Kapitel 12

Der Traum war schon seiner Natur nach sehr aufwühlend. Die einzelnen Szenen folgten keiner festen Ordnung und erzählten keine Geschichte. Ihr ganzer Sinn lag in ihrer sexuellen Symbolik. Ich spürte Victors Wärme, die Zärtlichkeit seines Mundes, ich nahm seinen Geruch wahr und erlebte die Verschmelzung mit seinem Körper. Einmal kam er aus einer Wolke zu mir, die Arme ausgestreckt, um mich zu umschlingen; oder er winkte mir vom Ende einer langen dunklen Straße. Manchmal streckten wir sehnend die Arme nacheinander aus, und unsere Fingerspitzen berührten sich, oder wir lagen in einer Wiese im hohen Gras und liebten uns unter blauem Himmel und warmem Sonnenschein. Nichts ergab einen Sinn. Ich versuchte vergebens, ihn zu fragen, was das alles zu bedeuten hatte — er sprach kein Wort. Wir kamen zusammen, und wir trennten uns wieder, wir spürten, und wir fühlten, aber zu einem Verstehen kam es nicht. Die Bilder flogen an mir vorüber wie von einem Wirbelwind getrieben, und sie waren voller Lust und Begierde. Es war, als wäre meine Seele ein im Käfig eingesperrter Vogel, der in dem verzweifelten Bemühen, die Freiheit zu gewinnen, wie rasend herumflatterte. Mein Schlaf brachte mir keine Ruhe und keinen Frieden, sondern lieferte mich einzig dem ungestümen Freiheitsdrang meiner angeketteten Leidenschaften aus.

Ich war schweißgebadet, als ich erwachte. Solche Begierde hatte ich nie gekannt, hatte nie erlebt, daß ein Mann solche Macht über mich hatte. Das brennende Verlangen, mich Victor Townsend hinzugeben, raubte mir alle Selbstkontrolle, raubte mir die Identität.

Ich stöhnte und erschrak. Mit einem raschen Blick auf meine Großmutter, die zum Glück noch fest schlief, stand ich unsicher auf und ging schwankend zum Fenster. Der Regen draußen war noch stärker geworden. Er kam in wahren Sturzbächen herab und erfüllte die Luft mit seinem Tosen. Ich drückte die Stirn an die kalte Fensterscheibe und versuchte, zu mir zu kommen. Wieso fühlte ich plötzlich auf eine Weise, wie ich nie gefühlt hatte? Was für einen Zauber übte Victor Townsend über mich aus?

«Ist er weg?«sagte jemand hinter mir. Ich fuhr herum.

Harriet trat gerade ins Zimmer und schloß leise die Tür. John, der gespannt am Kamin stand, fragte noch einmal:»Ist er weg?«

«Ja, er ist weg.«

«Du hast ihm nicht gesagt, daß ich hier bin?«

«Nein, John.«

Harriet ging durch das Zimmer zu ihrem Bruder, und ich sah mit Bestürzung, wie sehr sie sich verändert hatte. Der Schmelz der Jugend und die Kindlichkeit, die ihrem reizlosen Gesicht eine gewisse Ausstrahlung verliehen hatten, waren wie ausgelöscht. Geblieben waren die plumpen Gesichtszüge in ihrer ganzen Nacktheit. Sie wirkte gedämpft und bedrückt, und die unsichtbare Last, die sie trug, schien sie stumpf und teilnahmslos gemacht zu haben. Und doch schien kaum Zeit vergangen zu sein, seit ich sie zuletzt gesehen hatte; sie trug die gleiche Kleidung wie damals. John hatte sich nicht verändert, er war derselbe geblieben — ein etwas wäßriger Abklatsch Victors, mit hellerem Haar und helleren Augen und Gesichtszügen, die weicher und weniger scharf umrissen waren. Er schien mir sehr erregt.»Wann kommt Vater nach Hause?«

«Frühestens in einer Stunde.«

«Gut, gut. «In Gedanken versunken rieb er sich die Hände.»John? Was hat das alles zu bedeuten? Wer war dieser Mann?«

«Hm? Wie? Oh — «John wedelte wegwerfend mit der Hand.»Ach, niemand. Ein Mann eben.«

«Aber er war schon einmal hier. Als du nicht zu Hause warst. Wer ist er? Er gefällt mir nicht.«

«Das geht dich gar nichts an«, fuhr John sie plötzlich an, so daß sie erschrocken zurückfuhr. Augenblicklich zerknirscht, zwang sich John zu einem Lächeln und sagte beschwichtigend:»Sagen wir einfach, er ist ein Geschäftsfreund.«

Harriet nickte nur und wandte sich von ihrem Bruder ab. Die Hände ineinander gekrampft, tiefe Unruhe auf dem Gesicht, ging sie um den moosgrünen Sessel herum. Aber nicht der Fremde an der Tür, sondern etwas anderes quälte Johns Schwester. Mit großer Sorgfalt, das sah ich von meinem Platz aus, wählte sie ihre nächsten Worte.

