16 Die Rückkehr – und eine bittere Wahrheit kommt ans Licht

Lange war ich durch das Land des Nebels gereist, nun war die Reise zu Ende. Vor uns im klaren Tageslicht lag Ranistard.

Wieder waren mir die Hände auf dem Rücken gefesselt worden, wofür sich Ceralt vielfach entschuldigt hatte, aber freilassen wollte er mich nicht. Meinen Kriegerinnen war es genauso ergangen.

Sehr zu freuen schienen sich die Männer über den Anblick von Ranistard und über das, was ihnen mit uns gelungen war, aber wir waren von ohnmächtiger Wut erfüllt. Niemals hatten sich die Hosta an einem Überfall beteiligt, und nun waren sie selbst das Opfer eines Überfalls geworden. Das war etwas, was blutig gerächt werden mußte!

»In weniger als einer Stunde werden wir dort sein«, sagte Ceralt zufrieden. Er ritt an der Seite von Telion, und ich konnte sehen, daß Larid genauso fühlen mußte wie ich. Sie befühlte heimlich ihre Fesseln und suchte nach einer schwachen Stelle.

Ich hatte dies auch getan, ohne Erfolg.

»Wir werden gerade zurechtkommen, um an einem guten Mahl teilzunehmen«, sagte Telion. »Das wird den Frauen auch guttun. Der Haferschleim hat sie zwar bei Kräften gehalten, er ist aber kaum etwas, von dem sie sich sonst ernähren. Ein Jammer, daß sie nicht in der Lage waren, Fleisch zu kauen.«

»Mit dem Betäubungsmittel im Leib nicht«, erwiderte Ceralt.

»Aber das brauchten wir, um sie ruhig zu halten. Obwohl«, fügte er lachend hinzu, »Jalav manchmal gar nicht so ruhig war.«

»So ging's mir auch«, entgegnete Telion lachend. »Vielleicht wäre das gar keine schlechte Idee, daß man dem Essen für die Zeiten, wo man ein liebes und gefügiges Weib haben will, immer solch ein Mittel zufügen sollte.«

Beide hatten gut lachen, denn sehr oft auf der Reise hatte Ceralt von mir Gebrauch gemacht, und ich nahm an, daß es Larid nicht anders ergangen war. Ich hatte Ceralt gewiß manche Freude bereitet, und manche Freude von ihm empfangen, und doch fand ich die Art, eine Kriegerin so zu behandeln, sehr demütigend, und würde sie nicht so bald vergessen. Bisher hatte ich noch kein Wort mit Ceralt geredet, und ich hatte auch die Absicht, es so zu halten, bis ich meine Freiheit wiederbekommen hatte.

Neben Telion ritt Nidisar, doch er konnte wenig Freude an der Gegenwart von Fayan empfinden. Er hatte zärtlich mit ihr geredet, als die Nebel sie verlassen hatten, aber sie hatte sich geweigert, überhaupt von ihm Kenntnis zu nehmen. Sie tat so, als ritt sie alleine auf dem Kan, und hatte auf keine Bemühung von Nidisar reagiert. Traurig saß er hinter ihr. Bald erreichten wir die Tore von Ranistard. Ein eisiger Schauer strich bei dem Gedanken an das, was sich in seinen Mauern befand, über mich und meine Kriegerinnen hinweg. Ängstlich hielten wir nach einer Gelegenheit zu entfliehen, Ausschau. Die Männer preßten uns enger an sich und sprachen tröstend auf uns ein, aber sie hatten ja auch nicht die Todesangst verspürt, die von den Kristallen ausging, und die Qual, die sie uns bereitet hatten.

Hinter den Toren standen viele Männer, die uns freudig begrüßten, und die Krieger grüßten lachend zurück, stolz auf den Erfolg ihres Überfalles. Aus den Fenstern der Behausungen ringsum hingen Tücher, wohl um den Hosta zu zeigen, daß sie jetzt geringer als alle anderen Stämme der Midanna waren, in der Gefangenschaft der Männer.

Nur sehr wenige Sklavenweiber waren zu sehen. Sie standen hinter den Männern und lächelten, vermutlich zufrieden über den Gedanken, daß nun andere ihre Knechtschaft teilen mußten. Vor dem Haus des Galiose standen viele Tische, die bedeckt waren mit Speisen und Getränken, und auf nahegelegenen Feuern wurden einige Nilnod gegrillt.

Nicht weit von diesen Feuern hielten wir an. Ceralt sprang ab und hob mich herunter. Die anderen Männer machten dasselbe mit den Kriegerinnen, die sie hergebracht hatten. Dann erschien Galiose an der Spitze einer Anzahl bewaffneter Männer. Er schritt an uns vorbei, wobei er kurz vor mir stehenblieb und mich mit breitem Grinsen begrüßte, dann hob er die Arme zum Gruß und rief: »Ranistard begrüßt seine neuen Bürger!«

Unter den Männern ringsherum erhob sich lebhafter Beifall, als er fortfuhr: »Wir sind hoch erfreut, die Hosta erneut unter uns begrüßen zu dürfen, und noch mehr erfreut darüber, daß sie uns diesmal keine Schwerter an die Kehlen halten.« Alle lachten, mit Ausnahme der Hosta, die sich natürlich wünschten, ihre Schwerter in Händen zu halten. »Ihr Weiber werdet die Freiheit der Stadt genießen«, fuhr Galiose mit einem Lächeln fort, »denn alles wurde für euer Kommen vorbereitet. Keine Waffe wird sich in eurer Reichweite befinden, und die Tore und Mauern werden schwer bewacht sein. Ihr könnt euch frei bewegen, wie ihr wollt, um unsere Stadt kennenzulernen, dürft aber den Toren und Mauern auf höchstens zwei Straßen nahekommen. Hält sich ein Weib nicht daran, wird es zur sofortigen Bestrafung demjenigen übergeben, der es hergebracht hat. Ihr wurdet hierhergebracht, um den Bedürfnissen der Männer zu dienen, und hier werdet ihr bleiben. Die Männer der Stadt werden zukünftig für euren Schutz und eure Bedürfnisse sorgen, und ihr habt sie gut zu versorgen.«

