
Aus dem Spalt strömte Fackellicht. Innen sagte jemand: »Die Fackeln sind schön hell, nicht wahr? Sie werden auch niemals gelöscht, und immer erneuen, damit man sich nicht im Dunkeln fürchtet. Allerdings beginnt man bald, sich danach zu sehnen.«
Ich versteckte mich unweit der Tür, mit dem Dolch in der Hand. Als die beiden Bewaffneten herauskamen und sich umdrehten, um die Tür mit einem Balken zu verriegeln, war ich mit wenigen Schritten hinter ihnen und erledigte einen nach dem anderen. Hinter der Tür mußte ich meine Augen erst an den hellen Schein der Fackeln gewöhnen, ehe ich Ceralt erblickte, den man mit Händen, Füßen und Hals an die Wand gekettet hatte.
Als er mich sah, weiteten sich seine Augen vor Erstaunen und er keuchte: »Jalav, was tust du hier? Weißt du nicht, daß Vistren sich deiner bemächtigen will?« »Das weiß ich«, entgegnete ich.
»Warum stehst du dann noch dort?« sagte er. »Drüben neben der Tür hängt der Schlüssel zu meinen Fesseln. Vistren hat sich das ausgedacht. Bring ihn her und befreie mich, dann können wir zusammen verschwinden.«
»Ich werde dich gerne befreien«, erwiderte ich, »aber nicht zusammen mit dir weggehen. Ich habe hier noch etwas zu regeln mit den Männern, die sich Arrelin und Vistren nennen.«
»Das können wir viel besser zusammen mit der Wache des Hohen Senats erledigen«, antwortete Ceralt ärgerlich. »Man wird sich dort freuen, mit Vistren abrechnen zu können. Hol' den Schlüssel!«
Ich holte ihn, dann stand ich vor Ceralt. So groß und breitschultrig war der Jäger, ein echter Mann, und doch hatte ich kein Verlangen nach ihm, als ich ihn berührte. Ganz andere Gefühle bewegten mich, vor denen ich mich sogar etwas fürchtete. Ich schmiegte mich an ihn und bot ihm meine Lippen. Erstaunt sah er mich an, dann beugte er sich vor und küßte mich. Eine Weile verharrten wir so, dann löste ich mich widerstrebend von ihm, trat zurück und verbarg den Schlüssel dort, wo früher die Steine waren, mit denen wir unsere Sthuvads belohnt hatten.
»Jalav, was tust du?« flüsterte Ceralt verstört. »Du mußt mich befreien!«Ich antwortete ihm nicht, denn ich wußte sicher, daß ich ihn nicht befreien würde. Dann hätte er von mir verlangt, mit ihm zu flüchten, und würde mich mit Gewalt dazu gezwungen haben, ohne daß ich mich ihm hätte widersetzen können. Die Morde im Hort würden ungesühnt bleiben, die Kristalle verschwunden. Das durfte nicht geschehen. In seiner Zelle würde ihm nichts passieren, denn Vistren würde keine Gelegenheit finden, sich mit ihm zu befassen. Später konnte er dann befreit werden. Schnell löschte ich die meisten Fackeln und wandte mich zum Gehen.
»Jalav«, bat er eindringlich, »gehe nicht alleine! Suche erst deine Kriegerinnen und kehre mit ihnen zurück. Du kannst diesen Männern nicht alleine gegenübertreten!« »Mida wird mir beistehen«, entgegnete ich, dann verließ ich die Zelle und ging zurück zu dem Raum, in dem sich Arrelin und Vistren befanden. Da passierte es. Aus einer Tür, die offenstand, hörte ich ein leises Rascheln. Mit gezücktem Schwert sprang ich hinein, aber dort war niemand. Statt dessen fiel ein Netz auf mich, so eines, wie es die Städter benutzen, um im Dennin zu fischen, aber dicker und stärker, so daß ich mich selbst mit meinem Schwert nicht befreien konnte. Dann sprangen von allen Seiten Bewaffnete mit gezogenem Schwert herbei. Einer schlug mir mein Schwert aus der Hand, dann wurde das Netz wieder hochgezogen, man nahm mir meinen Dolch ab und bedeutete mir, mich in Bewegung zu setzen.
