Kapitel 14.

Ich war erstaunt, wie tief ich den Rest der Nacht durchschlief. Vermutlich war es so etwas wie ein seltsames Bedürfnis, das mich in die Lage versetzte, zu schlafen und den traumatischen Erlebnissen des vorangegangenen Abends für eine Weile zu entfliehen. Zuerst die Strapazen des Basars durchzumachen, dann vor der Mündung einer geladenen Pistole zu stehen, dann einen Mann niederzustechen und dann erfahren zu müssen, daß Achmed mit Schweitzer freundschaftlichen Umgang pflegte. das alles hatte sich zu etwas mehr aufgetürmt, als mir im Augenblick lieb war. So hatte ich die beiden Männer auf dem Gang stehenlassen, hatte leise die Tür geschlossen und war gleich darauf in einen tiefen Schlaf gesunken.

Am Morgen fühlte ich mich jedoch wenig erfrischt. Und als ich aufwachte, war ich froh, daß Achmed nicht da war. Ich brauchte eine kalte Dusche und Zeit zum Nachdenken. Nachdem ich mich gewaschen und etwas Ordnung in meine Gedanken gebracht hatte, stand ich vor dem Spiegel und kämmte mein feuchtes Haar aus. Was konnte das freundschaftliche Verhältnis von Achmed Raschid und Karl Schweitzer anderes bedeuten, als daß Achmed gar nicht der Regierungsbeamte war, für den er sich ausgab, oder daß er ein unehrlicher war? Sowohl das eine als auch das andere war schlecht. Ich wußte, daß Schweitzer mich im Domus Aurea niedergeschlagen hatte und daß er John getötet hatte. Was sagte das über seinen Freund Achmed aus? Ich hatte mich nicht viel anders gefühlt, als ich die Wahrheit über John Treadwell erfahren hatte: verbittert, enttäuscht und vor allem wütend. Schon wieder war ich von jemandem zum Narren gehalten worden, und ich fragte mich traurig, wie oft in meinem Leben mir das noch passieren mußte, bevor ich eine Lektion gelernt hatte. Während ich auf dem Balkon stand, um mein Haar trocknen zu lassen, beobachtete ich die langen, gekräuselten Schatten, die die Morgensonne warf, und überlegte, welche unvorhersehbaren Ereignisse dieser Tag wohl bringen würde. Alles, was ich wußte, war, daß ich meine Schwester finden und sie in die vernünftige, normale Welt zurückbringen wollte.

Achmed mußte mehrmals klopfen, bevor er schließlich selbst öffnete. Ich stand noch immer auf dem Balkon, als er sich zu mir gesellte. »Ich war nicht sicher, ob du schon wach bist. Wie geht es dir, Lydia?«

»So gut, wie man es eben erwarten kann.« Ich starrte weiter vor mich hin. »Und dir?«

»Ausgezeichnet. Ich konnte gut schlafen.« Er blickte auch eine Weile auf den Fluß hinaus, und ich hoffte halb, er würde mir jetzt von seinem Treffen mit Schweitzer berichten. Ich hätte fragen können, aber ich wollte, daß er es unaufgefordert tat. Was aber nicht geschah. Achmed wartete darauf, daß ich noch etwas sagte. Als ich aber weiter schwieg, fuhr er fort: »Die erste Fähre über den Fluß geht in Kürze. Die nächste eine Stunde später. Willst du mit der ersten fahren, oder möchtest du vorher frühstücken?«

»Ich habe keinen Hunger«, gab ich zurück.

»Sehr gut.« Er wandte sich von mir ab und ging ins Zimmer zurück. Als ich hinuntersah, stellte ich fest, daß meine Hände das Geländer so fest umklammerten, daß meine Knöchel weiß hervortraten. Ich versuchte einen Entschluß zu fassen. Sollte ich ihn mit meiner Entdeckung konfrontieren oder nicht? Sollte ich mich einfach Hals über Kopf hineinstürzen, damit herausplatzen und es hinter mich bringen, oder sollte ich dieses falsche Spiel noch weiter treiben? Dann drehte ich mich um und schaute ihn an. Und als ich seine wunderschönen Augen und sein gewinnendes Lächeln sah, schlug mein Herz ihm entgegen. Nein, dachte ich traurig. Er wird mich sowieso nur anlügen, und damit wäre nichts erreicht. Wir können die Scharade ebensogut noch eine Weile fortsetzen. Zumindest so lange, bis ich Adele gefunden hatte.

