Kapitel 13.

Mir war etwas komisch zumute, als der Schakal wieder in meiner Handtasche steckte - so lange hatte ich ihn unter meiner Bluse mit mir herumgetragen. Ich hatte mich sicher und unangreifbar gefühlt, während ich ihn so eng am Körper trug, aber jetzt war mir unwohl bei dem Gedanken, daß er sich nicht mehr so nahe an meinem Körper befand. Und ihn als Köder herzeigen zu müssen, machte mir bange. »Es gibt viele Geschäfte in Luxor, die registrierte Antiquitäten verkaufen, und wir können nicht zu allen gehen. Ich habe daher eine Liste derjenigen Händler aufgestellt, von denen wir vermuten, daß Paul Jelks mit ihnen in Kontakt getreten sein könnte. Diese Männer besitzen große Geschäfte und handeln mit großen Warenmengen. Sind Sie sich nun sicher, was Sie zu tun haben?«

»Ja. Es ist ja nicht schwer. Alles, was ich tun muß, ist, in den Laden zu gehen, mich unverbindlich umzusehen und darauf zu achten, ob jemand mich irrtümlicherweise für Adele hält. Wenn nicht, dann trete ich mit dem Schakal an den Inhaber heran und beobachte seine Reaktion. Wenn er nicht reagiert, frage ich ihn, ob er sich nicht daran erinnert. Von da an werde ich von Fall zu Fall entscheiden.«

»Ausgezeichnet. Sie wissen, ich kann nicht mit Ihnen hineingehen, sondern muß unbemerkt draußen bleiben.«

»Ja, das ist mir klar.«

Er hielt inne, um mich zu betrachten. Dann ergriff er zu meiner Überraschung meine Hand, drückte sie fest und meinte: »Miss Harris, Sie gehen dabei ein großes Risiko ein. Wenn Sie wollen, können Sie es sich jetzt noch anders überlegen. Sie müssen es nicht tun.« Doch ich schüttelte den Kopf. »Ich bin genauso bestrebt, das alles hinter mich zu bringen, wie Sie. Vielleicht sogar noch mehr.«

»Sehr gut. Dann wollen wir also beginnen.«

Die besten und teuersten Geschäfte befinden sich in der Nähe des Hotels New Winter Palace, so daß wir dort mit der Arbeit begannen.

Das erste gehörte zu einem Komplex von Andenken-, Mode-und Juwelierläden; sein Inhaber hieß Mohammed Ragab. Auf dem Schild über dem Eingang stand in goldenen Buchstaben die Nummer seiner behördlichen Lizenz.

Es handelte sich um ein geräumiges, gut beleuchtetes Geschäft mit großen Glasvitrinen auf zwei Seiten, modernen Lampen an der Decke und genügend Platz, um zwischen den ausgestellten Möbelstücken und Statuen hindurchzugehen. Da der Inhaber gerade mit einem anderen Kunden beschäftigt war, schaute ich mich unter seinen Waren um, wobei ich die Eingangstür ständig im Auge behielt. Sollte jemand plötzlich hereinkommen, wollte ich vorbereitet sein. »Guten Tag, Madam«, grüßte der Ägypter, als er mich sah. Der andere Kunde verließ bald darauf das Geschäft, so daß ich nun mit ihm allein war. »Womit kann ich Ihnen dienen?« Er trat nahe an mich heran, wobei er einen starken Geruch nach Kartoffeln und Zwiebeln verbreitete.

»Nun, ich bin mir nicht sicher.« Ich wandte mich um und schaute ihn an, damit er mein Gesicht gut sehen konnte. Falls er mich überhaupt erkannte, zeigte er keine sichtbare Reaktion. »Vielleicht interessiert sich Madam für Schmuck? Bitte folgen Sie mir.« Er wies auf eine lange Glastheke, die sich an einer Wand entlangzog, und schritt darauf zu. Ich bahnte mir vorsichtig einen Weg durch die zerbrechlichen Antiquitäten; große Statuen von Pharaonen und Königinnen, riesige, bemalte Vasen, zierliche Tische mit Einlegearbeiten aus Elfenbein.

Jedes Stück war mit einer behördlichen Registriernummer und einem Etikett versehen, das seine Echtheit bescheinigte.

Der Ägypter eilte hinter die Theke und begann sogleich damit, Auslagekästen mit Schmuck daraus hervorzuziehen. Jedes Stück mußte mindestens tausend Jahre alt gewesen sein. Mit seinen dicken Fingern griff er ein großes, schweres Stück Gold heraus, dessen Gestalt an einen Geier erinnerte und das mit Halbedelsteinen besetzt war. »Dieser Brustschmuck stammt aus dem Theben der neunzehnten Dynastie«, erklärte er, wobei mir sein Zwiebelatem ins Gesicht wehte. »Nehmen Sie ihn ruhig in die Hand, Madam, und betrachten Sie ihn aus der Nähe. Man könnte meinen, daß die erlesenen Einlegearbeiten an den Flügeln und am Körper aus Lapislazuli, Karneol oder Feldspat bestehen. Aber sehen Sie, das täuscht. Es handelt sich vielmehr um antikes Glas, das so gut gemacht ist, daß selbst Experten den Unterschied nur schwer bestimmen können. Die alten Ägypter versuchten, Edelsteine mit Glas zu imitieren, und Sie sehen, daß ihr Glas nicht wie unseres war. Schauen Sie, wie es ihm an Glanz fehlt, ganz und gar nicht wie modernes Glas. Das liegt daran, daß es einen geringeren Anteil an Quarz und Kalk aufweist. Nun fahren Sie einmal mit dem Finger darüber, Madam. Winzige Luftbläschen nahe der Oberfläche verleihen dem Glas dieselbe Struktur, wie sie der imitierte Stein aufweist. Sehr schlau, unsere Vorfahren.«

