Mit dem neuen Licht der Mida brachen wir auf. Die Hosta essen nach dem Aufstehen nichts, denn es ist nicht klug, zu lange in einem Lager zu verweilen. Es ist besser, eine Mahlzeit zu überschlagen, als das Leben zu riskieren.
Die Gefangenen waren quer über ihren Pferden festgebunden. Kaum ein Ton wurde von ihnen laut. Ich war in der Nacht kurz wachgeworden, als man sie in unser Lager brachte und ihnen noch einmal die Droge verabreichte. Als man sie am Morgen zu ihren Pferden brachte, wollten sie aufbegehren, aber die Peitsche ließ sie schnell verstummen.
Wir ritten unter taufeuchten Bäumen entlang. Die Tränen der Mida fielen auf unsere Körper. Als wir den Rand des Waldes erreichten, lag eine sanfte Hügellandschaft vor uns. Hier machten wir Rast, um unser erstes Mahl einzunehmen. Auch die Gefangenen sollten gefüttert werden, aber sie weigerten sich wider Erwarten.
Fayan, eine Kriegerin mit goldenem Haar, dunklen Augen und einer guten Figur, die die Aufsicht hatte, fragte mich: »Was sollen wir mit ihnen machen, Jalav? Wenn sie nicht essen, werden sie uns auch mit der Droge nicht viel nützen.« »Wir weigern uns nicht, zu essen«, protestierte ihr Anführer, »aber wir sind es nicht gewohnt, rohes Fleisch zu fressen. Ihr habt uns in eure Gewalt gebracht, nun müßt ihr auch dafür sorgen, daß wir etwas Anständiges zu essen bekommen.« »Ihr bekommt dasselbe wie wir«, entgegnete ich, nahm ein Stück Fleisch, kaute es und bot es ihm an. Er schauderte davor zurück.
»Was für eine Art Frauen seid ihr nur«, sagte er. »Ihr tragt kaum Kleidung, behandelt ehrliche Jäger mit Verachtung, tragt Waffen wie Männer, habt keine Angst vor den dunklen Wäldern und eßt rohes, blutiges Fleisch. Nie zuvor habe ich Weiber wie euch gesehen.«
»Wir sind Kriegerinnen der Midanna vom Stamm der Hosta«, erklärte ich ihm. »Hast du niemals von den Midanna gehört?« »Aber das ist doch nur Märchenkram«, höhnte er. »Midanna gibt es doch nur in der Phantasie ängstlicher alter Männer. Vor langen Jahren soll einmal eine Stadt im Osten von ihnen überwältigt worden sein. Was für ein Blödsinn! Als ob Weiber eine Stadt überwältigen könnten.« Er verstummte plötzlich und sah verwirrt auf mich und meine Kriegerinnen, dann stammelte er: »Aber doch nicht Bellinard. Ihr denkt doch nicht daran, Bellinard einzunehmen?« »Wir wollen Bellinard lediglich einen Besuch abstatten«, versicherte ich ihm. »Es freut mich aber, zu hören, daß man dort nicht an Midanna glaubt. Das wird uns das Passieren seiner Tore erleichtern. Im übrigen werden wir keine Feuer machen, nur um euer Fleisch zu braten«, fuhr ich fort. »Ihr könnt wählen, wie ihr es haben wollt: Roh oder gar nicht.« Er blickte mir in die Augen, dann lächelte er leicht und sagte: »Wenn Weiber das Fleisch roh essen, können wir es auch. Wir haben es tatsächlich schon einmal getan. Die anderen nennen dich, glaube ich, Jalav. Bring mir das Fleisch, Jalav, dann werde ich meinen Hunger stillen.«
Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. Auch ich grinste, denn er sprach von einem anderen Hunger als den in seinem Magen. Ich hatte das gleiche Verlangen. Leider hatten wir aber nicht genügend Zeit.
»Deine Wächterin wird dich versorgen, Jäger«, sagte ich. »Solltest du dich im Laufe des Tages nicht allzu widerspenstig zeigen, werde ich dich vielleicht zu mir bringen lassen, wenn wir am Abend lagern.«
Zorn blitzte in seinen Augen auf, als ich mich abwandte, und das freute mich. Die Männer aus den Städten müssen lernen, daß wir nicht mit ihren Weibern zu vergleichen sind. Fayan grinste und nickte mir zu. Der Gefangene würde in der Nacht zu meiner Verfügung stehen.
Ich wandte mich wieder meinen Kriegerinnen zu. Einige von ihnen übten das Speerwerfen, andere spielten mit dem Dolch, wieder andere lockerten ihren Schwertarm. Danach brachen wir auf. Ich hatte einige Späherinnen vorausgesandt, denn wir mußten unentdeckt bleiben. Einige Ansiedlungen an unserem Weg umgingen wir.
Mida war mit uns. Als die Dämmerung hereinbrach, erreichten wir ein Wäldchen. Wir schlugen unser Lager auf, dann versorgte ich mein Gando, inspizierte die Posten, aß etwas und ging zu meinem Schlafleder.«
»Du hast lange gebraucht«, sagte eine männliche Stimme. Man hatte ihn mit einer langen Leine an einem nahestehenden Baum angebunden. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt, aber seine Füße waren frei. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baum. Offensichtlich hatte ihm Fayan keine Droge verabreicht, aber auch so hatte er bereits seine Potenz bewiesen.
»Es stimmt, eine Anführerin hat viele Pflichten«, erwiderte ich, gurtete mein Schwert ab, setzte mich nieder und begann, mir eine Pfeife zu stopfen.
Er sah mir schweigend zu. Als ich die Pfeife angezündet hatte, sagte er: »Ihr seid seltsame Frauen, Jalav. Habt ihr gar keine Angst vor der Dunkelheit des Waldes? Sehnt ihr euch eigentlich nicht nach dem Schutz eines Mannes?« Ich lachte. »Warum müssen uns die Männer eigentlich immer dasselbe fragen? Könnt ihr euch nur Sklavenweiber vorstellen, die begierig darauf sind, einem Mann zu dienen? Wir dienen nur Mida, so lange, bis sie uns an ihre Seite ruft. So leben wir, und das wird ewig so bleiben.«
»Ich hatte angenommen, die Midanna seien nur ein Märchen«, sagte er und kam mühsam näher an mein Schlafleder herangekrochen. »Aber was ich gesehen und erlebt habe, übertrifft bei weitem das, was die Märchen erzählen. Die Mädchen, die uns bewachen und füttern, sprechen in den bewunderndsten Tönen von dir, Jalav. Sie folgen dir blind. Ich bitte dich, befiehl ihnen, meine Männer loszubinden und damit aufzuhören, sie mit diesem Teufelstrank hochzubringen. Ich will als deine Geisel dafür einstehen, daß sie euch widerstandslos folgen.« Er saß nun neben mir. Seine Lippen berührten zärtlich, meine Schulter. Ich lächelte in die Dunkelheit hinein. »Meine Kriegerinnen gehorchen mir ohne Zweifel«, sagte ich, »weil ich es auch nie wagen würde, sie in Gefahr zu bringen. Wir brauchen hier keine Männer, die uns verhexen.« »Wir würden uns nicht in eure Angelegenheiten einmischen«, flüsterte er und küßte meinen Hals. »Meine Waffen würden dich schützen, Jalav, mein Schoß würde dich verwöhnen.Schnell, gib den Befehl, daß meine Männer freigelassen werden, dann können wir an andere Dinge denken. Ich kann mein Verlangen kaum noch unterdrücken.«
»Mida lehrt die Jäger, Geduld zu haben, Jäger«, entgegnete ich. »Du brauchst dein Verlangen nicht mehr lange zu zügeln, und an deine Männer werde ich dabei bestimmt nicht denken. Ich werde dir meine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen.« »Also läßt du sie nicht frei?« fragte er, und sein Ton war plötzlich wieder eiskalt, als er weiter von mir abrückte. »Du akzeptierst also mein Wort nicht?«
»Hier gilt nur das Wort der Anführerin«, erwiderte ich und klopfte meine Pfeife aus. Der Mann schwieg eine Weile ärgerlich, dann sagte er drohend: »Es muß ein Vergnügen sein, Jalav, dich vor mir gefesselt zu sehen. Eines Tages wird das vielleicht der Fall sein.«
»Alle Dinge sind möglich«, entgegnete ich, »wenn sie Midas Wille sind.« Dann streckte ich mich auf meinem Leder aus. »Ich bin müde und habe wenig Lust, einen kalten Stein zu wärmen. Schlaf unbelästigt.«
Ich wandte ihm meinen Rücken zu, denn ich war ein wenig verärgert darüber, daß sein angebliches Verlangen nur den Zweck hatte, seine Männer freizubekommen. Männer müssen doch immer verschlagen sein. Sie sagen das eine und meinen das andere. Selbst Fideran, der mich angeblich so sehr liebte, hatte versucht, sich in meine Angelegenheiten einzumischen, bis ich ihm erklären mußte, daß ein weiterer derartiger Versuch Prügel für ihn bedeuten würde. Ich liebe es nicht, ausgefragt zu werden, so wenig wie ich es liebe, von Männern genommen zu werden.