Man führte mich in einen großen Raum, der ganz mit gelber Seide ausgekleidet war. In seiner Mitte standen Arrelin und Vistren, zusammen mit einem jüngeren Mann, und neben diesem stand Zolin, die Anführerin der Silla. Zolin war so groß wie ich, mit braunem Haar und boshaft blickenden Augen, die immer bereit schienen, anderen ein Leid zuzufügen. Das Rot ihrer Stammesfarben war das Rot des Blutes, das sie oft und gern vergoß.
Vor ihr standen, gefesselt, Fayan und Larid, bösartig gemustert von Zolin. Sie trug Schwert und Dolch, woran leicht zu ersehen war, daß sie sich in der Gegenwart von Freunden befand. Als sie mich erblickte, fuhr ihre Hand sofort an den Schwertgriff. »Sehr gut!« rief Vistren erfreut aus, als er mich sah. »Wo habt ihr sie gefunden?«
»In diesem Gang«, entgegnete einer der Bewaffneten. »Hätten wir nicht die Leiche des Wächters draußen entdeckt, hätte sie viel Unheit hier drinnen anrichten können.« »Tötet sie!« zischte Zolin und sah mich voller Haß an. »Laßt sie sofort umbringen, Vistren, denn wo Jalav ist, da sind die Hosta nicht weit.«
»Die Hosta machen uns keine Sorgen«, entgegnete Vistren. »Ich nehme an, daß diese zwei hier sie holen sollten, aber meine Männer haben sie davon abgehalten.«
»Die Hosta sind immer zu fürchten«, sagte ich. »Ich nehme an, daß Ihr lange genug lebt, um dies am eigenen Leib zu erfahren. «
»Vorlaute Hure«, knurrte Arrelin. Sein Gesicht war wutverzerrt – aber es zeigte auch ein wenig Angst. Obwohl die Männer der Wache mich noch immer mit gezücktem Schwert umgaben, wagte er es nicht, sich mir zu nähern. Vielleicht erinnerte er sich daran, wie die Hosta kämpfen konnten. »Frech in der Tat«, nickte Vistren. »Aber selbst eine solche Frechheit kann durch die richtige Behandlung kuriert werden.« Dann wandte er sich an den jungen Mann neben Zolin und sagte: »Filinar, bring deinen Bruder her!« Filinar schien verwundert, aber entgegnete gehorsam: »Wie du wünschst, Vater«, dann verließ er den Raum. Zolin und ich betrachteten uns, wie sich die Silla und die Hosta seit jeher betrachten: feindselig. »Ich möchte gerne wissen, Zolin«, sagte ich, »wieso du noch immer dein Amulett trägst.« Die Männer um uns herum konnten die Bedeutung dieser Worte nicht verstehen, wohl aber Zolin. Sie erbleichte und griff nach ihrem Schwert. »Das ist nicht wahr«, zischte sie aufgebracht. »Filinar hat uns deutlich erklärt, daß Mida den Gebrauch ihrer Kristalle lediglich zum Nutzen der Midanna wünscht. Viele männliche Sklaven werden die Silla für ihren Kristall bekommen. Größer und stärker werden die Silla sein als die Hosta, größer und stärker als jeder andere Stamm der Midanna. Wir sind gesegnet von Mida!« Dabei suchten ihre Augen mein Einverständnis, aber ich schüttelte nur zögernd den Kopf. »Die Männer aus den Städten erzählen nur Lügen, welche die Silla zu glauben wünschen«, sagte ich ohne Mitgefühl. »Wenn Mida gewünscht hätte, daß die Kristalle den Städtern gehören, dann hätte sie nicht die Hosta geschickt, um sie zurückzuholen. Nimm dein Amulett ab, Zolin, denn du gehörst nicht mehr zu den Midanna. Niemals wirst du Eingang finden im Königreich der Mida.« Die Männer lachten über meine Worte, wie sie immer über das lachen/was sie nicht verstehen, aber Zolin stand da, als habe sie der Blitz getroffen, denn sie fürchtete offensichtlich, daß ich die Wahrheit gesagt haben könnte. Langsam griff sie zu ihrem Amulett, dann wandte sie sich ab. Sie wußte, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte, dann war ihre Seele verloren. Vistren setzte sich, ließ jedoch kein Auge von mir. Arrelin stand hinter ihm und beobachtete mich mit finsterer Miene. So verging eine Weile, bis sich die Tür öffnete und drei Männer eintraten. Der eine war Filinar, der zweite, der mit den Zügen eines Mädchens, der die Karawane begleitet hatte, aber der dritte war...
