19 Ein Ärger mit Strichen – und die Suche wird fortgesetzt

Der nächste Tag brachte viel Ärger. Es begann damit, daß Ceralt mich, als er aufwachte, wieder vor dem Feuer schlafend fand. Ich hatte auf dem Gestell, das er Bett nannte, nicht einschlafen können. Warum die Städter unbedingt auf so etwas schlafen wollten, ging mir nicht ein, und auch nicht, warum sie auf dem Boden vor dem Feuer ein Tuch hatten und kein Leder. Ceralt war erzürnt und drohte mir an, mich anzubinden, sofern ich nachts noch einmal das Bett verlassen würde. Nachdem wir gegessen hatten, plagte er mich wieder mit seinen Strichen. Ich konnte keine Bedeutung in ihnen finden, aber Ceralt wiederholte sie immer wieder und bestand schließlich darauf, daß ich sie selbst auch malte. Meine Versuche glichen mehr den Kratzern eines Lellin im Dreck, aber Ceralt nickte und lächelte zufrieden.

Lange Zeit mußte ich die nutzlosen Versuche wiederholen, bis wir wieder aßen. Nach der Mahlzeit mußte Ceralt fort, verlangte aber, daß ich die Übungen mit der Holzkohle fortsetzte. Kaum war er jedoch gegangen, so warf ich sie fort und begann statt dessen zu überlegen, wie ich mit meinen Kriegerinnen heimlich die Stadt verlassen könnte.

Am Abend kam Ceralt zurück, und wir schliefen wieder zusammen auf dem Gestell, das ich noch immer Bett nennen sollte. Als ich meinte, er sei nun endlich nach all seinen Mühen eingeschlafen, wollte ich mich leise erheben, wurde aber schnell von ihm eingefangen und mit dem verhaßten Halsband an dem Bett festgekettet. Es besänftigte mich jedoch wenig, daß er mich auf seine Art tröstete und ich in seinen Armen einschlief.

Auch am Morgen, nachdem er aufgewacht war, gebrauchte er mich noch einmal ausgiebig, bevor er seinen Pflichten nachging. Ich blieb zu meinem großen Zorn auf dem Bett angekettet. Inala brachte mir etwas zu essen und die steife Leinwand und die Holzkohle. Wütend warf ich alles fort, doch Ceralt gab wenig auf meinen Zorn. Als er endlich zurückkam, legte er sich an meine Seite und gebrauchte mich wieder, obwohl ich mich heftig wehrte.

Am nächsten Morgen ließ Ceralt mich frei, drohte mir aber an, wenn ich noch einmal versuchen würde, in der Nacht heimlich das Bett zu verlassen, würde er mich zwei ganze Tage angekettet lassen. Ich gab ihm keine Antwort, aber keine Macht der Welt konnte mich zwingen, freiwillig auf solch einem Gestell die Nacht zu verbringen.

Wir waren gerade mit dem Essen fertig, als zwei Bewaffnete kamen, um mich zu holen. Vor dem Palast des Hohen Senats hatten sich die Männer mit meinen Kriegerinnen versammelt. Obwohl es kühl war, trug jede, so wie ich, ihre Stammeskleidung. Es war kaum möglich, eine Hosta zu zwingen, sie nicht zu tragen.

Galiose stand auf den Stufen des Palastes, und wir gingen zu ihm hinauf. Es war ihm anzusehen, daß er sehr zornig war. »Wenn alle deine Weiber versammelt sind«, fauchte er mich an, »wirst du ihnen erzählen, daß sie sofort diese... diese Aktivitäten einzustellen haben, Jalav! Wir dulden keine Weiber, die in der Nacht in Ranistard herumvagabundieren!« »Jalav wird ihnen nichts sagen, denn sie ist nicht mehr ihre Anführerin«, erwiderte ich achselzuckend. »Du weigerst dich, mit ihnen zu sprechen?« fuhr er mich an. »So ist es«, entgegnete ich. »Ist Galiose nun bereit, mir mit dem Schwert gegenüberzutreten?«

