9

Als ich das Geräusch des Wagens auf der Anfahrt hörte, stand ich erschrocken auf und sah auf die Uhr, denn das konnte nur bedeuten, daß Beatrice und ihr Mann angekommen waren. Es war erst kurz nach zwölf; sie kamen viel früher, als ich erwartet hatte. Und Maxim war noch nicht zurück. Ich überlegte, ob ich mich wohl verstecken, durch die Glastür in den Garten gehen konnte, so daß Frith, wenn er sie ins Morgenzimmer führte, sagen würde: «Die gnädige Frau muß spazierengegangen sein»; das würde doch ganz glaubhaft klingen, und sie würden gar nichts dabei finden. Die Hunde blickten fragend auf, als ich zur Tür lief, und Jasper folgte mir schwanzwedelnd.

Die Glastür führte auf die Terrasse und den kleinen Rasen hinaus, doch als ich gerade an den Rhododendronbüschen vorbeilaufen wollte, kam das Geräusch der Stimmen näher, und ich flüchtete mich wieder ins Haus. Sie wollten offenbar durch den Garten gehen, da Frith ihnen zweifellos mitgeteilt hatte, daß ich mich im Morgenzimmer aufhielte. Ich ging rasch in den großen Salon und eilte auf die erstbeste Tür zu meiner Linken zu. Sie führte auf einen untapezierten Korridor, und ich rannte ihn blindlings entlang, obwohl ich mir meiner Torheit völlig bewußt war und mich wegen dieses plötzlichen Anfalls von Nervosität selbst verachtete; aber ich wußte, ich konnte diese fremden Menschen jetzt einfach nicht begrüßen, jedenfalls nicht sofort. Der Gang schien in die Küchenregionen zu führen, und als ich um eine Ecke bog, kam ich wieder an eine Treppe, wo ich einem Dienstmädchen begegnete, das ich noch nicht gesehen hatte. Es starrte mich verwundert an, als ob ich eine Erscheinung sei, die in diesem Teil des Hauses nichts zu suchen hatte. «Guten Morgen!» rief ich ihr verwirrt zu, während ich auf die Treppe zuging, und «Guten Morgen, Madam!» gab sie zurück und sah mich mit offenem Mund und aufgerissenen Augen neugierig an, wie ich dann die Treppe hinaufstieg.

Ich nahm an, daß sie zu den Schlafzimmern führte und ich auf diesem Weg in den Ostflügel gelangen würde, wo ich mich bis zum Mittagessen noch etwas hinsetzen konnte.

Doch mußte ich mich wohl verirrt haben, denn als ich durch die Türen am Kopf der Treppe trat, sah ich einen anderen Korridor vor mir, der zwar dem im Ostflügel sehr ähnlich, aber breiter und dunkler war, dunkler, weil die Wände hier mit einem Holzpaneel verkleidet waren.

Ich zögerte unschlüssig, dann wandte ich mich nach links und gelangte auf einen breiten Treppenabsatz. Es war sehr still und dunkel dort. Kein Mensch war zu sehen. Falls die Stubenmädchen am Morgen überhaupt hier gewesen waren, dann mußten sie ihre Arbeit schon vor geraumer Zeit beendet haben und wieder nach unten gegangen sein. Ihre Anwesenheit hatte keine Spuren hinterlassen; ich konnte nichts von dem Staubgeruch wahrnehmen, der zurückbleibt, wenn ein Teppich erst kürzlich gebürstet worden ist; und als ich dastand und mir überlegte, in welcher Richtung ich weitergehen sollte, dachte ich, wie seltsam diese Stille doch war und daß sie etwas genauso Beklemmendes hatte wie ein leeres Haus, dessen Bewohner weggezogen sind.

Ich öffnete aufs Geratewohl eine Tür und betrat ein Zimmer, das in völliger Dunkelheit lag. Auch nicht der ge-ringste Lichtschein drang durch die geschlossenen Fensterläden, so daß ich in der Mitte des Raumes nur schwach die Umrisse von Möbeln wahrnehmen konnte, die in weißen Überzügen steckten. Es roch dumpfig und schal, der typische Geruch eines Zimmers, das nur selten oder gar nicht benutzt wird und dessen Einrichtungsgegenstände man auf ein Bett gelegt und zugedeckt hat. Leise machte ich die Tür wieder zu und tappte mich den Korridor entlang, auf dessen beiden Seiten sich mehrere geschlossene Türen befanden, bis ich an eine Nische in der Außenwand kam, deren breites Fenster endlich wieder etwas Licht hereinließ. Ich sah hinaus und erblickte unter mir die weichen Rasenflächen, die sich bis zum Meer hinunterzogen, und dahinter das Meer selbst, hellgrün, mit weißen Schaumkronen auf den Wellen, die vom Westwind gepeitscht wurden und unablässig von der Küste wieder zurückrollten.

Es war näher, als ich gedacht hatte, viel näher, sicherlich begann der Strand schon unterhalb der kleinen Baumgruppe dort am Ende der Rasenflächen, keine fünf Minuten von hier entfernt, und als ich mein Ohr nun lauschend ans Fenster hielt, konnte ich das Brechen der Brandung gegen die Felsen irgendeiner kleinen Bucht hören, die von hier aus nicht zu sehen war. Da wußte ich plötzlich, daß ich einen Rundgang durch das Haus gemacht hatte und mich auf dem Korridor des Westflügels befand. Ja, Mrs. Danvers hatte recht. Von hier aus konnte man das Meer hören. Man konnte fast glauben, daß es im Winter die grünen Rasenflächen überschwemmen und das Haus selbst bedrohen würde, denn sogar jetzt war das Fenster der Nische beschlagen von einem salzigen Nebel, der vom Meer heraufdrang. Während ich hinausblickte, wurde die Sonne einen Augenblick lang von einer vorüberziehenden Wolke verdeckt, und sofort wechselte das Meer die Farbe und wurde schwarz, so daß die weißen Schaumkronen plötzlich erbarmungslos grausam aussahen. Und es war gar nicht mehr die heiter glitzernde See, die ich eben noch vor mir gesehen hatte.

Irgendwie war ich froh darüber, daß ich die Zimmer im Ostflügel bewohnte. Alles in allem zog ich den Rosengarten dem Meeresrauschen vor. Ich ging langsam wieder zum Treppenabsatz zurück, und als ich gerade hinuntergehen wollte, hörte ich, wie eine Tür sich hinter mir öffnete, und heraus trat Mrs. Danvers. Wir starrten uns eine Sekunde lang wortlos an, und ich war mir nicht sicher, ob es Ärger war, was ich in ihren Augen las, oder Neugierde, denn sobald sie mich erblickt hatte, wurde ihr Gesicht wieder zur Maske. Obwohl sie nichts sagte, fühlte ich mich beschämt und schuldbewußt, als ob ich bei einer unrechten Handlung ertappt worden wäre, und ich spürte die verräterische Röte meine Wangen färben.