»Ja, nun.« Ich legte den Brustschmuck wieder hin. »Ich habe einige Amethysten aus dem Mittleren Reich«, fuhr er eilig fort. »Sie wurden in der Gegend von Assuan ausgegraben. Oder vielleicht interessiert sich Madam für etwas aus einer späteren Zeit. Diese Halskette besteht aus Beryll und stammt aus der Zeit der griechischen Herrschaft.«

»Nein danke, ich glaube nicht.«

»Möchte Madam vielleicht einen Tee? Ich wollte gerade.«

»Ich bin etwas in Eile, Mr. Ragab. Deshalb werde ich jetzt zur Sache kommen. Ich möchte, daß Sie sich etwas für mich ansehen.« Ich versuchte, meine Hände ruhig zu halten, holte das Bündel aus meiner Tasche, wickelte den Schakal aus und legte ihn zwischen zwei Schmuckkästen auf die Theke. Aufmerksam beobachtete ich das Gesicht des Händlers, um zu sehen, ob sich irgendeine ungünstige Veränderung darauf abzeichnete, doch es ließ keine Reaktion erkennen.

Er starrte auf den Schakal, nahm ihn dann hoch, um ihn zu untersuchen, und fragte schließlich: »Was möchten Sie darüber wissen?« Aha. bei ihm war Adele also nicht gewesen. »Sein Alter und vielleicht die Gegend, wo es herstammt.«

»Hm, Madam, wie soll ich das sagen können? Dieses Stück Elfenbein ist nur ein Teil von einem ganzen Satz Spielfiguren. Ich kann Ihnen nichts darüber sagen, wenn ich nicht auch die übrigen sehe. Oder vielleicht das dazugehörige Spielbrett. Haben Sie das?«

»Nein.«

»Natürlich nicht. Elfenbein ist langlebiger als Ebenholz. Die Spielfiguren haben die Jahrhunderte überdauert, nicht jedoch die Spielbretter, auf denen sie gerückt wurden. Die wenigen, die noch vorhanden sind, befinden sich in Museen.«

»Wissen Sie vielleicht, wo ich ein solches Spielbrett oder auch den Rest des Satzes kaufen könnte?«

Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Nichts würde mir größeres Vergnügen bereiten, als Ihnen solche Stücke verkaufen zu können, Madam.«

»Nun denn, haben Sie trotzdem vielen Dank.« Ich wickelte den Schakal rasch wieder ein, stopfte ihn in meine Handtasche und eilte hinaus.

Achmed stand auf der anderen Straßenseite unter einem Baum auf dem grasbewachsenen Nilufer. »Hier ist nichts«, berichtete ich ihm, als ich zu ihm trat. »Nicht das geringste

Anzeichen dafür, daß er mich erkannte. Er war nicht einmal daran interessiert, zu erfahren, woher ich es hatte.«

»Dann müssen wir weitermachen.«

Ich ging noch in drei weitere Geschäfte in der Nähe des New Winter Palace und hatte dort ebensowenig Erfolg wie in dem von Mr. Ragab, so daß Achmed Raschid und ich schließlich wieder außer Sichtweite an dem grün bewachsenen Flußufer standen.

»Jetzt müssen wir in die Stadt gehen. Vielleicht gibt es im Basar Läden, die Ihre Schwester aufgesucht hat. Es könnte sein, daß sie die Geschäfte in der Nähe des Hotels gemieden hat.« Ich richtete den Blick auf die Straße, die von der Nilpromenade abzweigt und sich hinter dem Luxor-Tempel vorbeischlängelt. Sie führt ins Zentrum von Luxor zu einem geschäftigen Marktviertel, das, wie ich wußte, dem Muski nicht unähnlich sein würde. Ich war enttäuscht, daß wir bis dahin nichts herausgebracht hatten, doch ich sprach es Mr. Raschid gegenüber nicht aus.

Dann wandte ich mich zum Fluß um. Hinter den Klippen am anderen Ufer ging die Sonne allmählich unter, und die Palmen zeichneten sich als dunkle Schattenrisse gegen einen lavendelfarbenen Himmel und das dunkelblaue Wasser ab. Sehr bald würde die Nacht hereinbrechen. »Gehen wir«, sagte ich.

Es fiel mir schwer, langsam zu gehen, denn ich war unruhig und wäre gerne schneller gelaufen. Aber wir wußten, daß wir keine Aufmerksamkeit erregen durften, und reihten uns daher in den Strom der anderen Fußgänger ein, die nun die Straßen füllten. Das Marktviertel glich dem Muski aufs Haar, und bei seinem Anblick bekam ich Herzrasen. Obgleich die Hauptgeschäftsstraße in Luxor kürzer war als die in Kairo, wirkte sie deshalb nicht minder furchterregend, denn sie war genauso überfüllt, genauso laut und ebenso überwältigend.

Hier begann ich erst richtig nervös zu werden. Das erste Geschäft lag in einer kleinen Seitenstraße und sah von außen ziemlich bescheiden aus. Ich mußte mich an einem Esel vorbei drängen, um zum Eingang zu gelangen, und als ich eingetreten war, ließ mich auch das Innere völlig unbeeindruckt. Kaum größer als ein begehbarer Schrank, bot der Laden von Ramesch Gupta sehr wenig, was Statuen und antike Möbel anbelangte. Statt dessen erregten ein paar Regale mit Büchern, Schmuck und einigen Aquarellen vom Nil das Interesse. Es gab keine Theke, nur einen alten hölzernen Schreibtisch, auf dem eine Unmenge Papierkram herumlag. Mr. Gupta war ein Inder, der mit einem Turban und einem fleckenlosen Anzug bekleidet war und mir kaum bis zur Schulter reichte. Er sprach in einer hohen, eintönigen Stimme. »Bonjour, Madame«, grüßte er mich und stand auf. »Hallo.«

»Ah, Britin?«

»Amerikanerin.«

»Ah!« Er verbeugte sich leicht. »Darf ich Ihnen etwas Tee einschenken?«

Eine stattliche Kanne und mehrere Teegläser nahmen den größten Teil der Tischplatte ein, und die stickige Luft war angefüllt mit dem Duft von Pfefferminztee.

