Wir kamen in den ersten Maitagen in Manderley an, wie Maxim sagte, zugleich mit den Schwalben und den Glockenblumen. Es sei die schönste Zeit, bevor die volle Sommerhitze einsetze, und im Tal würden die Azaleen ihren verschwenderischen Duft ausströmen und die blutroten Rhododendren blühen. Wir verließen London im Auto früh am Morgen bei strömendem Regen und langten gegen fünf Uhr zur Teezeit in Manderley an. Ich sehe mich noch deutlich: unvorteilhaft angezogen wie gewöhnlich, obwohl ich schon sieben Wochen verheiratet war, in einem gelbbraunen Baumwollkleid, einen kleinen Marderpelzkragen um den Hals, und das Ganze unter einem formlosen Regenmantel versteckt, der viel zu weit war und bis zu den Knöcheln reichte. Dieser Aufzug, dachte ich, war geradezu eine Verbeugung vor dem Wetter, und zudem machte die Länge des Mantels mich größer. Ich hielt ein Paar Handschuhe zusammengeknüllt in der Hand und trug eine große lederne Handtasche.
«Das ist der richtige Londoner Regen», sagte Maxim, als wir abfuhren. «Aber paß nur auf: wenn wir in Manderley ankommen, wird dich die Sonne begrüßen.» Und er behielt recht; die Wolken verließen uns schon in Exeter, sie ballten sich hinter uns zusammen und überließen uns einem leuchtend blauen Himmel und dem glänzend weißen Band der Landstraße vor uns.
Ich freute mich, die Sonne wiederzusehen, denn ich war abergläubisch genug, Regen als ein böses Vorzeichen zu betrachten, und der regengraue Londoner Himmel hatte mich schweigsam gemacht.
«Fühlst du dich jetzt besser?» fragte Maxim, und ich lächelte ihn an und griff nach seiner Hand, während ich bei mir dachte, wie einfach es doch für ihn sei, in sein eigenes Haus heimzukehren, ungezwungen in die Halle gehen zu können, die Post durchzusehen, Tee anrichten zu lassen; und ich fragte mich, ob er wohl meine Unruhe erraten habe und ob seine Frage mir zu verstehen geben sollte, daß er es mir nachempfand. «Jedenfalls dauert es nun nicht mehr lange. Wir werden gleich da sein. Ich nehme an, du wirst eine Tasse Tee auch gut gebrauchen können», sagte er, und dann ließ er meine Hand los, weil wir uns einer Kurve näherten und er umschalten mußte.
Aus seinen Worten entnahm ich, daß er mein Schweigen für Erschöpfung gehalten hatte und daß ihm gar nicht der Gedanke gekommen war, ich könnte diese Ankunft in Manderley ebensosehr fürchten, wie ich sie herbeigesehnt hatte, als sie noch in weiter Ferne lag. Jetzt, wo der Augenblick gekommen war, hätte ich ihn gern noch hinausgezögert, wäre ich gern in einer kleinen Dorfschenke eingekehrt und dort im Gastzimmer am gleichgültigen Kaminfeuer geblieben. Ich wollte weiter über die Landstraßen fahren und weiter die verliebte junge Frau auf der Hochzeitsreise sein - nicht zum erstenmal nach Manderley kommen als die Frau von Maxim de Winter. Wir fuhren durch viele freundliche Dörfer, deren Fenster so einladend blickten. Eine Frau, die einen Säugling auf dem Arm trug, lächelte mir von der Türschwelle zu, und ein Mann klapperte mit einem leeren Eimer über die Straße zum Brunnen.
Ich wünschte, wir hätten zu ihnen gehören dürfen, vielleicht ihre Nachbarn sein, und Maxim könnte sich abends pfeiferauchend über den Gartenzaun lehnen, voller Stolz auf den großen Rosenstock, den er selbst gezogen hatte, während ich in meiner blitzsauberen Küche den Abendbrottisch deckte. Auf dem Büffet müßte ein laut tickender Wecker stehen und dahinter eine Reihe blankgeputzter Teller; und nach dem Essen würde Maxim, die Füße auf dem Kamingitter, seine Zeitung lesen, und ich würde nach dem vollen Stopfkorb greifen. Eine solche Lebensweise wäre doch gewiß geruhsam und friedlich, dachte ich, und auch so viel einfacher, ohne gesellschaftliche Vorschriften beachten zu müssen.
«Nur noch zwei Meilen», sagte Maxim. «Siehst du den Waldsaum über dem Hügel dort aufragen, der sich bis ins Tal hinunterzieht? Und dahinter kann man schon das Meer sehen. Da liegt Manderley, das ist unser Wald.»
Ich zwang mich zu einem Lächeln, aber antwortete ihm nicht; eine Art Furcht überkam mich, ein Schwächegefühl, das ich nicht unterdrücken konnte. Die freudige Erregung war vergangen, mein glücklicher Stolz verschwunden. Ich war wie ein Kind am ersten Schultag oder wie ein unerfahrenes kleines Mädchen, das niemals von zu Hause weg gewesen ist und sich jetzt seine erste Stellung suchen muß.
«Ich glaube, du kannst deinen Regenmantel jetzt ausziehen», sagte er mit einem Seitenblick auf mich. «Hier unten hat es überhaupt nicht geregnet. Und rück dir deinen komischen kleinen Pelzkragen zurecht. Mein armes Herz, jetzt habe ich dich so überstürzt hierhergelotst, und du wolltest dir wahrscheinlich noch eine Menge Kleider in London kaufen.»
«Das macht gar nichts, solange es dir nichts ausmacht», sagte ich.
«Die meisten Frauen haben nichts als Kleider im Kopf», bemerkte er abwesend, und als wir die nächste Kurve ge-nommen hatten, kamen wir an eine Straßenkreuzung, an der eine hohe Mauer anfing.
«Da wären wir», sagte er mit einer ungewohnten Erregung in der Stimme, und ich klammerte mich mit beiden Händen am Sitz fest.