»Jalav!« schrie der dritte, dann kam er herbei und warf sich zu meinen Füßen nieder. Er weinte vor Freude und umschlang meine Beine. Es war der, den ich in den Zelten der Hosta Fideran zu nennen pflegte.
»Fideran, schäm dich!« brüllte Vistren und sprang auf. »Sie ist eine Wilde, eine Hure aus den Wäldern. Du kannst dich vor ihr nicht wie ein Sklave gebärden.«
»Ich werde ewig ihr Sklave sein«, weinte Fideran. »Ich liebe sie, und nichts kann das ändern.«
»Ich habe sie nur zu einem einzigen Zweck hierherbringen lassen«, schnaubte sein Vater, stürzte herbei und schob ihn beiseite. »Den wirst du gleich sehen.« Er fiel wild über mich her und schlug mich ins Gesicht, immer und immer wieder.
Bald floß Blut aus meinen Mundwinkeln. Er nahm mich und schleuderte mich gegen eine Wand, dann wandte er sich um und kreischte: »Da! Da kauert das Objekt deiner Liebe!« Fideran sah mich an, dann lachte er, fast wie irrsinnig, und zeigte auf mich, denn Jalav kauerte nicht, Jalav stand aufrecht und beugte nicht einmal ihr Haupt. Mida hatte sie gelehrt, daß es keine Schande bedeutete, von einem Mann lediglich durch seine Körperkraft überwunden zu werden. Ein Sieg wurde von ihren Kriegerinnen nur verlangt, wenn sie einem Mann mit dem Schwert in der Hand gegenübertreten konnte, und Jalav hatte kein Schwert. Noch nicht.
Vistren wandte sich ungläubig um, sah mich an, wie ich stolz dastand, dann sagte er bitter: »Mein eigenes Blut! Zwei Söhne habe ich ausgesandt, um die Wilden zu besiegen, aber nur einer erwies sich mir würdig! Der andere ließ sich von einem Weib zum Sklaven machen. Für nur einen freundlichen Blick von ihr war er bereit, das unbezahlbare Erbstück aus früheren Zeiten auf ihrem Altar verrotten zu lassen! Du bist nicht mehr mein Sohn, Fideran! Eine geile Hure anzubeten, die es wahllos mit jedem hergelaufenen Jäger und Krieger treibt, das nimmt dir jede Ehre!« Damit wandte er sich um.
»Das ist nicht wahr!« schrie Fideran hinter ihm her. »Sie hat niemand anderem gehört, Vater, nur mir!« Vistren wandte sich um und sah Fideran angeekelt an. »Du bist auch obendrein noch ein Dummkopf«, sagte er. »Sie ist mit dem Jäger und dem Krieger gekommen, Fideran, und sie haben die Nächte zusammen in einem einzigen Zelt verbracht. Was, glaubst du, haben sie dort wohl getrieben?« »Nein!« schrie Fideran, »das ist eine Lüge, eine gemeine Lüge. Sie ist mein, nur mein!«
»Arrelin«, sagte Vistren ungeduldig, »erzähl' diesem Feigling, wie du gesehen hast, daß der Jäger sie über die Schulter warf und sie in sein Zelt brachte, um ihr zu geben, wonach sie sich so dringend sehnte. Erzähl' ihm, was du mit eigenen Augen gesehen hast.« »Ich werde mir diese Lügen nicht anhören«, schrie Fideran. Er hatte die Fäuste geballt und die Augen geschlossen. Sein Benehmen kam selbst mir sehr merkwürdig vor, denn er mußte doch sicher wissen, daß er nicht der erste Mann war, den ich gehabt hatte, und daß er mit Sicherheit nicht der einzige bleiben würde. Sollte eine Anführerin der Midanna sich so weit erniedrigen, daß sie nur einem einzigen Mann gehörte? »Sie gehört mir allein«, wiederholte Fideran und sah mich mit seltsamen Augen an. »Und ich werde dafür sorgen, daß sie weiterhin nur mir allein gehört.«