Alle Männer brachen in großen Jubel aus, als nun unsere Fesseln gelöst wurden, und Galiose auf die Tische hinwies und erklärte: »Der Hohe Senat hat für die Hosta ein Fest vorbereitet und lädt alle Männer ein, daran teilzunehmen. Greift zu!« Zufrieden murmelnd bewegten sich die Männer auf die Tische zu, jedoch die Hosta blieben dort stehen, wo sie standen. Erstaunt und verärgert sagte Galiose: »Warum bewegt ihr euch nicht? Habt ihr nicht verstanden, daß ihr an die Tafeln eingeladen seid? Kommt und eßt!«

Wieder erhielt er keine Antwort. Ratlos sah er sich um, dann fiel sein Blick auf mich, und mit einem leichten Grinsen sagte er: »Liebliche Jalav, es ist nicht lange her, da hast du an meiner Tafel gespeist. Du weißt, daß ihr nichts zu befürchten habt von mir. Erkläre das den anderen.«

»Die Hosta fürchten die Männer aus den Städten nicht«, erklärte ich ihm, »also essen sie auch nicht auf ihren Befehl. Sie werden bald wieder frei sein, und diesen Tag sollten die Männer fürchten!«

Galiose ballte die Fäuste vor Zorn, und Telion sagte: »Ich erkenne nun den Grund, warum die Weiber sich nicht rühren. Sie gehorchen nur Jalav, und wenn diese in den Himmel fahren würde, würden sie hinterherfahren.«

»Ich wollte, meine Gefolgschaft wäre so gehorsam, wie es ihre ist«, meinte Galiose. »Was können wir tun, Jäger?« wandte er sich an Ceralt. »Ich möchte nicht, daß sie mir in der Gefangenschaft verhungern, wie es so mancher Lellin tut.« »Ich weiß es nicht«, entgegnete Ceralt und rieb sich die Stirn mit seiner großen, kräftigen Hand. »Ich hatte nicht gedacht, daß sie das verweigert, was man ihr freiwillig anbietet.« Dann sagte er mit herzlicher Stimme zu mir: »Jalav, ich möchte nicht, daß du leidest, aber ihr Hosta seid jetzt nicht mehr frei, weil wir Männer euch als Gefährtinnen genommen haben. Du gehörst mir, um mich in Liebe zu umsorgen. Wenn du nicht aus freiem Willen essen willst, dann werde ich dich mit dem Haferschleim füttern, wie ich das auf dem Ritt hierher getan habe. Ist es das, was du willst, gefüttert zu werden und behandelt zu werden wie eine Sklavin?«

»Jalav ist keine Sklavin«, entgegnete ich, ohne ihn anzusehen. »Sie gibt nichts darum, was ein Mann will. Telion wurde gefangengenommen und wieder freigelassen, Ceralt wurde gefangengenommen und wieder freigelassen, die Stadt zusammen mit Galiose wurde von uns eingenommen und wieder freigegeben – aber die Städter machen aus denen, die sie gefangennehmen, lebenslange Sklaven. Städter haben keine Ehre, und eine Kriegerin kann vor ihnen nur ausspucken.« Nach meinen Worten herrschte betroffene Stille und die Männer sahen sich unbehaglich an, denn sie wußten, daß ich die Wahrheit gesagte hatte. Doch Ceralt ergriff mich und zog mich näher zu sich heran.

»Fühle dich nicht betrogen, Jalav!« sagte er. »Ich habe dich nicht als Sklavin hierhergebracht, aber meine Liebe zu dir ist zu groß, als daß ich getrennt von dir leben könnte. Du wirst bald mit dem Leben in der Stadt vertraut sein, und dann wirst du begreifen, was ich für dich getan habe. Du wirst lernen, daß das Leben reich und warm sein kann, nicht kalt und leer und in Blut getaucht. Ich zweifle nicht daran, daß du dann meine Liebe erwidern wirst, Frau meines Herzens, und deswegen werde ich dich bei mir behalten. Komm mit mir zur Tafel, denn ich kann dich nicht hungern sehen!«

Er versuchte, den Arm um mich zu legen und mich mit sich zu ziehen, aber ich stemmte mich dagegen. »Jalav hat Hunger, das stimmt«, sagte ich in scharfem Ton, »aber ihr Hunger ist der nach Freiheit und nach dem Anblick ihrer heimatlichen Zelte. Jenseits der Mauern dieses von Mida verlassenen Drecknestes wird sie essen, aber in seinen Mauern wird sie verhungern.« Die Männer sahen sich an, dann seufzte Telion tief. »Sie spricht von sich selbst wieder als Jalav«, sagte er resigniert. »Ceralt und ich haben erfahren müssen, Galiose, daß, wenn Jalav Jalav ist, niemand sie zu irgend etwas zwingen kann, und ihre Kriegerinnen auch nicht. So weit, was das Fest anbetrifft.« Galiose hatte mich unverwandt angesehen, ohne einen Funken Verständnis in seinen Augen. »Ich habe etwas gegen widerspenstige Weiber«, sagte er, »und dieses hier hat sich für meinen Geschmack schon zu oft als widerspenstig erwiesen. Hüte dich vor meinem Zorn, Weib!«

