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Ich folgte Fortune durch den Garten von Huadi.

Blieb stehen, wenn er stehen blieb. Ging weiter, wenn er weiterging. Immer wieder streifte mich dabei ein Blick aus schmalen Augen. Misstrauisch. Spöttisch. Herausfordernd.

Er mochte mich nicht, dieser Wang. Natürlich nicht. Er musste glauben, dass ich ihm seine Stellung streitig machte. Noch dazu als Frau. Eine Frau, die in keines der gängigen Lackkistchen passte: Ehefrau. Mutter. Singsong-Mädchen.

Sobald Wang das erste Mal den Mund aufmachte, um gegen meine Anwesenheit zu protestieren, wusste ich schon einiges über ihn.

Er kam aus Anhui, mehrere hundert li von der Küste entfernt. Von südlich des Flusses Huai stammte er, das hörte ich aus seinem Zungenschlag heraus. Vermutlich von irgendwo am Rande der Huangshan, der Gelben Berge. Nicht dieselbe Gegend, in der ich geboren worden war. Aber auch nicht allzu weit davon entfernt.

Es ist eine Eigentümlichkeit, dass man eine Mundart umso besser zuordnen kann, je länger man sie nicht gehört hat. Obwohl ich noch sehr klein gewesen war, als ich fortlief, erkannte ich diesen Klang wieder.

Mehr als zwanzig Jahre musste das jetzt her sein. Seither war ich niemals wieder dort gewesen. Diesen Landstrich hatte ich stets gemieden.

Die Menschen dort waren nicht besonders arm, aber auch selten reich. In den weiten Ebenen nördlich des Flusses lebte man vom Weizen, zwischen den Hügellandschaften und dem Gebirge des Südens von Reis und Tee. Sofern der Himmel nicht in der Jahreszeit des Pflaumenregens seine Schleusen öffnete, die Flüsse über die Ufer traten und die Ernte zunichtemachten. In solchen Zeiten konnte man froh sein, wenn man nicht noch sein Haus verlor und das ganze Vieh.

Die Leute von Anhui verstanden sich auf Reiswein, auf Kräutermedizin und die Kunst des Heilens. Das Land von Reispapier und Tinte war es, und das Land der Kalligrafie. In dem man sogar darauf achtete, dass Mädchen lesen und schreiben lernten. Auch einfache Bauernmädchen, wie ich eines gewesen war.

Stolz war man darauf, dass dort eine der Wiegen unseres Volkes, unserer Kultur gestanden hatte und dort auch die Lehre des Dao geboren worden war. Ein Stolz, der sich darin zeigte, dass man die alten Traditionen achtete und pflegte. Selbst unter der Herrschaft der Mandschu.

Wang platzte vor Stolz. Vor Selbstgefälligkeit.

Wie er sich vor den Wächtern am Tor aufgeplustert hatte ... Als brächte er den Himmelssohn höchstselbst hierher. Und nicht minder aufgeblasen strich er nun auf Schritt und Tritt heraus, wie sehr es allein sein Verdienst war, dass Fortune nun durch diesen Garten wandeln konnte. Warf mir dabei triumphierende Blicke zu.

Als ob es mir etwas ausmachte.

Wo war er denn gewesen, als jene wilden Gesellen Fortune unter der Pagode von Shenhu zu Leibe rückten? Er merkte nicht einmal, wie lächerlich das Pidgin wirkte, an dem er unbeirrt festhielt. Als ob es unter seiner Würde war, die fremde Sprache besser zu lernen. Oder er war schlichtweg zu faul.

Für wie gerissen er sich doch hielt, Fortunes Geld einzustreichen, ohne viel dafür tun zu müssen. Ihm als Krönung noch auf der Nase herumtanzte, weil dieser zu naiv oder zu weichherzig war, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Ich störte mich an dieser Mischung aus Eitelkeit, in Diensten eines Barbaren zu stehen, und der Verachtung für dieses fremde Volk. Daran, dass Wang sich für etwas Besseres hielt, einfach nur, weil er ein Mann war.

Deshalb zog ich mich in mein Schweigen zurück. Begnügte mich damit, zu beobachten und zuzuhören. Trotzdem hatte es mich gefreut, als Fortune ihn vorhin im Boot scharf zurechtgewiesen hatte. Und dann auch noch um meinetwillen.