»Was kann Ramesch Gupta für Sie tun?«

Ich schaute in sein Gesicht, in seine Augen und sah nichts weiter als Höflichkeit gegenüber einem neuen Kunden. Ich blickte mich in dem winzigen, spärlich beleuchteten Laden um, überflog das kärgliche Inventar und wunderte mich, warum Mr. Raschid mich hierher geschickt hatte.

»Wünschen Sie etwas zu kaufen, Madam? Alle meine Antiquitäten sind echt und behördlich registriert. Lassen Sie mich Ihnen zeigen.«

Er griff nach einem ungeheuren Buch, das von einem Regal über dem Schreibtisch aufragte, und ließ es mit einem Bums fallen. Dabei öffnete es sich zufällig, und die beiden Seiten, die zum Vorschein kamen, hätten aus dem Telefonbuch von Manhattan stammen können. Tausende von Artikeln waren in dem Gupta-Katalog aufgelistet, jeder mit Beschreibung, Alter, Registriernummer und Preis. Alles ziemlich klein geschrieben. Deshalb war ich also hier. Dieser Händler war größer als die übrigen. Möglicherweise sogar der größte. »Ich möchte, daß Sie sich etwas ansehen.«

»Natürlich.« Auf seinem Gesicht zeigte sich noch immer dasselbe Lächeln, dieselbe Beflissenheit.

Doch als ich den Schakal auspackte und ihn auf den Schreibtisch stellte, änderte sich sein Gesichtsausdruck. Zuerst runzelte er die Stirn, dann, als ob er sich erinnerte, kehrte sein Lächeln zurück. »Aha, das Fräulein mit dem Schakal. Sie haben also noch immer keinen Käufer gefunden?«

Mein Herz klopfte zum Zerspringen. »Ich hoffte, Sie könnten mir weiterhelfen.«

»Aber, Madam«, erwiderte er mit freundlichentschuldigender Bestimmtheit, »ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt, daß ich mit solchen Sachen nicht handle. Ich mache meine Geschäfte nur mit der Regierung. Das müssen Sie verstehen. Ich bin ein ehrlicher Mann. Und ich muß Sie warnen. Vor zwei Tagen waren nämlich zwei Beamte von der Behörde für Altertümer hier und stellten mir Fragen. Ich habe natürlich nichts gesagt.«

»Das weiß ich zu schätzen, vielen Dank. Aber vielleicht könnten Sie mir trotzdem sagen, wer.«

»Aber ich habe Sie doch schon einmal darauf hingewiesen, daß ich damit nichts zu tun haben will. Ich kann Ihnen nicht einmal den Namen von Händlern bekanntgeben, die sich möglicherweise darauf einließen, denn die Regierung verfährt mit Gesetzesbrechern sehr streng. Ich will meine Lizenz behalten, Madam.« Ich stand einen Augenblick da und überlegte meinen nächsten Schritt. Er hatte noch immer nichts gesagt, was Jelks mit der Sache in Verbindung brachte, obgleich es nun keinen Zweifel mehr daran gab, daß Adele in illegale Machenschaften verwickelt war. Auch hatte mir dieser Inder keinen Hinweis darauf gegeben, wieviel er wußte. Hatte Adele ihm gegenüber ein Grab erwähnt?

Ramesch Gupta lieferte mir von sich aus die Antwort. »Sie sollten auf meinen Rat hören, Madam, auf den Rat, den ich Ihnen schon das letzte Mal gab. Eine Handvoll antiker Kunstgegenstände stellt noch kein großes Vergehen dar. Bringen Sie sie zu den ägyptischen Behörden. Es ist bei weitem besser, den Gegenwert dafür zu verlieren, als Ihre Freiheit einzubüßen.«

Ich dankte ihm und traf mich etwas weiter die Straße hinunter in einer Nische, wo wir nicht gesehen werden konnten, wieder mit Mr. Raschid. Nachdem ich ihm Wort für Wort alles berichtet hatte, meinte er: »Allem Anschein nach ist Ihre Schwester behutsam vorgegangen. Vielleicht gab sie vor, sie hätte nur wenige Artikel zu verkaufen und der Schakal sei einer davon. Ich schätze aber, wenn sie auf einen Händler stieße, der sich im Gegensatz zu Gupta bereit erklärte, ihr die paar Stücke abzukaufen, dann würde sie ihm auch von dem Grab erzählen.«

»Und von Jelks.«

»Ja. Bis jetzt haben wir praktisch nichts in der Hand. Wir müssen weitermachen.«

»Ja, ich denke schon.«

»Geht es Ihnen gut?« In seinen Augen spiegelte sich Besorgnis. Im Dunkel des Schattens, in dem wir standen, während eine trübe Dämmerung langsam alles Licht aus der engen Straße vertrieb, ergriff Achmed Raschid meine Hand und drückte sie fest. Wir standen dicht beieinander, so dicht, daß wir uns fast berührten. »Es geht schon.«

»Rossiter könnte sich da draußen herumtreiben«, entgegnete er ruhig und wies in die Richtung der belebten Marktstraße, die man von hier aus hören, aber nicht sehen konnte. »Ich weiß.«

»Miss Harris, wir können auch ins Hotel zurückgehen und einen anderen Plan ausprobieren. Vielleicht sollten wir auch einfach zu Paul Jelks’ Camp hinausfahren und auf unser Glück vertrauen, daß er derjenige ist, den wir suchen.«

»Nein«, widersprach ich schnell. »Nehmen wir einmal an, er ist es nicht. Oder nehmen wir an, er ist es, aber Sie sind sich nicht ganz sicher. Sie würden ihn dann nicht verhaften, oder? Nicht, wenn Sie im Zweifel wären. Und das würde alles vereiteln. Ich gehe weiter in die Geschäfte, bis sich jemand verplappert. Wenn wir erst einmal wissen, daß Jelks dahintersteckt, sind wir am Ziel.« Ich sah ihm lange in die Augen, spürte seine Nähe, meine Hand in seiner Hand, und dann fühlte ich seine Kraft und meine eigene Kraft. »Achmed. ändere nicht wegen mir deinen Angriffsplan. Ich kann schon auf mich selbst aufpassen!« Vor elf Tagen wäre ich nicht so mutig gewesen. Doch heute war das anders. Heute würde ich der Hölle und dem Teufel trotzen - und vielleicht sogar Arnold Rossiter -, um meine Schwester zurückzubekommen.