«John, ich habe Victor heute getroffen.«

John blickte nicht auf. Er starrte ins Feuer und war mit seinen Gedanken ganz woanders.

«Ich habe ihn auf dem Anger getroffen. Er sagte, er hätte sehr viel zu tun. Er hat eine Menge Patienten. Deshalb kommt er nie her. Ich habe ihn zum Abendessen eingeladen. Ich habe ihm gesagt, wie sehr Vater sich freuen würde, wenn er käme. Aber ich glaube, er wird nicht kommen. Willst du ihn nicht einmal auffordern?«John hob den Kopf.»Wie? Was sagst du? — Ach so, Victor. Ich war in seiner Praxis. Gar nicht übel. Sie schicken viele aus dem Krankenhaus zu ihm. Er steht sich gut mit den Ärzten dort. Ich hab ihn schon eingeladen, Harriet, aber er scheint keinen großen Wert darauf zu legen, uns zu besuchen. Wegen Vater ist es nicht, das weiß ich. Sie haben sich ausgesöhnt.«

«Was ist es dann?«

John zuckte die Achseln.»Keine Ahnung.«

«John, ich finde, Victor sollte nach Hause kommen. Für immer, meine ich.«

«Ja…«Er kehrte ihr den Rücken und versank wieder in Nachdenklichkeit.

«Ich finde es nicht richtig«, fuhr Harriet fort,»daß er in einem Zimmer im Horse's Head wohnt. Er braucht ein richtiges Zuhause. Du und Jenny wohnt jetzt schon ein Jahr hier. Findest du nicht, es ist Zeit, daß ihr auszieht? Wenn ihr ein eigenes Haus habt, kann ich das obere Zimmer haben, und Victor kann nach Hause kommen.«

Mit raschelndem Rock schritt sie im Zimmer auf und ab.»John, ich möchte etwas mit dir besprechen — «

«Ich weiß schon, worum es geht«, sagte er gereizt und drehte sich ärgerlich um.»Du möchtest wissen, was aus meinem Geld geworden ist. Na schön, wenn du es unbedingt wissen mußt, der Mann, der eben hier war, ist ein Buchmacher. Mein Buchmacher, und er war hier, weil ich ein paar Schulden bei ihm habe. Bist du nun zufrieden?«

«Ach, John…«

«Ja, ja, ach John! Ich hätte bestens dagestanden, wenn ich nicht das Pech gehabt hätte, auf ein paar richtige Nieten zu setzen. Ich hätte schon letzte Woche ein Haus kaufen können. Und sag Vater ja nichts, der würde mir höchstens die Hölle heiß machen.«

«Ach, John, das ist mir doch gleich. Bleib hier wohnen, wenn du willst. Bleib meinetwegen für immer hier. Es ist mir gleich, daß du spielst.«

«Ich setz hin und wieder mal auf ein paar Pferde — das kann man doch nicht Spielen nennen.«

«Ich wollte über etwas anderes mit dir sprechen, John. «Sie lief zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm.»Ich brauche deine Hilfe-«

Aber John schüttelte den Kopf.»Es geht natürlich wieder um diesen Kartoffelfresser Sean O'Hanrahan, stimmt's?«sagte er mit finsterer Miene.»Ich will nichts davon hören. Wenn man mit solchen Leuten verkehrt, kommt man nur in Teufels Küche. Ich hab dir gesagt, du sollst dich von ihm fernhalten, und das ist mein letztes Wort.«

«Aber ich liebe ihn!«

«Du bist ja von allen guten Geistern verlassen! Das Thema ist längst erledigt, Harriet, und ich möchte diesen Namen nicht mehr in diesem Haus hören. Wenn ich dich noch einmal dabei ertappen sollte, daß du mit diesem Kerl sprichst, werde ich — «

«Du bist nicht besser als Vater!«rief sie.»Ihr seid alle gegen mich. Mit Victor kann ich auch nicht sprechen. Er ist ganz anders als früher. Er ist richtig launisch geworden, und wenn ich mit ihm reden will, merke ich genau, daß er an was ganz andres denkt. Es ist ein Jahr her, John, ein ganzes Jahr, daß Victor das letzte Mal in diesem Haus war. Und dir scheint das völlig gleichgültig zu sein. Und ich bin dir auch gleichgültig. «John wandte sich nur schweigend von ihr ab.»Und du!«fuhr sie fort, in einem Ton, der an ein verwirrtes Kind erinnerte.»Seit du verheiratet bist, kenne ich dich nicht mehr. Wenn du nicht mit Jenny zusammen bist, dann bist du auf der Rennbahn. Du hast überhaupt keine Zeit mehr für mich — genau wie Victor und Vater und Mutter. Siehst du denn nicht, daß ich deine Hilfe brauche, John?«

