12

Ich bekam Mrs. Danvers nur noch selten zu sehen; sie hielt sich sehr im Hintergrund. Sie rief mich zwar noch jeden Vormittag im Morgenzimmer an, um mir die Speisenfolge unserer Mahlzeiten mitzuteilen, aber das war nur eine Formsache, und darauf beschränkte sich unsere Beziehung auch. Sie hatte für mich ein Mädchen engagiert, Clarice, die Tochter irgendeines Gutsangestellten, eine stille, sympathische Person mit nettem Benehmen, die Gott sei Dank noch niemals in Stellung gewesen war und daher keine beunruhigenden Vergleiche ziehen konnte.

Ich glaube, sie war der einzige Mensch im Haus, der Respekt vor mir hatte. Für sie war ich die Herrin, war ich Mrs. de Winter.

Der Klatsch, den sie möglicherweise von den anderen Dienstboten zu hören bekam, vermochte ihr nichts anzuhaben. Sie war von einer fünfzehn Meilen entfernt wohnenden Tante großgezogen worden, also längere Zeit fort gewesen, und war deshalb auf Manderley eigentlich ebenso fremd wie ich. Ich verstand mich gut mit ihr. Es machte mir gar nichts aus, ihr zu sagen: «O Clarice, würden Sie mir bitte meinen Strumpf stopfen?»

Das Hausmädchen Alice war immer so überlegen gewesen, daß ich mir meine Wäsche lieber heimlich aus der Schublade hervorsuchte und sie selbst ausbesserte, als sie darum zu bitten. Ich hatte sie einmal beobachtet, wie sie, eines meiner Hemden über dem Arm, den billigen Stoff mit der kleinen Spitzenkante befühlte, und ich werde nie ihren Gesichtsausdruck dabei vergessen. Sie sah nahezu entsetzt aus, als wäre sie in ihrem persönlichen Stolz getroffen. Ich hatte mir bisher nie Gedanken über meine Unterwäsche gemacht. Solange sie sauber und heil war, dachte ich, spiele Stoffart und Spitzenbesatz keine Rolle. Wohl hatte ich in den Zeitungen von Bräuten gelesen, die eine große Wäscheausstattung, Dutzende der kostbarsten Garnituren besaßen, aber das hatte mich nicht weiter bekümmert. Alices entsetztes Gesicht war mir jedoch eine Lehre. Ich schrieb sofort an ein Londoner Spezialgeschäft und bat um einen Katalog. Als ich schließlich meine Wahl getroffen hatte, war Clarice bereits an Alices Stelle getreten. Mir nun für Clarice neue Unterwäsche zu kaufen, schien mir eine solche Verschwendung, daß ich den Katalog in die Schublade legte und meine Bestellung gar nicht aufgab. Clarice würde echte Spitze von falscher ohnehin nicht unterscheiden können. Es war sehr rücksichtsvoll von Mrs. Danvers gewesen, mir gerade dieses Mädchen auszusuchen. Sie mußte sich gleich gedacht haben, daß Clarice und ich glänzend zueinander passen würden. Daß ich nun die Ursache von Mrs. Danvers Abneigung und Unfreundlichkeit kannte, machte es etwas leichter für mich. Ich wußte jetzt, daß sie mich nicht persönlich haßte, sondern das, was ich darstellte. Sie würde jeder Frau gegenüber, die Rebeccas Platz eingenommen hätte, dasselbe empfinden. Wenigstens hatte ich Beatrice so verstanden.

«Aber weißt du denn nicht?» hatte sie staunend ausgerufen. «Sie betete Rebecca förmlich an.»

Zunächst hatten mir diese Worte einen schweren Schlag versetzt. Sie trafen mich so unvorbereitet. Aber als ich darüber nachdachte, begann ich meine Furcht vor Mrs. Danvers zu verlieren. Sie fing sogar an, mir leid zu tun. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie ihr zumute sein mußte. Es mußte ihr jedesmal einen Stich geben, wenn sie hörte, wie man mich mit Mrs. de Winter anredete. Jeden Morgen, wenn sie durch das Haustelephon zu mir sprach, dachte sie gewiß an eine andere Stimme. Wenn sie durch die Zimmer ging und die Spuren sah, die meine Anwesenheit hinterlassen hatte - meine Baskenmütze auf der Fensterbank oder mein Strickzeug auf einem Stuhl -, mußte sie an jene andere denken, deren Sachen früher dort gelegen hatten. Ich tat es ja auch, obwohl ich doch Rebecca gar nicht gekannt hatte. Mrs. Danvers wußte, was für einen Gang und was für eine Stimme Rebecca gehabt hatte. Mrs. Danvers erinnerte sich noch der Farbe ihrer Augen, ihres Lächelns, und wie weich ihr Haar gewesen war. Ich hatte von all dem keine Ahnung. Ich hatte auch nie einen Menschen danach gefragt; aber manchmal hatte ich das Gefühl, als ob Rebecca für mich ebenso gegenwärtig sei wie für Mrs. Danvers.

