Kapitel 12.

Ich wachte während der Nacht mehrmals auf und schaute hinaus, konnte aber nur wenig sehen. Da war nichts als das gleichmäßige Rattern der Räder, die sich über den Schienenstrang bewegten, das rhythmische Schwanken des Zuges und vor meinem Fenster nur ein nebelhafter Schleier. Ich konnte nur mit Mühe Schlaf finden, und als es endlich soweit war, wurde ich von merkwürdigen Träumen heimgesucht. Als sich jenseits des Flusses der erste Schimmer des Sonnenaufgangs zeigte, war dies Anlaß genug für mich, aufzustehen und mich für den Tag vorzubereiten.

Es dauerte zwar einige Zeit, aber nach einer Weile des Herumprobierens enträtselte ich den Mechanismus des Waschbeckens. Es gelang mir, mich darin zu waschen und mein Gesicht wieder einigermaßen herzurichten. Alles in allem sah ich gar nicht so schlecht aus. Nach einem gewagten Ausflug zur Toilette am Wagenende, was allein schon einem Manövrierkunststück gleichkam, stolperte ich zurück zu meinem Abteil, verriegelte die Tür und stopfte mir ein paar Stück von Asmahans stark gewürztem Kuchen in den Mund, während ich darauf wartete, daß die Sonne aufging. Draußen begann ein fremdartiges und faszinierendes Bild Gestalt anzunehmen. Es war eine Szenerie, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte. Jeder neue Sonnenstrahl enthüllte eine weitere Einzelheit der ägyptischen Landschaft. Und als das fruchtbare Niltal in der frühen Morgensonne erstrahlte, zeigte sich ein eindrucksvolles, atemberaubendes Panorama. Unser Zug ratterte auf dem Westufer in Richtung Süden, mit einer Geschwindigkeit von etwa achtzig Kilometern pro Stunde. Es war fünf Uhr dreißig, als der Sonnenball gänzlich über dem Horizont aufgegangen war und die gesamte Landschaft in ein gleißendes Licht tauchte. Wir machten einen kurzen Halt auf einem heruntergekommenen Bahnhof namens Griga und setzten dann unseren Weg fort. Jetzt konnte ich alles um mich her sehen und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Da gab es überall Kühe und Weiden und Bauernhöfe, und alles war so leuchtend grün und erfrischend, daß mir bei dem bloßen Anblick das Herz lachte. Ochsen und Kamele mit hervorstehenden Rippen drehten große Schaufelräder, die das Nilwasser in die Bewässerungskanäle beförderten. Magere Hunde durchstöberten die Felder. Sonnengebräunte Bauern in weißen galabiyas waren schon auf den Beinen und arbeiteten in der morgendlichen Kühle. Später, während der heißesten Tageszeit, so stellte ich mir vor, würde wohl alles zum Stillstand kommen und in Mittagsschlaf versinken. Die Gebäude, an denen wir vorüberfuhren, waren einfache Lehmziegelhütten mit gähnenden Löchern, die als Türen und Fenster dienten. Die Hütten waren schmutzig und schief und standen zusammengedrängt am Rande des Graslandes im Staub. Städte und Dörfer, wenn man sie als solche bezeichnen konnte, waren nichts weiter als Reihen von Lehmziegelbehausungen, bevölkert von sonnengegerbten Bauern und ihren verschleierten Frauen, die mit gewaltigen Lasten auf den Köpfen einhergingen.

Endlose Zuckerrohrfelder zogen an mir vorbei. Mehr Zuckerrohr, so dachte ich, als man wohl selbst in Hawaii finden mochte. Da war kilometerweit nichts anderes zu sehen als diese Pflanze, die ein Volk ernährte, das süßen Tee trank und süßes Gebäck verzehrte. Es gab auch endlose Reihen von Dattelpalmen, Baumwollfeldern und Weizenfeldern, rechtwinklig durchzogen von staubigen Pfaden, die wohl das zu den einzelnen Gehöften gehörende Land der fallahin, der Fellachen, markierten, die es bearbeiteten.

Als der Zug an den Städten vorbeirauschte, kamen winkende und schreiende Horden von Jugendlichen und Kindern zu den Gleisen gerannt. Auch sie trugen die typischen langen, weißen Gewänder, aber die kleinsten unter ihnen hatten gar nichts an. Alle waren sie braun und dunkelhäutig und schmutzig und fröhlich. Hunde bellten dem pfeifenden Zug nach. Versprengtes Vieh drehte sich um und ergriff erschreckt die Flucht. Dies war ein anderes Ägypten. Es glich Kairo nicht im geringsten, und ich fragte mich, wie wohl Luxor sein mochte.

Ein Geräusch, das nicht mit dem Geratter des Zuges übereinstimmte, ließ mich aufschauen. Jemand klopfte an meiner Tür. Ich horchte, bevor ich fragte: »Wer ist da?«

»Achmed Raschid. Habe ich Sie geweckt?«

»Ganz und gar nicht.« Ich öffnete eilends die Tür und blickte in sein lächelndes Gesicht. »Sabah al cheer«, begrüßte ich ihn. »Sabah al cheer, Miss Harris. Haben Sie gut geschlafen?«

»Dreimal dürfen Sie raten.«

»Ich gehe Tee trinken. Kommen Sie mit?«

»Gibt es einen Speisewagen? Wunderbar! Ich hole nur noch meine Handtasche.«

Wir stießen und drängten uns schwankend nach hinten durch, wechselten todesmutig zwischen drei Wagen, bis wir im Speisewagen ankamen. Er war zu dieser frühen Stunde noch menschenleer, aber die Tische waren alle mit sauberen Tischtüchern überzogen, und der Duft von Kaffee erfüllte die Luft. Wir wählten einen Tisch auf der linken Seite, so daß wir den Nil neben uns hatten, wobei ich in Fahrtrichtung und Achmed Raschid mir gegenüber saß. Wir bestellten Tee und Kaffee bei einem weiß gekleideten Kellner und begannen dann, aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft zu starren. »Machen Sie diese Reise oft, Mr. Raschid?« »Häufig, aber nicht mit dem Zug. Ich fliege immer, das geht schneller. Manchmal bin ich in Eile.«

Ich schaute auf meine Hände. »Erfordert das Ihr Beruf?«

»Ja. Miss Harris, ich habe Ihnen versprochen, Ihnen alles zu erklären. Jetzt ist es soweit.« Er legte eine Pause ein, als der Kellner zurückkam.

Ich sagte: »Schukran«, worauf der Mann sichtlich erfreut »Affuan, affuan« erwiderte.