Merkwürdigerweise löste sich die Szene an dieser Stelle auf, noch während Harriet mit Kinderstimme um Hilfe flehte. Aber ich war froh, daß es ein Ende hatte. Mir war so schwach geworden, meine Beine so zittrig, daß ich gefürchtet hatte, ich würde zusammenbrechen, noch ehe John und Harriet miteinander fertig waren. Nur mit Mühe schaffte ich es zu dem Stuhl am Eßtisch, ließ mich darauf niederfallen und hielt mir mit beiden Händen den Kopf. Einige Minuten später regte sich meine Großmutter in ihrem Sessel und öffnete die Augen.»Ach, du lieber Gott«, murmelte sie.»Bin ich schon wieder eingenickt! Ach, tun mir meine Gelenke weh. Das ist der Regen. Ich schaffs nie die Treppe hinauf.«Ächzend beugte sie sich im Sessel vor, ergriff ihren Stock und stand schwerfällig auf. Während sie langsam zu mir herüberhumpelte, sah ich wieder, wie alt sie war; wie schrecklich alt.»Ich kann heute abend nicht kochen, Kind. Ich hab solche Schmerzen in den Gelenken. Kannst du dir selbst was machen?«

«Aber natürlich. Möchtest du denn gar nichts essen, Großmutter?«

«Ich hab keinen Appetit. Der Regen macht mich ganz fertig. Ich geh jetzt nach oben und lese noch ein bißchen, ehe ich schlafe. An solchen Abenden, wenn das Wetter so schlimm ist, leg ich mich immer oben hin, da gibt die Arthritis am ehesten Ruhe. Es macht dir doch nichts aus, wenn ich jetzt raufgehe, Kind?«

«Großmutter — «

«Ja, Schatz?«Sie war schon auf dem Weg zur Tür. Ich hatte mich ihr anvertrauen wollen, aber nun war der Impuls schon vorbei. So gern ich meiner Großmutter alles erzählt hätte, was ich in diesem Haus gesehen hatte, die Furcht, es für immer zu verlieren, hielt mich davon ab.

«Ach, nichts«, sagte ich deshalb.»Hoffentlich schläfst du gut, Großmutter. Und gute Besserung.«

«Danke, Kind. Gute Nacht. Brot und Marmelade stehen in der Küche. Und Tee kochen kannst du ja.«

Sie ging zur Tür hinaus, und wenig später hörte ich ihre schweren Schritte auf der Treppe. Als sich die Tür kaum eine Minute später wieder öffnete, glaubte ich, meine Großmutter wäre umgekehrt. Aber dann sah ich, daß es Jennifer war, die ins Zimmer trat. Und als ich Victor erblickte, der ihr folgte, hätte ich beinahe aufgeschrien.

«Es ist lieb von dir, daß du gekommen bist, Victor«, sagte sie, während sie durch das Zimmer zum Kamin ging.»Ich wäre schon viel früher gekommen, wenn du mich darum gebeten hättest.«

«Wir haben alle gehofft, daß du uns besuchen würdest. Warrington ist so klein, aber du hättest ebensogut in einem anderen Land leben können, so selten haben wir dich zu Gesicht bekommen. «Victor Townsend blieb an der Tür stehen, als hätte er Angst, näherzukommen. Er hatte sich in diesem einen Jahr ein wenig verändert: Sein Haar war länger, und sein eleganter Anzug verriet Wohlhabenheit. Doch das Gesicht war dasselbe geblieben: still und unergründlich.

Jennifer drehte sich um. Das Licht der Flammen umriß ihren anmutigen, schlanken Körper.»Wir haben dich vermißt.«

«Wirklich?«

Sie senkte einen Moment die Lider und hob den Blick dann wieder.»Ja, ich jedenfalls. Ich habe lange gehofft, du würdest uns besuchen, aber du bist nie gekommen.«

«Ich hatte viel zu tun. Es mangelt mir nicht an Patienten, und sie sind bereit, gut zu zahlen.«

«Du bist für deine niedrigen Honorare bekannt, Victor, und jeder in der Stadt weiß, daß du die Armen auch kostenlos behandelst. Du bist sehr beliebt in Warrington, und mit deinen neuen Methoden und Ideen hast du den schwerfälligen alten Ärzten hier Anregung zum Nachdenken gegeben. Wir sind alle sehr stolz auf dich.«

«Ja, die Praxis geht gut, und die Arbeit hält sich im Rahmen, würde ich sagen. Knochenbrüche, Mandelentzündungen und alte Damen mit den Vapeurs.«

Jennifer lächelte.»So wie du das sagst, klingt es schrecklich langweilig. «

Victor erwiderte ihr Lächeln; aber es war ein Lächeln, das nicht von innen kam.»Das Leben eines Arztes hat mit Romantik wenig zu tun. Es ist zwar nicht unbedingt langweilig, aber so aufregend, wie die Leute es sich im allgemeinen vorstellen, ist es nicht.«