Frank hatte mir geraten, die Vergangenheit zu vergessen, und ich wollte sie ja auch vergessen. Aber Frank brauchte sich ja auch nicht jeden Vormittag im Morgenzimmer aufzuhalten und den Federhalter zu berühren, mit dem sie geschrieben hatte. Er brauchte nicht wie ich ihre Handschrift auf den Schildchen über den Fächern anzustarren. Ihm blieb es erspart, die Leuchter auf dem Kaminsims, die Uhr, die Blumenvase und die Bilder an den Wänden anzusehen und dabei immer wieder denken zu müssen, daß alle diese Dinge ihr gehört hatten, daß sie sie ausgesucht hatte und daß es nicht meine Sachen waren. Frank mußte nicht auf ihrem Platz im Eßzimmer sitzen, Messer und Gabel benutzen, die sie benutzt hatte, und aus ihrem Glas trinken. Er trug nicht ihren Mantel und fand ihr Taschentuch in der Tasche. An sich waren es lauter geringfügige Dinge, so unwesentlich und kindisch, aber ich konnte es nun ein-mal nicht ändern, daß ich sie immer wieder zu sehen, zu hören und zu fühlen bekam. Du lieber Himmel, ich wollte gewiß nicht mehr an Rebecca denken. Ich wollte glücklich sein, ich wollte Maxim glücklich machen, und ich wollte, daß wir immer zusammenblieben. Ich wünschte mir nichts sehnlicher. Ich konnte es nur nicht verhindern, daß meine Gedanken sich immer wieder mit ihr beschäftigten und ich sogar von ihr träumen mußte. Ich konnte das Gefühl nicht loswerden, daß ich auf Manderley, meinem eigenen Heim, nur ein Gast war, der auf ihren Spuren wandelte, dieselben Wege ging, die sie gegangen war, dieselben Ruheplätze im Garten aufsuchte, die sie bevorzugt hatte. Ein Gast, der sich die Zeit vertrieb, während er die Rückkehr der Hausfrau erwartete. Täglich, stündlich wurde diese Vorstellung durch irgendeine Bemerkung, irgendeinen kleinen Verweis von neuem in mir wachgerufen.

«Frith», sagte ich an einem Sommermorgen, als ich mit einem selbstgepflückten Strauß Flieder im Arm die Bibliothek betrat. «Frith, wo kann ich wohl eine größere Vase für den Flieder finden? Die Vasen im Blumenzimmer sind alle zu niedrig.»

«Für den Flieder wurde immer die Alabastervase aus dem Salon benutzt, Madam.»

«Oh, ist die nicht zu schade dafür? Sie könnte doch leicht kaputtgehen.»

«Mrs. de Winter hat immer die Alabastervase dafür genommen, Madam.»

«Ach so, ja.»

Und man brachte mir die Alabastervase, bereits mit Wasser gefüllt, und als ich dann die blühenden Zweige einen nach dem anderen behutsam in die Vase steckte und der süße, schwere Fliederduft allmählich den Raum füllte und sich mit dem Grasgeruch des frisch gemähten Rasens zu mischen begann, der zum Fenster hereinkam, dachte ich: «Das hat Rebecca auch getan. Sie hat genau wie ich die Zweige einzeln ins Wasser gestellt. Ich ahme es ihr nur nach. Dies ist Rebeccas Vase und Rebeccas Flieder.»

«Frith, würden Sie bitte das Bücherbrett von dem Fenstertisch nehmen, damit ich den Flieder dort hinstellen kann?»

«Mrs. de Winter hat die Vase immer auf den Tisch hinter dem Sofa gestellt, Madam.»

«Ach so ...» Ich zögerte etwas und hielt die Vase einen Augenblick in der Luft, während Frith mit ausdruckslosem Gesicht dastand. Er hätte mir natürlich gehorcht, wenn ich ihm gesagt hätte, daß ich die Blumen lieber auf den Fenstertisch stellen würde, und er hätte selbstverständlich das Bücherbrett sogleich fortgenommen. Aber ich sagte es nicht.

«Nun schön», sagte ich nur. «Vielleicht kommt der Flieder auf dem größeren Tisch besser zur Geltung.» Und die Alabastervase wurde auf den Tisch hinter dem Sofa gestellt .

Beatrice hatte ihr Versprechen, mir noch nachträglich etwas zur Hochzeit zu schenken, nicht vergessen. Eines Morgens traf ein großes, schweres Paket ein. Robert konnte es kaum tragen, so schwer war es. Ich saß im Morgenzimmer und hatte gerade gelesen, was es zum Mittagessen geben würde, und für Pakete habe ich stets eine kindliche Begeisterung empfunden. Ich schnitt die Schnur ungeduldig durch und riß das braune Packpapier auf. Wie Bücher fühlte es sich an. Ich hatte recht. Vier große Bände: «Eine Geschichte der Malerei.» Und in dem ersten Band lag eine Karte, auf der stand: «Ich hoffe, daß ich damit Deinen Geschmack getroffen habe, Gruß Beatrice.» Ich konnte mir genau vorstellen, wie sie in den Buchladen in der Wig-more Street gegangen war, um die Bücher zu kaufen, und wie sie sich drinnen in ihrer resoluten, männlich bestimmten Art umgeblickt hatte. «Ich möchte gern ein paar wertvolle Bücher über Kunst für eine junge Dame, die selbst künstlerisch tätig ist», hatte sie wahrscheinlich gesagt, und der Verkäufer hatte das mit einem verbindlichen «Sehr wohl, gnädige Frau, wollen Sie sich bitte hierher bemühen» beantwortet.