Galiose starrte mich einen Augenblick an, dann wandte er sich an einen Mann, der neben ihm stand. »Ich werde selbst mit ihnen reden«, sagte er, dann stellte er sich abseits und blickte gedankenverloren in die Menge, die sich sammelte. Ceralt entfloh ein Laut der Überraschung. Als ich seinem Blick folgte, sah ich eine Gruppe meiner Kriegerinnen, die etwas abseits standen, und sich im Steinwurf übten. Dies ist ein Spiel für junge Kriegerinnen, die noch nicht ganz mit dem Gebrauch des Schwertes vertraut sind. Sie benutzen es wohl, um Auge und Hand zu üben, da man ihnen ihre Waffen abgenommen hatte. Jede von ihnen hielt große Steine in beiden Händen, sie bewegten sich vorsichtig im Kreis, denn man muß während des Spieles sowohl gut werfen wie auch ausweichen können. Jede Mitspielerin darf sich eine beliebige andere als Ziel wählen. Wer getroffen wurde, scheidet aus, bis zum Schluß ein Sieger übrigbleibt.

Plötzlich wurde das Spiel wirklich aufregend, so, wie wir Midanna es gewohnt sind. Gimin, die wirklich gut spielte, warf ihren Stein und wich gleichzeitig geschickt einem Stein aus, der nach ihr geworfen wurde. Gimins Stein traf eine hochgewachsene Kriegerin an der Stirn, die leblos zu Boden sank. Drei weitere Kriegerinnen folgten ihr schnell, so wie es zu erwarten war, wenn geübte Kriegerinnen spielen; dann wurde das Spiel aber unvermittelt von einigen Männern unterbrochen, die sich ärgerlich auf die Spielerinnen stürzten und sie beiseite zogen. Die Kriegerinnen, die besinnungslos am Boden lagen, wurden besorgt von anderen Männern, die fast wie von Sinnen waren, untersucht.

Ich war, wie meine anderen Kriegerinnen, über die Unterbrechung des Spiels sehr zornig, aber Ceralt murmelte: »Gut so. Diese närrischen Weiber würden sich sonst noch gegenseitig umbringen. Sie bedürfen tatsächlich der Führung derer, die klüger sind als sie.«

»Die Hosta bedürfen nur ihrer Freiheit und ihrer Waffen«, sagte ich. »Hätte man ihnen nicht die Waffen weggenommen, würden sie sich nicht mit solchen Kinderspielen abgeben.« »Kinderspiele!« entfuhr es Ceralt. »Du willst doch nicht behaupten, daß ihr Kindern solche Spiele erlaubt?« Ich sah ihn verwundert an, dann entgegnete ich: »Es ist ihnen nicht erlaubt, sondern sie werden angehalten, solche Spiele zu spielen. Wie könnten sie sich sonst auf die Schlachten ihres Erwachsenseins vorbereiten?«

Ceralt sah mich entsetzt an und wollte etwas entgegnen, aber in diesem Moment kam Galiose und führte mich nach vorne. Unter uns hatten sich inzwischen beinahe alle meine Kriegerinnen mit den Männern, von denen sie gefangengenommen worden waren, versammelt und lauschten nun den Worten, die Galiose an sie richtete.