Die Morgensonne stach uns in die Augen, während sie über dem New Winter Palace allmählich aufging. Die Fähre würde uns ans Westufer bringen, ins Land der Toten, in jenes Reich, zu dem Amon-Re allmorgendlich in seiner Sonnenbarke im Osten aufbrach. Achmed und ich waren zu dieser Stunde die einzigen Fahrgäste, was mir nur recht war. Ich hatte kein Verlangen nach einer Menschenmenge. Wegen der Schnelligkeit der Strömung mußte sich die Fähre stromauf arbeiten, um stromabwärts zu gelangen. Weil man nicht auf direktem Weg übersetzen kann, dauerte die Fahrt ziemlich lange. Während das Boot sich langsam auf die gegenüberliegende Landungsbrücke zubewegte, beobachtete ich meinen Begleiter, wie er an der Reling stand. Der leichte Nordwind strich über sein Gesicht und zerzauste sein Haar. Im Profil war er ein bemerkenswerter Mann mit einer starken Nase und Augen wie ein Adler. Ich sah Achmed Raschid gerne an, obwohl ich nun zugleich traurig und wütend war. In gewisser Hinsicht wünschte ich, ich hätte ihn letzte Nacht nicht mit Schweitzer gesehen. Ich wünschte, ich hätte die Wahrheit nicht erfahren, denn dann hätte ich ihm weiterhin blind vertrauen und ihn lieben können. Doch jetzt konnte es natürlich nie wieder wie vorher sein.

Auf der anderen Seite standen mehrere Taxis bereit, so daß wir keine Mühe hatten, eins zu mieten. Achmed und der Fahrer handelten zunächst einen Preis aus und verständigten sich darauf, daß er uns dafür bis zum Mittag zur Verfügung stehen sollte. Danach würde sich der Preis erhöhen.

Achmed und ich saßen auf dem Rücksitz, während das Taxi über die unebene Piste rumpelte und eine riesige Staubwolke hinter uns aufwirbelte. Wir fuhren durch Ackerland und Lehmziegeldörfer, immer in Richtung auf die vor uns liegenden braunen Felsen. Ich hörte nur halb hin, wenn er gelegentlich Erläuterungen zu den Plätzen gab, an denen wir vorüberkamen.

»Dieses kleine Dorf auf unserer Rechten wurde 1955 von eurem Mr. Cecil de Mille für den Film Die zehn Gebote errichtet. Nachdem der Film gedreht war und die ganze Mannschaft Ägypten verlassen hatte, zogen die hier ansässigen Bauern in diese >Filmstadt< und ergriffen Besitz davon. Deshalb unterscheidet sie sich stark von anderen Dörfern in Ägypten.«

Wir kamen an Zuckerrohrfeldern vorüber und mußten hin und wieder bremsen, wenn Kamele die Straße überquerten. Wie ich es schon auf der Zugfahrt erlebt hatte, kamen auch jetzt Kinder in langen galabiyas angerannt, die uns im Vorüberfahren zuwinkten und zuriefen.

Dann fuhren wir an zwei sitzenden Figuren vorbei, die an der rechten Seite etwas abseits der Straße aufragten. »Das sind die Memnon-Kolosse«, erklärte Achmed, »riesenhafte Statuen, die einst den Eingang zu einem Tempel bewachten, der heute nicht mehr existiert. Eines der Sitzbilder soll vor vielen Jahren allmorgendlich die Sonne besungen haben, weswegen man glaubte, daß der Geist des Königs in ihm wohnte. Doch in Wirklichkeit hatte ein Erdbeben Risse in der Statue hervorgerufen, durch die der Wind pfiff. Es war der Wind, der sang, nicht die Statue.«

Ich starrte mit ausdruckslosem Blick aus dem Fenster. »Du bist heute morgen sehr still, Lydia.«

»Ja, das bin ich wohl.«

»Ich kann das verstehen. Und ich hoffe um deinetwillen, daß alles nun sehr rasch ein Ende nimmt.«