«Ich habe mich verlaufen», sagte ich, «ich konnte mein Zimmer nicht mehr finden.»

«Sie sind in den entgegengesetzten Teil des Hauses geraten», erwiderte sie, «dies ist der Westflügel.»

«Ja, ich weiß», sagte ich.

«Sind Sie in eines der Zimmer gegangen?» fragte sie mich.

«Nein», antwortete ich, «ich habe nur eine Tür geöffnet, aber ich ging nicht hinein. Es war alles so dunkel und mit Tüchern zugedeckt. Es tut mir leid, ich wollte hier nichts durcheinanderbringen. Ich nehme an, daß die Räume verschlossen bleiben sollen.»

«Wenn Sie sie in Gebrauch nehmen wollen, werde ich das Nötige veranlassen», sagte sie. «Sie müssen es mir nur sagen. Die Zimmer sind vollständig eingerichtet und können jederzeit wieder benutzt werden.»

«Oh, nein», sagte ich, «das hatte ich durchaus nicht sagen wollen.»

«Soll ich Ihnen den ganzen Westflügel zeigen?»

Ich schüttelte den Kopf. «Nein, lieber nicht», sagte ich. «Nein, ich muß jetzt nach unten gehen.» Ich begann die Treppe hinunterzusteigen, und sie folgte mir und ging an meiner Seite, als ob ich ein Häftling gewesen wäre, den sie bewachen mußte.

«Wenn Sie einmal nichts Besseres zu tun haben, brauchen Sie mich nur zu fragen», sagte sie beharrlich, was ein leises Unbehagen in mir hervorrief. Ich wußte nicht, warum. Ihre Hartnäckigkeit weckte eine Erinnerung an den Besuch bei Freunden meiner Eltern in mir. Ich war noch ein Kind, und die etwas ältere Tochter des Hauses nahm mich am Arm und flüsterte mir zu: «Du, im Schlafzimmer meiner Mutter liegt ein Buch, das sie in einem Schrank verschlossen hat; wollen wir uns das mal ansehen?» Plötzlich sah ich ihr vor Erregung blasses Gesicht mit den kleinen Vogelaugen wieder vor mir und erinnerte mich daran, wie sie mich in den Arm gekniffen hatte.

«Ich werde Tücher und Bezüge entfernen lassen, damit Sie sehen können, wie die Zimmer früher waren, als sie noch bewohnt wurden», fuhr Mrs. Danvers fort. «Sie brauchen mich nur anzurufen, wenn Sie Lust dazu haben. Es wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, die Räume wieder herzurichten.»

Wir waren am Fuß der kurzen Treppe angelangt, und sie öffnete eine kleine Tür und trat beiseite, um mich durchgehen zu lassen, während ihr Blick forschend auf mir ruhte.

«Es ist sehr freundlich von Ihnen, Mrs. Danvers», sagte ich. «Ich werde Ihnen gelegentlich Bescheid sagen.»

Wir gingen zusammen auf den Flur, und ich sah, daß wir uns hinter der Galerie am obersten Absatz der Haupttreppe befanden.

«Es wundert mich, daß Sie sich verlaufen konnten», sagte sie, «die Tür zum Westflügel sieht doch ganz anders aus.»

«Ich bin nicht hier hinaufgegangen», sagte ich.

«Dann müssen Sie durch den untapezierten Korridor gegangen sein und die Hintertreppe benutzt haben», stellte sie fest.

«Ja», bestätigte ich, ihrem Blick ausweichend, «ja, ich bin durch den untapezierten Korridor gegangen.»

Sie fuhr fort, mich anzustarren, als erwartete sie, daß ich ihr erzählte, warum ich so erschreckt und eilig das Morgenzimmer verlassen und den Weg über die Hintertreppe genommen hatte. «Mrs. Lacy und Major Lacy sind schon einige Zeit hier», sagte sie schließlich. «Ich hörte ihren Wagen kurz nach zwölf Uhr vorfahren.»

«Oh!» rief ich aus, «das wußte ich nicht.»

«Frith wird sie ins Morgenzimmer geführt haben», fügte sie hinzu, «es muß gleich halb eins sein. Jetzt finden Sie sich doch wieder zurecht, nicht wahr?»

«Ja, Mrs. Danvers», sagte ich. Und ich ging die breite Treppe zur Halle hinunter mit dem Bewußtsein, daß sie da oben stehenblieb und mir nachsah.

Es half nichts, ich mußte wieder ins Morgenzimmer zurückkehren und Maxims Schwester und ihren Mann begrüßen. Jetzt konnte ich mich nicht mehr in meinem Schlafzimmer verstecken. Als ich in den Salon ging, blickte ich mich verstohlen um und sah Mrs. Danvers wie eine schwarze uniformierte Wache noch immer oben auf dem Treppenabsatz stehen.

Vor der Tür zum Morgenzimmer zögerte ich einen Augenblick und horchte auf das Stimmengewirr. Maxim war also während meiner Abwesenheit zurückgekommen und hatte offenbar seinen Verwalter gleich mitgebracht, denn es klang so, als wären mehrere Menschen im Zimmer. Mich überkam dasselbe Gefühl von Unsicherheit, mit dem ich als Kind regelmäßig zu kämpfen hatte, wenn ich gerufen wurde, um irgendwelche Gäste zu begrüßen; und während ich noch am Türknopf drehte, stolperte ich bereits hinein und wurde von lauter erstaunten Gesichtern und einem allgemeinen Schweigen empfangen.

«Da ist sie ja endlich», sagte Maxim. «Wo hast du denn gesteckt? Wir wollten schon eine Suchexpedition ausschicken. Hier ist Beatrice, und das ist Giles, und dies ist Frank Crawley. Paß auf, du wärst beinahe auf den Hund getreten.»

Beatrice war groß und breitschultrig, sehr hübsch und um die Augen und um das Kinn Maxim sehr ähnlich, aber nicht so elegant, wie ich sie mir vorgestellt hatte, viel einfacher und ländlicher; genau die Art Frau, die ihre Hunde, wenn sie die Staupe hatten, selber pflegte, die sich in Pferden auskannte und gut schießen konnte. Sie gab mir keinen Kuß, sondern einen kräftigen Händedruck, sah mir gerade in die Augen, und dann wandte sie sich an Maxim: «Genau das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte; sie entspricht deiner Beschreibung nicht im geringsten.»