»Hört, was ich euch zu sagen habe«, sagte er mit klarer und weithin tragender Stimme. »Die Stadt Ranistard hat die Weiber vom Stamm der Hosta mit Freuden aufgenommen, doch haben diese Hosta die ihnen entgegengebrachte Freundschaft schlecht vergolten. Sie treiben sich nachts herum und verüben schamlose Überfälle. Diese Überfälle müssen sofort aufhören, sonst wird ihre Anführerin dafür nachhaltig bestraft werden. Wenn ihr nicht wollt, daß eure Anführerin inmitten der Stadt an den Armen aufgehängt und unbarmherzig ausgepeitscht wird, unterlaßt sofort alle Angriffe auf die Männer und verbringt die Nacht mit denen, die sich auch sonst um euch kümmern. Ich, Galiose, habe für den Hohen Senat von Ranistard gesprochen und werde es nicht wieder in dieser Angelegenheit tun!«

Ein Murren erhob sich unter meinen Kriegerinnen über das, was Galiose mir angedroht hatte. Die Männer versuchten, sie zu beschwichtigen, aber sie wollten sich nicht beschwichtigen lassen, und es entstand ein unruhiges Gedränge. Galiose runzelte mächtig die Stirn, aber hatte er die Unruhe nicht selber mit seiner Drohung verursacht?

Ich rief laut: »Die Hosta waren immer frei, das zu tun, was sie für richtig hielten. So soll es auch bleiben, solange sie leben.« Meine Hosta jubelten mir zu und lachten ihre Männer aus. Galioses Griff um meinen Arm verstärkte sich. »Tapfer gesprochen«, flüsterte er mir ins Ohr, »aber, wenn es dazu kommen sollte, wird die Peitsche unbarmherzig sein. Ich kann nur hoffen, daß du sie dann mit gleicher Tapferkeit erduldest.« Ich sah ihn ruhig an und entgegnete: »Wenn Mida es so will, soll es geschehen. Ich lebe nach dem Willen von Mida.« »Und ich nach dem Willen der Erhabenen Einzigkeit«, sagte Galiose und ließ meinen Arm los. »Vielleicht werden die beiden uns eines Tages einmal nach übereinstimmendem Willen lenken.« Dann wandte er sich an Telion und die anderen Männer, die um ihn herumstanden, und befahl: »Bringt Eure Weiber nach Hause, und kommt dann in den Palast. Es wurden Pläne vorbereitet, über die Ihr informiert werden sollt.« Die Männer nickten gehorsam, und bald waren meine Kriegerinnen und ich wieder getrennt und hatten keine Gelegenheit, uns weiter zu verständigen, obwohl Larid, Gimin und Fayan versuchten, sich mir zu nähern. Resolut wurden sie von ihren Männern fortgeführt. Belustigt sah ich, daß Fayan sich noch immer weigerte, die Gegenwart von Nidisar zur Kenntnis zu nehmen, worüber Nidisar äußerst wütend zu sein schien. Und obwohl Fayan etwas zu hinken schien, als ob sie Schmerzen habe, war sie so sehr eine Kriegerin der Hosta, daß sie diese Schmerzen bestimmt mißachten würde. Ich war stolz auf meine Kriegerin Fayan.

Sehr erfreut war ich darüber, feststellen zu können, daß Telions Behausung direkt neben der von Ceralt lag, wohin er Larid schaffte. Im Haus lachte Ceralt über die Haut, die die Kälte mir verursacht hatte, dann erklärte er mir, daß er wieder fortgehen müsse, aber so bald wie möglich zurück sein wolle, und ich mich im Haus aufhalten müsse. Ich war froh darüber, allein zu sein und Gelegenheit zu haben, darüber nachzudenken, wie die Hosta aus Ranistard fliehen konnten. Außerdem mußte ich an die Pläne denken, von denen Galiose gesprochen hatte. Befaßten die Männer sich mit dem gleichen Problem wie die Hosta? Daß sie den dritten Kristall suchten, wußte ich. Wußten sie aber auch, wo sie ihn suchen mußten?

