Shanghai, Herberge »Goldener Lotos«.


Montag, der 25. Dezember 1843, sechs Uhr morgens

Liebe Jane,

ich hoffe, mein Brief aus Hongkong, geschrieben und abgeschickt im Juli, hat Dich mittlerweile erreicht.

Seit diesem Brief habe ich viele Meilen in China zurückgelegt – die meisten davon auf dem Wasser und sehr viele auch zu Fuß.

Ein Land voller Merkwürdigkeiten ist dieses China, und zuweilen denke ich mir, dass ein Menschenleben nicht ausreicht, um alles davon kennenzulernen und das Wesen seiner Bewohner zu ergründen.

Der Winter hier in Shanghai ist bisher sehr mild, mit leichtem Regen und Nebel. Ich habe jedoch gehört, dass es im Januar sehr kalt werden kann, sogar Schnee fallen soll.

Nachdem ich zwischenzeitlich in Regionen mit einer reichen Pflanzenwelt unterwegs war, erfahre ich derzeit auf meiner Reise eine Durststrecke.

Zu dieser Jahreszeit ist die Umgebung der Stadt Ödland, und der Zutritt zu den berühmten Gärten der Mandarine ist mir bislang jedes Mal verwehrt worden. Ich bin schon fast geneigt zu glauben, diese Gärten sind nichts weiter als eine Mär. Oder über Nacht schlichtweg vom Erdboden verschwunden.

Im Frühling brechen sicher auch hier für mich bessere Tage an. Dennoch versuche ich weiterhin mein Glück in Shanghai. Schließlich ist es eine große Stadt, verschachtelt und unübersichtlich, mit unzähligen versteckten Ecken.

In einem dieser verborgenen Winkel habe ich ein Lädchen entdeckt, kaum größer als unsere Speisekammer, und dort diese kleinen Figuren gekauft. Aus Jade sollen sie sein, das hat man mir versichert. Was ich kaum glauben kann, weil sie fast nichts gekostet haben.

Von künstlerischem Wert sind sie auf jeden Fall, allein schon wegen der feinen Schnitzarbeit, und ich habe manchen langen Abend damit zugebracht, über das Wesen dieser Fabeltiere zu rätseln.

Ursprünglich wollte ich mit meinem Paket an Dich und die Kinder warten, bis ich eine weitere Kiste Pflanzen für die Society zusammengepackt habe. Nun bringe ich es jedoch jetzt schon auf den Weg, mit einem Frachter, der morgen früh hier ausläuft. Ich hoffe, die Kinder haben Freude an dem Spielzeug und Du findest Verwendung für die Seide.

Mein Weihnachtspaket an Euch – auch wenn es wohl schon Frühling sein wird, bis Ihr es öffnen könnt.

Ich hoffe, Ihr bleibt von einem allzu strengen Winter verschont und könnt einen baldigen Frühling erleben. Sollten eine lange Kälteperiode und ein spätes Frühjahr das Brennholz knapp werden lassen, das ich vor meiner Abreise geschlagen habe, so gib bitte John Lindley kurz Nachricht – er wird einen Hilfsgärtner schicken, der sich darum kümmert.

Erzähl Helen, dass ihr Vater unlängst auf einem Pony geritten ist und sich dabei gehörig zum Narren gemacht hat. Und gib John einen Geburtstagskuss von mir – es kommt mir vor, als wäre es erst letzte Woche gewesen, dass Du ihn zur Welt gebracht hast und ich ihn das erste Mal im Arm hielt.

Frohe Weihnachten und ein gesegnetes neues Jahr Dir und den Kindern!

Zu dieser Zeit des Jahres sehr in Gedanken bei Euch,

Robert

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