Die nächsten beiden Geschäfte ergaben nichts. Es war dunkel geworden, als ich wieder zu Achmed Raschid stieß, und meine Besorgnis wuchs. Vielleicht war es nur meiner Einbildungskraft zuzuschreiben, oder war es die Folge davon, daß ich in dem überfüllten Basar ständig angerempelt und herumgeschubst wurde - die erschreckende Erinnerung an das Muski-Viertel begann mich wieder heimzusuchen -, aber ich fühlte mich allmählich ganz unsicher. Irgendwie verlief alles zu glatt, zu reibungslos. Schließlich erreichten wir das

Geschäft von S. Khouri, lizenzierter Händler für authentische Antiquitäten. Es befand sich direkt an der eigentlichen Einkaufsstraße und hatte ein großes Schaufenster, in dem antike Statuen, Säulenfüße und Vasen ausgestellt waren. Achmed sprach mir Mut zu, trat dann in die Menge zurück und war im Nu verschwunden. Ich stieß rasch die Tür auf. Der Laden war verstaubt und klein, bis unter die Decke vollgestopft mit Messingschmuck, Wandteppichen, Skulpturen und Gemälden. Seine einzige Lichtquelle bildeten zwei trübe, von der Decke herabhängende Lampen, so daß man nichts deutlich erkennen konnte. Das Dämmerlicht ließ den Laden noch enger und überfüllter erscheinen. Ich drängte mich durch einen schmalen Gang nach hinten zu der gläsernen Theke und mußte aufpassen, daß ich nicht an die kleinen Tische stieß, auf denen zierliche Statuetten ausgestellt waren. Als die Tür zuging, meldeten an einer Schnur befestigte Glöckchen meine Ankunft. Gleich darauf trat der Inhaber hinter einem Perlenvorhang heraus. Er war ein kleiner wieselartiger Mann mit glänzenden Augen und einem spitz zulaufenden Gesicht. Sein öliges, schwarzes Haar klebte ihm am Schädel wie ein Helm und reflektierte das schwache Licht von oben. Als ich auf ihn zuging, hatte ich ein wachsames Auge auf sein Gesicht und achtete auf das geringste Anzeichen dafür, daß er mich wiedererkannte. Doch es tat sich nichts. Er lächelte, rang die Hände und sagte gewandt: »Guten Abend, Madam.«

»Guten Tag.« Ich trat näher an ihn heran, so daß nur noch die Theke zwischen uns stand, und noch immer verriet sein Gesicht kein Wiedererkennen. Nichts als Lächeln und Diensteifer.

»Madam interessiert sich für Antiquitäten?«

»Gewissermaßen, ja.« Ich blickte mich um. Ein schwerer Geruch von Weihrauch hing in der Luft. Ich hatte das Gefühl, eingesperrt und in meiner Bewegungsfreiheit beschränkt zu sein. »Ich möchte, daß Sie sich etwas ansehen.«

»Aber gewiß doch.«

Meine Hände waren klamm, als ich meine Tasche auf die Theke stellte. Aber es gelang mir, nicht zu zittern, als ich das Bündel niederlegte, das Taschentuch fein säuberlich ausbreitete und den Schakal enthüllte.

Das Wieselgesicht des Mannes blieb unverändert. »Exquisit«, kommentierte er und nahm den Schakal in eine Hand. »Ein hübsches Stück. Überhaupt nicht beschädigt.«

Ich beobachtete ihn, wie er den Schakal prüfend drehte und wendete, und hatte plötzlich das komische Gefühl, daß er sich selbst im Zaume hielt und daß sein Verhalten einstudiert war. Es war natürlich eine absurde Idee, denn es gab keinen Grund, dies anzunehmen. Mr. Khouri lächelte, war höflich und zeigte wie alle anderen ein freundliches Interesse. Und dennoch. irgend etwas war anders an ihm. Etwas, das bei den anderen nicht dagewesen war, eine leise Vorahnung, die ich bei den anderen Händlern nicht verspürt hatte.

»Wo haben Sie dieses reizende Stück gefunden?« hörte ich ihn fragen.

Dann sah ich die vollgestopften Wände rings um mich her aufragen, spürte die schweren Schatten in allen Ecken und wurde plötzlich von dem Gefühl überwältigt, in eine Falle geraten zu sein. »Ich habe noch andere.«, antwortete ich unsicher. Er lächelte weiter auf seine zuckersüße, einschmeichelnde Art. »Dessen bin ich gewiß. Aber lassen Sie mich dieses hier in besserem Licht sehen.« Der Ägypter lief um die Theke herum, um sich unter die von der Decke herabhängende Lampe zu stellen. Und als er dies tat, meinte ich, eine Bewegung hinter dem Perlenvorhang wahrzunehmen.