Der Weg machte wieder eine Biegung, und vor uns erhob sich jetzt neben einem Pförtnerhäuschen ein hohes, eisernes Tor, dessen weitgeöffnete Flügel freien Zugang zu der langen Auffahrt gewährten. Als wir hindurchfuhren, sah ich hinter dem dunklen Fenster des Pförtnerhäuschens neugierige Gesichter, und ein Kind kam herbeigelaufen und starrte hinter uns her. Ich machte mich auf meinem Sitz so klein wie möglich, denn ich wußte, warum die Gesichter so dicht an die Scheiben gepreßt waren und warum das Kind uns nachstarrte. Vielleicht ahnte er jetzt endlich etwas von meiner Beklommenheit, denn er ergriff meine Hand und küßte sie und sagte mit einem kleinen Lachen:
«Du darfst dich nicht daran stoßen, daß die Leute ein wenig neugierig sind; jeder will natürlich wissen, wie du aussiehst. Wahrscheinlich hat man hier seit Wochen von nichts anderem gesprochen. Du brauchst dich nur ganz natürlich zu geben, und sie werden dich alle lieben. Und um den Haushalt brauchst du dir keine Sorgen zu machen; Mrs. Danvers kümmert sich um alles. Überlaß es ruhig ihr. Sie wird dir gegenüber zuerst etwas steif sein, sie ist schon eine merkwürdige Person; aber laß dich dadurch nicht einschüchtern. Es ist nun einmal ihre Art. Siehst du diese Sträucher? Wenn die Hortensien erst blühen, verwandelt sich das Ganze in eine blaue Mauer.»
Das Tor hatte sich dröhnend hinter uns geschlossen; die staubige Landstraße war nicht mehr zu sehen, und ich gewahrte, daß dies nicht die Anfahrt von dem Manderley meiner Vorstellung war; dies war kein breiter, heller Kiesweg, den Harke und Besen glatt hielten, und keine gepflegten Rasenflächen säumten ihn.
Diese Anfahrt wand und schlängelte sich dahin, stellenweise kaum breiter als ein Fußpfad, und zu beiden Seiten ragten die Bäume wie Säulen empor, und ihre Kronen schwankten und vereinigten sich zu einem Gewölbe über unseren Köpfen wie der Bogengang einer Kirche. Selbst die Mittagssonne vermochte nicht dies eng verschlungene grüne Laubdach zu durchdringen, zu dicht war es geflochten, und nur hier und da durchbrachen warm leuchtende kleine Lichtflecke zitternd das wogende Grün und flimmerten golden auf dem Weg. Es war sehr ruhig, sehr still. Auf der Landstraße hatte mir ein frischer Westwind ins Gesicht geweht und das Gras am Straßenrand nach seinem Takt tanzen lassen, aber hier regte sich kein Lüftchen. Selbst der Motor des Wagens schien einen neuen Ton angenommen zu haben. Er surrte leiser, verhaltener als vorher. Als der Weg sich dann zum Tal hinabsenkte, schienen die Bäume uns entgegenzukommen, die herrlichen, hohen, grauglatten Buchen, die ihre unzähligen Äste und Zweige gegeneinander reckten, und andere Bäume, deren Namen ich nicht wußte; sie alle kamen uns so nahe, daß ich sie fast mit der Hand berühren konnte. Und weiter fuhren wir über eine kleine Brücke, die ein schmales Flüßchen überspannte, und immer weiter wand und schlängelte sich diese Anfahrt, die gar keine richtige Anfahrt war, wie ein verzaubertes Band zwischen den dunklen, schweigenden Bäumen hindurch, und immer tiefer drangen wir in das Herz des Waldes ein - aber immer noch war da keine Lichtung, kein offener Platz, auf dem ein Haus hätte stehen können.
Allmählich begann der schier endlose Weg mich zu irritieren; hinter dieser Biegung muß es liegen, dachte ich, oder hinter der dort vorn, doch so oft ich mich auch erwartungs-voll vorbeugte, ich wurde wieder enttäuscht; kein Haus, keine Wiese, kein heller, freundlicher Garten, nichts, nur das Schweigen und die Einsamkeit des Waldes. Das Parktor war nur noch eine Erinnerung, und die Landstraße hätte einer anderen Zeit, einer anderen Welt angehören können.
Plötzlich lichtete sich die Dunkelheit vor uns; ich erblickte den Himmel wieder, die finstere Reihe der Bäume wich zurück, das Gewirr der Sträucher war verschwunden, und zu beiden Seiten des Weges erhob sich eine blutrote Mauer hoch über unsere Köpfe. Das waren die Rhododendronbüsche von Manderley. Ihr plötzliches Auftauchen hatte etwas Verwirrendes, etwas Erschreckendes. Der düstere Wald hatte mich auf diesen Anblick nicht vorbereitet. Das flammende Blütenmeer überwältigte mich, diese unwahrscheinlich verschwenderische Fülle, die kein Blatt, keinen Zweig sehen ließ, nur das blutige Rot, üppig und unwirklich, keinem Rhododendron, den ich je gesehen hatte, vergleichbar.
Ich warf einen Blick auf Maxim. Er lächelte. «Gefällt es dir?» fragte er.
«Ja», antwortete ich etwas atemlos, ungewiß, ob ich das wirklich meinte oder nicht, denn bisher hatte ich Rhododendronbüsche als gemütliche, etwas hausbackene Pflanzen betrachtet, die in ihrem konventionellen Lila oder Rosa schön ordentlich aufgereiht in einem runden Beet standen. Und diese hier glichen Ungeheuern, die sich gen Himmel reckten. Sie waren zu schön in ihrer ungebändig-ten Wildheit, dachte ich, es konnten keine Pflanzen sein.
Das Haus mußte jetzt jeden Augenblick auftauchen. Der Weg verbreiterte sich zu der weit geschwungenen Auffahrt, die ich erwartet hatte; immer noch von der roten Mauer flankiert nahmen wir die letzte Biegung, und dann hatten wir Manderley erreicht. Ja, da war es, das Manderley, das ich erwartet hatte, das Manderley auf der An-sichtskarte von damals. Eine Schöpfung von Schönheit und Anmut, erlesen und makellos, bezaubernder noch, als ich es mir erträumt hatte, lag es da zwischen samtenen Rasenflächen eingebettet mit den Terrassen, die zu den Gärten abfielen, und den Gärten, die sich bis zum Meer hinunterzogen. Als wir uns in langsamer Fahrt der breiten Steintreppe näherten, sah ich durch eins der hohen Doppelfenster eine Menge Menschen in der Halle stehen, und ich hörte Maxim leise fluchen: «Der Teufel soll die Person holen! Sie weiß genau, daß ich das nicht haben wollte», und er bremste mit einem Ruck.