Es war wirklich nett von Beatrice. Ich fand es irgendwie rührend, daß sie nach London gefahren war und mir diese Bücher gekauft hatte, weil sie wußte, daß ich mich für Malerei interessierte und selbst etwas zeichnete. Sie hatte sich vermutlich schon ausgemalt, wie ich mich an einem Regentag in die Bücher vertiefen und die Reproduktionen andächtig betrachten und vielleicht Skizzenblock und Farbkasten holen würde, um eines der Bilder zu kopieren. Die gute Beatrice! Ich hatte plötzlich das törichte Bedürfnis, ein bißchen zu weinen. Ich hob die Bücher auf und sah mich im Zimmer um, wo ich sie wohl am besten hinstellen könnte. Sie paßten mit ihrer Größe so gar nicht in dieses zierliche, elegante Zimmer hinein, aber schließlich war es ja jetzt mein Zimmer. Ich stellte sie nebeneinander oben auf den Schreibtisch. Sie schwankten etwas, weil sie keine feste Stütze hatten. Rasch trat ich einen Schritt zurück, um die Wirkung besser abschätzen zu können. Vielleicht hatte ich mich etwas zu lebhaft bewegt und sie dadurch ins Wanken gebracht. Jedenfalls fiel der erste Band um, und die anderen Bände polterten hinterher und stießen dabei einen kleinen Porzellanamor an, der bisher außer den Leuchtern der einzige Schmuck des Schreibtisches gewesen war. Das Figürchen fiel hinunter, prallte gegen den Papierkorb und zerbrach in tausend Scherben. Wie ein schuldbewußtes Kind blickte ich sofort zur Tür, dann kniete ich nieder und sammelte die Scherben ein. Ich fand einen größeren Umschlag, tat die Scherben hinein und versteckte den Umschlag hinten in einer der Schubladen. Daraufhin trug ich die Bücher in die Bibliothek, wo ich sie zwischen die anderen stellte.

Maxim lachte, als ich sie ihm voller Stolz zeigte.

«Die gute alte Bee», sagte er. «Du hast offenbar eine Eroberung gemacht; sie rührt sonst kein Buch an, wenn sie es irgendwie vermeiden kann.»

«Sagte sie etwas davon, was sie - was für einen Eindruck sie von mir hat?» fragte ich ihn.

«Als sie neulich zum Essen hier war? Nein, ich glaube nicht.»

«Ich dachte, sie hätte dir vielleicht geschrieben.»

«Beatrice und ich korrespondieren nur miteinander, wenn wir uns durch irgendein wichtiges Familienereignis dazu veranlaßt sehen. Briefeschreiben wäre zwischen uns wirklich eine Zeitverschwendung», erklärte Maxim.

Offenbar war ich also kein wichtiges Familienereignis, dachte ich. Aber wenn ich an Beatrices Stelle gewesen wäre, grübelte ich weiter, und einen Bruder hätte, und der Bruder hätte gerade geheiratet, dann würde ich doch bestimmt irgend etwas gesagt, mein Urteil über die Schwägerin zum Ausdruck gebracht und ein oder zwei Worte darüber geschrieben haben. Ausgenommen natürlich, ich hätte eine Abneigung gegen die Schwägerin oder die Heirat unpassend gefunden. Das wäre natürlich etwas anderes gewesen. Aber Beatrice hatte sich sogar die Mühe gemacht, nach London zu fahren, um mir die Bücher zu kaufen. Das hätte sie sicherlich nicht getan, wenn sie mich nicht gern gehabt hätte.

Es war am nächsten Tag - ich erinnere mich noch gut -, als Frith, der uns nach dem Mittagessen den Mokka in die Bibliothek gebracht hatte, einen Augenblick unschlüssig stehen blieb und dann schließlich Maxim anredete: «Darf ich Sie eine Minute stören, Sir?»

Maxim sah von seiner Zeitung hoch. «Ja, Frith, worum handelt es sich denn?» fragte er überrascht. Frith sah ungewöhnlich ernst und feierlich aus, und um seine Lippen lag ein gespannter Zug. Ich dachte sofort, seine Frau wäre gestorben.

«Es handelt sich um Robert, Sir. Er hat mit Mrs. Danvers eine leichte Auseinandersetzung gehabt und sich sehr aufgeregt.»

«Mein Gott», sagte Maxim und schnitt mir ein Gesicht. Ich bückte mich, um Jasper zu streicheln, ein unfehlbares Hilfsmittel, um meine Verlegenheit zu verbergen.

«Ja, Sir. Mrs. Danvers hat Robert offensichtlich beschuldigt, eine wertvolle Nippesfigur aus dem Morgenzimmer entwendet zu haben. Es gehört zu Roberts Pflichten, die Vasen mit den frischen Blumen ins Morgenzimmer zu stellen. Mrs. Danvers ging heute morgen hinein, nachdem Robert die Blumen verteilt hatte, und entdeckte, daß eine Nippesfigur fehlte. Sie beschuldigte Robert, daß er entweder die Figur an sich genommen oder sie zerbrochen und ihr das verheimlicht habe. Robert leugnete beides auf das entschiedenste ab und kam beinahe in Tränen aufgelöst zu mir, Sir. Es wird Ihnen vielleicht aufgefallen sein, daß er beim Servieren ganz verstört gewesen ist.»

«Ja, allerdings, es fiel mir auf, daß er mir die Koteletts schon reichte, bevor er mir einen Teller gegeben hatte», murmelte Maxim. «Ich hatte keine Ahnung, daß Robert so zart besaitet ist. Na, wahrscheinlich ist jemand anders der Schuldige. Vielleicht eines von den Hausmädchen.»