Mr. Khouri trat neben mich, wobei er den Schakal ein übers andere Mal in den Händen drehte und wendete. Er stand jetzt vor der Theke, so daß ich mich umdrehen mußte. »Das Stück scheint echt zu sein«, stellte er fest. »Neues Reich, würde ich meinen.« Dann sah er mit seinen zusammengekniffenen Augen zu mir auf. »Was haben Sie sonst noch?«

Ich schluckte schwer und beschloß, das Wagnis einzugehen. »Das habe ich Ihnen doch schon beim letzten Mal gesagt, als ich hier war.«

Sein Grinsen verbreiterte sich. »Allerdings. Ich weiß nicht, warum Sie vorgaben, nicht schon früher hiergewesen zu sein, aber das macht nichts. Ich wußte, daß Sie zurückkommen würden.« Er blickte auf den Schakal hinunter, klopfte damit nachdenklich gegen seine Handfläche und sagte schließlich: »Aber ich teilte Ihnen damals auch mit, daß ich keine Geschäfte über Sie machen würde, Madam, sondern daß ich nur direkt mit Ihrem Auftraggeber verhandeln will.« Mein Herz begann wieder zu rasen. Adele arbeitete also für jemanden.

»Und bei dieser großen Menge Ware, die Sie anbieten«, fuhr der ölige Mr. Khouri fort, »bezweifelte ich, daß irgend jemand anderes in Luxor oder Kairo sich die Finger daran verbrennen würde. Nur ich kann eine solche Menge richtig handhaben.«

Ich schluckte abermals. Wie es schien, gab es tatsächlich ein Grab. »Wenn Sie interessiert sind«, gab ich verwegen zurück, »dann werden wir nur durch meine Person ins Geschäft kommen.« Aber er schüttelte den Kopf und hielt mir den Schakal hin, den ich von ihm entgegennahm. »Bedaure, Madam. Das kann ich nicht riskieren. Bitte richten Sie Dr. Jelks aus, daß wir uns unter vier Augen treffen müssen oder überhaupt nicht.«

Ich hielt den Atem an. Mein Herz klopfte wie wild. Er hatte den Namen Jelks ausgesprochen.

Im nächsten Augenblick vernahm ich ein Geräusch hinter mir, und als ich herumfuhr, schaute ich geradewegs in zwei dicke Brillengläser.

»Guten Abend«, grüßte der fettleibige Zeitgenosse. »Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen?«

Ich stieß einen erstickten Schrei aus und drehte mich blitzschnell wieder um. Mr. Khouri war verschwunden.

»Erlauben Sie mir, daß ich mich vorstelle. Ich bin Karl Schweitzer.«

Ich wandte mich um und stand ihm wieder gegenüber. Ein rührseliges, süß-saures Lächeln zeigte sich im Halbdunkel auf seinem Gesicht, und seine Augen wirkten hinter den starken Brillengläsern beängstigend groß.

»Es wäre durchaus möglich, daß ich Ihnen helfen kann«, fuhr er mit einem deutschen Akzent fort.

Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf. Ich wußte, daß Achmed sich auf der anderen Straßenseite befand und nicht in den Laden hineinsehen konnte und daß er mich auch nicht hören würde, wenn ich schrie. Der Antiquitätenhändler war verschwunden - entweder gezwungenermaßen oder nach Absprache mit diesem Mann. Und so blieb ich in diesem winzigen Ramschladen mit dem Mann, der John Treadwell umgebracht hatte, allein zurück. »Inwiefern wünschen Sie, mir zu helfen, Mr. Schweitzer?« fragte ich mit zugeschnürter Kehle. Ich bewegte langsam meinen Fuß rückwärts und spürte, daß ich gegen ein Hindernis stieß. Links von mir stand die Theke, und vor mir hatte sich der Dickwanst aufgebaut. Das bedeutete, mein einziger Fluchtweg lag rechts von mir, ein langer, enger Gang voller Hindernisse, an dessen Ende sich die Tür befand.

»Ich handle gelegentlich mit Antiquitäten.« Er deutete auf den Schakal in meiner Hand. »Wie ich sehe, haben Sie etwas zu verkaufen?«

»Nun.« Ich versuchte Zeit zu schinden, um die Lage abzuwägen. Es war möglich, daß Schweitzer nicht wußte, daß ich ihn kannte. Es war möglich, daß er mir etwas vorgaukeln wollte, um mich wegzulocken. Alles war möglich. Und ich verspürte mit einem Mal überhaupt keine Lust mehr, mich auf irgendwelche Spielchen einzulassen. Ich wollte, daß das alles vorbei wäre. Ich wollte meine Schwester zurück. Und ich wollte, daß der Alptraum ein Ende nähme. Er sollte aber nicht mit Täuschung und Lüge und Schauspielerei und Tricks enden. Er würde mit schonungsloser Ehrlichkeit und vielleicht sogar mit einem Kampf zu Ende gehen.

Ich wollte das Risiko eingehen. So sagte ich: »Ich weiß, wer Sie sind, Mr. Schweitzer.«

Das Lächeln auf seinem Gesicht erstarrte. »Sie wissen.?«

»Sie waren mit mir im Domus Aurea.« Er sagte kein Wort, blieb regungslos stehen. »Und ich sah Sie mit John, bevor er ermordet wurde.« Schweitzer nickte langsam. »Ich verstehe.«

Meine Finger wanden sich krampfhaft um den Kopf des Schakals. Seine lange Schnauze und seine spitzen Ohren gruben sich in meine Hand. Ich hielt ihn fest wie einen Dolch, bereit zuzustoßen. »Dann brauchen wir keine Zeit zu verschwenden«, sprach er leise weiter. Wir starrten einander in der Dunkelheit an, beide auf der Hut und in höchster Alarmbereitschaft.

»Wir können einander behilflich sein«, meinte er vorsichtig. »Wie?« Mein Körper begann zu zittern.

Im Bruchteil einer Sekunde griff er blitzschnell unter seine Jacke und förderte eine Pistole zutage. Ihr Lauf war aus einer Entfernung von wenigen Zentimetern auf meine Brust gerichtet. »Ich will, daß Sie mit mir kommen«, erklärte er mit gedämpfter Stimme. Ich starrte ungläubig auf die Schußwaffe. »Wohin?«

»Sicher wissen Sie, wohin. Wenn Sie schon wissen, wer ich bin, wie Sie sagen, dann müssen Sie wohl auch wissen, wohin wir gehen.«

»Wir können uns hier unterhalten«, entgegnete ich ruhig. Das Herz schlug mir bis zum Hals.