»Sie sind nicht an Amerikaner gewöhnt, die Arabisch sprechen. Es freut sie, wenn Sie es tun.«

»Sie wollten mir gerade etwas erklären, Mr. Raschid«, knüpfte ich wieder an, während ich ihn dabei beobachtete, wie er vier Zuckerstücke in seinen Tee warf. Aus einer silbernen Kanne schenkte er meine Tasse halbvoll mit Kaffee, dann füllte er den Rest mit heißer Milch auf. Es schmeckte ganz gut so.

»Ja, das wollte ich. Zuerst muß ich Ihnen sagen, wer ich überhaupt bin. Ich arbeite im Ministerium für Kultur und bin Beamter in der Abteilung Altertümer.«

»Sind Sie Archäologe?«

»Mehr oder weniger, aber anders, als Sie es sich vorstellen. Ich führe keine Ausgrabungen durch. Aber ich bin ein Experte auf dem Gebiet antiker Gegenstände. Das ist für meine Arbeit auch notwendig.«

»Arbeiten Sie im Museum?«

»Nein, nein. Bitte, Miss Harris, ich werde Ihnen gleich alles verraten. Sie sagten, Sie hielten mich für einen Polizisten. In gewisser Hinsicht haben Sie recht, obgleich auf mich eher die Bezeichnung Detektiv oder Ermittler zutrifft.« Er griff in die Tasche seines Jacketts und zog eine kleine Lederbrieftasche daraus hervor, die er mir aufgeklappt hinhielt. Ich blickte auf eine Dienstmarke und einen Ausweis. Beides in Arabisch.

»Worauf beziehen sich denn Ihre Ermittlungen?« »Die Herstellung und den illegalen Verkauf gefälschter Kunstgegenstände.«

Ich riß die Augen auf. »Gefälschte Kunstgegenstände! Mein Schakal!«

»Aber ich muß in meinem Beruf auch nach Leuten fahnden, die echte Kunstgegenstände illegal aus Ägypten herausschmuggeln.«

»Und womit haben wir es in meinem Fall zu tun?«

»Mit letzterem, Miss Harris. Ihr Schakal ist tatsächlich echt und ungefähr dreitausend Jahre alt. Nach meiner Einschätzung stammt er aus der zwanzigsten Dynastie unserer Pharaonen.«

»Haben Sie ihn gesehen?«

»Als Sie in meiner Wohnung schliefen, nachdem wir aus dem Shepheard’s Hotel geflohen waren.«

Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloß ihn aber schnell wieder.

Er fuhr fort: »Sagt Ihnen der Name Paul Jelks etwas?«

»Nein.«

»Es handelt sich um einen britischen Archäologen, der gegenwärtig in der Wüste in der Nähe von Luxor arbeitet. Wir haben ihn nun schon geraume Zeit beobachtet.«

»Ist er denn der Verbrecher, hinter dem Sie her sind?«

»Das weiß ich nicht. Aber wir haben ein entschiedenes Interesse daran, Arnold Rossiter zu fassen, dem wir seit drei Jahren auf den Fersen sind und der uns immer wieder entwischt ist. Er hat mehr als einmal gemordet, um unsere wertvollen Kunstgegenstände aus Ägypten

herauszuschmuggeln. Ihm muß das Handwerk gelegt werden.«

»Glauben Sie, er arbeitet für diesen Paul.«

»Jelks. Wir können nur Vermutungen anstellen, obgleich ich es nicht denke. Ich begann meine Ermittlungen vor ein paar Wochen, als meiner Behörde zu Ohren kam, daß eine junge Frau - Ihre Schwester - die Antiquitätenhändler im Khan el

Khalili aufsuchte und sich nach dem Wert eines gewissen Elfenbeinschakals erkundigte. Sie wollte ihn nicht verkaufen, sondern nur den Preis dafür wissen, was äußerst merkwürdig ist. Es war fast so, als wollte sie die Händler registrierter Antiquitäten dazu verleiten, etwas anderes als den Schakal zu kaufen. Als ob der Schakal nur, wie soll ich mich ausdrücken, ein Köder wäre. Natürlich war meine Behörde an dem Fall interessiert, um so mehr, als meine Informanten auf seine Echtheit hinwiesen. Normalerweise sind nur wenige solcher kostbaren Stücke im Umlauf. Sie wollte niemandem verraten, woher sie ihn hatte. So fragte ich herum und verfolgte die Spur Ihrer Schwester bis nach Rom, wo sie im Hotel Palazzo Residenziale mit John Treadwell Kontakt aufgenommen hatte. Ich konnte beobachten, wie sie ihm den Schakal zeigte, und dann unterhielten sich die beiden eine Weile. Ich plante bereits, sie anzusprechen, doch da war sie plötzlich verschwunden und mit ihr John Treadwell. Ein paar Tage später kamen Sie, Miss Harris, nach Rom. Und es ist doch wohl ganz natürlich, daß ich neugierig war, welche Rolle Sie bei der ganzen Sache spielten.«

Ich nickte stumm. »Was hat das nun alles zu bedeuten?«

»Ich kann nur eine Hypothese aufstellen, Miss Harris, aber ich glaube, daß sie der Wahrheit ziemlich nahe kommt. Ihre Schwester muß sich in Luxor mit Paul Jelks angefreundet haben und arbeitet nun mit ihm. Arnold Rossiter ist scharf auf das, was Paul Jelks zu verkaufen versucht. Und Sie sind, glaube ich, mitten hineingeraten.«

»Aber was, wenn nicht den Schakal, versucht Paul Jelks zu verkaufen?«

»Wir vermuten«, er dämpfte die Stimme und sah sich um, »wir vermuten, daß es um den Inhalt eines neuentdeckten Grabes geht.« Ich rührte gedankenverloren in meinem Kaffee, bis er kalt war. Das Geratter des Zuges klang weit entfernt.

Das leuchtende Grün und Gelb der Landschaft raste unbeachtet an meinem Fenster vorbei. Ich versuchte mich zu erinnern, was ich über altägyptische Grabmäler gelesen hatte.