Ich wollte ihm gerade entgegnen, wie wenig ich mir aus seinem Zorn machte, als Ceralt mir mit seiner großen Hand den Mund verschloß. »Ihr wird schon bald die nötige Bescheidenheit beigebracht werden«, sagte er, während ich vergeblich versuchte, mich seinem Griff zu entziehen. »Ich selber werde mich darum bemühen, ihr Temperament zu zügeln.« »Ich wünsche Euch nachhaltigen Erfolg dabei«, brummte Galiose, »und den Segen der Höchsten Einigkeit. Ihr werdet ihn brauchen. Aber nun wollen wir uns an die Tafel begeben. Da die jungen Damen keinen Hunger verspüren, mögen sie zusehen, wie es uns schmeckt.«

Damit gingen alle Männer hinüber, wo es die Speisen gab. Ich war froh, daß ich von Ceralts Hand befreit war, gegen die ich mich doch nicht wehren konnte. Niemals werde ich verstehen, weshalb Männern größere Stärke verliehen wurde als den Frauen, die sie doch nötiger hätten. Sicher geschah dies ohne Midas Wissen, denn sie hätte dies bestimmt nie geduldet. Ich wartete ab, bis die Männer eifrig dabei waren, sich mit Essen und Getränken zu versehen, dann warf ich meinen linken Arm hoch und ließ ihn einmal kreisen – das Zeichen der Hosta, aufzusteigen und loszureiten – und sprang auf Ceralts Kan. Das Kan rannte bereits los, als ich kaum auf seinem Rücken saß und mich an seiner Mähne festhalten konnte. Hinter mir kamen meine Kriegerinnen angeritten. Direkt auf die ungläubig starrenden Männer ritten wir zu, mit wilden Schreien, und diese brachten sich hastig in Sicherheit. Einige schafften es jedoch nicht und fielen vor die Hufe unserer Kand. Ich dachte an die empfindlichen Beine der Kand, riß mein Kan hoch und sprang im hohen Bogen über die durcheinanderwirbelnden Menschenleiber hinweg. Meine Kriegerinnen taten desgleichen, und im Galopp ging es auf die Tore der Stadt zu, die Tore zur Freiheit.

Viele meiner Kriegerinnen stießen voller Freude den Kriegsschrei der Hosta aus, als wir durch die Straßen der Stadt ritten, aber diese Freude sollte nicht lange dauern. Obwohl die Dunkelheit noch nicht angebrochen war, waren die Tore schon verschlossen und verrammelt, und viele Männer, in Leder und Metall gekleidet, standen vor ihnen, während andere ihnen noch zur Hilfe eilten. Mein Herz sank, als ich bemerkte, daß keiner von ihnen eine Waffe trug. Wie sollten wir denn mit ihnen kämpfen, wenn sie keine Waffen hatten, deren wir uns nicht bemächtigen konnten?

Unschlüssig zügelten meine Kriegerinnen ihre Kand, aber ich rief: »Kriegerinnen der Hosta, greift an!«Mit großem Geheul sprangen die Kriegerinnen von den Kand und stürzten sich, mir folgend, auf die Männer, die uns mit breitem Grinsen erwarteten, begierig darauf, körperlichen Kontakt mit einer Hosta zu bekommen. Aber ihr Spaß sollte ihnen bald vergehen, als wir sie mit großer Gewalt gegen das Tor trieben.

Der Mann, den ich angegriffen hatte, hielt mich eng umschlungen, um meinen Krallen und meinen Bissen zu entgehen, bis sich eine andere meiner Kriegerinnen auf ihn stürzte, bereit, ihm die Augen auszukratzen, so daß er mich losließ und ich Gelegenheit hatte, das Tor in Augenschein zu nehmen. Es war mit einem großen Metallbalken verriegelt, der uns keine Schwierigkeit bereitet haben würde, ihn zu entfernen, wenn er zusätzlich nicht noch mit Ketten gesichert gewesen wäre, die in dem Holz des Tores befestigt waren. Wild rüttelte ich an einer der Ketten, wurde dann aber von einem Mann beiseite gezogen, der mich festhielt. Meinen Kriegerinnen erging es nicht besser. Schließlich kamen auch noch die Männer zur Hilfe herbei, mit deren Kand wir fortgeritten waren. Ich spürte eine Hand in meinem Haar, die mich vom Tor wegzog. Als ich aufblickte, sah ich in die zornerfüllten Augen Ceralts. Er hob mich hoch und trug mich weg, obwohl ich mich strampelnd zu wehren versuchte. Bald war wieder Frieden auf dem Platz vor dem Tor eingekehrt.

Galiose kam auf einem großen, schwarzen Kan angeritten und betrachtete das Schlachtfeld, dann blieb sein Blick auf mir ruhen. »Diese Weiber gehorchen mit einem Willen ihrer Anführerin«, sagte er mit lauter Stimme, »deswegen hat der Hohe Senat entschieden, daß sie auch einmütig bestraft werden, ihre Anführerin zuallererst, und daß sie dann voneinander getrennt gehalten werden sollen, bis weitere Maßnahmen getroffen wurden. Ihr Männer habt diesen Befehl auszuführen, und zwar umgehend!«

Die Männer, die eine Kriegerin bei sich führten begaben sich zu ihren Kand. Kurz konnte ich Telion entdecken, der sich mit einer sich wie wild sträubenden Larid abgab, dann warf mich Ceralt in seinen Sattel. Ich versuchte, mich zu befreien, wie immer vergeblich, dann ritten wir fort. Was hätte ich darum gegeben, meine Kriegerinnen wieder befreien zu können, aber ich konnte nicht einmal meine eigene Freiheit hierfür zum Tausch anbieten.