Langsam kam er auf mich zu, der Mann, der mir so lange in meinem heimatlichen Zelt gedient hatte. Ich wußte, daß er gewohnt war, mir zu gehorchen und hatte keine Angst. Da ertönten plötzlich von draußen die Schlachtrufe der Hosta. Irgendwie hatten es meine Kriegerinnen geschafft, in die Stadt zu kommen. Nun würde Blut fließen – zur Vergeltung für diejenigen, die im Hort des Kristalls ihr Leben lassen mußten! Ein Mann mit blutigem Schwert stürzte in den Raum. »Herr, wir werden angegriffen!« brüllte er. »Überall Weiber, die wie Sigurrs Legionen kämpfen! Ich brauche jeden Mann hier, um den Palast zu verteidigen.«
»Nimm sie«, befahl Vistren. »Sorgt dafür, daß diese Wilden nicht hereinkommen!«
»Das werden wir zu verhindern wissen!« schwor der Bewaffnete und eilte mit den anderen hinaus. Sein Schwur würde ihm nicht viel nützen, denn sein Schicksal war schon besiegelt. Vistren starrte seinen Männern nach. Mit einigen schnellen Sätzen war ich bei ihm und bemächtigte mich seines Schwertes. Mit einem Aufschrei sprang er beiseite, aber es war nicht er, um den ich mich zunächst zu kümmern hatte. Es war Fideran, dem meine Aufmerksamkeit galt, Fideran, der immer so gehorsam alle meine Befehle befolgt hatte, Fideran, der das Fleisch für mich gebraten und den Daru für mich gebraut hatte, den ich so oft mit meinem Körper beglückt hatte, und der doch nichts anderes war als ein Mann, vor dem man sich in acht nehmen mußte. Aber Mida hatte mich gelehrt, keinem Mann zu trauen und keinem unbewaffnet entgegenzutreten.
Er kam auf mich zu, seine Hände wollten nach meiner Kehle greifen, als ihn die Spitze meines Schwertes durchbohrte. Er sank vor mir nieder, seine Hände wollten mich noch zärtlich berühren, aber dann umfing ihn die endlose Dunkelheit. Traurig sah ich ihn an und flüsterte: »Midas Segen sei mit dir, Fideran. Vielleicht treffen wir uns eines Tages wieder«, dann hob ich meinen Blick und suchte die, wegen denen ich hergekommen war.
Sie waren verschwunden. Der Raum war leer, mit Ausnahme von Larid, Fayan und Zolin, die mich mit Haß in den Augen ansah. »Ich freue mich, Jalav«, zischte sie, »daß du den Angriff auf die Karawane, den ich empfohlen habe, überstanden hast, denn so kann ich dich mit eigener Hand erledigen.« »Dann beeile dich und komm her«, sagte ich, »denn ich habe noch eine Menge zu erledigen, in Midas Namen.« Wütend schnaubte sie, zog ihr Schwert und schlug auf mich ein. Nicht umsonst war sie die Anführerin der Silla, aber ich parierte geschickt und fügte ihr mit der Spitze meines Schwertes eine Wunde zu, aus der das Blut floß. Sie erbleichte und wich zurück. Immer heftiger bedrängte ich sie, immer langsamer wurde ihre Abwehr, bis sie schließlich eine Spur zu langsam wurde und mein Schwert in ihr Herz fuhr. Fayan und Larid schrien vor Begeisterung. Wieder eine der verhaßten Silla weniger! Ich streckte mein Schwert Mida entgegen. Verdammt sind die, die sich ihrem Willen nicht fügen. »Jalav, befreie uns!« rief Larid aufgeregt. »Die Männer sind durch jene Tür drüben verschwunden. Sicher befinden sich dort irgendwo die Kristalle.«
»Wir werden ihnen folgen«, sagte ich, indem ich die Fesseln meiner Kriegerinnen zerschlug. »Sie werden uns zu den Kristallen führen, oder aber wir werden den Spaß haben, sie mit Hilfe unserer Schwertspitzen zu befragen. Bewaffnet euch, und kommt mit!«
Fayan nahm eilig Zolins Schwert, Larid ihren Dolch, dann folgten wir unseren Feinden. Hinter der Tür, durch die sie verschwunden waren, befand sich ein langer, schwach erleuchteter Gang, der an einer steilen Treppe endete. Diese Treppe eilten wir hinauf, bis wir endlich vor einer verschlossenen Tür standen.