Dann schaute ich verwirrt zu Achmed Raschid auf. »Ich habe nichts davon gehört, daß man ein neues Grab entdeckt haben soll.«

»Aber das ist es doch gerade, verstehen Sie nicht? Es ist ein Geheimnis. Es weiß überhaupt niemand davon. Aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob das alles genau so stimmt.«

»Sie meinen, es sei ein Grab gefunden worden, und die Entdecker hätten es für sich behalten?«

»Das nehmen wir an.«

»Aber warum sollten sie es geheimhalten?«

»Möglicherweise, damit der Entdecker die Grabbeigaben an einen Mann wie Arnold Rossiter verkaufen und sich dadurch bereichern kann.«

»Aber Jelks könnte die Antiquitäten doch genausogut selbst verkaufen, oder? Warum benutzt er dazu Rossiter?«

»Weil alles, was in der ägyptischen Wüste gefunden wird, dem ägyptischen Volk gehört, Miss Harris. In der Vergangenheit gab es einen Massenexport ägyptischer Schätze in die Museen der ganzen Welt, während unser eigenes Land nichts oder nur sehr wenig davon sah. Seither sind neue Gesetze geschaffen worden, und Männer wie ich sind dazu da, über die Einhaltung dieser Gesetze zu wachen. Wir wollen nicht, daß unser Erbe ins Ausland verschoben wird, während wir es stolz selbst und zum Nutzen unseres eigenen Volkes herzeigen könnten. Wenn eine Ausgrabung stattfindet, so geschieht dies unter dem schützenden Auge der ägyptischen Regierung. Und von der Behörde für Altertümer wird über alles entschieden, was unser Land verläßt. Selbstverständlich gibt es skrupellose Leute, die diese Gesetze ignorieren und versuchen, unser Erbe zu stehlen - für eine Menge Geld, versteht sich.«

»Sie denken also, Paul Jelks hat ein Grab gefunden wie das von Tutenchamun und versucht nun, die Schätze außer Landes zu schmuggeln?«

»Oder zumindest, sie an einen Mann wie Rossiter zu verkaufen, der es dann übernimmt, sie aus Ägypten herauszuschaffen, ja.«

»Und Adele? Was hat sie mit der ganzen Sache zu tun?« Achmed Raschid zuckte die Schultern. »Das kann ich nicht sagen. Möglicherweise ist ihr gar nicht bewußt, was da eigentlich vor sich geht. Vielleicht hat Dr. Jelks sie dazu gebracht, auf den Khan el Khalili zu gehen, um den Schakal schätzen zu lassen, indem er ihr vorgaukelte, er hätte eine kleine Auswahl der Stücke zum Verkauf. Ich weiß es nicht.«

»Dann fuhr sie aus irgendeinem Grund zu John Treadwell, dann rief sie mich an, und schließlich verschwand sie, nachdem sie mir den Schakal geschickt hatte.« Ich nippte an meinem Kaffee. »Dies ist nur eine Theorie, Miss Harris, aber im Augenblick haben wir leider nicht mehr.«

»Nun, betrachten Sie es doch einmal so: Vielleicht kennt Adele diesen Jelks überhaupt nicht. Vielleicht fand sie den Schakal oder kaufte ihn in Luxor.«

»Warum ist sie dann aber nach Rom gereist, um sich mit Mr. Treadwell zu treffen?«

»Was führt Rossiter eigentlich im Schilde? Warum ist er auf ihren Handel in Rom nicht einfach eingegangen und hat sich das Zeug geholt? Was ist geschehen?«

»Wir wissen es nicht. Sie zeigte John Treadwell den Schakal wahrscheinlich als Beweisstück für die großen Schätze, die sich noch in dem Grab befinden. Dann machte sie sich aus dem Staub, und wir wissen nicht, warum. Als Sie mit dem Schakal in Rom auftauchten.«

Ich lächelte schwach. »Ich weiß, was Sie gedacht haben müssen. Es tut mir leid, daß ich Sie so garstig behandelt habe, Mr. Raschid. Ich wünschte nur, Sie hätten mir eher davon erzählt.«

»Wie hätte ich das tun können? Zuerst, in Rom, traute ich Ihnen nicht. Ich war nicht sicher, ob Sie Adele Harris’ Schwester waren. Sie hätten genausogut eine Person sein können, die mit Arnold Rossiter zusammenarbeitet, besonders, da Sie mit John Treadwell angereist kamen. Aber nach dessen Ermordung und nachdem ich Sie zu mir nach Hause gebracht hatte, begann ich Ihnen zu glauben. Und jetzt bin ich mir sogar ganz sicher, daß Sie die Wahrheit sagen.«

»Danke.« Ich seufzte erleichtert auf und sah mich um. Außer uns hatten sich nun noch ein paar weitere Fahrgäste in den Speisewagen begeben und plapperten munter darauf los. Der Zug machte einen kurzen Halt an einem Ort namens Dendera. Auf meiner Armbanduhr war es sieben.

»Was werden wir als erstes tun, wenn wir in Luxor ankommen, Mr. Raschid?«

»Zuerst müssen wir uns ein Hotel suchen. Dann werden wir die beiden Männer abholen, die in Luxor für mich arbeiten. Wir werden sehen, ob sie Ihre Schwester gefunden haben und uns sagen können, wo sie sich aufhält. Wenn nicht, werden wir selbst ein paar Nachforschungen in den Basars von Luxor anstellen.«

Ich schüttelte den Kopf. Was hatte sich alles in kaum mehr als einer Woche in meinem Leben verändert. Noch vor kurzem, im OP des Santa-Monica-Krankenhauses hätte ich mir nicht vorstellen können, in einem Zug das Niltal hinauf zurattern. Diese beiden Welten waren so weit voneinander entfernt, als ob sie sich auf verschiedenen Planeten befinden würden.

»Ich bin nervös. Arnold Rossiter wird sich gewiß auch in Luxor herumtreiben. Sagen Sie mir eines, Mr. Raschid. Warum waren diese Verbrecher sowohl hinter meinem Schakal als auch hinter mir her? Ich meine, warum haben die mein Zimmer danach durchsucht?«

»Sie müssen gedacht haben, er gäbe ihnen einen Hinweis auf die genaue Lage des Grabes. Bestimmte klimatische Verhältnisse können auf antiken Gegenständen ihre Spuren hinterlassen und etwas über die Lage der Grabstätte verraten. Oder möglicherweise könnten sie durch die Art der künstlerischen Bearbeitung des Schakals auf die Dynastie schließen, was ihnen auch einen Anhaltspunkt geben würde. Die verschiedenen Dynastien bestatteten ihre Toten in unterschiedlichen Regionen. Diese Räuber, Miss Harris, suchen nach dem Grab, nicht nach Ihnen oder Ihrer Schwester. Sie folgen Ihnen nur, um Ihre Schwester zu finden, die sie dann, wie sie hoffen, zum Grab führen wird.«

»Ebenso wie Sie.«

»Ja.«

»Und wenn das Grab erst einmal gefunden ist?«

»Dann hätten sie keine weitere Verwendung mehr für Sie.«

»Aber ich könnte den Behörden Mitteilung machen.«

»Nur, wenn Sie noch am Leben wären.«

Seine Worte stellten keine Überraschung dar. Zu diesem Schluß war ich bereits selbst gelangt. Wenn Arnold Rossiter das Grab ohne mich fände, dann könnte ich bequem »aus dem Weg geschafft« werden, um mich daran zu hindern, die Behörden zu verständigen. »Warum hat er John Treadwell umgebracht?«

Achmed Raschid zuckte die Schultern. Das war es, was mich am meisten störte, die geringe Zahl konkreter Informationen. Wir würden das schnell ändern müssen.