Alle lachten, und ich lachte mit, etwas im Zweifel darüber, ob das Lachen nun freundlich gemeint war oder nicht, und ich fragte mich im stillen, was sie denn erwartet hatte und wie Maxim mich ihr wohl geschildert haben mochte.

«Und das ist Giles», sagte Maxim, mich am Arm stupsend, und Giles streckte mir seine riesige Pfote entgegen und drückte mir die Hand, indem er mir fast die Finger zerquetschte, während er hinter seiner Hornbrille mit gütigen Augen auf mich herablächelte.

«Frank Crawley», sagte Maxim, und ich drehte mich zu dem Verwalter um, einem blassen, mageren Menschen mit hervorstechendem Adamsapfel, in dessen Augen offensichtliche Erleichterung zu lesen war. Ich fragte mich, warum, hatte aber keine Zeit, darüber nachzudenken, weil Frith hereingekommen war, mir Sherry anbot und Beatrice wieder zu mir sprach: «Maxim sagte mir, daß ihr erst gestern abend angekommen seid. Das hatte ich nicht gewußt, denn sonst hätten wir euch natürlich nicht gleich heute überfallen. Nun, wie gefällt dir Manderley?»

«Ich habe erst sehr wenig davon gesehen», antwortete ich. «Aber natürlich finde ich es sehr schön.»

Sie sah mich prüfend von oben bis unten an, wie ich es erwartet hatte, aber freimütig und offen, nicht boshaft wie Mrs. Danvers, und durchaus nicht unfreundlich. Sie hatte ja auch ein Recht, mich zu mustern; sie war Maxims Schwester, und Maxim selbst trat jetzt zu mir, hakte sich bei mir ein und gab mir wieder etwas von meinem Selbstvertrauen zurück.

«Du siehst viel besser aus, alter Junge», sagte sie zu ihm, während sie ihn mit zur Seite geneigtem Kopf forschend betrachtete: «Gott sei Dank hast du diesen abgespannten Zug um die Augen völlig verloren.» Und mit einem Nik-ken zu mir: «Ich nehme an, das haben wir dir zu verdanken, wie?»

«Ich bin immer ganz gesund gewesen», entgegnete Maxim kurz. «Mir hat mein Leben lang nichts gefehlt. Du hältst offenbar jeden Menschen, der nicht so rundlich und blühend aussieht wie Giles, gleich für krank.»

«Quatsch!» sagte Beatrice. «Du weißt selbst genau, daß du vor einem halben Jahr ein absolutes Wrack gewesen bist. Ich bekam einen Todesschreck, als ich dich damals sah; ich dachte, du würdest zusammenklappen. Giles, du kannst es doch bestätigen - sah Maxim nicht geradezu scheußlich elend aus, als wir das letztemal hier waren, und sagte ich dir nicht, ich befürchtete einen Nervenzusammenbruch?»

«Ja, alter Freund, ich muß auch sagen, daß du jetzt ein ganz anderer Mensch bist», sagte Giles. «Sehr vernünftig von dir, daß du weggefahren bist. Sieht er nicht ausgezeichnet aus, Crawley?»

An dem Anspannen seiner Muskeln unter meinem Arm konnte ich merken, daß Maxim sich nur mühsam beherrschte. Aus irgendeinem Grunde war ihm dieses Gerede über seine Gesundheit sehr unsympathisch, und ich fand es etwas taktlos von Beatrice, so eine Staatsaffäre daraus zu machen.

«Maxim ist so stark von der Sonne verbrannt», bemerkte ich schüchtern. «Das verbirgt vieles. Ihr hättet sehen sollen, wie er in Venedig, nur um braun zu werden, immer auf dem Balkon frühstückte. Er bildete sich ein, daß er davon schöner wird.»

Alle lachten wieder, und Crawley sagte: «Es muß zu dieser Jahreszeit doch herrlich in Venedig gewesen sein, Mrs. de Winter?» Und ich antwortete: «Ja, wir hatten wunderbares Wetter, nur einen einzigen trüben Tag, nicht wahr, Maxim?» Und das Gespräch wandte sich glücklicherweise vom Thema Gesundheit ab und Italien zu, dem harmlosesten aller Gesprächsstoffe, und der gesegneten Wetterfrage. Die Unterhaltung verlief jetzt leicht und ungezwungen. Maxim, Giles und Beatrice sprachen über Leistungsfähigkeit und Verbrauch von Maxims Wagen, und Mr. Crawley erkundigte sich, ob es wahr sei, daß es auf dem Kanal keine Gondeln, sondern nur noch Motorboote gäbe. Es war sein Beitrag zu meinem Bemühen, das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen, und ich war ihm dankbar und empfand ihn trotz seiner Langweiligkeit als Verbündeten.

«Jasper braucht mehr Bewegung», sagte Beatrice, den Hund mit dem Fuß anstoßend. «Er wird viel zu fett, und dabei ist er noch keine zwei Jahre alt. Womit fütterst du ihn eigentlich, Maxim?»

«Meine liebe Beatrice, er wird genauso gehalten wie deine eigenen Hunde», erwiderte Maxim. «Brüste dich hier bitte nicht mit der Behauptung, daß du mehr von Tieren verstehst als ich.»

«Aber lieber alter Junge, wie kannst du denn wissen, was Jasper zu fressen bekommen hat, nachdem du monatelang fortgewesen bist? Du willst mir doch nicht erzählen, daß Frith zweimal täglich mit ihm bis zum Tor gelaufen ist. Der Hund hat seit Wochen keine richtige Bewegung mehr gehabt, das habe ich seinem Fell sofort angesehen.»

«Mir wäre es jedenfalls lieber, er würde noch einmal so fett, als daß er so verhungert aussähe wie dein Köter», sagte Maxim.

«Deine Bemerkung zeugt nicht gerade von großem Wissen», entgegnete Beatrice. «Schließlich hat Lion in der letzten Februarausstellung zwei erste Preise bekommen.»

Die Atmosphäre wurde wieder ziemlich gespannt. Das merkte ich schon daran, wie Maxim seinen Mund zu einem dünnen Strich verzog, und ich fragte mich, ob Geschwister sich immer so zanken und es den unfreiwilligen Zuhörern so ungemütlich machen mußten. Ich hoffte, daß Frith bald melden würde, das Essen sei angerichtet. Oder würden wir wie zum Frühstück durch dröhnende Gongschläge zu Tisch gebeten? Ich wußte ja nicht, was auf Manderley Sitte war.