«Was ist denn los?» fragte ich, «was wollen denn die vielen Leute?»
«Ich fürchte, du wirst es über dich ergehen lassen müssen», sagte er gereizt. «Diese verfluchte Mrs. Danvers hat die gesamte Dienerschaft aus Haus und Garten zusammengetrommelt, um uns willkommen zu heißen. Aber keine Sorge, du brauchst nichts zu sagen, ich werde das schon machen.»
Die lange Fahrt hatte ein leichtes Übelkeitsgefühl in mir hervorgerufen, und mich fröstelte; ich tastete nach dem Türgriff, und als ich noch daran herumfingerte, kam der Butler die Treppe heruntergeeilt, gefolgt von einem Diener, und riß den Wagenschlag auf.
Er war alt, er hatte ein freundliches Gesicht, und ich lächelte zu ihm hinauf und streckte ihm die Hand hin. Aber er hatte sie wohl nicht gesehen, denn er griff statt dessen nach der Reisedecke und meinem kleinen Handkoffer und half mir dann beim Aussteigen.
«So, da wären wir, Frith», sagte Maxim, während er seine Handschuhe auszog. «In London hatten wir noch Regen. Ihr scheint ja davon verschont geblieben zu sein. Alles in Ordnung?»
«Ja, danke, Sir. Nein, alles in allem haben wir einen trockenen Monat gehabt. Ich freue mich, daß Sie wieder zu Hause sind, und hoffe, es ist Ihnen gut ergangen. Und Madam auch.»
«Doch, danke, uns geht es beiden sehr gut, Frith. Nur etwas müde von der Fahrt; eine Tasse Tee wird uns jetzt guttun. Das da kommt allerdings sehr unerwartet.» Er nickte mit dem Kopf zur Halle hin.
«Mrs. Danvers hat es so angeordnet», sagte der Butler, ohne eine Miene zu verziehen.
«Das dachte ich mir», entgegnete Maxim kurz. «Komm», wandte er sich zu mir, «es ist bald überstanden, und dann sollst du deine Tasse Tee bekommen.»
Wir stiegen zusammen die Treppe empor, während Frith und der Diener mit den Sachen folgten, und ich fühlte, wie mir die Kehle vor Erregung trocken wurde.
Wenn ich meine Augen schließe, kann ich mich selbst sehen, so wie ich damals, als ich zum erstenmal die Schwelle des Hauses überschritt, den anderen vorgekommen sein muß: eine linkische schlanke Gestalt im einfachen Baumwollkleid, die ein Paar Handschuhe in ihren feuchten Händen zerknüllte. Ich sehe die große, steinerne Halle, die breiten, offenen Türen zur Bibliothek, die Lelys und van Dycks an den Wänden, die kunstvoll geschnitzte Treppe zur Galerie; und dann, die ganze Halle füllend, ein Meer von Gesichtern, die mich mit offenen Mündern neugierig anstarrten. Eine Gestalt löste sich aus der Menge, hager und groß, in tiefes Schwarz gekleidet; die hervorstechenden Backenknochen und tiefliegenden großen Augen gaben ihrem pergamentenen Gesicht das Aussehen eines Totenschädels.
Sie kam auf mich zu, und ich streckte ihr meine Hand entgegen und beneidete sie um ihre würdige und gemesse-ne Haltung; aber die Hand, die die meine ergriff, war schwer und schlaff, eiskalt, und fühlte sich an wie ein lebloses Ding.
«Das ist Mrs. Danvers», sagte Maxim, und sie fing zu sprechen an, ohne diese tote Hand wegzunehmen, ohne ihren toten Blick von mir zu wenden, so daß ich unsicher wurde und sie nicht ansehen konnte, und als sie das merkte, bewegte sich ihre Hand, das Leben kehrte in sie zurück, und ich empfand aus irgendeinem Grund Scham und Unbehagen.
An ihre Worte erinnere ich mich nicht mehr, aber ich weiß, daß sie mich im Namen der ganzen Dienerschaft willkommen hieß, eine förmliche, banale Rede, die sie für diese Gelegenheit auswendig gelernt hatte und mit einer Stimme vortrug, die so kalt und leblos klang, wie ihre Hand sich angefühlt hatte. Als sie geendet hatte, blieb sie vor mir stehen, als erwarte sie eine Erwiderung von mir, und ich erinnere mich, daß ich tief errötete, während ich ein paar Worte des Dankes stammelte, und in meiner Verwirrung ließ ich die Handschuhe fallen. Sie bückte sich, um sie aufzuheben, und als sie sie mir reichte, bemerkte ich, wie sich ihr Mund zu einem verächtlichen kleinen Lächeln verzog. Ich erriet sofort, daß sie mich nicht für voll nahm. Irgend etwas im Ausdruck ihres Gesichtes flößte mir ein Gefühl von Unruhe ein, und schon als sie zu den anderen zurückgetreten war, schien ihre schwarze Gestalt sich von den übrigen abzuheben, eine einzelne unter den vielen, und obwohl sie nun schwieg, fühlte ich ihre Augen noch immer auf mir ruhen. Maxim nahm meinen Arm und sprach seinen Dank für die Begrüßung aus, völlig unbefangen und sicher, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, und dann führte er mich in die Bibliothek zum gedeckten Teetisch, schloß die Tür hinter uns, und wir waren endlich wieder allein.
Zwei Spaniels kamen vom Kamin auf uns zu. Sie sprangen an Maxim hoch, die langen, seidigen Ohren zur zärtlichen Begrüßung zurückgelegt, und bohrten ihre Nasen in seine Hände. Dann ließen sie von ihm ab, kamen zu mir und beschnupperten zurückhaltend und mißtrauisch meine Füße. Der eine Hund, die Mutter des anderen, die auf einem Auge blind war, wurde meiner schnell überdrüssig und rollte sich mit einem Seufzer wieder vor dem Kamin zusammen; aber Jasper, ihr Sohn, schnüffelte an meiner Hand und legte seinen Kopf auf meine Knie, mich mit seinen sprechenden Augen betrachtend. Und als ich ihm über das weiche Fell strich, wedelte er mit dem Schwanz.