Wir ritten wieder zum Gebäude zurück, in dem Galiose lebte, doch kurz vorher hielt Ceralt bei einem kleinen Gebäude auf der rechten Seite an. Ohne ein Wort zog er mich von dem Kan, und mit der Hand in meinem Haar brachte er mich in das Gebäude hinein. Mit langen Schritten stieg er eilig eine Treppe hinauf, so daß ich kaum die Frau betrachten konnte, die bei unserer Ankunft im Eingang erschienen war. Nur soviel bemerkte ich, daß sie nicht mehr ganz jung war, obwohl ihr blondes Haar noch kein Grau zeigte. Sie hatte mich erstaunt betrachtet, als Ceralt mich eilig an ihr vorbeiführte. Oben stieß er mich in einen finsteren Raum, schloß die Tür hinter mir und verriegelte sie von außen. Kein Fenster war in diesem Raum, doch fühlte ich ein weiches Tuch unter meinen Füßen und roch einen seltsamen, betörenden Duft, der mir fremd war. Als sich Ceralts Schritte entfernten, ließ ich mich auf den Boden nieder und dachte über meine Lage nach. Am meisten bedrückte mich das Wissen, daß sich die Kristalle in der Stadt befanden.

Nicht lange danach hörte ich wieder Schritte. Der Riegel wurde fortgeschoben, die Tür öffnete sich und Ceralt erschien, hinter ihm die fremde Frau. In der einen Hand trug Ceralt einen Topf, in der anderen Hand eine kleine Fackel. Die Frau schloß die Tür hinter ihm und verriegelte sie wieder. Im Licht der Fackel setzte Ceralt den Topf auf etwas, das Telion ›Tisch‹ genannt hatte und zündete dann einige Kerzen an, die an der Wand hingen.

In einer Ecke des Raums, dessen Wände mit gelben Seidentüchern behängt waren, entdeckte ich etwas, das Telion ›Bett‹ genannt hatte, nur war es nicht so groß wie bei Galiose. Rechts davon hing eine dieser Scheiben, in denen man sich selbst sehen konnte, und darunter befanden sich einige kleine Töpfe und ein paar Kämme. Im ganzen war der Raum vielleicht vier mal vier Schritte groß.

Als Ceralt alle Kerzen angezündet hatte, warf er die kleine Fackel auf die Feuerstätte, die sich an einer Wand befand, dann wandte er sich mir zu und sagte ohne große Herzlichkeit: »Ich nehme an, daß du jetzt die Bestrafung erwartest, von der Galiose gesprochen hat, denn ich glaube, die Entschlossenheit in deinen Augen zu sehen, dich von dieser Strafe nicht beeindrucken zu lassen.«

»Eine Kriegerin der Hosta gibt überhaupt nichts darum, was die Männer aus den Städten tun«, erwiderte ich kühl, »darum werde ich deine Schläge so schweigend entgegennehmen, wie ich die Schläge von Bariose empfing.«

»Das werden wir sehen«, brummte Ceralt, und dann holte er den Topf herbei. Seinem Geruch war leicht zu entnehmen, daß er eine Brühe aus Nilnofleisch enthielt. Mit Gewalt zwängte Ceralt mir diese hinunter. Als er fertig war, wollte ich mich erheben, war aber merkwürdigerweise dazu nicht in der Lage. Vor meinen Augen wogten wieder die Nebel, wie auf dem Ritt in die Stadt, wenn auch nicht so stark. Ceralt kicherte. »Der Trank wirkt außerordentlich gut«, sagte er, »viel besser noch als der, den ihr Weiber so liebt. Er läßt einen größeren Spielraum von Aktivitäten, wie du nun erfahren wirst.« Seine Worte waren durch den Nebel klar verständlich. Ich hob meine Hand, um ihn fern von mir zu halten, aber er zog mich mit Leichtigkeit an seine Brust. Seltsamerweise war mir seine Berührung angenehm.

»Das erste, was du lernen mußt, ist zu essen«, sagte er. »Lodda wird dir in Kürze deinen Brei bringen, und du wirst ihn zu dir nehmen, wie das ein folgsames Weib tut. Nicke mit dem Kopf, um zu zeigen, daß du gehorchen wirst!« Eher hätte ich mir die Hand abhacken lassen, als seine Befehle zu befolgen und doch, zu meinem Entsetzen, nickte ich gegen meinen Willen.

»Meine brave, gehorsame Jalav«, murmelte Ceralt anerkennend und streichelte mir den Rücken. »Erst wirst du deinen Brei essen, und dann wirst du bestraft werden. Du hast eine tüchtige Strafe verdient, nicht wahr? Nicke mit dem Kopf, um zu zeigen, daß du bestraft werden willst!« Wieder nickte mein Kopf entgegen meinem Willen. Ein leichtes Stöhnen entschlüpfte mir, denn irgendwo in meinem Innern wußte ich, daß ich nicht bestraft werden wollte. Ceralt kicherte vergnügt. »Die Droge erlaubt dir keinen eigenen Willen, Jalav«, sagte er. »Du wirst mir in allen Dingen gehorchen, so, als wärst du meine Sklavin. Ich habe sie nicht so stark gemacht, damit du merkst, was mit dir vorgeht. Das ist ein Teil deiner Bestrafung. Paß gut auf, damit du dich lange an alles erinnern kannst. Ah, da kommt Lodda!« Ich hörte ein Geräusch an der Tür, und herein kam die unbekannte Frau. Sie trug einen Topf mit dem widerlichen Gebräu, das ich nun schon so oft hatte essen müssen, und lächelte zufrieden. »Sehr nahrhaft«, sagte sie, auf den Topf deutend. »Wollt Ihr sie füttern, oder soll ich es?« »Ich werde sie füttern«, antwortete Ceralt und führte mich zu einem mit gelber Seide bespannten Sitz. »Ich benötige Eure Dienste nicht mehr bis morgen früh, deshalb könnt Ihr Euch zurückziehen.«