«Wie weit wohnt ihr eigentlich von uns entfernt?» fragte ich Beatrice und setzte mich zu ihr. «Mußtet ihr sehr früh losfahren?»

«Wir wohnen etwa fünfzig Meilen von hier, in der nächsten Grafschaft auf der anderen Seite von Trowchester. Die Fuchsjagden sind bei uns viel besser. Du mußt uns dann einmal besuchen und ein paar Tage bleiben, falls Maxim dich entbehren kann. Giles wird dir ein Pferd besorgen.»

«Ich muß gestehen, daß ich noch nie eine Jagd mitgemacht habe», vertraute ich ihr an. «Als Kind habe ich zwar reiten gelernt, aber sehr weit habe ich es nicht gebracht. Ich fürchte, sehr sattelfest bin ich nicht mehr.»

«Dann mußt du es wiederaufnehmen», riet sie. «Du kannst unmöglich auf dem Land leben, ohne zu reiten. Du wüßtest sonst gar nicht, was du mit dir anfangen solltest. Maxim erzählte mir, daß du malst. Das ist natürlich eine nette Beschäftigung, aber doch wohl mehr für einen Regentag, wenn man nichts Besseres zu tun hat, und man hat eben gar keine Bewegung dabei.»

«Wir sind eben nicht alle solche Frischluftnarren wie du», sagte Maxim.

«Ich habe nicht zu dir gesprochen, mein lieber Junge. Wir wissen alle, daß du restlos glücklich bist, hier im Garten herumzuschlumpen und keine schnellere Gangart einschlagen zu müssen.»

«Ich gehe auch schrecklich gern spazieren», sagte ich rasch. «Ich glaube sicher, daß ich es niemals müde sein werde, hier auf Manderley herumzustrolchen. Und wenn es erst wärmer ist, kann ich ja auch schwimmen.»

«Du bist eine Optimistin, meine Liebe», sagte Beatrice. «Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals hier geschwommen zu sein. Das Wasser ist viel zu kalt, und der Strand ist ausgesprochen steinig.»

«Das macht mir nichts aus», sagte ich. «Ich schwimme leidenschaftlich gern. Das heißt, wenn die Strömung nicht zu stark ist. Ist das Baden in der Bucht sicher?»

Niemand antwortete, und plötzlich wurde mir klar, was ich soeben gesagt hatte. Mein Herz begann laut zu klop-fen, und ich fühlte, wie meine Wangen flammend rot wurden. In tödlicher Verlegenheit beugte ich mich zu dem Hund nieder und streichelte seine Ohren. «Jasper würde das Schwimmen auch gut tun», unterbrach Beatrice das Schweigen. «Aber er würde es wohl etwas zu anstrengend finden, nicht wahr, Jasper? Guter, alter Kerl, bist ein braves Tier!» Beide streichelten wir den Hund, ohne einander anzusehen.

«Ich muß gestehen, daß ich sehr hungrig bin», sagte Maxim. «Warum bekommen wir eigentlich nichts zu essen?»

«Nach der Uhr auf dem Kamin ist es gerade erst eins», bemerkte Mr. Crawley.

«Die Uhr ist schon immer etwas vorgegangen», behauptete Beatrice.

«Seit einem Jahr geht sie immer richtig», sagte Maxim.

In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Frith meldete, daß das Essen angerichtet sei. «Ich muß unbedingt noch die Pfoten waschen», rief Giles mit einem Blick auf seine Hände.

Erleichtert standen wir alle auf und gingen durch den Salon in die Halle, Beatrice, die meinen Arm genommen hatte, und ich den Männern voraus.

«Der gute alte Frith», sagte sie. «Er sieht noch genauso aus wie früher; wenn ich ihn so sehe, komme ich mir wieder wie ein kleines Mädchen vor. Weißt du, du mußt es mir nicht übelnehmen, aber du bist wirklich noch jünger, als ich mir vorgestellt hatte. Maxim hat mir zwar gesagt, wie alt du bist, aber du bist ja noch ein richtiges Kind. Sag mal, liebst du ihn eigentlich sehr?»

Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet, und sie mußte mir meine Verlegenheit angesehen haben, denn sie lachte leise und drückte meinen Arm.

«Du brauchst mir nicht zu antworten», sagte sie. «Ich sehe schon, wie es um dich steht. Ich falle dir wohl sehr lästig mit meiner Fragerei, nicht? Aber du mußt es nicht krummnehmen. Weißt du, ich hänge sehr an Maxim, obwohl wir immer wie Hund und Katz' aufeinander losgehen, wenn wir uns sehen. Jedenfalls kann ich dir nur dazu gratulieren, wie prächtig er jetzt aussieht. Vor einem Jahr haben wir uns alle große Sorgen um ihn gemacht; aber du kennst natürlich die ganze Geschichte.»

Wir waren inzwischen im Eßzimmer angelangt, und sie schwieg jetzt, weil die Diener da waren und die anderen uns eingeholt hatten; doch als ich mich setzte und meine Serviette auseinanderfaltete, fragte ich mich, was Beatrice wohl sagen würde, wenn sie geahnt hätte, daß ich von dem vorigen Jahr gar nichts wußte, überhaupt nichts Näheres von dieser Tragödie, die sich da unten in der Bucht ereignet hatte; daß Maxim alles für sich behielt und ich ihn niemals danach fragte.

Das Mittagessen verlief viel harmonischer, als ich es zu hoffen gewagt hatte. Es gab kaum einen Streitpunkt, vielleicht, weil Beatrice endlich mehr Takt bewies. Jedenfalls unterhielt sie sich angeregt mit Maxim über alle möglichen Dinge, die Manderley betrafen, über ihre Pferde, den Garten und gemeinsame Freunde, und Frank Crawley, der an meiner linken Seite saß, führte eine leichte Unterhaltung mit mir, für die ich ihm dankbar war, weil sie mich gar keine Anstrengung kostete. Giles war mehr mit Essen als mit Reden beschäftigt, obwohl er sich hin und wieder meiner Existenz zu erinnern schien und mir dann irgendeine Bemerkung zuwarf.

«Offenbar noch immer dieselbe Köchin, nicht wahr, Maxim?» fragte er, als Robert ihm zum zweitenmal von dem kalten Souffle anbot. «Ich sagte ja immer zu Bee, Manderley ist tatsächlich der einzige Ort in England, wo man heutzutage noch was Anständiges zu essen bekommt. Ich habe dieses Souffle noch von früher her in bester Erinnerung.»