Die Nacht war erfüllt von Geräuschen, die nicht nur von den Kindern der Wildnis kamen. Meine Kriegerinnen hatten sich die Gefangenen untereinander aufgeteilt, und ich hörte deutlich ihre Lustschreie. Auch mein Blut war von den zärtlichen Berührungen des Fremden in Wallung geraten, und das Stöhnen meiner Kriegerinnen tat nichts dazu, es wieder abzukühlen. Aber ich würde lieber leiden, als mich bei ihm einzuschmeicheln. Ich war Jalav, die Anführerin der Hosta, die sich nicht von Männern manipulieren ließ. Nach einer Weile hörte ich jedoch, wie er hinter mir sagte: »Jalav, schläfst du schon?« Ich rührte mich nicht. Da sagte er lauter: »Jalav, ich hatte keine Ahnung, daß ich hier unbehelligt bleiben sollte. Du weißt doch, daß Gefangene von ihren Überwältigern genommen werden müssen. Das ist ein alter Brauch.«
Noch immer rührte ich mich nicht. Dann hörte ich, wie er langsam näherkroch. Plötzlich fluchte er leise: »Diese verdammte Leine!« Sie hielt ihn in gebührender Entfernung. Aber schließlich gelang es ihm, mich mit seinen Füßen zu berühren. »Jalav«, flüsterte er, »wenn du mich unberührt läßt, werde ich jedem laut und deutlich erzählen, daß die Midanna nicht wissen, wie man einen Gefangenen behandelt. Willst du, daß man deinetwegen die Midanna auslacht?« Das Gefühl seiner behaarten Beine, mit denen er mich berührte, war mehr, als ich ertragen konnte. Ich setzte mich auf, zog meinen Dolch aus der Beinhalterung und stach ihn außer seiner Reichweite in die Erde. Dann warf ich mich auf ihn und küßte ihn leidenschaftlich. Ich krallte mich mit verlangenden Fingern in seinen Körper, dann nahm ich ihn. Er keuchte, hechelte und trieb mich an, aber es bestand gar keine Notwendigkeit, mich anzutreiben. Irgendwann in seiner Ekstase schrie er einmal: »Bei Sigurrs verderblichem Odem, ich muß meine Arme freihaben, um sie umarmen zu können!« Vergeblich bemühte er sich darum, schaffte es aber nicht. Als alle meine Bedürfnisse gestillt waren, ging ich wieder zu meinem Schlafleder, band meinen Dolch wieder um und legte mich befriedigt zum Schlafen nieder. Der Mann sagte kein Wort mehr, aber sein Bein lag neben meinem, als mich die Wolken des Schlafes umhüllten.
Als wir in Sichtweite von Bellinard kamen, verbargen wir uns hinter einem Hügel. Die gewaltigen Tore der Stadt standen offen, und viele Menschen strömten hinein. Die meisten kamen zu Fuß, kleine Bündel tragend, manche ritten auch auf Kand oder saßen auf seltsamen, beräderten Gefährten, die von Kand gezogen wurden. Manche davon waren überdacht, manche nicht. Die Tore von Bellinard blieben geöffnet, solange Midas Licht schien, dann wurden sie verschlossen. Wir beobachteten die Stadt einen ganzen Tag, ehe wir uns entschlossen, sie zu betreten.
Auf dem Hinweg waren wir an einigen Höhlen vorbeigekommen, in denen sich einige meiner Kriegerinnen mit den Gefangenen verbergen sollten, bis ich mit den anderen Kriegerinnen wieder zurückkam. Der Anführer der Gefangenen hatte mich während des ganzen Weges haßerfüllt beobachtet, denn ich hatte ihn nicht wieder mit auf mein Schlafleder genommen, sondern ihn meinen Kriegerinnen überlassen. Statt dessen hatte ich mir einen anderen Mann herausgesucht, der mit seinem Anführer anschließend fast in Streit geriet. Wir hatten sie trennen müssen, denn wir wollten die Männer unbeschädigt erhalten.
Als ich jetzt an ihm vorbeikam, rief mir der Anführer zu: »Jalav, du mußt mich mitnehmen nach Bellinard! Du kennst dich in den Städten nicht aus und brauchst Rat. Höre auf meine Worte, Jalav!«
Aber ich hörte nicht auf ihn, denn ich traute ihm nicht. Er brauchte nur eine Übermacht gegen uns auszusenden, die uns überraschte, bevor wir seine gefangenen Männer erledigen konnten. Er würde damit zwar keinen Erfolg haben, aber er würde es in jedem Fall versuchen. Ich wäre ein Narr gewesen, wenn ich ihm vertraut hätte.
Begleitet wurde ich von der rothaarigen, blauäugigen Larid, der braunhaarigen, braunäugigen Binat und von Fayan, die den Gefangenen wütend ansah. Wäre sie nicht mit mir geritten, hätte er vermutlich eine tüchtige Tracht Prügel von ihr bezogen. Die letzte der Gruppe war Comir, eine Kriegerin, die kaum das Alter der Mannbarkeit erreicht hatte, aber sehr begierig darauf war, mit uns zu reiten. Ihr sanftes braunes Haar glich dem von Kilin.
Comir war mit im Hort des Kristalles gewesen und hatte gesehen, was man unseren Gefährtinnen angetan hatte. Ihr Durst nach Rache war so groß wie der meine, denn eine der Ermordeten war von derselben Mutter wie sie geboren worden. Zornig hatte sie gefordert, mitreiten zu dürfen, und ich hatte es ihr erlaubt. Nun wartete sie mit den Kand auf uns. Als ich von meinem Gando abstieg, stellte sich mir die schwarzhaarige Gimin in den Weg. Gimin hatte sich Hoffnungen gemacht, selbst Anführerin zu werden, obwohl sie mich noch nicht herausgefordert hatte. Dies würde aber früher oder später wohl geschehen. Für die Zeit meiner Abwesenheit hatte ich Gimin zur Anführerin ernannt, denn ich hoffte, daß dieser Vorgeschmack der Führerschaft sie in der einen oder anderen Richtung beeinflussen würde. Ob dies der Fall war, würde ich bei meiner Rückkehr feststellen. Nun gab ich ihr den Zügel meines Gando und sagte: »Es ist Zeit, daß wir aufbrechen, Gimin. Wir werden sehen, was sich tun läßt, und sobald wie möglich zurückkommen. Sollten wir innerhalb von fünf Tagen nicht zurück sein, werdet ihr weiter nach Ranistard reiten und mit ihm verfahren, wie ich es euch gesagt habe. Sende uns keine Kriegerin nach Bellinard nach, denn du wirst in Ranistard jedes Schwert brauchen. Der Kristall muß in jedem Fall zurückgeholt werden!« »Ich höre, Jalav«, sagte sie, während sie mich mit ihren grauen Augen musterte. »Du bietest mir dein Amt an, ohne daß ich dafür kämpfen muß. Eine Anführerin, die sich ihren Platz aber nicht im Kampf erworben hat, kann nicht stolz darauf sein. Wir werden bei deiner Rückkehr noch darüber zu entscheiden haben.«
»Einverstanden«, entgegnete ich und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Möge Mida dich in diesem fremden Land behüten.«
»Und dich auch, Jalav«, entgegnete sie. »Sei vorsichtig, denn es würde mir schwerfallen, jemanden herauszufordern, der bereits an Midas Seite sitzt.« »Sollte es einen Weg dazu geben, Gimin«, lachte ich, »du würdest ihn sicher finden. Führe die anderen zu den Höhlen, sobald wir fort sind.«
Damit sprang ich auf den Rücken des Kan, das ich mir ausgesucht hatte, und hob die Hand zum Abschiedsgruß. Da wir weder Speer noch Schild trugen, hatten die Kand wenig Mühe, uns nach Bellinard zu tragen. In weniger als einer Stunde kamen wir vor den Toren der Stadt an. Das Volk, das sich dort staute, glotzte uns neugierig an, kümmerte sich dann aber nicht weiter um uns. Die Männer waren meist klein und abgearbeitet, also ohne Interesse für eine Kriegerin. Die Frauen machten den Anschein, als seien sie von ihrem Leben noch enttäuschter. Kein Wunder, bei solch müden Männern. Als wir durch die weit offenstehenden Tore ritten, sahen wir den Grund für den Stau. Dort standen bewaffnete Männer, die die Habseligkeiten derjenigen durchsuchten, die hinein wollten. Rechts wartete ein Paar geduldig darauf, daß ihr Bündel kontrolliert wurde, links wurde eines der bedachten Gefährte von drei bewaffneten Männern durchsucht. Als ich mein Kan mitten hindurchlenken wollte, hielt mich einer der Bewaffneten auf.
»Halt!« brüllte er, »Bellinard darf von niemandem ohne Genehmigung der Torwachen betreten werden, auch nicht von so einem hübschen Kind wie dir. Vielleicht willst du etwas hineinschmuggeln, he?«
»Wie will sie etwas hineinschmuggeln, Dominar«, sagte ein anderer, der hinzutrat. »Sie und ihr Kan sind ja fast nackt.« Alle Wachen brachen in ein wieherndes Gelächter aus. Sie trugen den gleichen kurzen Rock wie alle Stadtbewohner, aber darüber eine Rüstung aus Metall und Leder, die, so nahm ich an, sie vor Pfeilen und Schwerthieben schützen sollte. Sie bedeckte zwar den Oberkörper und die Kehle, ließ aber merkwürdigerweise den Kopf ungeschützt.