«Und — sonst, Victor? Geht es dir gut?«

Er sah sie einen Moment schweigend an.»Ja, es geht mir gut«, antwortete er dann.»Und dir, Jenny?«

«O ja, es geht mir gut. «Es klang sehr kontrolliert. Jetzt endlich kam Victor durch das Zimmer und blieb erst dicht vor Jennifer stehen. Mit seinen dunklen Augen sah er sie aufmerksam an.»Wirklich, Jenny?«

«Aber natürlich…«

«Du brauchst mir nichts vorzumachen«, sagte er leise.»Ich bin sein Brüder. Ich kenne ihn sein Leben lang. John und ich haben keine Geheimnisse. Er spielt immer noch, nicht wahr?«Jennifer senkte den Kopf, ohne zu antworten. Victor schob ihr leicht die Hand unter das Kinn und hob ihren Kopf, bis sie ihm wieder in die Augen sah.»Er spielt immer noch, nicht wahr?«

«Ja.«

Victor senkte den Arm und ging zur anderen Seite des Kamins hinüber. Den Ellbogen auf den Sims gestützt, sagte er:»Und es ist schlimmer geworden, stimmt's? — Oh, ich weiß. Ich kann dir die peinliche Antwort ersparen. Harriet war mehrmals bei mir und hat es mir erzählt. Und jetzt kommen die Gläubiger schon ins Haus, wie ich höre.«

«Kannst du ihm nicht helfen, Victor?«

Wieder blickte Victor sie einen Moment schweigend an, und er mußte das gleiche sehen wie ich — die großen, weichen Rehaugen, die bebenden Lippen, die feingeschwungenen Augenbrauen, die klare Schönheit Jennifers. Ich spürte es, er liebte sie immer noch.

«Hast du mich deshalb hergebeten?«

«Nein!«Bestürzt trat sie einen Schritt näher zu ihm.»Nein, Victor, das darfst du nicht glauben. Ich hätte die Sache niemals angesprochen. Ich habe dich eingeladen, weil ich dich sehen wollte und weil ich fürchtete, du würdest nie wieder zurückkommen. Es ist soviel Zeit vergangen…«Sie vollendete ihren Gedanken nicht.»Du allein konntest mich in dieses Haus zurückholen, Jenny. Harriet hat es viele Male versucht. John hat mich eingeladen, selbst mein Vater hat seinem Herzen einen Stoß gegeben und mich gebeten, nach Hause zu kommen. Aber ich habe immer nur auf ein Wort von dir gewartet, denn deinetwegen bin ich dem Haus ferngeblieben.«

Die Schwermut, die mir auf ihrer Fotografie aufgefallen war, verdunkelte jetzt flüchtig Jennifers Gesicht, ein Ausdruck offener Verletzlichkeit, der, das fühlte ich, Victor so stark ergriff wie mich. Ich spürte, daß er in diesem Moment gegen den Impuls kämpfte, Jennifer einfach in die Arme zu nehmen.»Ich helfe John, wenn du es wünschst.«

«Ach, Victor — «

«Aber nur um deinetwillen. John ist zu stolz, um mich um Hilfe zu bitten. Und ich bin auch gar nicht sicher, ob ich ihm helfen würde, wenn er zu mir käme. Aber du, Jenny, du solltest längst in deinem eigenen Heim leben und daran denken, eine Familie zu gründen. Nur um deinetwillen werde ich meinem Bruder helfen.«

Jennifer schüttelte den Kopf.»Du darfst es nicht für mich tun, Victor. Du mußt es tun, weil du es willst. Weil er dein Bruder ist — «

Er lachte kurz auf.»Ja, das ist er. Und damit bist du meine Schwester, richtig? Oder genauer gesagt, meine Schwägerin. Aber das ist praktisch das gleiche«, schloß er bitter.»Nein, das ist nicht das gleiche.«

Zu meiner Überraschung stürzte Victor plötzlich auf Jennifer zu und faßte sie bei den Armen. Er hielt sie so fest, als wollte er sie schütteln. Schwarzer Sturm verdunkelte sein Gesicht, und seine Augen blitzten vor Zorn, so daß Jennifer erschrocken vor ihm zurückwich.

«Was ist es dann?«sagte er heiser, seiner Stimme kaum mächtig.»Was sind wir, wenn nicht Schwester und Bruder?«

«Victor! Ich — «

«O Gott!«rief er und ließ sie so plötzlich los, wie er sie gepackt hatte.»Was ist nur über mich gekommen? Die Frau meines eigenen Bruders! Bin ich denn wahnsinnig geworden?«

«Du kannst es nicht ändern«, sagte sie hastig. Ihre Wangen waren blutrot.»So wenig wie ich.«

Victor starrte sie immer noch zornig an, aber ich wußte, daß sein Zorn nicht ihr galt, sondern sich selbst. Für sie empfand er nur tiefe Liebe und Zärtlichkeit.