Gedankenvoll ging ich die Stufen hinauf und legte mich in Ceralts Zimmer vor das Feuer. Meine Gedanken wurden nur durch Inala unterbrochen, die mir etwas zu essen brachte. So tief war ich in Gedanken versunken, daß ich nicht einmal mitbekam, wie Ceralt eintrat. Erst seine Umarmung weckte mich aus meiner Versunkenheit. Er war so begierig nach mir, daß er mich noch vor dem Feuer nahm. Nachdem er seine erste Lust gestillt hatte, gingen wir hinunter, um etwas zu essen. Danach warf er mich oben wieder aufs Bett und ließ mich nicht entkommen. So enorm war seine Begierde, daß sie fast noch immer nicht gestillt war, als der Morgen schon wieder anbrach. Im Morgengrauen sagte er, mich zärtlich küssend: »Die Erinnerung an diese Nacht muß lange vorhalten, denn es wird wohl eine Weile dauern, ehe ich wieder mit meinem Weib schlafen kann.«

»Wohin geht Ceralt?« fragte ich.

»Ich reite mit den anderen, um den dritten Kristall zu suchen«, murmelte er zwischen seinen Liebkosungen. »Wir haben von einem Ort gehört, an dem er sein könnte, und wollen so schnell wie möglich dorthin. Meine Jäger und ich werden die Krieger versorgen, und ihnen am Ziel beistehen, so gut wir können.« »Ich werde Ceralt begleiten«, sagte ich, »damit er sein Weib nicht zu entbehren braucht. Wohin werden wir reiten?«Ceralt kicherte und entgegnete amüsiert: »Jalav wird nicht mitreiten. Jalav wird zu Hause bleiben und brav ihre Buchstaben üben, damit sie Ceralt eine Freude macht, wenn er wieder heimkehrt. Dann wird meine Begierde auf dich unendlich sein, Weib, weshalb ich dir den guten Rat gebe: Ruhe dich in der Zwischenzeit gut aus, denn nachher wirst du keine Gelegenheit dazu finden!«

»Ich mache mir nicht viel aus Buchstaben und aus Ausruhen«, erwiderte ich bestimmt. »Ich will dich begleiten. Wohin reiten wir?«

»Du wirst mich nicht begleiten, mein Kind!« erklärte Ceralt mit der gleichen Bestimmtheit. Noch einmal preßte er seine Lippen auf die meinen, dann schloß er wieder das Halsband um meine Kehle. In ohnmächtigem Zorn wehrte ich mich, aber Ceralt lachte nur und zog mich wieder an sich. Noch einmal versorgte er sich mit einem Andenken an mich, dann stand er auf, zog sich an und sagte: »Du wirst so liegen bleiben, bis wir abgeritten sind, dann lasse ich dich wieder befreien, obwohl du es verdient hättest, so angekettet zu bleiben, bis ich zurückkomme. Galiose hat mir sein Wort gegeben, daß mit dir nichts passiert, bis ich zurückkomme, um zu sehen, was man gegen deine Dickköpfigkeit unternehmen kann, aber seine Geduld geht zur Neige. Benimm dich in meiner Abwesenheit, Jalav, sonst muß ich den Schlägen, die du bereits bekommen hast, noch etliche hinzufügen!«

Er streichelte mir die Wange, dann sagte er leise: »Aber besser hundert Demütigungen, als einmal die Peitsche. Nie wieder sollst du ausgepeitscht werden, solange ich lebe.« Er zögerte etwas, dann nahm er mein Amulett von seinem Hals und hängte es mir wieder um. Mir verschlug es die Sprache. Er küßte mich noch einmal, dann verließ er schnell das Zimmer. Ich lag auf dem Bett und hielt die Hand fest um das Amulett geschlossen. Mida lächelte wieder voller Gnade auf ihre Kriegerin herab, meine Seele war wieder in Sicherheit! Und doch war ich beunruhigt, daß Ceralt mir das Amulett gerade jetzt zurückgegeben hatte, denn dies konnte nur bedeuten, daß er fürchtete, möglicherweise nicht zurückzukehren. Dieser Gedanke verursachte mir große Schmerzen. Und dann hatte er sich geweigert, mir zu sagen, wohin sie ritten. Ich mußte mich und meine Kriegerinnen schnellstens befreien, um ihm zu Hilfe eilen zu können. Ich dankte Mida, daß sie mich bereits auf die Spur des dritten Kristalls gebracht hatte.