Ich fühlte mich bedeutend wohler, nachdem ich meinen Hut und meinen lächerlichen kleinen Pelzkragen abgenommen und beides zu Handschuhen und Handtasche auf die Fensterbank geworfen hatte. Es war ein geräumiges, behagliches Zimmer, in dem wir uns befanden. Die Wände verschwanden ringsum bis unter die Decke hinter dichten Bücherreihen, ein Zimmer, in dem ein Junggeselle sein Leben verbringen konnte, mit schweren Sesseln vor dem großen, offenen Kamin und Hundekörben, die allerdings nur selten benutzt zu werden schienen, denn die Sessel wiesen verräterische Vertiefungen auf. Die hohen Fenster boten einen freien Blick auf die Rasenflächen und weit dahinter auf das ferne Glitzern des Meeres.
Dem Zimmer haftete ein eigener, angenehm dumpfiger Geruch an, als verändere sich die Luft in ihm nur wenig, trotz dem süßen Duft von Flieder und Rosen, der im Sommer hier eindrang. Jeder Luftzug, der in dieses Zimmer gelangen mochte, ob nun vom Garten oder von der See her, büßte hier schnell seine Frische ein und wurde eins mit den Büchern, muffig und verstaubt, eins mit der geschnitzten Decke, den dunklen Paneelen, den schweren Vorhängen.
Es war ein alter, würziger Moosgeruch, der Geruch einer stillen Kirche, in der nur selten ein Gottesdienst abgehalten wird, in der die rostbraune Flechte zwischen den Steinen wächst und der Efeu sich vor den Fenstern rankt. Ein Raum des Friedens, ein Raum der Besinnlichkeit.
Bald wurde der Tee serviert, ein feierliches kleines Schauspiel, das Frith und der junge Diener zum besten gaben und in dem meine Rolle erst nach ihrem Abgang begann. Und während Maxim den großen Stapel Briefe überflog, spielte ich mit dem gebutterten Toast, zerkrümelte ein Stück Kuchen und trank den glühheißen Tee.
Hin und wieder sah er hoch und lächelte mich an, dann vertiefte er sich wieder in seine Briefe, die sich wohl während der letzten Monate so angehäuft hatten, und ich dachte, wie wenig ich doch von seinem Leben hier auf Man-derley wußte, wie es verlief, Tag für Tag. Diese letzten Wochen waren so schnell vergangen, und während ich an seiner Seite durch Frankreich und Italien gefahren war, hatte ich für nichts anderes Gedanken gehabt als für meine Liebe zu ihm, hatte ich Venedig mit seinen Augen gesehen, seine Worte nachgesprochen, keine Frage an die Vergangenheit und an die Zukunft gestellt und mich mit dem bißchen Glanz der Gegenwart zufriedengegeben.
Er war viel heiterer, als ich vermutet, viel zärtlicher, als ich mir hatte träumen lassen, so jung und begeisterungsfähig auf eine mich immer von neuem bezaubernde Art, nicht der Maxim, den ich an seinem Tisch im Speisesaal kennengelernt hatte, in sein geheimes Ich verhüllt, vor sich hinstarrend. Mein Maxim lachte und sang, warf Steine ins Wasser, hielt meine Hand, hatte keine Falten auf der Stirn und schien von keiner Last mehr bedrückt. Er war mein Geliebter, mein Freund, und während jener Wochen hatte ich vergessen, daß er sonst ein planmäßig geordnetes Leben führte, ein Leben, das wieder aufgenommen und fortgesetzt wer-den mußte und das aus den vergangenen Wochen nur einen kurzen, immer weiter zurückliegenden Urlaub machte.
Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück, blickte im Zimmer umher und versuchte etwas Selbstvertrauen zu gewinnen und die Tatsache, daß ich hier auf Manderley war, in mein Bewußtsein dringen zu lassen, in dem Man-derley von der Ansichtskarte, dem berühmten Manderley. Ich mußte mir selbst beibringen, daß dies alles mir gehörte, mir so gut wie ihm: der steife Sessel, auf dem ich saß, die unzähligen Bücher, die sich bis zur Decke reihten, die Bilder an den Wänden, der Garten, der Wald, das Mander-ley, von dem ich gelesen hatte - all das gehörte jetzt mir, weil ich Maxim geheiratet hatte.
Wir würden hier zusammen alt werden, wir würden als alte Leute genauso wie heute hier bei unserem Tee sitzen, Maxim und ich, nur mit anderen Hunden, den Nachkommen der jetzigen; und in der Bibliothek würde derselbe merkwürdige dumpfige Geruch herrschen wie jetzt. Dieser Raum würde eine Zeit herrlicher Unordnung und Verwahrlosung kennenlernen, wenn die Knaben - unsere Söhne - jung waren; ich sah sie sich schon mit schmutzigen Stiefeln auf dem Sofa herumbalgen und Angelgerät, Kricketschläger, große Taschenmesser und Bogen und Pfeile hereinschleppen.
Auf dem Tisch dort, jetzt leer und blank poliert, würde ein unschöner Glaskasten stehen, in dem Schmetterlinge und Motten aufgespannt waren, und ein zweiter mit ausgeblasenen Vogeleiern. «Nicht den ganzen Kram hier herein!» würde ich ermahnen, «tragt die Sachen in euer Schulzimmer, ihr Schlingel», und sie würden tobend und johlend hinausstürmen bis auf den Jüngsten, der stiller war als die anderen und gern für sich spielte.
Mein Zukunftsbild verflog, als die Tür sich öffnete und Frith und der Diener hereinkamen, um den Tisch abzu-räumen. «Mrs. Danvers läßt fragen, Madam, ob sie Ihnen jetzt vielleicht Ihr Zimmer zeigen dürfte», sagte Frith zu mir, als der Diener mit dem Geschirr hinausgegangen war.
Maxim sah von seinen Briefen auf. «Wie macht sich denn der Ostflügel jetzt?» fragte er.