«Was soll ich tun?«sagte er schließlich leise und verzweifelt.»Ein Jahr lang habe ich mit diesem Augenblick gelebt. Ich habe gewußt, daß er eines Tages kommen würde, daß die Stunde kommen würde, in der wir uns endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würden. Und oft habe ich mich gefragt, ob ich es fertigbringen würde, standzuhalten und mein Geheimnis für mich zu behalten. Aber ich sehe jetzt, daß ich es nicht kann. Ich bin ja nur ein Mensch. Zwölf Monate haben meine Liebe zu dir nicht auslöschen können, Jennifer. Zwölf

Monate harter Arbeit haben mein Verlangen nach dir nicht mindern können. Bin ich denn zu lebenslanger schrecklicher Strafe verurteilt für ein Verbrechen, das begangen zu haben ich mich nicht erinnern kann?«

«Wenn es so ist«, sagte sie ruhig,»dann ist mir das gleiche Urteil gesprochen worden.«

Victor stand so still, so reglos, daß ich mich schon fragte, ob die Zeit stehengeblieben sei. Aber dann sah ich, daß er atmete, und hörte das schwache Ticken der Uhr auf dem Kaminsims. Und schließlich hörte ich ihn mit tonloser Stimme sagen:»Ich glaubte, nur geträumt zu haben, daß du mich liebst. Ich war niemals sicher. Und als ich es zu ahnen begann, fürchtete ich, meine wilden Hoffnungen verleiteten mich dazu, die Botschaft deiner Blicke falsch zu deuten. Ich war wie der sprichwörtliche Ertrinkende, der nach dem Strohhalm greift. Aber jetzt sehe ich, daß ich mich doch nicht getäuscht habe. Daß du mich liebst. Und jetzt frage ich mich, ob dies nicht härtere Strafe ist, als wenn du mich nicht liebtest.«

«Es ist keine Strafe, Victor — «

«Was dann?«rief er.»Allein das Wissen, daß wir dazu verurteilt sind, so durchs Leben zu gehen — uns zu sehen, vielleicht hin und wieder flüchtig zu berühren, aber niemals lieben zu dürfen…«Als Victor sah, daß Jenny weinte, ging er zu ihr und wischte ihr zärtlich die Tränen vom Gesicht.

«Ich hätte nach Schottland gehen sollen. Noch an dem Abend, als ich mit meinen törichten Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft mit dir hierhergekommen war und erfuhr, daß du John geheiratet hattest, hätte ich Warrington wieder verlassen und mich anderswo niederlassen sollen, an irgendeinem fernen Ort. Dann wäre uns diese Qual erspart geblieben.«

«Ist es denn eine solche Qual, Victor?«

«Zu wissen, daß ich dich niemals werde küssen können, daß du das Bett mit meinem Bruder teilst? Ja, das ist die reine Qual.«

«Und was ist mit den Augenblicken, die wir für uns haben, wie eben diesen? Können denn nicht ein Wort oder ein Lächeln genügen? Ist das nicht besser als gar nichts? Denk an die Einsamkeit, Victor, wenn wir getrennt wären. Denk an die langen leeren Jahre in einem fremden Land, die dir bestimmt wären, und denk an meine einsamen Nächte mit einem Mann, den ich einmal zu lieben glaubte, um dann erkennen zu müssen, daß es eine Täuschung war. Wäre es wirklich besser für uns, wenn unsere Wege sich trennen würden und wir dennoch in Gedanken immer beim anderen wären? Oder ist es besser, wenn wir uns nehmen, was wir können, und das Beste daraus machen?«

Mit einer heftigen Bewegung wandte er sich ab.»Darauf kann ich nicht antworten. Jetzt, in diesem Moment, möchte ich bei dir sein und niemals fortgehen. Aber wenn ich in meiner Praxis bin und mir die schreckliche Realität unserer Situation vor Augen halte, dann denke ich, wie leicht es wäre, meine Sachen zu packen und zu verschwinden.«

«Leicht?«

«Nein, nicht leicht. Aber besser, bei Gott!«Der ganze Raum erschien erfüllt von den heftigen Gefühlen der beiden. Ich wurde in diesen Sturm hineingerissen wie in einen Strudel. Ich fühlte das Feuer ihrer Leidenschaft und litt ihren Schmerz. Er zerriß mir fast das Herz. Ich konnte nicht mehr standhalten.»Victor!«schrie ich. Erschrocken drehte er sich um. Und dann waren sie verschwunden.

Die Nacht wurde zur Tortur. Entkräftet vom Schlafmangel, ausgelaugt vom Wechselbad der Gefühle, fiel ich in einen unruhigen Schlaf, der mir keine Erholung brachte. Wieder wurde ich von erotischen Träumen heimgesucht: Bildern von Victor, lockenden Visionen seiner Zärtlichkeit und seines Feuers. Im Traum war seine Liebe wie ein süßer Dunst, der sich über mich senkte und mich einhüllte. Ich zitterte vor lustvoller Spannung. Aber niemals kam es zur letzten Erfüllung meiner Begierde. Meine Träume täuschten mich, spielten mit mir und ließen mich schließlich in einem Zustand elender Enttäuschung zurück.