»Verhöhnt das Mädchen nicht wegen ihrer Art, sich zu kleiden«, sagte derjenige, den man Dominar genannt hatte. »Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich dafür sorgen, daß alle Mädchen so herumliefen. Vielleicht schmuggelt sie aber etwas unter ihrem Schurz. Ich fühle mich verpflichtet, diese Stelle persönlich zu inspizieren.«
Damit näherte er sich mir mit ausgestreckter Hand. Ich wartete, bis er nahe genug heran war, dann trat ich ihn in sein ungeschütztes Gesicht. Er fiel, wild mit den Armen rudernd, in den Dreck. Seine Kameraden lachten sich unverständlicherweise halbtot.
»Wir wollen in die Stadt«, sagte ich. »Müssen wir uns den Zugang erkämpfen?«
Ein anderer Wächter stellte sich außerhalb meiner Reichweite mit in die Hüften gestemmten Fäusten auf und fragte, nachdem er mich und meine Kriegerinnen kurz inspiziert hatte: »Trägt eine von euch irgend etwas bei sich, das deklariert werden muß, damit der Hohe Senat von Bellinard seinen gerechten Anteil daran fordern kann?«
Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was er meinte, und antwortete: »Wir haben nichts, was euch interessieren könnte. Und nun laßt uns durch.«
»Das ist zwar eine falsche Behauptung, schönes Kind«, lachte er, »aber keine, für die wir dich einsperren könnten. Ihr habt tatsächlich manches, was uns interessieren könnte, aber ihr dürft trotzdem hinein. Vielleicht treffen wir uns nach Dienstschluß noch einmal.«
Er blickte mich gierig an und sah auch nicht schlecht aus, aber ich hatte wichtigere Dinge zu erledigen. Also trat ich meinem Kan in die Seite, und wir passierten ungehindert das Tor zur Stadt Bellinard.
Zunächst fiel es mir schwer, zu begreifen, was ich dort sah. Niemals zuvor war ich inmitten so vieler hin und her eilender Menschen gewesen. Die Straßen von Bellinard waren breiter als der Weg nach Islat, aber überfüllt von Menschen und Tieren. Meine Kriegerinnen und ich starrten das Gewimmel geringschätzig an. Trotz der Massen fühlte ich mich plötzlich sehr einsam und sehnte mich zurück nach den Wäldern im Land der Hosta, aber ich schluckte meine aufkommende Furcht hinunter und bahnte mir einen Weg durch die Straßen. Ohne Freude im Herzen ritten wir ziellos dahin. Der Lärm ringsum betäubte uns fast. Neugierig betrachtete ich die Gebäude zu beiden Seiten der Straße. Über ihren Eingängen hingen Balken mit merkwürdigen Zeichen, manche auch mit Bildern. Mida mochte wissen, warum mancher den Ort, an dem er hauste, mit dem Bild eines Mannes und eines Reittieres versah, oder einer Frau, die eine Kanne schwenkte, oder einem großen, gehörnten Tier neben einem kleinen, gefiederten. Besonders zu schaffen machte mir der Gestank, der dort herrschte. Ich konnte die Gerüche, die auf mich eindrangen, nicht auseinanderhalten. Ein Blick auf meine Gefährtinnen zeigte mir, daß es ihnen ebenso ging. Wieviel hätte ich um einen einzigen Zug frischer, reiner Waldluft gegeben. Aber wir mußten hindurch, und so ritten wir schweren Herzens weiter. Die Menschen um uns schenkten uns kaum Beachtung. Nur eine Anzahl Männer mußten wir abwehren, die sich uns vertraulich nähern wollten. Ihre Sklavinnen sahen uns so an, als seien wir an ihrem Unglück schuld.
Ich verstand von dem, was ich um mich herum sah, hörte und roch, kaum etwas, war aber auch nicht begierig darauf. Eine Stadt ist ein elender Ort für freie Menschen. Ich wünschte mir, ich hätte sie nie kennengelernt.
Allmählich stellten wir fest, daß die Massen, die ziellos durcheinanderzuwirbeln schienen, sich in eine Hauptrichtung bewegten. Mit ihnen gelangten wir auf einen weiten, offenen Platz, der von zeltähnlichen Behausungen in vielen bunten Farben umgeben war. In der Mitte befand sich sogar etwas Gras mit ein oder zwei Bäumen. Mein Herz hüpfte vor Freude, und ich lenkte mein Kan zu dieser Stelle. Als wir die Zelte passierten, ließen wir die Menschenmassen hinter uns. Ich ritt auf einen kleinen, krüppeligen Baum zu, sprang ab und tat einen tiefen Atemzug. Die Luft war beinah frisch. Meine Kriegerinnen waren gleichfalls abgesprungen. Wir sahen uns an. »Jalav«, sagte Fayan schwach, »ich werde dich nicht im Stich lassen. Aber gönne mir einen Moment Entspannung, bevor wir uns wieder in diese von Mida verlassene Stadt begeben.«
Die anderen nickten zustimmend, aber ich hatte bemerkt, was ihnen entgangen war. »Wir haben diese Stadt nicht verlassen«, sagte ich. »Seht ihr dort hinten die Mauer? Die zeigt uns, daß wir noch in ihr sind.« Man sah den anderen die Enttäuschung an. »Ist das dort drüben etwas, worin Menschen leben?« fragte Larid und zeigte auf ein hohes Gebäude. Es enthielt viele Fenster und einen hohen Eingang, vor dem ein bewaffneter Mann stand. Ich konnte mir keinen Zweck für ein solches Gebäude vorstellen, aber was versteht eine Midanna schon von den Vorstellungen der Stadtmenschen?
Wir banden unsere Kand an den Baum und setzten uns zur Rast in das Gras. Vor den Zelten ringsherum herrschte geschäftiges Leben. Manchmal kamen Leute heraus, die irgend etwas in der Hand trugen, ein Fell, ein Tuch, etwas zu essen oder seltsame hohe, schmale Gefäße. Aus einem erschien eine Sklavin mit einem Mann. Beide lachten fröhlich und betrachteten eine funkelnde Kette am Hals der Frau, dann nahm sie den Arm des Mannes und ging, sich eng an ihn schmiegend, weiter. In der Ferne gab es einige Menschenansammlungen, bei denen ich nicht genau ausmachen konnte, um was sie herumstanden. Mich plagte die Neugier, deswegen sagte ich: »Comir und Binat, ihr bleibt hier bei den Kand. Larid und Fayan kommen mit mir. Wir werden nicht lange bleiben.« Gehorsam antwortete Comir: »Wir bleiben, Jalav, aber das nächstemal möchten wir dich begleiten.« Ich entgegnete: »Alles liegt in Midas Hand.« Als wir zu einer der Ansammlungen hinübergingen, kreuzte ein schmächtiger Mann unseren Weg. Sein kurzes, krauses Haar schien noch nie Wasser oder eine Bürste gesehen zu haben, seine Kleidung war schmutzig und zerfetzt. Er wankte auf seinen Füßen, als hätte er Mühe, sich in einem Erdbeben aufrecht zu halten, und glotzte mich und meine Kriegerinnen mit großen, runden Augen an.
Dann verbeugte er sich tief und sagte: »Meine Damen, ich möchte Ihnen meinen ganz persönlichen Willkommensgruß zum Jahrmarkt in Bellinard entbieten. Bitte sagen Sie mir, wo sich Ihr Pavillon befindet. Ich möchte ihn gern mit meiner Anwesenheit beehren.« Dann zeigte er auf unsere Waffen und sagte: »Ich nehme an, daß sie diese nicht in der Gegenwart von Kunden tragen werden. Sie könnten sie damit leicht irritieren.«
»Er ist voll von Daru«, sagte Larid und stieß ihn aus dem Weg. Seinen Flüchen schenkten wir keine Beachtung. Dann gingen wir hinüber zu einer der Menschenansammlungen und bahnten uns unseren Weg durch die Menge. Aufkommende Proteste verstummten, sobald man uns näher betrachtete. Kaum einer sonst trug Waffen.