«Nein, Sir, Mrs. Danvers ging in das Zimmer, bevor das Mädchen dort saubergemacht hat. Nach der gnädigen Frau gestern hat niemand das Zimmer betreten, bevor Robert heute früh die Blumen hineinstellte. Das bringt Robert und mich in eine sehr unangenehme Situation, Sir.»

«Ja, das verstehe ich. Es ist wohl am besten, Sie holen Mrs. Danvers, dann werden wir der Sache schon auf den Grund kommen. Was für eine Figur war es denn eigentlich?»

«Der Porzellanamor, Sir, der immer auf dem Schreibtisch stand.»

«Oh! Mein Gott, ist das nicht eine von unseren Kostbarkeiten? Der muß dann eben wieder gefunden werden. Sagen Sie Mrs. Danvers, sie möchte sofort zu mir kommen.»

«Sehr wohl, Sir.»

Frith verließ das Zimmer, und wir waren wieder allein. «Was für eine unerquickliche Angelegenheit», sagte Maxim, «dieser Amor ist ein verdammt wertvolles Stück. Und mir sind solche Auseinandersetzungen zwischen den Dienstboten so zuwider! Ich frage mich bloß, warum sie mich damit behelligen. Das ist eigentlich deine Angelegenheit, Liebling.»

Ich sah mit feuerrotem Gesicht von Jasper auf. «Maxim», sagte ich, «ich wollte es dir schon eher sagen, aber ich - ich hatte es ganz vergessen. Ich habe nämlich den Amor zerbrochen, als ich gestern vormittag im Morgenzimmer war.»

«Du hast ihn zerbrochen? Ja, zum Teufel, warum hast du das nicht eben gesagt?»

«Ich weiß nicht, ich brachte es einfach nicht fertig. Er mußte mich ja für eine richtige Idiotin halten.»

«Das wird er jetzt erst recht tun, du Dummchen. Jedenfalls wirst du es ihm und Mrs. Danvers doch mitteilen müssen.»

«Oh, bitte nein, Maxim! Sag du es ihnen. Laß mich solange nach oben in mein Zimmer gehen.»

«Sei doch nicht albern. Die glauben sonst noch, daß du Angst vor ihnen hast.»

«Ich habe auch Angst vor ihnen, das heißt, nicht Angst, aber ...»

Die Tür ging auf, und Frith kehrte mit Mrs. Danvers zurück. Ich warf Maxim einen beschwörenden Blick zu. Er zuckte halb belustigt, halb verärgert die Achseln.

«Der Fall hat sich schon aufgeklärt, Mrs. Danvers. Mrs. de Winter hat den Amor offenbar umgestoßen und vergaß nur, etwas davon zu sagen», erklärte Maxim.

Alle sahen mich an. Es war genau, wie wenn man als Kind etwas verbrochen hatte, und ich fühlte, wie meine Wangen noch immer vor Verlegenheit brannten. «Es tut mir sehr leid», sagte ich zu Mrs. Danvers. «Ich habe natürlich nicht daran gedacht, daß Robert verdächtigt werden könnte.»

«Ist es möglich, das Porzellan noch zu kitten, Madam?» entgegnete Mrs. Danvers. Es schien sie durchaus nicht zu überraschen, daß ich die Sünderin war. Sie sah mich mit ihren dunklen Augen in dem bleichen Totenschädel unverwandt an. Ich hatte das Gefühl, daß sie von Anfang an wußte, wer es war, und daß sie Robert nur beschuldigt hatte, um zu sehen, ob ich den Mut aufbringen würde, meine Ungeschicklichkeit einzugestehen.

«Ich fürchte, nein», sagte ich. «Es ist in viel zu kleine Scherben zerbrochen.»

«Wo hast du denn die Scherben hingetan?» fragte Maxim.

Ich kam mir wie ein Sträfling vor, der einem Kreuzverhör unterzogen wird. Wie erbärmlich und kleinlich meine Vergehen jetzt erschienen; selbst ich empfand das so. «Ich habe sie in einen Briefumschlag getan», erwiderte ich.

«Und was hast du mit dem Umschlag angefangen?» fragte Maxim weiter, in einem Ton, der teils amüsiert, teils ungeduldig klang, und zündete sich eine Zigarette an.

«Ich habe ihn in eine der Schreibtischschubladen gelegt», sagte ich.

«Es sieht fast so aus, als ob Mrs. de Winter glauben würde, daß Sie sie auf der Stelle verhaftet hätten, nicht wahr, Mrs. Danvers?» sagte Maxim. «Vielleicht sehen Sie sich das Malheur einmal an und schicken die Scherben nach London. Und wenn der Schaden nicht mehr behoben werden kann, werden wir es ja schließlich auch überleben. Ja, gehen Sie nur Frith, und sagen Sie Robert, daß er seine Tränen wieder trocknen kann.»

Mrs. Danvers blieb noch, nachdem Frith das Zimmer verlassen hatte. «Ich werde mich natürlich bei Robert entschuldigen», sagte sie. «Aber es hat eben alles gegen ihn gesprochen, und es kam mir natürlich gar nicht der Gedanke, daß Mrs. de Winter dieses Mißgeschick passiert sein könnte. Vielleicht würden Mrs. de Winter, wenn so etwas noch einmal vorkommen sollte, so freundlich sein, es mich gleich wissen zu lassen, damit ich mich darum kümmern kann. Es würde uns allen so viel Unannehmlichkeiten ersparen.»