Ich saß nahe an meinem Abteilfenster, als wir uns dem Bahnhof von Luxor näherten. Achmed Raschid befand sich in seinem eigenen Abteil und machte sich zum Aussteigen bereit, so daß ich die letzten paar Minuten in tiefem Nachdenken zubrachte. Ich glaubte alles, was er mir erzählt hatte, auch die phantastischsten Tatsachen. Plötzlich hatte ich volles Vertrauen zu ihm und verließ mich sogar darauf, daß er mich rettete. Er mußte Adele finden und uns vor Rossiter bewahren. Schließlich war das ja auch sein Beruf.

Der Zug verlangsamte sein Tempo. Auf einem zerbrochenen Schild stand das Wort »Kus« in lateinischen und arabischen Buchstaben. Von meinem Fenster hatte ich nun keinen Ausblick mehr auf den Lehmziegelbau des Bahnhofs, sondern nur noch auf die trockene Wüste und die ausgedörrte Landschaft. Wir befanden uns auf dem rechten Ufer, auf der Ostseite des Nils, nachdem wir den Fluß bei Dendera überquert hatten. Luxor liegt am Ostufer des Nils, und die Stadt war nur noch wenige Minuten von uns entfernt. Auf dieser Seite des Abteils sah ich nur eine ockerfarbene Wüste, die sich endlos ausdehnte. Auf der anderen Seite, das wußte ich, lagen die grünen Felder und üppigen Gärten. Aber hier war die ägyptische Wüste, die von Skorpionen, Kobras, Geiern und wilden Schakalen bevölkert wurde. Hin und wieder sproß aus dem harten Sand ein vertrocknetes Grasbüschel hervor. Ein paar Kakteen hielten der starken Hitze und Trockenheit stand. Nur wenige Meter von dem nun langsam fahrenden Zug entfernt sah ich jetzt die ausgebleichten Skelette von großen Tieren. Sie waren alle vollständig erhalten und lagen auf der Seite, und ihre mächtigen Brustkörbe wirkten wie weiße, schmiedeeiserne Zäune. Ich richtete mich auf, als ich erkannte, was diese Dinger waren. Dann erblickte ich eine ausgemergelte Kuh, die zwischen den Knochen ihrer toten Artgenossen stand und langsam den Schwanz hin und her bewegte. Sie ließ den Kopf weit nach unten hängen und atmete mühsam. Nicht weit von ihr lag der Kadaver eines kürzlich verendeten Bullen auf der Seite und mit zwei in die Luft ragenden Beinen. Ihnen gegenüber sah ich den halbverwesten Leichnam einer anderen Kuh, die wohl schon einige Tage tot war und von Fliegen wimmelte. Immer mehr Tierkadaver wurden zwischen den gebleichten Gerippen sichtbar, manche stärker verwest als andere. Manche waren nur leicht zersetzt, andere kaum erkennbar. Dann, weiter weg, von der Seite her, kam ein anderes dürres Rind langsam herbeigewankt und blieb stehen, als die Kräfte es verließen.

Jetzt saß ich kerzengerade da und spürte einen Ruck, als der Zug seine Geschwindigkeit wieder erhöhte. Wie gebannt hielt ich die Augen auf diesen Viehfriedhof geheftet und wandte unwillkürlich den Kopf, als der Zug immer schneller fuhr. Ich schaute, bis wir uns vollends entfernt hatten und die Stelle nicht mehr zu sehen war. Dann lehnte ich mich in meinem Sitz zurück und starrte verwirrt vor mich hin. In der Umgebung des kleinen Dorfes Kus in Oberägypten befand sich ein Friedhof, zu dem das Vieh wanderte, wenn es den Tod herannahen fühlte.

Achmed Raschid muß schon eine Zeitlang in meiner Tür gestanden haben, bevor ich ihn bemerkte. Und als ich es schließlich tat, muß ich so etwas gesagt haben wie: »Ich kann nicht glauben, was ich sehe«, denn er antwortete mit einem geheimnisvollen Lächeln und den Worten: »Sie haben noch nicht das Tal der Könige gesehen.«

Das New Winter Palace war ein modernes Hotel, wie man es auch in den Vereinigten Staaten finden kann, mit dem einzigen Unterschied, daß der Blick, der sich einem vom Balkon seines Zimmers aus bot, mit keinem auf der Welt vergleichbar war. Wir hatten Glück gehabt, bei unserer Ankunft gleich zwei vorbereitete Zimmer zu finden, obwohl ich insgeheim glaubte, daß Mr. Raschids Einfluß dabei eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Ich ließ meinen Paß am Empfang und fuhr mit ihm und einem in eine leuchtend rote Uniform gekleideten Portier im Aufzug nach oben. Der Portier lachte und bewegte den Kopf auf und ab und sagte: »Henry Kissinger.« Es hatte sich zum Glück so gefügt, daß wir zwei nebeneinander liegende Zimmer bekamen, so daß Achmed Raschid wieder nur ein Klopfzeichen weit von mir entfernt war. Das Zimmer gefiel mir auf Anhieb: Es war hell und luftig und besaß eine topmoderne Sanitärausstattung. Das Bad war neu und sauber mit frischen Handtüchern, die die Aufschrift »Upper Egypt Hotels Co.« trugen. Und erst die Aussicht! Die Aussicht! Sie verschlug mir den Atem! Aus der Höhe überblickten wir den graublauen Nil und konnten auf unserer Rechten den gut erhaltenen Tempel von Luxor sehen. Auf der linken Seite stand das braune Winter Palace, früher das Hotel, in dem man wohnte, wenn man Luxor besuchte, heute nur noch die Herberge, die man aufsuchte, wenn das New Winter belegt war. Die Stadt Luxor selbst erstreckte sich hinter uns zur Wüste hin und einige Kilometer nilauf- und nilabwärts. Sie ging jedoch nicht über den Fluß hinweg wie manche anderen Städte, denn an dieser Stelle führt keine Brücke über den Nil, ganz so wie zu Zeiten der alten Ägypter, die ebenfalls hier, auf dieser Seite, lebten und die andere Seite den Toten vorbehielten. Dort drüben, auf dem Westufer, befanden sich einige der grandiosesten Monumente der Welt. Ich stand mit Achmed Raschid auf diesem Balkon wie jemand, der gerade aus einem langen, tiefen Schlaf gerüttelt worden ist. Ich konnte lange nicht sprechen. Statt dessen verweilte mein Blick auf den grünen Palmen und den üppigen Flußufern, und ich horchte auf das Getrappel der Pferdekutschen, die unten vorbeifuhren. Vom Verkehr wurden wir hier kaum gestört. Alle Leute waren entweder Fußgänger oder bewegten sich auf Pferd oder Esel fort. Direkt unter uns befand sich der herrlich angelegte hoteleigene Garten, dann kam die gepflasterte Straße und schließlich der Nil. Auf dem Fluß trieben die allgegenwärtigen Feluken, deren dreieckige Segel sich in der Morgensonne abzeichneten. Ein großes Flußschiff lag vertäut am Ufer, eines von denen, die Touristen mit Zeit und Geld auf gemütlichen Vierzehntages-Kreuzfahrten von Kairo nach Assuan befördern. Zwei geräumige Fähren waren aneinander festgemacht und warteten auf Besucher des Tals der Könige.