»Ich denke nicht, Fräulein. Seien Sie bitte friedlich. Wir wollen doch keinen Ärger.«

In diesem Augenblick beschloß ich, keine Zeit mehr mit Überlegen zu verschwenden. Wenn Schweitzer mich überrumpeln konnte, dann konnte ich mit ihm das gleiche tun. Ohne lange darüber nachzudenken, was ich tat, ließ ich meine linke Hand plötzlich unter seinen Arm schnellen und schmetterte ihn hoch, während ich mit meiner Rechten blindlings losschlug. Der Hieb mit dem Schakal hatte gesessen. Die Pistole flog durch die Luft, und Schweitzer faßte sich verblüfft an seine verletzte Schulter.

Dann drehte ich mich blitzschnell um und rannte was das Zeug hielt Richtung Ausgang. Ich stolperte über Tische, stieß Statuen beiseite und bahnte mir wie rasend einen Weg durch das wirre Durcheinander, bis ich die Tür erreichte. Ich riß sie auf, stürzte Hals über Kopf in die Menge und rannte, ohne nach links und rechts zu schauen, weiter, bis ich Achmed Raschids Arme um mich fühlte und seinen Körper an meinem spürte. »Lydia!«

»Schnell.« keuchte ich. »Lauf.«

Wir schoben und drängten uns blind durch die Menge, ohne daß uns jemand auch nur die geringste Beachtung schenkte, bis wir fern von Lichtern und Menschen eine ruhige Toreinfahrt fanden.

Ich brachte nur einzelne Worte heraus, unterbrochen von heftigem Schluchzen, als ich in Achmeds schützender Umarmung dastand. Er fragte mehrmals: »Was ist passiert?« bevor er mir den Schakal entwand und sah, daß er mit Blut bedeckt war. »Der dicke Mann.«, stieß ich hervor. »Er hatte eine Pistole.«

»Sprich nicht.« Wir beeilten uns, die Gegend um den Basar herum zu verlassen, und hasteten auf unserer Flucht durch einsame, dunkle Straßen. Wir eilten durch enge Gassen, über glitschiges Kopfsteinpflaster und durch menschenleere Seitenstraßen. Achmed schien die Gegend wie seine Westentasche zu kennen und führte mich, ohne zu zögern, weg von Lichtern und Leuten, behielt dabei jedoch stets die Richtung bei, in der das Hotel lag.

Als wir uns schließlich dem New Winter Palace näherten und uns wieder unter Fußgängern befanden, nahm er mich beiseite und sah mich an. Mein Gesicht war kreidebleich, und an meiner Bluse klebte Blut.

»Möchtest du jetzt gleich in dein Zimmer hinaufgehen?« fragte er. »Ja.«

»In der Eingangshalle werden Leute sein.«

»Das ist mir egal. Ich will hinaufgehen. Jetzt gleich.« Wir liefen durch den Garten und rannten die Stufen zum Haupteingang hinauf, wo der Türsteher glücklicherweise mit einem Taxi beschäftigt war und uns nicht bemerkte. Wir stießen selbst die Glastür auf und eilten durch die Lobby zu den Aufzügen. Wir hatten Glück, daß sich gerade, als wir ankamen, einer davon öffnete und sich unmittelbar hinter uns wieder schloß. Achmed und ich fuhren allein im Aufzug nach oben.

Sobald wir uns in meinem Zimmer befanden, sackte ich auf einem der beiden Betten zusammen, denn ich fühlte mich schrecklich schwach. Nachdem Achmed die Vorhänge zugezogen und die Tür zweimal abgeschlossen hatte, setzte er sich neben mich und öffnete seine Hand, um den Schakal zu betrachten. Blut war von seinem Schaft auf seine Finger getropft.

»Kannst du mir jetzt erzählen, was passiert ist?«

»Ja.« Ich holte tief Luft und berichtete ihm alles, was sich in Khouris Laden zugetragen hatte, und ließ auch nicht unerwähnt, daß ich gleich zu Anfang den Eindruck gehabt hatte, in eine Falle gegangen zu sein, und daß sich hinter dem Vorhang etwas geregt hatte.

»So.«, sagte er, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten. »Der dicke Mann, dieser Schweitzer, muß also schon dort gewesen sein, bevor du das Geschäft betreten hast. Das würde bedeuten, daß er entweder wußte, daß du dorthin kommen würdest, oder daß er mit Mr. Khouri eigene Geschäfte tätigte.«

»Woher sollte er gewußt haben, daß ich dorthin gehen würde?«

»Vielleicht von den anderen Händlern, die ihn benachrichtigt haben könnten, daß du von Geschäft zu Geschäft gingst. Daraus wird er logisch gefolgert haben, daß du möglicherweise auch Khouri aufsuchen würdest - einen bekannten Antiquitätenhändler.« Ich dachte einen Moment darüber nach. Dann schauderte ich. »Ich habe richtig zugestochen!« Die Erinnerung an das Gefühl, das ich gehabt hatte, als der Schakal sich in die fleischige Schulter des Dicken bohrte, ließ sich einfach nicht abschütteln.

Wortlos stand Achmed auf und ging ins Bad. Ich hörte das Rauschen von fließendem Wasser. Als er einen Moment später wieder herauskam und sich neben mich aufs Bett setzte, waren sowohl seine Hände als auch der Schakal sauber.

Dann schaute ich auf meine eigenen Hände - rot von Blut. »Das ist es nicht, was mich stört, Achmed. Ich bin von meiner Arbeit weiß Gott an Blut gewöhnt. Aber das hier ist anders.«

»Ich weiß«, erwiderte er sanft.