Auf einer offenen Fläche innerhalb der Menge stand eine Anzahl Männer mit Speeren in den Fäusten herum, in Gruppen von zweien oder dreien und blickten hinüber zu anderen, die an einem Platz standen, der mit bunten Tüchern markiert war. Diese warfen ihre Speere nach einer nicht zu weit entfernten Zielscheibe und trafen auch meistens. Allerdings waren einige der Würfe so schlecht, daß, wenn die Zielscheibe ein lebender Feind gewesen wäre, sie dies auch geblieben wäre. Meine Kriegerinnen lachten über diese Versuche, aber niemand in der Runde teilte unsere Heiterkeit. Einer der Männer, größer als die anderen, mit roten, kurzgeschorenen Haaren, kam zu uns und fragte ärgerlich: »Was lacht ihr über unsere Krieger? Hat man euch kein besseres Benehmen beigebracht?« »Was sollen wir sonst bei so untauglichen Versuchen tun?« entgegnete ich friedlich. »Wenn sich diese Männer gegen einen Feind verteidigen müßten, lebten sie bereits nicht mehr.« »Ihr redet so, als verstündet ihr etwas von diesen Dingen«, sagte der Mann, nachdenklich auf seinen Speer gelehnt. »Sind eure Männer Jäger, daß ihr so gut Bescheid wißt?« »Wir sind selbst die Jäger«, entgegnete Fayan hitzig. »Männer taugen nur für das Schlafleder.«
»Ach, tatsächlich?« murmelte der Mann und sah Fayan verstimmt an. »Würdet ihr drei, hm, Jäger, daran interessiert sein, an unserem Wettbewerb teilzunehmen? Der Preis für den besten Wurf ist eine volle Börse. Bisher liegt der beste Wurf bei mir.«
Meine Kriegerinnen sahen mich an. Der Sinn des Wettbewerbs war mir klar, nur wußte ich nicht, was eine »volle Börse« war. Ich dachte kurz nach, dann sagte ich: »Warum sollten wir uns weigern? Aber wir haben unsere Speere nicht mitgebracht.«
»Speere werden gestellt«, entgegnete der Mann. »Kommt auf das Feld.«
Wir überstiegen eine gespannte Leine und folgten ihm zu dem Platz mit den bunten Tüchern. Dort standen drei Männer, älter als die anderen, die uns mißfällig anblickten. Einer von ihnen sagte: »Was soll der Unsinn, Nidisar? Warum schleppst du diese Freudenweiber zu unserem Wettbewerb?« »Das sind keine Freudenweiber, Schiedsrichter«, entgegnete der so Angesprochene lachend. »Das sind berühmte Jägerinnen, die wenig von unseren Fertigkeiten halten. Ich habe sie deshalb eingeladen, an unserem Wettbewerb teilzunehmen, und sie haben die Freundlichkeit besessen, einzuwilligen.« »Nun gut«, sagte derjenige, den man Schiedsrichter genannt hatte. »Unser Wettbewerb ist offen für alle Krieger und Jäger. Mögen sie ihr Glück versuchen.«
Als wir uns an den Tüchern aufstellten, grinsten alle Männer. Nidisar deutete auf die Zielscheibe, die sich in kurzer Entfernung vor uns befand. »Seht ihr dort den schwarzen Strich im Mittelpunkt der Scheibe?« sagte er. »Das ist mein Wurf, den ihr erreichen müßt.«
Wir sahen uns den Strich an und nickten, dann bekamen wir Speere ausgehändigt. Sie hatten etwa die Länge unserer eigenen Speere, verfügten aber über einen etwas dünneren Schaft, was sie angenehm leicht machte.
»Diese Linie darf nicht überschritten werden«, erklärte Nidisar, auf die Tücher zeigend. »Wer von euch wirft zuerst?« »Erst Larid, und dann Fayan«, sagte ich. »Ich komme als letzte.« »Wie du willst«, sagte Nidisar grinsend, und trat beiseite.»Zumindestens wird es ein Genuß sein, euch beim Werfen zuzusehen.«
Larid trat zurück, riß den Arm hoch, lief drei kleine, schnelle Schritte, dann warf sie. Leider hatte sie ihr Ziel leicht verfehlt. Der Speer landete eine Winzigkeit links neben dem Strich. Ein Gemurmel erhob sich unter den zuschauenden Männern. Larid errötete vor Scham, daß sie so schlecht geworfen hatte. Nidisar sah den noch immer wippenden Speer betroffen an. »Jetzt bin ich an der Reihe«, sagte Fayan. »Man muß das geringere Gewicht des Speers in Betracht ziehen.« Doch auch ihr Wurf traf nicht genau das Ziel, sondern verfehlte es um zwei Fingerbreiten. Wieder erhob sich ein Gemurmel unter den Männern. Nidisar sah meine Kriegerinnen ungläubig an.
Jetzt lag es an mir, die Blamage meiner Kriegerinnen wieder wettzumachen. Stumm bat ich Mida um Hilfe, dann nahm ich einen Anlauf, warf. Mein Speer teilte den Strich genau in zwei Hälften. Ein Schrei erhob sich aus der Menge. Selbst Nidisar lachte freudig auf.
Der Schiedsrichter sagte lächelnd: »Du darfst dich wirklich Jäger nennen. Wie heißt du, Mädchen?« »Ich heiße Jalav«, sagte ich, ohne zu erwähnen, daß ich die Anführerin der Hosta war. Das ging diese Männer nichts an. »Nun denn, Jalav«, sagte er, »es ist mir eine Freude, dir mitteilen zu können, daß dein Wurf denjenigen von Nidisar eingestellt hat. Am Ende des Wettbewerbs werden er und du und jeder andere, der noch gleichgezogen hat, erneut um die Börse werfen.«
Auch Nidisar trat heran und verbeugte sich übertrieben. »Mein Kompliment, ihr Jägerinnen. Ich hatte nicht angenommen, daß ihr tatsächlich so vorzüglich werft. Wohnt ihr weit entfernt von Bellinard?«
»Sehr weit«, antwortete ich. »Wir sind noch niemals zuvor hier gewesen.«
»Dann müßt ihr mir erlauben, daß ich euch die Stadt zeige«, sagte er. »Die Mittel dazu werde ich haben, wenn ich die Börse gewinne.« Ich blickte ihn an, aber er schien tatsächlich zu meinen, was er sagte.
Es erfolgten noch einige Würfe, aber niemand kam näher als eine Handbreit an den Strich heran. Zuletzt wurden Nidisar und ich erneut zum Werfen aufgefordert. Man hatte eine neue Zielscheibe herbeigeschafft, und der Schiedsrichter stellte sich mit gekreuzten Armen vor uns auf. »Ihr macht also die entscheidenden Würfe«, sagte er. »Der jenige, der am nächsten zur Mitte liegt, hat die Börse gewonnen. «
Nidisar deutete auf die Zielscheibe und sagte zu mir: »Du kannst den ersten Wurf haben. Ich werde mich unterdessen an deinem Anblick erfreuen.« Dabei grinste er breit. Fayan, die neben Larid stand, war ganz offensichtlich verärgert über sein Benehmen mir gegenüber. Auch ich war aufgebracht, behielt aber meine Ruhe, da ich merkte, daß Nidisar mich mit seinen Handlungen nur verwirren wollte. Ich nahm einen Anlauf, warf – und traf genau in die Mitte. Die Menge schrie laut auf.
Dann wandte ich mich an Nidisar und sagte: »Jetzt bist du dran. Du solltest etwas mehr nach rechts gehen, um genau zu treffen.«
Er sah mich an, dann befolgte er meinen Rat, obwohl die anderen ihn auslachten, rannte, warf – und traf gleichfalls genau die Mitte.
Die Zielscheibe wurde danach etwas weiter fortgerückt, und erneut trafen wir beide die Mitte. Dies wiederholte sich noch zweimal, dann trat der Schiedsrichter auf uns zu und sagte: »Wie ich sehe, könnten wir dies noch weiter bis zur Dunkelheit ohne Entscheidung fortsetzen. Wir drei Schiedsrichter haben deswegen entschieden, daß die Börse zwischen Nidisar und Jalav geteilt wird.«
Die Menge jubelte. Nidisar wandte sich an mich und sagte so leise, daß es niemand anderes hören konnte: »Ich glaube, wir sollten die Entscheidung annehmen, Jalav. Wir sind gleich stark, und weitere Würfe würden nichts bringen.«»Ich sehe auch keinen Grund, warum wir dieses Spiel fortsetzen sollten«, entgegnete ich.
»Gut so«, sagte er und wandte sich an die drei älteren Männer. »Jalav und ich sind übereingekommen, uns dieser Entscheidung ohne Einspruch zu fügen«, erklärte er. Die drei Männer lächelten zufrieden, dann brachte der Schiedsrichter mir einen kleinen Lederbeutel. »Sollen wir die Münzen hier aufteilen?« fragte er.
Mir war der Sinn seiner Worte unklar. Ich wollte ihn gerade danach fragen, als Nidisar herantrat und den Beutel an sich nahm. »Jalav und ich werden die Aufteilung selber vornehmen«, sagte er, verschmitzt grinsend. »Ich habe ihr versprochen, ihr und ihren Gefährtinnen die Stadt zu zeigen, und werde mit dem Jahrmarkt hier beginnen. Ich wünsche euch noch einen guten Tag.«
Damit nahm er meinen Arm und führte mich hinüber zu meinen Kriegerinnen. Fayan war mit dem Ausgang der Sache nicht zufrieden. »Ihr Männer gebt immer zu früh auf«, murrte sie. »Hättet ihr weitergemacht, dann hätte Jalav unzweifelhaft gewonnen.«
Nidisar blickte sie verärgert an. »Du solltest dich daran erinnern, Mädchen, daß es Jalavs Wurf war, und nicht deiner, der meinem gleichkam. Im übrigen solltest du deinen Ton mäßigen, wenn du mit mir sprichst, sonst muß ich dir beibringen, daß ich ein Mann bin, der niemals aufgibt.« Fayan griff zum Schwert, aber hier war nicht der Ort, um verletzten Stolz zu rächen. Deswegen sagte ich scharf: »Fayan, er ist unbewaffnet und nur ein Mann. Du solltest seine Worte nicht so auffassen wie die einer Kriegerin.« »Mir gefällt seine Art nicht«, grollte Fayan, aber sie ließ ihr Schwert wieder los. »Laß uns zu den anderen zurückkehren, Jalav, und das, was wir erledigen wollen, so schnell wie möglich hinter uns bringen. Dieser Ort gefällt mir nicht.« Ich entgegnete: »Nidisar hat versprochen, uns die Stadt zu zeigen. Das mag sehr nützlich sein.« Fayan erwiderte nichts, hielt sich aber von Nidisar fern, als wir zu Binat und Comir gingen, die bei den Kand auf uns warteten. Ich hoffte, daß ihr Schwert in der Scheide bleiben würde, denn der Mann hatte mir gefallen, und ich wollte nicht, daß man ihn erschlug.