In meinen wachen Momenten betrachtete ich staunend die Wandlung, die sich in mir vollzog. Es war, als erwache eine Vielzahl neuer Persönlichkeiten in mir, jede mit einem anderen Verlangen, das nach Stillung verlangte. Solche Begierde und Leidenschaft hatte ich nie gekannt. Es war, als wäre jeder einzelne Nerv in meinem Körper mit Elektrizität aufgeladen. Ich stand in hellen Flammen, und es schien, daß einzig Victor Townsend den Brand löschen konnte.

Dann wieder, wenn ich am Fenster stand und meine fieberheiße Stirn an das kühle Glas drückte, dachte ich über diese seltsamen Träume nach und fragte mich, was sie bedeuten mochten. Es lag auf der Hand, daß ich Victor Townsend liebte und begehrte, doch ich verstand nicht, wieso ich so besessen war von diesem Mann, da doch nie zuvor ein Mann ähnliche Gefühle und Wünsche bei mir hervorgerufen hatte. Ich suchte nach Erklärungen und fand keine.

Um Mitternacht weckten mich Jennifer und Harriet aus leichtem Schlaf. Ich war im Sessel eingenickt und fuhr hoch, als ich das Klappen der Tür hörte. Ich sah Harriet an mir vorüberhuschen und am Kamin stehenbleiben. Auf der Uhr war es elf. Es schien kaum Zeit vergangen zu sein seit der Szene zwischen Jennifer und Victor. Jennifer jedenfalls war unverändert. Harriet war sichtlich erregt. Zitternd, beide Hände auf den Magen gedrückt, stand sie da und warf immer wieder mit nervöser Bewegung den Kopf in den Nacken.»Was ist denn?«flüsterte Jennifer besorgt.»Sind sie alle schlafen gegangen? Bist du sicher? Wo ist John?«

«Er ist noch aus. Aber wir hören es ja, wenn er kommt. Niemand kann uns hören, Harriet. Sag mir doch bitte, was du hast.«

«Ach, Jenny…«Harriet begann plötzlich zu weinen.»Ich habe solche Angst. Ich weiß nicht, was ich tun soll. O Gott, was soll ich nur tun!«

«Harriet«, sagte Jennifer ruhig und klar. Sie nahm Harriets zuckende Hände und hielt sie in den ihren.»Komm, jetzt sag mir, was dich quält. So schlimm kann es doch gar nicht sein.«

«Doch, doch. Ich — ach, Jenny…«, wimmerte sie.»Versprich mir, daß du keinem Menschen etwas sagst. Du bist die einzige Freundin, die ich habe.«

«Ich verspreche es dir, Harriet. Ich sage nichts.«

«Auch Victor nicht. Vor allem nicht Victor. «Jennifer zog die Brauen hoch.»Gut. Ich sage es keinem Menschen. Also, was ist mit dir?«

Harriet entriß Jennifer ihre Hände, wandte sich ab und ging ein paar Schritte.»Ich — ich muß dich etwas fragen. Du mußt mir etwas sagen.«

«Natürlich, wenn ich kann.«

Harriet zögerte unschlüssig. Sie schien nicht zu wissen, wie sie anfangen sollte, suchte nach Worten, setzte zum Sprechen an und brachte doch keinen Ton über die Lippen. Schließlich drehte sie sich heftig herum und starrte Jennifer ängstlich ins Gesicht.»Jenny«, sagte sie zitternd. Sie senkte den Blick.»Ich muß unbedingt etwas wissen, aber ich — ich glaube, ich kann gar nicht darüber sprechen. Bitte hilf mir.«

Jennifer war zwar nicht älter als Harriet, aber sie war eine verheiratete Frau und reifer als die Freundin. Sie sah, daß Harriet in tiefer Not war und legte ihr tröstend die Hand auf den Arm.»Es gibt nichts auf der Welt«, sagte sie beruhigend,»worüber wir beide nicht miteinander sprechen können, Harriet. «Harriet sah auf. Ihre Wangen waren erhitzt, ihre Augen glänzten wie im Fieber.»Meine Tage…«, flüsterte sie.»Jenny, meine Tage sind nicht gekommen.«

Jennifer brauchte einen Moment, um sich die Bedeutung der Worte klarzumachen, dann hauchte sie:»Ach Gott, Harriet…«