«Ich glaube, die Köchinnen wechseln bei uns in regelmäßigen Abständen», antwortete Maxim. «Aber das ändert nichts an der guten Küche, weil Mrs. Danvers alle Rezepte hat und die Neuen anlernt.»

«Eine erstaunliche Person, diese Mrs. Danvers», sagte Giles, zu mir gewandt, «finden Sie nicht auch?»

«Oh, ja», erwiderte ich, «sie scheint märchenhaft tüchtig zu sein.»

«Aber als Modell für ein Gemälde wäre sie wohl nicht gerade geeignet, was meinen Sie?» bemerkte Giles und wollte sich ausschütten vor Lachen. Frank Crawley schwieg, und als ich aufblickte, sah ich, daß Beatrice mich beobachtete. Sie wandte sich aber gleich wieder ab und unterhielt sich weiter mit Maxim.

«Spielen Sie eigentlich Golf, Mrs. de Winter?» erkundigte sich Mr. Crawley.

«Nein, leider nicht», antwortete ich, froh, daß er ein anderes Thema angeschnitten hatte und daß man nicht mehr von Mrs. Danvers sprach; jedenfalls hatte Golf so etwas beruhigend Langweiliges und Unverfälschtes an sich und konnte uns als Gesprächsstoff kaum in Verlegenheit bringen. Wir aßen Käse und tranken Kaffee, und ich überlegte schon, ob man von mir erwartete, daß ich die Tafel aufhob. Ich sah Maxim beschwörend an, aber er gab mir kein Zeichen, und dann begann Giles mir eine äußerst verwik-kelte Geschichte von einem Wagen zu erzählen, den er aus einer Schneewehe ausgegraben hatte, und ich hörte ihm höflich zu, nickte ab und zu mit dem Kopf und lächelte, während ich bemerkte, wie Maxim am anderen Tischende allmählich ungeduldig wurde. Endlich verstummte Giles, und ich begegnete Maxims Blick. Er runzelte leicht die Stirn und deutete mit dem Kopf zur Tür.

Ich stand sofort auf, und als ich meinen Stuhl zurückschob, stieß ich so ungeschickt an den Tisch, daß Giles' Portweinglas umfiel. «O je!» sagte ich verwirrt, unschlüssig, was ich tun sollte, und tastete unentschlossen nach meiner Serviette. Aber da sagte Maxim: «Laß doch, Frith wird das schon in Ordnung bringen, du machst es nur noch schlimmer. Beatrice, geh doch mit ihr in den Garten, sie hat ja noch kaum etwas davon gesehen.»

Er sah müde aus, geradezu erschöpft. Ich wünschte bereits, daß unsere Gäste nicht gekommen wären. Nun hatten sie uns unseren ersten Tag auf Manderley verdorben. Ich fühlte mich auch müde, müde und niedergeschlagen. Maxim hatte einen fast gereizten Eindruck gemacht, als er vorschlug, daß wir in den Garten gehen sollten. Wie tölpelhaft es doch von mir gewesen war, das Glas Portwein umzustoßen.

Wir traten auf die Terrasse hinaus und gingen dann hinunter zu den weichen, grünen Rasenflächen.

«Ich finde es ja eigentlich schade, daß ihr so bald nach Manderley zurückgekommen seid», sagte Beatrice. «Es wäre viel besser gewesen, wenn ihr euch noch drei, vier Monate in Italien herumgetrieben hättet und erst im Hochsommer nach Hause gekommen wäret. Das hätte Maxim nur gut getan, ganz davon abgesehen, daß es meiner Meinung nach auch für dich viel leichter gewesen wäre. Ich habe das Gefühl, daß das Leben hier zunächst eine ziemliche Belastung für dich sein muß.»

«Oh, das glaube ich nicht», sagte ich. «Ich bin sicher, daß Manderley mir sehr ans Herz wachsen wird.»

Sie antwortete nicht, und wir schlenderten auf dem Rasen hin und zurück.

«Erzähl mir ein bißchen von dir», sagte sie schließlich. «Was hast du eigentlich in Südfrankreich gemacht? Maxim sagte mir nur, daß du mit irgendeiner gräßlichen Amerikanerin zusammen warst.»

Ich erklärte ihr meine Stellung bei Mrs. Van Hopper und wie es dazu gekommen war, und sie schien voller Mitgefühl, aber etwas abwesend zuzuhören, als ob sie mit ihren Gedanken woanders wäre.

«Ja», sagte sie, als ich schwieg. «Es geschah alles sehr plötzlich, wie du selbst sagst. Aber natürlich waren wir alle sehr erfreut über eure Heirat, und ich hoffe, daß ihr glücklich sein werdet.»

«Danke, Beatrice», entgegnete ich. «Das ist sehr lieb von dir.»

Ich wunderte mich nur, daß sie sagte, sie hoffe, wir würden glücklich werden, anstatt zu sagen, sie sei davon überzeugt. Sie war freundlich und aufrichtig, und ich mochte sie gut leiden, aber der leise Zweifel in ihrer Stimme ängstigte mich.

«Als Maxim mir schrieb», fuhr sie fort, während sie sich bei mir einhakte, «und mir erzählte, daß er dich da unten im Süden entdeckt hätte und daß du sehr jung und sehr hübsch wärest, bekam ich - offen gestanden - zunächst einen Schreck. Weißt du, wir stellten uns alle so ein mondänes Flittchen vor, hypermodern und furchtbar geschminkt, eben diese Art Mädchen, wie man ihnen in Monte Carlo und ähnlichen Vergnügungsorten dutzendweise begegnet. Und als du dann heute mittag ins Zimmer kamst, wäre ich vor Erstaunen fast auf den Rücken gefallen.»

Sie lachte, und ich lachte ebenfalls, aber sie sagte mir nicht, ob sie nun von meinem Aussehen enttäuscht oder erleichtert darüber war.

«Der arme Maxim», sagte sie, «er hat eine scheußliche Zeit durchgemacht, und wir können nur hoffen, daß du ihm darüber hinweggeholfen hast. Natürlich hängt er sehr an Manderley.»

Etwas in mir wünschte, daß sie nun ihre Gedanken weiter ausspinnen und mir mehr von der Vergangenheit erzählen möge, so freimütig und ungezwungen, wie es ihre Art war; aber irgendeine andere Stimme in meinem Unterbewußtsein warnte mich davor, zu viel wissen, zu viel hören zu wollen.