Binat und Comir lauschten mit Interesse, was Larid ihnen über das Geschehen berichtete. Nidisar streichelte mein Kan und sagte: »Das ist ein feines Tier. Wird so etwas in deiner Heimat aufgezogen?«
»Nein, wir haben uns diese Tiere nur eingehandelt«, sagte ich. Da Mida schon ihren Höhepunkt am Himmel überschritten hatte, trieb ich zur Eile.
»Zunächst möchte ich euch den Jahrmarkt zeigen«, schlug der Mann vor. »Und da der Wettbewerb in mir eine gewisse Leere zurückgelassen hat, gehen wir am besten zunächst in einen Pavillon, in dem es etwas zu essen gibt. Mittel dafür haben wir ja genug.« Damit klopfte er auf den Beutel, der an seinem Gürtel hing.
Ich verstand wieder nicht recht, was er damit meinte. Enthielt der Beutel etwas, was man in Speisen und Getränke umtauschen konnte? Ich hatte großes Verlangen, ihn zu fragen, unterließ es aber, sondern sagte lediglich: »Auch ich bin hungrig.«
Ich holte meine Gefährtinnen zusammen und wir gingen, mit den Kand im Gefolge, hinüber zu den bunten Zelten. Unterwegs begegneten uns einige Männer, die Nidisar zu seinem Erfolg beglückwünschten. Er akzeptierte, als ob es allein sein Erfolg gewesen war.
Schließlich kamen wir bei einem rotgestreiften Zelt an, dessen Eingang offenstand. Im Innern bemerkte ich lange Balken von der Art, wie sich einer bei Maranu befand. Diese hier standen aber auf höheren Beinen, und zu beiden Seiten befanden sich niedrigere Balken, auf denen Männer mit ihren Sklavenweibern saßen. An der Seite des Zelts standen große Töpfe, in denen Weiber rührten und durch einen schmalen Durchgang konnte ich ein großes Feuer sehen, über dem ein ganzes Nilno briet. Das Nilno wurde von einem jungen Mann am Spieß gedreht. Vor den Töpfen an der Seite stand ein kleiner, rundlicher Mann, der von den anderen Männern etwas in Empfang nahm, was er in einen Beutel an seinem Gürtel tat. Ich konnte mir nicht vorstellen, was diese Töpfe enthielten, aber der Geruch, der aus ihnen aufstieg, gefiel mir überhaupt nicht und meinen Kriegerinnen offensichtlich auch nicht. »Ihr könnt eure Kand dort anbinden«, sagte Nidisar und wies auf einen Stamm, der vor dem Zelt lag. Dann führte er uns in das Zelt und ging mit uns zu den Töpfen. »Was darf ich Ihnen anbieten, Meister?« sagte der kleine Runde mit breitem Lächeln. »Vielleicht Sednetsuppe, oder eine dampfende Schüssel voll Lellin-Eintopf ?« »Von jedem etwas, Herr Wirt«, entgegnete Nidisar jovial, »und dann noch eine Flasche Renth, um meine Kehle zu netzen.« Dann wandte er sich an mich. »Und was möchtest du, Jalav? Wenn du willst, kannst du mit deinem Anteil an der Börse auch leicht die anderen füttern.«
»Ich möchte nur ein wenig von jenem Nilno«, sagte ich, die Nase über die aus den Töpfen kommenden Gerüche rümpfend. »Und für meine Kriegerinnen das gleiche.« Der rundliche Mann runzelte ärgerlich die Stirn. »Das Nilno ist noch nicht fertig«, sagte er und musterte mich verächtlich. »Wenn den Dirnen meine Angebote nicht behagen, mein Herr, können sie sich gerne wieder hungrig davonmachen.« »Was bedeutet ›Dirnen‹ ?« fragte ich. Mir gefiel weder der Ton des Mannes noch sein Benehmen oder das, was er anzubieten hatte. Meine Hand berührte noch nicht mein Schwert, aber es war nicht weit entfernt.
»Das bedeutet Frauen«, sagte Nidisar hastig, eine Hand auf meinem Arm, »einfach nur: Frauen, Jalav. Wenn das Nilno noch nicht fertig ist, laß mich dir den Lellin-Eintopf empfehlen. Er schmeckt hier sehr gut.«
»Ich mag davon nichts«, sagte ich. Dann blickte ich den kleinen Dicken scharf an und sagte: »Entweder schneidest du uns einige Portionen von dem Nilno ab, oder wir werden es selber tun.« Wie durch Zauberei hatte Fay an ihren Dolch in der Hand.
Der Mensch erblaßte und stotterte: »Ich... ich bitte um Entschuldigung. Ich würde den Damen gern das Nilno servieren, aber es ist erst weniger als eine Stunde auf dem Feuer.« »Bring uns die Portionen«, befahl ich. »Wir haben hier keine Zeit zu verschwenden.«
Der Mann eilte zu dem Nilno, während eins der Sklavenweiber Nidisar ängstlich zwei hölzerne Schüsseln reichte. Nidisar nahm die Schüsseln mit freundlichem Lächeln entgegen, dann trat er näher an mich heran.
»Du mußt die Leute hier nicht so behandeln, Jalav«, zischelte er mir ins Ohr. »Es ist skandalös für eine Frau, sich so zu benehmen. Wir wollen doch nicht, daß man die Wache ruft, nicht wahr? Zügle dein Temperament, Mädchen, sonst schleppt man uns noch in die Verliese des Hohen Senats.« »Mit einer Kriegerin spricht man nicht in dieser Weise«, entgegnete ich zornig. »Dieser Mensch sollte bessere Manieren annehmen, sonst macht er Bekanntschaft mit meinem Schwert.«
Nidisar stieß einen ärgerlichen Ton aus, als der rundliche Mann mit einem kleinen Stück Holz wiederkam, auf dem einige Stücke Nilnofleisch lagen. Das händigte er mir ängstlich aus, dann wandte er sich an Nidisar, der in den an seinem Gürtel hängenden Beutel griff und ein flaches, silbrig glänzendes, fünfeckiges Stück Metall herauszog. Dies nahm der kleine Mann ohne Kommentar entgegen, tat es in seinen Beutel und gab Nidisar einige rötlich glänzende Metallscheiben zurück.
Ich hatte also mit meiner ursprünglichen Vermutung, daß der Beutel etwas enthielt, was gegen andere Sachen eingetauscht werden konnte, nicht recht behalten, denn wer gab schon Sachen von Wert gegen solch wertlose Stücke Metall her? Und gehandelt hatten die beiden auch nicht. Nein, der Austausch von Metall mußte eine andere Bedeutung haben, die ich nicht verstand.»Laßt uns nun essen«, sagte Nidisar. »Ich glaube, der Platz dort hinten in der Ecke könnte uns gefallen.« Damit ging er zu einem Balken, der an der Seite des Zeltes stand, und stellte die Schüsseln, die er bekommen hatte, darauf. Dann setzte er sich auf den niedrigeren Balken, der davor stand, und begann, seinen Mund mit Hilfe eines kürzeren Holzes, das vorne etwas ausgehöhlt war, zu füllen. Mir gefielen diese Balken nicht. Deswegen nahm ich das Nilnofleisch, das noch blutig und fast roh war, gab meinen Kriegerinnen davon ab, und ließ mich dann mit ihnen auf dem Boden an der Zeltwand nieder. Nidisar hörte einen Moment mit dem Essen auf, starrte uns an, als könne er seinen Augen nicht trauen, schüttelte den Kopf und aß dann weiter. Als wir fertig waren, holte Binat einen Wasserbeutel von ihrem Kan, und wir tranken alle daraus, während Nidisar das Gefäß leerte, das er bekommen hatte. Dann kam er fröhlich zu uns herüber.
»Eine exzellente Mahlzeit«, sagte er. »Schade, daß ihr daran nicht teilnehmen wolltet. Wieviel von dem Nilno war eßbar?« »Alles«, sagte ich verwundert.
Sein Lächeln verschwand, und er starrte uns ungläubig an. »Aber es war doch noch fast roh«, sagte er. »Was seid ihr für Frauen, daß ihr rohes Nilnofleisch eßt?« »Hungrige Frauen«, entgegnete ich. Ich war nicht erstaunt, denn ich wußte, daß Männer Fleisch nur gut durchgebraten essen können, sonst können sie es nicht vertragen. Dann sagte ich: »Zeig uns jetzt die Stadt.«
Er runzelte die Stirn, verschränkte die Arme auf der Brust und sagte: »Du kommandierst mir zuviel, Jalav. Ich bin es nicht gewohnt, mich von einem Weib kommandieren zu lassen, selbst wenn es den Speer so gut schleudert wie ich selbst und ein Nilno roh ißt. Wenn ich dich führen soll, Mädchen, mußt du mich höflich bitten.«
Wieder schien Nidisar verärgert, und doch hatte ich nichts getan, um ihn zu verärgern. »Meine Worte waren nicht unhöflich gemeint«, entgegnete ich. »Wenn Nidisar sie aber so empfindet, werden wir uns die Stadt eben alleine ansehen«, sagte ich, mit den Schultern zuckend und wendete mich ab. Wir hatten kaum einige Schritte getan, als er hinter uns herkam und rief: »Halt! Jalav, ich habe meine Meinung geändert. Deine Worte waren tatsächlich nicht so unhöflich, wie ich zunächst dachte. Außerdem«, grinste er, »würde ich die Art vermissen, in der du mit den Schultern zuckst. Ich habe noch nie ein so attraktives Schulterzucken gesehen.« »Er ist der reinste Sthuvad«, sagte Fayan verächtlich. »Ich glaube, er könnte allen Hosta zu Diensten sein, so wie er ist.« »Was bedeutet ›Sthuvad‹ ?« fragte Nidisar aggressiv. »Wenn es das bedeutet, was ich glaube, dann ist eine unter euch, die ihre Worte bedauern wird.«
»Es bedeutet nur Mann«, sagte ich, »nichts als: Mann.« »Ich habe den Verdacht, daß es etwas Schlimmeres bedeutet«, entgegnete er. »Aber belassen wir es dabei. Ich möchte euch noch etwas anderes auf dem Jahrmarkt zeigen, dann sehen wir uns die Stadt an.«
Nidisar ging voran. Wir kamen an vielen Zelten vorbei, manche offen, manche geschlossen, bis wir schließlich zu einem kamen, das gold-weiß gestreift war. Die anderen Zelte hatten nach verdorbenem Gemüse und Fleisch, Stoffen, Öl oder Gewürzen gerochen, aber dieses hier roch nach gar nichts. Es war allseitig verschlossen, und nur wenige Leute gingen hinein. »Ich bin in wenigen Augenblicken wieder zurück«, sagte er und verschwand. Als er wieder zurückkam, trug er ein goldenes Armband mit funkelnden Steinen am linken Arm. Er schien sehr stolz auf seinen Erwerb zu sein, rieb es an seinem Gewand blank und zeigte es mir dann.