«Selbstverständlich», sagte Maxim ungeduldig. «Ich begreife auch nicht, warum sie es nicht bereits gestern gesagt hat.»

«Vielleicht waren Mrs. de Winter sich nicht darüber klar, wie wertvoll das Stück gewesen ist?» sagte Mrs. Danvers, während sie ihren Blick auf mich richtete.

«Doch», sagte ich kläglich, «ich befürchtete schon, daß es ein sehr kostbares Stück war, deshalb habe ich ja auch alle Scherben sorgfältig aufgehoben.»

«Und sie dann irgendwo hinten in einer Schublade versteckt, wo sie bestimmt niemand finden kann, wie?» sagte Maxim lachend und zuckte wieder mit den Achseln. «Pflegen das die Stubenmädchen nicht so zu tun, Mrs. Danvers?»

«Auf Manderley ist es den Stubenmädchen streng untersagt, die Wertstücke im Morgenzimmer anzurühren, Sir», entgegnete Mrs. Danvers.

«Ja, ich kann mir denken, daß Sie das nicht zulassen würden», meinte Maxim.

«Es ist sehr bedauerlich», fuhr Mrs. Danvers fort. «Ich kann mich nicht erinnern, daß bisher etwas im Morgenzimmer entzweigegangen ist. Wir haben uns dort immer besonders vorgesehen. Im vergangenen Jahr habe ich die Sachen sogar selbst abgestaubt, weil niemand da war, auf den ich mich verlassen konnte. Als Mrs. de Winter noch lebte, haben wir es immer zusammen getan.»

«Na ja», sagte Maxim, «es ist nun nicht mehr zu ändern. Es ist gut, Mrs. Danvers.»

Sie ging aus dem Zimmer, und ich setzte mich ans Fenster und sah in den Garten hinaus. Maxim nahm seine Zeitung wieder auf.

«Es tut mir schrecklich leid, Liebster», sagte ich nach einer kleinen Weile. «Es war sehr unachtsam von mir. Ich weiß gar nicht, wie es eigentlich kam; ich war gerade dabei, die Bücher auf den Schreibtisch zu stellen, um auszuprobieren, ob sie dort fest genug stehen würden, und dann fielen sie um, und der Amor fiel auf den Boden.»

«Mein liebes Kind, denk nicht mehr daran. Was macht das schon?»

«Doch, es macht etwas, ich hätte eben vorsichtiger sein müssen. Mrs. Danvers wird sehr wütend auf mich sein.»

«Was hat sie denn wütend zu sein? Es ist schließlich nicht ihr Porzellan.»

«Nein, aber sie ist so stolz auf all die Sachen. Es ist mir gräßlich, daß ich der erste Mensch bin, der etwas davon zerbrochen hat.»

«Besser du als der unglückliche Robert.»

«Ich wünschte, Robert wäre es gewesen; Mrs. Danvers wird mir das nie verzeihen.»

«Zum Teufel mit Mrs. Danvers», rief Maxim aus. «Sie ist doch schließlich nicht der liebe Gott. Ich kann dich wirklich nicht begreifen. Was meinst du eigentlich damit, wenn du sagst, daß du Angst vor ihr hast?»

«Angst meinte ich im Grunde nicht. Ich sehe sie ja kaum. Nein, das ist es nicht. Ich kann es dir nicht genau erklären.»

«Dein Benehmen ist mir wirklich unverständlich», sagte Maxim. «Warum hast du denn Mrs. Danvers nicht kommen lassen, nachdem das Malheur passiert war, und ihr einfach gesagt: Das würde sie ja wohl begriffen haben. Statt dessen tust du die Scherben in einen Briefumschlag und versteckst ihn in der Schublade. Genau wie ein Stubenmädchen, wie ich eben sagte, und nicht wie die Herrin des Hauses.»

«In dieser Hinsicht bin ich auch wie ein Stubenmädchen», sagte ich langsam. «Das weiß ich selbst. Deshalb verstehe ich mich auch so gut mit Clarice. Wir stehen eben auf demselben Niveau, und deshalb hängt sie so an mir. Neulich habe ich ihre Mutter besucht, und weißt du, was sie sagte? Ich fragte sie, ob sie glaube, daß Clarice sich wohl bei uns fühle, und sie antwortete: - Glaubst du, daß das ein Kompliment ist?»

«Weiß Gott», sagte Maxim. «Soweit ich Clarices Mutter kenne, würde ich das allerdings geradezu als Beleidigung auffassen. In ihrem Häuschen sieht es meistens wie in einem Schweinestall aus, und es riecht meilenweit nach Kohl. Sie hat in elf Jahren neun Kinder bekommen, die alle wie die Schmutzfinken aussahen, und lief selbst auf dem kleinen Grundstück wie eine Schlampe herum. Wir hätten sie fast an die Luft gesetzt. Wieso Clarice so sauber und nett aussieht, ist mir ein Rätsel.»

«Sie hat die letzten Jahre bei einer Tante gelebt», sagte ich ziemlich ernüchtert. «Ich weiß, daß mein Flanellrock vorne einen Fleck hat, aber ich bin nie wie eine Schlampe herumgelaufen.» Ich wußte jetzt, warum Clarice nicht wie Alice über meine Unterwäsche die Nase rümpfte. «Vielleicht macht es mir deshalb auch mehr Spaß, eine Schlampe wie Clarices Mutter zu besuchen als eine Dame wie die Frau des Bischofs», fuhr ich fort. «Die hat nie zu mir gesagt, daß sie mich als ihresgleichen empfindet.»