«Im Wesen sind wir uns kein bißchen ähnlich, weißt du», sagte sie. «Unsere Charaktere sind grundverschieden. Mir kann man alles vom Gesicht ablesen - ob ich einen Menschen nett finde oder nicht oder ob ich nun wütend bin oder mich freue. Ich kann mich einfach nicht verstellen. Maxim ist ganz anders, immer sehr ruhig und zurückhaltend. Man weiß nie so recht, was in seinem komischen Schädel eigentlich vor sich geht. Ich verliere schon bei dem geringsten Anlaß meine Selbstbeherrschung und brause sofort auf, aber dann bin ich auch gleich wieder friedlich. Maxim explodiert höchstens ein- oder zweimal im Jahr, aber wenn er es tut - mein Gott, dann tut er es auch gründlich! Aber ich nehme nicht an, daß er dir gegenüber jemals heftig werden wird; ich glaube, dazu bist du selbst viel zu sanftmütig veranlagt.»

Sie lächelte und kniff mich in den Arm. «Du nimmst es mir doch nicht übel, nein?» fuhr sie fort. «Aber ich finde, du müßtest irgend etwas mit deinem Haar anfangen. Warum läßt du es nicht ondulieren? So ist es viel zu strähnig. Warum kämmst du es nicht hinter die Ohren?»

Gehorsam tat ich es und wartete auf ihre Zustimmung. Sie legte den Kopf auf die Seite und sah mich kritisch an. «Nein», sagte sie, «nein, ich glaube, so ist es noch schlimmer. Es sieht zu streng aus und steht dir gar nicht.

Nein, alles, was du brauchst, ist eine Wasserwelle, um das Haar etwas aufzulockern. Ich habe nie etwas für diese Gänselieselfrisuren übrig gehabt, oder wie man das nennt. Findet denn Maxim, daß es dir steht?»

«Ich weiß nicht», erwiderte ich. «Er hat nie etwas darüber gesagt.»

«Ah, so», sagte sie. «Na, vielleicht gefällt es ihm. Laß dich nur von mir nicht irre machen. Aber sag mal, habt ihr in Paris oder London ein paar nette Kleider für dich gekauft?»

«Nein», sagte ich, «dazu hatten wir keine Zeit. Maxim hatte es eilig, wieder nach Hause zu kommen, und ich kann mir ja immer noch ein paar Kataloge schicken lassen.»

«Ich sehe schon», meinte sie, «so wie du dich anziehst, ist es dir augenscheinlich ganz einerlei, was du trägst.» Ich sah schuldbewußt auf meinen Flanellrock.

«Doch», sagte ich, «ich mag schöne Kleider sehr gern. Ich habe bisher nur nie genug Geld gehabt, um sie mir kaufen zu können.»

«Es wundert mich wirklich, daß Maxim nicht ein paar Tage in London geblieben ist, um dir ein paar anständige Sachen zu kaufen», sagte sie wieder. «Offen gestanden finde ich das sehr egoistisch von ihm. Es sieht ihm auch so gar nicht ähnlich. Im allgemeinen ist er so eigen darin.»

«Ist er das?» fragte ich. «Mir ist er durchaus nicht so vorgekommen. Ich glaube, er achtet gar nicht darauf, was er anzieht. Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, daß es ihm etwas ausmacht.»

«So?» sagte sie. «Na, dann muß er sich aber geändert haben.»

Sie sah von mir weg, steckte die Hände in die Taschen, pfiff Jasper und blickte dann zum Haus hinauf.

«Ihr scheint also den Westflügel gar nicht zu benutzen», rief sie aus.

«Nein», sagte ich, «wir bewohnen die Zimmer im Ostflügel. Sie sind alle neu tapeziert worden.»

«So?» sagte sie. «Das wußte ich nicht. Warum denn?»

«Es war Maxims Gedanke», erklärte ich. «Er scheint dort lieber zu wohnen.»

Sie schwieg und fuhr fort, zu den Fenstern hinaufzustar-ren und zu pfeifen. «Wie kommst du denn mit Mrs. Danvers aus?» fragte sie plötzlich.

Ich bückte mich und begann Jasper den Kopf zu tätscheln und ihm die Ohren zu kraulen. «Ich habe sie bisher nur wenig gesehen», antwortete ich. «Sie ist mir etwas unheimlich. Ich bin in meinem ganzen Leben noch keinem solchen Menschen begegnet.»

«Das glaube ich dir aufs Wort», meinte Beatrice.

Jasper sah mit seinen großen Augen demütig, fast verlegen zu mir auf. Ich küßte ihn auf das seidenweiche Ohr und legte meine Hand auf seine schwarze Nase.

«Ich wüßte nicht, warum du dich vor ihr fürchten solltest», sagte Beatrice. «Jedenfalls laß es sie nie merken, einerlei, wie dir gerade zumute ist. Ich habe ja allerdings nie etwas mit ihr zu tun gehabt, und ich glaube nicht, daß ich gern etwas mit ihr zu tun haben würde. Immerhin ist sie mir gegenüber stets sehr höflich gewesen.»

Ich streichelte immer noch Jaspers Fell.

«War sie freundlich zu dir?» fragte Beatrice.

«Nein», sagte ich, «nicht sehr.»

Beatrice begann wieder zu pfeifen und rieb ihren Fuß an Jaspers Kopf. «Ich würde mich an deiner Stelle nicht mehr mit ihr abgeben, als es unbedingt notwendig ist», riet sie.

«Nein», sagte ich. «Sie führt den Haushalt ja ganz selbständig, so daß ich mich gar nicht darum zu kümmern brauche.»

«Oh, das würde ihr, glaube ich, nichts ausmachen», sagte Beatrice. Maxim hatte am Abend zuvor genau dasselbe gesagt, - komisch, daß sie darin beide derselben Meinung waren.

«Ich denke, mit der Zeit wird sie schon darüber hinwegkommen», sagte Beatrice, «aber für dich wird es am Anfang nicht leicht sein. Sie ist natürlich wahnsinnig eifersüchtig. Das hatte ich im stillen schon befürchtet.»

«Aber warum denn?» fragte ich, zur ihr aufsehend. «Warum sollte sie denn eifersüchtig sein? Maxim scheint sie durchaus nicht besonders zu schätzen.»

«Mein liebes Kind, es handelt sich auch gar nicht um Maxim», sagte Beatrice. «Sie hat natürlich Respekt vor ihm und was so dazu gehört, aber weiter auch nichts. Nein, verstehst du» - sie unterbrach sich, runzelte leicht die Stirn und sah mich zweifelnd an -, «sie empfindet dein Hiersein einfach als eine persönliche Beleidigung, das ist des Pudels Kern.»

«Aber warum nur?» fragte ich. «Ich habe doch gar nichts getan.»

