Wie freuten wir uns, als wir den Dennin wiedersahen, denn hinter ihm lag unsere Heimat. In vier Gruppen setzten wir wieder über, ich in der ersten Gruppe, wie zuvor. Meine Gesundheit war wiederhergestellt, aber immer noch beunruhigte mich der Gedanke an unseren Abschied von Ranistard. Wir hatten keinen besonders guten Anblick geboten, als wir es zusammen mit unseren zwei Gefangenen verließen. Mehrere der Kriegerinnen, die den Strahlen von Vistrens Gerät ausgesetzt gewesen waren, mußten sich auf die Schultern der anderen stützen, so schwach waren sie, und drei waren aus unerklärlichen Gründen gestorben. Übel, nichts als Übel verhießen die Städte, und niemals wieder, so schwor ich mir, würde ich eine von ihnen betreten.
Ich hatte zwar kaum etwas von dem verstanden, was Vistren gesagt hatte, doch ich hatte volles Verständnis dafür, daß es eine Frau war, die die Kristalle entwendet hatte. Sicherlich war es Mida in der Verkleidung eines Weibes gewesen, die die Kristalle weggenommen hatte, um ihren Kriegerinnen Qualen zu ersparen. Wie traurig mußte sie gewesen sein, als sie sah, daß sie sich wieder in der Gewalt der Männer befanden. Während ich darauf wartete, daß die restlichen Kriegerinnen den Fluß überquerten, lächelte ich grimmig in Gedanken an das Schicksal der beiden Gefangenen. Nachdem wir zu unseren Gandod außerhalb der Stadt gekommen waren, ritten wir zu dem Platz, wo Gimin mit den Kriegerinnen ihr Lager aufgeschlagen hatte. Dort blieben wir gerade so lange, um die gefangenen Jäger freizulassen, dann zogen wir erschöpft weiter, die ganze Nacht und den halben Tag, um eine möglichst große Entfernung zwischen uns und Ranistard zu bringen. Dann machten wir Rast und schliefen den halbenTag und die ganze Nacht. Mit dem Anbruch des neuen Tages brachten wir unsere Gefangenen Mida als Opfer dar. Sie schrien vier Tage und vier Nächte, wenn wir unterwegs waren, und wenn wir rasteten, machten wir sie stumm.
Der mit dem Gesicht eines Mädchens hatte tatsächlich das Amulett derer, die mich geboren hatte, getragen. Er lebte neun Tage, Arrelin zwölf. Ihre Überreste begruben wir unter der Erde, denn sie waren es nicht wert, von Midas süßem Licht beschienen zu werden. So waren die Leben unserer Hosta-Kriegerinnen gerächt.
Kurz darauf kamen wir durch das Dorf Islat. Da ich nicht in Stimmung für die Gebräuche eines Besuches war, warf ich lediglich Maranu den versprochenen Pelz vor die Tür und ritt weiter. Überglücklich begrüßten wir den Anblick unserer Zelte, und glücklich betrat ich wieder das Zelt der Anführerin. Gimin hatte mir erklärt, daß sie auf eine Herausforderung verzichte, und so hatte ich nur noch eine Pflicht zu erfüllen. Ich ließ Rilas, die Hüterin des Horts, rufen und berichtete ihr von den Ereignissen unserer Reise. Sie war traurig, als sie erfuhr, daß die beiden Kristalle für immer verloren waren. Noch trauriger wurde sie, als sie hören mußte, daß einige der Kriegerinnen, unter ihnen Fayan und Larid, ein Kind erwarteten, aber es verloren hatten.
Rilas verfluchte Vistrens Gerät als die Ursache dieses bitteren Geschehens, und auch ich hatte mir so etwas schon gedacht. Besonders traurig über den Verlust war Fayan, denn es wäre ein Kind von Nidisar geworden, und hätte sie sich nicht gescheut, die Wege Midas zu durchkreuzen, so hätte sie sich bestimmt das Leben genommen.
Nach der Abreise von Rilas machten die Hosta dort weiter, wo sie durch den Diebstahl des Kristalls unterbrochen worden waren. Die Tage vergingen ohne große Abwechslung, bis plötzlich wieder ein Gefangener gemacht wurde. Meine Kriegerinnen freuten sich sehr bei seinem Anblick, denn er war groß und breitschultrig und sehr zornig darüber, daß wir ihn festhielten. Freudig wurde ihm der Sthuvad-Trank verabreicht, und dann brachte man ihn in das Männerzelt. Ich hatte keinen Spaß daran, ihn zu benutzen, sondern zog mich mit einem Topf Daru in mein Zelt zurück.
Zu frisch war die Erinnerung an einen anderen Mann, dessen Lippen so süß waren, und dessen Liebkosungen so feurig, und den ich wohl nie wiedersehen würde. Fayan kam leise zu mir ins Zelt gekrochen, und ihr folgte Larid. Schweigend saßen wir beieinander und tranken viele Töpfe Daru. Als mich meine Kriegerinnen zuletzt verließen, schwankten sie und auch ich bewegte mich benommen, als ich die Kerzen ausblies. Fast hätte ich vergessen, meinen Dolch in die Hand zu nehmen, ehe ich mich zum Schlafen niederlegte.