«Wenn du bei deinen Besuchen diesen schmutzigen Rock trägst, dann wird sie das bestimmt auch nie tun», sagte Maxim.

«Natürlich habe ich nicht den alten Rock angehabt, ich habe mir ihretwegen extra ein Kleid angezogen», entgegnete ich. «Aber von Leuten, die einen Menschen nach seinen Kleidern beurteilen, halte ich nicht viel.»

«Ich glaube kaum, daß die Frau des Bischofs sich auch nur einen Pfifferling darum schert, wie du angezogen bist», sagte Maxim. «Aber vermutlich war sie höchst überrascht, dich auf der äußersten Stuhlkante balancieren zu sehen und dich immer nur ja oder nein sagen zu hören wie irgendeinen Arbeitslosen, der sich um eine Stellung bewirbt. Jedenfalls hast du dich das einzige Mal, als wir zusammen einen Besuch erwiderten, genauso aufgeführt.»

«Ich kann eben nicht aus meiner Haut heraus.»

«Ich weiß, daß du das nicht kannst, Liebling. Aber du gibst dir auch nicht die geringste Mühe, deine Scheu zu überwinden.»

«Das ist wirklich ungerecht von dir», sagte ich. «Ich bemühe mich jeden Tag darum, jedesmal, wenn ich einen Besuch mache oder neue Menschen kennenlerne. Ich gebe mir immerzu Mühe. Du verstehst das wahrscheinlich nicht. Für dich ist das alles ein Kinderspiel, weil du von klein auf daran gewöhnt gewesen bist. Aber ich bin nun einmal nicht dafür erzogen worden.»

«Unsinn», sagte Maxim. «Es ist gar keine Frage der Erziehung, wie du es darstellen willst. Es ist lediglich eine Frage der Anpassungsfähigkeit. Glaubst du etwa, ich mache diese Besuche gern? Sie langweilen mich tödlich, kann ich dir nur sagen. Aber da wir nun mal in dieser Welt leben, müssen wir solche Dinge eben über uns ergehen lassen.»

«Von Langeweile ist doch gar nicht die Rede», sagte ich. «Vor Langeweile braucht man sich doch nicht zu fürchten. Wenn es mich nur langweilte, wäre es mir ganz einerlei. Aber ich hasse es, wenn die Leute mich von oben bis unten mustern wie eine Kuh auf dem Viehmarkt.»

«Wer mustert dich von oben bis unten?»

«Alle Leute hier, jeder tut es.»

«Das kann dir doch ganz gleichgültig sein. Ihre Neugier macht das eintönige Leben auf dem Lande etwas erträglicher.»

«Aber wie komme denn gerade ich dazu, ihnen neuen Gesprächsstoff zu liefern und so von ihnen unter die Lupe genommen zu werden?»

«Weil alles, was mit Manderley zusammenhängt, das Leben der Leute hier etwas interessant macht.» «Was für ein Schlag ins Gesicht muß ich dann für sie sein.»

Maxim antwortete nicht. Er vertiefte sich wieder in seine Zeitung.

«Was für ein Schlag ins Gesicht muß ich für sie sein», wiederholte ich. «Deshalb hast du mich wahrscheinlich auch geheiratet», fuhr ich fort. «Du wußtest, daß ich uninteressant und schüchtern und unerfahren bin und folglich gar keine Gefahr besteht, daß ich ins Gerede kommen könnte.»

Maxim warf die Zeitung auf den Boden und sprang auf. «Was meinst du damit?» fragte er.

Sein Gesicht sah auf einmal finster und unheimlich aus, und seine Stimme klang ganz rauh, ganz anders als sonst.

«Ich - ich weiß nicht», sagte ich, während ich mich ans Fenster lehnte, «ich habe gar nichts gemeint - warum siehst du mich so an?»

«Was weißt du von Gerede über Manderley?» fragte er.

«Aber ich weiß ja gar nichts», sagte ich, von seinem Blick verängstigt. «Ich habe es nur gesagt, um - um irgend etwas zu sagen. Bitte, sieh mich nicht so an, Maxim. Was habe ich denn Schlimmes getan? Was hast du denn nur?»

«Wer hat dir etwas davon erzählt?» sagte er langsam.

«Niemand. Bestimmt nicht. Kein Mensch.»

«Warum hast du das dann gesagt?»

«Ich weiß es doch nicht. Es kam mir so in den Kopf. Ich fühlte mich gekränkt und war wütend. Ich hasse es, diese Besuche machen zu müssen, ich kann es nicht ändern. Und du hast mich gescholten, weil ich so schüchtern bin. Ich meinte es gar nicht so. Wirklich nicht. Maxim. Bitte, glaub mir doch.»

«Es war nicht gerade nett von dir, das zu sagen», meinte er.

«Nein», sagte ich. «Nein, es war sehr häßlich von mir.»

Er sah mich ernst und forschend an, die Hände in den Taschen, während er auf den Absätzen vor- und zurückwippte. «Ich weiß nicht, ob es nicht sehr egoistisch von mir war, dich zu heiraten», sagte er nachdenklich.

Mir wurde ganz kalt, fast übel. «Wie meinst du das?» fragte ich.