«Sehr gut, finde ich, Sir; die Handwerker haben natürlich bei ihrer Arbeit eine Menge Schmutz gemacht, und Mrs. Danvers fürchtete schon, sie würden bis zu Ihrer Rückkehr nicht fertig werden. Aber letzten Montag war es dann doch soweit. Ich möchte eigentlich annehmen, daß Sie sich dort sehr wohl fühlen werden, Sir. Die Räume sind an der Ostseite ja viel heller.»
«Hast du etwas umbauen lassen?» erkundigte ich mich.
«Oh, nicht eigentlich», sagte Maxim kurz. «Ich habe nur die Zimmer im Ostflügel neu tapezieren und streichen lassen, weil ich dachte, wir würden am besten dort wohnen. Wie Frith sagte, es ist auf der Seite des Hauses sehr viel freundlicher, und man hat von den Zimmern aus einen herrlichen Blick auf den Rosengarten. Als meine Mutter noch lebte, war es der Gästeflügel. Ich möchte nur rasch die Briefe zu Ende durchsehen, dann komme ich nach. Lauf nur zu und freunde dich ein bißchen mit Mrs. Danvers an, das ist eine sehr günstige Gelegenheit dazu.»
Als ich mich erhob und langsam hinausging, fühlte ich meine Unsicherheit wiederkehren. Am liebsten hätte ich auf ihn gewartet und dann Arm in Arm mit ihm zusammen die Zimmer besichtigt. Ich wollte nicht allein mit Mrs. Danvers sein. Wie riesig kam mir die leere Halle jetzt vor. Meine Schritte hallten auf den Steinfliesen, und die Decke warf ihr Echo zurück; fast fühlte ich mich schuldbewußt bei diesem Geräusch, so wie in der Kirche, wenn man das beklemmende Gefühl hat, von allen angestarrt zu werden.
«Es ist hier alles so groß, nicht wahr?» sagte ich zu Frith, zu forsch, zu gezwungen, wieder das Schulmädchen; aber er antwortete ganz ernsthaft: «Ja, Madam, Manderley ist ein großer Besitz. Nicht so groß wie manche andere, aber doch recht groß. In früheren Zeiten war hier die Festhalle. Bei besonderen Gelegenheiten, einer Abendgesellschaft oder einem Ball, tritt sie wieder in ihre alte Funktion. Und einmal in der Woche ist hier auch öffentlicher Besuchstag, wie Sie vielleicht wissen.»
«Ja», sagte ich, immer noch von meinen lauten Schritten verfolgt. Wie ich da hinter ihm herging, hatte ich das Gefühl, daß er mich genauso behandelte wie einen Besucher, der Manderley besichtigte, und ich betrug mich auch ganz so, blickte höflich nach rechts und nach links, betrachtete die Waffen und die Bilder an den Wänden, strich mit der Hand über das geschnitzte Geländer.
Eine schwarze Gestalt erwartete mich am Kopf der Treppe, die tiefliegenden Augen in dem weißen Totenschädel prüfend auf mich gerichtet. Ich sah mich unwillkürlich schutzsuchend nach Frith um, aber er war bereits in einem anderen Flur verschwunden.
Ich war jetzt allein mit Mrs. Danvers. Ich stieg die breite Treppe zu ihr hinauf, und sie wartete regungslos, die Hände vor sich gefaltet, und blickte mir unverwandt entgegen. Ich zwang mich zu einem Lächeln, das nicht erwidert wurde, und ich konnte ihr das auch nicht übelnehmen, denn mein Lächeln hatte gar keinen Sinn. Es war töricht und unnatürlich. «Hoffentlich habe ich Sie nicht warten lassen», sagte ich.
«Ich habe mich nach Ihnen zu richten, Madam», entgegnete sie. «Ich bin nur dazu da, Ihre Befehle auszuführen.» Und dann drehte sie sich um und schritt durch die Galerie zu dem anschließenden Korridor. Wir gingen einen breiten, mit Teppichen ausgelegten Gang entlang, wandten uns dann nach links durch eine Eichentür, stiegen eine schmale Treppe hinunter und auf der anderen Seite eine entsprechende Treppe hinauf und kamen so wieder zu einer Tür. Diese stieß sie auf und trat dann zur Seite, um mich vorbeizulassen, und ich befand mich in einem kleinen Vorraum, einer Art Boudoir, in dem ein Sofa, ein paar Stühle und ein Schreibtisch standen, und gelangte von da in ein großes, doppelbettiges Schlafzimmer mit breiten, hohen Fenstern und einem anschließenden Badezimmer. Ich ging sofort an ein Fenster und sah hinaus. Unten lag der Rosengarten und der östliche Teil der Terrasse, und hinter dem Garten erstreckte sich ein glatter Rasen bis zum nahen Wald.
«Das Meer kann man von hier aus nicht sehen», sagte ich, mich zu Mrs. Danvers umwendend.
«Nein, von diesem Flügel aus nicht», antwortete sie. «Man kann es nicht einmal hören. Man sollte von diesem Flügel aus gar nicht meinen, daß das Meer so nahe ist.»
Sie sprach mit einer merkwürdigen Betonung, als verberge sie etwas hinter ihren Worten, und sie legte einen sonderbaren Nachdruck auf die Worte «diesem Flügel», als wollte sie mir zu verstehen geben, daß die Räumlichkeiten hier in mancher Hinsicht etwas zu wünschen übrigließen.
«Das ist schade. Ich liebe das Meer so», sagte ich.
Sie starrte mich nur schweigend an; ihre Hände hielt sie immer noch vor sich gefaltet.
«Es ist aber trotzdem ein entzückendes Zimmer», sagte ich, «und ich bin überzeugt, daß ich mich hier wohl fühlen werde. Ich hörte, daß es ganz neu für uns hergerichtet wurde.»
«Ja», sagte sie.
«Wie sah es denn früher aus?» fragte ich.
«Es hatte eine lila Tapete und andere Vorhänge; Mr. de Winter fand es zu düster. Es ist nie viel benutzt worden, außer von gelegentlichem Logierbesuch. Aber Mr. de Winter ordnete in seinem Brief ausdrücklich an, daß dies Ihr Zimmer werde.»