Wo ich auch hinschaute, bot sich mir ein erfreulicher Anblick. Als ich so dastand, mich von der kühlen Brise erfrischen ließ und Achmed Raschids Erklärungen lauschte, vergaß ich für eine Weile die gefährliche Arbeit, die vor uns lag.

Dann erinnerte er mich: »Auf dieser Seite befinden sich die berühmtesten Ausgrabungsstätten Ägyptens: der Tempel der Hatschepsut, die Kolosse von Memnon, das Tal der Königinnen, das Tal der Könige.«

»Ist das die Gegend, wo sich Paul Jelks aufhält?«

»Das stimmt, dort sollte er sich aufhalten, jedenfalls hat er dafür die Genehmigung erhalten. Auf alle Fälle werden wir sein Camp dort finden.«

»Und Adele auch?«

»Das hoffe ich.«

»Und dieses verdammte Grab?« Er senkte den Kopf und sah zur Seite.

»Warum sind Sie nicht gleich von Anfang an hierher gekommen?«

»Das hätte ich getan, wenn Sie nicht aufgetaucht wären. Zuerst mußte ich Ihrer Schwester nach Rom folgen, und dort wollte ich sie verhören. Als sie aber verschwand, mußte ich einen neuen Plan entwerfen. Doch dann erschienen Sie in Begleitung von John Treadwell, und ich war mir sicher, ich könnte Ihnen zu Ihrer Schwester folgen. Nun hat es sich aber so ergeben, daß ich sie durch meine beiden Agenten hier zuerst gefunden habe.«

»Und ich bin Ihnen zu meiner Schwester gefolgt.«

»Wie es aussieht, ja.«

»Sind Sie diesem Paul Jelks je begegnet?«

»Nein, aber meine Abteilung hat sein Foto und eine Akte mit seinen Referenzen. Beides stammt aus der Zeit, als er seine Genehmigung beantragte, und ich habe die Akte eingesehen.«

»Wenn er mit Ihrer Kenntnis und Billigung eine Ausgrabung durchführt, wie konnte er dann erwarten, daß sein Fund ein Geheimnis bleiben würde?«

»Er hätte überhaupt nicht graben dürfen; dafür ist ihm keine Genehmigung erteilt worden. Er bekam lediglich die Erlaubnis, in den bereits entdeckten Gräbern zu fotografieren. Manche sind noch nicht vollständig dokumentiert, und die Wandgemälde könnten durch die veränderten klimatischen Verhältnisse, die der Bau des Assuan-Staudamms mit sich gebracht hat, Schaden nehmen.«

»Wie konnte er graben, ohne daß Sie davon wußten?«

»Es handelt sich um eine unübersichtliche Wüstengegend. Wir können nicht ständig überall sein. Er konnte zwar nicht im Tal selbst graben, aber woanders wäre es durchaus denkbar.« Ich blickte hinüber zu dem prächtigen Tempel von Luxor und stellte mir all die Mühe vor, die auf seine Ausgrabung und Restaurierung verwandt worden war. Dann dachte ich an Paul Jelks, den britischen Ägyptologen, und an meine Schwester Adele, die in der unendlichen Weite der Wüste nach einer alten Grabstätte suchten. »Ich wünschte jetzt, ich wäre schon früher und aus einem anderen Beweggrund hierher gekommen. Ich könnte es ins Herz schließen.«

»Das hoffe ich. Es ist bedauerlich, daß die Politik so viele Menschen davon abhält, hierher zu kommen. Unsere Kriege machen ihnen angst. Seit dem Sechstagekrieg mit Israel 1967 ist unser Tourismus stark zurückgegangen. Und dann kam der Ramadan-Krieg. Nicht mehr viele Amerikaner haben das Verlangen, hierher zu kommen.«

»Der Ramadan-Krieg?«

»Er fand im Oktober 1973 statt.«

»Sie meinen wohl den Jom-Kippur-Krieg.«

»So nennen Sie ihn also?« Er sah mich überrascht an. »Den Jom-Kippur-Krieg?« Dann verzog sich sein Gesicht langsam zu einem Lächeln. »Ich verstehe.«

»Ich hatte immer gedacht, man könne Amerikaner hier nicht leiden. Doch ich habe das nie so empfunden. In Kairo waren die Leute freundlich zu mir, besonders, wenn sie erfuhren, daß ich Amerikanerin bin.«

»Manche sind vielleicht neidisch auf den Reichtum Ihres Landes oder auf seine Macht. Aber ich denke, die Leute sind überall gleich.« Er lachte in seiner unbeschwerten Art. »Es ist ein wunderschöner Tag. Sprechen wir nicht von so ernsten Dingen. Und außerdem muß ich mit meiner Arbeit beginnen. Ich muß mit meinen beiden Agenten hier reden, bevor wir irgend etwas anderes unternehmen. Sie möchten sich vielleicht ausruhen. Ich weiß, daß es Ihnen bestimmt nicht möglich war, im Zug gut zu schlafen, und sei es nur, weil Sie es kaum erwarten können, Ihre Schwester zu finden, was mir übrigens genauso geht. Ich möchte deshalb, daß Sie in diesem Zimmer bleiben, solange ich weg bin.«

»Also gut.«, willigte ich widerstrebend ein.

»Ich werde zurückkommen, nachdem ich mit meinen Leuten gesprochen habe. Dann werden wir zu Mittag essen und einen Plan besprechen, den ich habe.«

»Natürlich«, antwortete ich ohne Begeisterung, »aber warum kann ich nicht jetzt gleich mit der Suche nach meiner

Schwester beginnen? Sie könnte vielleicht sogar in der Empfangshalle dieses Hotels sein!«

»Es wäre nicht sicher. Statt daß Sie Ihre Schwester finden, findet Mr. Rossiter vielleicht Sie. Und dann müßte ich nach Ihnen beiden suchen.«

»Ja, das sehe ich ein. Natürlich. Ich tue, was Sie sagen.«

»Es ist am besten so, glauben Sie mir. Wir dürfen jetzt nichts überstürzen und damit alles verderben.«

Ich begleitete ihn zur Tür und schloß hinter ihm ab. Dann ging ich zurück auf den Balkon und blieb lange dort stehen.