»Wie Ihr wünscht«, sagte sie und gab ihm den Topf. »Mit der Zeit werden sie und ich schon miteinander vertraut werden. Obwohl sie größer ist, als ich erwartet habe, glaube ich nicht, daß es viel Schwierigkeiten mit ihr geben wird.« »Ich erwarte Schwierigkeiten mit ihr«, entgegnete Ceralt. »Aber vielleicht kann man einige davon vermeiden. Wir werden sehen.«

Die Frau schien über seine Worte erstaunt zu sein, aber sie zuckte die Achseln und verließ den Raum. Ceralt nahm keine Notiz mehr von ihr, sondern zog einen anderen Sitz heran und setzte sich mit dem Topf in der Hand vor mich. Die Nebel erschwerten mein Denken, und doch nahm ich alles um mich herum deutlich wahr, deutlicher vielleicht noch als sonst. Ceralts helle Augen, mit denen er mich anblickte, trugen einen merkwürdigen Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. Sein ausdrucksvolles, dunkles Gesicht unter seinem wirren Haarschopf erzeugte in mir ein Gefühl, das stärker war als bloßes Verlangen, und vor dem ich Angst hatte. Eine Kriegerin der Hosta darf keinem Mann gehören, und deswegen beunruhigte mich die Freude, die ich in seiner Gegenwart empfand. Ceralt rührte mit einem langen Holzstab in dem Topf, dann sagte er: »Mach den Mund auf, Jalav, denn nun bekommst du deinen Brei. Meine gehorsame Jalav wird brav ihren Brei essen, denn sie möchte doch ihrem guten Ceralt gehorchen.« Zu meinem Entsetzen öffnete sich mein Mund selbständig, und Ceralt fütterte mich. Obwohl ich meinen ganzen Willen zusammennahm, um mich ihm zu widersetzen, verfütterte er nach und nach den ganzen Brei an mich. Diese Behandlung war erniedrigend, denn er sprach mit mir, einer Anführerin der Hosta, wie mit einem Kind, und ich gehorchte willenlos. Zum Schluß stellte Ceralt den leeren Topf mit einem Lächeln beiseite.

»Wie gehorsam doch unsere Jalav ist«, sagte er, zu meinem ohnmächtigen Zorn. »Doch sie ist nicht immer so gehorsam. Deshalb muß sie jetzt bestraft werden.« Finster entschlossen sah er mich an. »Jalav wird jeden Schlag genau spüren«, sagte er, »und sie wird so schreien, wie jedes andere Weib schreit, das bestraft wird. Nicke mit dem Kopf, um zu zeigen, daß du mir gehorchen wirst!«

Und ein drittes Mal nickte mein Kopf selbständig, zu meinem allergrößten Entsetzen. Ceralt nahm eine Lederleine, die er schon oft benutzt hatte, um mich zu strafen, und schlug mich. Ich schrie vor Angst, und auf Ceralts Befehl weinte ich sogar. Er schlug mich sehr hart. Als Ceralt mich endlich freigab, konnte ich mich kaum noch auf den Füßen halten. Ich wollte zurückschlagen, ihn von mir stoßen, aber die Nebel schlössen sich stärker um mich, und schließlich umfing mich die Dunkelheit.

Nur langsam erwachte ich und erinnerte mich an die Schrecken des vergangenen Tages. Immer würden sie mir in Erinnerung bleiben, bis Mida mich rief. Nie zuvor hatte ich eine solche Erniedrigung erfahren, eine Erniedrigung, die nur mit Blut gesühnt werden konnte - vielleicht nicht mit seinem ganzen Blut, aber doch mit einer beträchtlichen Menge, damit er die gleiche Pein verspüren würde, die ich erlitten hatte. Kein Mann durfte eine Hosta so behandeln, und der Tag würde kommen, an dem Ceralt bitter bereuen würde, was er mir angetan hatte. Ich streckte mich auf dem Tuch vor der Feuerstelle aus. Die Nebel waren vollkommen verschwunden. Ceralt hatte mich noch weiter gequält und mich auf das Ding gelegt, was sie Bett nannten, auf dem ich nur mit Furcht liegenbleiben konnte. Glücklicherweise hatte ich die Kraft gefunden, herunterzuklettern und mich vor die Feuerstelle zu legen. Ich setzte mich aufrecht und begann kurz darüber nachzudenken, wie wohl das weitere Schicksal der Hosta aussehen würde. Daß Mida unzufrieden mit ihren Kriegerinnen war, war klar zu erkennen, aber ich wußte nicht, ob man ihren Zorn irgendwie besänftigen konnte. Sollte das möglich sein, dann würden die Hosta auch wieder freikommen, denn niemand konnte sie gegen den Willen von Mida festhalten.