»Ich habe mir schon lange so etwas gewünscht«, sagte er, mit tiefer Befriedigung in der Stimme. »Ist es nicht jeden Preis wert, der dafür verlangt wird?«
»Es sieht nicht schlecht aus«, sagte ich und fragte mich insgeheim, wozu es wohl von Nutzen sei. Das Metall war zu dünn, um selbst die Klinge eines Dolches abzuwehren, und es funkelte derart, daß es, außer in absoluter Dunkelheit, immer die Position eines Kriegers verraten würde. Vielleicht, so überlegte ich, wollte er damit einen Feind blenden, so daß er ihn leichter mit dem Schwert treffen konnte.
»Ich habe auch etwas für dich«, sagte er, griff in sein Gewand und zog einen Kamm heraus, der offensichtlich aus dem gleichen Metall wie sein Armreif gemacht war. »Der wird sich in deiner pechschwarzen Mähne gut ausmachen«, sagte er. Ich sah mir den Kamm näher an, dann lächelte ich. »Die Kämme, die ich benutze, sind dreifach so stark wie dieser hier, aus gutem, festem Holz, und brechen trotzdem gelegentlich ab. Dieser hier würde sofort zerbrechen.«
»Nein, nein, Jalav«, lachte er, »dieser Kamm hier wird nicht benutzt, er wird getragen. Hast du noch nie einen Kamm in dein Haar gesteckt?«
»Niemals«, sagte ich und bemerkte, daß der Tag sich inzwischen seinem Ende neigte. »Hast du jetzt alles erledigt, was du wolltest? Es wird Zeit, daß wir weitergehen.« »Du läßt dich wohl niemals von einem Vorhaben abbringen«, sagte Nidisar enttäuscht. »Ich möchte dir gerne einmal zeigen, wie man einen solchen Kamm gebraucht. Komm mit, es dauert nur einen Moment.«
Er übergab Larid den Zügel meines Kan und zog mich zu einem großen, grellfarbigen Zelt in der Nähe. Es war gleichfalls ringsum geschlossen. Ich hatte viele Männer hineingehen sehen, aber nur wenige herauskommen. Ich war nicht sicher, ob ich es überhaupt betreten wollte, aber bevor ich meine Zweifel äußern konnte, hatte Nidisar mich schon hineingeschoben, und dann konnte ich nur noch staunen.
Die Fläche, auf der wir standen, maß etwa zehn mal zehn Schritt. Sie wurde von vielen kleinen, farbigen Kästen, die oben offen waren, erleuchtet, so daß die Hitze der Kerzen abziehen konnte. Die Wände des Zelts waren mit pastellfarbenen Seidentüchern behängt, der Boden mit eingefärbten Tierfellen belegt. Darauf lagen große, schwarze, ausgestopfte Säcke aus Tuch, deren Zweck mir nicht klar war. Über einem kleinen, runden, schwarzen Balken in der Mitte des Raumes hing eine Schnur mit einer Anzahl Metallteile. Als Nidisar daran zog, machten sie ein schwaches, klingelndes Geräusch.
Daraufhin erschien hinter einem Vorhang ein Sklavenweib, wie ich es noch nie gesehen hatte. Sie war nicht sehr groß, aber schlank und gelenkig, und bewegte sich so mühelos, als gleite sie über öl. Sie war mit bunten Seidentüchern bekleidet, durch die man aber ihren ganzen Körper sehen konnte. An der Stelle, wo die Midanna ihre Stammesfarben tragen, trug diese Frau schmale, goldene Ketten, die so angebracht waren, daß ein Mann, der sie benutzte, damit vermutlich ihre Bewegungen dirigieren konnte. Ich hatte den Eindruck, daß, wenn sie sich dagegen wehren wollte, die Ketten ihr starke Schmerzen zufügen würden.
Ihre Füße waren bloß. Ihr Haar trug sie hoch aufgesteckt. Es wurde hier und da von kleinen Metallteilen zusammengehalten. Ihr Gesicht war sehr hübsch. Als sie Nidisar erblickte, lächelte sie und bewegte sich langsam auf ihn zu. Während sie näherkam, war ein seltsamer Geruch zu spüren, so stark und süß, wie er mir nie zuvor begegnet war. Er glich nicht im entferntesten den Gerüchen in dem anderen Zelt, und beleidigte doch auch meine Sinne.
»Mein lieber Nidisar«, sagte sie und legte leicht ihre Hand auf seinen Arm, »bist du schon so bald zu uns zurückgekehrt? Es ist uns immer eine Freude, dich zu Gast zu haben.« »Ich bin diesmal zu einem ganz anderen Zweck zurückgekommen, Melai«, entgegnete er und tätschelte vertraulich ihren Rücken. »Ich möchte nur, daß du Jalav den Gebrauch eines Haarkamms, wie du ihn trägst, erklärst. Dein Pavillon war nahe, sonst hätte ich dich nicht gestört.« »Es ist keine Störung«, erwiderte sie, dann wandte sie mir ihre Aufmerksamkeit zu. Ihre Augen bekamen einen verwunderten Ausdruck. »Sie ist noch sehr jung«, sagte sie bewundernd, »aber schon eine reife Frau. Ich kann dich zu deiner Wahl beglückwünschen, Nidisar. Aber warum trägt sie all diese Waffen? Sie hat doch wohl nicht die Absicht, sie zu benutzen?«»Jalav ist sehr erfahren im Gebrauch von Waffen«, meinte Nidisar, und ich glaubte mehr Verdruß als Zustimmung herauszuhören. »Sie sollte sich auch im Gebrauch von anderen Dingen üben. Deswegen habe ich ihr diesen Kamm hier gekauft. «
Er zog erneut den Kamm hervor und reichte ihn der Frau, die ihn bewundernd betastete. »Er ist sehr schön«, sagte sie. »Du hast großes Glück, Jalav. Komm zu mir, mein Kind, und nimm das Lederband aus deinem Haar.«
Ich legte die Hand auf meinen Schwertgriff und sagte: »Ich werde weder das Lederband abnehmen, noch habe ich Lust, meine Zeit hier noch länger zu vergeuden. Kommst du, Nidisar, oder müssen wir ohne deine Führung zurechtkommen?« Nidisar schien aufgebracht, nahm aber wortlos den Kamm von dem Sklavenweib zurück, steckte ihn ein und folgte mir aus dem Zelt. Ich war belustigt darüber, daß Nidisar mich mit einen von diesen Frauen gleichsetzte.
Er wählte einen Weg in die Stadt, der durch äußerst baufällige Behausungen hindurchführte. Dabei sprach er von der Gasse der Flickschuster, der Gasse der Küfer und der Gasse der Schmiede und nannte weitere Bezeichnungen, die mir ähnlich sinnlos erschienen. Wir stolperten über Abfälle, die im Wege lagen, und mußten eine Menge Männer beiseite schieben, die zuviel Daru genossen hatten, folgten ihm aber weiter, um die Stadt gründlich kennenzulernen.