«Dann war es also ursprünglich gar nicht sein Schlafzimmer?» bemerkte ich.
«Nein, Madam, er hat die Räume in diesem Flügel früher kaum betreten.»
«Ach so», sagte ich, «das hat er mir gar nicht erzählt», und ich trat vor den Frisiertisch und begann mich zu kämmen. Meine Sachen waren schon ausgepackt und Bürsten und Kämme ordentlich hingelegt worden. Ich war froh, daß Maxim mir die neuen Toilettenartikel geschenkt hatte und daß sie schon dort auf dem Frisiertisch vor Mrs. Danvers Augen lagen. Sie waren neu und waren teuer gewesen, ich brauchte mich ihrer nicht zu schämen.
«Alice hat Ihre Koffer ausgepackt und wird Sie bedienen, bis Ihre Zofe nachkommt», sagte Mrs. Danvers. Ich lächelte sie wieder an und legte den Kamm auf den Frisiertisch zurück.
«Ich habe keine Zofe», sagte ich halb verlegen, «aber ich bin überzeugt, Alice wird gut für mich sorgen.»
Ihr Gesicht nahm wieder denselben Ausdruck an wie bei unserer ersten Begegnung, als ich meine Handschuhe so ungeschickt fallen ließ.
«Ich fürchte, damit werden Sie sich nicht lange behelfen können», sagte sie, «Damen in Ihrer gesellschaftlichen Stellung pflegen eine eigene Zofe zu haben.»
Ich errötete und griff nach der Bürste. Ich spürte die Anzüglichkeit in ihren Worten nur zu gut. «Wenn Sie es für notwendig halten, dann sehen Sie sich doch nach jemandem für mich um», sagte ich und vermied ihren Blick. «Ir-gendein junges Mädchen vielleicht, das in Stellung gehen will.»
«Wenn Sie es wünschen», sagte sie. «Sie haben nur zu befehlen.»
Es entstand ein Schweigen zwischen uns. Ich wünschte, sie wäre gegangen. Ich fragte mich, warum sie noch stehenblieb und mich so musterte.
«Sie sind vermutlich schon sehr lange in Manderley?» nahm ich einen neuen Anlauf, «länger als all die anderen?»
«Nein, nicht so lange wie Frith», erwiderte sie, und wieder fiel es mir auf, wie leblos und kalt ihre Stimme klang; «Frith war bereits zu Lebzeiten des alten Herrn hier, als Mr. de Winter noch ein Junge war.»
«Ach so», sagte ich, «Sie sind also erst danach gekommen?»
«Ja», sagte sie, «erst danach.»
Wieder sah ich zu ihr auf, und wieder begegnete ich dem finsteren Blick jener dunklen Augen in dem weißen Gesicht. Ich weiß nicht warum, aber er flößte mir ein seltsames Gefühl von Unruhe und bösen Vorahnungen ein. Ich versuchte zu lächeln und konnte es nicht. Diese lichtlosen Augen, in denen auch nicht ein Funke von Sympathie lag, lähmten mich.
«Ich kam her, als die erste Mrs. de Winter heiratete», sagte sie, und ihre Stimme, die bisher so stumpf und tot gewesen war, klang jetzt heiser vor unerwarteter Erregung, voll Leben und einer tieferen Bedeutung, und auf den hageren Wangen bildeten sich rote Flecken.
Diese Veränderung ging so plötzlich vor sich, daß sie mich befremdete und sogar erschreckte. Ich wußte nicht, was ich tun oder was ich sagen sollte. Es war, als hätte sie verbotene Worte gesprochen, Worte, die sie lange mit sich herumgetragen hatte und nun nicht mehr unterdrücken konnte. Und immer noch ruhte ihr Blick auf meinem Gesicht, sie betrachtete mich mit einem eigentümlichen Ausdruck mitleidiger Geringschätzung, so daß ich mir noch jünger und unerfahrener vorkam.
Ich mußte etwas sagen, ich konnte nicht einfach dort sitzen und mit Kamm und Bürste spielen und sie merken lassen, wie sehr ich sie fürchtete und ihr mißtraute.
«Mrs. Danvers», hörte ich mich sagen, «ich hoffe, wir werden Freunde werden und gut miteinander auskommen. Sie müssen nur etwas Geduld mit mir haben, weil dies alles so neu für mich ist. Ich bin nicht für ein Leben wie hier auf Manderley erzogen worden, und ich möchte es doch so gern richtig machen, und vor allem möchte ich, daß Mr. de Winter zufrieden mit mir ist. Ich weiß, daß ich Ihnen den ganzen Haushalt überlassen kann, Mr. de Winter sagte es mir schon, und ich möchte auch alles beim alten lassen. Ich habe nicht vor, neue Anordnungen zu treffen.»
Ich hielt inne, ein wenig atemlos, meiner selbst und der richtigen Wahl meiner Worte nicht sicher, und als ich zu ihr hinsah, bemerkte ich, daß sie sich bewegt hatte und daß sie mit der Hand am Türgriff stand.
«Sehr wohl», sagte sie, «ich hoffe, ich werde alles zu Ihrer Zufriedenheit erledigen. Ich habe den Haushalt nun seit über einem Jahr selbständig geführt, und Mr. de Winter hat sich niemals zu beklagen brauchen. Natürlich war es ganz anders, als Mrs. de Winter noch lebte. Damals wurden ständig Gesellschaften gegeben, und wir hatten viel Hausbesuch, und wenn ich ihr auch einen großen Teil der Arbeit abnahm, so kümmerte sie sich doch um alles.»
Wieder hatte ich den Eindruck, daß sie ihre Worte mit Vorbedacht wählte, daß sie sozusagen meine Gedanken abtasten wollte, indem sie meinen Gesichtsausdruck beobachtete, während sie sprach.
«Mir ist es viel lieber, wenn Sie alles selbständig tun», wiederholte ich. «Sehr viel lieber.» Und ich sah, daß ihr Mund sich wieder zu demselben spöttischen, geradezu verächtlichen Lächeln verzog, das ich schon bei der Begrüßung in der Halle bemerkt hatte. Sie wußte, daß ich ihr nicht gewachsen war und daß ich sie fürchtete.