Dann fielen mir die Kristalle ein. Vielleicht war es möglich, sie wieder aus dem Gerät zu befreien ? Eigentlich wünschte ich alles weniger, als noch einmal mit ihnen zu tun zu haben, aber ich war die Anführerin der Hosta und verpflichtet, für die Freiheit meiner Kriegerinnen zu sorgen, falls das möglich war. Sollte sich die Möglichkeit ergeben, würde ich also noch einmal versuchen, an die Kristalle heranzukommen. Dabei verdrängte ich die Erinnerung an den ersten Versuch aus meinem Gedächtnis. Meine Hand zitterte kurz, aber ärgerlich brachte ich sie zur Ruhe.

Dann stand ich auf und suchte nach meiner Stammesbekleidung, aber sie war nirgendwo zu finden. Bei dem Bemühen, mich zu erinnern, wo sie sein könnte, griff ich nach meinem Amulett und erstarrte vor Schrecken. Es war gleichfalls verschwunden ! Rasend durchwühlte ich den ganzen Raum, ohne es zu finden.Noch niemals hatte ich es abgelegt. Schaudernd dachte ich daran, wie meine Seele ohne seine Hilfe Midas Königreich finden sollte. Wie konnte ich ohne es einem Feind mit dem Schwert in der Hand gegenübertreten? Was war, wenn Mida mich nun rief, und ich war unbeschützt durch mein Amulett? Hilflos schluchzte ich. Es blieb verschwunden. Dann fiel mir das Gefecht am Tor ein. Vielleicht war es mir dabei abhandengekommen? Ich entschloß mich, sofort hinüberzulaufen und es zu suchen, und lief zur Tür, bis mir einfiel, daß diese verriegelt sein würde. Zu meinem Erstaunen ließ sie sich jedoch ohne Mühe öffnen.

Ich lief die Treppe hinunter und wollte gerade das Haus verlassen, als jene Lodda auftauchte. »Hat der schreckliche Sigurr deinen Geist verwirrt?« fragte sie und versperrte mir den Weg. »Du kannst doch so nicht hinauslaufen, mit nichts als einem Lächeln bekleidet! Gehe hinauf, und ich werde dir deine Kleidung bringen.«

Erst dann fiel mir ein, daß ich nichts anhatte, und ich entgegnete hastig: »Bringt sie mir hierher, aber schnell, denn ich habe etwas Dringendes zu erledigen.«

»Aber schnell!« antwortete sie und stemmte ärgerlich ihre Arme in die Hüften. »Du hast mir nichts zu befehlen, mein Kind, denn ich bin diejenige, die dich in guten Manieren unterrichten wird. Gehe nach oben, und ich bringe dir ein Kleid. Glaube aber nicht, daß du dein altes, unzüchtiges Gewand wiederbekommst.«

»Die Stammesfarben werden einer Hosta nur abgenommen, wenn sie tot ist«, entgegnete ich, »und sonst in keinem anderen Fall. Ich will sie sofort zurückhaben, oder Ihr könnt etwas erleben! Und das sage ich kein zweites Mal!« Entrüstet öffnete sie ihren Mund zu einer Entgegnung, aber ich schob sie einfach beiseite und wollte das Haus durch die Tür verlassen, als mich zwei Arme von hinten festhielten. Es war Ceralt, dessen Kichern sich in ein Jaulen verwandelte, als ihn mein Fuß bei meinem heftigen Widerstand an einer empfindlichen Stelle traf.

»Nichts da, Weib!« sagte er heftig. »Wo willst du hin, nackt wie ein Kind bei seiner Geburt?«

»Ich will dahin, wo ich hin muß!« erwiderte ich. »Laß mich sofort los!«

»Ich fürchte, daß Jalav eine weitere Strafe verdient«, sagte er, mich vom Eingang fortziehend. »Entweder sagst du mir sofort, wohin es dich so eilig zieht, oder du gehst in dein Zimmer, um eine weitere Bestrafung entgegenzunehmen. Also, raus mit der Sprache!«

Er ließ mich los, und ich wandte mich zu ihm um, um mit ihm zu reden, als ich vor Erstaunen heftig schlucken mußte. Um seinen Hals baumelte, unversehrt, mein Amulett! Große Freude und Erleichterung erfüllten mich. »Mida sei gepriesen!« sagte ich. »Ich glaubte schon, es sei verloren. Gib es mir, Jäger!«

»Das werde ich nicht tun«, sagte er und hielt meine Hand, die nach dem Amulett griff, fest. »Mir hat jemand erklärt, daß die Midanna sich nie weit von ihrem Amulett entfernen. Wenn du also in seiner Nähe sein willst, Jalav, mußt du immer nahe bei mir bleiben, denn ich werde es zukünftig tragen.« Ich konnte Ceralt nur ungläubig anstarren. Wollte er mir wirklich, inmitten meiner Feinde, den Schutz meiner Seele vorenthalten? »Du machst Spaß«, sagte ich. »Das Amulett gehört mir, und ich muß es zurückhaben.« »Ich gebe es dir gerne zurück«, erwiderte er, »wenn ich dafür dein Wort bekomme, daß du nicht versuchen wirst zu flüchten.«

Wieder starrte ich ihn ungläubig an. Wie konnte er so etwas von mir verlangen? Ich war eine Hosta, und eine Hosta wird niemals die Gefangene eines Mannes bleiben wollen. »Vielleicht willst du dir die Sache noch einmal überlegen«, sagte Ceralt, mit öliger Freundlichkeit in der Stimme. »In der Zwischenzeit können wir zusammen essen, und dabei kannst du dir überlegen, ob dir das Amulett dein Wort wert ist.« Damit schob er mich in einen Raum hinein, der ganz mit roter Seide ausgekleidet war. Vor einem Tisch standen zwei Sitze.Auf dem Tisch standen eine Auswahl Speisen und Getränke, aber mir war jeglicher Appetit vergangen. Wie kam ich nur wieder zu meinem Amulett?