Mit diesen Gedanken schlief ich wieder ein. Ich wurde geweckt durch Inala, die mir lachend ein kleines Stück Metall zeigte und sagte: »Dieser Schlüssel wurde gerade gebracht. Ihr seid jetzt frei, aber nur innerhalb des Hauses. Verlassen dürft Ihr es nicht.«

»Nur Mida kann den Hosta etwas verbieten«, entgegnete ich, als ich aufstand und meine Stammeskleidung anzog. »Es stehen Wächter vor der Tür, die darauf achten, daß Ihr den Befehl befolgt«, sagte Inala. Ihre dunklen Augen waren voller Mitgefühl.

»Galiose tut alles, um meinen Zorn zu wecken«, brummte ich. »Ich würde ihm wirklich gerne einmal mit dem Schwert in der Hand gegenübertreten. Wie viele Wächter hat er aufstellen lassen?«

»Drei«, antwortete Inala. »Aber Ihr wollt doch nicht etwa... ?« »Das wird sich finden«, unterbrach ich sie. »Zunächst möchte ich mir die drei Abgesandten des Hohen Senats einmal ansehen. «

Die drei standen vor der Tür, jeder mit Schwert und Dolch bewaffnet, und jeder mit einem breiten Grinsen auf dem feisten Gesicht. Sie waren die größten Männer, die ich bis dahin gesehen hatte, größer noch als Ceralt, Telion oder Galiose. Es machte ihnen Spaß, mich zu beobachten, als ich verlangend ihre Waffen ansah, ohne in der Lage zu sein, mich ihrer zu bemächtigen.

Ohne mich weiter um sie zu kümmern, ging ich nach unten. Die drei Wächter folgten Inala und mir auf dem Fuß. Schweigend sahen sie mir beim Essen und Trinken zu. Als ich bemerkte, wie ihr Blick auf meinem Becher mit Renth haften blieb,kam mir ein, wie es schien, ausgezeichneter Gedanke. Ich rief Inala und sagte: »Ich hätte dieses Getränk lieber gebraut. Weißt du, wie man das macht?«

Als sie verneinte, erklärte ich es ihr und befahl, gleich eine genügende Menge für den ganzen Tag zu brauen. Verständnis glomm in ihren Augen auf, und hastig entfernte sie sich. Nach einer Weile kehrte sie mit einem großen Topf zurück, aus dem das würzige Aroma des gebrauten Renth aufstieg. Ich füllte meinen Becher, machte einen langen Zug und leckte meine Lippen. »Vorzüglich!« sagte ich. »Zwar schmeckt er noch immer nicht so gut wie der Daru, an den ich gewohnt bin, aber das Brauen hat seinen Geschmack wesentlich verbessert.« »Ich habe eine ganze Menge davon zubereitet, Herrin«, sagte Inala mit unschuldsvollem Augenaufschlag. »Hoffentlich ist es nicht zuviel.«

»Wir werden damit schon fertig werden«, entgegnete ich und nahm einen weiteren, genüßlichen Schluck. Die drei Wächter sahen sich unentschlossen an, dann sagte der Größte von ihnen: »Bring uns drei Becher von diesem Getränk, Sklavin! Wir müssen untersuchen, ob wir es gestatten können.« »Gebrauter Renth ist nichts für Männer«, sagte ich. »Nur Kriegerinnen, so wie ich, können ihn vertragen.« »Unverschämtes Weib!« grollte einer der Wächter, und der erste sagte, mich mit kalten Augen ansehend: »Sie hätte eine Lektion verdient. Schade, daß man uns verboten hat, sie anzurühren!«

»Ja«, warf der dritte ein, »dabei wurde aber nur von ihr selbst gesprochen, nicht von dem, was sie trinkt. Wir könnten ihr eine Lektion erteilen, indem sie Becher für Becher mit uns standhalten muß.«