In diesem Moment ertönten viele Schritte hinter uns. Wir wandten uns um und warteten auf den Angriff, der da kommen sollte, aber dann lachten wir erleichtert auf. Vor uns tauchte der Wächter auf, der geschworen hatte, niemand hereinzulassen, aber dahinter die Gesichter von Gimin und den anderen Hosta. Ihre Schwerter waren rot von Blut, wie unsere. »Midas Segen über dich, Jalav«, rief Gimin mit breitem Grinsen. »Mir scheint, daß wir ziemlich nah an unserem Ziel sind.« »Das scheint mir auch so, Gimin«, entgegnete ich, und dann fragte ich den Gefangenen streng: »Gibt es noch andere Eingänge zu dem, was vor uns liegt?«
»Nein«, antwortete er ängstlich, »es gibt nur diesen einen Eingang zu Lord Vistrens Gemächern.« Vielleicht hatte er gelogen, aber ich hatte keine Zeit, das herauszufinden. »Laß irgend etwas holen, mit dem wir die Tür aufbrechen können!« befahl ich Gimin. Gimin erteilte ihre Anordnungen, dann kam sie zu mir und sagte: »Dieses Gebäude ist fest in unserer Hand, Jalav. Die meisten der Männer, die es verteidigten, leben nicht mehr, während wir nur leichte Verluste hatten. Diesen einen hier haben wir am Leben gelassen, damit er uns zu euch führte. So haben wir dich gefunden, Anführerin.« Sie hatte mich Anführerin genannt, also hatte sie sich noch nicht entschieden, mich zum Kampf um diese Position herauszufordern. Das freute mich, denn die Hosta sollten sich nicht untereinander streiten, wenn sie gegen einen gemeinsamen Feind kämpften.
»Ich würde gerne wissen, wie ihr uns überhaupt hier gefunden habt«, sagte ich, »denn wir waren doch nicht in der Lage, euch eine Botschaft zu senden.«
»Das ist einfach, und trotzdem schwierig«, antwortete Gimin unsicher. »Wir beobachteten, wie du in die Stadt einzogst, und sahen, daß du nicht mehr gefesselt warst. Deswegen versammelten wir uns in der Dunkelheit unter der Mauer, weil wir sicher waren, daß du uns Einlaß verschaffen würdest. Aber nichts geschah, bis sich endlich eins der Tore langsam und geräuschlos öffnete. Als wir eindrangen, fanden wir jedoch nur eine seltsam aussehende Sklavin, mit schwarzen Haaren, fast wie deine, Jalav, die bei unserem Anblick so laut schrie und tobte, daß wir sie binden und knebeln mußten, damit sie uns nicht verriet.
Die Wächter an dem Tor lagen in tiefem Schlaf, so daß es uns nicht gelang, einen von ihnen zu wecken. Aus dem Wortschwall der Sklavin entnahmen wir, daß sie den Männern einen Schlaftrunk verabreicht hatte und aus irgendeinem Grund annahm, daß man sowohl die Betäubung der Männer wie auch ihr Verschwinden dir anlasten würde, Jalav. Sie sagte irgend etwas von einem ›Brief‹, was wir aber nicht verstanden, Jalav.«
»Mida benutzt viele verschiedene Werkzeuge«, sagte ich. Halia würde den Männern, die sie suchten, weder entkommen, noch würde Jalav angeklagt werden. Jalav befand sich unter Midas Schild, einem Schutz, den Halia gänzlich entbehren mußte.
»Aber dann waren wir unentschieden«, fuhr Gimin fort. »Wir wußten nicht, wo unsere Anführerin sein mochte, und wollten auch nicht ihr Unternehmen durch unsere vorzeitige Ankunft gefährden. Fast hätten wir uns wieder zurückgezogen, als die Kriegerinnen eintrafen, die wir zuvor über die Mauern in die Stadt gesandt hatten. Diese hatten auch deine Ankunft beobachtet, und waren dir ohne große Schwierigkeit gefolgt. In der Dunkelheit konnten sie näher an das große Gebäude herankommen und beobachteten, wie ihr herauskamt. Sie wollten sich gerade mit Fayan und Larid in Verbindung setzen, als diese von bewaffneten Männern überfallen wurden. Zu kurz war der Kampf, als daß sie sich einmischen konnten, und dann wurden Fayan und Larid in das Gebäude geführt, in dem du bereits verschwunden warst. Schnell entschlossen sie sich, uns zu holen, und waren sehr erstaunt, als sie herausfanden, daß wir uns bereits innerhalb der Mauern befanden. Sofort machten wir uns auf den Weg hierher und griffen an. Den Rest weißt du.«
Ich nickte und lobte die treue Hilfe Midas, die immer zur Stelle war, wenn die Hosta sie brauchten. Nun war ich sicher, daß der Sieg unser sein würde.