Endlich kamen wir auf eine breitere Straße, auf der keine Abfälle herumlagen. Die Männer, die dort ritten oder gingen, zeigten auch keine Anzeichen von Daru-Besessenheit. Viele von ihnen trugen eine Rüstung aus Metall und Leder, wie die Männer am Stadttor sie getragen hatten. Alle betrachteten uns sehr neugierig. Dann erblickten wir wieder das unwahrscheinlich große Gebäude, das wir zuvor schon gesehen hatten. »Der Sitz des Hohen Senats«, sagte Nidisar. »Ist dieser Palast nicht sehr beeindruckend?«
»Ist das dort auf der rechten Seite ein weiteres Tor?« fragte ich. »Ja, das ist ein Stadttor«, antwortete er, dann kam er näher an mein Kan heran. »Du hast nun alles gesehen, außer der Straße der Jäger, in der ich wohne. Das habe ich bis zuletzt aufgehoben, als Bestes. Komm mit mir, Jalav, und ich werde dich mit gutem Renth bewirten. Den Geschmack wirst du dein Leben lang nicht mehr vergessen.«
In seinen Augen war zu lesen, was er wollte. Er war nicht unattraktiv, und ich hätte ihn unter anderen Umständen gern auf mein Schlafleder genommen, aber nun war zunächst der Umstand des zweiten Tores zu bedenken. Also sagte ich: »Das hat Zeit. Ich möchte zunächst noch mehr sehen.« Ärgerlich entgegnete er: »Wie du willst. Zunächst der Palast. «
Er war aus glattem, rötlichem Stein erbaut und hatte an allen Seiten viele Fenster. Durch seinen geöffneten Eingang, der von zwei bewaffneten Männern bewacht wurde, konnte man einen vielfarbigen Stoff auf dem Boden liegen sehen, über den viele Leute ohne sichtbares Ziel hin und her eilten. Ich spürte kein Verlangen, mir solch einen Ort näher anzusehen, und wandte mich dem Tor zu, das auf seiner rechten Seite lag. Es war von etwa der gleichen Größe wie das erste, aber viel weniger benutzt, nur von Männern, die in Leder und Metall gekleidet waren. Diese trugen, im Gegensatz zu den anderen, auch Kopfbedeckungen aus Leder und Metall. Mir war nicht ganz klar, warum die Männer am ersten Tor nicht so etwas getragen hatten, vermutlich, weil sie nur mit harmlosen Männern und Weibern zu tun hatten. Andererseits sollte man niemals annehmen, daß jemand harmlos ist. Auch die Hadat sehen sehr harmlos aus, bis sie angreifen. Ich konnte nur hoffen, daß die Bewacher von Ranistard ähnlich sorglos sein würden.
Ich sagte zu meinen Kriegerinnen: »Es scheint mir nun an der Zeit, daß wir die Stadt verlassen. Gleich wird die Dunkelheit hereinbrechen, und ich möchte nicht, daß die Tore geschlossen werden, während wir uns noch in der Stadt befinden.« Fayan stimmte heftig zu, und auch die anderen waren der gleichen Meinung. Ich wollte gerade mein Kan besteigen, als mich Nidisars Hand zurückhielt. Entgegen meiner Erwartung war er aber nicht verärgert, sondern eher belustigt. »Dieses Tor ist nur für die Wachsoldaten bestimmt, Jalav«, sagte er amüsiert. »Dort werden sie euch nicht hinauslassen. Und das andere Tor ist zu weit entfernt, als daß ihr es noch vor Anbruch der Dunkelheit erreicht. Ihr müßt also schon bis morgen früh in der Stadt bleiben. Wollt ihr euch nicht also doch die Straße der Jäger ansehen? Ich führe euch gerne.« »Der Sthuvad lügt«, fauchte Fayan. »Er will uns nur für seine eigenen durchsichtigen Zwecke hierbehalten. Traue ihm nicht, Jalav!«
»Das werden wir gleich herausfinden«, entgegnete ich. »Larid und Binat, reitet zum Tor und sagt, daß wir passieren wollen, dann kommt mit der Antwort zurück.« Gehorsam ritten sie hinüber und kamen in kurzer Zeit mit der Antwort zurück. »Es ist, wie er es sagt«, erklärte Binat verärgert, »durch dieses Tor können wir nicht hindurch, und das andere ist zu weit entfernt.«
»Die Männer wollen uns nicht hindurchlassen«, fügte Larid hinzu, »aber sie bieten uns Unterkunft bis zum Morgen an. Sollten wir uns nicht mit unseren Schwertern hindurchkämpfen?« Fayan stimmte ihr eifrig zu.
»Seid ihr verrückt?« sagte Nidisar. »Wollt ihr, daß euer Blut vor dem Tor vergossen wird?«
»Vielleicht sollten wir es wagen«, überlegte ich, keine Notiz von Nidisar nehmend, der trotz allem doch lediglich ein Mann war. Ich schätzte die Entfernung zum Tor und zu den Wachen ab.
Es gab zwei Schwierigkeiten. Die eine bestand darin, daß ich nicht wußte, wie lang wir benötigen würden, um die Wachen am Tor zu überwinden. Zum anderen war das Tor geschlossen, und ich wußte nicht, ob uns genug Zeit blieb, es zu öffnen, ehe die anderen ihren Kameraden zur Hilfe kamen. »Jalav, sei nicht albern«, grollte Nidisar. »Ich dachte, du wärst klüger als deine Gefährtinnen. Siehst du die Wachhäuser zu beiden Seiten des Tores? Sie sind voller Wachen, die ihren Kameraden sofort zur Hilfe eilen würden. Und ihr tragt noch nicht einmal eine Rüstung. Kommt sofort mit!« Er hatte recht, wir hätten kaum eine Chance zum Durchbruch gehabt. Trotzdem hätte ich es gewagt, wenn wir nicht die Aufgabe gehabt hätten, den Kristall der Mida zurückzuholen. Resigniert wandte ich mich ab.
»Es ist Midas Wille, daß wir bis zum neuen Licht hierbleiben«, sagte ich. »Wir benötigen unsere Schwerter noch zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort.«
Erneut folgten mir meine Kriegerinnen gehorsam. Nidisar war erfreut. »Du hast recht daran getan, mir zu glauben, Jalav«, sagte er. »Kommt, ich führe euch zur Straße der Jäger.« »Sollten wir die Nacht nicht auf dem Platz mit den Zelten verbringen?« gab Fayan zu bedenken. Sie gönnte Nidisar offensichtlich nicht die Freude unserer Gegenwart. »Das wäre zu überlegen«, entgegnete ich. Nidisar blickte Fayan zornig an. Sie erwiderte kühl seinen Blick. »Der Jahrmarkt darf nach der Zeit, an der die Fackeln gelöscht werden, nicht mehr betreten werden«, fauchte er. »Solltet ihr es dennoch wagen, würde man die Wachen rufen. Ich gehe nun in die Straße der Jäger. Wenn ihr wollt, könnt ihr mir folgen.« Damit wandte er sich um und ging weg, den Rücken gestreckt und den Kopf hoch erhoben, ganz das Bild eines beleidigten Mannes. Ich lachte über den Gedanken, wie kindisch Männer doch sein können. Er wollte uns zeigen, daß er kein Verlangen nach uns hegte. Wären wir jedoch fortgeritten, wäre seine Enttäuschung groß gewesen.
Wir folgten ihm, bis wir zu einem Gebäude kamen, das über dem Eingang das Bild eines Mannes mit einem Bogen zeigte, dem eine Frau einen hohen, schmalen Topf reichte. »Ihr könnt eure Kand hier anbinden«, sagte er und wies auf einen Pfosten neben dem Eingang. »Der Renth hier ist von bester Qualität, und die Bedienung gleichfalls.«
Er hatte sich wieder gefangen und wartete geduldig ab, bis wir abgestiegen waren und unsere Kand angebunden hatten. Die Straßen der Stadt waren bereits dunkel und nur hin und wieder von Fackeln erleuchtet. Auch in dem Gebäude brannten Fackeln.
Wir betraten einen Raum, der etwa fünfundzwanzig auf zwanzig Schritte groß war. Auf seinem Boden lag ein großes Tuch in braunen und grünen Tönen, und darauf lagen sechs bis acht Männer, die sich teilweise auf Säcke von der Art stützten, wie ich sie im Zelt des merkwürdig riechenden Sklavenweibes gesehen hatte. An den Wänden des Raumes hingen zahlreiche Waffen. Jeder der Männer auf dem Tuch hatte neben sich einen großen, hölzernen Topf, aus dem sie gelegentlich einen Schluck nahmen. Sie begrüßten Nidisar und sahen mich und meine Kriegerinnen neugierig an.
»Nidisar«, rief einer, »ist das nicht das Mädchen, das mit dir beim Speerwerfen gleichgezogen hat? Bring sie her. Wir helfen dir gerne, sie und die anderen zu unterhalten.« »Ein guter Gedanke«, lachte Nidisar. »Ich habe ihnen einen ordentlichen Schluck Renth versprochen, ehe sie am Morgen wieder fort müssen.«
Diese Worte begrüßten die anderen mit lautem Gelächter. Larid, Binat und Comir musterten die Männer mit Interesse, denn die meisten von ihnen waren selbst nach Hosta-Standards akzeptabel. Selbst Fayan schien sie passabel zu finden. »Vielleicht können wir uns hier eine Zeitlang ganz gut unterhalten«, meinte sie. »Ich bedauere es nur, daß wir keine Gelegenheit zur Jagd hatten, denn ich habe bereits wieder Hunger.« »Ich auch«, entgegnete ich, »aber wir müssen wohl warten, denn Nilnofleisch werden wir hier nicht bekommen, und der andere Fraß in dieser von Mida verlassenen Stadt ist nicht zu genießen.«
Nidisar stellte uns mit breitem Grinsen vor. »Freunde«, sagte er, »das sind Jalav, Larid, Binat, Comir und Fayan, alles berühmte Jägerinnen.«
»Sie können sich gerne meiner Jagdgruppe anschließen, wann immer sie es wünschen«, sagte einer, ein großer, der fast so rote Haare wie Larid hatte. »Ich glaube, daß ihre Gegenwart etwas Wärme in die Kälte der Wälder bringen würde.«
Die Männer lachten und auch wir mußten lachen in Erinnerung daran, welche Wärme seine Kameraden, die die Hosta noch immer gefangenhielten, in die Wälder gebracht hatten. »Nehmt Platz«, sagte Nidisar zu uns und ließ sich selber auf dem Tuch nieder. Er war uns während des Tages manchmal sehr nützlich gewesen, und so konnten wir schlecht in seiner eigenen Behausung unhöflich zu ihm sein. Also ließ ich mich an seiner Seite mit gekreuzten Beinen nieder, und meine Kriegerinnen folgten meinem Beispiel.