«Ich passe nicht gut zu dir als Lebensgefährte, stimmt es nicht?» sagte er. «Der Altersunterschied ist zu groß zwischen uns. Du hättest noch etwas warten und dann einen jungen Mann in deinem eigenen Alter heiraten sollen. Nicht einen Menschen, der schon sein halbes Leben hinter sich hat.»

«Das ist Unsinn», sagte ich rasch. «Du weißt genau, daß der Altersunterschied bei einer Ehe gar keine Rolle spielt. Natürlich paßt du zu mir.»

«Tue ich das? Ich weiß nicht recht», sagte er.

Ich stand auf und legte meine Arme um seinen Hals. «Warum sprichst du so zu mir?» sagte ich. «Du weißt doch, daß ich dich mehr liebe als irgend etwas in der Welt. Für mich hat es niemals einen anderen Menschen gegeben. Du bist mir Vater, Bruder, Sohn, alles zugleich.»

«Es war meine Schuld», sagte er, ohne mir zuzuhören. «Ich habe dich einfach überrumpelt und dir gar keine Zeit gelassen, es dir zu überlegen.»

«Ich wollte es mir gar nicht überlegen», sagte ich. «Für mich gab es gar nichts anderes. Du willst mich nicht verstehen, Maxim. Wenn man einen Menschen liebt ...»

«Bist du glücklich hier?» fragte er, während er sich von mir abwandte und zum Fenster hinaussah. «Ich zweifle oft daran. Du bist so viel dünner geworden und hast gar keine Farbe mehr.»

«Natürlich bin ich glücklich», erwiderte ich. «Ich liebe Manderley und den Park, alles liebe ich hier. Es macht mir auch gar nichts aus, diese Besuche machen zu müssen. Ich habe das nur so gesagt, weil ich eben dumm bin. Wenn du willst, werde ich jeden Tag Besuche machen. Es ist mir ganz gleich, was ich tue. Ich habe es noch nicht einen einzigen Augenblick bereut, dich geheiratet zu haben, das mußt du doch eigentlich wissen.»

Er tätschelte mir die Wange - auf diese schreckliche, geistesabwesende Weise -, beugte sich zu mir nieder und küßte mich auf das Haar. «Mein armes Schäfchen, du hast nicht viel Freude an mir, nicht wahr? Ich fürchte, es ist nicht sehr einfach, mit mir zusammenzuleben.»

«Es ist gar nicht schwierig», sagte ich eifrig. «Im Gegenteil, es ist sehr, sehr leicht, viel leichter, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte immer gedacht, daß es gräßlich wäre, verheiratet zu sein; daß ein Ehemann sich betrinkt oder häßliche Worte benutzt oder schimpft, wenn der Toast beim Frühstück zu weich ist, und sich überhaupt sehr abstoßend benimmt und womöglich noch schlecht riecht. Und das tust du alles gar nicht.»

«Du lieber Gott, das hoffe ich aber auch», sagte Maxim und lächelte wieder.

Ich machte mir dieses Lächeln zunutze, lächelte auch, faßte nach seiner Hand und küßte sie. «Wie unsinnig, zu behaupten, daß wir keine guten Kameraden wären», sagte ich. «Und dabei sitzen wir jeden Abend so friedlich zusammen, du mit einem Buch oder deiner Zeitung und ich mit meinem Strickzeug. Natürlich passen wir zusammen. Natürlich sind wir glücklich. Du redest, als hätten wir einen Fehler begangen. Das wolltest du doch nicht sagen, oder, Maxim? Du zweifelst doch nicht daran, daß wir eine glückliche Ehe führen? Du bist doch davon überzeugt, daß unsere Ehe glücklich ist, ja?»

«Wenn du das sagst, dann wird es wohl stimmen», sagte er.

«Ja, aber du glaubst es doch auch, ja, Liebster? Nicht nur ich allein. Wir sind doch glücklich, nicht wahr? Sehr, sehr glücklich?»

Er schwieg. Er sah noch immer zum Fenster hinaus, und ich hielt noch immer seine Hand. Meine Kehle fühlte sich ganz trocken und geschwollen an, und meine Augen brannten. Oh, Gott! dachte ich, das ist wie eine Szene aus einem Theaterstück; im nächsten Augenblick wird der Vorhang niedergehen, und wir werden uns verbeugen und dann unsere Garderoben aufsuchen. Das kann unmöglich ein wirklicher Augenblick aus unserem Leben sein. Ich setzte mich wieder und ließ seine Hand los. Ich hörte mich mit fester, kühler Stimme sagen: «Wenn du nicht glaubst, daß wir glücklich sind, dann wäre es besser, es mir offen zu sagen. Ich möchte nicht, daß du mir etwas vormachst. Ich würde mich dann viel lieber von dir trennen, als noch weiter mit dir zusammenleben.» Natürlich sagte ich das nicht wirklich. Es war das Mädchen auf der Bühne, das so zu ihrem Partner sprach, nicht ich zu Maxim. Ich sah die Schauspielerin, die diese Rolle spielte, genau vor mir, groß, schlank und sehr rassig.

«Warum antwortest du mir nicht?» fragte ich.

Er nahm meinen Kopf in seine Hände und sah mich forschend an, genauso, wie er es an dem Tag, an dem wir zum Strand hinuntergingen, getan hatte, bevor Frith mit dem Tee ins Zimmer kam.