Ich hatte ausgiebig geduscht und meine Haare gewaschen, als er zurückkam. Es war Mittag, und es wurde langsam warm. Daher zog ich die Vorhänge zu, um die Hitze nicht hereinzulassen. Achmed Raschid klopfte auf seine charakteristische Art an, und ich ließ ihn ein. »Nun?«

»Ich fürchte, es sieht nicht gut aus.« Er setzte sich in einen Sessel, und ich ließ mich auf dem Bett ihm gegenüber nieder. »Was meinen Sie damit? Was haben Sie herausgefunden?«

»Das Foto ist vor drei Tagen entstanden. Seitdem haben sie Ihre Schwester nicht mehr gesehen.«

»Sind sie nicht zum Camp hinausgefahren?«

»Nein, ich habe ihnen Anweisungen gegeben, es nicht zu tun. Wenn wir an Paul Jelks herantreten, muß ich derjenige sein, der mit ihm spricht. Ich kenne alle Fakten. Meine Männer könnten einen Fehler machen, und alles wäre verloren. Sie taten, wie ihnen geheißen worden war, und sie taten gut daran, Ihre Schwester in der Menge zu fotografieren, ohne selbst bemerkt zu werden. Dann verloren sie die Spur Ihrer Schwester, und seitdem ist sie nicht mehr gesehen worden.«

»Zumindest hoffen Sie, daß Ihre Männer nicht bemerkt wurden.« »Richtig.«

»Dann muß sich meine Schwester wohl im Camp aufhalten«, beharrte ich.

»Das würde ich gerne auch glauben.«

Ich machte ein langes Gesicht. Er blickte zu mir auf, und es gefiel mir nicht, was ich sah. »Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, Miss Harris.«

»Was denken Sie?«

»Daß Arnold Rossiter möglicherweise als erster hier eingetroffen ist.«

»Dann müssen wir sofort zum Camp fahren! Jetzt gleich!«

»Wir würden nicht klug handeln, wenn wir jetzt gleich dorthin führen. Besser ist es, frühmorgens zu fahren. Glauben Sie mir, ich weiß es am besten.«

»Haben Ihre Leute irgend etwas über Jelks in Erfahrung gebracht?«

»Nur daß er im Tal der Könige seine Arbeit verrichtet, obwohl er langsamer als erwartet vorankommt. Und daß eine junge Amerikanerin einmal die Woche in die Stadt kommt, um Proviant zu kaufen. Manchmal bleibt sie über Nacht in diesem Hotel.«

»Das wird Adele sein. Sie arbeitet also tatsächlich mit ihm zusammen. Sie muß ins Camp zurückgefahren sein.«

»Das hoffe ich.«

»Ich auch.«

Wir hüllten uns einen Moment in Schweigen, dann fing er wieder an zu sprechen: »Ich habe Hunger, Miss Harris. Möchten Sie mit mir hinuntergehen?«

»Ich fürchte, ich habe keinen Appetit«, seufzte ich, »aber ich komme mit und leiste Ihnen Gesellschaft.«

Der Speisesaal war ziemlich geräumig und voll besetzt mit Touristen. Wir fanden einen kleinen Tisch an der Wand, und mehrere Kellner warteten uns auf. Obwohl das Essen köstlich

und die Atmosphäre erholsam war, brachte ich nicht mehr als eine Tasse Tee hinunter. Nachdem Achmed Raschid zu Ende gegessen hatte und wir schweigend über einer Tasse Tee saßen, fragte ich mit leiser Stimme: »Was ist das für ein Plan, über den Sie mit mir reden wollten?«

»Ah, ja.« Achmed lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah sich um. Der Speisesaal war jetzt fast leer, und die wenigen Gäste, die sich noch darin aufhielten, saßen weit von uns entfernt. Auch die Kellner befanden sich außer Hörweite. So beugte er sich vor und begann: »Alles, was ich Ihnen bis hierher mitgeteilt habe, Miss Harris, ist reine Theorie. Es gibt keine handfesten Beweise. Aber in meinem Beruf haben wir häufig nur Theorien und müssen die Fakten erst suchen. Ich begann die Ermittlungen allein auf der Grundlage von Gerüchten und hatte auch im weiteren Verlauf wenig konkretes Beweismaterial. Das heißt, ich folgte einer jungen Amerikanerin nach Rom, die einen antiken Kunstgegenstand unbekannter Herkunft in ihrem Besitz hatte und dann mit dem Agenten eines international bekannten Kunstschmugglers Kontakt aufnahm - all dies würden Sie als hypothetisch bezeichnen. Und es ist auch nur eine Theorie, daß unsere Quelle Paul Jelks ist. Er könnte unschuldig sein, obwohl wir uns im Augenblick auf niemanden anders besinnen können, der als Verdächtiger in Frage kommt. Wir wissen, wo er sein Lager aufgeschlagen hat. Wenn wir jetzt hingingen und eine Durchsuchung verlangten oder belastende Fragen stellten, fänden wir vielleicht nichts, würden ihn aber in Alarmbereitschaft versetzen, so daß wir die Wahrheit niemals herausbekämen. Wenn es nicht Jelks ist, dann könnte der wahre Schuldige von unserem Verhör erfahren und so einen Weg finden, uns geschickt zu entgehen. Sie sehen, Miss Harris, es ist eine heikle Aufgabe, denn wir haben es mit listigen Leuten zu tun. Sie sind nicht dumm, und ebensowenig müssen wir es sein.«

»Was werden wir also tun?«

Er schaute sich wieder um und beugte sich noch weiter zu mir vor. »Ich muß handfestere Beweise haben, bevor ich zu Paul Jelks gehe. Wenn es einen Weg gibt, sicher festzustellen, daß alles so ist, wie ich vermute, dann werde ich keine Zeit mehr verschwenden und auf ihn zugehen. Wenn ich herausfinde, daß es wirklich Paul Jelks ist, der antike Kunstgegenstände zum Verkauf anbietet, dann kann ich zu seinem Camp fahren und im Namen meiner Behörde alles beschlagnahmen, was er besitzt. Und ihn danach so lange verhören, bis er die Fundstelle des Grabes verrät.«

»Wenn es überhaupt ein Grab gibt.« Mr. Raschid neigte ein wenig den Kopf. »Nun, wie wollen Sie sich diesen Beweis beschaffen?«