«Kann ich noch irgend etwas für Sie tun?» fragte sie, und ich tat, als ob ich mich prüfend im Zimmer umsähe. «Nein, danke», sagte ich, «nein, ich glaube, ich habe alles. Ich werde mich hier sehr wohl fühlen. Sie haben das Zimmer reizend und gemütlich herrichten lassen» - eine kriecherische Schmeichelei, um ihre Gunst zu gewinnen.
Sie zuckte die Achseln, völlig unbewegt. «Ich habe nur Mr. de Winters Anweisungen befolgt», sagte sie. Sie zögerte noch in der offenen Tür, als hätte sie mir noch etwas zu sagen und wüßte nicht recht, wie sie anfangen sollte. Sie wartete offenbar darauf, daß ich ihr eine Gelegenheit dazu geben würde.
Ich wünschte, sie würde endlich gehen; sie stand da wie ein Schatten mit ihren lauernden Totenkopfaugen.
«Falls irgend etwas noch nicht Ihren Wünschen entsprechen sollte, werden Sie es mich bitte gleich wissen lassen?» sagte sie.
«Gewiß», sagte ich, «selbstverständlich werde ich das tun, Mrs. Danvers», aber ich wußte, daß es nicht dies war, was sie mir hatte sagen wollen; und wieder fiel ein Schweigen zwischen uns.
«Sollte Mr. de Winter nach seinem großen Kleiderschrank fragen», sagte sie plötzlich, «dann sagen Sie ihm bitte, daß wir ihn unmöglich hierher transportieren konnten. Wir versuchten es, aber er ging nicht durch diese schmalen Türen. Die Zimmer hier sind kleiner als drüben im Westflügel. Wenn er etwas auszusetzen hat, möchte er es mir bitte gleich sagen. Es war nicht leicht, diese Räume passend einzurichten.»
«Machen Sie sich darüber kein Kopfzerbrechen, Mrs. Danvers», entgegnete ich, «ich bin überzeugt, daß er alles wunderschön finden wird. Es tut mir nur leid, daß Sie soviel Arbeit damit gehabt haben. Ich hatte keine Ahnung, daß er diesen Flügel neu herrichten und tapezieren lassen wollte, es wäre wirklich nicht nötig gewesen. Ich wäre im Westflügel bestimmt ebenso glücklich und zufrieden gewesen.»
Sie sah mich sonderbar an und begann den Türgriff hin-und herzudrehen. «Mr. de Winter meinte, Sie würden diesen Flügel vorziehen», sagte sie. «Die Räume drüben sind sehr alt. Das Schlafzimmer ist fast doppelt so groß wie dieses - ein sehr schönes Zimmer, mit einer geschnitzten Decke. Die Gobelinstühle und der Kamin sind sehr wertvolle Stücke. Es ist das schönste Zimmer im ganzen Haus, und von den Fenstern hat man einen herrlichen Blick auf das Meer.»
Ich fühlte mich hilflos und ungemütlich. Ich wußte nicht, warum sie mit diesem Unterton von Trotz sprechen mußte und durchblicken ließ, daß dieses Zimmer, in dem ich wohnen sollte, irgendwie unansehnlich und Manderley nicht ganz würdig sei - ein zweitklassiges Zimmer, gut genug für einen zweitklassigen Menschen wie ich.
«Wahrscheinlich will Mr. de Winter das beste Zimmer nicht benutzen, um es bei den öffentlichen Führungen zeigen zu können», sagte ich. Sie spielte immer noch mit dem Türgriff, sah mir dann plötzlich in die Augen, zögerte jedoch mit ihrer Antwort; und als sie schließlich sprach, klang ihre Stimme noch leiser, noch tonloser als zuvor.
«Die Schlafzimmer werden bei den Führungen nie gezeigt, nur die Halle und die Galerie und die unteren Räume.» Sie hielt einen Augenblick inne und betrachtete mich abwägend. «Als Mrs. de Winter noch lebte, wohnten sie im Westflügel. Das große Zimmer, von dem ich gerade sprach, war Mrs. de Winters Schlafzimmer.»
Dann sah ich, wie ein Schatten über ihr Gesicht flog und wie sie sich an die Wand drückte, als wolle sie sich unsichtbar machen, und gleich darauf hörte ich Maxims Schritte, und er trat ins Zimmer.
«Nun, wie ist's?» sagte er zu mir, «gut? Glaubst du, daß es dir gefallen wird?»
Er sah sich voller Begeisterung um, so strahlend wie ein Schuljunge. «Ich war immer der Ansicht, daß dies ein besonders schönes Zimmer ist», sagte er. «Als Gastzimmer ist es nie so recht zur Geltung gekommen, aber ich wußte, daß man etwas daraus machen konnte. Sie haben Wunder gewirkt, Mrs. Danvers, mein Kompliment.»
«Besten Dank, Sir», erwiderte sie, ohne eine Miene zu verziehen, und dann ging sie und schloß die Tür behutsam hinter sich zu.
Maxim trat an ein Fenster und lehnte sich hinaus. «Ich liebe den Rosengarten», sagte er. «Eine meiner ersten Erinnerungen ist, wie ich auf kleinen, noch sehr unsicheren Beinen hinter meiner Mutter herlief, als sie die verblühten Rosen abschnitt. Ich finde, dieses Zimmer hat etwas Friedliches und Zufriedenes, und es ist auch sehr ruhig. Wenn man hier ist, sollte man es kaum für möglich halten, daß das Meer so nahe ist.»
«Genau das sagte Mrs. Danvers auch», erklärte ich ihm.
Er trat vom Fenster zurück, schlenderte im Zimmer umher, sah sich die Bilder an, nahm diesen oder jenen Gegenstand in die Hand, öffnete die Schränke und nahm meine Kleider, die darin hingen, in Augenschein.
«Wie bist du mit unserer guten Danvers fertig geworden?» fragte er mich plötzlich.
Ich wandte mich ab und kämmte mir noch einmal die Haare vor dem Spiegel. «Sie schien mir ein wenig zurückhaltend zu sein», erwiderte ich nach einer Weile. «Vielleicht fürchtete sie, ich würde mich in ihre Haushaltsangelegenheiten mischen.»