Nein, du verstehst gar nichts, dachte ich ärgerlich. Aber je eher alles vorüber ist, desto besser. Ich kniff meine Augen fest zusammen. Oh, Achmed Raschid, warum mußtest du mich hintergehen? Das Taxi ratterte und holperte über die lange, staubige Straße. Es fing an warm zu werden. Schließlich gelangten wir zu dem Totentempel der Hatschepsut, Der el-Bahri, und ich reckte den Hals, um im Vorüberfahren einen Blick darauf zu werfen. Die in einen ockerfarbenen Steilabfall hineingearbeiteten Rampen, Terrassen und Säulenhallen beeindruckten mich zutiefst. Als ich das Fenster herunterkurbeln wollte, um eine klarere Sicht zu haben, meinte Achmed: »Es wäre besser, den Sand draußen zu lassen. Er wird deine Kehle und deine Lungen austrocknen. Die Luft hier ist sehr trocken und staubig. Deshalb hat sich in Ägypten alles so gut konserviert. Es ist weniger dem Mumifizierungsprozeß als der Wüstenluft zuzuschreiben, daß die Leichname der Pharaonen von Ägypten uns bis heute erhalten geblieben sind.«

»Dieser Tempel ist unglaublich!« entfuhr es mir. »Kann man hineingehen?«

»Ja, bis auf die oberste Terrasse, die gegenwärtig von einer Gruppe polnischer Archäologen restauriert wird. Die mittlere Terrasse wurde von den Amerikanern wiederhergestellt, die erste von den Franzosen. Siehst du, die Schätze Ägyptens sind wirklich die Schätze der ganzen Menschheit.«

Nach Der el-Bahri schlugen wir wieder einen Bogen in Richtung Nil und befuhren eine sehr staubige, holprige Straße. Als wir an einer staatlichen Raststätte vorbeikamen, bot Achmed mir an, für ein Glas Tee halt zu machen. Doch ich schüttelte nur den Kopf. Das Tal der Könige war nahe, zu nahe, und ich hatte es eilig. Die jähen Felsabbrüche des Tals lagen bereits die ganze Zeit zu unserer Linken, während wir der Straße folgten, die daran entlangführt. Das Tal der Könige befindet sich jenseits dieser steilen Klippen, und der Weg dorthin ist lang und umständlich.

»Sind bis heute noch nicht alle Gräber entdeckt?« fragte ich nach einer Weile.

»Überraschenderweise, Lydia, liegen noch sehr viele Dinge unter Ägyptens Sand verborgen. Aber mein Land ist zu arm, um für archäologische Grabungen Geld auszugeben, denn es ist kostspielig, und andere Nationen investieren ihre Mittel lieber in gewinnbringendere Objekte. Ja, es muß noch viele Gräber und viele Tempel geben, die noch nicht ausgegraben sind. Doch du mußt bedenken, daß es ungewöhnlich ist, auf ein völlig intaktes Grab zu stoßen. Gräber wie die von Tutenchamun und Königin Hetepheres sind selten.«

»Warum?«

»Wegen der Grabräuber.«

»Kann man denen nicht das Handwerk legen?« Er lachte. »Ich meine die Grabräuber aus pharaonischen Zeiten. Unglücklicherweise haben nur sehr wenige Pharaonen ihre Schätze nach dem Tod genießen können, so sehr sie sich auch bemühten, ihre Grabstätten geheimzuhalten. Priester ließen sich oft bestechen.«

»Wie kam es dann, daß Tutenchamun unversehrt blieb?«

»Wir wissen es nicht. Das kann purer Zufall gewesen sein. Aber ein Grab zu finden, das nicht leer ist, das noch alle Schätze birgt, die ihm in der Stunde der Beerdigung beigegeben wurden, Lydia, das wäre großartig!«

Ich starrte auf die uns umgebende Wüste hinaus - schon lange hatten wir die Bauernsiedlungen hinter uns gelassen -und versuchte mir alle Könige und Königinnen vorzustellen, die noch unter dem Sand schlummerten. Dann riß ich die Augen auf. »Mein Schakal!«

»Ja?«

»Mein kleiner Schakal stammt wahrscheinlich aus einem solchen Grab. Das muß es sein, was Adele am Telefon damit meinte, daß er >alles erklären< würde.«

»Jetzt begreifst du die Bedeutung von alledem. Die Geheimhaltungspflicht. Die Notwendigkeit, die Wahrheit zu erfahren.«

»Allmächtiger.« Ich nahm meine Handtasche und drückte sie an meine Brust. Der Schakal war da drinnen. Ein kleines Stück Elfenbein, das vielleicht der erste Schatz aus einem neuentdeckten Grab war - ein Grab, von dem niemand wußte, daß es existierte, eines, das noch alle Besitztümer des Pharaos enthielt.

