Sinnlichkeit. Begehren.

Der blinde Fleck in Janes Gesichtsfeld ist dahingeschmolzen. Unter den sacht ansteigenden Temperaturen dieses bestechend grünen Frühlings, obwohl es immer noch zu kühl ist für die Jahreszeit. Freigewaschen ist diese Stelle vom vielen Regen, während sich die Natur zu bemühen scheint, das schlechte Wetter doppelt und dreifach wiedergutzumachen: mit Feldern von Schneeglöckchen und Primel und Seen von Krokus. Mit Meeren leuchtender Tulpen und Narzissen.

Eine Blütenpracht, eine Fruchtbarkeit, die unter dem Grau der Wolken noch intensiver, noch überwältigender ist und hungrig macht nach mehr.

Jetzt kann Jane ihr Sehnen benennen, es verorten. Manchmal in der Gegend ihres Herzens. Manchmal in ihrem Schoß.

Ab und zu fragt sie sich, wie ihr Leben heute aussehen würde, wäre sie einem anderen Mann als Robert begegnet. Einem Knecht, auf einem Dorffest in Swinton. Einem Kammerdiener oder Gemischtwarenhändler in Edinburgh.

Wie es wohl wäre, mit einem anderen Mann. Unter einem anderen Dach. In einem anderen Bett.

Mit einem der Gentlemen, die bei Zigarrenrauch und einem Glas Hochprozentigem mit Mr Lindley zusammensitzen und über die Pflanzen konferieren, die sie nach Acton Green mitgebracht haben. Herren, die mit der Botanik verheiratet zu sein scheinen und deren Aura von großen Geistesgaben und fast schon überirdischem Wissen Jane ebenso einschüchtert wie ihre geschliffenen Worte.

Wie Mr Hawkins, rundwangig und semmelblond, der sich den Farnen verschrieben hat und Jane stets überschwänglich begrüßt, wenn er sie im Arbeitszimmer von Mr Lindley antrifft. Oder Mr Bell, Orchideenliebhaber wie Mr Lindley, mit seiner ledrigen Haut, Haar und Bart wie mit Kohle gefärbt, von dem sogar dann ein rußiger Geruch ausgeht, wenn er seine Pfeife nicht entzündet hat.

Jedes Mal wischt Jane diese krausen Gedanken rasch beiseite, hochrot vor Scham.

Abschütteln kann sie sie trotzdem nicht, sie haben sich an ihre Fersen geheftet. Während sie die Sachen der Kinder flickt und sich dabei ertappt, dass sie die Nadel seit geraumer Zeit nicht mehr durch den Stoff bewegt, nur Löcher in die Luft gestarrt und vor sich hingeträumt hat. Zweimal in der letzten Zeit ist ihr sogar das Essen angebrannt, weil sie angestrengt über Männer und Frauen sinniert hat.

Vielleicht wird deshalb Frauen immer abgeraten, sich näher mit der Botanik zu befassen. Wegen solcher Gefühle. Solcher Gedanken und Fragen, die sie untauglich machen für ihre Aufgaben in der Ordnung der Welt.

Trotzdem hört Jane nicht auf, zu lesen und nachzudenken; sie weiß, dass es da jetzt kein Zurück mehr gibt.

Sie wünscht sich nur, sie hätte früher schon solche Gedanken gehabt. Solche Gefühle.

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