»Vielleicht nicht direkt einen Beweis, Miss Harris, sondern möglicherweise nur einen Anhaltspunkt dafür, daß meine Theorien richtig sind. Und zu diesem Zweck habe ich einen Plan ausgearbeitet. Aber er erfordert Ihre Hilfe.«

»Natürlich, ich freue mich, wenn ich helfen kann.«

»Aber« - seine Stimme klang düster -, »es ist gefährlich.«

»Ach ja? War ich bisher vielleicht nicht in Gefahr?« Er lächelte und wirkte sichtlich gelöster. »Sehr gut. Hier ist mein Plan. Meine Agenten haben alle Antiquitätenhändler in Luxor aufgesucht, doch nur sehr wenige wollten zugeben, einen Schakal im Besitz einer jungen Amerikanerin gesehen zu haben. Dafür gibt es Gründe. Einer könnte sein, daß sie tatsächlich nur diese wenigen besuchte, was ich jedoch bezweifle, denn es hätte für sie keinen Sinn, nicht zu allen zu gehen. Ein anderer Grund dafür, daß so wenige es zugeben, wäre die Vorsicht dieser Händler im Umgang mit Regierungsbeamten. Diese Leute müssen auf der Hut sein, um ihre Lizenzen zu schützen. Sie befürchten, sie könnten ihre Lizenzen verlieren, wenn ihr Name in Zusammenhang mit illegalen Geschäften gebracht würde. Wenn sie daher von Regierungsagenten befragt werden, sind sie.«

»Verschlossen?«

»Ja, und sie werden uns nicht verraten, ob sie diese junge Amerikanerin mit dem Schakal gesehen haben. Vielleicht haben einige sogar angeboten, die gesamten Grabbeigaben zu kaufen, und bekamen es mit der Angst, als meine Männer auftauchten und Fragen stellten. Es gibt hier tausend mögliche Gründe, Miss Harris.«

»Wie sieht also Ihr Plan aus?«

»Ich hatte gedacht, wenn dieselbe Amerikanerin die Händler abermals mit ihrem Schakal aufsuchte und vorgäbe, noch mehr anbieten zu können, dann wären sie vielleicht bereit, mit ihr zu sprechen.«

»Adele? Aber wie?«

»Nein, Miss Harris. Ich meine Sie.«

In der nächsten Stunde gingen wir den Plan ein übers andere Mal durch, bis wir beide zufrieden waren. Ich hatte keine Angst. Wenn Mr. Raschids Plan klappte, würde ich meine Schwester finden. Und nur darauf kam es an.

Ich mußte einfach zu den Geschäften der lizenzierten Antiquitätenhändler gehen, ihnen den Schakal wie einen Köder vor die Nase halten und darauf warten, daß einer sich verplapperte. Es war riskant, aber das war die Sache wert. »Wir können nicht sofort losgehen, denn die Geschäfte haben geschlossen und öffnen erst wieder um vier Uhr. Jetzt ist es zwei. Sollen wir einen kleinen Spaziergang machen, bevor wir mit der Arbeit beginnen?«

Wir traten aus dem New Winter Palace hinaus in einen ruhigen Nachmittag vollwarmer Brisen und Blumendüften. Wie Kairo, wie Rom und wie so viele andere Städte in den heißeren Erdteilen hielt auch Luxor zwischen eins und vier seinen Mittagsschlaf, um die wärmste Tageszeit zu überdauern. Es war eine Gewohnheit, die ich angenehm fand, und obwohl ich es kaum erwarten konnte, die Suche nach Adele fortzusetzen, begrüßte ich die Gelegenheit, nach einer Reihe von hektischen Tagen etwas Entspannung genießen zu können.

Die Al-Nil-Straße verlief parallel zum Fluß und führte vom Hotel aus in nördlicher Richtung, so weit man nur laufen wollte. Wir gingen aber nur ein kurzes Stück. Achmed Raschid und ich sprachen nicht viel und hingen jeder seinen eigenen Gedanken nach. Ich konnte nicht erraten, was in seinem Kopf vorging, doch in meinem tauchten wieder dieselben unbeantworteten Fragen auf. Was würde ich heute abend in den Läden der Händler über diesen Schakal und meine Schwester erfahren?

Wir liefen um den Luxor-Tempel herum, auf dessen anderer Seite sich ein Stadtpark befand, wo wir von »Bakschisch! Bakschisch!« schreienden Straßenkindern bestürmt wurden. Mr. Raschid gab ihnen einige Münzen und schickte sie weg. Wir spazierten weiter auf der Al-Nil-Straße, bis wir zum Savoy-Hotel gelangten. Die Hitze ließ uns langsamer gehen. Achmed Raschid fand eine Steinbank, auf der wir im Schatten eines Baumes sitzen und über den Nil blicken konnten. Es war ein friedlicher Augenblick, wie wir so dasaßen, die Feluken anmutig über den Fluß gleiten sahen und das Wasser leise gegen das Gras plätschern hörten. Ich hätte ewig dort verweilen mögen. Luxor war eine wunderschöne Stadt, ruhig und malerisch, und es machte mich traurig, wenn ich daran dachte, welche Umstände mich hierher geführt hatten. Das Domus Aurea und John Treadwell waren weit, weit weg, als ob sie mir nur im Traum begegnet wären. Und Adele befand sich irgendwo in der Nähe. Sie befand sich entweder in der

Stadt oder jenseits des Flusses in dieser sandigen Einöde. Oder war sie am Ende wieder weitergereist? Doch ich hatte dieses Rätselraten satt und war müde von dem hektischen Tempo, das ich in den letzten Tagen hatte einhalten müssen. Ich hätte gerne einen ganzen Monat hier verbringen und jeden Tag am Nil sitzen mögen, nur zum Träumen. Mit jemandem wie Achmed Raschid wäre das so leicht gewesen. Hinter uns trappelten Pferde vorbei, die Touristenpärchen zum KarnakTempel brachten. Ich wandte mich hin und wieder um und bewunderte die bunten Kutschen, die alle verschieden aussahen und nach dem Geschmack des jeweiligen Eigentümers prächtig geschmückt waren.

»Möchten Sie mit einer fahren?« fragte Achmed Raschid wie aus heiterem Himmel. »Wie bitte?«

»Mit einer Kutsche. Sie beobachten sie doch. Wir können nach Karnak und wieder zurück fahren. Oder um Luxor herum. Würde Ihnen das gefallen?«

»Ja, das wäre sehr schön.«

Wir mußten nicht lange warten, bis eine leere Kutsche vorbeikam und Achmed Raschid sie herbeiwinkte. Er half mir in den Wagen und wies den Kutscher an, zum Karnak-Tempel zu fahren. Dann setzte er sich zu mir auf den Rücksitz und begann, mir ein wenig über ägyptische Geschichte zu erzählen.