»Lodda ist eine vorzügliche Köchin«, bemerkte Ceralt beiläufig und bediente sich. »Wenn du auch etwas haben möchtest, brauchst du es nur zu sagen – allerdings höflich.« Ich sah ihn fragend an, und er grinste. »Es stimmt«, sagte er. »Solltest du nicht höflich bitten, bekommst du nichts, denn du mußt jetzt allmählich Manieren lernen, als Städterin, die du nun bist.«

Meine Sünden mußten tatsächlich groß sein, daß Mida mich so strafte. Was hatte ich falsch gemacht? Hätte ich doch die Kristalle an mich nehmen sollen, trotz der Gefahr für mein Leben? Nun saß ich hier, verlassen von Mida, meiner Waffen beraubt, ohne Amulett und Stammesfarben. O Mida, du strafst deine Kriegerinnen wirklich hart!

»Hier ist ihr Brei«, sagte Lodda, die plötzlich hinter mir aufgetaucht war. Sie knallte den Topf ziemlich hart vor mir auf den Tisch, ein Zeichen, daß sie noch immer verärgert war. »Ich muß gegen ihren nackten Zustand protestieren!« sagte sie. »Ihre Erscheinung ist äußerst unanständig.« »Sie wird Kleider bekommen, wenn sie darum bittet«, erwiderte Ceralt ungerührt. »Sollte sie das Haus verlassen wollen, wird dies sicher der Fall sein, oder auch, wenn Besucher kommen, denn sonst wird sie in ihr Zimmer geschickt werden. Ihr könnt mit eurem Unterricht beginnen, sobald sie hier fertig ist, deshalb solltet Ihr Euch darauf vorbereiten.« »Ich bin vorbereitet, darauf könnt Ihr Euch verlassen«, schnaubte Lodda. »Sie wird ihre Lektionen schon lernen.« »Das wollen wir abwarten«, meinte Ceralt, genüßlich sein Fleisch kauend. Als Lodda gegangen war, beugte er sich zu mir herüber und sagte: »Iß deinen Brei, Jalav! Du mußt dich stärken, denn es gibt heute viel zu lernen für dich.« »Ich mag nichts essen, und ich mag nichts lernen«, erwiderte ich. »Ich habe heute bereits schon genug gelernt. Da meine Seele sowieso verloren ist, ist das auch egal.«

»Noch ist deine Seele nicht verloren«, grinste Ceralt. »Du kannst aus freiem Willen deinen Brei essen, oder aber du bekommst wieder den Trank. Diesmal werde ich dich aber dann nicht füttern, sondern Lodda, und sie wird dich auch bestrafen. Sie ist eine Lehrerin für junge Damen, die nicht folgen wollen, aber sie hat nicht viel Geduld mit ihnen. Willst du, daß es so geschieht? Lodda hat mir gesagt, daß eine Bestrafung vor möglichst vielen anderen erfolgen muß, damit sie ihren Zweck erfüllt. Ich glaube, sie hat dabei an den Marktplatz als Ort der Bestrafung gedacht.«

Er lachte, als er das sagte, und ich war so deprimiert, daß ich mich nicht einmal darüber aufregen konnte. Meine Ehre würde mit einer solchen Handlung endgültig vernichtet sein, und ich könnte sie noch nicht einmal mit meinem Tod zurückgewinnen. Nun wußte ich es genau, Mida wollte mich bestrafen, weil ich die Kristalle nicht zurückgeholt hatte. Ich nahm den Topf mit dem Brei und setzte ihn an meine Lippen, denn alles, was ich tat, hatte ja nun doch keinen Sinn mehr. »Sehr gut!« lobte mich Ceralt, als ich den leeren Topf niedersetzte. »Nun gehe in dein Zimmer. Lodda wird in Kürze bei dir sein.«

Schweigend gehorchte ich. Ja, meine Bestrafung war wohl verdient. Ich hatte Angst gehabt, mich der Kristalle wieder zu bemächtigen, Angst vor einem Schmerz, wie ich ihn noch nie verspürt hatte, aber eine Kriegerin durfte keine Angst zeigen, in keinem Fall. Groß war mein Fehler, und groß war die Beschämung, deren mich Mida aussetzte. Der Raum war noch so, wie ich ihn verlassen hatte. Traurig setzte ich mich vor dem Feuer nieder, um über meine Sünden nachzudenken. Mein Leben war leer und leer war mein Herz. »Was ist denn hier geschehen?« erklang Loddas Stimme hinter mir. »Nichts steht mehr gerade außer den Mauern!« Ich schenkte ihr keine Beachtung und starrte weiter in das Feuer. »Bevor wir mit allem anderen beginnen, wird hier zunächst einmal Ordnung geschaffen!« befahl Lodda. »Du lebst nicht mehr in der Höhle, aus der du gekommen bist, sondern unter zivilisierten Menschen. Hurtig, aufgestanden! Ich werde dir sagen, was du zu tun hast.«

Das flackernde Feuer zog noch immer meine Aufmerksamkeit an. Es besaß eine Freiheit, nach der ich mich nur sehnen konnte, die Freiheit in den heimatlichen Wäldern der Hosta, in ihren Zelten, das Lachen der Kleinen in der Obhut der Hüterinnen ... Wie groß und rund waren die Augen der zukünftigen Kriegerinnen geworden, wenn die Anführerin angeritten kam! Wie eifrig waren sie bemüht gewesen, das Kriegshandwerk zu erlernen, um eines Tages vielleicht selbst Anführerin zu werden! Nun war alles dahin, die Hosta waren Gefangene, ihre Anführerin war entehrt!