Drei Kriegerinnen schleppten einen langen Balken die Treppe herauf, mit dem wir begannen, die Tür einzuschlagen. Wir hatten es bald geschafft, als eine Kriegerin angelaufen kam und sagte: »Jalav, draußen sind einige Männer, die behaupten, sie seien in friedlicher Absicht gekommen, und mit dir sprechen wollen. Einer von ihnen ist der Gefangene, den wir machten, bevor wir unsere Zelte verließen.«
»Bringt sie her!« befahl ich, »aber seid auf der Hut vor einem Überfall aus dem Hinterhalt. Es kann sein, daß diese Männer uns nur ablenken wollen.«
Kurz darauf wurden die Männer zu uns geführt, an ihrer Spitze Telion und Galiose. Sie blickten uns an und sahen unsere Bemühungen, die Tür einzuschlagen, dann sagte Galiose zu Telion: »Sie treiben sich also in den Wäldern herum, um uns zu suchen? Dabei scheinen sie aber ganz erfolgreich gewesen zu sein.«
»Ich weiß auch nicht, wie das zugegangen ist«, antwortete Telion aufgebracht. »Nach meiner Kenntnis wußten die Hosta definitiv nicht, wo sich Ranistard befindet. Ich habe keine Ahnung...«
Unvermittelt brach er ab und starrte grinsend Larid an, die ihm zublinzelte, bevor sie sich wieder den Bemühungen an der Tür zuwandte.
»Wäre ich Ihr«, sagte Galiose, »würde ich meine Informationsquellen einmal überprüfen. Sehr zuverlässig scheinen sie nicht zu sein.«
Dann wandte er sich an mich und sagte: »Daß Ihr und Eure Kriegerinnen bewaffnet in meine Stadt eingedrungen seid, will ich verzeihen, liebliche Jalav. Nicht so leicht verzeihen möchte ich jedoch, daß Ihr hier meine Aufgabe erfüllen wollt. Zieht Eure Streitkräfte zurück und erlaubt meinen Männern, hier einzudringen. Das, wonach Ihr sucht, wird Euch zurückgegeben werden, sobald Vistren in meinen Ketten liegt.« »Vistren ist bestimmt für Midas Ketten«, erwiderte ich, »und was den Hosta gehört, werden sie sich selbst zurückholen.« »Du verdammtes, starrköpfiges Weib!« grollte Galios. »Ich wollte mich in Frieden mit dir auseinandersetzen, aber nun muß es in Unfrieden sein. Bereite deine Weiber darauf vor, daß sie weiter zu kämpfen haben, denn ich werde mit meinen Kriegern zurückkommen!«
Zornig dreht er sich um und wollte gehen, aber auf einen Wink von mir zogen meine Kriegerinnen ihre Klingen und hielten ihn auf. Er wirbelte herum und fauchte: »Was soll das bedeuten? Man hat uns freies Geleit zugsagt.« »Das habt Ihr auch bekommen«, entgegnete ich. »Wollt Ihr aber weiter in Sicherheit bleiben, so verhaltet Euch still und macht uns keine Schwierigkeiten. Meine Kriegerinnen sind sehr schnell mit dem Schwert zur Hand!« Grollend ergab er sich in sein Schicksal. Ich wandte mich der Tür zu und sah, daß sie bald offen sein würde. In der Zwischenzeit stellte ich Gimin eine Frage. »Ich nehme an, daß die zwei Gefangenen, die ihr im Wald machtet, keinen sehr leichten Tod hatten?«
»O nein«, entgegnete Gimin mit großer Genugtuung. »Ihr Weg war lang und mit endlosen Schmerzen gepflastert. Leider entkam uns der dritte, weil er etwas zurückgeblieben war. Sollten wir ihn hier finden, wird er uns aber nicht mehr entgehen. «
»Er ist hier«, erwiderte ich. »Er sieht aus wie ein Mädchen, und niemand außer mir wird ihn anrühren! Er trägt das Amulett derjenigen, die mich geboren hat, und nur ich werde es sein, der ihr Leben rächt.«
»Es sieht so aus, als hätten sie in ständiger Verbindung miteinander gestanden«, sagte Galiose zu Telion. »Und was habt Ihr mir erzählt? Allein und hilflos wurde sie hier hergebracht, bewacht von zwei starken Männern, von deren Gnade sie völlig abhing. Telion, wenn wir aus dieser Sache unbehelligt wieder herauskommen, werde ich nach einem Heiler für Euch Ausschau halten. Sicherlich hat der lange und anstrengende Ritt Euch geistig verwirrt.«