»Keine schlechte Idee«, erwiderte der erste. Sie ließen sich alle drei neben mir nieder, kosteten den gebrauten Renth und fanden ihn sehr gut. Unter fürchterlichen Drohungen zwangen sie mich dann, so viel zu trinken, wie sie tranken, und das war nicht wenig. Die Dunkelheit brach herein, als der letzte der drei Becher und Kopf auf den Tisch fallen ließ und zu schnarchen begann, wie seine Kameraden bereits vor ihm. Mir war auch leicht schwindelig, trotzdem konnte ich noch auf meinen Füßen stehen. »Ist es Euch nicht gut, Herrin?« fragte Inala besorgt, als ich leicht schwankte.

»Die Luft draußen wird mich bald wieder klar machen«, entgegnete ich und betete heimlich zu Mida, während ich einem der Wächter die Waffen abnahm und sie selbst anlegte. Als ich mich umwandte, sah ich, wie Inala gerade den zweiten entwaffnete. Gemeinsam nahmen wir auch noch dem dritten die Waffen ab, dann blickten wir uns an.

»Jalav dankt Inala für ihren Beistand!« sagte ich ernst. »Vielleicht sehen wir uns dereinst bei Mida wieder.« »Ihr wollt die Stadt verlassen«, sagte Inala mit weit geöffneten Augen. »Bitte, nehmt mich mit!«

Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: »Wir werden als Kriegerinnen gehen. Inala ist keine Kriegerin, und sie kann auch keine werden. Du mußt hier in der Stadt bleiben, denn Mida hat dich weder mit einer Seele bedacht, noch mit einem Amulett, um sie zu schützen.«

»Hier bin ich nur eine Sklavin«, entgegnete sie heftig. »Ich muß Euch nicht fragen, was Ihr von dem Halsband denkt, mächtige Jalav, denn ich habe Eure Wut darüber mit eigenen Augen gesehen. Nehmt mich mit aus den Mauern hinaus, dann will ich euch nicht mehr zur Last fallen. Aber lieber möchte ich in den Wäldern in Freiheit sterben, als noch länger hier als Sklavin leben!«

Beschwörend streckte sie ihre Hand nach mir aus. Ihren Wunsch nach Freiheit nahm ich ihr ab, aber etwas anderes wollte mir nicht in den Kopf. »Wenn es wahr ist, daß du den Tod der Sklaverei vorziehst«, fragte ich, »warum hast du ihn dann nicht schon früher gesucht?«

»Aber das habe ich ja«, antwortete Inala bitter. »Der frühere Hohe Senat hat mich zur Sklavin gemacht, weil ich keine Familie hier in Ranistard habe, noch einen männlichen Verwandten, der für mich sprechen konnte. Oft habe ich den Tod gesucht, indem ich alle angriff, die mir zu nahe kamen, aber als Strafe dafür habe ich nur die Peitsche bekommen, denn eine Sklavin ist zu wertvoll, als daß man sie entbehren könnte. Als ich trotzdem nicht aufhörte, den Tod zu suchen, wurde ich zur Strafe drei Tage der Garde von Ranistard übergeben. Diese drei Tage werde ich nie in meinem Leben vergessen können. Danach wagte ich es nicht mehr, mich zu widersetzen.« Die letzten Worte hatte sie nur noch leise und gequält herausgebracht. Der Renth mußte mich tatsächlich mitgenommen haben, denn ich legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte: »Vor den Toren der Stadt wirst du wieder zu dir selbst finden. Möge Mida dich behüten.« Erst dann wurde mir klar, welche Entscheidung ich soeben getroffen hatte. Inala hob den gesenkten Kopf und sah mich freudig an. »Ich danke Euch!« sagte sie, »und ich werde Euch in aller Ewigkeit dankbar sein.«