»Wenn es tatsächlich so ein Grab gibt, Lydia, dann werden wir an der aufsehenerregendsten Entdeckung seit Tutenchamun mitwirken! Seiten über Seiten ägyptischer Geschichte werden ergänzt werden.

Journalisten aus aller Welt werden kommen und über unsere Geschichte schreiben. Tausende von Besuchern werden Tag für Tag eintreffen, genauso wie damals. Die Touristen werden ihr Geld bringen und damit meinem Land helfen. Ich kann die Bedeutung der Sache, in die wir wahrscheinlich verwickelt sind, gar nicht genug betonen. Und deshalb, Lydia, dürfen wir einen Mann wie Arnold Rossiter nicht vor uns zu dem Grab gelangen lassen.«

Als er das sagte, lehnte ich meine Stirn gegen das Fenster und schloß die Augen. Wie kann das nur sein? schrie es aus meiner Seele. Wie können seine Worte so aufrichtig, so hingebungsvoll klingen, wo er doch gemeinsame Sache mit Schweitzer und Rossiter macht, denselben Männern, die er so überzeugend verurteilte? Mein Herz klopfte zum Zerspringen, als wir uns dem Tal näherten und ich vor uns in einer Felsnische eine Ansammlung von weißen Zelten erblickte.

»Wo sind die Gräber?« fragte ich und sah mich aufgeregt um. »Sie liegen noch weiter die Straße hinunter. Ein Zaun und ein Tor markieren den Eingang zur Gräberstätte. Man hat sie errichtet, um die Gräber zu schützen. Dr. Jelks’ Camp ist dort drüben, du kannst es sehen.«

»Ist er der einzige Archäologe hier?«

»Im Tal der Könige, ja. Es gibt noch ein französisches Team in der Nähe von Der el-Bahri, und einige Amerikaner arbeiten an der Restaurierung eines Grabes im Tal der Königinnen.« Ich rückte weiter vor und hielt mich an der Lehne des Vordersitzes fest. Als wir uns dem Camp in einer Staubwolke näherten, spähte ich aufgeregt nach allen Seiten, ob ich die vertraute Gestalt von Adele irgendwo entdeckte. Ich war von so weit hergekommen, von so weit her.

Ich sprang heraus, noch bevor die Räder des Taxis zum Stillstand gekommen waren, und Achmed Raschid kam mir sofort nach. Unser Motorengeräusch hatte die Aufmerksamkeit der Camp-Bewohner erregt, so daß wir von einem kleinen Begrüßungstrupp empfangen wurden. Es waren alles Männer. »Hallo!« rief der größte von ihnen. »Was können wir für Sie tun?«

»Ist Dr. Jelks hier?«

»Im Augenblick nicht. Ich bin sein Assistent, Dr. Wilbur Arnes. Kann ich Ihnen weiterhelfen?«

»Mein Name ist Achmed Raschid. Ich arbeite für die Behörde für Altertümer.« Der Gesichtsausdruck des Mannes blieb unverändert. »Wann erwarten Sie Dr. Jelks zurück?«

»In Kürze. Er wird bald Mittagspause machen. Seit Tagesanbruch arbeitet er im Grabtempel von Sethos. Kommen Sie doch auf einen Tee herein, ja?«

Dr. Arnes machte kehrt, und wir folgten ihm und den anderen ins Lager. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich rechnete jeden Moment damit, Adeles Stimme »Lyddie! Lyddie!« zu hören. Aber kein Ruf ertönte, als wir zwischen Landrovern und Zelten hindurch in das größte geführt wurden, das als Speisezelt diente. Klapptische und Bänke nahmen die eine Seite ein, während sich auf der anderen eine ausgeklügelte Kocheinrichtung befand. Unsere Gastgeber setzten sich auf die eine Seite des Tisches, wir nahmen ihnen gegenüber Platz. Ein junges Mädchen, nicht älter als sechzehn, mit dünnem, blondem Haar, schickte sich an, uns Tee einzuschenken. »Meine Tochter«, stellte Dr. Arnes sie mit einem neugierigen Blick auf mich vor. »Rosalie möchte Ägyptologin werden wie ihr verrückter alter Papa. Nun sagen Sie mir doch, Mr. Raschid, welchem Umstand verdanken wir diesen überraschenden Besuch?«

»Ich warte damit lieber, bis Dr. Jelks zurückkommt. Aber Sie können mir vielleicht sagen, ob Miss Harris hier ist.«