«Es fällt mir so schwer, darüber zu sprechen«, sagte Harriet mit gepreßter Stimme.»Du weißt doch, wie es ist. Und besonders mit Mama. Als es das erste Mal passierte, als ich zwölf war — «Harriets Stimme war nur noch ein Flüstern —»war ich zu Tode erschrocken. Ich dachte, ich müßte sterben! Ich hatte keine Ahnung, was mir geschah. Und Mama hat mir überhaupt nicht geholfen. Sie sagte nur, jetzt wäre ich eine Frau, ich sollte aufhören zu weinen, und das würde jetzt regelmäßig jeden Monat kommen. Erklärt hat sie mir überhaupt nichts, Jenny. Sie hat nur gesagt, daß ich in dieser Zeit oft die Unterwäsche wechseln soll und immer Eau de Cologne nehmen soll und daß vor den Männern auf keinen Fall darüber gesprochen werden darf. Jenny, du kennst das ja alles. Mama hat gesagt, ich dürfte mich nie darüber beklagen, ich müßte einfach so tun, als gäbe es das gar nicht. Ach, Jenny, es ist verrückt!«

Harriet umfaßte verzweifelt Jennifers Arm.»Als es das erste Mal kam, erschrak ich zu Tode. Und jetzt hab ich Todesangst, weil es nicht kommt.«

Jennifer sagte nichts, aber ihr Blick war voller Mitleid und Sorge.

«Sag mir, was das bedeutet, Jenny. Ich glaube, ich weiß es, aber ich muß sicher sein. Du kannst es mir sagen.«

«Wie lange sind deine Tage schon ausgeblieben, Harriet?«

«Ich — ich weiß nicht genau.«

«Bist du sehr spät dran?«

«Jenny, sie sind zweimal nicht gekommen.«

«Ah ja…«Jennifer blieb völlig ruhig. Ihre Hand lag immer noch auf Harriets Arm, und ihr Gesicht war so unbewegt, als besprächen sie den Speiseplan für den kommenden Tag.»Harriet, sag mir eines — hast du etwas getan, das dieses — Ausbleiben bewirkt haben könnte?«

«Ich glaube, ja«, antwortete Harriet kaum hörbar. Jennifer schloß einen Moment die Augen.»Jenny, ich wußte es nicht. Niemand hat es mir je gesagt«, stieß

Harriet hastig hervor. Ihr Gesicht war verwirrt und bestürzt. Und es war kreidebleich.»Sean hat gesagt, es wäre nichts dabei. Und ich hatte keine Ahnung, was wir taten. Ich dachte immer, Kinder könnte man nur bekommen, wenn man verheiratet ist, aber doch nicht vorher. Wir waren draußen bei der Ruine von der alten Abtei. Zuerst war ich erschrocken. Aber dann fand ich es schön. Und dann — «, sie senkte wieder den Blick und murmelte scheu,»dann war ich selig.«

In Jennifer blitzte etwas auf. Neid? Flüchtig nur und ohne Mißgunst. Ein feiner Stich des Bedauerns, daß sie es mit John niemals so erlebt hatte, sondern immer nur enttäuschend. Er war nie zärtlich, immer ungeduldig, nahm nie Rücksicht auf ihre Wünsche. Und sogleich meldete sich das schlechte Gewissen, als sie sich erinnerte, wie sie die Augen geschlossen und sich vorgestellt hatte, sie läge mit Victor zusammen und nicht ihrem Mann. Ein so kleiner Betrug nur, der ihr half, die seltenen Angriffe ihres Mannes auf ihren Körper zu ertragen. Zu denken, es wäre Victor, sich vorzustellen, wie es mit ihm wäre: liebevoll, zärtlich und genießerisch…

«Wie lange ist das her, Harriet, das mit Sean O'Hanrahan?«fragte sie.

«Ich — äh — es war…«Harriet geriet ins Stocken.»Es war mehr als einmal, Jenny. Aber er hat gesagt, es wäre nichts dabei, wirklich. O Gott, Jenny, was habe ich getan?«

«Du solltest lieber fragen, was er getan hat, Harriet.«

«Nein! Sprich nicht so von ihm. Ich liebe ihn, und wir werden heiraten. Aber heimlich, damit Vater uns nicht daran hindern kann. Versprich mir, Jenny, daß du Vater nichts sagst.«

«Du kannst dich darauf verlassen, Harriet, aber du solltest mit Victor sprechen.«

«Nein!«

«Er ist Arzt, Harriet. Er kann dir sagen, was du tun sollst. Vielleicht täuschst du dich. Aber wenn es nicht so ist, dann kann er dir sagen, was zu tun ist.«

«Ich kann mit Victor nicht darüber sprechen. Er würde mich verachten!«Harriet begann wieder zu weinen. Jennifer nahm sie in die Arme und hielt sie fest, ohne ein Wort zu sagen. Harriet weinte und schluchzte, und erst als sie sich wieder einigermaßen gefaßt hatte, löste sie sich aus Jennifers Armen, wischte sich die Augen und sagte stockend:»Du glaubst also, daß es passiert ist? Daß ich ein Kind in mir habe?«

«Wenn du etwas mit Sean O'Hanrahan getan hast. Wenn du genau weißt, was du mit ihm getan hast.«