Wir nahmen die Waffen auf und verließen vorsichtig das Gebäude, Inala dicht hinter mir. Die Stadtfrau machte zwar großen Lärm, aber glücklicherweise war niemand draußen, der sie hören konnte. Durch ein erleuchtetes Fenster in Telions Behausung erblickte ich Larid, aber auch zwei Bewaffnete, die sie bewachten. Larid erblickte mich, als ich mich schnell wieder wegduckte, und lächelte leicht vor Vergnügen. Ich ließ Inala mit den überzähligen Waffen zurück und schlich mich leise in das Haus. Mit dem Dolch in der Hand stellte ich mich hinter der Tür des Raumes auf, in dem ich Larid entdeckt hatte, dann machte ich ein Geräusch. Einer der Wächter kam mit dem Schwert in der Hand heraus, um nachzusehen. Ich schlug ihm von hinten mit dem Griff meines Dolches auf den Kopf und war sicher, daß er sich nie wieder dagegen auflehnen würde, seinen Helm zu tragen. Schnell sprang ich ins Zimmer hinein. Der zweite Wächter lag auch bereits auf dem Boden. Triumphierend schwang Larid ein Holzscheit in der Hand. »Ich freue mich sehr, dich zu sehen, Jalav«, sagte sie. »Die zwei hielten mich hier fest, während dieser elende Telion wegritt, Mida weiß, wohin. Ich nehme an, daß Ceralt ihn begleitet?«

»Höchstwahrscheinlich«, entgegnete ich. »Aber ich weiß, wo sie hinwollen. Sie suchen den dritten Kristall der Mida – den wir vor ihnen finden müssen.«

»Ich hatte die Existenz des dritten Kristalls ganz vergessen«, sagte Larid. Erfreut sah ich, daß auch sie wieder ihr Amulett trug.

»Wir müssen die anderen zusammenholen und schnell die Stadt verlassen«, sagte ich, »aber vorher müssen wir diese zwei hier fesseln und ihnen die Waffen abnehmen. Sie werden sicherlich nicht so fest schlafen wie die in Ceralts Behausung.« Als wir hinauskamen, war Larid höchst erstaunt, Inala zu sehen, stellte aber keine Frage, wie es sich bei den Entscheidungen der Anführerin gehört. In weniger als zwei Stunden waren fünf von uns auf dem Dach eines Hauses nahe am Stadttor. Fayan hatten wir in der Behausung von Nidisar gefunden, bewacht von zwei unbewaffneten Männern, so daß unsere Waffensammlung keinen Zuwachs bekam. Gimin und Binat waren zwei von denen, die auf der Jagd nach Männern in der Dunkelheit herumschlichen. Sie schlössen sich uns freudig an. Auch die anderen wollten sich uns anschließen, aber das war entgegen meinen Absichten. Der Weg nach Bellinard war weit, und es würde das beste sein, wenn man dort nichts von unserer Gegenwart wußte. Unbewaffnete Hosta konnte man leicht gefangennehmen, und unsere Gegenwart würde bald bekannt werden, wenn wir versuchten, an Waffen zu kommen. Aber eine Handvoll bewaffneter Hosta mußte ausreichen, den Willen Midas zu erfüllen.

Vom Dach des Hauses aus überstiegen wir mit einer zusammengeknoteten Lederleine die Mauer. Schwierigkeiten hatten wir, Inala hinüberzubringen, aber auch das klappte, und so standen wir bald außerhalb der Mauern von Ranistard, bewaffnet und im Besitz einer Strickleiter. Dann machten wir uns eilig auf den Weg nach Süden, denn in dieser Richtung lag Bellinard.

Inala zögerte kurz, dann trottete sie hinter uns her, in der Kälte fröstelnd. Ich wünschte ihr im stillen alles Gute, konnte ihr aber keine weitere Hilfe anbieten, denn es wurde Zeit für uns, die Befehle Midas auszuführen.

Загрузка...