»Adele?«

Er kannte sie also! Mein Herz fing an, wild zu schlagen. »Es ist komisch, daß Sie mich das fragen. Wir haben uns selbst schon überlegt, wohin sie gegangen sein könnte. Seit gestern abend ist sie nicht mehr im Camp gewesen.«

»O nein!« stöhnte ich und faßte nach Achmeds Hand. »Das kann doch wohl nicht wahr sein!«

Dr. Arnes sah mich verblüfft an, worauf Achmed ihn aufklärte: »Dies ist Adeles Schwester Lydia, und sie ist den ganzen Weg von Los Angeles hierher gekommen, um sie wiederzusehen.«

»Schön, Sie kennenzulernen! Ja, irgendwie kamen Sie mir gleich bekannt vor. Sie sehen Ihrer Schwester wirklich sehr ähnlich. Adele ist jetzt schon seit ein paar Wochen bei uns, ein ganz reizendes Mädchen und eine wunderbare Gefährtin für Rosalie.«

»Aber wenn sie nicht hier ist, wo ist sie dann?«

»Wir wissen es nicht. Bis gestern abend war sie noch bei uns und nahm dann einen der Landrover, um nach Luxor zu fahren. Das sagte sie wenigstens. Sie ist noch nicht zurückgekommen.«

»Haben Sie nicht nach ihr gesucht?« Ich fühlte mich ganz elend. »Nein. Adele ist oft nach Luxor gefahren, um die Nacht in einem Hotel zu verbringen. Sie findet unsere Unterkünfte zu primitiv, und hin und wieder verlangt es sie nach einem Bad und einem richtigen Bett, wie sie sich ausdrückt.«

»Wann kommt sie gewöhnlich zurück?« erkundigte sich Achmed, während er mit beiden Händen meine Hand hielt. »Das ist das Merkwürdige daran. Normalerweise bei Sonnenaufgang, so daß sie Dr. Jelks bei der Arbeit helfen kann. Tüchtige kleine Assistentin, Ihre Schwester.«

»Nun, jetzt ist es schon fast elf!« rief ich aus.

»Ja, aber sie könnte auch noch einkaufen gegangen sein.« Ich drehte mich zu Achmed um. »Etwas Schreckliches ist passiert. Das habe ich im Gefühl!«

»Sagen Sie mal, worum geht es hier denn eigentlich?« Wilbur Arnes verhielt sich bemerkenswert ruhig, wenn man bedachte, daß er die Entdeckung eines Grabes geheimhielt und mit Schmugglern Geschäfte machte. Das heißt, falls ein solches Grab überhaupt existierte und falls Rossiter der war, für den Achmed ihn ausgab.

Ich zog meine Hand zurück und beobachtete Achmed aus dem Augenwinkel. Schweitzer war am Abend zuvor in Luxor gewesen, und Adele war am Abend zuvor verschwunden, und ich hatte in der Nacht zuvor Achmed mit Schweitzer gesehen. Was für ein Zufall! In dem Zelt war es einigermaßen kühl und ziemlich dunkel. Das Innere wurde nur von einigen schwachen Glühbirnen erhellt. Ich ließ meinen Tee unberührt und saß da und beobachtete. Achmed erklärte nur kurz, daß ein Brief von Adele mich dazu veranlaßt hatte, nach Luxor zu kommen.

»Sie wird irgendwann im Laufe des Tages auftauchen, Miss Harris. Da bin ich ganz sicher. Und sie wird sich unheimlich freuen, Sie hier zu haben. Soviel sie auch für Paul empfindet, Camping ist nicht gerade die Stärke Ihrer Schwester.«

»Für Paul empfindet? Was meinen Sie damit?«

»Oh, das wußten Sie nicht? Ich dachte, sie hätte es vielleicht in ihrem Brief erwähnt. Ihre Schwester hat ein Verhältnis mit Dr. Jelks.«

Mein Blick huschte unwillkürlich zu Achmed hinüber. »Genaugenommen sind sie bereits verlobt.«

So, das war es also. Adele war noch tiefer in das hier verwickelt, als ich angenommen hatte. Dieser betrügerische Ägyptologe, Paul Jelks, bediente sich meiner unschuldigen Schwester, um seine gestohlenen Schätze an einen Hehler zu verkaufen. Auch Wilbur Arnes erschien mir in keinem allzu günstigen Licht. Es würde schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, Adele von alledem wegzubekommen. Ich bezweifelte sogar, daß sie sich von mir überzeugen ließ, wenn ich ihr über Rossiter berichtet hätte.