Mit einem letzten lauten Krachen brach die Tür ein. Wir drangen mit gezogenem Schwert ein und durchsuchten die Räume. Sie erwiesen sich alle als leer, bis wir ganz hinten eine weitere Tür fanden, die bald eingeschlagen war. Dahinter befanden sich Vistren, Arrelin, Filinar und der Mann mit dem Mädchengesicht. Alle außer Vistren hatten ihr Schwert gezogen. Vistren hielt etwas in der Hand, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Es war ein Gerät aus dickem und dünnem Metall, mit kleinen, runden und quadratischen Teilen. In der Mitte hatte es eine Fläche, die aus goldener Luft zu bestehen schien. Sie war unterteilt in drei scharf voneinander abgegrenzte Teilstücke, in denen rechts und links Midas Kristalle zu schweben schienen.
»Haltet ein!« befahl Vistren. »Dies ist ein Gerät aus uralten Zeiten, mit dem ich die Legionen der Götter zur Hilfe rufen kann. Unsere Vorfahren haben es angebetet, bis die mächtigen Kristalle aus ihm gestohlen wurden. Lange Jahre habe ich die Schriften der Alten studiert, bis ich einen Hinweis entdeckte, wo sich die Kristalle befinden könnten. Zwei von ihnen habe ich wieder aufgefunden, der dritte blieb verloren. Aber auch diese zwei genügen, um gegen jedes Schwert anzukommen. Die Macht gehört mir, die Macht über die ganze Welt.« Mit einem irren Lachen griff er nach einem runden Metallding und drehte daran, bevor ihn jemand hindern konnte. Wie mit unsichtbaren Schwertern wurden wir von scharfen und heißen Streichen getroffen. Vistren lachte, als wir versuchten, wieder auf unsere Füße zu kommen.
»Es bereitet ihnen Todespein«, kicherte er, und das tat es wahrscheinlich. »Frauen verspüren es immer. Mit drei Kristallen ist es nur schmerzvoll, mit zwei bereitet es Todespein, aber mit einem ist es absolut tödlich. Da ich den alten Schriften mißtraute, habe ich es mit dem einen Kristall ausprobiert, den ich damals hatte. Fast alle Frauen in Ranistard sind gestorben. Das ist auch der Grund, warum die Frauen die Kristalle mitnahmen. «
Durch die Wellen qualvoller Schmerzen hindurch bemerkte ich das Entsetzen auf den Gesichtern von Galiose und seinen Männern. Galiose trat einen Schritt vor und schrie mit geballten Fäusten: »Du hast unsere Frauen umgebracht? Für deine abstrusen Träume von der Weltherrschaft mußten Hunderte unschuldiger Frauen sterben! Stell das Ding sofort ab, hörst du!«
»Ich höre, aber ich gehorche nicht«, lachte Vistren. »Im nächsten Augenblick wird das Gerät bereit sein, Galiose, und dann sende ich meinen Ruf zu den Göttern und ihren Heerscharen. Du kannst mich nicht aufhalten, Galiose, dafür ist es zu spät!« Galiose trat zusammen mit Telion einen Schritt auf ihn zu, aber dann geschah etwas, was ich trotz meiner Qual deutlich wahrnehmen konnte. Die Kristalle hatten so ausgesehen wie immer, wolkig und trübe, aber plötzlich verwandelten sie sich. Vor unser aller Augen wurden sie erst glasklar, dann aber verdunkelten sie sich mehr und mehr. Sie wurden dunkler als die Dunkelheit der Nacht, dunkler als jeder Kerker. Sie verwandelten sich in eine absolut leere Dunkelheit, eine Dunkelheit, die eine eisige Kälte verbreitete. »Jetzt!« rief Vistren und griff wieder zu dem Gerät, aber diesmal ereilte ihn sein Schicksal. Ein Dolch flog auf ihn zu, geworfen von Larid, und obwohl sie sich in Todesqualen wand wie wir anderen, traf sie ihn mitten ins Herz. Mit einem Schrei versuchte er das Gerät noch zu erreichen, aber es war zu spät. Lautlos sank er zu Boden.