»Hörst du mich nicht?« fragte Lodda nachdrücklich. »Du stehst jetzt sofort auf, sonst werde ich dir zeigen, wie Ungehorsam bestraft wird!« Ich antwortete noch immer nicht, denn sie war mir vollkommen gleichgültig. »Nun gut«, sagte sie, »dann sollst du deine Strafe haben.«

Sie verließ den Raum, aber mir war egal, was sie vorhatte. Ceralt hatte mich in ihre Gewalt gegeben, also durfte sie mir Schmerzen zufügen, wann sie wollte, und ich durfte diese Schmerzen nicht verleugnen, sonst würde er mir einmal mehr den Trank einflößen. Ich empfand schon Schmerzen darüber, daß Ceralt überhaupt in der Lage war, mich so zu behandeln, aber hatte ich mich nicht geweigert, ihn aus Vistrens Fesseln zu befreien? Zwar hatte ich nicht erwartet, daß er... O Mida, deine Kriegerin ist wahrlich eine Närrin! Lodda kam zurück und begann, mich mit einem Stock auf den Rücken zu schlagen. Als ich leicht zuckte, sagte sie: »Nun, willst du jetzt gehorchen, oder willst du noch mehr haben?« Ich schwieg, denn ich sah wenig Grund, auf ihre Vorspiegelung einzugehen. Ceralt wollte, daß mir Schmerzen zugefügt wurden, also sollte es so geschehen. Ihre Schläge waren zwar schmerzvoll, aber nicht unerträglich.

Ohne einen Laut von mir zu geben, ertrug ich ihre weiteren Schläge. So blieb es mir wenigstens erspart, mich wie ein Sklavenweib zu benehmen. »Du bist ein starrköpfiges, kleines Ding«, sagte sie nach einer Weile, etwas außer Atem. »Aber ich setze großes Vertrauen darein, daß der Stock dir die Starrköpfigkeit austreiben wird. Ich werde in weniger als einer Stunde zurückkommen. Ist das Zimmer dann noch immer nicht aufgeräumt, wirst du ihn weiter zu spüren bekommen!« Ihre Schritte entfernten sich, und ich blieb dort sitzen, wo ich saß, denn jede Bewegung würde die Schmerzen vergrößert haben. Als ihre Schläge heftiger wurden, hatte ich das Verlangen gehabt, Mida anzurufen, aber ich wußte, daß mein Ruf nicht erhört werden würde. Ich streckte mich vor dem Feuer aus, doch trotz seiner Wärme durchschauerte mich eine Kälte. Zweimal kam das Weib wieder, und zweimal wurde ich von ihr heftig verprügelt. Dabei drohte sie mir an, daß Ceralt, wenn er zurückkäme, mich noch heftiger mit der Peitsche schlagen würde. »Gehorche mir, Kind, gehorche mir!« keuchte sie, »oder die Peitsche ist dir sicher.«

»Halt!« hörte ich Ceralts Stimme. »Was macht Ihr da?« »Ich war nicht in der Lage, irgend etwas mit ihr anzustellen, Ceralt«, sagte Lodda. »Sie ist von einer unglaublichen Starrköpfigkeit, die nur mit der Peitsche ausgetrieben werden kann. Habt Ihr eine, oder soll ich eine besorgen?« »Ich hatte keine Ahnung, daß Ihr einen Stock zum Schlagen benutzen würdet«, sagte Ceralt mit tonloser Stimme. »Wie oft habt Ihr sie so geschlagen?«

»Mehr, als ich jede andere schlagen mußte, die ich zu erziehen hatte«, erwiderte sie, »aber bei ihr hilft nicht einmal der Stock, bei ihr hilft nur die Peitsche.«

»Nehmt Eure Sachen und verlaßt sofort das Haus!« sagte Ceralt kalt, »sonst kann ich nicht für Eure Sicherheit garantieren. «

»Was erlaubt Ihr euch, so mit mir zu reden?« keuchte Lodda aufgeregt. »Habt Ihr mich nicht angestellt, um sie zu einer wohlerzogenen Frau zu machen, die gehorsam und fügsam ist, Euch putzt und kocht, und auch lesen und schreiben kann? Wie anders kann man es denn einer ungelehrigen, schmutzigen Wilden beibringen?«»Noch ein Wort«, sagte Ceralt, »und ich vergesse, wer Ihr seid! Diese ungelehrige, schmutzige Wilde bedeutet mir mehr, als mein eigenes Leben, und Sigurr, der Schreckliche, muß mir eingeflüstert haben, sie in eure Hände zu geben. Und nun verschwindet!«

»Mit Vergnügen«, antwortete Lodda eisig. »Meine Zeit wird anderswo besser von Nutzen sein. Und erlaubt mir, Euch zu sagen, wie gut sie und Ihr zusammenpaßt.« Ihre Schritte verschwanden, und Ceralt kniete neben mir und flüsterte: »Oh, Jalav, vergib mir! Ich habe nicht gewußt, daß sie dich so behandeln würde. Sigurr möge sie verschlingen. Aber niemals wieder, das schwöre ich dir, wirst du geschlagen werden!«

Ich sah ihn nicht an, denn sein Anblick hätte weitere Pein für mich bedeutet. Meine Seele schrie nach Mida, aber Mida antwortete nicht. Ceralt seufzte, stand auf und holte etwas für mich zu trinken. Es war etwas, das mich angenehm hinübergleiten ließ ins Land der Träume.

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