Plötzlich tauchte zu meiner Rechten ein Sklavenweib auf. Sie trug nur ein kurzes Gewand und sah recht hübsch aus. Um das rechte Fußgelenk trug sie ein Lederband mit runden Metallstückchen, die ein leises Geräusch machten. Als sie näherkam, sah ich, daß sie um den Hals ein schmales Metallband trug. Sie sah uns erstaunt an, dann fiel sie vor Nidisar auf die Knie. »Das Haus begrüßt dich, Herr«, sagte sie mit gesenktem Kopf. »Was darf ich dir bringen?«
»Ich und meine Gefährtinnen wünschen Renth«, erwiderte Nidisar. »Doch bevor du wieder hinausgehst, nenne ihnen doch den Namen dieses Hauses.«
»Es heißt ›Der Jäger und das Sklavenmädchen‹«, entgegnete sie, die Augen noch immer niedergeschlagen. Nidisar und seine Freunde sahen mich mit einem merkwürdigen Lächeln an. Ich konnte den Grund nicht verstehen. »Was siehst du mich so merkwürdig an?« fragte ich ihn, die Hand wie zufällig auf dem Schwertknauf. »Dachtest du, ich würde den Namen kennen?«
»Sagt er dir gar nichts, Mädchen?« fragte Nidisar amüsiert. »Ist dir nicht bewußt, daß alle Frauen in diesem Haus Sklavinnen sind?«
»Das begreife ich nicht«, entgegnete ich. »Sind nicht alle Frauen in den Städten Sklavinnen?«
»Er glaubt, daß wir genauso sind wie sie«, erklärte Fayan und lachte herzlich. Meine anderen Kriegerinnen stimmten ein. Ich weidete mich an Nidisars Verblüffung und der seiner Freunde. Das Sklavenweib hatte die Augen erhoben, aber ich glaubte,auf ihren Wangen eine leichte Schamröte zu entdecken. Hätte ich nicht gewußt, daß die Frauen in den Städten keine Seele besitzen, dann würde ich ihr verraten haben, daß man einem Sklavenhalter nur die Kehle durchzuschneiden braucht, um frei zu sein. Aber ich gab ihr diesen Rat nicht, denn solche ohne Seele haben auch nicht den Mut, ihn zu befolgen. »Du kannst nun den Renth bringen«, sagte Nidisar zu der Sklavin. Dann rückte er näher an mich heran und fragte: »Wieso glaubst du, anders zu sein als diese Sklavin? Seid ihr nicht beide Weiber?«
»Das stimmt«, entgegnete ich, »wir sind beide Weiber, aber Männer sind auch alle Männer, und besteht nicht trotzdem ein Unterschied zwischen ihnen? Die einen sind mager und schmächtig und ohne Kraft, und die anderen sind groß und stark, eine Freude für jede Kriegerin. Warum siehst du keinen Unterschied zwischen mir und jener Sklavin? Glaubst du, sie würde den Speer genauso gut werfen wie ich?« »Nein, das nicht«, erwiderte er und tätschelte meine Wange. »Aber ich würde dich gerne wie sie zu meinen Füßen knien sehen. In dieser Beziehung mache ich keine Unterschiede zwischen Frauen, obwohl die einen bessere Sklavinnen sind als die anderen.«
»An mir würdest du wenig Freude als Sklavin haben«, sagte ich. »Du würdest ewig in Furcht leben, an meiner Seite einzuschlafen, weil ich mich irgendwann befreien würde.« Unser Gespräch wurde unterbrochen, als drei Sklavinnen, gekleidet wie die erste, den Renth hereinbrachten. Ich nahm einen der merkwürdig geformten Behälter, in denen er sich befand, und kostete. Er schmeckte fast wie ungegorener Daru, etwas süßer, aber nicht schlecht.
»Nun, wie schmeckt er dir?« fragte Nidisar mich mit einem Lächeln.
»Nicht schlecht«, entgegnete ich und trank den Rest aus. »Besser würde er allerdings noch zusammen mit einer Portion Nilno schmecken.« »Entschuldige, daß ich daran nicht gedacht habe«, sagte er und bestellte sechs Portionen Nilno. In der Zwischenzeit leerten wir erneut unsere Gefäße.
Bis das Nilnofleisch kam, hatten wir einigen Renth getrunken. Danach rückten meine Kriegerinnen und die Jäger enger zusammen. Fayan hatte sich den großen Rothaarigen ausgesucht. Allerdings wanderten auch Nidisars Augen öfter zu ihr hin. Er würde aber, das wußte ich, bei ihr keine Chance haben. Wer zuerst davon sprach, weiß ich nicht mehr, aber plötzlich warfen wir unsere Dolche in einem Spiel. Comir stand als erste auf. Sie war noch sehr jung und kaum an die Wirkung von Daru gewöhnt. Sie blickte schwankend auf die Zielscheibe an der Wand, wollte werfen und ließ den Dolch fallen, ohne es zu merken. Wir alle brüllten vor Lachen, als sie auf dem Boden herumkroch und ihn vergeblich suchte. Einer der Jäger fand ihn für sie. Sie nahm ihn entgegen und fiel ihm dann in die Arme. Er trug sie weg, ohne daß ich ihr zur Hilfe kam. Das sollte ihr eine Lehre sein, wenn sie am Morgen mit schmerzendem Kopf aufwachte und feststellen mußte, daß sie von einem Mann ohne ihre Einwilligung genommen worden war. Zukünftig würde sie sich besser in acht nehmen. Binat warf als nächste. Sie traf direkt in den Mittelpunkt der Scheibe. Der Jäger, der ihr folgte, traf dagegen lediglich die Wand. Dann wäre Fayan an der Reihe gewesen, aber sie war nirgends zu sehen. Der Rotharige, mit dem sie sich abgegeben hatte, stand jetzt mit Binat zusammen. Ich nahm an, daß sie jemand anderen gefunden hatte, der sie mehr interessierte. Also warf ich meinen Dolch aus kurzer Entfernung auf die Scheibe, als mir jemand unerwarteterweise auf die Schulter tippte. Es war derjenige von den Torwachen, der mich später noch treffen wollte. »Ein guter Wurf«, sagte er.
»Die Scheibe ist auf diese Entfernung wohl kaum zu verfehlen«, entgegnete ich.
»Das stimmt«, lachte er. »Magst du noch etwas Renth? Ich bin Pileth, Hauptmann der Wache des Hohen Senats.« »Ich bin Jalav«, sagte ich, »und habe nichts gegen Renth.«Pileth war mit sechs Männer der Wache gekommen. Er führte mich an meinen Platz zurück. Mit Genugtuung merkte ich, daß Nidisar verschwunden war. Pileth hatte dunkles Haar, dunkle Augen und ein scharfgeschnittenes Gesicht. Er gefiel mir sehr viel besser, also bedauerte ich es nicht.
Als eine Sklavin uns neuen Renth brachte, stieß jemand sie an, so daß sie etwas davon über meinen Arm verschüttete. Pileth wurde wütend, und die Sklavin warf sich jammernd vor ihm auf den Boden, als ob sie an dem Versehen schuld sei. Dies machte mich zornig. Ich stand auf, nahm den Becher mit Renth und leerte ihn über dem Mann, der die Sklavin gestoßen hatte. Er sprang wutentbrannt auf, aber meine Hand am Schwert besänftigte seinen Zorn sofort.
Pileth bestand darauf, den verschütteten Renth von meinem Arm mit der Zunge abzulecken. Dies brachte mein Blut in Wallung, und ich hatte deshalb nichts dagegen, als er mich sanft zu einer Tür im Hintergrund des Raumes zog. Durch diese Tür waren, das hatte ich beobachtet, nicht nur die Sklavinnen hereingekommen, die uns bedienten, sondern ab und zu auch Männer verschwunden, die nach einer Weile höchst befriedigt wieder herauskamen. Als wir durch die Tür traten, sah ich einen Mann, der eine Sklavin am Haar hinter sich her zog. Die Frau wimmerte, machte aber keinen Versuch, seinem Griff zu entkommen. Der Mann schob sie durch eine der vielen engen Türen, die es dort gab, und zog die Tür hinter sich zu.
Die meisten anderen Türen waren ebenfalls geschlossen, einige standen aber offen. Pileth ging durch die nächste offenstehende, zog mich hinein, schloß die Tür und verriegelte sie. Der Raum, in dem wir uns befanden, war sehr klein und lediglich mit einem Lengapelz auf dem Boden und einer Kerze in einem Kasten an der Wand versehen.
Als Pileth begann, sich auszuziehen, legte ich auch mein Schwertgurt ab. Er begann, mich mit den Händen zu liebkosen, so wie Fideran es oft getan hatte. Es stimmt schon, einen Mann zu benutzen, dessen Hände gefesselt sind, bereitet nur das halbe Vergnügen. Nebenan weinte eine Frau, aber ich achtete nicht darauf, sondern widmete mich nur noch meinem Vergnügen mit Pileth.