Ich wollte gerade eine weitere Frage stellen, als das Licht plötzlich ganz ausfiel und ein Schatten im Zelteingang auftauchte. »Hallo!« grüßte eine andere fröhliche Stimme. »Ist Adele schon zurück?«

»O Paul. Wir haben Gäste. Ich möchte dich mit Adeles Schwester Lydia Harris bekannt machen.«

Ein übers ganze Gesicht strahlender junger Mann kam geradewegs auf mich zu und ergriff meine Hand. »Wie schön, Sie kennenzulernen! Ich habe schon viel über Sie gehört!«

»Und dies«, fuhr Dr. Arnes fort, »ist Achmed Raschid von der Behörde für Altertümer.«

Paul Jelks’ Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber sein Händedruck erschlaffte sofort. »Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich führe in der Gegend eine Routineinspektion durch. Wie kommen Sie mit der Arbeit voran?«

»Prima! Einfach prima!«

Dr. Jelks ging mit großen Schritten zum Gaskocher, wo er sich Tee einschenkte. Er war genau der Typ, für den Adele schwärmte: groß, muskulös, stattlich und blond. Er war nicht älter als fünfunddreißig und hatte ein sonnengebräuntes Gesicht und schwielige Hände; sein flachsfarbenes Haar war ungewöhnlich kurz geschnitten. Als er sich mit einem unbeschwerten, breiten Lächeln neben mich setzte, wünschte ich fast, er hätte ein wenig finsterer ausgesehen. »Und was führt Sie nun hierher, meine liebe Lydia?«

»Adele schrieb mir, ich solle zu ihr kommen.«

»Ach, wirklich? Das hat sie mir nie erzählt. Und wo ist meine launenhafte Verlobte jetzt? Ohne Zweifel zieht sie wieder von einem Modegeschäft zum nächsten.« Dann erhob er plötzlich die Stimme und rief ein paar Worte in ziemlich perfekt klingendem Arabisch, worauf im offenen Eingang der Kopf eines Mannes erschien, dem er forsche Befehle erteilte.

»Ich habe ihn nach Luxor geschickt, um Adele zu holen. Natürlich hätte sie Sie sicher gern als erste getroffen.«

Ich hörte einen Motor anspringen und danach Reifen sich knirschend über den Sand bewegen. Ich ging natürlich davon aus, daß es das war, was er dem Mann gesagt hatte. Aber da ich kein Arabisch verstand, konnte ich es nicht mit Sicherheit wissen.

»Nun, Mr. Raschid, würden Sie sich gerne in meiner Dunkelkammer umsehen? Ich kann Ihnen die Früchte meiner Arbeit zeigen. Bemerkenswerte Wandgemälde in diesem Sethos-Grab. Und jetzt, da der Sommer fast vorüber ist und wir schon auf November zugehen, können wir mit kühleren Tagen rechnen. Gott, diese verdammte Hitze ist eine Plage!«

Als nächstes sprach Dr. Arnes: »Können wir Sie im Camp herumführen?« Bis dahin schwiegen alle anderen. »Es steht Ihnen frei, alles zu inspizieren, was Sie wünschen.« Sehr entgegenkommend, die beiden.

»Nein, vielen Dank, Dr. Arnes. Das wird nicht nötig sein. Eigentlich möchte ich mit Ihnen beiden alleine sprechen, wenn ich darf. Nur wir vier.«

Jelks und seine Mitarbeiter tauschten Blicke aus. »Selbstverständlich, Mr. Raschid. Ich hoffe, wir haben keinerlei Regeln mißachtet.«

»Noch nicht.«

Die anderen verließen widerstrebend das Zelt und Rosalie mit ihnen. Ich hatte keine Ahnung, was Achmed Raschid vorhatte. Dr. Jelks nahm neben Wilbur Arnes Platz, so daß wir einander gegenübersaßen, wie zu Mannschaften formiert. »Darf ich Sie etwas fragen, Dr. Jelks?«

»Schießen Sie los.«

Zu meiner Überraschung öffnete Achmed meine Handtasche und holte das Taschentuch heraus. Er wickelte es auf und ließ den Schakal auf den Tisch fallen, worauf die anderen beiden Männer zurückschreckten, als hätten sie eine Schlange gesehen. »Was ist das?« fragte Dr. Jelks. Sein Gesichtsausdruck war nicht mehr gelassen.