«Ich dachte, du wüßtest es», sagte Beatrice, «ich dachte, Maxim hätte es dir erzählt: sie hat Rebecca abgöttisch geliebt.»

«Oh», sagte ich, «jetzt begreife ich.»

Wir fuhren fort, Jasper zu tätscheln und zu streicheln, und der Hund, der solche Zärtlichkeiten nicht gewohnt war, rollte sich vor Begeisterung auf den Rücken.

«Da sind ja unsere Männer wieder», sagte Beatrice. «Komm, wir lassen uns ein paar Stühle holen und setzen uns unter die Kastanie. Wie dick Giles geworden ist; neben Maxim sieht er geradezu unförmig aus. Frank wird sich wahrscheinlich gleich in sein Büro zurückziehen. Wenn er nur nicht so langweilig wäre. Er hat aber auch nie etwas Interessantes zu erzählen. Na, da seid ihr ja alle. Worüber habt ihr euch denn inzwischen unterhalten? Vermutlich habt ihr wieder Gott und die Welt in Stücke zerredet.» Sie lachte, und die anderen kamen auf uns zu, und wir standen alle herum. Giles ließ Jasper einen Zweig apportieren, und wir sahen dem Hund zu. Mr. Crawley blickte auf seine Uhr. «Ich muß mich leider empfehlen», sagte er. «Vielen Dank für das Mittagessen, Mrs. de Winter.»

«Sie müssen öfter kommen», sagte ich und gab ihm die Hand.

Ich überlegte mir, ob die anderen auch bald gehen würden. Ich war mir nicht sicher, ob sie nur zum Mittagessen herübergefahren waren oder den ganzen Tag bei uns verbringen wollten. Ich wollte wieder mit Maxim allein sein, und es sollte wieder wie in Italien sein. Schließlich gingen wir alle zu dem Kastanienbaum und ließen uns dort nieder. Robert hatte inzwischen Liegestühle und Decken gebracht. Giles legte sich auf den Rücken und schob den Hut über die Augen. Nach einer kleinen Weile begann er mit offenem Mund zu schnarchen.

«Hör auf, Giles», sagte Beatrice.

«Ich schlafe ja gar nicht», stammelte er und riß die Augen auf, um sie gleich wieder zu schließen. Ich fand ihn sehr wenig anziehend und grübelte darüber nach, warum Beatrice ihn wohl geheiratet haben mochte. Sie konnte ihn unmöglich geliebt haben. Vielleicht dachte sie dasselbe von mir, denn hin und wieder fing ich einen nachdenklich erstaunten Blick von ihr auf, als ob sie sich fragte: «Was zum Teufel findet Maxim eigentlich an ihr?» Aber sie sah mich dabei durchaus nicht unfreundlich an. Sie unterhielten sich über ihre Großmutter.

«Wir müssen nächstens mal die alte Dame besuchen», sagte Maxim, und Beatrice entgegnete: «Sie wird schon reichlich taperig, die Gute, beim Essen bekleckert sie sich ständig das Kinn.»

Gegen Maxims Arm gelehnt, hörte ich ihnen zu und rieb meine Wange an seinem Ärmel. Mechanisch streichelte er meine Hand, ohne an mich zu denken, und unterhielt sich weiter mit Beatrice. Er liebt mich auf dieselbe Art, wie ich Jasper liebe, dachte ich.

Der Wind hatte sich gelegt. Es war ein schläfriger, friedlicher Nachmittag. Das Gras war frisch gemäht und roch süß und kräftig nach Sommer. Auch Jasper war es in der Sonne zu heiß geworden, und er trottete mit hängender Zunge auf uns zu. Er ließ sich neben mir nieder, begann sich das Fell zu lecken und sah mich mit seinen großen Augen wie um Entschuldigung bittend an. Die Sonne schien auf die blanken Fensterscheiben, und ich konnte sehen, wie sich der Rasen und die Terrasse darin spiegelten. Aus einem der nahen Schornsteine stieg ein dünnes Rauchfähnchen auf, und ich dachte, ob jetzt wohl, wie alltäglich, der Kamin in der Bibliothek angezündet worden war.

Eine Drossel flog über den Rasen zu der Magnolie unter den Eßzimmerfenstern. Überall war es ruhig und still. Das Rauschen des Meeres drang nur ganz schwach aus der Bucht zu uns herauf; es war wohl jetzt Ebbe. Ich wollte dort sitzen bleiben und nicht sprechen und nicht zuhören und diesen Augenblick für alle Zeit wie eine Kostbarkeit bewahren, weil jeder von uns so friedlich gestimmt war, schläfrig und zufrieden. Hier saßen wir zusammen, Maxim und ich, Hand in Hand, und Vergangenheit und Zukunft bekümmerten uns nicht. Dies war uns sicher, dieses lächer-lich winzige Bruchstück der Zeit, dessen er sich nicht mehr erinnern, an das er nie zurückdenken würde. Er würde diesen Augenblick nicht heilig halten - er sprach davon, daß er etwas von dem Buschwerk auf der Anfahrt wegschneiden lassen wollte, und Beatrice stimmte ihm zu, unterbrach ihn nur, um ihrerseits noch einen Vorschlag zu machen, und warf gleichzeitig eine Handvoll Gras nach Giles. Für sie war es nur die übliche Ruhepause nach dem Mittagessen, Viertel nach drei an einem gemütlichen Nachmittag. Sie wollten diesen Augenblick nicht festhalten, ihn einfangen und sicher aufbewahren. Sie fürchteten sich ja nicht.

«Ich glaube, wir müssen allmählich ans Heimfahren denken», sagte Beatrice und klopfte sich das Gras von ihrem Rock. «Ich möchte nicht zu spät zu Hause ankommen, weil wir die Cartrights abends zu Tisch erwarten.»

«Wie geht es Vera?» fragte Maxim.

«Genau wie früher; sie redet noch immer ununterbrochen über ihre Gesundheit. Er wird schon recht alt. Sicherlich werden sie uns genau nach euch ausfragen.»

«Grüß sie schön von mir», sagte Maxim.

Wir standen auf. Giles schüttelte seinen Hut aus. Maxim gähnte und reckte sich. Die Sonne verschwand hinter den Wolken. Ich sah zum Himmel auf. Er hatte sich bereits mit lauter kleinen Zirruswölkchen bezogen.

«Das Wetter schlägt um», sagte Maxim.

«Hoffentlich kommen wir nicht in einen Regenguß», bemerkte Giles.

Langsam gingen wir auf die Anfahrt und den parkenden Wagen zu.