Telion ergriff das runde Metallstück und drehte es in die Stellung zurück, in der es gewesen war. Sofort hörten die Qualen auf. Einige meiner Kriegerinnen stöhnten lauf auf, und auch ich verspürte das Verlangen, zu stöhnen, unterdrückte es aber mit einem Gebet zu Mida.
»Werft Eure Waffen weg«, befahl Galiose den drei Gefolgsleuten Vistrens, die noch immer mit gezogenem Schwert dastanden. »Euer Meister ist tot, und ihr tätet gut daran, euch mir zu unterwerfen.«
Die Männer sahen sich an, dann warfen sie ihre Schwerter auf den Boden. Schnell schob ich meinen noch immer schmerzenden Körper zwischen Telion und das Gerät und sagte: »Die Hosta danken Euch für Eure Hilfe, Galiose. Wir werden nun nehmen, was uns gehört, und dann werden wir gehen.« »Mädchen, du kannst ja kaum stehen!« protestierte Galiose. »Wir werden uns dieser Schlächter der Unschuldigen schon annehmen, darauf hast du mein Wort. Du solltest dich mit deinen Kriegerinnen etwas ausruhen, bevor du zurückkehrst.« »Die Hosta werden sofort zurückkehren«, sagte ich, »und sie werden das mitnehmen, was ihnen gehört.« Mit einem Griff an ihre Schwerter verliehen meine Kriegerinnen meinen Worten Nachdruck. Ich wies auf Arrelin und den Mann mit dem Mädchengesicht, die beide erblaßten und zurückschraken. Zitternd wurden sie von meinen Kriegerinnen fortgeführt, und sie hatten wohl Grund zum Zittern, denn bitter würden sie für alles büßen müssen, was den Hosta angetan worden war. Galiose erhob keinen Einspruch.
Dann zwang ich mich, die Kristalle anzusehen, und fand zu meiner Erleichterung, daß sie so wolkig trübe wie zuvor waren. Ängstlich und höchst widerwillig versuchte ich, sie aus dem Gerät herauszunehmen, denn ich wußte, daß dies meine Pflicht war. Kaum hatte ich sie jedoch berührt, als ein blauer Blitz mich durchzuckte, der sengend von meinen Fingern bis auf den Grund meiner Seele fuhr. Ich mußte schreien und stürzte zu Boden.
Telion und Galiose wollten mir zu Hilfe kommen, wurden aber von meinen Kriegerinnen, die sich um mich bemühten, beiseite gestoßen. Durch den Schleier meiner Augen erblickte ich vor mir die strahlende Gestalt der Mida', die traurig ihren Kopf schüttelte. Ihre Kristalle waren nun außerhalb der Reichweite ihrer Hosta, das wußte sie. Sie hob den Arm und wies nach Süden, in unsere Heimat. Wir sollten zurückkehren, und das würden wir willig tun. Meine Kriegerinnen halfen mir auf die Beine, und ich brauchte einen Moment, ehe ich meine Kräfte wiedergewann, dann stieß ich mein Schwert in die Scheide und sagte schwach: »Die Hosta müssen nach Hause reiten. Die Stadt gehört euch wieder alleine.«
Telion und Galiose sahen mich fast traurig an, als mir gerade etwas einfiel. Ich griff in die Tasche unter meinem Schurz und zog das kleine Stück Metall heraus, das ich dort verborgen hatte. Merkwürdigerweise schien es warm zu sein. Dann gab ich es Telion und sagte: »Laß das Gebäude durchsuchen und ihn befreien.«
Telion sah mich verwundert an, aber ich hatte keine Kraft, mehr zu sagen. Geleitet von meinen Kriegerinnen, verließ ich schweigend den Raum und das Gebäude und hoffte, niemals hierher zurückkehren zu müssen.