»Ich meine. Ich habe tatsächlich auf ihn eingestochen.« Wieder durchfuhr mich ein Schauer. Achmed legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich zu sich heran.

»Du hast nur versucht, dein eigenes Leben zu retten«, beschwichtigte er mich. »Und ich fühle mich für das, was passiert ist, verantwortlich.«

»Es ist überhaupt nicht deine Schuld. Ich habe ja gewußt, worauf ich mich einließ. Und ich glaube, ich würde es wieder tun. Ich weiß nicht. Aber es gab keinen anderen Ausweg. Von Anfang an mußte ich mich mit der Gefahr auseinandersetzen. Heute abend war das nicht anders. Ich denke, Adele hätte dasselbe für mich getan.« Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. »Großer Gott! Ein Elfenbeinschakal gegen eine Pistole. Ich muß nicht bei Trost gewesen sein!«

»Aber es hat doch geklappt, oder nicht?«

»Ja. das hat es.« Ich sah im Geiste die Pistole, nur Zentimeter von meinem Herz entfernt, sah die fetten Finger, die sie hielten, und versuchte, meine Gedanken in genau diesem Augenblick nachzuvollziehen. Doch es gelang mir nicht, weil es keine gab. Ich hatte spontan gehandelt - ein Überlebensinstinkt hatte die Führung übernommen. »Und was, wenn ich nicht so schnell gewesen wäre?«

»Darüber sollst du nicht nachgrübeln.«

»Und wenn ich nicht zugestochen hätte, hätte er die Pistole vielleicht nicht losgelassen. Er hätte möglicherweise sofort die Fassung wiedererlangt und mich erschossen.« Ich nahm Achmed den Schakal aus der Hand und betrachtete ihn. »Sieht harmlos aus, nicht wahr? Und doch ist er die Ursache für ausnahmslos alles, was sich in diesen letzten. was, schon elf Tage? - ereignet hat. Er hat mich auf die andere Seite der Erde gebracht. Seinetwegen wurde ich fast umgebracht. Und er hat mir auch das Leben gerettet.«

Ich drehte ihn langsam zwischen meinen Fingern hin und her. Achmed hielt mich eng umschlungen. Dann dachte ich: Er hat auch mich verändert und ist dafür verantwortlich, daß ich jetzt hier sitze. »Zumindest«, meinte Achmed mit leiser Stimme, »haben wir erreicht, was wir wollten. Wir wissen jetzt, daß tatsächlich Paul Jelks hinter allem steckt, und ich kann morgen ganz offiziell zu seinem Camp hinausfahren.«

Ich hob den Kopf und blickte in seine Augen. Mein Herzschlag beschleunigte sich; nicht wegen meines Kampfes -denn der schien seltsamerweise plötzlich weit zurückzuliegen -, sondern wegen Achmeds Nähe, der Wärme seines Körpers an meinem, dem festen Griff, mit dem er mich an sich drückte. Als er sich hinunterbeugte und mich küßte, schien mir das ganz natürlich. Seine Lippen berührten meine wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, gingen aber sofort zu etwas anderem über. Der Drang, der sich in seinem Kuß ausdrückte, erschreckte mich nicht, denn ich erwiderte ihn mit meinem eigenen Verlangen. In diesem leidenschaftlichen Moment schien es mir, als ob ich mein ganzes Leben nur dafür gelebt hatte.

Als er sich von mir wieder wegneigte und seine Umarmung lockerte, sah ich ein merkwürdiges Leuchten in seinen Augen, einen sonderbaren Ausdruck, der mit der Leidenschaft des Kusses nicht übereinstimmte. Dann sagte er in einem eigenartig distanzierten Ton: »Jetzt werden mich keine Zweifel mehr plagen, wenn ich an ihn herantrete. Ich werde ihm selbstbewußt entgegentreten, denn ich weiß, daß ich richtig liege. Ich muß Ihnen dafür danken, Miss Harris.«

»Ja, natürlich.«

Ich löste mich aus seinem Arm und erhob mich. Jetzt schwankte ich nicht mehr. Ich fühlte mich stark. Was mir eine Stunde zuvor widerfahren war, hätte ebensogut vor einem Jahr passiert sein können, so wenig war von seiner Wirkung zurückgeblieben. Nun beschäftigte mich etwas anderes. Ich ging ins Bad, wusch mir Hände und Gesicht und kam zurück ins Zimmer, wo ich mich auf dem Bett gegenüber von Achmed niederließ. Ich sah ihm direkt in die Augen. »Warum hast du mich gerade Miss Harris genannt?« Er starrte mich an und gab keine Antwort. »Vorher war ich Lydia.«

»Ja, ich weiß.« Seine Augen hielten meinem Blick weiterhin stand. Ich spürte, daß mein Herz wieder zu klopfen anfing, aber diesmal aus einem anderen Grund.

Wieder kam mir Dr. Kellerman in den Sinn, und ich dachte an die zärtliche, sanfte Zuneigung, die mich mit ihm verband. Es war eine Mischung aus Hingabe und Bedürfnis; es ging sehr tief und war schon lange Zeit dagewesen. Aber dieses andere -dieses glühende, spannungsgeladene Verlangen, das ich für Achmed Raschid empfand -, das war eine erregende Liebe voller Leidenschaften. »Miss Harris. Lydia«, begann er und schien zum erstenmal unsicher zu sein. »Ich habe nie zuvor eine Amerikanerin gekannt. Wir kommen aus verschiedenen Welten, du und ich. Deine Religion ist nicht die meine. Deine politischen Überzeugungen sind nicht die meinen. Unsere Sitten sind unendlich verschieden. Wir«, er streckte seine Hände aus, »sind unendlich verschieden.«

»Und wen«, entgegnete ich ruhig, »wen versuchst du davon zu überzeugen? Dich oder mich?«