«Ihr habt euch gar nicht angesehen, was für eine Veränderung mit dem Ostflügel vor sich gegangen ist», sagte Maxim auf einmal.

«Kommt doch noch schnell herauf», schlug ich vor, «es dauert ja nur ein paar Minuten.» Wir gingen in die Halle und dann die Haupttreppe hinauf, Beatrice und ich voran.

Als wir bei den Zimmern angelangt waren, sagte Giles, der sich in dem niedrigen Türrahmen bücken mußte, gleich: «Wie hell und freundlich das jetzt aussieht, das ist wirklich eine große Verbesserung, findest du nicht auch, Bee?» Und Beatrice rief: «Ich muß sagen, alter Junge, du hast dich selbst übertroffen - neue Vorhänge, neue Betten, überhaupt alles neu. Erinnerst du dich, Giles? Hier wohnten wir, als du mit deinem Bein immer still liegen mußtest. Damals war das Zimmer so düster. Und Mutter hat ja nie viel Sinn für Komfort gehabt. Du hast doch auch gar keine Gäste hier untergebracht, nicht wahr, Maxim? Außer wenn das Haus überfüllt war. Ich glaube, die Junggesellen wurden hier immer abgeladen. Ja, es ist reizend geworden, das muß ich zugeben. Und dann der Blick auf den Rosengarten! Darf ich mir mal die Nase pudern?»

Die Männer gingen wieder nach unten, und Beatrice betrachtete sich im Spiegel.

«Hat die alte Danvers das alles für euch bewerkstelligt?»

«Ja», sagte ich. «Ich finde, sie hat ihre Sache sehr gut gemacht.»

«Das soll sie wohl bei der Schule, die sie durchgemacht hat», meinte Beatrice. «Ich möchte nur wissen, was das gekostet haben mag. Ein ganz hübsches Sümmchen, wette ich. Hast du danach gefragt?»

«Nein», sagte ich. «Ich habe leider keine Ahnung.»

«Mrs. Danvers wird sich darüber sicher keine Gedanken gemacht haben», sagte Beatrice. «Hast du etwas dagegen, wenn ich deinen Kamm benutze? Diese Toilettensachen sind sehr hübsch. Ein Hochzeitsgeschenk?»

«Ja, von Maxim.»

«Sehr nett - wir müssen dir natürlich auch etwas schenken. Was wünschst du dir denn?»

«Ich weiß nicht, das ist doch wirklich nicht nötig.»

«Sei nicht dumm, meine Liebe; ich denke nicht daran, dir ein Geschenk vorzuenthalten, wenn wir auch nicht zu euer Hochzeit eingeladen waren.»

«Ich hoffe, du hast das nicht übelgenommen; Maxim wollte gern, daß wir uns unterwegs trauen ließen.»

«Natürlich nicht. Sehr vernünftig von euch beiden. Schließlich war es ja nicht so ...» Sie brach mitten im Satz ab und ließ ihre Handtasche fallen. «Verflucht noch mal, hab ich jetzt das Schloß zerbrochen? Nein, es ist noch heil. Was hatte ich eben gesagt? Ich weiß wirklich nicht mehr -ach ja, Hochzeitsgeschenk; wir werden schon irgend etwas finden. Aus Schmuck machst du dir wahrscheinlich nichts, oder?»

Ich schwieg. «Es ist so anders als bei einem gewöhnlichen jungen Brautpaar», sagte sie. «Die Tochter von einem meiner Freunde hat kürzlich geheiratet, und die beiden sind natürlich mit dem ganzen üblichen Kram beschenkt worden, mit Tischwäsche, Mokkatassen, Eßzimmerstühlen und ähnlichem. Ich habe ihr eine sehr hübsche Stehlampe geschenkt. Hat mich bei Harrod's einen Fünfer gekostet. Wenn du nach London fährst, um dir Kleider zu kaufen, wende dich ruhig an meine Schneiderin, Madame Carroux; sie hat einen verdammt guten Geschmack und haut dich bestimmt nicht übers Ohr.»

Sie erhob sich vom Frisiertisch und strich sich den Rock glatt.

«Glaubst du, daß ihr viel Besuch haben werdet?» fragte sie.

«Ich weiß nicht, Maxim hat nichts davon gesagt.»

«Komischer Kerl! Man kennt sich nie so recht bei ihm aus. Früher war hier oft nicht ein einziges Bett frei, das Haus quoll förmlich über von Menschen. Irgendwie sehe ich dich nicht ...» Sie hielt plötzlich inne und klopfte mir den Arm. «Na ja, wir werden es ja erleben. Es ist nur ein Jammer, daß du nicht reitest und nicht schießen kannst, es entgeht dir so viel. Segelst du vielleicht zufällig?»

«Nein», sagte ich.

«Gott sei Dank!» entgegnete sie und ging zur Tür.

«Wenn du mal Lust hast, komm und besuch uns einfach», sagte sie. «Ich erwarte immer von den Menschen, daß sie sich selbst anmelden. Das Leben ist viel zu kurz, um die Zeit noch mit Einladungen zu vertrödeln.»

«Ja, danke schön», sagte ich.

Wir standen oben auf dem Treppenabsatz, von dem aus man in die Halle hinuntersehen konnte. Die Herren waren schon nach draußen auf die Terrasse gegangen. «Beeile dich, Bee», rief Giles. «Es fängt bereits zu regnen an, und wir haben das Verdeck schon hochgemacht. Maxim sagt, das Barometer fällt.»

Beatrice nahm meine Hand, beugte sich zu mir nieder und gab mir einen flüchtigen Kuß auf die Wange. «Auf Wiedersehen», sagte sie, «verzeih mir, daß ich dich mit meinen Fragen so belästigt und überhaupt alle möglichen Dinge gesagt habe, die ich eigentlich nicht sagen sollte. Aber Takt ist nie meine starke Seite gewesen, wie Maxim dir bestätigen wird. Und wie ich dir schon sagte, du bist genau das Gegenteil von dem, was ich mir vorgestellt hatte.» Sie sah mir gerade in die Augen, die Lippen wie zum Pfeifen gespitzt, und nahm sich dann eine Zigarette aus der Tasche.

«Verstehst du», sagte sie, während sie das Feuerzeug zuklappte und die Treppe hinunterging, «du bist so ganz anders als Rebecca.»

Und wir traten auf die Terrasse hinaus und entdeckten, daß die Sonne hinter einer Wolkenwand verschwunden war. Ein feiner Regen fiel vom Himmel, und Robert lief über den Rasen, um die Stühle hereinzuholen.

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