Ich schlief recht lange, und im Traum erschien mir Ceralt der auf mich herniederlächelte. Dann träumte ich, daß er vor mir niederkniete und mir sachte den Dolch aus der Hand nahm. Verlangend breitete ich meine Arme nach dem Phantom aus, und es kam zu mir und küßte mich heiß. Süß, süß, waren diese geträumten Lippen, und doch, als Ceralt mich nahm, schien es mir, als würde ich nicht alles träumen. Er bereitete mir große Freude, dann schlief ich in seinen Armen ein.Als ich wach wurde, schien der Tag schon hell. Trotzdem war ich nicht in der Lage, die Nebel des Schlafs von mir zu schütteln, denn ich erinnerte mich dunkel daran, daß Ceralt mir im Traum ein Getränk gereicht hatte, das ich nicht trinken wollte, aber er hatte es mir scharf befohlen, und ich hatte, ich weiß nicht warum, ihm gehorcht.
Dann schien es mir so, als ob ich auf einem Kan saß, zärtlich festgehalten von Ceralt, und ich sah andere Kand, eins mit Nidisar, den Fayan festhielt, und eins mit Telion und Larid. Aus weiter Ferne hörte ich, wie Ceralt sagte: »Wir haben sie alle«, und wie Telion entgegnete: »Dann laß uns reiten.« Ich verspürte Bewegungen, schlief und wurde wach, aber nie verließen mich die Nebel ganz. Dann vernahm ich die Stimme von Maranu. »Wohin bringt Ihr sie?« fragte er, und noch nie hatte seine Stimme so kalt geklungen. »Die meisten von ihnen scheinen tot zu sein.«
»Sie sind nur betäubt«, entgegnete Ceralt. »Wir haben ihnen einen Gefangenen untergeschoben, und dann heimlich ein Mittel in ihren Daru geträufelt. Sie werden so lange schlummern, bis wir ihnen erlauben, aufzuwachen.« »Ihr habt mir noch nicht gesagt, was Ihr mit ihnen vorhabt«, erwiderte Maranu. »Die, die Ihr haltet, ist wie meine Tochter für mich, und ich werde nicht erlauben, daß man sie zur Sklavin macht.«
»Es wird keine Sklaverei für sie geben«, sagte Ceralt sanft, und seine Lippen berührten mein Haar. »Wir nehmen sie mit nach Ranistard, um sie zu zivilisieren, und machen sie zu unseren Frauen. Einige von uns sind Jäger aus Bellinard, und andere Krieger aus Ranistard. Dort gibt es nur noch wenige Frauen, und diese hier werden sich bald dort eingewöhnen. Mit ihrem Leben in der Wildnis ist es vorbei. Damit sie Gesellschaft von anderen ihrer Rasse haben, ist eine andere Gruppe von uns zu den Silla geritten, dem anderen Stamm wilder Weiber. Auch sie werden nach Ranistard gebracht, und die Stadt wird wieder Frauen beherbergen.« »Ich sehe, daß Ihr Euch um sie sorgt«, erwiderte Maranu, als ich mich unbehaglich bewegte. Da war ein Gedanke, ein wichtiger Gedanke, aber ich konnte ihn nicht fassen. »Ich freue mich, daß sie jetzt einen Mann an ihrer Seite haben wird«, fuhr Maranu fort. »Ich hab oft zu ihrer Mida gebetet, daß sie ihr einen solchen schenken soll, und vielleicht hat Mida diese Bitte jetzt erhört.«
»Ich werde ihr immer zur Seite stehen«, sagte Ceralt, und wieder berührten mich seine Lippen. Schön war das Gefühl, in seinen Armen zu liegen, und ich schlief wieder ein. Einige Zeit später wurde ich wieder wach. Durch den Nebelschleier vor meinen Augen erblickte ich den Wald. Ein großer Schrecken durchfuhr mich. Wir ritten nach Ranistard, hatte Ceralt gesagt. Ich haßte die Stadt und wollte sie nie wiedersehen. Wir sollten ihre Frauen werden, Sklavenweiber also. Und das Schlimmste von allem: Auch die Silla wurden dorthin gebracht! Die Silla und die Hosta waren Todfeinde, die bis aufs Blut miteinander kämpfen mußten, sobald sie sich nur trafen! Die Straßen von Ranistard würden rot von Blut sein! Und die Kristalle, die finsteren Kristalle! Zwei erwarteten uns in Ranistard, aber irgendwie konnte ich den dritten erahnen, den dritten, der noch mehr Gefahr für uns bedeutete. Ich stöhnte bei dem Gedanken und bewegte mich unruhig. »Still!« sagte Ceralt und nahm mich noch fester in seine Arme. »Alles wird gut werden!«
Alles wird gut werden, hatte er gesagt. Wie wenig die Männer doch von manchen Sachen wirklich verstanden! Ich bemühte mich, ihm etwas zu erklären, aber die Nebel umfingen mich wieder.