Zum ersten Mal wandte er die Augen ab. Ich spürte, daß er einen inneren Kampf austrug. Und als wir weiter schweigend dasaßen, dachte ich zurück an jene Nacht im Shepheard’s Hotel, als John mich aufs Bett gelegt und in seine Arme genommen hatte und wir uns geküßt hatten. Ich erinnerte mich daran, wie sehnsüchtig diese Küsse gewesen waren und wie sehr sie Leidenschaften wachgerufen hatten. Ich schaute auf den Mann vor mir. Er mußte mich nicht küssen, ja nicht einmal berühren, um mich zu erregen. Allein seine Nähe entzündete ein Feuer in mir. »Wir werden morgen früh aufbrechen, und es ist schon spät. Du solltest schlafen, Lydia. Aber ich werde dich nicht verlassen, denn das wäre nicht sicher.«

Ich erhob mich spontan, hob meine Handtasche vom Boden auf, wickelte den Schakal in das Taschentuch und schickte mich an, die Tagesdecke zurückzuziehen. Achmed rührte sich nicht vom Fleck. Als ich jedoch meine Schuhe wegkickte und Anstalten machte, ins Bett zu kriechen, stand er plötzlich auf und griff nach meinen Arm. »Lydia, du mußt etwas verstehen.«

Ich konnte seinem Blick nicht ausweichen. Er schien Dinge zu sagen, die er mit Worten nicht auszudrücken vermochte. »Ich fühle es auch«, murmelte er ruhelos. »Aber wir dürfen es nicht zulassen. Wir sind uns durch Zufall begegnet, und bald schon wirst du in deine Welt zurückkehren. Denn der Grund, aus dem du herkamst, der Grund, aus dem du jetzt hier bist, wird nicht länger existieren, und dann wirst du fortgehen. Du hast dein Krankenhaus und deinen Chirurgen, der auf dich wartet, und ich habe meine Arbeit bei der Regierung. Wir haben beide Aufgaben und Verpflichtungen. Was zwischen uns passiert ist, ließ sich nicht vermeiden, weil es rein zufällig geschah. Aber es darf nicht sein. Morgen werden wir in die Wüste hinausfahren, und hoffentlich wirst du dort deine Schwester finden. Dann werdet ihr in die Welt zurückkehren, in die ihr gehört.«

»Ich weiß, wohin ich gehöre«, flüsterte ich.

Sein Griff um meinen Arm wurde fester. Ich hätte in diesem Augenblick alles dafür gegeben, wenn er weich geworden wäre; wenn er mich in seine Arme genommen und wieder geküßt hätte. Aber ich wollte nicht diejenige sein, die ihn dazu veranlaßte. Wenn Achmed über seinen inneren Konflikt den Sieg erringen sollte, wenn er erkannte, wie sinnlos seine Worte waren, und wenn er jetzt zu der Überzeugung gelangte, daß

Kulturen und andere Welten und Religionen keine Bedeutung hatten, dann wollte ich, daß diese Entscheidung von ihm kam -nicht von mir. Er mußte die Antwort in sich selbst finden. »Lydia, wenn es der Wille Allahs ist, wird es geschehen. Aber ich glaube nicht daran, denn ich weiß, daß wir bald auseinandergehen und uns nie wiedersehen werden. Was zwischen uns geschehen ist und noch immer geschieht, hätte nie sein sollen.«

Ich zog meinen Arm von ihm weg. Wie in einem Traum schlug ich die Bettdecke zurück und schlüpfte darunter. Im Geiste hörte ich mich sagen: So muß es sein, wenn man unter Narkose steht.

Jemand drehte das Licht aus und hüllte den Raum in völliges Dunkel. Kein Geräusch war zu hören. Luxor lag in tiefem Schlaf. Das Hotel war still und ruhig. Als ich in meinem Bett lag und in die Finsternis starrte, hörte ich, wie jemand sich in das Bett neben mir legte und seufzte. Dann spürte ich, wie mein Körper weit fortgetrieben wurde und in abgrundtiefen Schlaf versank.

Mitten in der Nacht schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Einen Moment lang kam es mir so vor, als ob ich nur die Augen geschlossen hätte. Doch als ich mich auf der Seite statt auf dem Rücken fand, wußte ich, daß ich geschlafen hatte. Ich hatte nur keine Ahnung, wie lange.

Das Zimmer war noch immer unglaublich dunkel. Ich horchte auf Geräusche, auf Bewegungen oder Atmen. Da war nichts. »Achmed?« flüsterte ich.

Ich brauchte nicht erst das Licht einzuschalten, denn ich wußte schon, daß er nicht da war. Ich stand vom Bett auf und trat geradewegs ans Fenster. Ich zog die Vorhänge beiseite und ließ helles Mondlicht ins Zimmer und über die beiden leeren

Betten scheinen. Bestürzt schlich ich auf Zehenspitzen zur Tür, legte mein Ohr daran und lauschte. Ein undeutliches Geräusch war von der anderen Seite der Tür zu vernehmen. Fast, als ob sich zwei Leute unterhielten. Aber leise, als sollte niemand anderes es hören.

Ich öffnete die Tür einen Spalt, gerade so weit, daß ich mit einem Auge hinausspähen konnte. Ich sah Achmed Raschid, der im Gang stand und mit jemandem, den ich nicht erkennen konnte, vertraulich murmelte. Er stand gegen die Wand gelehnt und hatte seine Hände lässig in die Hosentaschen vergraben. Er schien entspannt und gelöst, als ob er sich nur die Zeit vertriebe. Und als er leise lachte, fragte ich mich, wer dieser unsichtbare andere wohl war. Ich preßte mich eng an die Wand, um meinen Blickwinkel zu verändern. Ich hatte nun eine gute Sicht auf die Person, mit der Achmed so ungezwungen plauderte. Es war der Mann mit der dicken Brille: Karl Schweitzer.

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