«Verheiratete täten es, hat er gesagt. Er wollte mir zeigen, wie es ist.«

Jennifer nickte ernst und trauerte im stillen um Harriet, der ihre kindliche Unschuld genommen worden war.»Ich hätte nie gedacht, daß es möglich ist. Wirklich nicht. Ich habe fest geglaubt, Kinder bekommt man nur, wenn man verheiratet ist. Aber jetzt ist es geschehen, und jetzt muß ich damit fertigwerden. «

«Harriet!«Jennifer bot ihr beide Hände.»Bitte sprich mit Victor. «

«Niemals!«Harriet wich einen Schritt zurück.»Er würde mich umbringen.«

«Aber nein — «

«Doch, er würde!«schrie Harriet.»Victor würde mich umbringen. Du kennst ihn nicht so gut wie ich. Er ist genau wie Vater.«

«Was willst du denn dann tun?«

«Sean und ich haben vor, nach London zu gehen und uns dort trauen zu lassen.«

«Ach, Harriet. «Jetzt weinte auch Jennifer.

Harriet stand noch einen Moment unschlüssig, starrte Jennifer mit einem Blick an, bei dem uns beiden eiskalt wurde, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Zimmer. Ich blickte ihr nach, sah die Tür hinter ihr zufallen und war überrascht, Jennifer noch im Zimmer zu sehen, als ich mich wieder umdrehte. Ich hatte geglaubt, hier würde die Szene enden. Aber es schien, daß noch mehr kommen sollte. Ich blieb in meinem Sessel sitzen und wartete.

Wie unglaublich, daß die junge Frau, die vor mir stand, seit so vielen Jahren tot sein sollte. Konnte ich nicht das Rascheln ihrer Röcke hören? Sah ich nicht den Glanz der Tränen in ihren Augen? Roch ich nicht den zarten Rosenduft, der sie umgab? Fühlte ich nicht ihre Anwesenheit in diesem Zimmer? Während ich sie betrachtete und dabei diese Überlegungen anstellte, kam mir plötzlich ein verrückter Gedanke in den Kopf und elektrisierte mich förmlich. Mir fiel ein, wie ich bei der letzten Begegnung mit Victor und Jennifer von den Gefühlen der beiden überwältigt Victors Namen gerufen und er sich umgedreht hatte.

War es möglich, daß er mich gehört hatte? Ich hatte den kleinen Zwischenfall bisher völlig vergessen, aber jetzt erinnerte ich mich genau. Ich war nicht fähig gewesen, mich länger zurückzuhalten, und hatte laut Victors Namen gerufen. Und er hatte sich erschrocken umgedreht. Konnte das bedeuten…?

Unverwandt sah ich Jennifer an. Sie blieb viel länger als sonst. Oder vielleicht war auch ich es, die länger blieb. Ganz gleich, mein Rendezvous mit der Vergangenheit dauerte länger an, als ich erwartet hatte, und ich fragte mich, ob das einen besonderen Grund hatte.

Warum konnte ich Jennifer immer noch sehen? Hatte das einen bestimmten Sinn? Sie stand hier ganz allein in diesem Zimmer, so wirklich und leibhaftig wie meine Großmutter hier zu stehen pflegte, und sie trocknete sich die Augen mit einem Taschentuch, das sie aus dem Ärmel ihres Kleides hervorgezogen hatte. Sie und ich waren allein hier im Zimmer und doch durch Jahre getrennt. Sie lebte im Jahre 1892. Ich lebte in der Gegenwart. Wieso waren wir immer noch zusammen?

Eine Ahnung kam mir, die ich zunächst als absurd verwarf. Doch sie drängte sich mir von neuem auf und ließ mich nicht mehr los.

Ich konnte Jennifers Parfüm riechen, das Knistern ihrer Röcke hören, ich konnte sie sehen und ihre Nähe spüren, und ich fragte mich, ob das, was ich gehofft und gefürchtet hatte, nun vielleicht endlich geschehen würde; daß nun der Weg zur Verständigung über die Sprache sich öffnen würde und ich so ganz in das Geschehen einbezogen werden würde. Da alles so real war, sollte es da nicht möglich werden, miteinander zu sprechen? Hatte sich nicht Victor umgedreht, als ich seinen Namen gerufen hatte? Aber sie konnte mich ja nicht einmal sehen. Sie stand nur Zentimeter von mir entfernt und nahm mich nicht wahr. Was würde geschehen, wenn ich sie ansprach? Würde dann eine echte Verbindung, eine beiderseitige Verbindung hergestellt werden? Ich beschloß, es zu riskieren. Das einzige, was geschehen konnte, war, daß sie verschwand. Und da Harriet schon fort war und nichts weiter sich ereignete, würde sie bald sowieso verschwinden. Ich wollte es versuchen. Ich wollte sie ansprechen. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, schluckte alle Befürchtungen hinunter, räusperte mich und sagte laut und klar:»Jennifer!«

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