Doch ich hörte nicht recht zu. Meine eigenen Gedanken schweiften ab, schwangen sich empor über den graublauen Fluß und schauten hinunter auf die Welt. Wer auch immer diese Lydia Harris einst gewesen war, sie hatte sich verändert. Sie hatte sich in diesen letzten zehn Tagen so sehr verändert, daß es schwerfiel, sich daran zu erinnern, wie sie einst war.

Nein, es war mehr als eine Veränderung. es war fast, als ob ich erwacht sei. Auf dieser Fahrt in der Kutsche mit Achmed Raschid erkannte ich, daß ich es mein ganzes Leben lang vermieden hatte, mich in einen Mann zu verlieben. Man konnte natürlich darüber spekulieren und Theorien aufstellen, doch die Tatsache blieb, daß ich der Liebe den Rücken gekehrt hatte.

Wie lächerlich, daß ich mich immer für eine mutige Frau gehalten hatte, die jeder Herausforderung unerschrocken die Stirn bot und sich ihr stellte. Ich hatte in meinem Leben unzähligen Herausforderungen getrotzt und hatte große Mühen auf mich genommen, um sie zu bewältigen. Aber eigentlich war ich gar nicht mutig gewesen und hatte es auch nicht mit wirklichen Herausforderungen zu tun gehabt. Denn die größte Herausforderung von allen war, sich zu verlieben, und davor hatte ich Angst.

Als ich meine Blicke über die Landschaft um uns her schweifen ließ, musterte ich beiläufig den Mann an meiner Seite. Mein ganzes Leben war von Gegenständen und Sachen bestimmt gewesen. Ich hatte mich von Menschen ferngehalten und enge Beziehungen vermieden. Aber jetzt machte ich einen Wandel durch. Ich hatte es zuerst in Kairo bemerkt und fühlte, wie es in mir anwuchs. Eine Stärke, vielleicht sogar ein Mut, den ich nie zuvor gekannt hatte. Achmed Raschid war längst verstummt. Ich hatte nichts von dem mitbekommen, was er mir über ägyptische Geschichte zu vermitteln versuchte. Er starrte mit seinen ausdrucksvollen Augen hinüber zum Straßenrand. Auch er war tief in Gedanken versunken. Ich fragte mich, was er wohl von mir dachte. Und ich fragte mich auch, was mit uns geschehen würde, wenn das alles vorüber war. Er ist so fremdartig, dachte ich bei mir, und Welten liegen zwischen uns. Ist es möglich, daß ich mich in diesen Mann verliebe? »Die Widderallee«, hörte ich seine Stimme. Ich sah Achmed an. »Wie bitte?«

»Sie haben mich gefragt, was das für Statuen sind.«

»Tatsächlich?« »Es sind kauernde Widder, die zu den Pylonen der Tempelanlage von Karnak führen. Große pharaonische Prozessionen zogen einst zwischen ihnen hindurch.«

Ich fuhr fort, Achmed Raschid anzustarren. »Ich sollte alles darüber lesen«, hörte ich mich selbst sagen. »Es gibt so viel, was man darüber wissen muß.«

Er lachte leise. »Sie haben mir nicht zugehört.«

»Was meinen Sie?«

»Es ist in Ihren Augen. Aber Sie sind höflich. Sie müssen jetzt nicht an Ihre Schwester denken.«

»Ich habe gar nicht an sie gedacht. Wirklich nicht. Ich dachte an. an jemanden zu Hause.«

»Ich verstehe. Ein Freund?«

»Nun, ja. Er ist ein sehr guter Freund. Und er ist der einzige, der weiß, warum ich herkam. Ich versuchte, ihn von Kairo aus anzurufen.«

»Und er arbeitet in Ihrem Krankenhaus?«

»Das kann man wohl sagen. Er ist ein Chirurg.«

»Ich verstehe«, antwortete Achmed Raschid wieder, obwohl ich nicht glaubte, daß er verstand. So erinnerte ich mich wieder an Dr. Kellerman, und gleichzeitig saß ich neben diesem dunkelhäutigen Mann, der mit einem fremdartigen, näselnden Akzent sprach. War es möglich, zwei Männer auf einmal zu lieben?

Achmed Raschid schaute mir aufmerksam ins Gesicht. Als er fragte: »Warum sind Sie nicht verheiratet?« war ich nicht sonderlich überrascht.

Und als ich mit einem Achselzucken antwortete, schien ihn das auch nicht zu verblüffen. »Warum sind Sie es nicht?« stellte ich die Gegenfrage.

»Ich war es einmal. Meine Frau starb vor vier Jahren an etwas, das Sie Diabetes nennen. Es ging alles sehr schnell. Sie konnte nicht mehr gerettet werden.«

»Diabetes! Das tut mir schrecklich leid.« In meiner modernen Denk weise erschien es mir unbegreiflich, daß Leute in unserer heutigen Zeit an dieser Krankheit sterben. Schließlich gab es dafür Medikamente und Behandlungen. Aber andererseits starben auch heute noch Menschen an Polio und Pocken, und das war erst recht kaum zu glauben. »Ich wollte nicht neugierig sein.«

»Aber ich habe Sie ja zuerst gefragt.« Er lächelte wieder. »Wir müssen etwas übereinander wissen, wenn wir Freunde sein wollen. Jetzt wissen Sie alles über mich.«

»Ist das so einfach?«

»So einfach.«

Ich ließ mich in die Polster der Kutsche zurücksinken und schloß die Augen. Im Geiste sah ich Achmed Raschid, wie er Zucker in seinen Tee schüttete. Dann öffnete ich die Augen und schaute ihn an. Wie war er doch naiv und weltlich zugleich! Wie alle Ägypter besaß er die Unschuld von Kindern und die Listigkeit der Orientalen. »Es wird spät«, meinte er mit einem Blick auf die Uhr. »Ja«, murmelte ich.

Aber für beide empfand ich eine andere Art von Liebe. Die Liebe zu Dr. Kellerman, so zart und ruhig, war schon immer dagewesen, wie ein sanftes Flüstern tief in meinem Herzen. Und meine neuen Gefühle für Achmed Raschid, verworren und aufregend, weckten schlummernde Leidenschaften. War dies möglich? »Jetzt gehen wir erst ins Hotel zurück und von dort aus zum Basar. Miss Harris, sind Sie sich Ihrer Sache sicher?« Ich schaute in seine großen, klaren Augen. Jetzt vertraute ich ihm, fühlte mich sicher bei ihm, fand ihn erregend und war dabei, mich in ihn zu verlieben. »Ich habe keine Angst.«

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