Wäre manches anders gekommen, als ich noch ein Kind war, wäre ich heute wohl die Frau eines Mannes wie Wang. Dazu verdammt, im Laufe meines Lebens erst seine Dienerin zu sein, dann die seiner Söhne und Enkelsöhne. Der das Recht hatte, die Hand gegen mich zu erheben, wenn ich ungehorsam war. Das Recht, sich eine zweite, eine dritte Frau zu nehmen, wenn ich ihm keine Söhne schenkte. Sich eine oder mehrere Konkubinen ins Haus zu holen, wenn er es sich leisten konnte.

Weil dies die Ordnung war, die Götter und Ahnen gefiel. Und den Männern, die in dieser Ordnung die Oberhand hatten.

Mich schauderte bei diesem Gedanken. Immer noch. Obwohl ich diesem Los bereits vor langer Zeit entronnen war. Ein langer Weg war es, den ich seitdem zurückgelegt hatte. Nicht nur in li gemessen.

Ich konnte nur raten, weshalb Wang Anhui verlassen hatte. Vermutlich, weil er sich in den Hafenstädten der Küste ein besseres Leben erhoffte. Sich mehr Geld ausrechnete, für leichtere Arbeit als das Schuften auf den Feldern und im Stall. Sicheres Geld, wo zu Hause doch das Wohl und Wehe jeder Familie von den Launen der Natur abhing.

Wie es viele taten, seit dem Krieg. Wie es wohl mehr und immer mehr tun würden, von nah und fern, je mehr fremde Barbaren hierher strömten, um sich an den Schätzen Chinas zu bereichern. Lauter Wangs, die sich weiterhin fest in ihrer alten Heimat verwurzelt glaubten. Die davon träumten, mit den fremden Barbaren ihren Schnitt zu machen und als gemachte Männer nach Hause zurückzukehren. Um dort ihr altes Leben wieder aufzunehmen. Nur mit einem Beutel voll Gold in der Hand, der alles schöner und besser machen würde und ihnen Ansehen verlieh.

Den wenigsten würde es gelingen.

Niemals kehrte man als derselbe aus der Fremde heim. Mit der Zeit lockerten sich die Wurzeln. Starben irgendwann ab, fanden sie keinen Halt in neuer Erde.

Wenn die Wurzeln tief reichen, braucht man den Wind nicht zu fürchten, sagte man bei uns.

Nicht jeder war für ein wurzelloses Dasein gemacht. Manche Menschen reagierten darauf mit Verwirrung und Angst. Andere mit Unzufriedenheit, die so leicht zu Zorn und Hass aufkochte. Was würde es mit den Wangs dieses Reiches machen, von denen es täglich mehr gab?

Shanghai, das mir so fremd gewordene Shanghai, hatte mir die Augen geöffnet. Dort hatte ich gesehen, welch große Macht der Handel besaß, eine Welt zu verändern. Eine weitaus größere Macht noch als der Krieg.

Schneller und schneller rotierte Shanghai in seiner Gier um die Geschäfte mit den Barbaren. Der Gier nach Wohlstand und vielleicht auch Reichtum. Was würde geschehen, wenn diese Gier unerfüllt blieb? Wenn sich die gefährliche Mischung aus Geschäftshunger und Verachtung den Fremden gegenüber dann entzündete?

Und was mochte unserem Reich bevorstehen, sollte der Hunger der Barbaren nach den Schätzen Chinas unstillbar sein? Wenn sie ihrerseits nach mehr und immer mehr verlangten, irgendwann sogar Land und Einfluss begehrten?

Nach diesem Krieg standen wir an einem Wendepunkt. Ohne dass jemand zu sagen vermochte, ob dies sich als Segen oder als Fluch erweisen würde. Und welche Rolle dabei den fremden Barbaren zukam.

Die Schmähreden von Älterer Bruder noch im Ohr, beobachtete ich Fortune.

Traumverloren driftete er durch den Garten, eine feierliche Ernsthaftigkeit auf dem Gesicht. Eine fast ehrfürchtige Bewunderung. Niemand, der ihn so sah, konnte doch ernsthaft daran zweifeln, dass er wirklich nur deshalb nach China gekommen war, um die schönsten Blumen zu finden und in seine Heimat zu bringen.

Auf eine merkwürdige Art empfand ich Stolz auf mein Land, dessen Erde Blumen hervorbrachte, die einen Mann des Westens so tief beeindrucken konnten. Die in seiner Heimat so begehrt waren.

Natürlich würde ich ihm helfen, sie zu bekommen.

Welche Rolle konnten denn schon ein paar Pflanzen spielen?

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