«Ich glaube nicht, daß sie dir das übelnehmen würde», behauptete er. Ich blickte hoch und sah im Spiegel seine Augen auf mich gerichtet. Dann ging er wieder ans Fenster und schaukelte, leise vor sich hin pfeifend, auf den Absätzen.
«Du mußt sie gar nicht beachten», sagte er. «Sie ist in mancher Beziehung ein eigenartiger Mensch und für eine andere Frau bestimmt nicht leicht zu nehmen. Aber mach dir nichts draus. Wenn sie dir wirklich auf die Nerven geht, werden wir sie eben entlassen. Sie ist nur sehr tüchtig, weißt du, und wird dir alle Haushaltssorgen abnehmen. Wahrscheinlich tyrannisiert sie das Personal nicht wenig. Mir gegenüber wagt sie es aber nicht. Ich hätte sie schon längst vor die Tür gesetzt, wenn sie es versucht hätte.»
«Ich denke doch, daß wir uns gut vertragen werden, wenn sie mich erst etwas kennengelernt hat», beeilte ich mich zu erwidern, «schließlich ist es ja ganz natürlich, daß sie jetzt noch etwas gegen mich hat.»
«Gegen dich hat? Warum denn das? Was willst du denn damit sagen?»
Er drehte sich stirnrunzelnd zu mir um, einen merkwürdigen, fast zornigen Ausdruck im Gesicht. Ich verstand nicht, warum er sich darüber Gedanken machte, und ich wünschte, ich hätte etwas anderes gesagt.
«Ich meinte nur, daß es für eine Haushälterin doch viel einfacher ist, für einen alleinstehenden Mann zu sorgen», sagte ich. «Wahrscheinlich hat sie sich so daran gewöhnt, daß sie jetzt fürchtet, ich würde ihr zu viel dreinreden.»
«Dreinreden, du lieber Himmel ...» fing er an. «Wenn du glaubst ...» dann brach er ab, kam auf mich zu und küßte mich auf das Haar.
«Reden wir nicht mehr über Mrs. Danvers», sagte er. «Ich muß gestehen, sie interessiert mich herzlich wenig. Komm, ich möchte dir ein bißchen von Manderley zeigen.»
Ich sah Mrs. Danvers an jenem Abend nicht wieder, und wir sprachen auch nicht mehr über sie. Ich fühlte mich froher und nicht mehr so sehr als Eindringling, nachdem ich sie aus meinen Gedanken verbannt hatte; und als wir unten durch die Zimmer gingen und uns die Bilder ansahen und Maxim den Arm um mich legte, begann ich mich als die junge Frau zu fühlen, die ich werden wollte, die junge Frau meiner Träume, die Manderley zu ihrer Heimat gemacht hatte.
Es war unser erster Abend, das Ansehen der Bilder hatte einige Zeit in Anspruch genommen, und deshalb freute ich mich, als Maxim mit einem Blick auf die Uhr meinte, es sei zu spät, um sich zum Essen umzuziehen, so daß ich der Verlegenheit entging, von Alice, dem Hausmädchen, gefragt zu werden, was ich anziehen wollte, und mir nicht von ihr beim Umkleiden helfen zu lassen brauchte. Es blieb mir deshalb auch erspart, die hohe Treppe zur Halle fröstelnd mit bloßen Schultern herabzusteigen, in einem Kleid, das Mrs. Van Hopper mir geschenkt hatte, weil es ihrer Tochter nicht stand. Ich hatte bereits mit Schrecken an die förmliche Mahlzeit in dem nüchternen Eßzimmer gedacht, und jetzt machte die geringfügige Tatsache, daß wir uns nicht umzogen, alles ganz leicht und einfach, nicht anders, als wenn wir in einem Restaurant zusammen gegessen hätten. Ich fühlte mich frei und ungezwungen in meinem Reisekleidchen, lachte und redete über alles mög-liche, was wir in Italien und Frankreich erlebt hatten; wir sahen uns sogar bei Tisch unsere Photos an, und Frith und der Diener waren genauso unpersönliche Wesen wie Kellner in beliebigen Hotels.
Nach dem Essen setzten wir uns in die Bibliothek, die Vorhänge wurden zugezogen und neue Scheite auf das Kaminfeuer gelegt. Es war kühl für einen Maiabend, und ich war dankbar für die Wärme, die die ruhig brennenden Scheite ausströmten.
Es war etwas Neues für uns, nach Tisch so beisammen zu sitzen, denn in Italien pflegten wir immer ein wenig spazierenzugehen oder umherzufahren, wir waren in irgendein kleines Cafe gegangen oder auf eine Brücke, um ins Wasser zu sehen. Hier setzte sich Maxim instinktiv in den Sessel links vom offenen Kamin und griff nach den Zeitungen. Er rückte sich eins der breiten Kissen hinter dem Kopf zurecht und zündete sich eine Zigarette an. «Das ist die Macht der Gewohnheit», dachte ich, «so hat er es immer gehalten, das ist nun schon ein jahrealter Brauch von ihm.»
Er sah mich nicht an, sondern las seine Zeitung zufrieden und gemütlich, wieder ganz zu Hause, der Herr von Manderley. Und wie ich da grübelnd saß, das Kinn in die Hand gestützt, und die weichen Ohren eines der Hunde streichelte, kam mir in den Sinn, daß ich nicht die erste war, die es sich dort im Stuhl bequem machte. Jemand war vor mir dagewesen, gewiß trugen die Kissen noch den Abdruck ihres Kopfes und die Lehnen Spuren von ihren Händen. Eine andere Frau hatte aus derselben silbernen Kanne den Kaffee eingeschenkt, hatte die Tasse an ihre Lippen gehoben, hatte sich zu dem Hund hinabgebeugt, ganz wie ich jetzt.
Ein Schauder überlief mich, als habe jemand die Tür hinter mir geöffnet, so daß Zug entstand. Ich saß in Re-beccas Sessel, lehnte mich gegen ihr Kissen, und der Hund war zu mir gekommen und hatte seinen Kopf auf mein Knie gelegt, weil es seine Gewohnheit gewesen war und er sich erinnerte, wie sie ihm immer ein Stück Zucker gegeben hatte.