Geschichten keimen aus Körnchen von Tatsachen.
Geschichten wachsen und gedeihen unter den Elementen der Möglichkeit, im weiten Feld grenzenloser Vorstellungskraft. Treiben fantastisch anmutende Blüten und tragen Früchte von eigener Wahrhaftigkeit.
Wie diese Geschichte, die sich zugetragen und doch nicht zugetragen hat.
Damals.
Queen Victoria ist eine noch junge Königin, und die Daguerreotypie hat es gerade erst möglich gemacht, die Zeit in Grautönen und Sepia einzufrieren.
Eine Zeit, in der die bunten Flächen auf den Weltkarten noch weiß gefleckt sind.
Alexander Gordon Laing hat als erster Europäer die sagenhafte Stadt Timbuktu erreicht; zwei Jahre später ist René Caillié der erste Europäer, der lebend von dort zurückkehrt. Schon bald wird Johannes Rebmann der erste Weiße sein, der den Kilimanjaro erblickt, und nach David Livingstone werden sich auch Richard Francis Burton und John Hanning Speke aufmachen, die Quellen des Nils zu finden.
Terra incognita.
In Afrika. Amerika. Asien.
Unterdessen schwärmen die Untertanen Queen Victorias in die Wälder und Wiesen aus und fangen Schmetterlinge und Käfer; pressen Gräser und Blumen, um sie in ein Herbarium zu kleben. An den Küsten klauben sie Muscheln und Fossilien auf und versammeln sich abends im heimeligen Wohnzimmer um ein Mikroskop, das für wenig Geld zu haben ist.
Die Londoner Royal Botanical Gardens in Kew sind soeben erst für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden und werden innerhalb kurzer Zeit Hunderttausende Besucher im Jahr anlocken, mehr als Windsor Castle oder der Tower of London.
Es ist die große Stunde der Leidenschaft für die Natur, der unterhaltsamen und lehrreichen Lobpreisung ihres Schöpfers.
Während Charles Darwin in der Grafschaft Kent noch an seiner Theorie der Entstehung der Arten schreibt, ziehen Pflanzenjäger in die Welt hinaus, um die Sehnsüchte dieser Ära zu stillen und gleichzeitig neu zu entfachen.
Das Orchideendelirium und den Rosenwahn. Die Päonienmanie, das Palmenfieber und die Pteridomania – die Besessenheit von Farnen jedweder Gestalt.
Die Botanik ist zur Schatzsuche geworden.
Als im Namen zweier Pflanzen sogar Imperien in den Krieg ziehen, werden die Karten der Welt neu gezeichnet. Eine Tür öffnet sich, nur einen Spalt breit, doch weit genug, um einen Fuß hineinzusetzen.
In ein fernes, verbotenes Reich.
Irgendwo zwischen Legende und Wirklichkeit.