»Ich hoffte, daß Sie mir das erklären könnten. Können Sie?«

»Ich kann es versuchen.« Er nahm den Schakal in die Hand und drehte ihn vor seinen Augen, wobei er ihn eingehend prüfte. »Das Licht hier drinnen ist nicht so gut, aber ich würde sagen, daß es schätzungsweise achtzehnte oder neunzehnte Dynastie sein könnte. Ein hübsches Stück.«

»Das ist es nicht, wonach ich Sie fragte, Dr. Jelks. Ich hoffte, Sie könnten mir sagen, woher es stammt.«

Paul hob die Augenbrauen. »Woher es stammt? Meinen Sie den Ursprung dieses Elfenbeins?« »Sie wissen, was ich meine, Dr. Jelks. Ihr ausweichendes Verhalten wird Ihnen nichts nützen. Ich will die genaue Lage des Grabes wissen.«

»Wie sollte ich das wissen? Dieses Stück stammt möglicherweise aus.«

»Dr. Jelks«, unterbrach ihn Achmed ruhig, »wenn Sie ein neues Grab entdeckt haben, dann wüßte ich sehr gerne davon.«

»Ein neues Grab? Was soll der Unsinn? Sie würden gewiß sofort davon erfahren, wenn.«

»Dann will ich Ihnen erzählen, wie ich an diesen Schakal gekommen bin. Miss Adele Harris schickte ihn in einem Päckchen an ihre Schwester.«

»Adele?«

»Aus Rom, um es genau zu sagen.«

»Rom?« Paul Jelks begann zu schwanken. Er schaute zu Wilbur Arnes hinüber und dann wieder weg.

»Sie wußten doch, daß sie vor fast zwei Wochen in Rom war, oder?«

»Ja, um die Wahrheit zu sagen, ich wußte, daß sie für einige Tage dorthin gereist war. Sie wollte ein paar neue Kleider und.«

»Dr. Jelks, kennen Sie einen gewissen Arnold Rossiter?« Nun wurde es beiden Männern sichtlich unbehaglich zumute. Die Fragen, mit denen Achmed Raschid sie bombardierte, brachten ihre Fassade allmählich zum Einsturz. Ihre einstudierte Ruhe geriet ins Wanken.

»Arnold Rossiter ist in Luxor, Dr. Jelks, und ich denke, daß er mir in nicht allzu großem Abstand gefolgt ist. Nun würde ich gerne erfahren, wo genau sich dieses Grab befindet, damit ich Polizisten darum herum postieren kann. Andernfalls werden viele Leute Schaden nehmen, und die kostbaren Kunstgegenstände in seinem Innern werden in skrupellose Hände fallen.«

»Mr. Raschid.«, Paul Jelks erhob sich schwankend. »Ich gehe davon aus, daß Sie als Ägyptologe gewisse ethische Grundsätze in bezug auf Ihre Tätigkeit haben, Dr. Jelks.« Achmed Raschid schlug mit der Faust auf den Tisch. »Es kann doch wohl nicht in Ihrem Sinne sein, daß Rossiter den Inhalt dieses Grabes an sich nimmt!«

Ich war erstaunt über die plötzliche Heftigkeit dieses Mannes. Nachdem er zuvor so ruhig und gelassen gewesen war, legte Achmed Raschid nun eine so wilde Leidenschaft und Energie an den Tag, daß er mich erschreckte. »Sagen Sie mir, wo das Grab ist!«

»In Ordnung!« schrie Jelks zurück. »In Ordnung, ich werde es Ihnen sagen!« Er setzte sich wieder hin und vergrub seinen Kopf in den Händen. »Es ist zu spät, Wilbur, ich muß es ihnen sagen. Wir hätten es niemals versuchen sollen, mit solchen Geschäften wollen wir nichts zu tun haben. Ich wußte, daß Rossiter uns früher oder später einholen würde. Wir müssen alles erzählen.« Als Paul Jelks damit begann, uns seine außergewöhnliche Geschichte zu erzählen, beobachtete ich Achmed mit Staunen. Ein schwaches, triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen. Und weil er den Sieg davongetragen hatte, war ich stolz auf ihn. Aber zugleich gab es da etwas, das mich störte, das an mir nagte. Woher hatte Achmed Raschid gewußt, daß Rossiter in Luxor war?

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