«Wie kann ich dir denn antworten?» sagte er. «Ich kenne die Antwort ja selber nicht. Wenn du sagst, daß wir glücklich sind, dann wollen wir daran festhalten. Ich wage das nicht zu entscheiden. Aber dein Wort steht mir dafür. Wir sind also glücklich. Lassen wir es dabei.» Er küßte mich wieder und ging dann durch das Zimmer zu seinem Sessel zurück. Ich blieb beim Fenster sitzen, steif und aufrecht, die Hände im Schoß.

«Das sagst du nur, weil du von mir enttäuscht bist», erklärte ich. «Ich bin linkisch und ungeschickt, ich ziehe mich schlecht an, und ich bin schüchtern im Umgang mit anderen Menschen. Ich habe dich schon in Monte Carlo darauf hingewiesen. Du glaubst, ich passe nicht nach Manderley?»

«Rede keinen Unsinn», entgegnete er. «Ich habe nie behauptet, daß du dich schlecht anziehst oder linkisch bist. Das bildest du dir alles nur ein. Und was deine Schüchternheit anbelangt, so wirst du sie mit der Zeit schon überwinden. Das habe ich dir bereits gesagt.»

«Wir haben im Kreis herumgeredet», sagte ich. «Wir sind jetzt wieder an demselben Punkt angekommen, von dem wir ausgegangen sind. Es kam alles nur daher, weil ich den Porzellanamor zerbrochen habe. Hätte ich ihn nicht zerbrochen, wären alle diese Dinge gar nicht zur Sprache gekommen. Wir hätten unseren Kaffee getrunken und wären in den Garten gegangen.»

«Hör doch mit diesem verdammten Amor auf», sagte Maxim müde. «Glaubst du wirklich, daß es mir etwas ausmacht, ob er in tausend Stücke zerbrochen ist oder nicht?»

«War er sehr wertvoll?»

«Gott weiß, ich nehme es an. Aber ich habe es wirklich vergessen.»

«Sind die Sachen im Morgenzimmer alle so wertvoll?»

«Ja, ich glaube schon.»

«Warum stehen eigentlich die wertvollsten Sachen gerade im Morgenzimmer?»

«Ich weiß nicht. Wahrscheinlich, weil sie da gut hingepaßt haben.»

«Standen sie immer schon da? Auch, als deine Mutter noch lebte?»

«Nein, ich glaube kaum. Sie waren so ziemlich im ganzen Haus verstreut. Die Stühle standen sogar auf dem Speicher, glaube ich.»

«Und wann wurde das Morgenzimmer so eingerichtet, wie es jetzt ist?»

«Als ich heiratete.»

«Dann war der Amor also damals schon da?»

«Ich glaube, ja.»

«Hatte er bis dahin auch in einem Speicherraum gestanden?»

«Nein, das wohl kaum. Wenn ich mich recht erinnere, war er ein Hochzeitsgeschenk. Rebecca verstand sehr viel von Porzellan.»

Ich wagte es nicht, ihn anzusehen. Ich nahm mein Taschentuch und polierte mir damit die Nägel. Er hatte den Namen ganz natürlich und ruhig ausgesprochen. Es hatte ihn gar keine Anstrengung gekostet. Nach einer kleinen Weile sah ich verstohlen zu ihm hinüber. Er stand vor dem Kamin, die Hände in den Taschen, und starrte vor sich hin. Er denkt an Rebecca, sagte ich mir. Er denkt daran, wie merkwürdig es ist, daß ein Hochzeitsgeschenk für mich die Ursache war, daß ein Hochzeitsgeschenk für Rebecca zerbrach. Er überlegt sich, wer eigentlich Rebecca damals den Amor geschenkt hatte. Er erinnert sich daran, wie das Paket ankam und wie sehr sie sich darüber gefreut hatte. «Rebecca verstand sehr viel von Porzellan.» Vielleicht war er gerade zu ihr ins Zimmer getreten, als sie auf dem Boden kniete und es aufmachte. «Wir wollen ihn im Mor-genzimmer auf den Schreibtisch stellen», hatte sie gewiß gesagt, während er neben ihr niedergekniet war und sie den Amor zusammen betrachtet hatten.

Ich fuhr fort, mir die Nägel zu polieren. Sie waren kurz und rissig wie bei einem Schuljungen. Die Haut war bis über die Halbmonde hinaufgewachsen, der Daumennagel fast bis zum Fleisch abgekaut. Ich sah wieder zu Maxim hinüber. Er stand noch immer vor dem Kamin.

«Woran denkst du?» fragte ich.

Meine Stimme klang ruhig und gleichmütig, nicht wie mein Herz, das laut und heftig klopfte; nicht bitter und gequält wie meine Gedanken. Er zündete sich wieder eine Zigarette an, sicherlich schon die fünfundzwanzigste an diesem Tag, und dabei hatten wir gerade erst zu Mittag gegessen. Er warf das Streichholz in den Kamin und nahm seine Zeitung wieder auf.

«Nichts Besonderes», antwortete er, «wieso?»

«Ach, ich weiß nicht», sagte ich, «du sahst so ernst und abwesend aus.»

Er pfiff in Gedanken vor sich hin und drehte die Zigarette zwischen den Fingern. «Wenn du es genau wissen willst: ich habe mir nur überlegt, ob Surrey bei den Kricketwettkämpfen gegen Middlesex spielen wird», sagte er.

Er setzte sich wieder in seinen Sessel und faltete die Zeitung auseinander. Ich sah zum Fenster hinaus. Jasper kam zu mir und sprang auf meinen Schoß.

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